VI

SABINA

Troxobores, ein Bandenführer aus dem Bergvolk der Kliter, machte sich die Unruhen in Armenien, welche die syrischen Legionen banden, zunutze, um ein geübtes Kriegsheer im Innern Kilikiens aufzustellen, und stieß von dort zur Küste nieder, wo er die Häfen plünderte und mit seinen Ruderschiffen die Seefahrt störte. Der kilikische Bundeskönig, der bejahrte Antiochus, war machtlos, da seine Hilfstruppen in Armenien standen. In ihrer Frechheit belagerten die Kliter zuletzt sogar die Hafenstadt Anemurium. Ich stieß auf dem Wege von Ephesus nach Antiochia auf eine Abteilung syrischer Reiterei unter dem Präfekten Curtius Severus, die Anemurium entsetzen wollte, und erachtete es in dieser Notlage für meine Pflicht, mich Severus anzuschließen.

Wir erlitten vor den Mauern Anemuriums eine schwere Niederlage, da das Gelände für die Bergbewohner des Troxobores günstiger war als für unsere Reiterei. Zum Teil hatte auch Severus Schuld daran, denn er glaubte, eine kampfungewohnte Räuberbande einfach dadurch in die Flucht schlagen zu können, daß er die Hörner blasen ließ und in vollem Galopp angriff, ohne vorher das Gelände und die wirkliche Stärke des Troxobores erkunden zu lassen.

Ich wurde in der Seite, an einem Arm und an einem Fuß verwundet. Mit einem Strick um den Hals und hinter dem Rücken gefesselten Händen wurde ich in die unzugänglichen Berge der Kliter hinaufgeführt, und dort war ich zwei Jahre lang Gefangener des Troxobores. Die Freigelassenen meines Vaters in Antiochia hätten mich auf der Stelle freigekauft, aber Troxobores war ein listiger, kriegslüsterner Mann und wollte lieber einige hochgestellte Römer in der Hand haben, als in seinen Schlupfwinkeln Lösegelder ansammeln. Der syrische Prokonsul und König Antiochus verkleinerte in seinen Berichten an den Senat die Bedeutung dieses nicht enden wollenden Aufstandes in den Bergen, um ihn mit eigener Kraft niederwerfen zu können, und auch weil er, nicht ohne Grund, den Zorn des Kaisers fürchtete.

Troxobores sagte: »Mit dem Rücken an der Wand kann ich mir um Gold mein Leben nicht erkaufen, aber euch römische Ritter kann ich zuletzt immer noch kreuzigen lassen, um mit einem stattlichen Gefolge in die Unterwelt einzuziehen.«

Er behandelte uns Gefangene, wie es seine Laune ihm eingab, bald gut, bald schlecht. Er konnte uns zu seinen rohen Mahlzeiten einladen, uns zu essen und zu trinken geben und uns mit Tränen in den Augen seine Freunde nennen, aber nach dem Mahl schloß er uns in eine schmutzige Höhle ein, ließ die Öffnung zumauern und uns durch ein faustgroßes Loch gerade so viel trocken Brot reichen, daß wir mit knapper Not am Leben blieben. Zwei von uns begingen Selbstmord, indem sie sich mit einem Steinsplitter die Halsschlagader aufschnitten.

Meine Wunden entzündeten sich und quälten mich. Sie wässerten, und ich glaubte sterben zu müssen. In diesen zwei Jahren lernte ich, in der tiefsten Erniedrigung zu leben, stets auf die Folter oder den Tod gefaßt. Mein Sohn Julius, mein einziger Sohn, wenn Du dies nach meinem Tode liest, sollst Du wissen, daß die tiefen Narben, die ich in meinem Gesicht trug und von denen ich Dir, als Du noch klein warst, in meiner Eitelkeit sagte, sie stammten von meinen Kämpfen in Britannien, nicht das Werk der Briten sind. Ich bekam sie viele Jahre vor Deiner Geburt in einer kilikischen Höhle, wo ich zu Demut und Geduld erzogen wurde und vor Scham mein Gesicht in die rauhe Felswand drückte. Denk manchmal daran, wenn Du so eifrig Deinen habsüchtigen und altmodischen toten Vater kritisierst.

So viele Männer, wie Troxobores, als er noch Erfolg hatte, um sich zu sammeln und zu Kriegern auszubilden vermochte, so viele ließen ihn nach seiner ersten Niederlage im Stich. Er beging nämlich den Fehler, sich auf eine offene Feldschlacht einzulassen, der seine nicht genug geübten Truppen nicht gewachsen waren.

König Antiochus behandelte seine Gefangenen freundlich. Er ließ sie frei und schickte sie in die Berge hinauf, wo sie allen Begnadigung versprachen, die von Troxobores abfielen. Die meisten seines Volkes waren der Ansicht, das Spiel habe, da sie genug Kriegsbeute gesammelt hatten, lang genug gedauert. Sie flohen zu ihren Heimstätten zurück, um den Rest ihres Lebens als für kilikische Begriffe reiche Männer zu verbringen. Troxobores ließ die Flüchtigen verfolgen und töten, was viel böses Blut unter seinen eigenen Stammesfreunden machte.

Zuletzt waren seine nächsten Vertrauten seiner Grausamkeiten und Launen müde und nahmen ihn gefangen, um sich selbst die Begnadigung zu verdienen. Das geschah gerade noch zur rechten Zeit, denn schon rückte König Antiochus heran, Sklaven rissen die Mauer vor unserer Höhle nieder, und draußen waren schon die Pfähle für unsere Hinrichtung in den Boden gerammt worden. Meine Mitgefangenen verlangten, daß Troxobores an unserer Stelle gekreuzigt werde, aber König Antiochus ließ ihm unverzüglich den Kopf abschlagen, um einer peinlichen Geschichte so rasch wie möglich ein Ende zu machen.

Ich schied von meinen Mitgefangenen ohne Bedauern. In der Dunkelheit der Höhle und in unserem Hunger und Elend hatten wir einander zuletzt nicht mehr ausstehen können. Während sie nach Antiochia zurückkehrten, bekam ich in Anemurium einen Platz an Bord eines römischen Kriegsschiffes, das nach Ephesus bestimmt war. König Antiochus entschädigte uns großzügig für die ausgestandenen Leiden, damit wir stillschwiegen.

In Ephesus wurde ich von dem damaligen Prokonsul in Asia, Junius Silanus, freundlich empfangen. Er lud mich auf sein Landgut vor der Stadt ein und stellte mir seinen eigenen Arzt zur Verfügung. Silanus war etwa fünfzig Jahre alt, ein vielleicht etwas schwerfälliger, aber so redlicher Mann, daß man ihn zu Kaiser Gajus’ Zeiten wegen seiner unermeßlichen Reichtümer einen vergoldeten Schafskopf genannt hatte.

Als ich auf Agrippina und Nero zu sprechen kam, verbot er mir streng, in seiner Gegenwart auch nur ein einziges Wort über das Magenleiden des Kaisers zu sagen. Einige hochgestellte Männer waren unlängst deshalb aus Rom verbannt worden, weil sie einen Astrologen ausgefragt hatten, wie lange Claudius noch zu leben habe. Danach hatte der Senat eine Verordnung erlassen, derzufolge alle Chaldäer Rom verlassen mußten.

Silanus schien der eigentümlichen Auffassung zu sein, Agrippina sei am Tode seines Bruders Lucius schuld, ganz so, wie er auch meinte, daß Messalina seinerzeit Verderben über Appius Silanus gebracht habe, indem sie Schlimmes über ihn träumte. Sein unsinniges Mißtrauen ärgerte mich. »Wie kannst du so über die erste Dame Roms denken!« sagte ich aufgebracht. »Agrippina ist eine edle Frau. Ihr Bruder Gajus war Imperator, und sie selbst die Gemahlin des Imperators und stammt vom Gott Augustus ab.«

Silanus lächelte dümmlich und sagte: »Nicht einmal die vornehmste Abstammung scheint einem in Rom noch etwas zu nützen. Du erinnerst dich gewiß an Domitia Lepida, Neros Tante, die Nero aus Freundschaft in ihre Obhut nahm, als Agrippina wegen ihres unzüchtigen Lebenswandels und Hochverrats verbannt worden war. Domitia hat sich seiner immer zärtlich angenommen, wenn er unter Agrippinas Strenge allzusehr zu leiden hatte. Vor kurzem wurde sie zum Tode verurteilt, weil sie angeblich Agrippina durch Zauberei zu schaden versuchte und ihre Sklaven in Kalabrien nicht im Zaun hielt. Auch Domitia stammte aus dem Geschlecht des Augustus.«

Silanus blinzelte mich listig an und fuhr fort: »Wenn Claudius’ Zeit wirklich einmal abgelaufen ist, doch darüber dürfen wir nicht laut sprechen, so ist zu bedenken, daß auch ich im Vierten Glied vom Gott Augustus abstamme. Es sollte mich nicht wundernehmen, wenn der Senat in Rom einen Mann gesetzten Alters einem halbwüchsigen Knaben vorzöge. Mein Ruf ist untadelig, und ich habe keine Feinde.«

Darin hatte er recht, denn wer hätte wohl Ursache gehabt, den einfältigen Silanus zu hassen? Seine Einbildung erstaunte mich jedoch so sehr, daß ich entsetzt fragte: »Denkst du im Ernst daran, Imperator zu werden?«

Junius Silanus errötete verschämt. »Du darfst darüber mit niemandem sprechen. Die Entscheidung steht dem Senat zu. Ich will dir aber im Vertrauen sagen, daß ich Nero nicht unterstützen kann. Schon sein Vater hatte einen üblen Ruf und war so grausam, daß er einmal einem römischen Ritter auf dem Forum ein Auge ausquetschte, nur weil dieser ihm nicht ehrerbietig genug Platz gemacht hatte.«

Dank seinem Reichtum trat Silanus in Asia wie ein König auf. Ich erfuhr übrigens von ihm, daß Gallio nach Ablauf seiner Amtszeit an dem Familienübel der Annaeer, der Schwindsucht, erkrankt und nach Rom zurückgekehrt war, um Rechenschaft abzulegen, bevor er sich in das trockene Klima Ägyptens begab, um seine Gesundheit wiederzuerlangen. Ich hatte den Verdacht, daß er nicht nur seiner Gesundheit wegen nach Ägypten gereist war, aber ihm konnte ich nun von den wahnwitzigen Hoffnungen des Prokonsuls Silanus nicht mehr berichten, und doch erschien es mir wichtig, nach Rom zu melden, daß Nero in den Provinzen nicht auf die Unterstützung rechnen durfte, die seine Mutter und Seneca offenbar als selbstverständlich voraussetzten.

Nach langer Überlegung schrieb ich an Seneca selbst und berichtete ihm von meiner Gefangenschaft. Zuletzt schrieb ich: »Der Prokonsul Junius Silanus erweist mir große Gastfreundschaft und will nicht, daß ich heimreise, ehe nicht meine Wunden vollständig ausgeheilt sind, die noch eitern. Es betrübt mich, daß er nicht ebenso gut wie ich von Agrippina und Nero denkt, sondern sich damit brüstet, daß er aus dem Geschlecht des Augustus stammt, und viele Freunde im Senat zu haben glaubt. Ich erwarte Deinen Rat, ob ich nach Rom zurückkehren oder einstweilen noch hier bleiben soll.«

Die Gefangenschaft hatte mich abgestumpft und entkräftet. Ich ließ die Zeit gedankenlos verrinnen. Manchmal ging ich mit Silanus zu den Wagenrennen und setzte mit gutem Erfolg auf sein Gespann. Auch ein prächtiges Theater gab es in Ephesus, und wenn einem nichts anderes einfiel, konnte man immer noch in den Tempel gehen, der eines der Wunder der Welt ist und von Sehenswürdigkeiten überquillt.

Allmählich erlangte ich dank der guten Kost, einem bequemen Bett und der Geschicklichkeit des Arztes meine Gesundheit wieder. Ich begann wieder zu reiten und nahm an Wildschweinjagden teil, die Silanus’ Kriegstribunen veranstalteten.

Der griechische Arzt des Silanus war auf Kos ausgebildet worden. Als ich ihn nach seinen Einkünften fragte, antwortete er lachend: »Ein Arzt kann, um seine Kunst auszuüben, keinen elenderen Ort finden als Ephesus. Die Artemispriester betreiben Wunderheilungen, und daneben gibt es Hunderte von Zauberern aus aller Herren Länder. Den meisten Zulauf hat zur Zeit ein Jude, der durch Handauflegen Kranke heilt und Tobsüchtige beruhigt. Seine Schweißtücher und Schürzen werden im ganzen Lande als Heilmittel gegen so gut wie jede Krankheit verkauft. Aber das genügt ihm noch immer nicht. Er hat die Schule des Tyrannos gemietet, um seine Kräfte andere zu lehren. Noch dazu ist er eifersüchtig auf seine Berufsgenossen und spricht geringschätzig von Zauberbüchern und heilenden Götterbildern.«

»Von den Juden kommt aller Unfriede, weil sie sich nicht mehr damit begnügen, unter sich zu bleiben und im Schutz ihrer besonderen Rechte ihren Gott zu verehren, sondern nun auch die Griechen anstecken«, sagte ich bitter.

Der jonische Herbst ist mild. Helius, ein Freigelassener des Junius Silanus, der dessen Besitz in Asia verwaltet, war in allem auf meine Bequemlichkeit bedacht. Er ließ zu den Mahlzeiten Schauspiele und Pantomimen aufführen, und manchmal, wenn er glaubte, daß ich mich langweilte, schickte er mir auch eine schöne Sklavin in mein Bett. Die goldenen Tage und die dunkelblauen Nächte flossen ruhig dahin. Ich glaubte nichts anderes mehr zu wünschen als die kleinen Freuden des Alltags. Eine andere Hoffnung hatte ich nicht mehr, eine andere Zukunft sah ich nicht mehr vor mir. Ich ließ mich willenlos treiben.

Kurz vor Winteranfang traf ein römischer Schnellruderer in Ephesus ein, an dessen Bord sich Publius Celer, ein betager Ritter, befand. Er brachte die Nachricht, daß Kaiser Claudius, wie man seit langem erwartete, seiner Magenkrankheit erlegen war. Afranius Burrus, der Präfekt der Prätorianer, hatte Nero ins Prätorianerlager tragen lassen. Nero hatte eine außerordentliche Rede gehalten und den Männern das übliche Geldgeschenk versprochen. Darauf war er unter allgemeinem Jubel zum Imperator ausgerufen worden, und der Senat hatte den Beschluß einstimmig bekräftigt.

Junius Silanus prüfte die Erlässe und Vollmachten, die Celer mitgebracht hatte, genau. Publius Celer war ein für sein Alter rüstiger Mann, der genau zu wissen schien, was er wollte. Ein Schwerthieb hatte eine Narbe in dem einen Mundwinkel hinterlassen, die den Mund schief zog, so daß er stets spöttisch zu grinsen schien.

Mir überbrachte er Grüße von Seneca, der für meinen Brief dankte und mich aufforderte, nach Rom zurückzukehren, da Nero, nun er seine freisinnige Regierung antrat, seine Freunde um sich brauchte. Die Vergehen, Streitigkeiten und Fehler vergangener Tage waren vergessen und vergeben. Die Verbannten durften nach Rom zurückkehren. Von den Vätern in der Kurie unterstützt, hoffte Nero der ganzen Menschheit ein Glücksbringer werden zu können. Die üblichen offiziellen Maßnahmen wurden getroffen. Die Verwaltungsbehörde beschloß, bei dem bekanntesten Bildhauer Roms eine Statue Neros zu bestellen. Junius Silanus aber gab trotz seines Reichtums kein öffentliches Mahl zu Neros Ehren, was eigentlich seine Pflicht gewesen wäre, sondern lud nur seine nächsten Freunde auf sein Landgut ein, so daß wir nicht mehr als dreißig bei Tisch waren. Nachdem er Kaiser Claudius, der durch Senatsbeschluß zum Gott erhoben worden war, ein Trankopfer dargebracht hatte, wandte sich Junius Silanus mit rotem Kopf an Celer und sagte böse: »Wir haben genug dummes Zeug geschwatzt. Sag mir jetzt, was in Rom wirklich geschehen ist.«

Publius Celer hob die Brauen und fragte mit einem schiefen Lächeln: »Haben deine Pflichten dich überanstrengt? Worüber ereiferst du dich? Dein Alter und deine körperliche Verfassung vertragen keine unnötigen Gemütsbewegungen.«

Junius Silanus atmete wirklich schwer und war gereizt wie jeder, der eine Enttäuschung erlitten hat. Aber Publius Celer berichtete in scherzendem Tonfall: »An Claudius’ Begräbnistag hielt Nero als sein Sohn die übliche Gedenkrede auf dem Forum. Ob er sie ganz allein entworfen oder ob Seneca ihm geholfen hatte, wage ich nicht zu sagen. Nero hatte trotz seiner Jugend schon Beweise seiner eigenen dichterischen Begabung abgelegt. Jedenfalls sprach er mit weithin hallender Stimme und schönen Gebärden. Die Väter, die Ritter und das Volk lauschten fromm, als Nero das berühmte Geschlecht des Claudius und die Triumphe seiner Väter, seine eigene Gelehrsamkeit und seine Regierungszeit pries, in der der Staat von allen äußeren Gefahren verschont geblieben war. Dann aber wechselte Nero geschickt den Tonfall und lobte, widerwillig und gleichsam nur durch Schick und Brauch gezwungen, auch des toten Claudius’ Klugheit, Güte und Staatskunst. Da vermochte keiner mehr an sich zu halten. Gewaltiges Gelächter unterbrach immer wieder Neros Rede. Man lachte sogar, als er von seinem eigenen unersetzlichen Verlust und großen Kummer sprach. Der Begräbniszug war eine einzige Narrenposse, und niemand verbarg mehr seine Erleichterung darüber, daß Rom endlich der Willkür eines grausamen, genußsüchtigen und schwachsinnigen Prassers entronnen war.«

Junius Silanus schlug seinen goldenen Becher so heftig gegen die Kante seines Liegesofas, daß mir der Wein ins Gesicht spritzte, und brüllte: »Claudius war so alt wie ich, und ich dulde nicht, daß man sein Andenken beschimpft. Sobald die Väter zur Vernunft kommen, werden sie wohl einsehen, daß der siebzehnjährige Sohn einer machtlüsternen Mutter nicht über die Welt herrschen kann.«

Celer nahm diese Worte ruhig auf. »Claudius ist zum Gott erhöht worden«, sagte er. »Wer kann von einem Gott schlecht sprechen! In Elysiums Blumengefilden steht Claudius göttlich erhaben über aller Kritik und Verunglimpfung; das müßtest du doch begreifen, Prokonsul. Senecas Bruder Gallio scherzte gewiß nur, als er sagte, Claudius sei mit einem Haken unterm Kinn zum Himmel hinaufgezogen worden, so wie wir die Leichen der Staatsverbrecher von Tullianum zum Tiber schleifen. Ein solcher Scherz beweist aber nur, daß man in Rom wieder offen zu lachen wagt.«

Als Junius Silanus immer noch vor Zorn und Atemlosigkeit schnaubte, schlug Publius Celer einen anderen Ton an und sagte warnend: »Es ist besser, du trinkst auf das Wohl des Imperators und vergißt deinen Groll, Prokonsul.«

Auf seinen Wink brachte Helius einen neuen Goldbecher und reichte ihn Celer. Celer mischte vor aller Augen den Wein, schenkte ein, trank selbst aus dem Becher und reichte ihn Silanus, der ihn nach seiner Gewohnheit in wenigen Zügen leerte, da er wohl oder übel auf den neuen Kaiser trinken mußte.

Als er den Becher wieder niedergesetzt hatte, wollte er offensichtlich noch eine bissige Bemerkung anbringen, aber plötzlich schwollen seine Schläfenadern, er fuhr sich mit den Händen an den Hals und stöhnte nur, während sein Gesicht blau anlief. Wir starrten ihn erschrocken an, und noch ehe einer von uns einer einzigen Bewegung fähig war, stürzte er schwer zu Boden. Sein Körper zuckte noch einige Male, und dann tat er vor unser aller Augen seinen letzten Atemzug.

Wir waren entsetzt aufgesprungen, und keiner vermochte ein Wort zu sagen. Nur Publius Celer bewahrte die Fassung und ließ sich in ruhigem Tonfall vernehmen: »Ich warnte ihn davor, sich aufzuregen. Die Pflichten, die diese unerwarteten Veränderungen mit sich brachten, haben ihn überanstrengt, und er nahm vor dem Mahl ein zu heißes Bad. Wir wollen aber diesen Herzschlag eher als ein gutes Vorzeichen betrachten denn als ein böses. Ihr habt alle gehört, welch bitteren Groll er gegen den Imperator und dessen Mutter hegte. Aus Groll nahm sich seinerzeit auch sein jüngerer Bruder Lucius das Leben, nur um Claudius und Agrippina den Hochzeitstag zu verderben, nachdem Claudius seine Verlobung mit Octavia gelöst hatte.«

Wir begannen alle durcheinanderzureden und bezeugten, daß wir gesehen hatten, wie plötzlich das Herz eines zu dicken Mannes vor Ärger brechen kann. Helius holte den Arzt des Silanus, der sich an die gesunden Lebensregeln der Bewohner von Kos hielt und schon früh schlafen gegangen war. Er eilte erschrocken herbei, wandte die Leiche um, bat um mehr Licht und blickte mißtrauisch in den Hals des Toten. Dann verhüllte er, ohne ein Wort zu sagen, sein Haupt.

Als Publius Celer ihm einige Fragen stellte, bekannte er, daß er seinen Herrn oft vor der Prasserei gewarnt hatte, und bestätigte, daß alle Anzeichen auf einen Herzschlag deuteten.

»Über diesen Vorfall muß ein ärztliches Zeugnis und ein amtliches Dokument ausgestellt werden, das wir alle als Zeugen unterzeichnen«, sagte Publius Celer. »Wenn eine bekannte Persönlichkeit eines plötzlichen Todes stirbt, geraten rasch die Lästerzungen in Bewegung. Deshalb muß auch bezeugt werden, daß ich selbst von dem Wein kostete, den ich ihm reichte.«

Wir sahen einander verwirrt an. Es hatte zwar so ausgesehen, als hätte Celer selbst aus dem Becher getrunken, aber er konnte uns auch getäuscht haben, wenn der Becher wirklich Gift enthielt. Ich habe hier alles so berichtet, wie es sich zutrug, denn später hieß es, Agrippina habe Celer mit dem ausdrücklichen Auftrag entsandt, Silanus zu vergiften, und dieser starb ja auch genau zum richtigen Zeitpunkt.

Das Gerücht behauptete, Celer habe sowohl Helius als auch den Arzt bestochen. Sogar mein Name wurde in diesem Zusammenhang genannt, und es fielen einige böse Andeutungen des Sinnes, daß ich ein guter Freund Neros sei. Der Prozeß, der auf Verlangen des Senats gegen Celer eingeleitet wurde, um der Sache auf den Grund zu gehen, wurde so lange verschleppt, bis Celer schließlich an Altersschwäche starb. Ich hätte jederzeit gern zu seinen Gunsten ausgesagt. Helius bekam später eine hervorragende Stellung im Dienste Neros.

Das plötzliche Hinscheiden des Prokonsuls erregte verständlicherweise Aufsehen in Ephesus und der ganzen Provinz Asia. Um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen, wurde kein großes Begräbnis angesetzt, sondern wir verbrannten die Leiche in seinem eigenen geliebten Garten auf dem Landgut. Als der Scheiterhaufen niedergebrannt war, sammelten wir seine Asche in eine kostbare Urne, die wir in das in letzter Zeit rasch sich füllende Mausoleum seiner Familie in Rom schickten. Publius Celer übernahm, auf seine Vollmachten gestützt, das Amt des Prokonsuls in Asia, bis der Senat aus den Reihen der Bewerber, die ein Anrecht auf diese Stellung hatten, einen neuen ordentlichen Prokonsul ausloste. Die Amtszeit des Silanus wäre übrigens ohnehin bald abgelaufen gewesen.

Der Herrschaftswechsel führte in Ephesus zu den üblichen Unruhen, die diesmal, durch den plötzlichen Tod des Prokonsuls, noch heftigere Formen als sonst annahmen. Die unzähligen Wahrsager, Wunderheiler, Verkäufer von Zauberbüchern und vor allem Silberschmiede, die kleine Nachbildungen des Artemistempels als Reiseandenken verkauften, nutzten die Gelegenheit, um auf den Straßen Lärm zu schlagen und die Juden zu mißhandeln.

Schuld daran war selbstverständlich wieder einmal Paulus, der, wie ich jetzt erst erfuhr, seit einigen Jahren Uneinigkeit in Ephesus stiftete. Ihn hatte der Arzt des Silanus gemeint, und ich hatte es nicht erraten. Paulus hatte seine Anhänger dazu überredet, alle ihre astrologischen Kalender und Traumbücher im Wert von insgesamt ein paar Hunderttausend Sesterze auf dem Forum der Stadt zusammenzutragen und zu verbrennen, um seine, des Paulus, Gegner öffentlich zu beleidigen. Diese Bücherverbrennung hatte im abergläubischen Ephesus viel böses Blut gemacht, und auch die Gebildeten, die nichts auf Horoskope und Traumdeutung gaben, hielten es für unrecht, Bücher zu verbrennen, und fürchteten, man könnte nach der Sterndeuterei die Philosophie und die Dichtung zum Scheiterhaufen verdammen.

Ohnmächtiger Zorn ergriff mich, als mir wieder einmal Paulus als Friedensstörer genannt wurde. Ich hätte Ephesus am liebsten augenblicklich verlassen, aber Publius Celer verlangte von mir, daß ich den Befehl über die römische Garnison und die Reiterei der Stadt übernahm. Er fürchtete neue Aufstände.

Tatsächlich vergingen kaum ein paar Tage, als uns auch schon der Rat der Stadt die beunruhigende Nachricht sandte, daß durch alle Straßen der Stadt große Volkshaufen zum griechischen Theater zogen, um dort eine gesetzwidrige Versammlung abzuhalten. Die Silberschmiede hatten zwei der Weggefährten des Paulus auf offener Straße ergriffen, aber seine anderen Jünger hinderten Paulus mit Gewalt daran, sich selbst zum Theater zu begeben. Sogar die Väter der Stadt sandten ihm eine Warnung und legten ihm nahe, sich nicht unter die Menge zu mischen, denn das hätte zu Mord führen können.

Als es offenbar wurde, daß der Rat der Stadt der Lage nicht mehr Herr war, befahl mir Publius Celer, die Reiterei herauszuführen, und stellte selbst eine Kohorte Fußvolk an den Eingängen des Theaters auf. Er lächelte mit kühlen Augen und schiefem Mund und sagte, er warte schon seit einiger Zeit auf eine günstige Gelegenheit dieser Art, um diesem streitsüchtigen Volk einmal beizubringen, was römische Zucht und Ordnung sei.

Zusammen mit einem Hornisten und dem Kohortenführer betrat ich das Theater, um ein Zeichen zu geben, falls es zu Gewalttätigkeiten kam. In dem riesigen Theater herrschten Lärm und Unruhe, und viele der Anwesenden wußten offenbar nicht einmal, worum es ging, sondern waren einfach nach Art der Griechen mitgelaufen, um wieder einmal aus vollem Hals zu brüllen. Bewaffnet schien keiner zu sein, aber ich konnte mir vorstellen, was für eine Panik ausbrechen würde, falls das Theater mit Gewalt geräumt werden sollte.

Der Zunftälteste der Silberschmiede versuchte die Volksmenge zu beruhigen, um sprechen zu können. Zuvor hatte er sich jedoch solche Mühe gegeben, die Leute aufzuhetzen, daß er heiser geworden war und sich kaum verständlich zu machen vermochte. Ich begriff immerhin so viel, daß er den Juden Paulus beschuldigte, er habe nicht nur in Ephesus, sondern in der ganzen Provinz Asia das Volk zu dem Glauben verführt, die von Menschenhand gemachten Götter seien keine wirklichen Götter.

»Der Tempel der Artemis wird sein Ansehen verlieren und sie selbst, sie, die in Asia und der ganzen Welt verehrt wird, ihre Macht!« schrie er mit gebrochener Stimme.

Die gewaltige Zuhörermenge brüllte aus vollem Hals: »Groß ist die Artemis der Epheser!« Das Gebrüll währte so lange, daß mein Hornist unruhig wurde und schon blasen wollte, aber ich schlug seinen Arm nieder.

Einige Juden mit Quasten an den Mänteln drängten sich zur Bühne, stießen einen Kupferschmied nach vorn und riefen: »Laßt Alexander sprechen!« Ich nehme an, dieser Alexander wollte erklären, daß die rechtgläubigen Juden nichts mit Paulus zu schaffen hatten und daß dieser nicht einmal unter den Christen in Ephesus volles Vertrauen genoß.

Als die Zuhörer aber an seiner Kleidung erkannten, daß er Jude war, wollten sie ihn nicht zu Wort kommen lassen, und sie hatten insofern recht, als ja auch die rechtgläubigen Juden die Götterbilder und deren handwerkliche Anfertigung verurteilten. Um ihn am Reden zu hindern, brach das Volk wieder in den Ruf aus: »Groß ist die Artemis der Epheser!« Nun dauerte das Gebrüll, ich übertreibe nicht, volle zwei Striche auf der Wasseruhr.

Auf einmal stand Publius Celer mit blankem Schwert neben mir und herrschte mich an: »Warum läßt du nicht das Signal blasen? Wir jagen die ganze Versammlung im Handumdrehen auseinander!«

Ich sagte warnend: »In dem Gedränge würden einige Hundert Menschen niedergetrampelt werden.« Der Gedanke schien ihm zu behagen, deshalb fügte ich rasch hinzu: »Sie preisen ihre eigene Artemis. Es wäre sowohl eine Lästerung als auch eine politische Dummheit, eine Versammlung aus diesem Grunde auseinanderzutreiben.«

Als der oberste Richter der Stadt uns an einer der Eingangstüren stehen und zögern sah, winkte er uns verzweifelt zu und bedeutete uns, zu warten. Sein Ansehen war so groß, daß das Volk sich allmählich beruhigte, als er die Bühne betrat, um zu sprechen.

Nun wurden die beiden Christen nach vorn gestoßen. Man hatte sie geschlagen und ihnen die Kleider zerrissen, aber Schlimmeres war ihnen nicht geschehen. Die Juden bespuckten sie, um zu zeigen, was sie von ihnen hielten. Der Richter ermahnte jedoch das Volk, nicht unüberlegt zu handeln, und erinnerte es daran, daß die Stadt Ephesus das vom Himmel herabgefallene Abbild der Göttin Artemis zu verehren habe und keine anderen. Seiner Meinung nach waren die Anhänger des Juden Paulus weder Tempelschänder noch auch nur Lästerer.

Die Vernünftigsten unter den Zuhörern schielten nach meinem roten Helmbusch und dem Hornisten und begannen sich einen Weg aus dem Theater zu bahnen. Einen Augenblick stand alles auf des Messers Schneide, dann aber erinnerten sich viele der Gebildeteren abschreckender Beispiele aus der Geschichte und beeilten sich, das Theater zu verlassen. Publius Celer knirschte mit den Zähnen. Wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, einen scheinbaren Aufstand niederzuschlagen, hätte er nach alter römischer Sitte einen Brand legen und die Werkstätten der Silberschmiede plündern können. So blieb ihm nichts anders übrig, als das Theater zu besetzen und die letzten der Aufwiegler und der Juden, die noch nicht gehen wollten, verprügeln zu lassen. Das war aber auch alles, was an diesem Tag geschah.

Später machte er mir bittere Vorwürfe und sagte: »Wir könnten beide steinreich sein, wenn du nicht so unentschlossen gewesen wärst. Nach der Niederwerfung eines Aufstandes stünden wir obenan auf der Rolle des Ritterstandes. Als Ursache des Aufruhrs hätten wir die schlappe Regierung des Silanus angeben können. Man muß die Gelegenheit im Flug ergreifen, sonst versäumt man sie für alle Zeit.«

Paulus hielt sich eine Weile versteckt und mußte dann aus der Stadt fliehen. Nachdem ich ihm auf Umwegen eine ernste Warnung hatte zugehen lassen, hörten wir, daß er nach Makedonien gereist war. Nach seinem Fortgang wurde es allmählich ruhig in der Stadt, und die Juden hatten an anderes zu denken. Es befanden sich unter ihnen übrigens viele aus Rom verbannte Handwerker, die auf Grund der allgemeinen Begnadigung bei Frühjahrsbeginn zurückzukehren gedachten.

Einstweilen tobten die Winterstürme, und im Hafen lag nicht ein einziges Schiff, das bereit gewesen wäre, nach Italien abzusegeln. Publius Celer hatte jedoch einen tiefen Groll gegen mich gefaßt. Um nicht bleiben und mit ihm streiten zu müssen, suchte ich weiter und machte schließlich ein kleines Schiff ausfindig, das, mit Götterbildern schwer befrachtet, unter dem Schutz der Artemis die Fahrt nach Korinth anzutreten wagte. Wir hatten das Glück, den Nordstürmen zu entgehen, mußten aber unterwegs mehrere Male in Inselhäfen Schutz suchen.

Hierax Lausius hatte mich als tot betrauert, da er so lange nichts von mir gehört hatte. Er war noch dicker geworden, trug den Kopf sehr hoch und hatte sich beim Sprechen einen feierlichen Tonfall angewöhnt. Er war mit der fülligen griechischen Witwe verheiratet und hatte zwei elternlose Knaben ins Haus genommen, um für ihre Erziehung zu sorgen und ihr Eigentum zu verwalten. Stolz zeigte er mir seinen Fleischladen, der im Sommer durch Quellwasser aus dem Berg kühl gehalten wurde. Er hatte auch Anteile an Schiffen erworben und kaufte handwerklich ausgebildete Sklaven, um eine eigene Bronzegießerei zu gründen. Als ich ihm von den Unruhen in Ephesus erzählte, nickte er verständnisvoll und sagte: »Ja, wir haben auch hier unsere Zwistigkeiten. Du erinnerst dich gewiß, daß Paulus nach Jerusalem reiste, um vor den Ältesten Rechenschaft abzulegen. Sie fanden seine Lehre zu verworren und verweigerten ihm, soviel wir hörten, ihre Zustimmung. Kein Wunder, daß er nun in seinem Zorn noch hitziger predigt. Es ist vielleicht wirklich etwas von der Kraft Christi auf ihn übergegangen, da er ja einige Wunderheilungen zustande gebracht hat, aber die vernünftigen Christen halten sich lieber von ihm fern.«

»Du bist also immer noch Christ?« fragte ich verwundert.

»Ich glaube sogar, ich bin ein besserer Christ als je zuvor«, antwortete Hierax. »Ich habe den Frieden in meiner Seele, eine gute Frau und Erfolge in meinen Unternehmungen. Es kam übrigens ein Bote, der Apollos heißt, hierher nach Korinth. Er hat die Schriften der Juden in Alexandria studiert und ist in Ephesus von Aquila und Prisca unterrichtet worden. Er ist ein hinreißender Redner und gewann sich viele Anhänger. Wir haben daher nun eine Apollos-Partei, die ihre eigenen Versammlungen und Mähler abhält und nicht mit den übrigen Christen verkehrt, Prisca hatte so gut von ihm gesprochen, daß er hier herzlich empfangen wurde, und später erst erkannten wir, wie machtlüstern er ist. Zum Glück weilt auch Kephas unter uns, der Erste der Jünger Christi. Er ist viel umhergereist, um die Gemüter zu beruhigen, und gedenkt im Frühling Rom aufzusuchen, um dafür zu sorgen, daß nicht der alte Streit wieder ausbricht, wenn die verbannten Juden zurückkehren. Ich glaube ihm mehr als allen anderen, denn was er lehrt, das hat er aus dem Munde Christi selbst gehört.«

Hierax sprach so ehrerbietig von Kephas, daß ich Lust bekam, ihn zu sehen, obwohl mir Juden wie Christen schon bis zum Halse standen. Ich erfuhr, daß Kephas ursprünglich ein galiläischer Fischer gewesen war, den Jesus von Nazareth etwa fünfundzwanzig Jahre vor meiner Geburt gelehrt hatte, Menschen zu fischen. Kephas hatte da gewiß eine schwere Bürde auf sich genommen, denn er war ein ungebildeter Mann aus dem Volke und sprach mit knapper Not ein paar Worte Griechisch. Er mußte daher immer einen Dolmetsch mitführen. Ich glaubte jedoch allen Grund zu haben, einen Mann kennenzulernen, dem es gelungen war, Hierax fromm zu machen, denn dieses Wunder hatte nicht einmal Paulus mit all seiner jüdischen Gelehrsamkeit und seinem Glaubenseifer bewirken können.

Kephas wohnte bei einem der Juden, die sich zu Christus bekannten. Dieser Jude betrieb einen Handel mit in Öl eingelegtem Fisch und war kein vermögender Mann. Als ich sein Haus, zu dem Hierax mich geführt hatte, betrat, rümpfte ich die Nase. Es stank nach Fisch, und unter meinen Schritten knirschte der Sand, den die vielen Besucher ins Haus gebracht hatten. Ich befand mich in einem kleinen, schlecht beleuchteten Raum. Der jüdische Wirt des Kephas begrüßte uns verlegen und mißtrauisch, so als fürchtete er, meine Anwesenheit könnte seine Wohnstatt verunreinigen.

Er gehörte offenbar zu jenen Juden, die zwar Christus gewählt hatten, dabei aber immer noch versuchten, das jüdische Gesetz einzuhalten und die Berührung mit unbeschnittenen griechischen Christen zu vermeiden. Er befand sich in einer schwierigeren Lage als die Griechen, da die rechtgläubigen Juden ihn als Abtrünnigen mit besonderem Haß verfolgten, und zudem litt er ständig Gewissensqualen wegen des Gesetzes.

Der Jude Kephas trug Quasten an seinem Mantel. Er war ein hochgewachsener Mann mit dichtem Haupthaar und Silberfäden im Bart. Seinen breiten, kräftigen Händen sah man an, daß er früher einmal schwere körperliche Arbeit verrichtet hatte. Sein Blick war gelassen und furchtlos, und als er mich betrachtete, glaubte ich, in seinen Augen eine gewisse Bauernschläue zu erkennen, die mich für ihn einnahm. Er strahlte Ruhe und Sicherheit aus.

Ich muß gestehen, daß ich von unserem Gespräch nicht viel behalten habe. Meist sprach Hierax, auf eine schmeichlerische Art, und wir hatten unsere Not mit dem Dolmetsch, einem schmächtigen Juden, der Marcus hieß und viel jünger als Kephas war. Kephas sprach ein träges Aramäisch in kurzen Sätzen. Ich erinnerte mich meiner Kindheit in Antiochia und versuchte zu verstehen, was er sagte, bevor der Dolmetsch übersetzte, doch das verwirrte mich nur. Im Grunde aber fand ich, daß Kephas eigentlich nichts Bemerkenswertes zu sagen hatte. Er wirkte am stärksten durch die versöhnliche Wärme, die von ihm ausging.

Kephas versuchte auf eine etwas kindliche Art seine Gelehrsamkeit zu beweisen, indem er aus den Schriften der Juden zitierte. Er wies die Schmeicheleien des Hierax würdevoll zurück und ermahnte ihn, nur Jesu Christi Gott und Vater zu preisen, der ihn, Hierax, in seiner Barmherzigkeit zu lebendiger Hoffnung wiedergeboren hatte.

Hierax hatte plötzlich Tränen in den Augen und bekannte aufrichtig, daß er zwar eine Art Wiedergeburt in seinem Herzen wahrgenommen habe, daß aber sein Körper noch immer ein Tummelplatz selbstsüchtiger Begierden sei. Kephas tadelte ihn nicht, sondern betrachtete ihn nur mit einem zugleich milden und schlauen Blick, so als durchschaute er ihn zwar in seiner ganzen menschlichen Schwäche, sähe aber doch auch eine Spur echten Strebens nach dem Guten in seiner abgefeimten Sklavenseele.

Hierax bat Kephas eifrig, zu berichten, wie er König Herodes entronnen war und welche Wunder er in Jesu Christi Namen getan hatte. Der aber hatte begonnen, mich aufmerksam zu mustern, und mochte nicht mit seinen Wundertaten prahlen. Statt dessen trieb er ein wenig Spott mit sich selbst und sagte uns, wie wenig er Jesus von Nazareth verstanden hatte, als er vor dessen Kreuzigung noch mit ihm wanderte. Er berichtete uns sogar, daß es ihm nicht einmal gelungen war, wach zu bleiben, während Jesus in der letzten Nacht seines Erdenlebens betete. Als Jesus gefangengenommen worden war, war er ihm nachgegangen und hatte draußen im Hof beim Kohlenfeuer dreimal geleugnet, daß er ihn kannte, ganz wie Jesus es ihm vorausgesagt hatte, als er, Kephas, sich damit brüstete, daß er bereit sei, mit ihm zu leiden.

Ich kam allmählich zu der Überzeugung, daß des Kephas eigentliche Stärke gerade solche einfachen Geschichten waren, die er Jahr für Jahr so oft wiederholt hatte, daß er sie fließend vorzutragen vermochte. Er, der ungelehrte und des Schreibens unkundige Fischer, trug Christi eigene Worte und Lehrsprüche genau im Gedächtnis und versuchte durch seine Demut und Bescheidenheit anderen Christen ein Vorbild zu sein, die sich, wie Hierax, im Namen Christi wie Kröten aufblasen konnten.

Kephas hatte nichts Abstoßendes an sich, aber ich ahnte, daß er schrecklich aussehen konnte, wenn er sich erzürnte. Auch er machte keinen Versuch, mich zu bekehren, als er mich eine ganze Weile prüfend betrachtet hatte, und das kränkte mich ein wenig.

Auf dem Heimweg gab mir Hierax seine eigene Auffassung offenherzig zu erkennen: »Wir Christen betrachten einander als Brüder. Wie aber alle Menschen ungleich sind, so sind es auch wir Christen. Deshalb gibt es nun eine Partei des Paulus, eine Partei des Apollos, eine Partei des Kephas und andere, die sich, wie ich, einfach an Christus halten und tun, was sie selbst für gut finden, und unsere gegenseitige Unduldsamkeit und Eifersucht machen uns viel zu schaffen. Die Neubekehrten schreien und zanken sich am lautesten im Namen des Geistes und tadeln die friedsameren wegen ihrer Lebensweise. Ich für mein Teil halte mich, seit ich mit Kephas zusammengetroffen bin, nicht für vortrefflicher und weniger tadelnswert als andere.«

Mein erzwungener Aufenthalt in Korinth machte mich unruhig, und ich fühlte mich in meinem eigenen Hause nicht wohl. Ich kaufte ein Geschenk für Nero: ein aus Elfenbein schön geschnitztes Viergespann, denn ich erinnerte mich, daß er als Kind, als seine Mutter ihn noch nicht zu den richtigen Wagenrennen gehen ließ, mit etwas Ähnlichem gespielt hatte.

Die Saturnalien waren längst vorüber, als ich endlich nach einer stürmischen Überfahrt über Puteoli nach Rom heimkehrte.

Tante Laelia war vor Alter krumm und zänkisch geworden und schimpfte mich aus, weil ich mir fast drei Jahre lang nicht die Mühe genommen hatte, ihr zu schreiben. Nur Barbus freute sich aufrichtig, mich wiederzusehen, und berichtete, daß er Mithras für mein Wohlergehen einen ganzen Stier geopfert hatte, und als ich ihm meine Erlebnisse erzählte, war er überzeugt, daß mich nur das Opfer aus der Gefangenschaft in Kilikien errettet hatte.

Ich wollte als erstes auf den Virinal gehen, um meinen Vater zu begrüßen, so fremd ich mich ihm gegenüber auch fühlte, aber Tante Laelia, die sich wieder beruhigt hatte, zog mich beiseite und sagte: »Du gehst am besten nirgendshin, solange du noch nicht weißt, was alles in Rom geschehen ist.«

Sie kochte vor boshaftem Eifer und behauptete, Claudius habe in seinen letzten Tagen beschlossen, Britannicus trotz dessen Jugend die Toga zu geben, und in betrunkenem Zustand von Agrippinas Herrschsucht gesprochen. Deshalb habe ihm Agrippina giftige Pilze zu essen gegeben. Ganz Rom spreche davon, und Nero habe von der Sache gewußt und gesagt, ein Pilzgericht könne einen Menschen zum Gott machen. Claudius war, wie ich schon wußte, zum Gott erhöht worden, und Agrippina ließ ihm einen Tempel errichten. Bisher hatten sich aber noch nicht viele zum Priesterkollegium gemeldet.

»Rom ist also noch das gleiche Klatschnest wie früher«, sagte ich bitter. »Man weiß doch schon seit Jahren, daß Claudius an Magenkrebs litt, wenn er es sich selbst auch nicht eingestehen wollte. Willst du mir mit Absicht die Freude verderben? Ich kenne Agrippina und bin ein Freund Neros. Wie sollte ich so Schlimmes von den beiden denken!«

»Der Sekretär Narcissus hat auch einen Stoß abbekommen, der ihn in den Hades beförderte«, fuhr Tante Laelia fort, ohne auf meine Worte zu achten. »Zu seiner Ehre muß allerdings gesagt werden, daß er vor seinem Selbstmord das Geheimarchiv des Claudius verbrannte, das Agrippina um jeden Preis haben wollte. Auf diese Weise rettete er so manchem Mann im Staate das Leben. Agrippina mußte sich mit hundert Millionen Sesterze begnügen, die sie aus seiner Hinterlassenschaft forderte. Glaub, was du willst, aber ich sage dir, daß es in Rom ein Blutbad gegeben hätte, wenn es Agrippina gelungen wäre, ihren Willen durchzusetzen. Zum Glück sind Seneca und Burrus, der Präfekt der Prätorianer, vernünftige Männer und hinderten sie daran. Seneca wurde zum Konsul gewählt, nachdem er, um dem Senat zu gefallen, eine so böse Satire über Claudius geschrieben hatte, daß niemand mehr von dessen Göttlichkeit hören kann, ohne einen Lachanfall zu bekommen. An sich war das ja nur eine Rache für die Verbannung. Wer sich in Rom ein wenig auskennt, weiß, daß Seneca wegen der Liebschaft mit Agrippinas Schwester in die Verbannung geschickt wurde. Das arme Mädchen mußte deshalb sterben. Ich weiß nicht, ob wir viel Gutes zu erwarten haben, wenn ein schönrednerischer Philosoph die Staatsgeschäfte wahrnimmt. Die Zeiten haben sich geändert. Die jungen Leute lassen sich sogar nach Art der Griechen unanständig gekleidet auf der Straße blicken, nun da Claudius sie nicht mehr zwingt, die Toga zu tragen.«

Tante Laelia schwatzte noch viel, bis ich ihr endlich entkam. Während ich zum Haus meines Vaters auf dem Virinal eilte, bemerkte ich, daß man sich auf den Straßen Roms viel freier benahm als früher. Die Menschen wagten zu lachen. Die unzähligen Statuen auf dem Forum waren mit Spottversen vollgekritzelt, die unter allgemeiner Heiterkeit laut vorgelesen wurden. Niemand machte sich die Mühe, Sie wegzukratzen. Obwohl es noch früher Nachmittag war, sah ich eine ganze Anzahl betrunkener und auf der Zither klimpernder langhaariger Jünglinge.

Tullias Atrium war wie üblich gedrängt voll von Menschen, die empfangen werden wollten, um irgendeine Gunst zu erbitten, diensteifrige Klienten und zu meinem Leidwesen auch Juden, die meinen Vater offenbar nie in Ruhe ließen. Tullia brach ihr eifriges Gespräch mit zwei vornehmen Klatschbasen ab, kam mir zu meiner Verwunderung entgegengestürzt und umarmte mich herzlich. Ihre fetten Finger glitzerten vor lauter Ringen, und die schlaffe Haut ihres Halses versuchte sie mit einem breiten Halsband zu verbergen, das mit Juwelen in mehreren Farben besetzt war.

»Es ist höchste Zeit, daß du von deinen Irrfahrten nach Rom heimkehrst, Minutus!« rief sie. »Als dein Vater hörte, daß du verschwunden warst, wurde er krank vor Unruhe und Sorge, obwohl ich ihn daran erinnerte, wie er selbst sich in seiner Jugend aufgeführt hatte. Zum Glück sehe ich nun, daß du frisch und gesund bist, du schlechter Kerl! Aber hast du dich in Asia mit Betrunkenen geprügelt, weil du so häßliche Narben im Gesicht hast? Ich fürchtete schon, dein Vater sorgt sich deinetwegen noch zu Tode.«

Mein Vater war gealtert, benahm sich aber in seiner Eigenschaft als Senator würdevoller als zuvor. Als ich ihn nach so langer Zeit zum erstenmal wiedersah, fiel mir auf, daß er die traurigsten Augen hatte, die ich je bei einem Menschen bemerkt hatte. Wir konnten nicht unbeschwert miteinander reden, so froh er gewiß über meine Heimkehr war. Ich begnügte mich damit, von meinen Erlebnissen zu berichten, und tat die Zeit meiner Gefangenschaft mit ein paar Worten ab.

Zuletzt fragte ich ihn, mehr im Scherz als im Ernst, was denn die Juden noch immer von ihm wollten.

Mein Vater erklärte mir schuldbewußt: »Prokurator in Judäa ist jetzt Felix, der Bruder des Pallas. Du wirst dich erinnern: Felix, der sich mit einer Enkelin Kleopatras vermählte. Seine Habsucht gibt ständig zu Klagen Anlaß, oder vielleicht verhält es sich ganz einfach so, daß den Juden, diesen ewigen Streithammeln, nichts gut genug ist. Nun hat wieder einmal irgendeiner irgendwo irgendeinen erschlagen. Ich glaube, ganz Judäa ist in den Händen einer Räuberbande. Das ist ein Morden und Brennen ohne Ende, und Felix ist offenbar nicht imstande, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Juden wollen die Sache vor den Senat bringen, aber wer möchte sich da einmischen! Pallas ist viel zu mächtig, und keiner will sich mit ihm verfeinden. Außerdem hat der Senat genug wirkliche Sorgen mit Armenien und Britannien. Wir treten jetzt im Palast zusammen, weil Agrippina hinter einem Vorhang den Besprechungen des Senats lauschen will. Bequemer haben wir es dort allerdings als in der entsetzlichen Kurie, wo einige von uns stehen mußten, wenn der Senat einmal durch ein Wunder vollzählig versammelt war, und wo man sich im Winter die Füße erfror.«

»Und Nero?« fragte ich eifrig. »Was hältst du von ihm?«

»Ich weiß, daß Nero wünschte, er hätte nie schreiben gelernt, als er zum erstenmal ein Todesurteil durch seine Unterschrift bestätigen mußte«, erwiderte mein Vater. »Vielleicht ist er wirklich die Hoffnung der Menschheit, wie einige aufrichtig glauben. Jedenfalls hat er einen Teil seiner richterlichen Gewalt den Konsuln und dem Senat übertragen. Ob er es tat, um uns Vätern seine Achtung zu erweisen oder um sich selbst einem angenehmeren Zeitvertreib widmen zu können, das weiß ich nicht.«

Mein Vater redete offensichtlich nur, um irgend etwas zu sagen. Er runzelte die Stirn, blickte zerstreut an mir vorbei und schien sich nicht im geringsten für die Staatsgeschäfte zu interessieren. Plötzlich sah er mir forschend in die Augen und fragte: »Minutus, mein Sohn, was gedenkst du mit deinem Leben anzufangen?«

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