Ich hatte mir einen Splitter in den Daumenballen gerissen, und meine Hand schwoll an. Der Druide zog den Splitter heraus, ohne daß ich etwas spürte, denn er preßte mir mit der anderen Hand das Handgelenk zusammen. Als er den Splitter mit einer Nadel entfernt hatte, hielt er meine heiße, schmerzende Hand lang zwischen den seinen. Am nächsten Morgen war der Schmerz verschwunden, und meine Hand war so gut geheilt, daß man nicht einmal mehr die Wunde sah.
An diesem Tag kam der Druide wieder auf Vespasian zu sprechen. »Er begreift vielleicht besser als andere Römer, daß dieser Krieg ein Krieg zwischen den Göttern der Briten und den Göttern der Römer ist«, sagte er. »Deshalb versucht er, einen Waffenstillstand zwischen den Göttern herbeizuführen, und handelt damit unvergleichlich klüger, als wenn er versuchen wollte, unsere Stämme zu einem politischen Bündnis mit Rom zu bewegen. Unseren Göttern kann die Waffenruhe recht sein, denn sie sind unsterblich. Dagegen sagen uns zuverlässige Vorzeichen, daß die Götter Roms sterben werden. Deshalb wird Rom Britannien nie ganz in seine Gewalt bekommen, so schlau Vespasian es auch anzustellen meint. Aber ein jeder muß freilich an seine eigenen Götter glauben.«
Der Druide versuchte sogar, die scheußlichen Menschenopfer zu verteidigen, die sein Glaube forderte, und erklärte mir: »Leben muß mit Leben erkauft werden. Wird ein Vornehmer krank, so opfert er einen Verbrecher oder einen Sklaven, um geheilt zu werden. Für uns bedeutet der Tod nicht dasselbe wie für euch Römer, denn wir wissen, daß wir früher oder später wiedergeboren werden. Der Tod ist daher nur ein Wechsel von Zeit und Ort. Ich wage nicht zu behaupten, daß alle Menschen wiedergeboren werden, aber der Eingeweihte weiß, daß er mit einem Rang, der seinem Wert entspricht, zurückkehrt. Darum ist der Tod für ihn nur ein tiefer Schlaf, aus dem er wieder erwacht.«
Vespasian gab den Druiden, den er zu seinem Sklaven gemacht hatte, in der durch das Gesetz vorgeschriebenen Form frei, bezahlte aus eigener Tasche die Freilassungssteuer in die Legionskasse und erlaubte ihm, seinen zweiten Familiennamen, Petro, zu tragen. Dann führte er ihm streng die Pflichten vor Augen, die ein Freigelassener seinem früheren Herrn gegenüber hat. Danach schenkte er uns drei Maulesel und schickte uns über den Fluß ins Land der Icener. Im Kerker hatte ich mein Haar und meinen hellen Flaumbart wachsen lassen, und als wir das Lager verließen, kleidete ich mich wirklich in Ziegenhäute, obwohl Petro über diese Vorsichtsmaßregel lachte.
Kaum befanden wir uns im Schutz des Waldes, da warf er seinen Freilassungsstab in die Büsche und stieß den markerschütternden Schlachtruf der Briten aus. In kürzester Zeit waren wir von einer Schar bewaffneter, blaubemalter Icener umgeben, doch geschah weder mir noch Lugunda etwas Böses.
Zusammen mit Petro und Lugunda reiste ich auf Eselsrücken von den ersten Frühlingstagen bis in den dunklen Winter hinein zwischen den verschiedenen Stämmen der Briten hin und her und sogar ins Land der Briganter. Petro unterrichtete mich nach bestem Vermögen in den Sitten und Glaubensvorstellungen der Briten, nur von den Geheimnissen der Eingeweihten erfuhr ich nichts. Ich brauche keine Einzelheiten über diese Reise zu berichten, denn ich habe alles in meinem Buch über Britannien geschildert, wo man es nachlesen kann.
Eines muß ich jedoch bekennen, nämlich daß mir erst mehrere Jahre später klar wurde, daß ich damals in einer Art Verzauberung umherwanderte. Übte Petro oder Lugunda einen heimlichen Einfluß auf mich aus, oder war nur meine Jugend daran schuld? Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich sah alles schöner, als es in Wirklichkeit war, und fand Gefallen an Bräuchen und an Menschen, die ich später nicht mehr auf dieselbe Weise zu schätzen vermochte. Gleichwohl sah und lernte ich in dem einen Sommer so viel, daß ich mich nach einem halben Jahr bedeutend älter fühlte, als ich der Zahl meiner Jahre nach war.
Lugunda blieb bei ihren Stammesgenossen im Land der Icener, um Hasen zu züchten. Ich dagegen verbrachte die dunkelste Winterszeit in der Stadt Londinium im römisch besetzten Teil des Landes, um aufzuzeichnen, was ich auf meiner Reise erlebt und erfahren hatte. Lugunda hatte mich unbedingt begleiten wollen, aber Petro wünschte, daß ich ins Land der Icener zurückkehrte, und überzeugte sie davon, daß dies um so sicherer zu erwarten sei, wenn sie bei ihrer eigenen Familie blieb, die übrigens für britische Verhältnisse vornehm war.
Vespasian erkannte mich nicht wieder, als ich ihm mit blauen Streifen im Gesicht und goldenen Ringen in den Ohren und in kostbares Pelzwerk gekleidet gegenübertrat. Ich redete ihn in der Sprache der Icener an und machte mit der Hand das einfachste der geheimen Zeichen der Druiden, das zu gebrauchen Petro mir erlaubt hatte, damit ich bei meiner Rückkehr nicht in Gefahr geriet.
Ich sagte: »Ich bin Ituna aus dem Land der Briganter, der Blutsbruder des Römers Minutus Lausus Manilianus, von dem ich dir Botschaft bringe. Er ließ sich von den Druiden in Todesschlaf versenken, um ein günstiges Vorzeichen für dich zu erspähen. Nun kann er nicht mehr in seiner eigenen Gestalt zur Erde zurückkehren, aber ich habe versprochen, ihm eine Gedenktafel in römischer Schrift zu stiften. Kannst du mir einen guten Steinmetzen empfehlen?«
»Bei allen Göttern der Unterwelt und Hekate dazu!« fluchte Vespasian. »Minutus Manilianus ist tot! Was soll ich nun seinem Vater schreiben!«
»Als mein kluger Blutsbruder für dich starb, sah er im Traum ein Flußpferd«, fuhr ich fort. »Das bedeutet ein stetiges Anwachsen deiner Macht, das keine Gewalt verhindern kann. Flavius Vespasian, die Götter Britanniens bezeugen, daß du vor deinem Tod noch Kranke durch Handauflegen heilen und im Land der Ägypter zum Gott erhoben werden wirst.«
Erst da erkannte mich Vespasian wieder, weil er sich des ägyptisch-chaldäischen Traumbuchs erinnerte, und begann zu lachen. »Mich hat vor Schreck beinah der Schlag getroffen!« rief er. »Aber was faselst du da für ungereimtes Zeug?«
Ich erzählte ihm, daß ich wirklich einen Traum dieser Art gehabt hatte, als ich mich von einem der höchsten Druiden im Land der Briganter in einen todesähnlichen Schlaf versenken ließ. »Ob es aber etwas zu bedeuten hat, weiß ich nicht«, sagte ich nüchtern. »Vielleicht habe ich mich zu sehr erschreckt, als ich damals Lugunda und den Galliern aus dem Traumbuch von dem Flußpferd vorlas und du plötzlich hinter mir standest. Daher kehrte das Flußpferd in meinem Traum wieder, und gleichzeitig träumte ich von Ägypten. Ich sah alles so deutlich, daß ich den Platz und den Tempel beschreiben könnte, vor dem sich die Szene abspielte. Du saßest dick und kahlköpfig auf einem Richterstuhl. Um dich herum standen viele Menschen. Ein Blinder und ein Lahmer flehten dich an, sie zu heilen. Zuerst wolltest du nicht, aber dann spucktest du dem Blinden in die Augen und tratest den Lahmen gegen das Bein. Der Blinde konnte wieder sehen und der Lahme wieder gehen. Als das Volk das sah, brachte es dir Opferkuchen und ernannte dich zum Gott.«
Vespasian lachte herzlich, aber doch auch ein wenig gezwungen. »Sprich mir ja nicht zu anderen von solchen Träumen, nicht einmal im Scherz«, warnte er mich. »Ich verspreche dir, daß ich an diese Heilmittel denken werde, wenn ich wirklich einmal in eine solche Klemme geraten sollte. Es erscheint mir allerdings glaubhafter, daß ich Rom noch als zahnloser Greis als Unterfeldherr in Britannien dienen werde.«
Er konnte dies jedoch nicht ganz ernst meinen, denn ich sah, daß er ein Triumphzeichen trug. Ich beglückwünschte ihn dazu, aber seine Miene verdüsterte sich, und er berichtete mir als Neuestes aus Rom, daß Kaiser Claudius seine junge Gemahlin Messalina hatte ermorden lassen und dann vor den Prätorianern weinend und schreiend geschworen hatte, er werde sich nie mehr vermählen.
»Ich weiß aus zuverlässigem Munde, daß Messalina sich von Claudius trennte, um den Konsul Silius zu heiraten, mit dem sie es schon lange getrieben hatte«, berichtete Vespasian. »Sie gingen die Ehe ein, als Claudius sich einmal aus der Stadt entfernt hatte. Ihr Plan war, entweder die Republik wiedereinzuführen oder Silius mit der Zustimmung des Senats zum Kaiser zu machen. Was wirklich geschah, ist schwer in Erfahrung zu bringen. Jedenfalls ließen Claudius’ Freigelassene, Narcissus, Pallas und die übrigen Schmarotzer, Messalina im Stich und redeten Claudius ein, sein Leben sei in Gefahr, was vermutlich auch stimmte. Beim Hochzeitsgelage begingen die Verschwörer in ihrer Siegesfreude jedoch den Fehler, sich zu betrinken. Claudius, der in die Stadt zurückgekehrt war, bekam die Prätorianer auf seine Seite. Darauf wurde eine beträchtliche Anzahl Senatoren und Ritter hingerichtet, und nur wenigen wurde die Gnade gewährt, Selbstmord zu begehen. Die Verschwörung hatte weite – Kreise gezogen und war offensichtlich gründlich vorbereitet worden.«
»Was für eine wahnsinnige Geschichte!« rief ich. »Ich hörte zwar schon, kurz bevor ich Rom verließ, daß es die Freigelassenen des Kaisers mit der Angst bekamen, als Polybius auf Messalinas Befehl verurteilt wurde, aber ich habe nie recht glauben können, was über Messalina erzählt wurde. Ich hatte vielmehr den Verdacht, daß man absichtlich boshafte Gerüchte in Umlauf setzte, um ihren Ruf zu untergraben.«
Vespasian kratzte sich seinen großen Schädel, zwinkerte mir listig zu und sagte: »Ich bin nur ein einfacher Unterfeldherr und lebe hier draußen wie in einem Ledersack. Ich sehe und weiß nicht, was wirklich vorgeht. Was soll ich dir also sagen? Es heißt jedenfalls, daß fünfzig Senatoren und einige Hundert Ritter im Zusammenhang mit der Verschwörung hingerichtet wurden. Am meisten sorge ich mich um meinen Sohn Titus, der sich in Messalinas Obhut befand, um zusammen mit Britannicus zu einem römischen Edlen erzogen zu werden. Wenn Claudius gegen die Mutter seiner Kinder so übel gesinnt war, daß er sie beiseite schaffen ließ, kann der launische Alte sich eines Tages auch gegen die Kinder wenden.«
Danach sprachen wir nur noch über die Stämme und Könige Britanniens, die ich dank Petro kennengelernt hatte. Vespasian befahl mir, einen genauen Bericht zu verfassen, gab mir aber weder für ägyptisches Papier, Tinte und Rohrfedern noch für meinen Aufenthalt in Londinium Geld. Sold bezog ich auch keinen und war nicht einmal mehr in der Rolle meiner Legion geführt weshalb ich mir während des ganzen bitter kalten und nebligen Winters wie ein Ausgestoßener vorkam.
Ich mietete einen Raum im Hause eines gallischen Kornhändlers und begann zu schreiben, mußte mir aber bald eingestehen, daß es mir schwerer von der Hand ging, als ich geglaubt hatte. Ich sollte ja nicht ein bereits geschriebenes Werk kommentieren oder bearbeiten, sondern meine eigenen Erlebnisse aufzeichnen. Ich verdarb viel kostbares Binsenpapier und wanderte oft, durch Pelze und Wollkleider gegen den eisigen Wind geschützt, am Ufer des großen Flusses Tamesa auf und ab. Als Vespasian von einer Musterungsreise zurückkehrte, ließ er mich rufen und sich vorlesen, was ich geschrieben hatte. Nach der Vorlesung schien er ein wenig verwirrt zu sein und sagte: »Ich bin nicht fähig, über Literatur zu urteilen, und hege auch zuviel Achtung vor gelehrten Männern, um mich zu ihrem Richter aufzuwerfen, aber mir scheint, du hast da einen größeren Bissen in den Mund genommen, als du schlucken kannst. Du schreibst sehr schön, nur meine ich, du solltest dir zuerst einmal darüber klarwerden, ob du ein Gedicht schreiben willst oder einen sachlichen Bericht über Britannien. Es ist zwar angenehm zu lesen, wie die Wiesen so grün sind, wie der Weißdorn blüht und wie die Vögel zwitschern, wenn der Sommer naht, aber ich frage dich: was nützt es einem Krieger oder Handelsmann, dergleichen zu erfahren? Außerdem ist mir aufgefallen, daß du dich zu sehr auf die Erzählungen der Druiden und vornehmen Briten verläßt, wenn du von der Geschichte der Stämme und der göttlichen Abstammung der Könige berichtest. Du beschreibst ihre Taten und Tugenden so begeistert, als hättest du vergessen, daß du Römer bist. Ich würde an deiner Stelle lieber nicht mit britischer Zunge den Gott Julius Caesar lästern und behaupten, er habe Britannien nie erobern können, sondern sei unverrichteter Dinge von den Küsten dieses Landes geflohen. Diese an und für sich nicht ganz unbegründete Behauptung ist zwar sehr schmeichelhaft für Claudius, dem es dann dank den Fehden unter den britischen Stämmen gelang, einen so großen Teil des Landes zu befrieden, aber du mußt einsehen, daß es nicht angeht, den Gott Julius Caesar öffentlich zu beleidigen.«
Als er so väterlich mit mir redete, begann mein Herz lauter zu klopfen, und ich begriff, daß ich mich während des Schreibens aus dem dunklen Winter und meiner eigenen finsteren Einsamkeit in einen traumhaften Sommer geflüchtet, daß ich alle Mühsal und Gefahr vergessen und mich nur des Schönen erinnert hatte. Ich hatte mich beim Schreiben nach Lugunda gesehnt und mich eingedenk der Blutsbrüderschaft, die ich bei den Briganten geschlossen hatte, mehr als Brite denn als Römer gefühlt. Gleichwohl nahm ich Vespasians Tadel nach der Weise aller Schriftsteller übel und antwortete gekränkt: »Schade, daß ich deine Hoffnungen enttäuscht habe. Es ist wohl das beste, ich packe meine Sachen und kehre nach Rom zurück, sofern es bei den Winterstürmen möglich ist, nach Gallien überzusetzen.«
Vespasian legte mir seine große Hand auf die Schulter und sagte begütigend: »Du bist noch jung, und deshalb verzeihe ich dir deine Empfindlichkeit. Es wird dir guttun, mich auf einer Musterungsreise in die Veteranenstadt Comulodunum zu begleiten. Dann gebe ich dir eine Kohorte, damit du dir die nötige militärische Erfahrung erwirbst. Deine britischen Blutsbrüder werden dich darum nur um so höher achten, wenn du im Sommer zu ihnen zurückkehrst. Im Herbst kannst du dann dein Buch neu schreiben.«
Auf diese Weise erhielt ich noch in demselben Jahr den Rang eines Kriegstribuns, obwohl ich erst achtzehn war. Dies schmeichelte meiner Eitelkeit, und ich tat mein Bestes, mich meiner Aufgabe würdig zu erweisen, obwohl sich während des Winters der Dienst auf Musterungen in der Garnison, Bauarbeiten und Übungsmärsche beschränkte. Ein wenig später erhielt ich von meinem Vater eine ansehnliche Summe Geldes und folgenden Brief: »Marcus Mecentius Manilianus grüßt seinen Sohn Minutus Lausus. Du wirst gehört haben, daß sich in Rom mancherlei verändert hat. Um Tullias Verdienste um die Aufdeckung der Verschwörung zu belohnen, und nicht so sehr um meiner eigenen Verdienste willen, hat Kaiser Claudius mir als besonderes Privileg den Purpurstreifen gewährt. Ich habe nun also einen Sitz in der Kurie. Benimm dich danach. Ich schicke dir eine Zahlungsanweisung nach Londinium. Hier wird berichtet, die Briten hätten Claudius zum Gott erhöht und ihm einen Tempel mit spitzem Dach errichtet. Du handelst klug, wenn du diesem Tempel ein passendes Geschenk machst. Tante Laelia geht es, soviel ich weiß, gut. Dein Freigelassener Minutius wohnt bei ihr. Er stellt eine gallische Seife her, die er gut verkauft. Meine Gattin Tullia läßt dich grüßen. Trink auf mein Andenken aus dem Holzbecher deiner Mutter.«
Mein Vater war also tatsächlich Senator geworden, woran ich nie geglaubt hatte, und ich brauchte mich nun nicht mehr darüber zu wundern, daß Vespasian mich so schnell zum Kriegstribun befördert hatte. Er erfuhr immer viel rascher als ich, was in Rom vorging. Ich empfand eine gewisse Bitterkeit und konnte den Senat nicht mehr so hoch achten wie zuvor.
Dem Rat meines Vaters folgend, reiste ich zu dem Holztempel, den die Briten Claudius in der Veteranenstadt errichtet hatten, und stiftete ein buntbemaltes Holzbildwerk. Etwas Kostbareres wagte ich nicht zu schenken, da die Tempelgaben der Briten einfache, billige Gegenstände waren: Schilde, Waffen, Gewebe und Tonkrüge. Vespasian hatte nur ein abgebrochenes Schwert gestiftet, um die britischen Könige nicht durch eine zu kostbare Gabe zu beleidigen. Dies ist jedenfalls der Grund, den er selbst anführte.
Als der Sommer kam, legte ich froh meine Rangabzeichen und meine römische Rüstung ab, malte mir blaue Streifen auf die Wangen und legte mir den bunten Ehrenmantel der Briganter um die Schultern. Vespasian meinte zwar, er könne unmöglich den Sohn eines römischen Senators in die Wälder ziehen lassen, wo die wilden Briten nur darauf warteten, ihn zu erschlagen, aber er wußte in Wirklichkeit sehr gut, daß ich unter dem Schutz der Druiden in den Ländern Britanniens sicherer umhergehen konnte als daheim auf den Straßen Roms.
Übermütig bestätigte ich ihm, daß ich auf eigene Rechnung und Gefahr reiste. Ich hätte gern aus reiner Eitelkeit mein Pferd mitgenommen, um vor den vornehmen britischen Jünglingen damit zu prahlen, doch das verbot mir Vespasian mit Nachdruck, indem er wie üblich die Zähigkeit der Maulesel und ihre besondere Tauglichkeit für die britischen Geländeverhältnisse rühmte. Er hatte ja sogar einen Pferdehändler kreuzigen lassen, der eine Schiffsladung Pferde aus Gallien einschmuggeln und den Briten zu Wucherpreisen verkaufen wollte. Mein Hengst, meinte er, wäre eine allzu große Versuchung für sie, denn sie bemühten sich, ihre kleinen einheimischen Pferde zu veredeln, seit sie schmerzhaft am eigenen Leibe hatten erfahren müssen, daß die römische Reiterei ihren Streitwagen eindeutig überlegen war.
Ich beschränkte mich also darauf, Geschenke für meine Gastfreunde zu kaufen. Vor allem belud ich meine Maulesel mit Weinkrügen, denn die britischen Edlen waren dem Wein womöglich noch mehr ergeben als die Legionäre.
In diesem Sommer nahm ich in der kürzesten Nacht in einem Rundtempel aus mächtigen Steinen an einer Sonnenanbetung teil, fand Goldschmuck und Bernstein in einem Grab aus grauer Vorzeit und machte eine Reise zu den Zinngruben, deren Hafen vor Jahrhunderten die Karthager regelmäßig aufgesucht hatten, um Zinn zu kaufen. Die größte Überraschung aber war für mich Lugunda, die während des Winters zur jungen Frau herangewachsen war. Ich traf sie in ihrem Hasenhof. Sie trug den weißen Mantel der Hasenpriesterinnen und ein silbernes Band im Haar. Ihre Augen leuchteten wie die einer Göttin. Als wir uns zur Begrüßung umarmt hatten, traten wir beide bestürzt einen Schritt zurück und wagten nicht mehr, einander zu berühren. Ihr Stamm erlaubte ihr in diesem Jahr nicht, mich auf meinen Reisen zu begleiten, und ich floh geradezu vor ihr, als ich das Land der Icener verließ. Doch ihr Bild begleitete mich auf allen meinen Wanderungen. Als letztes am Abend und als erstes am Morgen dachte ich an sie.
Früher als ich beabsichtigt hatte, kehrte ich zu ihr zurück, aber viel Freude sollte ich davon nicht haben. Wir waren zwar froh, wieder beisammen zu sein, aber sehr bald bekamen wir mit oder ohne Grund Streit und kränkten einander so tief, daß ich sie aus ganzem Herzen haßte und sie nie wiederzusehen wünschte. Als sie dann aber wieder zu mir kam, mich anlächelte und mir ihren Lieblingshasen zu halten gab, schmolz mein Zorn, und ich war willenlos wie das Wasser. Es fiel mir schwer, mich daran zu erinnern, daß ich römischer Ritter und Sohn eines Senators war und das Recht hatte, den roten Mantel der Kriegstribunen zu tragen. Rom schien mir nur ein Traum, als ich in der Wärme des britischen Sommers im Grase saß und den zappelnden Hasen zwischen meinen Knien hielt.
Plötzlich trat Lugunda zu mir, legte ihre Wange an meine, riß dann aber den Hasen an sich und beschuldigte mich mit blitzenden Augen, ich hätte das Tier absichtlich gequält. Den Hasen im Arm haltend und mit erhitzten Wangen sah sie mich so spöttisch an, daß ich bedauerte, sie nicht durchgeprügelt zu haben, als sie sich im Lager noch in meiner Gewalt befunden hatte.
An anderen Tagen war sie freundlich und führte mich durch den ungeheuren Besitz ihrer Eltern. Sie zeigte mir die Viehherden, die Felder und Dörfer. Wir gingen sogar in das Vorratshaus, und ich durfte ihre Stoffe, ihren Schmuck und die Erinnerungsstücke sehen, die in ihrer Familie von der Mutter auf die Tochter weitervererbt wurden.
»Gefällt dir das Land der Icener nicht?« fragte sie neckend. »Ist seine Luft nicht leicht zu atmen? Schmeckt dir unser Gerstenbrot und unser dickes Bier nicht? Mein Vater würde dir viele Gespanne mit kleinen Pferden und silbernen Wagen geben, und Land könntest du so viel haben, wie du an einem Tag zu umfahren vermagst, wenn du ihn nur darum bätest.«
Doch ein andermal sagte sie: »Erzähl mir von Rom. Ich möchte auf steingepflasterten Straßen gehen, große Tempel mit Säulenhallen und Kriegstrophäen aus allen Ländern sehen und mit Frauen Bekanntschaft schließen, die anders sind als ich, um ihre Sitten zu lernen, denn so bin ich ja in deinen Augen nur ein ungebildetes Icenermädchen.«
Wenn sie aber ganz aufrichtig war, sagte sie: »Weißt du noch, wie du mich in einer kalten Winternacht in deiner Hütte in den Armen hieltst, um mich mit deinem eigenen Körper zu wärmen, als ich Heimweh hatte? Nun bin ich daheim, und die Druiden haben mich zur Hasenpriesterin gemacht. Du verstehst nicht, was für eine große Ehre das ist, aber jetzt möchte ich lieber in deiner Holzhütte sitzen, meine Hand in deine legen und deinen Belehrungen lauschen.«
So unerfahren war ich noch, daß ich meine eigenen Gefühle und das, was zwischen uns geschah, nicht verstand. Ich mußte erst von dem Druiden Petro darüber aufgeklärt werden, der bei Herbstbeginn von einer geheimnisvollen Insel jenseits des tückischen alivernischen Meeres zurückkehrte, wo er in einen noch höheren Priesterrang eingeweiht worden war. Er sah uns eines Tages, ohne daß ich es bemerkte, bei unseren Spielen zu und trat plötzlich zu uns, setzte sich auf den Boden, deckte sich die Augen mit den Händen zu, legte das Haupt auf die angezogenen Knie und versank in heilige Verzückung. Wir wagten nicht, ihn zu wecken, denn wir wußten beide, daß er in seinen Träumen in Gesellschaft der Unterirdischen wandelte. Bald vergaßen wir jedoch unsere Neckereien, setzten uns ihm gegenüber auf einen Rasenhöcker und warteten darauf, daß er erwachte.
Als er wieder zu sich kam, sah er uns an wie aus einer anderen Welt und sagte: »Du, Minutus Lausus, hast ein großes Tier an deiner Seite, das wie ein Hund mit einer Mähne aussieht, und Lugunda hat als einzigen Beschützer ihren Hasen.«
»Das ist kein Hund«, sagte ich beleidigt. »Das ist ein richtiger Löwe, aber solch ein edles Tier hast du freilich noch nie gesehen, und deshalb verzeihe ich dir deinen Irrtum.«
»Dein Hund«, fuhr Petro ungerührt fort, »wird noch den Hasen töten. Da wird Lugunda das Herz brechen, und sie wird sterben, wenn ihr nicht zur rechten Zeit auseinandergeht.«
Ich versicherte ihm verwundert: »Ich will Lugunda nichts Böses. Wir spielen ja miteinander wie Bruder und Schwester.«
»Wie sollte so ein Römer mir das Herz brechen«, sagte Lugunda verächtlich. »Und seinem Hund jage ich den Atem aus dem Leib. Ich halte nichts von bösen Träumen, Petro, und Ituna ist nicht mein Bruder.« Petro sagte mit starrem Blick: »Es ist besser, ich spreche mit jedem von euch allein, zuerst mit dir, Ituna Minutus, und dann mit dir, Lugunda. Du magst einstweilen nach deinen Hasen sehen.«
Lugunda blitzte uns aus zorngelben Augen an, wagte sich aber dem Befehl des Druiden nicht zu widersetzen. Petro legte seine Beine übers Kreuz, nahm einen Zweig in die Hand und begann damit zerstreut Zeichen in den Boden zu ritzen.
»Eines Tages werden die Römer ins Meer zurückgeworfen«, sagte er. »Britannien ist das Land der unterirdischen Götter, und die himmlischen Götter können die unterirdischen nicht besiegen, solange die Erde steht. Die Römer mögen unsere heiligen Haine niederhauen, die heiligen Steine umwerfen, ihre Straßen bauen und die unterworfenen Stämme den römischen Ackerbau lehren, um sie zu ihren Steuersklaven zu machen: eines Tages, wenn die Zeit reif ist, werden sie doch ins Meer geworfen. Es bedarf dazu nur eines Mannes, der die Stämme zu gemeinsamem Kampf aufzurufen vermag und die Kriegskunst der Römer beherrscht.«
»Darum haben wir ganze vier Legionen hier stehen«, erwiderte ich. »Nach ein oder zwei Geschlechtern wird Britannien ein zivilisiertes Land sein und den römischen Frieden haben.«
Als wir auf diese Weise unsere Ansichten dargelegt hatten, gab es darüber nichts mehr zu sagen. Da fragte mich Petro unvermittelt: »Was willst du von Lugunda, Ituna Minutus?«
Er sah mich so finster an, daß ich beschämt zu Boden blickte.
»Denkst du daran, sie nach britischem Brauch zur Gattin zu nehmen und ihr ein Kind zu machen?« fragte Petro. »Sei ohne Furcht. Eine solche Ehe wäre nach römischem Recht ungültig und würde dich nicht hindern, Britannien wieder zu verlassen, wann immer du willst. Lugunda behielte das Kind zum Gedenken an dich. Wenn du aber nur mit ihr spielst, wird ihr das Herz brechen, sobald du sie verläßt.«
Der bloße Gedanke an ein Kind entsetzte mich, obwohl ich in diesem Augenblick in meinem Herzen erkannte, was ich von Lugunda wollte. »In Rom sagt man: ›Wo du bist, da bin auch ich‹«, erklärte ich Petro. »Ich bin kein abenteuernder Seemann oder umherziehender Händler, der bald hier, bald dort eine Ehe schließt, wenn er anders seinen Willen nicht bekommt. Das will ich Lugunda nicht antun.«
»Lugunda würde sich vor ihren Eltern oder Stammesgenossen nicht zu schämen brauchen«, erwiderte Petro. »Dein einziger Fehler ist, daß du Römer bist, aber du bist immerhin ein vornehmer Römer, und das ist der Unterschied. Bei uns hat die Frau große Macht. Es steht ihr frei, den Gatten selbst zu wählen, ja sogar ihn wieder fortzuschicken, wenn sie mit ihm nicht zufrieden ist. Eine Hasenpriesterin ist keine Vestalin, die geloben muß, sich niemals zu vermählen, wie es in Rom der Fall sein soll.«
»Ich will bald aufbrechen und heim zu den Meinen reisen«, sagte ich steif. »Britannien wird mir sonst zu eng.«
Aber Petro sprach auch mit Lugunda. In der Dämmerung kam sie zu mir, schlang mir die Arme um den Hals, sah mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen zärtlich an und sagte, in meinen Armen zitternd: »Ituna Minutus, du weißt, daß ich dir gehöre. Petro sagt mir, du willst uns verlassen und nie mehr zurückkehren. Wäre es wirklich so eine Schande für dich, wenn du mich nach britischem Brauch zur Frau nähmst?«
Ich verspürte selbst ein Frösteln und antwortete ihr mit zitternder Stimme: »Nein, Schande wäre es keine, aber es wäre unrecht an dir gehandelt.«
»Recht oder unrecht«, sagte Lugunda. »Was bedeutet mir das, da ich doch spüre, wie dein Herz in deiner Brust ebenso laut pocht wie das meine.«
Ich legte ihr die Hände auf die Schultern, schob sie von mir und sagte: »Ich bin so erzogen worden, daß ich es als eine größere Tugend ansehe, sich zu beherrschen, als sich gehenzulassen und ein Sklave seiner Begierden zu werden.«
Lugunda entgegnete starrsinnig: »Ich bin deine Kriegsbeute und deine Sklavin. Du kannst mit mir tun, was du willst. Du hast ja letzten Sommer nicht einmal das Lösegeld von meinen Eltern angenommen.«
Als ich nur den Kopf schüttelte, ohne ein Wort hervorzubringen, bat Lugunda: »Nimm mich mit, wenn du fortgehst. Ich folge dir, wohin du willst. Ich verlasse meinen Stamm und sogar meine Hasen. Ich bin deine Dienerin, deine Sklavin, was du willst.«
Sie sank vor mir auf die Knie nieder, so daß sie mein Gesicht nicht mehr sah, und flüsterte: »Wenn du wüßtest, was diese Worte mich kosten, würdest du erschrecken, Römer.«
Ich aber glaubte, daß ich als Mann, als der stärkere von uns beiden, Lugunda gegen meine eigene Schwachheit schützen mußte, und versuchte ihr das zu erklären, doch meine Redekunst war machtlos gegen ihr gesenktes Haupt. Zuletzt stand sie auf, starrte mich an wie einen Fremden und sagte kalt: »Du wirst nie wissen, wie sehr du mich beleidigt hast. Von dieser Stunde an hasse ich dich und bete um deinen Tod.«
Das traf mich so tief, daß mein Magen zu schmerzen begann und ich nichts mehr essen mochte. Am liebsten wäre ich sofort aufgebrochen, aber die Ernte war eben beendet worden, und im Hause wurde nach altem Brauch das Erntefest gefeiert. Ich konnte daher nicht Abschied nehmen, ohne Lugundas Eltern zu kränken. Außerdem wollte ich die Bräuche beim Erntefest aufzeichnen und in Erfahrung bringen, wie die Icener ihr Korn verstecken.
Am nächsten Abend war Vollmond. Ich war schon betrunken von dem Bier der Icener, als die vornehmen Jünglinge aus der näheren und weiteren Umgebung mit ihren Gespannen auf einem Stoppelfeld auffuhren und an dessen Rand ein großes Feuer anzündeten. Ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen, wählten sie ein Kalb aus dem Viehbestand des Hofes aus und opferten es unter Scherzen und Gelächter. Ich begab mich zu ihnen, da ich einige gut kannte, aber sie begegneten mir nicht so freundlich und neugierig wie sonst, ja sie begannen sogar, mich zu schmähen. »Wasch dir die blauen Streifen aus dem Gesicht, verfluchter Römer. Zeig uns lieber deinen schmutzigen Schild und dein mit Britenblut beflecktes Schwert!«
Einer fragte mich: »Stimmt es, daß die Römer in warmem Wasser baden und dadurch ihre Manneskraft verlieren?«
Und ein anderer antwortete: »Es ist die reine Wahrheit. Daher legen sich die Frauen in Rom zu ihren Sklaven. Ihr Kaiser mußte seine eigene Gattin töten, weil sie auf diese Weise hurte.«
Diese Verunglimpfung enthielt so viel Wahres, daß ich zornig wurde. »Ich selbst will mir die Scherze meiner Freunde gern gefallen lassen, vor allem wenn diesen das Bier zu Kopf gestiegen ist und sie sich mit gestohlenem Kalbfleisch mästen«, sagte ich. »Aber ich dulde nicht, daß über den Kaiser in Rom, meinen obersten Feldherrn, unziemend gesprochen wird.«
Sie schielten einander böse an und sagten unter sich: »Wir wollen mit ihm ringen. Da werden wir sehen, ob ihm im heißen Wasser die Hoden zergangen sind wie den anderen Römern.«
Ich erkannte, daß sie mit Absicht Streit suchten, aber ich konnte nicht mehr zurück, da sie in Kaiser Claudius’ Bett gespuckt hatten. Nachdem sie sich gegenseitig Mut gemacht hatten, ging der Tapferste auf mich los, aber nicht, um mit mir nach den Kunstregeln zu ringen, sondern nur, um mit den Fäusten auf mich einzudreschen. Ich war in der Legion zu einem guten Ringer ausgebildet worden, und es fiel mir daher nicht schwer, mit ihm fertigzuwerden, zumal er betrunkener war als ich. Ich warf ihn auf den Rücken, und als er immer noch strampelte und sich nicht für besiegt erklären wollte, setzte ich ihm den Fuß auf die Kehle. Da stürzten sich alle miteinander auf mich, schlugen mich nieder und hielten mich an Armen und Beinen fest.
»Was machen wir mit dem Römer?« fragten sie einander, und einer schlug vor: »Schlitzen wir ihm den Bauch auf, und sehen wir nach, was seine Eingeweide prophezeien.« Aber ein anderer sagte eifrig: »Nein, wir wollen ihn lieber verschneiden, damit er nicht mehr wie ein Hase um unsere Mädchen herumspringt.« Und ein dritter meinte: »Das beste ist, wir werfen ihn ins Feuer, dann sehen wir, wieviel Hitze so eine Römerhaut aushält.«
Ich wußte nicht, ob es ihnen damit ernst war oder ob sie nur nach Art der Betrunkenen ihren Scherz mit mir trieben. Die Schläge, die ich bekommen hatte, waren jedenfalls kein Scherz gewesen, aber mein Stolz verbot mir, um Hilfe zu rufen. Als sie sich nun aber gegenseitig aufhetzten und immer mehr in Wut gerieten, begann ich für mein Leben zu fürchten.
Plötzlich verstummten sie und rückten ein wenig zur Seite. Ich sah Lugunda auf mich zukommen. Sie blieb stehen, legte den Kopf schräg und sagte höhnisch: »Ein Römer liegt gedemütigt und hilflos auf der Erde. Ich genieße diesen Anblick und hätte beinahe Lust, deine Haut und dein Fleisch ein wenig mit der Messerspitze zu versuchen, wenn es mir nicht verboten wäre, mich mit Menschenblut zu besudeln.«
Sie schnitt eine häßliche Fratze und streckte mir die Zunge heraus. Dann aber redete sie besänftigend auf die jungen Briten ein, die sie alle beim Namen nannte, und sagte: »Tötet ihn lieber nicht. Sein Blut würde nach neuem Blut schreien. Schneidet mir eine Rute aus Birkenreisern, dreht ihn auf den Bauch und haltet ihn gut fest, dann will ich euch zeigen, wie man mit Römern umgeht.«
Die Burschen waren froh, daß sie sich nicht mehr selbst auszudenken brauchten, was sie mit mir anfangen sollten. Sie schnitten Birkenzweige und rissen mir das Gewand vom Leibe. Lugunda trat dicht neben mich und versetzte mir mit der Rute einen vorsichtigen, gleichsam prüfenden Hieb auf den Rücken. Dann schlug sie unbarmherzig und mit aller Kraft auf mich ein. Ich biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von mir, was sie erst recht zur Raserei brachte. Sie peitschte mich, daß mein ganzer Körper zuckte und mir vor Schmerz die Tränen in die Augen sprangen.
Als ihre Arme endlich erlahmten, warf sie die Rute fort und rief: »So, nun sind wir quitt, Römer.«
Die mich festhielten, ließen mich los und traten aus Angst, ich könnte mich auf sie stürzen, mit erhobenen Fäusten zurück. Mein Schädel dröhnte, ich blutete aus der Nase, und mein Rücken war ein einziges Feuer, aber ich schwieg und leckte mir nur das Blut von den Lippen. Dennoch hatte ich etwas an mir, was die Briten erschreckte, denn sie verspotteten mich nicht mehr, sondern machten mir Platz. Ich hob mein zerrissenes Gewand vom Boden auf und ging, doch nicht auf das Haus zu, sondern aufs Geratewohl in den vom Mondlicht erhellten Wald hinein, und im Gehen dachte ich dunkel, daß es für uns alle das beste war, wenn niemand etwas von meiner Schmach erfuhr. Weit kam ich jedoch nicht. Ich begann bald zu stolpern und sank schließlich auf einen kühlen Mooshügel nieder. Eine Weile später löschten die Briten ihr Feuer. Ich hörte sie nach ihren Gespannen pfeifen und im Galopp davonfahren, daß der Boden unter den Rädern donnerte.
Der Mond schien gespenstisch hell, und unheimlich tief waren die Schatten des Waldes. Ich wischte mir mit einer Handvoll Moos das Blut aus dem Gesicht, rief meinen Löwen und sagte zu ihm: »Wenn du da bist, Löwe, so brülle und stürze ihnen nach, sonst glaube ich nicht mehr an dich.«
Aber ich sah nicht einmal den Schatten eines Löwen. Ich war allein, bis auf einmal Lugunda geschlichen kam. Sie duckte sich unter den Zweigen hindurch und suchte nach mir. Ihr Gesicht war im Mondlicht ganz weiß. Als sie mich entdeckt hatte, trat sie zu mir, legte mir die Hände auf den Rücken und fragte: »Wie geht es dir, und hat es sehr weh getan? Es ist dir recht geschehen!«
Eine wilde Lust packte mich, die Hände um ihren schlanken Hals zu klammern und sie zu Boden zu werfen und sie zu peinigen, wie ich selbst gepeinigt worden war. Ich beherrschte mich jedoch, weil ich einsah, daß das nun niemandem mehr nützte, und fragte sie nur: »Ist das alles auf deinen Befehl geschehen, Lugunda?«
»Glaubst du, sie hätten es sonst gewagt, sich an einem Römer zu vergreifen?« fragte sie mich statt einer Antwort.
Dann kniete sie neugierig neben mir nieder, tastete ohne Scham meinen Leib ab, bevor ich sie daran hindern konnte, und fragte besorgt: »Sie haben dir doch nicht wirklich die Hoden zerquetscht? Es wäre schade, wenn du nicht mehr mit einem vornehmen römischen Mädchen Kinder zeugen könntest!«
Da vermochte ich mich nicht mehr zu beherrschen. Ich schlug sie auf beide Wangen, riß sie unter mich und drückte sie mit meinem Gewicht zu Boden, obwohl sie mit beiden Fäusten auf meine Schultern trommelte, mit den Beinen trat und mich in die Brust biß. Sie rief nicht um Hilfe. Plötzlich erlahmte ihr Widerstand, und sie nahm mich auf. Meine Lebenskraft ergoß sich in ihren Schoß, und ich empfand eine so heiße Wollust, daß ich laut stöhnte. Dann fühlte ich nur noch, wie sie meine Wangen zwischen ihren Händen hielt und mich unaufhörlich küßte. Erschrocken befreite ich mich aus ihrer Umarmung und setzte mich auf. Im gleichen Augenblick richtete sich auch Lugunda auf und begann zu lachen.
»Was ist nur mit uns geschehen?« fragte sie spöttisch.
Ich war so verstört, daß ich keine Antwort fand, und rief nur: »Du blutest ja!«
»Daß du das wenigstens bemerkt hast, du Dummkopf«, sagte sie verschämt, und als ich immer noch stumm dasaß, lachte sie wieder und sagte: »Petro riet es mir. Selbst wäre ich nie darauf gekommen. Es hat mir keine Freude gemacht, dich so erbarmungslos zu peitschen, aber Petro meinte, bei einem schüchternen, dickhäutigen Römer helfe kein anderes Mittel.«
Sie stand auf, nahm meine Hand und sagte: »Wir gehen zu Petro. Er hält gewiß Wein und einen Napf Mehl für uns bereit.«
»Was soll das heißen?« fragte ich mißtrauisch.
»Du hast mich ja mit Gewalt genommen, obwohl ich mich so lange wehrte, wie es mir meine Selbstachtung gebot«, antwortete Lugunda verwundert. »Willst du etwa, daß mein Vater das Schwert von der Wand nimmt und seine verlorene Ehre in deinen Eingeweiden sucht? Dazu hat er laut Gesetz das Recht, und es ist ein Gesetz, das sogar die Römer achten. Glaub mir, es ist das vernünftigste, wir lassen uns von Petro das Haar mit Mehl und Öl einreiben. Er kann mir aber auch nach römischer Sitte einen Ring auf den Finger stecken, wenn du unbedingt willst.«
»Du kannst nicht mit mir nach Rom gehen, Lugunda, ja nicht einmal nach Londinium!« rief ich bestürzt.
»Ich habe nicht die Absicht, dir nachzulaufen«, sagte Lugunda schroff. »Hab keine Angst. Du kannst zu mir zurückkehren, wenn du willst, aber ebensogut kann es geschehen, daß ich des Wartens müde werde, die Hochzeitsschale zerschlage und deinen Namen zu Asche verbrenne. Dann bin ich wieder frei und ledig. Sagt dir nicht deine eigene Vernunft, daß es besser für dich ist, dich nach den Sitten meines Volkes zu richten, als einen Skandal hervorzurufen, von dem man sogar in Rom sprechen wird? Weißt du, was es heißt, mitten im Frieden eine Hasenpriesterin zu schänden? Oder willst du etwa leugnen, daß du das getan hast? Du hast dich auf mich gestürzt wie ein wildes Tier und meinen Widerstand mit Gewalt gebrochen.«
»Du hättest um Hilfe rufen sollen«, sagte ich bitter. »Und du hättest mich nicht so schamlos an meiner empfindlichsten Stelle streicheln dürfen, als ich von den Mißhandlungen ohnehin schon von Sinnen war.«
»Ich war nur um dein Zeugungsvermögen besorgt«, log sie unbekümmert. »Und ich konnte doch nicht ahnen, daß eine leichte Berührung nach den Regeln der Liebeskunst dich gleich zur Raserei bringen werde.«
Meine aufrichtige Reue änderte nichts an dem Geschehenen. Wir gingen an einen Bach und wuschen uns sorgfältig, dann kehrten wir Hand in Hand zu der aus Pfählen errichteten Halle zurück, in der Lugundas Eltern uns schon ungeduldig erwarteten. Petro hatte aus Mehl und Öl einen Brei geknetet. Er strich uns diesen Brei aufs Haupt und gab uns Wein aus einer Tonschale zu trinken, die Lugundas Vater danach sorgsam in einer Truhe verwahrte. Dann führte uns dieser zu einem Hochzeitslager, stieß mich über Lugunda und deckte uns mit einem großen Lederschild zu.
Als die anderen die Hochzeitskammer taktvoll verlassen hatten, warf Lugunda den Schild auf den Boden und fragte mich demütig, ob ich ihr nun nicht in aller Zärtlichkeit und Freundschaft das tun wolle, was ich ihr in meinem wilden Zorn im Wald getan hatte. Der Schaden sei ja nun geschehen und nicht wiedergutzumachen.
Wir umarmten uns also zärtlich, nachdem ich sie zuerst nach römischer Sitte auf den Mund geküßt hatte. Danach erst stand Lugunda auf und holte lindernde Salben, mit denen sie vorsichtig meinen Rücken bestrich. Ich hatte, nun da ich wieder daran denken konnte, wirklich große Schmerzen.
Gerade als ich in den tiefsten Schlaf meines Lebens versank, kam mir der Gedanke, daß ich nun dem Versprechen untreu geworden war, das ich Claudia gegeben hatte, aber ich schob das auf den Vollmond und die Zauberkünste der Druiden. Niemand entgeht seinem Schicksal, dachte ich, sofern ich überhaupt noch fähig war, vernünftig zu denken.
Am nächsten Tag begann ich mich ohne weitere Umstände auf meine Reise vorzubereiten, aber Lugundas Vater bat mich, ihn auf einer Fahrt durch seine Besitztümer zu begleiten und mir die Herden, Weiden und Wälder anzusehen, die er Lugunda und ihren Erben zu vermachen gedachte. Wir brauchten dazu drei Tage, und bei unserer Rückkehr schenkte ich Lugunda meine goldene Kriegstribunenkette.
Ihr Vater betrachtete das als eine zu geringe Hochzeitsgabe, und als Lugunda sich das Haar aufgesteckt hatte, nahm er einen goldenen Halsring, so dick wie das Handgelenk eines Kindes, und legte ihn seiner Tochter um den Hals. Dergleichen Ringe werden nur von den Königinnen und den vornehmsten Frauen der Briten getragen.
An alledem erkannte ich Dummkopf endlich, daß Lugunda von edlerer Herkunft war, als ich gedacht hatte, ja daß ihr Geschlecht so vornehm war, daß ihr Vater es nicht einmal nötig hatte, davon zu reden. Petro erklärte mir schließlich, daß ich, wäre ich nicht römischer Ritter und Sohn eines Senators gewesen, ohne Zweifel ein Schwert in den Leib bekommen hätte und nicht, auf dem Hochzeitslager, den Kriegerschild des Geschlechts über meinen wundgepeitschten Rücken.
Und nur dem Einfluß meines Schwiegervaters und Petros Stellung als Opferpriester, Arzt und Richter hatte ich es zu verdanken, daß ich nicht obendrein noch wegen Zauberei angeklagt wurde, denn der vornehme junge Brite, der mich aus Eifersucht als erster angegriffen hatte, brach sich noch am selben Vollmondabend das Genick, weil seine Pferde in vollem Galopp vor einem unbekannten Tier scheuten, so daß er mit dem Kopf voran gegen einen Stein geschleudert wurde.
Manchmal quälten mich der Gedanke an das Claudia gegebene Versprechen, das ich ohne meinen Willen gebrochen hatte, und die peinliche Empfindung, daß Lugunda eher meine Beischläferin als meine gesetzliche Gattin sei, denn ich konnte die Trauung nach der Sitte der Icener nicht als rechtskräftig betrachten. Doch ich war jung. Mein so lange in harter Zucht gehaltener Körper erlag Lugundas Liebkosungen, so daß ich meine Rückkehr nach Comulodunum Tag um Tag aufschob.
Aber mehr als alle Selbstbeherrschung ermüdet einen die übermäßige Befriedigung der Sinne, und bald trat eine ständige Gereiztheit zwischen Lugunda und mich. Wir wechselten harte Worte und waren uns nur noch im Bett einig. Als ich endlich zu den Meinen zurückkehrte, war mir, als fielen Ketten von mir ab, als erwachte ich aus einer Verzauberung. Wie ein Vogel, der aus dem Bauer fliegt, fühlte ich mich, und ich machte mir keine Vorwürfe, weil ich Lugunda verließ. Sie hatte nur ihren eigenen Willen durchgesetzt und konnte nun zufrieden sein, fand ich.
Vespasian befreite mich wieder von den Waffenübungen und dem Stabsdienst, den ich als Tribun hätte leisten müssen. Ich schrieb mein Buch über Britannien noch einmal neu. Die traumgleiche Verzauberung des ersten Sommers war dahin, und ich beschrieb alles so sachlich und so knapp ich konnte. Ich sah die Briten nicht mehr in dem gleichen vorteilhaften Licht und machte mich sogar über einige ihrer Bräuche lustig. Ich anerkannte die Verdienste des Gottes Julius Caesar um die Zivilisierung Britanniens, wies aber unter anderem darauf hin, daß die Bundesgenossenschaft des Gottes Augustus mit den Brigantern in den Augen der letzteren in nichts anderem bestand als im freundlichen Austausch von Geschenken.
Dagegen zollte ich Kaiser Claudius uneingeschränkte Anerkennung für die Eingliederung des südlichen Britannien ins Römische Reich und rühmte die Verdienste des Aulus Plautius um die Befriedung dieses Reichsteiles. Vespasian bat mich, seine Leistungen nicht allzusehr herauszustreichen. Er wartete noch immer vergeblich auf einen neuen Prokurator oder Oberbefehlshaber und wollte mit seinem Kriegsruhm niemanden in Rom gegen sich aufbringen. »Ich bin schlau oder, wenn du es lieber so nennen willst, unaufrichtig genug, um mich den veränderten Gegebenheiten anzupassen, und bleibe lieber still und bescheiden hier in Britannien, als daß ich nach Rom und in meine frühere Armut zurückkehre«, sagte er.
Ich wußte bereits, daß Kaiser Claudius den Eid gebrochen hatte, den er bei der Göttin Fides mit in ein weißes Tuch gebundener rechter Hand vor den Prätorianern geschworen hatte. Einige Monate nach Messalinas Tod hatte er nämlich erklärt, er könne nicht länger unbeweibt sein, und sich die vornehmste aller Frauen Roms zur Gattin genommen: seine eigene Nichte Agrippina, dieselbe, deren Sohn Lucius Domitius einst meine Freundschaft gesucht hatte.
Zu dieser Ehe war freilich ein neues Gesetz erforderlich gewesen, das die Blutschande gestattete, aber dieses Gesetz hatte der Senat nur zu gern erlassen, und einige besonders weitblickende Senatoren hatten Claudius sogar weinend und auf den Knien gebeten, sein heiliges Gelübde zurückzunehmen und sich zum Wohle des Staates erneut zu vermählen. Binnen kürzester Zeit war in Rom das Oberste zuunterst gekehrt worden, und Vespasian hütete sich wohlweislich, sich an dieser Suppe zu verbrennen.
»Agrippina ist eine schöne, kluge Frau«, sagte er heuchlerisch. »Gewiß hat sie aus den bitteren Erfahrungen ihrer Jugend und aus ihren beiden früheren Ehen viel gelernt. Ich hoffe nur, sie wird Britannicus eine gute Stiefmutter sein und sich auch meines Sohnes Titus annehmen, obwohl ich den Fehler begangen habe, ihn bei Messalina zu lassen, als ich in den Krieg zog.«