IX

TIGELLINUS


Es hatte, von einigen Gewittern abgesehen, lange nicht geregnet. Ganz Rom litt unter Hitze, Schmutz, üblen Gerüchen und Staub. In meinem Garten auf dem Aventin war das Laub der Bäume mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und das Gras raschelte vor Dürre. Allein Tante Laelia genoß die Hitze. Sie, die vor Alter ständig fror, ließ sich aus den kühlen inneren Räumen in den Garten hinaustragen, sog schnuppernd die Luft ein und sagte: »Ein richtiges Brandwetter ist das.«

Sie schien für Augenblicke wieder klar im Kopf zu sein und berichtete zum hundertsten Male lebhaft von der Feuersbrunst, die vor vielen Jahren den ganzen Aventin verheert hatte. Der Bankier meines Vaters hatte damals die verwüsteten Grundstücke billig aufgekauft und Mietshäuser darauf errichten lassen, aus denen ich meine Einkünfte bezogen hatte, bis ich sie im vergangenen Winter vorteilhaft verkaufte.

Als ich eines Tages wieder in meinem Garten war, glaubte ich einen Rauchgeruch wahrzunehmen. Ich achtete jedoch weiter nicht darauf und redete mir sogar ein, ich müsse mich getäuscht haben, da ich wußte, daß in dieser Sommerhitze die Brandwachen in allen Stadtbezirken wachsam Ausschau hielten und daß es verboten war, ohne besondere Notwendigkeit Feuer anzuzünden. Es wehte auch kein Wind. Die Luft war vom frühen Morgen an sengend heiß und stickig gewesen.

Irgendwo in der Ferne hörte ich Hornsignale und ein seltsames Brausen, aber erst als ich mich in die Stadt begab, stellte ich erschrocken fest, daß die ganze dem Palatin zugekehrte Längsseite der großen Rennbahn in hellen Flammen stand. Ungeheure Rauchwolken stiegen von den Wachs-, Weihrauch- und Tuchläden auf. Diese leicht entzündlichen kleinen Buden hatten keinerlei Brandmauern, weshalb das Feuer mit Blitzesschnelle um sich griff.

Um die große Brandstätte herum wimmelten die Menschen durcheinander wie Ameisen, und ich glaubte die Löschmannschaften von mindestens drei Stadtbezirken zu erkennen, die breite Brandgassen schlugen, um das rasende Flammenmeer einzudämmen. Eine solche Feuersbrunst hatte ich nie zuvor gesehen. Es war ein beklemmender Anblick, aber noch machte ich mir keine allzu großen Sorgen. Im Gegenteil, ich fand, die Löschmannschaft unseres eigenen Stadtteils hätte sich nicht den anderen anschließen sollen, sondern bleiben, wo sie war, und den Hang des Aventins bewachen.

Ich schickte einen meiner Begleiter zurück, um Claudia und die Hausgenossen zu warnen. Auf dem Weg zum Tiergarten ging ich kurz bei der Präfektur vorbei, um mich zu erkundigen, wie der Brand entstanden war. Man hatte einen reitenden Eilboten ausgeschickt, der meinen ehemaligen Schwiegervater von seinem Landgut holen sollte, aber der Stellvertreter des Präfekten fühlte sich seiner Aufgabe durchaus gewachsen.

Er beschuldigte die jüdischen Kramhändler und die Zirkusleute in den Läden und am Capuanischen Tor, leichtsinnig mit dem Feuer umgegangen zu sein, meinte aber, daß diese Warenlager rasch ausgebrannt sein würden und keine weitere Gefahr bestünde. Im Grunde hielt er die Aufrechterhaltung der Ordnung für dringlicher als die Bekämpfung des Brandes, denn schon waren zahllose Sklaven und anderes Gesindel herbeigeströmt, um die günstige Gelegenheit zu nutzen und die Zirkusbuden zu plündern.

Nach einem Rundgang durch den Tiergarten, der schwer unter der Hitze litt, und einer Beratung mit dem Tierarzt wegen der Aufbewahrung der leicht verderblichen Fleischvorräte ordnete ich an, die Käfige mit frischem Wasser zu übergießen und den Tieren mehr Wasser als üblich zu geben. Mit Sabina unterhielt ich mich sehr freundschaftlich, denn seit der Scheidung verstanden wir uns viel besser als während der Zeit unserer Ehe.

Sabina bat mich, den Aufseher über die Aquädukte aufzusuchen und dafür zu sorgen, daß die Leitungen zum Tiergarten nicht wegen des Brandes gesperrt wurden. Ich versicherte ihr, daß wir uns deshalb nicht zu bemühen brauchten, da gewiß schon die Hausvorsteher aller vornehmen Familien in derselben Angelegenheit beim Aufseher vorgesprochen hatten, um die Bewässerung ihrer Gärten bei diesem heißen Wetter sicherzustellen.

Tatsächlich erhielt ich den Bescheid, daß die Absperrung der Leitungen nur durch Senatsbeschluß oder auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers aufgehoben werden konnte. Die üblichen Sparmaßnahmen mußten streng eingehalten werden. Da der Senat im Sommer nur zusammentritt, wenn der Staat in Gefahr ist, waren die meisten Senatoren nicht erreichbar, und Nero hielt sich zufällig gerade in Antium auf.

Ich kehrte wieder zum Palatin zurück, ging an dem nun im Sommer leeren Palatium vorüber und mengte mich unter die Zuschauer, die sich auf dem Hang über der Rennbahn angesammelt hatten. Es waren zumeist Sklaven, Diener und kaiserliche Gärtner. Niemand schien ernstlich besorgt zu sein, obwohl das ganze Tal unter uns eine einzige glühende, rauchende Esse war.

Die Feuersbrunst war so gewaltig, daß sich in der Luft Wirbel bildeten. Ein heißer Wind fuhr uns ins Gesicht. Funken und schwelende Tuchfetzen segelten bis zu uns herauf. Einige der Sklaven traten gleichgültig die Glut im Grase aus, und irgendeiner fluchte, weil ihm ein Funke ein Loch in sein Untergewand gebrannt hatte. Sonst aber war in den Gesichtern der Zuschauer nur die Erregung über das gewaltige Schauspiel zu lesen.

Als ich durch die Rauchwirbel zum Aventin hinüberblickte, bemerkte ich, daß der Brand schon den Fuß des Hanges erreicht hatte und langsam gegen meinen eigenen Stadtteil vorrückte. Ich mußte mich beeilen. Daher entließ ich meine Begleiter und lieh mir ein Pferd aus Neros Ställen. Ein Eilbote galoppierte vor mir her die heilige Straße zum Forum hinunter.

Dort waren die Vorsichtigeren schon dabei, ihre Läden zu verrammeln. Nur in den großen Markthallen herrschte noch die übliche Geschäftigkeit. Ich ritt zum Tiberstrand hinunter, um auf einem Umweg mein Haus zu erreichen. Unterwegs sah ich viele Männer, die schwere Lasten trugen und entweder geplündertes Gut fortschleppten oder ihre eigene Habe zu retten versuchten.

In den engen Gassen drängte sich das Volk. Mütter riefen weinend nach ihren Kindern. Familienväter standen besorgt vor ihren Türen und fragten einander unentschlossen, was sie tun sollten. Niemand wollte sein Haus leer zurücklassen, da es bei einem so großen Brand unmöglich ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Viele riefen bereits, der Kaiser müsse aus Antium zurückkehren. Auch ich fand es an der Zeit, Notstandsmaßnahmen zu ergreifen. Zum Glück lag mein Tiergarten außerhalb der Stadt, jenseits des Marsfeldes.

Als ich nach Hause kam, befahl ich sofort den Trägern, sich mit den Sänften bereitzuhalten, und forderte Claudia und Tante Laelia auf, sich mit den Hausgenossen in den vierzehnten Stadtbezirk jenseits des Tibers zu begeben. Ein jeder sollte von seiner wertvollsten Habe so viel mitnehmen, wie er zu tragen vermochte, denn Fuhrwerke standen uns unter Tage nicht zur Verfügung.

Nur dem Türhüter und dem kräftigsten der Sklaven befahl ich, zu bleiben und das Haus vor Plünderern zu schützen. Ich gab ihnen sogar Waffen, was durch die besonderen Umstände gewiß gerechtfertigt war. Wir mußten uns beeilen, denn ich nahm an, daß andere unserem Beispiel folgen und daß die engen Gassen des Aventins bald mit Flüchtlingen verstopft sein würden.

Claudia wollte jedoch nicht fliehen. Sie sagte, sie müsse zuerst ihre Freunde unter den Christen warnen und den Alten und Schwachen helfen. Sie seien durch Christus erlöst und darum mehr wert als Gefäße aus Gold und Silber. Ich zeigte auf Tante Laelia und schrie: »Da hast du eine Alte, um die du dich kümmern kannst. Und denke wenigstens an unser ungeborenes Kind!«

In diesem Augenblick erschienen Aquila und Prisca, schwitzend, keuchend und schwere Bündel schleppend, in unserem Garten. Sie baten mich, ihre Waren in meinem Haus ablegen zu dürfen, wo sie in Sicherheit wären, denn das Feuer näherte sich schon ihrer Weberei. Ihre Einfalt machte mich rasend, und zu allem Überfluß versicherte ihnen Claudia auch noch, es bestünde für uns bestimmt noch keine Gefahr. Aquila und Prisca durften sich nicht im jüdischen Stadtteil jenseits des Tibers sehen lassen. Die Juden kannten sie und verabscheuten sie wie die Pest.

Durch den Streit und das Gejammer der Weiber verloren wir kostbare Zeit. Zuletzt wußte ich mir nicht mehr anders zu helfen. Ich versetzte Tante Laelia einen Schlag auf ihr Hinterteil und stieß Claudia mit Gewalt in eine Sänfte. Endlich setzte sich unser Zug in Bewegung. Da kamen einige Christen mit rußigen Gesichtern und weißen Brandblasen auf den Armen herbeigestürzt und fragten nach Aquila.

Mit erhobenen Armen und starren Blicken riefen sie, sie hätten mit eigenen Ohren Erde und Himmel mit Donnergetöse bersten gehört, und nun werde Christus, seinem Versprechen treu, aus einer Wolke niedersteigen. Alle Christen müßten daher ihre Bürden abwerfen und sich auf den Hügeln der Stadt versammeln, um ihren Herrn und sein neues Reich zu empfangen. Der Tag des Gerichts sei gekommen.

Prisca war eine lebenskluge, vernünftige und beherrschte Frau und wollte eine solche Botschaft nicht ohne weiteres glauben. Im Gegenteil, sie gebot den Ankömmlingen zu schweigen. Ihr selbst war keine Offenbarung zuteil geworden, und im übrigen war außer den Rauchschwaden am ganzen Himmel nichts zu sehen.

Auch ich versicherte ihnen, daß Rom zwar von einem großen Unglück heimgesucht werde, daß aber Brände in zwei oder drei Stadtbezirken noch nicht den Untergang bedeuteten. Die erschrockenen Christen waren Arme und daher gewohnt, Höhergestellten zu glauben, und der schmale roten Streifen, den ich trug, überzeugte sie vollends davon, daß ich die Lage besser überschaute als sie.

Meiner Meinung nach war es nun höchste Zeit, die Prätorianer ausrücken zu lassen und in der Stadt den Notstand auszurufen. Ich war auf diesem Gebiet nicht sehr sachkundig, aber der gesunde Menschenverstand sagte mir, daß man quer über den Aventin eine möglichst breite Brandgasse schlagen mußte, ohne die Häuser zu schonen. Sodann mußte ein Gegenfeuer angezündet werden, um diejenigen Häuser aus dem Wege zu räumen, die ohnehin verloren waren. Es war menschlich verständlich, daß ich mein eigenes altes Haus zu denen rechnete, die gerettet werden konnten.

Ich ritt fort, um die Sache mit den Triumvirn meines Stadtteils zu besprechen, und schrie ihnen, als sie zögerten, ins Gesicht, daß ich bereit sei, die Verantwortung zu übernehmen. Sie schrien, kopflos, wie sie waren, zurück, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und es bestehe noch keine Notwendigkeit zu solchen Maßnahmen.

Ich ritt weiter zum Forum, wo von dem ganzen Brand weiter noch nichts zu sehen war als Rauchwolken über den Hausdächern, und ich schämte mich meiner Aufregung, als ich sah, wie die Menschen ihren gewohnten Beschäftigungen nachgingen. Man beruhigte mich mit der Versicherung, daß man die Sibyllinischen Bücher hervorgeholt habe, um nachzuforschen, welchem Gott man opfern mußte, damit sich der Brand nicht weiter ausbreitete.

Ein rußschwarzer, bekränzter Stier wurde eben in den Tempel des Vulcanus geführt. Einige alte Männer meinten, es sei, früheren Erfahrungen nach zu urteilen, das klügste, gleichzeitig auch Proserpina zu opfern. Sie waren überzeugt, daß Roms Schutzgenien und uralte Hausgötter nicht zulassen würden, daß das Feuer allzu weit um sich griff. Man brauchte nur die Sibyllinischen Bücher zu befragen, warum die Götter zürnten.

Ich glaube, es wäre ohne weiteres möglich gewesen, den Brand einzudämmen, wenn man gleich am ersten Tag zu entschlossenen und schonungslosen Maßnahmen gegriffen hätte. Es fand sich jedoch niemand, der die Verantwortung übernehmen wollte. Tigellinus’ Stellvertreter schickte lediglich auf eigene Faust einige Kohorten Prätorianer aus, die die unmittelbar bedrohten Straßen räumten und leidlich für Ruhe und Ordnung sorgten.

Gegen Abend traf der Präfekt Flavius Sabinus in der Stadt ein und befahl zu allererst allen Löschmannschaften, den Palatin zu schützen, in dessen Gärten schon die Pinien lichterloh brannten. Dann forderte er Mauerbrecher und Belagerungsmaschinen an, die jedoch erst am nächsten Tag eingesetzt werden konnten, als Tigellinus aus Antium zurückkehrte und mit kaiserlichem Auftrag entschlossen die Führung übernahm. Nero selbst wollte seinen Erholungsaufenthalt des Brandes wegen nicht abbrechen und hielt seine Anwesenheit in der Stadt nicht für notwendig, obwohl das Volk auf den Straßen seinen Namen rief.

Als Tigellinus jedoch einsah, daß die Gebäude auf dem Palatin nicht mehr zu retten waren, drang er selbst darauf, daß Nero nach Rom zurückkehrte, um das Volk zu beruhigen. Nero war wegen seiner griechischen Kunstschätze so besorgt, daß er die ganze Strecke von Antium nach Rom ohne Rast in einem einzigen Ritt zurücklegte. Auch zahlreiche Senatoren und vornehme Ritter strömten von ihren Landsitzen herbei. Es gelang Tigellinus nicht, sie zur Vernunft zu bringen. Ein jeder wollte nur sein eigenes Haus und seine eigenen Schätze retten, und sie führten sogar entgegen dem allgemeinen Verbot Ochsengespanne und Karren mit, so daß der Verkehr auf den Straßen vollends ins Stocken geriet.

Nero verlegte seine Befehlsstelle in die Gärten des Maecenas auf dem Esquilin und bewies in der Stunde der Gefahr Vernunft und Entschlossenheit. Flavius Sabinus dagegen brach zusammen und weinte. Ich selbst war, während ich die Flüchtlingsströme lenkte, einmal von den Flammen umzingelt worden und hatte mir einige Brandwunden zugezogen.

Vom Turm des Maecenas aus konnte Nero die ganze Ausdehnung des Brandes überblicken. Er zeichnete auf einer Karte nach den Anweisungen des Tigellinus die bedrohten Bezirke an, die geräumt und niedergebrannt werden mußten, sobald die Brandgassen fertig waren. Die einzelnen Maßnahmen waren nun besser aufeinander abgestimmt. Die Patrizier wurden aus ihren Häusern vertrieben, die Mauerbrecher begannen die gefährlichen Getreidespeicher niederzurammen, und bei der Anlage der Brandgassen wurden weder Tempel noch Prachtbauten geschont.

Nero hielt es für wichtiger, Menschenleben zu retten als Schätze, und sandte Hunderte von Herolden aus, die die Massen der flüchtenden in die Bezirke und Stadtteile führten, von denen man hoffte, daß sie verschont bleiben würden. Diejenigen, die sich weigerten, die Häuser zu verlassen, die aufgegeben werden mußten, wurden mit Waffengewalt daraus vertrieben, und in den engen Gassen durften keine Möbel oder andere sperrige Gegenstände mehr befördert werden. Nero eilte selbst, schmutzig von Rauch und Ruß, mit seiner Leibwache von Ort zu Ort, um die Verängstigten zu beruhigen und Verhaltensmaßregeln zu erteilen. Einmal nahm er ein weinendes Kind in die Arme und gab es seiner Mutter zurück, während er die Umstehenden bat, in seinen eigenen Gärten jenseits des Flusses Schutz zu suchen. Alle öffentlichen Gebäude in der Nähe des Marsfeldes wurden den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.

Die Senatoren, die wenigstens ihre Ahnenmasken und Penaten zu retten versuchten, konnten nicht fassen, warum die Soldaten sie mit der flachen Klinge aus ihren eigenen Häusern jagten und die Gebäude mit Fackeln in Brand steckten.

Unglücklicherweise entstand durch den ungeheuren Brand ein gewaltiger Sturm, der das Feuer über den ganzen, ein Stadion breiten Schutzstreifen trug. Die Löschmannschaften waren von den Anstrengungen der letzten Tage so erschöpft, daß es ihnen nicht mehr möglich war, die weitere Ausbreitung des Feuers zu verhindern. Manche fielen vor Müdigkeit zu Boden, schliefen ein und kamen in den Flammen um.

Um Suburra zu schützen, wurde eine neue, noch breitere Brandgasse geschlagen, aber Tigellinus war auch nur ein Mensch und versuchte die uralten Bäume in seinem eigenen Garten zu schonen. Dadurch konnte die Feuersbrunst, die am sechsten Tag beinahe am Erlöschen war, auch auf Suburra übergreifen, und sie pflanzte sich in den hohen, zum Teil aus Holz gezimmerten Häusern so rasch fort, daß die Menschen in den obersten Stockwerken oft nicht einmal mehr Zeit hatten, sich auf die Straßen zu retten. Hunderte, vielleicht Tausende verbrannten auf diese Weise.

Um diese Zeit verbreitete sich das Gerücht, Nero habe die Stadt mit Absicht in Brand stecken lassen, und dieses Gerücht war so unsinnig, daß sich sofort Leute fanden, die es glaubten. Gab es doch zahllose Zeugen, die selbst gesehen hatten, wie Soldaten mit Fackeln Feuer an die Häuser legten und ihre Bewohner vertrieben. In der allgemeinen Verwirrung, der Erregung, der Erschöpfung durch Schlafmangel und unerhörte Anstrengungen fand sogar die Behauptung der Christen, daß der Tag des Gerichts gekommen sei, da und dort Glauben.

Niemand wagte Nero zu berichten, wessen man ihn beschuldigte. Als vorzüglicher Schauspieler bewahrte er die Ruhe und ließ, während noch der Brand wütete, die besten Baumeister Roms rufen, um den Wiederaufbau der Stadt zu planen. Er sorgte auch gleich dafür, daß aus den Nachbarstädten Lebensmittel in das notleidende Rom gebracht wurden. Wenn er aber auf seinen täglichen Rundgängen die Menschen, die alles verloren hatten, mit Versprechungen tröstete, bekam er immer öfter drohende Rufe zu hören. Man bewarf die Prätorianer mit Steinen, und einige klagten Nero an, er habe die Stadt zerstört.

Nero war bestürzt. Er beherrschte sich jedoch und sagte mitleidig: »Die armen Menschen haben den Verstand verloren.«

Er kehrte in die Gärten des Maecenas zurück und befahl endlich, die Absperrung der Aquädukte aufzuheben, obwohl dies bedeutete, daß die Bewohner der vom Feuer verschonten Stadtteile eine Zeitlang Durst leiden mußten. Ich ritt rasch zum Tiergarten, um zu veranlassen, daß alle Wasserzisternen rechtzeitig gefüllt wurden. Zugleich ordnete ich an, daß alle Tiere getötet werden mußten, wenn der Brand das Amphitheater, das aus Holz war, erreichte. Es bestand zwar noch keine wirkliche Gefahr, aber meine Augen brannten und meine Brandwunden quälten mich so sehr, daß ich den Mut verlor und es für durchaus möglich hielt, daß die ganze Stadt den Flammen zum Opfer fiel. Ich mußte um jeden Preis verhindern, daß die Tiere ausbrachen und plötzlich unter den vielen Obdachlosen frei umherliefen.

Gegen Abend wurde ich von einem Boten, der mich zu Nero rief, aus dem tiefsten Schlaf geweckt. Ich war kaum gegangen, als Sabina auch schon meinen Befehl widerrief und jedem, der den Tieren etwas antat, mit dem Tode drohte.

Als ich auf weiten Umwegen durch die vom Feuer erhellte Stadt zu den Gärten des Maecenas ging, ein nasses Tuch als Schutz um den Kopf gewickelt, ergriff mich eine trostlose Weltuntergangsstimmung. Ich dachte an die schrecklichen Prophezeiungen der Christen, aber auch an die griechischen Philosophen, die behaupteten, daß aus dem Feuer alles entstanden sei und im Feuer alles vergehen werde.

Ich begegnete grölenden, lallenden Betrunkenen, die ihren Durst in Ermangelung von Wasser in irgendeinem verlassenen Weinkeller gestillt hatten und nicht minder betrunkene Weiber mitschleppten. In dichten Haufen standen die Juden beisammen und sangen Hymnen an ihren Gott. An einer Straßenecke stieß ich mit einem verstörten Mann zusammen, dessen Bart versengt war und der mich umarmte, das geheime Zeichen der Christen machte und mich aufforderte, Buße zu tun, denn der Tag des Gerichts sei gekommen.

Am Turm des Maecenas stand Nero und erwartete ungeduldig seine Freunde. Zu meiner Verwunderung trug er den langen gelben Mantel der Sänger und einen Kranz auf dem Kopf. Tigellinus stand mit der Zither neben ihm.

Nero brauchte Zuhörer und hatte allen hochgestellten Römern, von denen er wußte, daß sie sich in der Stadt aufhielten, Boten geschickt. Überdies hatte er an die tausend Prätorianer kommen lassen, die unter den mit Wasser berieselten Bäumen im Grase lagen und gierig aßen und tranken. Unter uns glühten die brennenden, schwelenden Stadtteile wie tiefrote Inseln in der Dunkelheit, und gewaltige Rauchsäulen stiegen zum Himmel empor.

Nero vermochte sich nicht länger zu gedulden. »Vor uns liegt ein Anblick, wie er seit der Zerstörung Trojas keinem Sterblichen mehr zuteil wurde!« rief er mit weithin hallender Stimme. »Apoll selbst ist im Traum zu mir herabgestiegen, und als ich erwachte, quollen die Strophen aus meinem Herzen wie in göttlichem Wahnsinn. Ich werde euch Verse vorsingen, die ich über den Brand Trojas gedichtet habe, und mir ahnt, daß es Verse sind, die durch alle künftigen Zeiten klingen und Nero als Dichter unsterblich machen werden!«

Ein Herold wiederholte seine Worte, während Nero auf den Turm stieg. Dort war nicht für viele Platz, aber wir drängten uns alle in seine Nähe. Er begann zu singen und begleitete sich selbst. Seine kraftvolle Stimme klang laut über das Prasseln und Brausen des Brandes hinaus und erreichte die Zuhörer in den Gärten ringsumher. Er sang wie in einem Rausch, und sein Sekretär reichte ihm ständig neue Strophen, die er im Laufe des Tages diktiert hatte. Und während er sang, dichtete Nero neue dazu, die ein anderer Schreiber in Kurzschrift festhielt.

Ich war oft genug im Theater gewesen, um zu erkennen, daß er bekannte Verse frei wiedergab oder abänderte, entweder unbewußt seiner Eingebung gehorchend oder indem er bewußt von der Freiheit Gebrauch machte, die man dem Künstler in diesen Dingen zugesteht. Er sang mehrere Stunden ohne Unterbrechung. Die Zenturionen hatten alle Mühe, die erschöpften Prätorianer im Grase mit ihren Stäben wachzuhalten.

Die Sachverständigen aber konnten ihm nicht oft genug versichern, sie hätten noch nie einen so strahlenden Gesang vor einem so erhabenen Hintergrund gehört. Sie brachen in Beifallsrufe aus und sagten, was wir nun erlebten, würden wir unseren Kindern und Kindeskindern erzählen, und die Erinnerung daran werde in aller Zukunft nicht erlöschen.

Ich selbst fragte mich im stillen, ob Nero nicht am Ende wahnsinnig geworden sei. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ihn, empfindlich wie er war, die unsinnigen Anklagen gewiß tief gekränkt hatten und daß er in diesen Stunden die Last des Herrschens abwarf, um sich durch seine Kunst zu erleichtern und zu trösten.

Er brach seine Vorstellung erst ab, als er von dem immer dichter heranwallenden Rauch husten und sich in den Mantelsaum schneuzen mußte. Wir riefen rasch wie aus einem Munde, er möge doch seine göttliche Stimme schonen. Er war hochrot im Gesicht und schwitzte, aber er strahlte vor Triumph und versprach, am nächsten Abend weiterzusingen. Von den Rändern der Brandherde unter uns in der Stadt erhoben sich dichte Dampfwolken, als das Wasser aus den geöffneten Aquädukten zwischen den schwelenden Ruinen ausströmte.

Tullias Haus auf dem Virinal lag ziemlich nahe. Ich beschloß, mich dorthin zu begeben, um während der Morgenstunden noch ein wenig zu schlafen. Um meinen Vater hatte ich mir noch keine Sorgen gemacht, da das Haus vorerst noch sicher war. Ich wußte nicht einmal, ob er überhaupt von seinem Landaufenthalt zurück war. Unter den Senatoren, die Neros Gesang lauschten, hatte ich ihn nicht entdeckt.

Ich fand ihn einsam wachend und mit rotgeränderten Augen in Tullias beinahe völlig verlassenem und ausgeräumten Haus. Er sagte mir, daß Tullia schon am ersten Tag der Feuersbrunst mit Hilfe von tausend Sklaven alle wertvollen Gegenstände auf eines ihrer Landgüter gebracht hatte.

Jucundus, der seit dem Frühjahr einen schmalen roten Streifen auf seinem Untergewand trug, war mit einigen Kameraden aus der Palatiumschule in der Stadt umhergestreift, um das Feuer zu beobachten, und hatte sich beide Füße verbrannt, als plötzlich aus einem der brennenden Tempel ein Strom von geschmolzenem Silber und Gold auf die Straßen geronnen war. Man hatte ihn nach Hause getragen, und Tullia hatte ihn aufs Land mitgenommen. Mein Vater meinte, er werde vielleicht fürs Leben ein Krüppel bleiben, und fügte hinzu: »So braucht dein Sohn wenigstens nicht Kriegsdienst zu tun und sein Blut in den Wüsten jenseits des Euphrat zu vergießen.«

Ich bemerkte zu meiner Verwunderung, daß er zuviel Wein getrunken hatte, und nahm an, Jucundus Unglück habe ihn so erschüttert. Er erriet meine Gedanken und sagte übellaunig: »Warum sollte ich nicht ab und zu trinken! Ich fühlte, daß mein Todestag nahe ist. Wegen Jucundus mache ich mir keine Sorgen. Er hatte allzu flinke Füße, und sie haben ihn schon auf gefährliche Wege geführt. Es ist besser, als Krüppel Gottes Reich zu finden, als im Herzen verdorben zu werden. Ich selbst war ein Krüppel im Geiste, seit deine Mutter starb, Minutus.«

Mein Vater war schon weit über sechzig und kehrte in der Erinnerung gern in vergangene Zeiten zurück. Man denkt in seinem Alter mehr an den Tod als in meinem, weshalb ich seine Ahnungen nicht ernst nahm. Ich fragte vielmehr neugierig: »Was sagtest du da über die Wüsten jenseits des Euphrat?«

Mein Vater nahm einen gierigen Schluck aus seinem goldenen Becher und erzählte: »Unter Jucundus’ Schulkameraden gibt es Königssöhne aus dem Osten. Deren romfreundliche Väter betrachteten die Niederwerfung Parthiens als eine Lebensnotwendigkeit, und diese jungen Männer sind römischer als die Römer selbst, was sich auch von Jucundus sagen läßt. Die Frage ist im Senat schon oft besprochen worden. Sobald es Corbulos gelingt, Armenien zu befrieden, hat Rom dort eine Stütze, und Parthien gerät in die Zange.«

»Wie kannst du an Krieg denken, da Rom von einem so großen Unglück heimgesucht wird!« rief ich. »Drei ganze Stadtbezirke sind zerstört und sechs weitere stehen noch in Flammen. Uralte Mahnmale sind vernichtet worden, der Vestatempel ist niedergebrannt, ebenso das Tabularium mit allen Gesetzestafeln. Wieviel Zeit und Geld wird es kosten, Rom wiederaufzubauen, und wie kannst du unter solchen Umständen einen Krieg überhaupt für möglich halten?«

»Gerade jetzt halte ich einen Krieg für möglich«, sagte mein Vater nachdenklich. »Ich habe weder Gesichte noch Offenbarungen, wenngleich ich in letzter Zeit Dinge träume, die mich nachdenklich stimmen. Doch reden wir nicht von Träumen. Der Wiederaufbau Roms wird eine schwere Besteuerung der Provinzen mit sich bringen, und das wird Unzufriedenheit wecken, da die Reichen und die Kaufleute die Steuern zuletzt auf das Volk abwälzen. Wenn die Unzufriedenheit um sich greift, wird man die Regierung tadeln, und nach den Regeln der Staatskunst ist ein Krieg das beste Mittel, der Unzufriedenheit im Innern des Reiches einen Auslauf zu verschaffen. Und wenn der Krieg einmal begonnen wurde, finden sich auch immer die Mittel, ihn fortzusetzen. Du weißt selbst, daß man allgemein über die Verweichlichung Roms und den Verfall seiner kriegerischen Tugenden klagt. Es ist wahr, daß die Jungen die Tugenden der Väter verspotten und Parodien auf die Werke des Livius aufführen. Deshalb haben sie aber doch Wolfsblut in den Adern.«

»Nero will keinen Krieg«, wandte ich ein. »Er war ja sogar bereit, Britannien aufzugeben. Der Lorbeer des Künstlers ist das einzige, wonach er strebt.«

»Ein Herrscher ist zuletzt gezwungen, dem Willen des Volkes zu gehorchen, sonst sitzt er nicht lange auf seinem Thron«, erwiderte mein Vater. »Das Volk als solches will natürlich keinen Krieg, sondern Brot und Zirkusspiele, aber es gibt Kräfte, die sich von einem Krieg persönlichen Gewinn versprechen. Noch nie zuvor in der Geschichte haben einzelne so große Vermögen angesammelt wie heute. Freigelassene Sklaven treiben größeren Aufwand als die Vornehmen Roms, weil sie sich nicht durch althergebrachte Sitten verpflichtet fühlen, mehr auf den Vorteil des Staates zu sehen als auf ihren eigenen. Du weißt noch nicht, Minutus, was für eine ungeheure Macht Geld hat, das sich mit Geld verbindet.«

Plötzlich unterbrach er sich und sagte: »Da wir gerade von Geld reden: es gibt zum Glück Dinge, die mehr wert sind. Ich hoffe, du hast den Holzbecher deiner Mutter gut verwahrt!«

Ich hatte den Becher während des Streits mit Claudia völlig vergessen, und da ich annahm, daß mein Haus auf dem Aventin mittlerweile niedergebrannt sei, hielt ich auch den Becher für verloren. Ich stand zornig auf und sagte: »Du bist betrunkener, als du weißt. Geh und leg dich schlafen. Ich muß zu meinen Geschäften zurückkehren. Die Furien hetzen heute nacht nicht nur dich.«

Empfindlich wie alle Betrunkenen rief mein Vater, ich solle an seine Ahnungen denken, wenn er einmal tot sei, und er werde nicht mehr lange unter den Lebenden weilen. Ich verließ sein Haus und kehrte, an den Rändern der weit ausgedehnten Brandstätten entlang irrend, zum Aventin zurück. Die Hitze zwang mich, über die Brücke in den jüdischen Stadtteil zu gehen und mich weiter oben wieder über den Fluß rudern zu lassen. Wer in diesen Tagen ein Boot besaß, verdiente sich ein Vermögen, indem er die Flüchtlinge über den Strom setzte.

Zu meiner Verwunderung schien der dem Fluß zugekehrte Hang des Aventins noch verschont geblieben zu sein. Ich ging in dem dichten Rauch jedoch mehrere Male in die Irre und sah den Tempel der Mondgöttin und dessen Umgebung in rauchenden Trümmern liegen. Mein eigenes Haus aber war unversehrt geblieben. Vermutlich hatte der Wind, der an anderen Stellen eine so verheerende Wirkung ausgeübt hatte, das Feuer von der Kuppe des Aventins ferngehalten, wo nicht einmal eine richtige Brandgasse angelegt worden war. Man hatte nur einige wenige Häuser niedergerissen.

Der achte Morgen seit Ausbruch des Brandes graute über den Ruinen. In meinem Garten lagen dicht gedrängt Hunderte von Männern, Frauen und Kindern. Sogar in den leeren Wasserbecken schliefen Menschen. Ich schritt über die auf dem Boden Liegenden hinweg zum Haus, das keiner zu betreten gewagt hatte, obwohl die Türen weit offenstanden.

Ich stürzte in mein Zimmer, fand meine verschlossene Truhe und auf ihrem Boden den alten, in ein Seidentuch eingeschlagenen Holzbecher. Als ich ihn herausnahm, wurde ich in meiner Erschöpfung von abergläubischer Furcht ergriffen, so als hielte ich einen wundertätigen Gegenstand in der Hand, und der unheimliche Gedanke schoß mir durch den Kopf, daß der geheimnisvolle Becher der Glücksgöttin vielleicht mein Haus beschützt hatte. Dann aber vermochte ich nichts mehr zu denken. Mit dem Becher in der Hand fiel ich auf das Bett nieder und versank in den tiefsten Schlaf meines Lebens.

Ich schlief, bis der Abendstern aufging, und erwachte von dem Gesang und den lauten Freudenrufen der Christen. Ich war noch so schlaftrunken, daß ich zornig nach Claudia rief, um ihr zu sagen sie solle mit ihren Freunden leiser sein. Ich glaubte, es sei früher Morgen und meine Klienten und Freigelassenen erwarteten mich. Erst als ich in den Garten hinauseilte, erinnerte ich mich an die grauenvolle Zerstörung und alles, was geschehen war.

Der Feuerschein am Himmel sagte mir, daß in der Stadt noch immer Brände wüteten, aber das Schlimmste schien doch vorüber zu sein. Ich suchte aus den vielen Menschen meine eigenen Sklaven heraus und lobte sie, daß sie geblieben waren und mutig und, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben mein Haus bewacht hatten. Die übrigen Sklaven ermahnte ich, unverzüglich ihre Herren aufzusuchen, um nicht als Entlaufene bestraft zu werden.

Danach herrschte in meinem Garten nicht mehr ein so großes Gedränge, aber mehrere Kleinhändler und Handwerker, die alles, was sie besaßen, verloren hatten, baten mich flehentlich, fürs erste bleiben zu dürfen, da sie nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Sie hatten Greise und Säuglinge bei sich, und ich brachte es nicht übers Herz, sie zu verjagen.

Ein Teil der Tempel auf dem Kapitolinischen Hügel reckte noch unversehrte Säulen gegen den flammend roten Himmel. Wo die Ruinen schon ausgekühlt waren, suchten Diebe unter Einsatz des Lebens nach geschmolzenem Metall. Tigellinus ließ noch am selben Tag die Brandstätten durch Soldaten absperren. Um alle Unordnung zu vermeiden, durften nicht einmal die Hauseigentümer zurückkehren und in den Ruinen graben.

Im Tiergarten mußten meine Leute zu Speer und Bogen greifen, um die Wasserbecken und die Lebensmittel- und Futtervorräte zu schützen. Aus den Freigehegen wurden mehrere Hirsche und Antilopen gestohlen und geschlachtet. Nur an die Auerochsen wagte sich niemand heran.

Da das Feuer alle Thermen vernichtet hatte, krönte Nero sein zweites Auftreten als Dichter durch ein Bad in einem der heiligen Becken. Es war ein gefährliches Unternehmen, aber er verließ sich auf seine Schwimmkunst und seine Körperkräfte. Das Volk nahm es übel auf und beschuldigte ihn im stillen, er habe, nachdem er Rom in Brand gesteckt hatte, nun auch noch das letzte Trinkwasser mit seinem Körper verunreinigt. Er war in Wirklichkeit in Antium gewesen, als das Feuer ausbrach, aber davon wollten die Aufwiegler nichts wissen.

Ich habe Rom nie so sehr bewundert wie in diesen Tagen, als ich sah, wie rasch der Bevölkerung geholfen wurde und wie planmäßig und zielbewußt man die Aufräumungsarbeiten und den Wiederaufbau der Stadt in Angriff nahm. Die Städte in der näheren und weiteren Umgebung erhielten den Befehl, Hausrat und Kleider zu schicken. Für die Obdachlosen wurden Befehlsunterkünfte errichtet. Getreideschiffe, die ausgeladen wurden, mußten Schutt an Bord nehmen und in den Sümpfen vor Ostia abladen.

Der Getreidepreis wurde auf zwei Sesterze gesenkt. Das war der niedrigste Preis, von dem man je gehört hatte. Ich erlitt dadurch keine Verluste, denn der Staat sicherte den Getreidehändlern höhere Preise zu. Täler wurden aufgefüllt, verbrannte Hügel abgetragen. Nero nahm das ganze Gebiet zwischen Palatin, Caelius und Esquilin in Besitz, wo er einen neuen Palast errichten lassen wollte, und im übrigen wurden in den Ruinenfeldern ohne Rücksicht auf den früheren Stadtplan Baugründe und breite Straßen abgesteckt.

Wer sein Haus nach den neuen Bauvorschriften wieder aufbauen konnte und wollte, erhielt eine Anleihe aus der Staatskasse, mußte aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums bauen, wenn er nicht seines Rechts verlustig gehen wollte.

Alle Häuser mußten aus Stein errichtet werden, und die Höhe war auf drei Stockwerke begrenzt. Auf der Straßenseite war eine Arkade vorgeschrieben, und jeder Hof mußte seine eigene Wasserzisterne haben. Die Wasserverteilung wurde neu geregelt, so daß die Reichen nicht mehr so viel für ihre Gärten und Thermen verbrauchen konnten, wie sie wollten.

Diese notwendigen Zwangsmaßnahmen weckten allgemeine Verbitterung. Nicht nur die Vornehmen beklagten sich, auch das Volk murrte und behauptete, die neuen breiten, sonnigen Straßen seien viel ungesünder als die alten krummen Gassen, die im Sommer kühl und schattig waren und in den Nächten den Verliebten ein Versteck boten. Man fürchtete, die Früh- und Zwangsehen könnten überhandnehmen, wenn man sich nur noch innerhalb der vier Wände lieben durfte.

Die Städte und die Reichen in den Provinzen wetteiferten darin, Geldsummen für den Wiederaufbau Roms zu spenden. Dennoch reichten die Mittel bei weitem nicht, und man hob daher Steuerzuschläge ein, die sowohl Einzelpersonen wie ganze Städte an den Rand des Ruins brachten.

Allein der Wiederaufbau des großen Zirkus, der Tempel und Theater nach den Plänen Neros schien darauf abzuzielen, die ganze Welt bettelarm zu machen. Dazu wurde noch sein Plan bekannt, ein riesiges Bauwerk von noch nie gesehenen Ausmaßen zu errichten, und als man sah, was für ungeheure Flächen er sich mitten in der Stadt für seinen eigenen Gebrauch vorbehielt, kannte die Unzufriedenheit des Volkes keine Grenzen mehr. Nero hatte unter anderem das ganze Gebiet, auf dem die durch Mauerbrecher niedergerissenen Getreidespeicher gestanden waren, in Beschlag genommen, und man glaubte nun um so bereitwilliger, daß wirklich er selbst die Stadt hatte anzünden lassen, um Platz für sein Goldenes Haus zu schaffen.

Zu Beginn des Herbstes spülten einige heftige Gewitter den Ruß von den Ruinen. Tag und Nacht wurden auf Ochsenkarren Bausteine in die Stadt gebracht. Das unaufhörliche Klopfen und Hämmern auf den Baustellen machte den Aufenthalt unerträglich. Um die Arbeit so rasch wie möglich voranzutreiben, hielt man nicht einmal die Festtage ein. Das Volk, das an freie Mahlzeiten, Zirkusvorstellungen und andere Vergnügungen gewöhnt war, stöhnte und fand, man tue des Guten zuviel und das Leben in Rom sei noch nie so unbehaglich gewesen.

Das Entsetzen über das Ausmaß der Zerstörung, der Schrecken, die ausgestandene Lebensgefahr, all dies ließ die Bürger nicht zur Ruhe kommen. Männer mit Konsulsrang scheuten sich nicht, öffentlich zu erzählen, wie sie aus ihren Häusern gejagt worden waren und wie betrunkene Soldaten, die sich auf den Befehl des Kaisers beriefen, die Gebäude in Brand gesteckt hatten, bevor noch das Feuer in die Nähe gekommen war.

Andere wußten zu berichten, daß die Christen ihre Freude offen gezeigt und während des Brandes Dankhymnen gesungen hätten. Das gewöhnliche Volk unterschied nicht zwischen Christen und Juden. Man machte einander darauf aufmerksam, daß der jüdische Stadtteil jenseits des Tibers sowie gewisse andere von Juden bewohnte Bezirke in der Stadt selbst vom Feuer verschont worden waren.

Die Absonderung der Juden, ihre zehn selbständigen Synagogen und die eigene Gerichtsbarkeit, die der Rat der Juden ausübte, hatten das Volk schon immer gereizt. Die Juden duldeten ja nicht einmal das Bild des Kaisers in ihren Bethäusern, und über ihre Zauberkünste gingen zahllose Gerüchte um.

Wenn man auch in der ganzen Stadt, offen und versteckt, Nero als den Urheber des Brandes beschuldigte, so sah man doch ein, daß er als Kaiser nicht bestraft werden konnte. Es bereitete den Menschen eine gewisse Genugtuung, ihn anzuklagen, aber das Unglück, das Rom getroffen hatte, war so groß, daß es irgendeine Art von Sühne forderte.

Die vornehmen, uralten Familien, die ihre kostbaren Erinnerungsstücke an vergangene Zeiten und sogar die Wachsmasken ihrer Toten verloren hatten, klagten Nero mit der größten Erbitterung an. Auf ihre Seite schlugen sich alle reichen Emporkömmlinge, die ihr Vermögen durch Steuern zu verlieren fürchteten. Das Volk selbst sah nur, wie schnell seine Not gelindert worden war. Es brauchte ja für die Hilfe nichts zu bezahlen. Nach alter Sitte betrachtete es den Kaiser, der auch Volkstribun auf Lebenszeit war, als den Beschützer seiner Rechte gegenüber den Vornehmen und seine Person als unverletzlich. Daher empfand es nichts als Schadenfreude, als die Reichen ihre Grundstücke an den Kaiser abtreten und sich eine empfindliche Einschränkung ihrer Vorrechte gefallen lassen mußten. Die Sonderstellung der Juden dagegen war dem Volk seit eh und je ein Dorn im Auge gewesen.

Man behauptete, die Juden hätten den Brand vorausgesagt, und erinnerte sich gern daran, daß Claudius sie seinerzeit aus Rom vertrieben hatte. Es dauerte nicht lange, bis man zuerst andeutete und dann offen aussprach, die Juden und niemand anders hätten den Brand gelegt, damit sich ihre eigene Voraussage erfüllte und sie ihren Nutzen aus der Not des Volkes ziehen konnten.

Das waren gefährliche Behauptungen, und mehrere angesehene Juden wandten sich daher an Poppaea, um ihr – und durch ihre Vermittlung Nero – zu erklären, wie groß der Unterschied zwischen Juden und Christen sei. Sie hatten einen schweren Stand, denn Jesus von Nazareth war unleugbar Jude gewesen, und die Lehre, daß er der Christus sei, entstammte den Vorstellungen der Juden. Und wenn auch die Mehrheit der Christen in Rom nicht beschnitten war, so waren doch ihre Führer noch immer Juden, die sich von den Rechtgläubigen abgesondert hatten.

Poppaea hielt sich für eine gottesfürchtige Frau, sie verehrte den Tempel in Jerusalem und glaubte an Abraham und Moses. Über den Messias, der in den heiligen Schriften vorausgesagt wurde, hatten die Juden jedoch vorsichtshalber kaum mit ihr gesprochen. Daher vermochte sie nun ihren Erklärungen nicht zu folgen und ließ sogar mich in ihre Gemächer auf dem Esquilin rufen, damit ich ihr verständlich machte, was die Juden eigentlich wollten.

»Sie wollen, daß du ihre Glaubenszwiste schlichtest«, sagte ich im Scherz. Aber die Juden ereiferten sich.

»Mit diesen Dingen scherzt man nicht!« riefen sie. »Der Gesalbte der Christen ist nicht der Messias der Juden. Verflucht sei, wer ihn als den Christus anerkennt! Von ihm sagen wir uns los, sei er beschnitten oder unbeschnitten. Die Christen waren es, die den Tag des Gerichts voraussagten und während des Brandet Dankhymnen sangen. Ihr Verbrechen ist nicht das unsere.«

»Die Christen sind keine Verbrecher«, fiel ich ihnen rasch ins Wort. »Sie sind demütige und vielleicht ein wenig einfältige Menschen, dümmer jedenfalls als ihr. Und glauben die Juden etwa nicht an das Jüngste Gericht und das Tausendjährige Reich?«

Die Juden betrachteten mich finster, berieten eine Weile unter sich und sagten dann: »Über solche Dinge sprechen wir nicht mit Hunden. Wir wollen nur versichern, daß die Schuld der Christen nicht uns Juden anhaftet.«

Ich fühlte, daß das Gespräch, so wie es nun verlief, schlimme Folgen haben konnte, und sagte daher: »Ich sehe deinen bekümmerten Augen an, daß dein Kopf zu schmerzen beginnt, Poppaea, und will darum kurz zusammenfassen, worum es geht: Die Juden wollen mit den Christen nichts zu schaffen haben. Sie betrachten sich selbst als Fromme. Von den Christen glauben sie nur das Schlechteste, von sich selbst nur Gutes. Das ist alles.«

Als ich die haßerfüllten Blicke der Juden bemerkte, fuhr ich fort: »Es mag sein, daß sich unter den Christen ehemalige Verbrecher und Übeltäter finden, die sich gebessert haben und denen ihre Sünden vergeben wurden. Ihr König soll zu den Sündern gekommen sein, nicht zu den Frommen. Im allgemeinen aber sind die Christen sanftmütig und friedfertig. Sie speisen die Armen, helfen den Witwen und trösten die Gefangenen. Ich weiß über sie nichts Böses zu sagen.«

Poppaea fragte neugierig: »Von was für einer Schuld sprechen sie? Es ist in all dem etwas Dunkles, das ich nicht begreife.«

Ich erklärte ihr spöttisch: »Du hast gewiß gehört, was für unsinnige Gerüchte über die Ursache des großen Unglücks verbreitet werden. Ich glaube, die Juden wollen auf Umwegen zu verstehen geben, daß nicht sie es waren, die Rom anzündeten, und daß diese Behauptung ebenso vernunftwidrig sei, wie wenn man den Kaiser selbst anklagte.«

Ich hätte mir meinen Spott sparen können. Poppaea fürchtete die Zauberkünste der Juden zu sehr. Ihr Gesicht erhellte sich, und sie rief: »Jetzt verstehe ich! Geht in Frieden eures Wegs, ihr heiligen Männer! Ich werde nicht zulassen, daß man Böses von euch denkt. Ihr habt gut daran getan, mir zu sagen, daß ihr die Christen nicht als Juden anerkennt.«

Die Juden segneten sie im Namen eines Gottes, den sie Halleluja nannten, und entfernten sich. Als sie gegangen waren, sagte ich: »Du weißt sicherlich, daß die Juden die Christen nur aus Eifersucht hassen. Die Christen haben viele, die ehedem den Gott der Juden verehrten, zu ihrem Glauben bekehrt, und dadurch sind sowohl den Synagogen als auch dem Tempel zu Jerusalem viele Geschenke verlorengegangen.«

Poppaea antwortete mir jedoch: »Wenn die Juden Grund haben, die Christen zu hassen, dann sind die Christen gewiß gefährlich. Du sagtest selbst, daß sie Verbrecher und Übeltäter sind.«

Sie wollte keine Erklärungen mehr hören, die in ihrem reizenden Köpfchen ohnehin keinen Platz fanden, und ich glaube, sie ging geradewegs zu Nero, um ihm zu berichten, daß die Christen, die allesamt Verbrecher seien, Rom angezündet hätten.

Nero hörte es gern und befahl Tigellinus unverzüglich, zu untersuchen, wie man die Anklage begründen könne. Die Juden sollten jedoch aus dem Spiel gelassen werden, da ihr Glaube nur einige scheinbare Ähnlichkeiten mit der gefährlichen Lehre der Christen aufweise.

Eine solche Untersuchung wäre eigentlich Sache des Stadtpräfekten gewesen, aber Nero verließ sich mehr auf Tigellinus. Außerdem stammte ja die Lehre der Christen aus dem Osten, und die meisten ihrer Anhänger waren aus dem Osten eingewanderte Ausländer. Tigellinus war es einerlei, was die einen oder anderen glaubten. Er führte nur einen Befehl aus und hielt sich bei seinen Nachforschungen an das, was ihm der gemeinste Pöbel Roms einflüsterte.

Er hatte leichtes Spiel. Seine Handlanger suchten an einem einzigen Nachmittag mehrere Dutzend Verdächtige auf, die sich bereitwillig zu Christus bekannten und sich verwunderten, als sie auf der Stelle festgenommen und in die Kellergewölbe des Prätoriums gebracht wurden. Dort verhörte man sie streng, ob sie im letzten Sommer Rom angezündet hätten. Sie verneinten es mit aller Bestimmtheit. Darauf fragte man sie, ob ihnen noch andere Christen bekannt seien. Sie gaben in aller Unschuld alle Namen an, an die sie sich zu erinnern vermochten. Die Soldaten brauchten die genannten Männer und Frauen nur in ihren Häusern zu verhaften, und die Christen folgten ihnen ohne Einwände.

Bei Einbruch der Nacht hatte man schon an die tausend Christen beisammen, die zumeist aus den untersten Schichten des Volkes stammten. Die Soldaten berichteten, sie brauchten sich nur irgendwo unter die Menge zu mischen und zu fragen, ob Christen anwesend seien, und schon meldeten sich diese Wahnsinnigen freiwillig, um sich verhaften zu lassen.

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