Ich habe mich oft für die Christen, die beschnittenen wie die unbeschnittenen, heiser geredet, um zu beweisen, daß sie politisch harmlos sind. Doch man kann das einem Römer mit juristischer Bildung und Erfahrenheit im Amt nicht begreiflich machen. Er schüttelt nur den Kopf und verdächtigt die Christen nach wie vor aller möglichen politischen Umtriebe.

Es gelang mir zu meinem Kummer nicht, Paulus zu retten, denn seine Ruhelosigkeit zwang ihn, unaufhörlich von einem Land ins andere zu reisen. Die letzte Auskunft über ihn erhielt ich von einem meiner Ölaufkäufer in Emporiae, einer blühenden Stadt an der Nordostküste Iberiens, deren Hafen allerdings immer mehr versandet. Dort wurde Paulus von den rechtgläubigen Juden verjagt. Meinem Gewährsmann zufolge kam er jedoch einigermaßen mit heiler Haut davon.

In Iberien wie anderswo mußte er sich damit begnügen, seine Lehre in den Küstenstädten zu verkünden, die einst von Griechen gegründet wurden und in denen in der Hauptsache noch Griechisch gesprochen wird, wenngleich natürlich Gesetze und Erlässe in lateinischer Sprache in Kupfertafeln eingeritzt werden. Es gibt viele große Städte dieser Art an der iberischen Küste, so daß es Paulus an Reisezielen nie mangelte. Der Ölhändler meinte, er sei dann südwärts nach Malaca gesegelt, um von dort aus das westliche Iberien zu erreichen, denn er war noch so ruhelos wie eh und je.

Es ist daher seine eigene Schuld, daß meine Warnung ihn nicht erreichte. Man fing ihn schließlich in Troas im asiatischen Bitynien, und seine Verhaftung erfolgte so plötzlich, daß seine Schriften, seine Bücher und sein Reisemantel in seiner Herberge liegenblieben. Er hatte nach Asia reisen müssen, um die von ihm Bekehrten im Glauben zu stärken, denn sie wurden, zumindest seiner Ansicht nach, von miteinander wetteifernden Wanderpredigern zu allerlei Irrlehren verleitet. Jedenfalls nannte er so manchen einen Lügenpropheten, der wie er selbst um Christi willen Not und Entbehrungen litt und sein Leben aufs Spiel setzte, wenngleich diese Männer vielleicht nicht so tief in die göttlichen Geheimnisse Einblick hatten wie er.

Als in Rom die Nachricht eintraf, daß der Aufenthaltsort des Paulus verraten worden war, wurde augenblicklich auch das Versteck des Kephas verraten. Das glaubten die heißblütigen Anhänger des Paulus ihrem Lehrer schuldig zu sein. Kephas hatte meine Warnung rechtzeitig erhalten und sich auf den Weg nach Puteoli gemacht. Beim vierten Meilenstein auf der Via Appia war er jedoch wieder umgekehrt. Als Grund gab er an, Jesus von Nazareth habe sich ihm in seiner ganzen Herrlichkeit offenbart. Jesus hatte ihn gefragt: »Wohin gehst du, mein Fels?« Darauf hatte Kephas verlegen geantwortet, er fliehe aus Rom. Da hatte der Nazarener betrübt gesagt: »So will ich selbst nach Rom gehen, um zum zweiten Male gekreuzigt zu werden.«

Kephas schämte sich und kehrte demütig nach Rom zurück, gewiß auch glücklich darüber, daß er seinen Meister noch einmal hatte sehen dürfen. Kephas war in seiner Einfachheit der erste von allen Jüngern gewesen, der in Jesus von Nazareth Gottes Sohn erkannt hatte. Deshalb hatte ihn sein Lehrer so liebgewonnen und ihn den Ersten unter seinen Jüngern genannt – nicht seiner Körperkräfte und seines Feuergeistes wegen, wie viele noch immer glauben.

Ich berichte, was ich gehört habe, und die Geschichte wird auch anders erzählt. Das Wesentliche scheint mir jedoch zu sein, daß Kephas auf der Via Appia ein Gesicht oder eine Offenbarung irgendwelcher Art hatte. Das machte es ihm möglich, sich zuletzt doch noch mit Paulus auszusöhnen, ehe sie beide starben. Paulus hatte ja Jesus von Nazareth nie in Fleisch und Blut gesehen. Auf seine Offenbarung anspielend, hatte Kephas eines Tages, von Neid ergriffen, gesagt, er brauche nicht zu erfundenen Geschichten Zuflucht zu nehmen, denn er habe Jesus von Nazareth gekannt, als er noch auf Erden lebte. Diese Worte fielen, als die beiden einander noch voll Eifer zu überbieten trachteten. Nun aber, nachdem er selbst eine echte Offenbarung erlebt hatte, schämte sich Kephas seiner Anschuldigungen und bat Paulus um Verzeihung.

Es tat mir leid um diesen einfachen Fischer, der nach mehr als zehn Jahren in Rom weder die lateinische noch die griechische Sprache erlernt hatte, so daß er ohne Dolmetsch hilflos und verloren war. Es gab deshalb übrigens auch viele Mißverständnisse, und man behauptete sogar, er zitiere falsch oder zumindest sehr ungenau aus den heiligen Schriften der Juden, um zu beweisen, daß Jesus von Nazareth der wahre Messias oder Christus sei. Als wäre das für die, welche an ihn glaubten, so wichtig gewesen! Die Judenchristen haben jedoch die unausrottbare Gewohnheit, ständig mit ihrer Gelehrsamkeit zu prunken, um Wörter und ihre Bedeutung zu streiten und sich in allem auf die heiligen Schriften zu berufen.

Das wäre Grund genug, diese nach und nach ins Lateinische übersetzen zu lassen, damit sie eine endgültige, eindeutige Form erhalten. Dazu eignet sich nämlich unsere Sprache vorzüglich. Man brauchte sich dann endlich nicht mehr über den richtigen Inhalt der Worte zu streiten, wovon man nur Kopfschmerzen bekommt.


Doch ich will meinen Bericht fortsetzen. Von denen, die sozusagen den inneren Kreis der Anhänger Christi bildeten, gelang es mir nur, einen gewissen Johannes zu retten, der während der Judenverfolgungen nach Ephesus geflohen war. Ich bin selbst nie mit ihm zusammengetroffen, aber er soll ein milder, sanftmütiger Mann sein, der sich damit die Zeit vertreibt, seine Erinnerungen niederzuschreiben und die Christen miteinander zu versöhnen. Mein Vater mochte ihn gern. Auch er wurde in dieser Zeit des Hasses und des Verrats angezeigt, aber der Prokonsul in Asia war zufällig ein Freund von mir und begnügte sich damit, ihn auf eine Insel im Meer zu verbannen.

Ich wunderte mich sehr, als ich hörte, daß er dort einige merkwürdige, recht wilde Offenbarungen hatte und aufzeichnete, aber er soll sich wieder beruhigt haben, nachdem man ihm erlaubte, nach Ephesus zurückzukehren.

Uns Mitglieder des Ausschusses für orientalische Angelegenheiten strafte Nero nur dadurch, dal? er uns nach Rom zurückschickte, wo wir darauf zu achten hatten, daß es zu keinem bewaffneten Aufruhr von seiten der Juden kam. Er meinte spöttisch, dieser Aufgabe wären wir hoffentlich gewachsen, nachdem wir in allen anderen Dingen nur unsere völlige Unfähigkeit bewiesen hätten. Auflösen konnte er den Ausschuß nicht, denn das wäre Sache des Senats gewesen. Der Senat nahm ihm zuliebe jedoch einige Umbesetzungen vor, obwohl es schwer war, neue Männer zu finden, die gewillt waren, ihre Zeit für diese unangenehme Verpflichtung zu opfern.

Ich war schon wieder in Rom, als Nero Achaia zu einem freien Reich ausrief und Griechenland seine frühere Selbständigkeit zurückgab. An den politischen Verhältnissen änderte sich deshalb nichts, das wußte ich, seit ich in meiner Jugend in Korinth als Kriegstribun gedient hatte. Die Griechen durften fortan lediglich selbst einen Statthalter wählen, selbst für ihr Kriegsheer aufkommen und selbst ihren Kanal graben. Trotzdem jubelten diese kurzsichtigen Menschen über Neros großzügige Geste.

Ich bemerkte sehr wohl, daß Nero in seinem Erlaß den Senat mit keinem Wort erwähnte, sondern eindeutig zu erkennen gab, daß Nero und nur Nero eine solche Freiheitserklärung ausfertigen konnte. Wir waren gewarnt von dem Tage an, da wir mit unseren eigenen Ohren hatten hören müssen, wie Nero beim Beginn des Kanalbaus der Hoffnung Ausdruck gab, dieses große Vorhaben werde Achaia und dem Volk von Rom zum Vorteil gereichen. Dem Volk … Den Senat erwähnte er nicht, wie es sich bei einer öffentlichen Rede eigentlich gehört hätte. Der richtige Ausdruck lautet: »Senat und Volk von Rom.« Und dabei bleibt es, was immer auch geschehen mag.

Es war nach alledem nicht verwunderlich, daß ich das Gefühl hatte, Orcus lenke meine Schritte und Charon blase mir seinen kalten Atem ins Genick, als ich die Juden zu ihrem Sterben begleitete. Das gleiche unbehagliche Gefühl hatte so mancher andere Senator, obgleich wir freilich aus Gründen der Sicherheit nie darüber sprachen. Wer durfte sich denn noch auf einen anderen verlassen, sich einem andern anvertrauen! Es gab sogar einen, der vorsichtshalber immer eine Million Sesterze in Gold auf einem Karren mit sich führte, wenn er eine kleine Reise antrat.

Nero erlaubte uns nicht einmal, ihn in Neapolis abzuholen. Dort wollte er nämlich seinen Siegeszug nach Rom antreten, weil er im Theater in Neapolis zum erstenmal öffentlich gesungen hatte. Seine Rückkehr sollte jedoch kein Triumph im eigentlichen Sinne sein. Er hatte sich eine Art künstlerischen Triumphzug ausgedacht, um dem Volk sein Vergnügen und einige freie Tage zu bieten. In politischer Hinsicht war das an sich nicht unklug, da der Feldzug im Osten im Sande Verlaufen war, aber wir fanden es unerhört, daß wir auf seinen Befehl einen Teil der Stadtmauer niederreißen lassen mußten, um Platz für den Siegeszug zu schaffen. Eine solche Ehre war noch keinem Sieger erwiesen worden, nicht einmal Augustus. Wir waren allgemein der Ansicht, daß Nero allmählich wie ein orientalischer Gewaltherrscher aufzutreten begann. So etwas wird in Rom nicht geduldet, da mag ein gewisser ungewaschener Lümmel noch so viel unverschämtes Zeug über die Verderbtheit unserer Sitten zusammendichten.

Nicht nur wir, sondern auch das Volk, worunter ich alle rechtdenkenden Bürger verstehe, schüttelten den Kopf, als Nero auf dem heiligen Triumphwagen des Augustus durch die Mauerbresche und quer durch die Stadt fuhr, hinter ihm wagenweise Siegeskränze und an Stelle von Soldaten eine Ehrenwache von Schauspielern, Spielleuten, Sängern und Tänzern. Anstatt Schlachtenbilder zu zeigen, hatte er griechische Künstler große Tücher bemalen und Figurengruppen meißeln lassen, die seine Siege in den Sängerwettstreiten darstellten. Er selbst war in einen purpurnen Mantel mit goldenen Sternen gekleidet, und auf dem Haupt trug er einen doppelten olympischen Kranz aus Olivenblättern.

Gleichwohl muß zu seiner Ehre gesagt werden, daß er, wie alle Triumphatoren vor ihm, nach altem Brauch demütig auf den Knien die steile Treppe auf den Kapitolinischen Hügel hinaufkroch und daß er seine wertvollsten Siegeskränze nicht nur Jupiter Custos, sondern auch anderen wichtigen Göttern Roms weihte, Juno und Venus nicht ausgenommen. Die übrigen Kränze reichten noch immer, um alle Wände im Empfangssaal und im runden Speisesaal des Goldenen Hauses zu bedecken.

Dennoch verlief Neros Heimkehr nicht ganz so angenehm, wie ein Außenstehender sich das vorstellen mochte. Statilia Messalina war zwar eine verwöhnte, willensschwache Frau, aber immerhin eine Frau, und sie konnte es nicht stillschweigend hinnehmen, daß Nero Sporus die gleichen ehelichen Rechte einräumen wollte wie ihr, so daß er hernach ganz der Laune des Augenblicks folgend das Ehebett hätte wechseln können. Es kam deshalb zu einem Familienstreit, der durch die Dienerschaft weit über die Grenzen des Palastes hinaus bekannt wurde. Nero hielt sich das Schicksal Poppaeas vor Augen und wagte es nicht, seine Gattin zu treten. Das machte sich Statilia zunutze. Nach einiger Zeit verlangte Nero zornig seine Siegeskränze von Juno zurück. Viel mehr konnte er nicht tun, außer daß er zuletzt Statilia nach Antium verbannte. Gerade das aber war ihr Glück.

Statilia Messalina lebt noch heute und trauert um Nero. Wie es sich für eine Witwe geziemt, erinnert sie sich nur an seine guten Seiten. Oft schmückt sie das bescheidene Mausoleum der Domitier, das vom Pincius aus sehr gut zu sehen ist, mit Blumen. Es liegt unweit der Gärten des Lukull, wo ich in meiner Jugend mit Nero und Agrippina zusammen die Kirschbäume blühen sah.

Es heißt, im Grabgewölbe der Domitier ruhen die Gebeine Neros. In den östlichen Provinzen aber hat es wegen Nero viel Streit und Unruhe gegeben, denn dort wollen die Leute nicht glauben, daß er tot ist. Sie hoffen vielmehr, er werde zurückkehren, und gedenken seiner Regierung als einer glücklichen Zeit, was man ihnen in Anbetracht der Steuern, die wir heutzutage zahlen müssen, und der Habgier des Staates nicht verargen kann.

Ab und zu taucht im Osten irgendein entsprungener Sklave auf und gibt sich als Nero aus. Die Parther unterstützen solche Versuche, Unruhe zu stiften, gern. Wir haben bereits zwei falsche Neros kreuzigen lassen. Um das Volk zu beruhigen, gab man ihnen vorher Gelegenheit, ihre Echtheit zu beweisen, indem sie sangen, aber keiner konnte singen wie Nero. Wie dem auch sei, Statilia Messalina gedenkt seiner durch Blumen und schmückt sein Grab. Wenn es sein Grab ist.


Ich habe mich wieder einmal mit diesem und jenem aufgehalten, um nicht von der einen Sache sprechen zu müssen, an die ich nur voll Kummer zurückdenke. Dank Neros Triumph und seinen übrigen politischen Pflichten gelang es mir, die Hinrichtungen erstaunlich lange hinauszuschieben. Schließlich aber kam der Tag, da wir die längst gefällten Todesurteile Nero zur Bestätigung vorlegen mußten. Hätte ich noch weitere Ausflüchte gesucht, so wäre ich wohl, nicht zuletzt von meinen Amtsbrüdern, selbst als Judenfreund verdächtigt worden.

Um unseren Ruf reinzuwaschen, hatten wir im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten gründliche Arbeit geleistet, um uns ein zuverlässiges Bild von den wirklichen Verhältnissen innerhalb der jüdischen Kolonie Roms zu verschaffen und zu beurteilen, wieweit sie nach dem Aufstand der Juden in Jerusalem eine Gefahr für den Staat darstellte. Es war für einige von uns eine sehr lohnende Tätigkeit, und zuletzt konnten wir dem Senat und Nero mit gutem Gewissen einen beruhigenden Bericht vorlegen.

Wir setzten es im Senat mit knapper Stimmenmehrheit durch, daß von einer Judenverfolgung im eigentlichen Sinne Abstand genommen wurde und man sich damit begnügte, verdächtige Elemente und Aufwiegler auszusondern. Unser Vorschlag gründete sich auf gesunde Vernunft und wurde trotz dem Judenhaß, den der Aufstand in Jerusalem erweckt hatte, angenommen. Ich muß allerdings gestehen, daß ich recht tief in die Tasche griff, um die Angelegenheit in diesem Sinne zu regeln, weil Claudia so viele Freunde unter den Judenchristen hatte. Der schiefnasige Aquila und die mutige Prisca, um nur zwei Beispiele zu nennen, hätten bei einer großen Säuberung bestimmt daran glauben müssen. Aber ich bin ja ein Unmensch, ein Geizkragen, der aus allem seinen Vorteil zu schlagen versteht und für den Dein bester Freund Juvenal nicht ein gutes Wort übrig hat. Ich kann mir denken, was meine Freunde ihm für die Abschriften von seinem Gedicht bezahlen. Schadenfreude ist die schönste Freude. Wir beide. Du und ich, wollen uns wenigstens darüber freuen, daß Dein bärtiger Freund dank mir seine Schulden loswird, ohne daß es mich ein einziges Kupferstück kostet.

Wenn ich so habgierig wäre, wie er behauptet, müßte ich ihm das verfluchte Spottgedicht abkaufen und meinen eigenen Verlag den Gewinn einstreichen lassen. Ich bin aber nicht wie Vespasian, der sogar das Wasser besteuert, das man abschlägt. Wir sprachen einmal über Begräbnisse mit ihm. Da fragte er uns, wieviel unserer Meinung nach sein Begräbnis einst die Staatskasse kosten werde. Wir rechneten aus, daß die Festlichkeiten mindestens zehn Millionen Sesterze verschlingen würden. Das war keine Schmeichelei, sondern wir konnten es ihm mit eindeutigen Zahlen beweisen. Vespasian seufzte schwer und bat bekümmert: »Gebt mir lieber gleich hunderttausend, dann dürft ihr meine Asche in den Tiber schütten.«

Natürlich blieb uns wieder einmal nichts anderes übrig, als in seinem altmodischen Strohhut hunderttausend Sesterze zu sammeln, wodurch uns dieses Mahl teuer zu stehen kam. Das Essen war noch dazu herzlich schlecht. Vespasian liebt einfache Sitten und seinen eigenen frischen Landwein. Dagegen wäre nichts zu sagen, aber ich habe um meiner Stellung willen mehr als einmal sein Amphitheater befürworten müssen. Das soll ja nun das achte Weltwunder werden, und Neros Goldenes Haus nimmt sich daneben wie die Spielerei eines verwöhnten Knaben aus.

Ich bin schon wieder abgeschweift, doch nun will ich zur Sache kommen. Es ist, wie wenn man sich einen Zahn ziehen läßt. Nur Mut, Minutus, und nicht lang gezaudert! Mich trifft übrigens keine Schuld. Ich habe für sie getan, was in meiner Macht stand. Mehr kann kein Mensch tun. Keine Macht der Welt konnte Kephas und Paulus das Leben retten. Kephas kehrte selbst nach Rom zurück, obwohl er sich während der schlimmsten Zeit hätte verstecken können.

Ich weiß, daß heute alle seinen lateinischen Namen anwenden und ihn Petrus nennen. Mir aber ist sein alter Name lieb, und für mich heißt er Kephas. Petrus ist eine Übersetzung von Kephas, was »Fels« bedeutet. Jesus von Nazareth gab ihm diesen Namen. Warum, weiß ich nicht. Kephas war seiner Gemütsart nach kein Fels. Er war heftig und aufbrausend und konnte manchmal sehr feige sein, ja er hat sogar einmal geleugnet, Jesus von Nazareth zu kennen, damals, in dessen letzter Nacht, und in Antiochia ist er alles andere denn mutig vor dem Boten Jacobs aufgetreten, der es als einen Verstoß gegen das jüdische Gesetz betrachtete, daß er mit Unbeschnittenen zusammen aß. Und doch, oder, wer weiß, vielleicht gerade deshalb, war Kephas ein Mensch, den man nicht vergessen kann.

Von Paulus sagt man heute, er habe sich nach Sergius Paulus, dem Statthalter auf Zypern, so genannt, weil dieser von allen, die er bekehrte, der vornehmste war. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Paulus legte seinen ursprünglichen Namen Saulus ab, bevor er mit Sergius zusammentraf, und nannte sich nur deshalb Paulus, weil das, ebenso wie mein eigener Name Minutus, der Unbedeutende, Geringe, Wertlose bedeutet.

Mein Vater hatte, als er mir diesen verächtlichen Namen gab, nicht geahnt, daß er mich zum Namensvetter des Paulus machte. Aber Schande über den, dem ein Name schadet. Vielleicht ist ein wenig auch mein Name daran schuld, daß ich diese Erinnerungen niederzuschreiben begann, um zu beweisen, daß ich in Wirklichkeit nicht so unbedeutend bin, wie man meinen möchte. Der hauptsächliche Grund ist freilich der, daß ich hier in diesem Kurort, wo ich Mineralwasser trinke und die Ärzte meinen kranken Leib pflegen, anfangs meinen Betätigungsdrang nicht anders zu befriedigen wußte. Und dann dachte ich mir auch, daß es Dir vielleicht nützen könnte, ein wenig über Deinen Vater zu wissen, wenn Du einmal meine Asche in dem Grab in Caere eingemauert hast.

Ich sorgte dafür, daß es Kephas und Paulus während ihrer langen Gefangenschaft gutging, und verfügte, daß sie, wenn auch unter Bewachung, miteinander sprechen durften, sooft sie wollten. Als gefährliche Staatsfeinde mußten sie in Tullianum eingesperrt werden, und Tullianum ist kein sehr gesunder Aufenthaltsort, obgleich es eine jahrhundertealte ehrenvolle Tradition hat. Dort wurde Jugurtha erdrosselt, dort wurde dem Vercingetorix der Schädel eingeschlagen, Catilinas Freunde verloren dort ihr Leben, und die kleine Tochter des Sejanus wurde dort vor ihrer Hinrichtung geschändet, damit der Buchstabe des Gesetzes erfüllt wurde, denn wir Römer richten niemals eine Jungfrau hin. Paulus schien einen qualvollen Tod zu fürchten, aber Nero war in diesen Dingen nicht kleinlich und gehässig, obwohl er über den Aufstand der Juden erbittert war und allen jüdischen Aufwieglern die Schuld daran gab. Paulus war römischer Bürger und hatte ein Recht darauf, mit dem Schwert gerichtet zu werden. Dieses Recht hatten nicht einmal seine Richter in Frage gestellt. Kephas dagegen verurteilten wir nach dem Gesetz zur Kreuzigung, obwohl ich für mein Teil einem alten Mann und Freund meines Vaters diesen qualvollen Tod gern erspart hätte.

Ich verschaffte mir Gelegenheit, die beiden an dem frischen Sommermorgen, an dem sie zur Hinrichtung geführt wurden, auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Ich hatte angeordnet, daß keine anderen Juden zur selben Zeit gekreuzigt werden sollten, denn draußen auf der Richtstätte herrschte sonst der Juden wegen stets ein großes Gedränge, und ich wollte, daß Paulus und Kephas allein und mit Würde sterben konnten.

Wo der Weg nach Ostia abzweigt, mußte ich mich entscheiden, wem ich folgen wollte, denn es war bestimmt worden, daß Paulus zu demselben Tor gebracht werden sollte, wo man meinen Vater und Tullia enthauptet hatte. Kephas dagegen sollte als abschreckendes Beispiel durch das jüdische Viertel geführt und dann auf der Richtstätte der Sklaven in der Nähe von Neros Amphitheater gekreuzigt werden.

Paulus hatte seinen Freund, den Arzt Lucas, bei sich, und ich wußte, daß niemand ihn beleidigen würde, denn er war römischer Bürger. Kephas dagegen konnte meinen Schutz brauchen. Ich fürchtete auch für seine Begleiter, Marcus und Linus. Deshalb entschied ich mich für Kephas.

Meine Sorge war zum Glück unbegründet gewesen. Man warf ein paar Erdklumpen nach Kephas, ließ ihn aber sonst in Ruhe. Die Juden waren so weit Juden, daß sie sich trotz ihrem bitteren Haß gegen einen Abtrünnigen damit begnügten, schweigend zuzusehen, wie ein jüdischer Aufwiegler wegen des Aufstandes in Jerusalem zur Kreuzigung geführt wurde. Um den Hals trug Kephas das übliche Schild, auf dem in lateinischer und griechischer Sprache zu lesen stand: »Simon Petrus aus Kapernaum, Galiläer, Feind des Reiches und der Menschheit.«

Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten und zwischen den Gärten dahingingen, begann die Hitze drückend zu werden. Ich sah Schweißperlen über Kephas’ gefurchte Stirn rollen. Da befahl ich, ihm das Kreuz vom Rücken zu nehmen und einem Juden zu tragen zu geben, der uns entgegenkam, wozu die Soldaten das Recht hatten. Kephas selbst bat ich, zu mir in die Sänfte zu steigen, und ich dachte nicht an das Gerede, das mir meine Freundlichkeit einbringen mußte.

Kephas wäre aber nicht Kephas gewesen, wenn er nicht schroff geantwortet hätte, er sei durchaus imstande, das Kreuz auf seinen breiten Schultern zu tragen, und brauche keine Hilfe. Auch wollte er nicht neben mir. sitzen, sondern auf seinem letzten Gang noch einmal den Staub der Straße unter seinen Füßen und die heiße Sonne auf seinem Kopf spüren wie damals vor langer Zeit, als er Jesus von Nazareth über die Straßen Galiläas folgte. Er wollte nicht einmal, daß man den Strick losband, an dem er geführt wurde, sondern behauptete, Jesus von Nazareth habe ihm gerade dies vorausgesagt, und die Prophezeiung müsse erfüllt werden. Gleichwohl stützte er sich müde auf seinen abgenutzten Hirtenstab.

Als wir zur Richtstätte kamen, die in der Sonnenhitze stank, fragte ich Kephas, ob er wünsche, vorher gegeißelt zu werden. Es ist dies eine Barmherzigkeit, die man den Verurteilten vor der Kreuzigung angedeihen läßt, um Wundfieber hervorzurufen und den Tod zu beschleunigen, aber viele Barbaren verstehen es falsch und legen es uns als Grausamkeit aus. Kephas antwortete, er brauche die Geißelung nicht, sondern habe seine eigenen Pläne, aber gleich darauf bereute er seine Worte und sagte, er wolle demütig den Weg zu Ende gehen wie so viele andere Zeugen vor ihm, und auch Jesus von Nazareth sei gegeißelt worden.

Er schien es jedoch nicht eilig zu haben. Ich sah den Schimmer eines Lächelns in seinen Augen, als er sich an seine Begleiter Marcus und Linus wandte und sagte: »Hört mich an, ihr beiden. Hör mich an, Marcus, obgleich ich dir dies schon unzählige Male gesagt habe. Hör auch du mich an, Minutus, wenn du magst. Jesus sagte: ›Das Reich Gottes ist so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same geht auf und wächst, er aber weiß nicht, wie. Denn die Erde bringt von selbst zuerst das Gras, danach die Ähren, danach den vollen Weizen in den Ähren. Wenn aber die Saat reif ist, schickt er die Sichel, denn die Ernte ist da.‹«

Er schüttelte ungläubig den Kopf, Tränen der Freude tanzten ihm in den Augen, er lachte und rief: »Und ich einfältiger Mensch habe nichts begriffen, obgleich ich seine Worte immerzu wiederholt habe. Jetzt erst verstehe ich. Die Saat ist reif, und die Sichel ist da.«

Mit einem Blick auf mich segnete er sodann Linus, reichte ihm seinen abgenutzten Stab und sagte: »Hüte meine Schafe.« Es war, als hätte er gewollt, daß ich dies sähe und bezeugte. Dann erst wandte er sich demütig den Soldaten zu.

Die Soldaten banden ihn an einen Pfahl und begannen ihn zu geißeln. Trotz seinen Körperkräften vermochte er ein schweres Stöhnen nicht zu unterdrücken. Bei dem Klatschen der Geißelhiebe und dem Stöhnen erwachte einer der am vorangegangenen Tag gekreuzigten Juden aus seinen Todeszuckungen, schlug die fieberglänzenden Augen auf, daß die Fliegen aufschwärmten, und erkannte Kephas. Und noch am Kreuz konnte es dieser zählebige, echte Jude nicht unterlassen, über Jesus von Nazareth und seine Behauptung, er sei der Christus, zu spotten. Er forderte Kephas mit Zitaten aus den heiligen Schriften der Juden zu einem Streitgespräch heraus, aber danach verspürte Kephas kein Verlangen mehr.

Er sagte nach der Geißelung den Soldaten, man solle ihn mit dem Kopf nach unten ans Kreuz schlagen, denn er sei nicht würdig, mit dem Kopf gen Himmel gekreuzigt zu werden wie sein Herr Jesus Christus, Gottes Sohn. Ich mußte mein Lächeln in einem Zipfel meines Mantels verbergen.

Bis zu seiner letzten Stunde blieb Kephas der echte, alte Kephas, dessen gesunder Fischerverstand vonnöten war, um das Reich zu errichten. Ich verstand, warum Jesus von Nazareth ihn geliebt hatte, und liebte ihn in dieser Stunde selbst. Die gesunde Vernunft sagt einem ja, daß ein alter Mann unvergleichlich leichter stirbt, wenn er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wird, so daß sich das Blut im Kopfe staut und die Adern sprengt. Barmherzige Ohnmacht rettet ihn dann vor tagelangem Leiden.

Die Soldaten lachten und erfüllten ihm gerne seinen Wunsch, weil sie sofort begriffen, daß sie sich auf diese Weise das lange Wachestehen in der heißen Sonne ersparten. Als Kephas schon am Kreuz hing, tat er den Mund auf und schien etwas singen zu wollen, obgleich er dazu meiner Meinung nach wirklich keine Ursache haben konnte.

Ich fragte Marcus, was Kephas noch zu sagen versuche. Marcus erklärte mir, er singe einen Psalm, in dem Gott seine Getreuen zu grünen Auen und frischen Quellen führt. Zu meiner Freude brauchte Kephas nicht mehr lange auf seine grünen Auen zu warten. Als er das Bewußtsein verloren hatte, blieben wir noch eine Weile bei ihm stehen. Dann bat ich, von dem Gestank und den Fliegen ungeduldig geworden, den Zenturio, seine Pflicht zu tun. Er befahl einem Soldaten, Kephas mit einem scharfkantigen Brett die Schienbeine zu brechen, und stieß ihm selbst das Schwert in die Kehle, indem er scherzend sagte, dies sei eine Schlachtung nach jüdischem Brauch, da das Blut ablaufe, ehe das Leben entfliehe. Es rann viel Blut aus dem alten Mann. Marcus und Linus versprachen, dafür zu sorgen, daß sein Leichnam begraben wurde, und zwar auf einer Begräbnisstätte hinter dem Amphitheater, die heute nicht mehr in Gebrauch ist. Es war nicht weit dorthin. Linus weinte, aber Marcus hatte längst alle seine Tränen geweint und war ein gleichmütiger, zuverlässiger Mann. Er bewahrte seine Fassung, aber seine Augen blickten in eine andere Welt, von der ich nichts sah.

Du wirst dich fragen, warum ich lieber Kephas begleitete als Paulus, denn Paulus war doch römischer Bürger und Kephas nur ein alter jüdischer Fischer. Vielleicht beweist mein Verhalten, daß ich nicht immer nur auf meinen Gewinn sehe. Ich mochte Kephas am liebsten, weil er ein aufrichtiger, einfacher Mann war. Außerdem hätte Claudia nie geduldet, daß ich die beiden auf ihrem letzten Gang im Stich gelassen hätte, und was tue ich nicht um des Hausfriedens willen!

Später bekam ich Streit mit Lucas, denn er verlangte den aramäischen Bericht zu sehen, den ich von meinem Vater geerbt und den ein Zöllner geschrieben hatte. Ich schlug es ihm ab. Lucas hatte zwei Jahre Zeit gehabt, mit Augenzeugen zu sprechen, während Paulus unter dem Prokurator Felix in Caesarea gefangensaß. Ich war nicht der Meinung, daß ich ihm irgend etwas schuldete.

Zudem war Lucas ein recht ungeschickter Arzt, obwohl er in Alexandria studiert hatte. Mein Magenleiden hätte ich ihn nie behandeln lassen. Ich habe ihn im Verdacht, daß er dem Paulus nur wegen dessen Wunderheilungen so eifrig folgte, entweder um selbst diese Kunst zu erlernen, oder weil er seine eigene Unfähigkeit in aller Bescheidenheit einsah. Schreiben konnte er freilich, wenngleich nicht nach der Art gebildeter Griechen, sondern in einem Marktdialekt. Marcus ist mir immer lieb gewesen, aber noch lieber ist mir mit den Jahren Linus geworden, der jünger ist. Ich war ja trotz allem gezwungen, ein wenig Ordnung in die Angelegenheiten der Christen zu bringen, sowohl um ihrer selbst willen als auch um öffentlichen Streit zu verhindern. Kephas hatte seinerzeit eine Einteilung nach Stämmen eingeführt und versucht, die streitenden Parteien miteinander zu versöhnen, aber ein ungebildeter Mann wie er hatte natürlich keine wirklichen politischen Fähigkeiten.

Dem Cletus habe ich dafür, daß er im Prätorianerlager so mutig aufgetreten war, eine juristische Ausbildung bezahlt. Vielleicht gelingt es ihm eines Tages, eine wirkliche Ordnung unter den Christen zu errichten. In diesem Falle würdest Du in ihnen eine Stütze haben. Ich mache mir jedoch keine allzu großen Hoffnungen. Sie sind, was sie sind.


Ich bin wieder ein wenig zu Kräften gekommen, und die Ärzte geben mir neue Hoffnung. Bald werde ich aus diesem nach Schwefel riechenden Kurort, den ich schon nicht mehr sehen mag, nach Rom zurückkehren dürfen. Um meine wichtigsten Geschäfte habe ich mich auch hier gekümmert, ohne daß die Ärzte es wußten, aber nun will ich wieder einmal einen guten Wein schmecken, und nach all dem Fasten und Wassertrinken werde ich mehr Wert denn je zuvor auf die Kunst meiner beiden Köche legen. Deshalb will ich rasch fortfahren. Das Schlimmste habe ich zum Glück hinter mir.

Als ich von den heimlichen Unternehmungen des Julius Vindex, des Proprätors in Gallien, hörte, deutete ich, ohne zu zögern, die Zeichen der Zeit. Ich war schon früher der Ansicht gewesen, daß Piso Erfolg hätte haben können, wenn er nicht in seiner Eitelkeit geglaubt hätte, er brauche die Legionen nicht. Nach dem plötzlichen Tod des Corbulo und des Ostorius erwachten die Befehlshaber der Legionen endlich aus ihrem Schlaf und begriffen, daß weder Kriegsruhm noch bedingungslose Treue imstande waren, einen Mann vor den Launen Neros zu retten. Ich hatte es geahnt, als ich Korinth verließ.

Ich begann nun rasch, mein Eigentum durch meine Bankiers und Freigelassenen verkaufen zu lassen, und sammelte bare Goldmünzen. Selbstverständlich erregten meine großen Verkäufe, deren Ursache so mancher kluge Mann noch nicht erkannte, Aufsehen bei den Sachverständigen. Dagegen hatte ich nichts. Ich verließ mich fest darauf, daß Nero von Geschäften nichts verstand.

Mein Treiben erweckte also eine gewisse Unruhe in Rom. Die Grundstückpreise sanken beträchtlich. Ich verkaufte rücksichtslos sogar einige Landgüter, obwohl das Geld in Grund und Boden am sichersten angelegt ist und sogar Zinsen trägt, wenn das Land von zuverlässigen Freigelassenen bestellt wird. Ich kümmerte mich nicht um das Sinken der Preise. Ich verkaufte weiter und sammelte Bargeld. Ich wußte, daß ich eines Tages alles zurückgewinnen würde, wenn mein Plan gelang. Die Besorgnis, die meine Unternehmungen bei den Geldleuten erweckte, zwang sie, die politische Lage anders einzuschätzen, so daß ich auch auf diese Weise einer guten Sache zum Siege verhalf.

Claudia und Dich schickte ich auf mein Gut bei Caere, und ich beschwor Claudia, mir wenigstens dieses eine Mal Vertrauen zu schenken und dort in Sicherheit zu bleiben, bis ich ihr Botschaft schickte. Dein dritter Geburtstag war nahe, und Deine Mutter war vollauf mit Dir beschäftigt. Du warst kein artiges Kind. Ich war, um es offen zu sagen, Deines ständigen Tollens und Lärmens müde. Sobald ich den Rücken wandte, fielst Du in einen Teich oder schnittest Dich mit irgendeinem scharfen Gegenstand. Auch deshalb begab ich mich gern auf Reisen, um für Deine Zukunft zu sorgen. Claudia verzärtelte Dich so, daß es mir nicht möglich war. Deinen Charakter zu bilden. Ich mußte mich auf das Blutserbe verlassen. Wirkliche Selbstzucht erwächst einem von innen heraus. Sie läßt sich nicht aufzwingen.

Es fiel mir nicht schwer, vom Senat und von Nero die Genehmigung zu erhalten, die Stadt zu verlassen und zu Vespasian zu reisen, um ihm mit meinem Rat zur Seite zu stehen. Im Gegenteil, man lobte den Eifer, mit dem ich dem Besten des Staates zu dienen bereit war. Nero selbst war der Ansicht, es müsse ein zuverlässiger Mann ein Auge auf Vespasian haben und ihn zur Eile antreiben. Er hatte ihn im Verdacht, unnötig lange vor Jerusalems Mauern zu zaudern.

Als Senator hatte ich ein Kriegsschiff zu meiner Verfügung. Viele meiner Amtsbrüder wunderten sich sehr darüber, daß ein Mann, der wie ich die Bequemlichkeit liebte, des Nachts in einer Binsenmatte hängen mochte, von dem schlechten Essen, der Enge und dem Ungeziefer auf dem Schiff ganz zu schweigen.

Ich hatte jedoch meine Gründe, und ich fühlte mich, als meine zwanzig schweren Eisentruhen endlich an Bord waren, so erleichtert, daß ich die erste Nacht in meiner Binsenmatte wie ein Klotz schlief und erst am Morgen von dem Trampeln der Füße an Deck erwachte. Ich hatte drei treue Freigelassene bei mir, die außer der Soldatenwache abwechselnd meine Truhen bewachten.

In Caere hatte ich sogar meine Sklaven bewaffnet, denn ich hatte ihnen viel Gutes getan und durfte ihrer Ergebenheit gewiß sein. Sie enttäuschten mich auch nicht. Othos Soldaten plünderten zwar das Gut und zerschlugen meine Sammlung griechischer Vasen, von deren Wert sie keine Vorstellung hatten, aber sie taten weder Dir noch Claudia etwas zuleide, und das danke ich meinen Sklaven. Es gibt noch genug ungeöffnete Gräber aus alter Zeit in der Erde, und ich kann meine Sammlung noch immer erneuern.

Zum Glück hatten wir gutes Wetter, denn die Herbststürme hatten noch nicht eingesetzt. Ich beschleunigte die Reise so gut es ging, indem ich auf meine Kosten den Rudersklaven zu essen und zu trinken geben ließ, was den Seezenturio reiner Wahnsinn dünkte. Er verließ sich mehr auf die Peitsche und wußte, daß er die Sklaven, die er unterwegs verlor, leicht durch gefangene Juden ersetzen konnte. Ich war andrer Meinung. Ich glaube, man kann sich einen Menschen leichter im Guten gefügig machen als im Bösen. Aber ich bin immer viel zu weichherzig gewesen. Darin bin ich ganz meinem Vater nachgeraten. Erinnere Dich, daß ich Dich nicht ein einziges Mal geschlagen habe, mein widerspenstiger Sohn, obwohl es mich oft wahrhaftig in den Fingern juckte. Doch wie hätte ich einen zukünftigen Kaiser schlagen können!

Zum Zeitvertreib stellte ich während der Seereise viele Fragen über die Flotte. Unter anderem erklärte man mir, warum die Seesoldaten sowohl an Bord als auch an Land barfuß gehen müssen. Ich hatte es bis dahin nicht gewußt, sondern mich nur bisweilen gewundert. Ich dachte, es gehöre irgendwie zur Kunst des Seekriegs.

Jetzt erfuhr ich, daß Kaiser Claudius einst im Amphitheater in Zorn geraten war, als einige Seesoldaten aus Ostia, die einen Sonnenschutz über die Zuschauerbänke spannen mußten, mitten in der Vorstellung plötzlich von ihm forderten, er solle ihnen die Schuhe ersetzen, die sie auf dem Wege abgenutzt hatten. An diesem Tage verbot Claudius das Tragen von Schuhen in der gesamten Flotte, und sein Befehl wird seither treu befolgt. Wir Römer achten die Überlieferung. Ich sprach später mit Vespasian darüber, aber er meinte, es sei das beste, die Seeleute gingen auch weiterhin barfuß. Es habe ihnen bisher nicht geschadet, und nun hätten sie sich auch schon daran gewöhnt. »Die Flotte verschlingt ohnehin schon zuviel Geld«, sagte er. »Warum sollten wir zusätzliche Ausgaben schaffen?« So kommt es, daß die Seezenturionen es noch, immer als eine Ehre betrachten, barfuß zum Dienst an Bord der Schiffe zu gehen, obwohl sie gern weiche Paradestiefel tragen, wenn sie Landurlaub haben.

Ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen, als ich meine kostbaren Truhen, nachdem sie so lange den Gefahren des Meeres ausgesetzt gewesen, einem bekannten Bankier in Caesarea in Verwahrung geben konnte. Die Bankiers müssen sich einer auf den anderen verlassen können, denn sonst wäre es nicht möglich, in großem Maßstab und über weite Strecken Handel zu treiben. Ich vertraute diesem Mann, obwohl ich ihn nicht persönlich, sondern nur aus Briefen kannte. Sein Vater war jedoch einst der Bankier meines Vaters in Alexandria gewesen. Auf diese Weise waren wir sozusagen alte Geschäftsfreunde.

Caesarea war zudem vor Unruhen sicher, denn die griechische Bevölkerung der Stadt hatte die Gelegenheit benutzt, alle Juden, Frauen und Wickelkinder mitgerechnet, zu erschlagen. Die Stadt bot ein durchaus friedliches Bild, wenn man von dem regen Schiffsverkehr und den bewachten Maultierkarawanen absah, die die Legionen vor Jerusalem mit Nachschub versorgten. Joppe und Caesarea waren Vespasians wichtigste Stützhäfen.

Auf dem Wege ins Kriegslager sah ich, wie hoffnungslos die Lage für die noch verbliebene jüdische Bevölkerung war. Auch die Samariter hatten sich eingemischt und reinen Tisch gemacht. Die Legionäre ihrerseits unterschieden nicht zwischen Galiläern und Samaritern oder Juden ganz allgemein gesprochen. Das fruchtbare Galiläa mit seiner Millionenbevölkerung war zum bleibenden Schaden für das Römische Reich verwüstet. Es gehörte allerdings genaugenommen nicht uns, sondern war um alter Freundschaft willen Herodes Agrippa überlassen worden.

Ich kam darauf zu sprechen, sobald ich bei Vespasian und Titus eintraf. Sie empfingen mich sehr herzlich, weil sie neugierig waren, zu hören, was in Gallien und Rom vorging. Vespasian erklärte mir, daß die Legionäre über den zähen Widerstand der Juden erbittert waren und schwere Verluste durch Aufständische erlitten hatten, die die Straßen von den Bergen herunter angriffen. Er war daher gezwungen gewesen, den Befehlshabern weitgehende Vollmachten zu gewähren und ihnen zu gestatten, auf ihre Weise den Frieden im Lande herzustellen. Soeben war eine Strafexpedition zu einem der bewaffneten Stützpunkte der Juden am Toten Meer unterwegs. Pfeile waren von dessen Turm abgeschossen worden, und sicheren Angaben zufolge hatten verwundete Aufständische dort Zuflucht gefunden.

Ich hielt ihnen einen kleinen Vortrag über den Glauben und die Sitten und Gebräuche der Juden und erklärte, daß es sich hier offensichtlich um eines der geschlossenen Häuser der Sekte der Essener handelte, wohin sie sich zur Ausübung ihres Glaubens zurückziehen, weil sie die Tempelsteuer nicht zahlen wollen. Die Essener fliehen die Welt und sind eher Feinde denn Freunde Jerusalems. Es bestand daher kein Grund, sie zu verfolgen.

Sie wurden von den Stillen im Lande unterstützt, die sich nicht mit Leib und Seele dem Glauben verschreiben konnten oder wollten, sondern es vorzogen, bei ihren Familien ihr bescheidenes Dasein zu fristen, ohne jemandem zu schaden. Nahm sich einer dieser Stillen im Lande eines verwundeten Aufständischen an, der bei ihm Schutz suchte, und gab er ihm Speise und Trank, so tat er es, um die Gebote seines Glaubens zu erfüllen, und nicht weil er auf der Seite der Aufrührer stand. Meine Reisebegleiter hatten mir erzählt, daß die Stillen im Lande sogar verwundete römische Legionäre aufgenommen und gepflegt hatten. Daher fand ich, man dürfe sie nicht ohne Ursache töten.

Vespasian brummte, in meinen jungen Jahren in Britannien hätte ich nicht so viel von wirklicher Kriegführung verstanden. Deshalb habe er mich lieber auf eine Vergnügungsreise kreuz und quer durchs ganze Land geschickt und mir mehr aus politischen Gründen, da nämlich mein Vater Senator geworden war, den Kriegstribunenrang verliehen als um meiner eigenen Verdienste willen. Es gelang mir jedoch, ihn davon zu überzeugen, daß es nicht dafürstand, die jüdische Landbevölkerung auszurotten, nur weil sie Verwundete pflegte.

Titus hielt zu mir, denn er war in Berenike, die Schwester des Herodes Agrippa verliebt und daher den Juden gewogen. Berenike lebte zwar, wie es bei den Herodiern Brauch war, in Blutschande mit ihrem Bruder, aber Titus meinte, man müsse eben versuchen, die jüdischen Sitten zu verstehen. Er schien zu hoffen, Berenikes närrische Liebe zu ihrem Bruder werde erkalten, und sie werde ihn in seinem bequemen Zelt besuchen, zumindest nachts, wenn niemand sie sah. In diese Sache mochte ich mich nicht einmischen.

Vespasians geringschätzige Worte über meine Reise in Britannien kränkten mich zutiefst. Deshalb sagte ich, wenn er nichts dagegen habe, wäre ich gern bereit, eine ähnliche Vergnügungsreise in die Stadt Jerusalem zu unternehmen, um mir die Verteidigungswerke der Stadt anzusehen und auszukundschaften, ob es nicht doch die eine oder andere schwache Stelle in der Verteidigungsbereitschaft der Juden gebe.

Es war wichtig zu wissen, wie viele verkleidete parthische Krieger sich in der Stadt befanden und die Schanzarbeiten leiteten. Die Parther hatten in Armenien genug Erfahrungen sammeln können, wie man eine Stadt belagert oder ihre Mauern verteidigt. Jedenfalls befanden sich in Jerusalem parthische Bogenschützen, denn es war nicht ratsam, sich den Mauern auf Schußweite zu nähern, und daß die ungeübten Juden plötzlich eine solche Treffsicherheit mit dem Bogen erlangt hätten, das konnte nicht einmal ich in meiner Unerfahrenheit in militärischen Dingen annehmen.

Mein Vorschlag machte Eindruck auf Vespasian. Er betrachtete mich blinzelnd, fuhr sich mit der Hand über den Mund, lachte laut auf und sagte, er als Oberbefehlshaber könne es nicht verantworten, daß ein römischer Senator sich einer so großen Gefahr aussetzte, sofern ich nicht ohnehin nur gescherzt hätte. Wenn man mich gefangennahm, konnten die Juden ihn erpressen. Kam ich auf schimpfliche Weise ums Leben, so war es eine Schande für ganz Rom und ihn dazu. Nero könnte zudem auf den Einfall kommen, daß er, Vespasian, absichtlich die persönlichen Freunde des Kaisers beseitigen wolle.

Er musterte mich mit einem schlauen Blick, aber ich kannte seine kleinen Finten nun schon zur Genüge und antwortete daher, dem Wohl des Staates müsse die Freundschaft weichen. Im übrigen habe er keinen Grund, mich zu beschimpfen, indem er mich einen Freund Neros nenne. In dieser Hinsicht brauchten wir einander nichts vorzumachen. Das Glück Roms und des Vaterlandes sei unser einziger Leitstern über diesem blutigen Schlachtfeld, wo die Leichen ihren Gestank verbreiteten, die Aasvögel sich mästeten und einige Legionäre wie an der Sonne getrocknete Ledersäcke von den Mauern Jerusalems niederhingen. Ich hob die Stimme in rhetorischer Steigerung, wie ich es von meinen Reden im Senat her gewohnt war. Vespasian schlug mir mit seiner großen Bauernhand freundlich auf die Schulter und versicherte, er zweifle nicht an meinen ehrenhaften Beweggründen und wisse, daß ich ein unerschütterlicher Freund des Vaterlandes sei. Er habe natürlich nicht gemeint, ich würde mich in den Schutz der Mauern Jerusalems schleichen, um den Juden seine militärischen Geheimnisse zu verraten. Nein, für so verrückt halte er mich nicht. Aber auf der Folterbank könne manchmal auch der Stärkste nicht schweigen. Die Juden hätten bewiesen, daß sie sehr geschickte Verhöre zu führen verstanden. Er betrachte es als seine vornehmste Pflicht, mein Leben zu beschützen, da ich mich nun einmal freiwillig unter seinen Schutz gestellt hätte.

Dann machte er mich in aller Freundlichkeit mit seinem Ratgeber Josephus bekannt, einem der Führer des jüdischen Aufstandes, der seine Kameraden verraten hatte, nachdem sie alle gemeinsam beschlossen hatten, Selbstmord zu begehen, um nicht den Römern in die Hände zu fallen. Josephus hatte seine Kameraden sterben lassen und sodann sich selbst ergeben und sein Leben gerettet, indem er Vespasian prophezeite, er werde eines Tages Kaiser sein. Zum Scherz hatte Vespasian ihm goldene Ketten anlegen lassen und versprochen, ihn freizugeben, sobald sich die Prophezeiung erfüllte. Er nahm übrigens später als Freigelassener frech den Namen Flavius Josephus an.

Ich empfand vom ersten Augenblick an nichts als Abscheu und Ekel vor diesem verachtungswürdigen Abtrünnigen und Verräter, und der literarische Ruhm, den er später erlangte, hat an meiner Meinung nichts geändert. Eher im Gegenteil. In seinem einfältigen, weitschweifigen Werk über den Aufstand der Juden überschätzt er meiner Ansicht nach die Bedeutung gewisser Ereignisse, und vor allem sind die endlosen Aufzählungen nebensächlicher Einzelheiten unerträglich langweilig.

Загрузка...