Apollonius von Tyana versuchte übrigens noch vor seiner Abreise, sich zugunsten der Griechen in die inneren Machtkämpfe Alexandrias einzumischen. Als er sich von Vespasian verabschiedete, bevor er sich auf das Boot begab, das ich ihm gekauft hatte, sagte er: »Ich habe aufgehorcht, als ich hörte, daß du in einer Schlacht dreißigtausend und in einer anderen fünfzigtausend Juden vernichtet hast. Schon damals dachte ich: Wer ist dieser Mann? Er könnte zu Besserem taugen! Die Juden haben seit langem nicht nur Rom, sondern die ganze Menschheit verraten. Ein Volk, das sich von allen anderen absondert, das nicht mit anderen essen und trinken will und sich sogar weigert, die herkömmlichen Gebete und Weihrauchopfer zu verrichten, ein solches Volk steht uns ferner als Susa und Baktra. Es wäre besser, wenn nicht ein Jude am Leben bliebe.«
So unduldsam sprach der größte Weise aller Zeiten, weshalb ich ihn gerne auf die Reise schickte und im Innern wünschte, sein Boot möchte sinken oder die Wilden in Nubien möchten ihn auf ihre Bratspieße stecken. Am meisten beunruhigte mich allerdings sein Geschwätz über die Demokratie. Vespasian neigte allzusehr zu gerechtem Denken und hatte mehr das Beste des Volkes im Auge denn seinen eigenen Vorteil als Kaiser.
Apollonius von Tyana besaß ohne Zweifel übernatürliche Kräfte. Wir rechneten uns später aus, daß er wirklich in demselben Augenblick, als es geschah, das Kapitol hatte brennen sehen. Einige Tage danach kroch Domitian aus dem Keller der Jüdin hervor und rief sich frech selbst zum Kaiser aus. Daran war freilich zum Teil der Senat schuld, der von einem Achtzehnjährigen auf dem Kaiserthron größeren Nutzen zu haben glaubte als von Vespasian, der gewohnt war zu befehlen, wenn es not tat. An Vitellius rächte sich Domitian für den Schrecken und die Demütigung, die er hatte ausstehen müssen, indem er dem Volk die Erlaubnis gab, ihn mit dem Kopf nach unten an einer Säule des Forums aufzuhängen und langsam mit kleinen Dolchstichen zu töten. Danach wurde die Leiche an einem eisernen Haken zum Tiber geschleift. Auch aus solchen Gründen darfst Du Dich nie der Willkür des Volkes ausliefern. Liebe Dein Volk, soviel Du willst, mein Sohn, aber halte es in Zucht.
All dies wußten wir jedoch damals in Alexandria noch nicht. Vespasian war hinsichtlich der zu wählenden Regierungsform noch immer im Zweifel, obwohl er zum Kaiser ausgerufen worden war. Die Republik war ihm, wie allen älteren Senatoren, lieb. Wir sprechen oft und gern von ihr, machen aber deshalb keine Dummheiten. Die Verzückung des Apollonius überzeugte ihn nicht, da er bei der langsamen Postverbindung keine Möglichkeit hatte, die Wahrheit seines Gesichts zu überprüfen. Da hielt es die Priesterschaft Alexandrias für gut, ihm seine eigene Göttlichkeit zu bestätigen, so daß endlich die Prophezeiungen wahr wurden, die seit einem Jahrhundert von einem Kaiser gesprochen hatten, der aus dem Osten kommen werde.
Eines heißen Morgens, als Vespasian vor dem Serapistempel zu Gericht saß, wo er, um die Götter Ägyptens zu ehren, sein Richterpodium hatte aufstellen lassen, traten auf den Rat der Priester zwei Kranke vor ihn hin und baten um Heilung. Der eine war blind, der andere lahm. Vespasian mochte nichts unternehmen, denn vor dem Tempel war eine große Menge Volks zusammengeströmt, um den Kaiser zu begaffen, und er wollte nicht in aller Augen zum Gespött werden.
Ich aber hatte plötzlich das Gefühl, all dies schon einmal erlebt zu haben: die Säulen des Tempels, der Richterstuhl, die Volksmenge, ja ich glaubte sogar die beiden Männer zu kennen. Da entsann ich mich des Traums, den ich in meiner Jugend im Lande der Briganter gehabt hatte. Ich erinnerte Vespasian daran und ermahnte ihn, zu tun, was er in meinem Traum getan hatte. Widerstrebend stand er auf und spuckte dem Blinden auf die Augen, worauf er den Lahmen kräftig gegen sein Bein trat. Der Blinde erhielt sein Augenlicht zurück, und das verkürzte Bein des Lahmen genas so rasch, daß wir unseren Augen nicht trauten. Da glaubte Vespasian endlich, daß er zum Kaiser geboren war, obwohl er sich nach diesem Ereignis weder heiliger noch göttlicher fühlte als zuvor oder zumindest alle Gefühle dieser Art verbarg.
Ich weiß gewiß, daß er später nie wieder seine Kräfte an dergleichen Heilungen erprobte. Ich bat ihn einmal, seine göttliche Hand auf meine blutende Darmöffnung zu legen, als er mich, über meinen Zustand bekümmert, auf meinem Sterbebett besuchte. Er weigerte sich mit aller Bestimmtheit und sagte mir, das seltsame Geschehnis in Alexandria habe so an seinen inneren Kräften gezehrt, daß er in der darauffolgenden Nacht ernstlich fürchtete, den Verstand zu verlieren. »Wahnsinnige Kaiser hat Rom genug gehabt«, sagte er, und darin hatte er recht. Einer solchen Gefahr durfte ich Rom Deinetwegen nicht aussetzen, auch um den Preis meiner Gesundheit nicht.
Manch einer, der nur glaubt, was er selbst zu sehen, zu hören und zu riechen vermag – obgleich man den Sinnen des Menschen nicht immer trauen darf –, wird geneigt sein, an meinem Bericht zu zweifeln, da die Zauberkniffe der ägyptischen Priester berühmt sind. Ich kann aber bezeugen, daß die Serapispriester jeden Kranken genau untersuchen, bevor sie zulassen, daß man eine Wunderheilung an ihm versucht. Verstellung und Heilung einer eingebildeten Krankheit hieße nach ihrem Glauben die Götter beleidigen.
Ich weiß außerdem, daß auch Paulus nicht jedem seine Schweißtücher zur Heilung ernsthafter Krankheiten schicken ließ. Einen Mann, der Krankheit heuchelte, hätte er schonungslos aus der Gemeinschaft der Christen ausgestoßen. Ich möchte also aufgrund meiner eigenen Erfahrungen meinen, daß Vespasian wirklich die beiden Kranken heilte. Wie das möglich ist, kann ich freilich nicht erklären. Ich will auch zugeben, daß Vespasian gut daran tut, seine Macht nicht von neuem zu erproben. Diese Wunderheilungen zehren gewißlich entsetzlich an den Kräften.
Von Jesus von Nazareth wird berichtet, er habe es nicht zugelassen, daß einer heimlich auch nur seine Mantelquasten berührte. Er fühlte wohl sogleich, wie ihn die Kräfte verließen. Zwar hat er Kranke geheilt und Tote auferweckt, aber nur auf flehentliche Bitten hin oder aus Mitleid mit den Angehörigen. Im allgemeinen war er nicht darauf erpicht, Wunder zu tun. Er tadelte die, welche sahen und doch nicht glaubten, und pries jene selig, die nicht sahen und doch glaubten. So hat man mir berichtet. Mein eigener Glaube wiegt zwar nicht mehr, als ein Sandkorn wiegen mag, und ich fürchte sehr, ihm wird er nicht genügen, aber ich will zumindest versuchen, ehrlich zu sein und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Weil ich gerade die Zauberkniffe der ägyptischen Priester erwähnte: Da fällt mir ein Grieche in Alexandria ein, der das Erbe seiner Väter und die Mitgift seiner Gattin an wahnwitzige Erfindungen verschwendete und so hartnäckig um Vortritt bei Vespasian bat, daß wir ihn zuletzt empfangen mußten. Er berichtete mit leuchtenden Augen von seinen Erfindungen und pries insbesondere die Kraft des Wasserdampfs, der seiner Meinung nach imstande wäre, die schweren Mühlsteine zu treiben. Vespasian fragte ihn: »Was fangen wir dann aber mit den Sklaven an, die sich damit ihr Brot verdienen, daß sie die Mühlsteine drehen? Versuche einmal auszurechnen, wie viele Arbeitslose da der Staat ernähren müßte.«
Der Mann rechnete rasch im Kopf und gab ehrlich zu, daß er an den Schaden nicht gedacht hatte, den seine Erfindung auf wirtschaftlichem Gebiet anrichten würde. Dann aber erklärte er hoffnungsvoll, daß die Kraft des kochenden Wassers an Bord der Schiffe ausgenutzt werden könne, um die Ruder zu treiben. Es fehle ihm nur am Geld für die nötigen Versuche. Die Schiffe würden nicht mehr so vom Wind abhängen.
Ich hielt es für richtig, mich einzumischen, und erklärte, wie entsetzlich die Feuersgefahr auf den kostbaren Getreideschiffen sein würde – von der Gefahr für die Reisenden ganz zu schweigen –, wenn man an Bord ständig ein Feuer unterhalten müßte, um das Wasser zu erhitzen. Sogar das Kochen ist auf den Schiffen so gefährlich, daß beim geringsten Anzeichen von Sturm die Feuer auf ihren Sandbetten gelöscht werden. Jeder Seemann begnügt sich lieber mit kalten Speisen, als daß er sich der Gefahr einer Feuersbrunst auf See aussetzte.
Vespasian bemerkte dazu, daß die griechischen Dreiruderer die sinnreichste Waffe des Seekriegs seien und für alle Zeiten bleiben würden. Von den Handelsschiffen seien dagegen die karthagischen die besten der Welt, und es bestehe kein Anlaß, irgend etwas an ihnen zu ändern.
Der Erfinder sah bedrückt drein, aber Vespasian ließ ihm eine bedeutende Summe ausbezahlen, damit er von weiteren wahnwitzigen Erfindungen Abstand nehme. Sicherheitshalber bestimmte er, daß das Geld der Gattin des Mannes auszuhändigen sei, so daß dieser nicht darüber verfügen und es für seine unnützen Versuche ausgeben konnte.
Ich für meinen Teil habe oft, wenn ich die sinnreichen Kriegsmaschinen betrachtete, ein wenig wehmütig daran gedacht, wie leicht ein geschickter Techniker Maschinen für beispielsweise den Ackerbau ersinnen könnte, die den Sklaven manch schwere Arbeit und unzählige Tropfen Schweißes ersparen würden. Auch für die Entwässerungskunst, die wir von den Etruskern lernten, wären solche Maschinen von großem Nutzen. Ich denke mir, man könnte auf dem Grunde der Abflußgräben anstelle der Reisigbündel auch Ziegelrohre und Steine verwenden, so wie wir es in den Kloaken tun, die allerdings weit größer sind. Andrerseits sehe ich ein, was für verheerende Wirkung auf wirtschaftlichem Gebiet solche Erfindungen haben würden. Wo sollten die Sklaven hinfort ihr Brot und Öl hernehmen? Die kostenlose Getreideausteilung kommt den Staat schon teuer genug zu stehen, und dann müssen Sklaven arbeiten, so schwer wie möglich arbeiten, sonst kommen sie nur auf dumme Gedanken. Wir haben unsere bitteren Erfahrungen!
Die Priester in Ägypten haben bereits alles erfunden, was man braucht. Sie haben beispielsweise eine Maschine, die Weihwasser versprüht, wenn man die richtige Münze hineinsteckt, und diese Maschine ist sogar imstande, vollgewichtige Münzen von abgefeilten zu unterscheiden, so unglaublich das auch klingen mag. Der verabscheuungswürdige Brauch, Späne von Gold- und Silbermünzen herunterzufeilen, ist nämlich in Alexandria aufgekommen. Macht man es mit Hunderten und Tausenden von Münzen, so lohnte es sich sehr wohl. Wer zuerst auf den Einfall kam, weiß ich nicht. Die Griechen beschuldigen die Juden, und die Juden die Griechen.
Ich erzähle das, um Dir zu zeigen, daß Vespasians Wunderheilung kein Taschenspielertrick war. Gerade aufgrund ihrer eigenen technischen Erfindungen sind die ägyptischen Priester besonders mißtrauisch.
Als Vespasian in jener schlaflosen Nacht erschüttert zu der Überzeugung gekommen war, daß die Götter ihn offenkundig dazu ausersehen hatten, Kaiser zu sein, atmete ich erleichtert auf. Es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn er sich von längst veralteten demokratischen Ideen hätte dazu verleiten lassen, Änderungen am Aufbau des Staates vorzunehmen. Als ich meiner Sache ganz sicher war, wagte ich ihm in vertraulichem Gespräch mein Geheimnis zu enthüllen. Ich berichtete von Claudia und von Deiner Abstammung und wies ihm nach, daß Du der letzte männliche Nachkomme des julischen Geschlechts bist. Von dieser Stunde an nannte ich Dich in meinem Herzen Julius, obwohl Du diesen Namen erst erhieltst, als Du die Toga anlegtest und Vespasian mit eigner Hand die Spange des Augustus auf Deiner Schulter befestigte.
Vespasian glaubte mir sofort und war nicht einmal so erstaunt, wie ich erwartet hatte. Er kannte Deine Mutter Claudia schon aus der Zeit, da Kaiser Caligula sie seine Base nannte, um seinen Onkel Claudius zu ärgern. Um sich das Verwandtschaftsverhältnis klarzumachen, rechnete Vespasian an den Fingern und sagte: »Dein Sohn ist also ein Enkel des Claudius, nämlich der Sohn seiner Tochter. Claudius war seinerseits ein Neffe des Kaisers Tiberius, nämlich der Sohn von dessen Bruder. Der Bruder des Tiberius aber hatte Antonia zur Gattin, die jüngere Tochter Octavias – der Schwester des Gottes Augustus – und des Marcus Antonius. Octavia und der Gott Augustus waren Kinder der Nichte Julius Caesars. Im Grunde ist der Kaiserthron ständig in der weiblichen Linie weitervererbt worden. Neros Vater war der Sohn der älteren Tochter des Marcus Antonius. Sein Erbrecht war daher ebensogut wie das des Claudius, obwohl Claudius dann der Form halber Nero adoptierte, als er sich mit seiner Nichte vermählte. Das Erbrecht deines Sohnes ist ohne Zweifel ebenso gültig wie das dieser anderen. Was willst du also?«
Ich erwiderte: »Ich will, daß mein Sohn zu dem besten und edelsten Herrscher heranwächst, den Rom je erblickt hat. Ich zweifle nicht einen Augenblick daran, daß du, Vespasian, ihn in deiner Gerechtigkeit als den rechtmäßigen Erben anerkennen wirst, wenn die Stunde gekommen ist.«
Vespasian dachte lange mit gefurchter Stirn und halb geschlossenen Lidern nach. Er strich sich über die Wangen und fragte schließlich: »Wie alt ist dein Sohn?«
»Er wird im nächsten Herbst fünf«, antwortete ich stolz.
»Dann hast du es ja nicht so eilig«, sagte Vespasian erleichtert. »Nehmen wir an, die Götter geben mir noch zehn Jahre, um die Herrscherlast zu tragen und die Angelegenheiten des Staates ein wenig in Ordnung zu bringen. Dein Sohn legt dann gerade erst die Toga an. Titus hat seine schwachen Seiten, und seine Verbindung mit Berenike macht mir große Sorge, aber im allgemeinen wächst ein Mann an seiner Aufgabe. In zehn Jahren ist Titus über vierzig und ein reifer Mann. Meiner Meinung nach hat er ein gutes Recht auf den Kaiserthron, sofern er sich nicht mit Berenike vermählt. Das wäre verhängnisvoll. Eine Jüdin als kaiserliche Gemahlin ist undenkbar, und wäre sie auch aus des Herodes Geschlecht. Wenn Titus aber Vernunft annimmt, wirst du wohl in aller Freundschaft erlauben, daß er seine Zeit herrscht. Indessen wird dein Sohn zum reifen Mann und sammelt seine Erfahrungen im Amt. Mein zweiter Sohn Domitian taugt nicht zum Kaiser. Der bloße Gedanke erschreckt mich. Ich habe es, um die Wahrheit zu sagen, immer bereut, daß ich ihn aus Versehen, in angetrunkenem Zustand, zeugte, als ich zu Besuch in Rom Weilte. Seit der Geburt des Titus waren ja zehn Jahre vergangen, und ich hätte nicht geglaubt, daß meinem Ehebett noch einmal ein frischer Trieb entsprießen würde. Es würgt mich in der Kehle, wenn ich an Domitian denke. Ich mag nicht einmal einen Triumph feiern, weil ich ihn dazu mitnehmen müßte.«
»Du mußt einen Triumph feiern, wenn Titus Jerusalem erobert hat«, sagte ich beunruhigt. »Du würdest die Legionäre bitter kränken, wenn du ihnen nach den großen Verlusten, die sie im Judenkrieg erlitten haben, keinen Triumph gönntest.«
Vespasian seufzte schwer und sagte: »So weit voraus habe ich noch gar nicht gedacht. Ich bin zu alt, um die Treppe zum Kapitol hinaufzukriechen. Der Rheumatismus, den ich mir in Britannien geholt habe, schmerzt immer ärger in meinen Knien.«
»Ich könnte dich auf der einen Seite stützen, und Titus auf der andern«, sagte ich. »Es ist am Ende gar nicht so beschwerlich, wie es aussieht.«
Vespasian warf mir einen Blick zu und lächelte verschmitzt. »Was würde das Volk denken! Aber, beim Herkules, ich hätte lieber dich an meiner Seite als Domitian, diesen sittenlosen, krumm gewachsenen Lügenhals!«
Das sagte er, lange bevor er von dem Sieg bei Cremona, der Belagerung des Kapitols und dem feigen Verhalten Domitians erfuhr. Um das Andenken seiner Großmutter zu ehren, mußte Vespasian später Domitian dann doch im Triumphzug hinter Titus mitreiten lassen, aber er gab ihm ein Maultier zu reiten. Das Volk verstand die Anspielung.
Nachdem wir die Frage der Thronfolge als vernünftige Men- sehen in freundschaftlichem Einvernehmen von allen Seiten beleuchtet hatten, ging ich bereitwillig auf seinen Vorschlag ein, daß Titus nach ihm und vor Dir regieren solle, wenngleich ich von Titus eine weit geringere Meinung hatte als sein Vater. Seine Geschicklichkeit im Fälschen von Handschriften ließ mich an seinem Charakter zweifeln. Aber Väter sind blind.
Sobald Vespasian seine Macht in Rom gefestigt hatte, eroberte Titus auf seinen Befehl Jerusalem. Die Zerstörung der Stadt war wirklich so entsetzlich, wie sie Flavius Josephus beschreibt. Die Beute war aber auch danach, und ich wurde für meine Auslagen reichlich entschädigt. Titus hatte den Tempel eigentlich nicht zerstören wollen. Das hatte er Berenike im Bett geschworen. Während der Kämpfe war es jedoch unmöglich, die Ausbreitung des Brandes zu verhindern. Die ausgehungerten Juden zogen sich erbittert kämpfend von Haus zu Haus, von Keller zu Keller zurück, so daß die Legionäre, die geglaubt hatten, sie brauchten die Stadt nur zu besetzen, schwere Verluste erlitten.
Mich kann bald jeder, der will, zu Pferde auf den Reliefs des Triumphbogens abgebildet sehen, den wir auf dem Forum zu errichten beschlossen. Anfangs fiel es Vespasian allerdings nicht ein, daß auch ich mir das Triumphzeichen verdient hatte, an dem mir um Deinetwillen so viel lag. Ich mußte ihm immer wieder beweisen, daß ich während der Belagerung der Nächsthöchste nach ihm gewesen war und daß ich mich furchtlos den Pfeilen und Wurfsteinen der Juden ausgesetzt hatte und sogar am Fuß verwundet worden war.
Erst als Titus edelmütig ein Wort für mich einlegte, gestand mir Vespasian das Triumphzeichen zu. Er hatte mich nie als Krieger im eigentlichen Sinne des Wortes betrachtet, weil ich an der Belagerung und Eroberung Jerusalems so viel verdiente. Die Senatoren, die zur Zeit ein Triumphzeichen besitzen, kann man an den Fingern einer Hand aufzählen, und einige von uns haben ihr Zeichen ohne eigenes Verdienst erhalten, um es einmal zu sagen, wie es ist.
Nachdem er als Triumphator die Treppe zum Kapitol hinaufgekrochen war, füllte Vespasian einen Korb mit Schutt von der Tempelruine und trug ihn auf seinen Schultern in das Tal hinunter, das aufgefüllt werden sollte. Er tat dies, um dem Volk seine Frömmigkeit und Demut zu zeigen und ihm mit gutem Beispiel voranzugehen. Von uns erwartete er, daß wir uns finanziell am Wiederaufbau des Jupitertempels beteiligten.
Er hat auch aus allen Teilen der Welt Abschriften von alten Gesetzen, Verordnungen, Verträgen und Sonderrechten seit der Gründung der Stadt herbeischaffen lassen. An die dreitausend solche Bronzetafeln hat er bisher gesammelt, und er verwahrt sie als Ersatz für die bei dem großen Brand geschmolzenen im neuen Gebäude des Staatsarchivs.
Soviel ich weiß, hat er ihnen nichts von eigener Hand hinzugefügt, obwohl er Gelegenheit gehabt hätte, seine Abstammung von Vulcanus selbst herzuleiten, wenn ihm darum zu tun gewesen wäre. Er begnügt sich aber noch immer mit dem verbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Während ich dies schreibe, hat er nun das zehnte Jahr als Kaiser geherrscht, und wir bereiten uns darauf vor, seinen siebzigsten Geburtstag festlich zu, begehen. Ich selbst bin in zwei Jahren fünfzig und fühle mich erstaunlich jugendlich dank der Pflege, dem Gesundheitswasser und einem weiteren Umstand, der daran schuld ist, daß ich mich nun gar nicht mehr beeile, von hier fortzukommen, sondern die Niederschrift meiner Erinnerungen in die Länge ziehe, wie Du vielleicht schon bemerkt haben wirst.
Die Ärzte haben mir schon vor einem Monat erlaubt, nach Rom zurückzukehren, aber ich danke Fortuna, daß ich diesen Frühling erleben durfte. Ich fühle mich so sehr verjüngt, daß ich mir unlängst mein Lieblingspferd bringen ließ, um wieder zu reiten, obwohl ich mich seit Jahren damit begnügte, bei den Umzügen mein Pferd am Zügel zu führen. Dank der Verordnung des Claudius ist das noch immer gestattet, und wir alternden Männer machen von der Erlaubnis gern Gebrauch, weil wir leider immer schwerer werden.
Weil ich gerade von Fortuna spreche: Deine Mutter ist immer merkwürdig eifersüchtig auf den einfachen Holzbecher gewesen, den ich von meiner Mutter erbte. Vielleicht erinnert er sie allzu deutlich daran, daß Du zu einem Viertel griechisches Blut in den Adern hast. Zum Glück weiß sie nicht, welch niederer Herkunft dieses Blut ist. Wie dem auch sei, ich schenkte diesen Becher vor einigen Jahren Linus, einmal weil ich des ewigen Gezänkes Deiner Mutter müde war, und zum andernmal weil ich in einer Stunde der Übersättigung meinte, ich hätte nun genug Erfolg gehabt. Die Christen können meiner Meinung nach Fortunas Gunst brauchen, und außerdem hat Jesus von Nazareth selbst nach seiner Auferstehung aus diesem Becher getrunken. Damit sich der Holzbecher nicht zu rasch abnützte, habe ich einen Prunkbecher aus Gold und Silber schmieden lassen, der ihn umschließt und auf der einen Seite das Bild des Kephas im Relief zeigt, auf der anderen Seite dagegen das des Paulus.
Diese Bilder sind sehr ähnlich geworden, denn der Handwerker, der sie machte, hat die beiden selbst oft gesehen und überdies die Zeichnungen anderer und ein Mosaik als Vorlage benutzt. Zwar waren die beiden Juden und duldeten als solche keine Menschenbilder, aber Paulus hat das jüdische Gesetz in manch anderer Hinsicht umgestoßen, weshalb ich nicht glaube, daß er es mir übelnimmt, wenn ich mit Hilfe des Linus sein Aussehen der Nachwelt überliefern will. Wozu, weiß ich freilich selbst nicht. Die Christuslehre hat neben anderen, aussichtsreicheren Religionen, von den Gymnosophisten bis zur Mithras-Bruderschaft, keine Zukunft.
Beide waren sie gute Menschen, und ich verstehe sie nun besser als früher, vor allem Paulus. So geht es einem ja oft: man vergißt gewisse Charakterzüge, die einen ärgerten, und ist endlich imstande, sich ein klares Bild von dem Menschen zu machen, wie er wirklich gewesen ist. Im übrigen besitzen die Christen sogar ein Bild ihres Jesus von Nazareth. Es blieb auf einem Stück Tuch haften, das eine Frau ihm reichte, damit er sich das Blut aus dem Antlitz trockne, als er mit dem Kreuz auf dem Rücken auf einer Straße Jerusalems stürzte. Dieses Bild wäre gewiß nicht auf dem Tuch zurückgeblieben, wenn er selbst es nicht gewollt hätte. Ich folgere daraus, daß er es, im Gegensatz zu den rechtgläubigen Juden, gestattete, daß man ein Bild vom Menschen macht.
Der Becher, den ich weggeschenkt habe, wird fleißig benützt, aber mir scheint, seine Kraft hat wegen des Goldes und des Silbers, das ihn nun umschließt, abgenommen. Jedenfalls streiten die Christen miteinander noch ebenso heftig und scharfsinnig wie eh und je. Linus hat alle Mühe, sie wenigstens so weit zu besänftigen, daß sie nicht mitten unter ihrem heiligen Abendmahl übereinander herfallen.
Was in den dunklen Gassen geschieht, wenn, die verschlossenen Türen geöffnet worden sind und die Teilnehmer am Mahle sich entfernen, mag ich nicht näher schildern. Die Unduldsamkeit und der Neid, die Paulus und Kephas ins Verderben stürzten, herrschen noch immer unter ihnen. Schon aus diesem Grunde kann aus ihnen nichts werden. Ich warte nur noch darauf, daß eines Tages ein Christ einen anderen Christen in Christi Namen erschlägt. Der Arzt Lucas schämt sich all dessen so, daß er nun kein drittes Buch zu dem Werk, das er plante, schreiben will, sondern die Arbeit aufgegeben hat.
Es hilft auch nichts, daß gelehrte und gebildete Menschen sich ihnen angeschlossen haben und sich ebenfalls zu Christus bekennen. Im Gegenteil, die Sache scheint davon nur noch schlimmer geworden zu sein. Kurz vor meiner Erkrankung lud ich zwei Sophisten zum Mahl, weil ich hoffte, ihre Bildung und Vernunft könnten Linus von Nutzen sein, aber die beiden begannen so erbittert miteinander zu streiten, daß sie mir beinahe meine kostbaren alexandrinischen Glasschalen zerschlugen.
Meine Einladung hatte einen rein praktischen Grund. Ich dachte mir, daß gebildete Männer wie sie einsehen würden, wie vorteilhaft es für die Christen wäre, wenn ihr Oberhaupt irgendein Zeichen seines Ranges trüge, etwa eine Kopfbedeckung wie die Mithras-Priester und zu dem einfachen Hirtenstab dazu den gewundenen Himmelsleiterstab der Auguren. Solche äußerlichen Zeichen ihres Bundes würden meiner Meinung nach gewöhnliche Bürger dazu ermuntern, sich ihnen anzuschließen.
Statt eines vernünftigen Gesprächs begannen aber die beiden Männer einen hitzigen Streit, und der eine sagte: »Ich glaube an ein unsichtbares Reich, an die Engel und daran, daß Christus Gottes Sohn ist, denn dies ist die einzige begreifliche Erklärung für die Unbegreiflichkeit und den wahnwitzigen Lauf der Welt. Ich glaube, um zu verstehen.«
Der andere wollte das nicht gelten lassen und entgegnete: »Verstehst du nicht, du kleiner Geist, daß menschliche Vernunft die Göttlichkeit Christi nicht fassen kann? Ich glaube nur, weil die Lehre über ihn absurd und vernunftlos ist. Ich glaube, weil sie sinnlos ist.«
Ich fiel ihnen rasch ins Wort, bevor sie handgemein wurden, und sagte begütigend: »Ich für mein Teil bin kein Gelehrter, obgleich ich die Philosophen und nicht wenige Dichter gelesen und selbst ein Buch über Britannien geschrieben habe, das man noch in den öffentlichen Bibliotheken finden kann. An Gelehrsamkeit und in der Kunst des Disputierens kann ich es nicht mit euch aufnehmen. Viel glaube ich nicht, und ich bete auch um nichts, denn in meinen Augen ist es reine Unvernunft, um etwas zu beten, was ein unerklärlicher Gott selbst am besten weiß. Er gibt mir gewiß, was mir not tut, wenn er so will. Eurer langatmigen Gebete bin ich müde. Wenn ich denn beten müßte, so möchte ich in meiner Sterbestunde flüstern: Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich meiner. Ich bilde mir nicht ein, daß meine wenigen guten Taten meine bösen Taten und Verbrechen aufzuwiegen vermögen. Ein Reicher kann nicht ohne Schuld sein. Hat er Schlimmeres nicht auf sich geladen, so sind die Tränen seiner Sklaven sein Verbrechen. Ich verstehe die Menschen, die ihre Habe den Armen schenken, um Christus zu folgen, aber ich selbst behalte und vermehre lieber, was ich besitze, für meinen Sohn und das Gemeinwohl. Es könnte sonst jemandem in die Hände fallen, der grausamer ist als ich, zum Schaden für die vielen, die mein Brot essen. Schont daher bei eurem Streit meine Glasschalen, die nicht nur kostbar sind, sondern auch mir selbst als Erinnerungsstücke teuer.«
Sie beherrschten sich aus Rücksicht auf meinen Rang und meine Stellung, wenngleich sie einander wahrscheinlich an die Kehle fuhren, sobald sie mein Haus und meinen guten Wein verlassen hatten. Glaube aber nicht, mein Sohn Julius, ich sei zu den Christen übergegangen, weil ich all dies erzähle. So viel weiß ich über Jesus von Nazareth und sein Reich, daß ich es nie wagen würde, mir einen so anspruchsvollen Namen zuzulegen und mich Christ zu nennen. Deshalb habe ich mich auch nie für würdig gehalten, die Taufe zu empfangen, sooft auch Deine Mutter mich dazu zu überreden versuchte.
Ich begnügte mich damit, zu sein, was ich bin, mit meinen Schwächen und meinen Fehlern, und ich will mich, wie Du aus diesen Erinnerungen ersiehst, nicht einmal rechtfertigen. Ich habe nur versucht, Dir begreiflich zu machen, mit welcher Unausweichlichkeit ich zu gewissen Taten gezwungen worden bin, die ich später bereute – Taten, die nur Dir zum Vorteil gereichten.
Was meine sittlichen Verirrungen anbelangt, will ich Dir nur sagen, daß kaum ein Mensch ohne Tadel ist, nicht einmal die Heiligen, die sich Gott geweiht haben. Nie aber, das kann ich Dir versichern, habe ich einen anderen Menschen nur zu meinem Genuß mißbraucht. Ich habe in meiner Bettgefährtin immer auch den Menschen gesehen, mochte sie nun Sklavin sein oder Freie.
Meiner Meinung nach geschehen aber die unsittlichsten Dinge nicht im Bett, wie viele glauben, sondern das Schlimmste ist die Verhärtung des Herzens. Hüte Dich davor, daß Du hart in Deinem Herzen wirst, mein Sohn, wer auch immer Du eines Tages sein und vor welch schweren Entscheidungen immer Du stehen wirst. Eine gewisse menschliche Eitelkeit ist, innerhalb vernünftiger Grenzen, wohl erlaubt, nur darfst Du in Deinem Herzen Deine Gelehrsamkeit und Deine Dichtergabe nicht zu hoch einschätzen. Glaube nicht, ich wüßte nicht, daß Du mit Juvenal in der Dichtkunst zu wetteifern trachtest!
Während ich dies schreibe, ist mir, als könnte ich die ganze Welt lieben, weil es mir vergönnt war, noch einen verspäteten Frühling zu erleben. Ich glaube, wenn ich nach Rom zurückkehre, werde ich die Schulden Deines Freundes Juvenal bezahlen, und er mag meinetwegen gerne seinen Bart behalten. Warum sollte ich Dir Kummer machen und Dich von mir entfernen, indem ich einen Menschen verachte, der Dir – wenngleich aus mir unbegreiflichen Gründen – lieb ist.
Mein Herz ist so voll, daß ich erzählen muß. Deshalb will ich Dir noch von dem Frühling berichten, den ich hier erleben durfte. Ich habe sonst niemanden, mit dem ich darüber sprechen könnte, und Du wirst diese Aufzeichnungen ohnehin erst lesen, wenn ich schon tot bin. Vielleicht wirst Du dann Deinen Vater besser verstehen, den Du jetzt nur für einen närrischen Alten hältst. Um wieviel leichter ist es doch, sich mit einem fremden Kind zu verstehen als mit dem eigenen Sohn! Doch das ist wohl eines jeden Vaters Fluch, selbst wenn er das Beste will.
Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Du weißt, daß es mich nie danach gelüstet hat, nach Britannien zurückzukehren, obwohl ich mich dort um meine Besitzungen kümmern könnte und gern auch sehen möchte, wie aus Lugundanum eine richtige Stadt wird. Ich fürchte nur, ich würde Britannien nicht mehr so sehen, wie ich es in meiner Jugend, mit ungetrübten Sinnen, sah, als ich es mit Lugunda durchwanderte. Vielleicht war ich nur von den Druiden verhext, so daß ich sogar Britannien schön fand, aber ich will diese Erinnerung nicht verlieren, indem ich nun mit meinen bald fünfzig Jahren und meinen grob gewordenen, abgestumpften Sinnen noch einmal hinfahre.
In diesem Frühling habe ich aber noch einmal so leben dürfen, als wäre ich noch jung. Freilich ist alles nur eine jener Verzauberungen gewesen, die selbst einem Mann wie mir den Blick mit Lachen und Weinen verdunkeln können. Du wirst nie mit ihr zusammentreffen, mein Sohn, denn ich halte es ihretwegen und meinetwegen für das beste, sie auch selbst nicht mehr aufzusuchen.
Sie ist von verhältnismäßig niederer Herkunft, aber ihre Eltern haben dank ihrer Armut die uralten Überlieferungen und Sitten der Landbewohner bewahrt. Sie wundert sich sogar darüber, daß mein Untergewand aus Seide ist. Ich habe ihr so manches aus meinem Leben erzählt, angefangen von den jungen Löwen, die meine Gattin Sabina seinerzeit in unserem Ehebett aufzog und die ich mit einem Horn füttern mußte. Sie hörte mir geduldig zu, und ich betrachtete den wechselnden Ausdruck ihrer seltsamen Augen.
Ich mußte ja an den Abenden ein wenig Ordnung in meine Erinnerungen bringen, um sie dann teils selbst niederzuschreiben, teils diktieren zu können. Ich hoffe, Du wirst einigen Nutzen von ihnen haben. Wenn Du nur nicht zu viel Gutes von den Menschen glaubst und dann enttäuscht wirst! Kein Herrscher darf sich ganz auf einen anderen Menschen verlassen. Das ist die schwerste Bürde der Alleinherrschaft. Allzu großes Vertrauen rächt sich immer. Denk daran, mein Sohn.
Ich sage Dir all das, weil ich Dich aus ganzem Herzen liebe und weil Du, auch wenn Du es nicht so empfindest, der eigentliche Sinn meines Lebens bist. Es ist, als hätte ich, als ich in ihr einer verspäteten, allzu süßen und zärtlichen Liebe begegnete, gelernt. Dich mehr zu lieben als je zuvor und auch Deine Mutter und ihre weniger guten Seiten besser zu verstehen. Ich verzeihe ihr nun gern die Worte, die sie oft im Zorn sagte. Andrerseits hoffe ich, sie wird mir verzeihen, daß ich nicht anders sein kann, als ich eben bin. Man soll nicht versuchen, einem alten Hund das Bellen abzugewöhnen und das Männchenmachen beizubringen.
Es ist in der ganzen Zeit, die ich mich hier in diesem Kurort aufhalte, in dessen Nähe das Gut ihrer Eltern liegt, nichts Schlimmes zwischen uns geschehen. Ein einziges Mal habe ich sie geküßt, und das eine oder andere Mal habe ich wohl auch mit meiner groben Hand die Haut ihrer Arme gestreichelt. Mehr wünschte ich nicht, denn ich will ihr nicht weh tun oder sie vor der Zeit in die Einsamkeit und die heiße Wüste der menschlichen Leidenschaft stürzen. Es ist genug, daß bei meinen Erzählungen ihre Wangen sich röteten und ihre Augen zu glänzen begannen. Ihren Namen sage ich Dir nicht. Du wirst ihn auch in meinem Testament nicht finden, weil ich auf anderen Wegen, die ich für vernünftiger hielt, dafür gesorgt habe, daß sie nie Not zu leiden braucht und daß sie eine große Mitgift hat, wenn sie eines Tages dem jungen Mann begegnet, der ihrer Liebe wert ist. Mag sein, daß ich sie für verständiger halte, als sie ist, nur weil sie so gern und geduldig dem Geschwätz eines alternden Mannes lauschte, aber ich glaube, ihr künftiger Gatte wird großen Nutzen von ihrem angeborenen Verständnis und Fassungsvermögen haben, wenn er sich eine Zukunft im Dienst des Staates aufbauen will.
Sie wird sicherlich einen Ritter wählen. Das weiß ich, weil sie so in Pferde vernarrt ist. Ihretwegen ließ ich mir meine Lieblingsstute bringen und begann wieder zu reiten. Ich glaube, ihre bloße Nähe und ihr warmes Mitgefühl haben mir zur Genesung verholfen, denn unsere Freundschaft entbehrt aller verzehrenden Leidenschaft.
Ich weiß. Du hast getrauert und sogar Deinen Vater gehaßt, als der schneeweiße Hengst, der von Kaiser Gajus Caligulas »Blitz« abstammt, plötzlich aus Deinem Stall verschwunden war. Es machte mir Spaß, mir diesen Hengst zu verschaffen, um mich selbst daran zu erinnern, was es im Grunde bedeutet, römischer Senator zu sein. Gajus hatte beschlossen, »Blitz« zum Senator zu ernennen. Deshalb wurde er so grausam ermordet. Ich kenne den Senat zur Genüge und sage Dir, er hat sich überschätzt. Er hätte sich einen triftigeren Grund ausdenken müssen.
Ich hörte jedenfalls, daß Du, nachdem Du die Toga angelegt hattest, beim Festumzug der Ritterschaft auf einem schneeweißen Hengst geritten bist. Das gehört sich nicht für einen Jüngling in Deinem Alter, glaube mir, Julius. Ich hielt es daher für richtig, Dir den Hengst wegzunehmen. Ich schenke ihn lieber einem klugen fünfzehnjährigen Mädchen zum Andenken, das in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit lebt. Schließlich komme ich noch immer für den Unterhalt Deines Stalles auf, wenn Du ihn auch Deinen eigenen nennst.
Ich kann es nicht verhindern, daß der Klatsch Roms mich auf den verschiedensten Wegen erreicht. Versteh mich recht, wenn Du dies eines Tages liest. Ich hielt es nicht für nötig, irgendwelche Gründe anzugeben. Du magst mich meinetwegen hassen, weil plötzlich Dein schönstes Reitpferd verschwand. Und wenn Du nicht genug Verstand hast, zu begreifen, warum es notwendig war, dann hasse mich, solange du willst.
Diesen Hengst schenke ich ihr zum Abschied, denn sie hat nicht einmal eine goldene Kette angenommen, die ich ihr zum Andenken geben wollte. Das Pferd wird sie wohl annehmen können. Ihre Eltern können sich Nebeneinkünfte verschaffen, indem sie den Hengst für die Zucht verwenden. Auf diese Weise wird der Pferdestamm dieser Gegend verbessert, mit dem wirklich kein Staat zu machen ist. Sogar meine alte fromme Stute erweckt hier Neid.
Wenn ich an mein Leben denke, fällt mir oft ein Gleichnis ein, das Du aus dem Munde des Linus gehört haben wirst. Es war einmal ein Herr, der seinen Knechten einige Pfunde Silber zu verwahren gab, da er selbst fortreiste. Der eine Knecht vergrub sein Pfund in der Erde, während der andere das seine vermehrte und verdoppelte. Von mir kann kaum jemand behaupten, ich hätte mein Pfund vergraben. Im Gegenteil, ich habe mein Vätererbe vermehrt, hundertfach könnte ich sagen, wenn es nicht unbescheiden klänge. Du wirst es in meinem Testament sehen. Ich meine aber nicht nur irdische Pfunde, sondern auch gewisse andere Werte. Jedenfalls habe ich beinahe doppelt soviel Nilpapier von der feinsten Sorte für meine Erinnerungen verwendet als mein Vater seinerzeit für seine Briefe an Tullia, die Du eines Tages ebenfalls lesen wirst.
Der Herr sprach zu seinem Knecht: »Du guter und treuer Knecht, geh ein in die Freude deines Herrn.« Das finde ich schön gesagt, obwohl ich für mich selbst nichts dergleichen erhoffen darf. Aber Jesus von Nazareth hat eine eigentümliche Art, einen geschwind aufs Ohr zu schlagen, sowie man etwas zu wissen glaubt. Kaum eine Woche war vergangen, seit ich mich vor den beiden Sophisten damit gebrüstet hatte, ich würde nie um etwas beten, da flehte ich ihn in meinen Schmerzen auch schon inniglich an, er möge meine Blutung stillen, ehe ich verblutete. Die besten Ärzte Roms vermochten mir nicht zu helfen. Mein Leiden heilte jedoch von selbst. Hier in diesem Kurort, wo ich fleißig Wasser trinke, fühle ich mich gesünder und froher als je in den letzten zehn Jahren. Ich habe sogar die sonderbare Gewißheit, daß ich noch für irgendeinen Zweck gebraucht werde, obwohl ich nichts gelobt habe. Noch ein paar Worte über das helläugige Mädchen, das meine Gesellschaft war und mir so viel Freude schenkte, daß mir bei seinem bloßen Anblick das Herz schmolz. Ich begriff anfangs nicht, warum ich ihr schon begegnet zu sein glaubte. So wohlbekannt erschien mir alles an ihr, sogar ihre kleinsten Bewegungen. In meiner Einfalt gab ich ihr ein Stück von Antonias Seife und ein Fläschchen von dem Parfüm, das Antonia verwendet hatte. Ich fand, sie erinnerte mich auf unbestimmte Art ein wenig an Antonia, und hoffte, der bekannte Duft der Seife und des Parfüms würde der Ähnlichkeit nachhelfen.
Es geschah aber gerade das Gegenteil. Ich bemerkte, daß diese betäubenden Düfte nicht zu ihrem frühlingsfrischen Wesen paßten. Sie störten mich nur. Als ich sie dann aber küßte und ihre Augen dunkel werden sah, da erblickte ich in ihrem Gesicht das Gesicht Antonias, aber auch die Züge Lugundas und, was das Wunderlichste von allem war, das Gesicht Deiner Mutter Claudia, wie es in ihrer Jugend gewesen war. Und als ich so eine lange Weile ihren Mädchenleib in meinen Armen hielt, ohne ihr etwas antun zu wollen, da erkannte ich in ihr auf merkwürdige Weise alle die Frauen wieder, die ich in meinem Leben am meisten geliebt habe. Ich weiß, daß nach ihr keine Frau mehr mein Leben teilen wird. Ich habe Liebe genug und übergenug erfahren. Mehr soll der Mensch nicht begehren.
Als ich mit eigener Hand diese letzten Zeilen niedergeschrieben hatte, gebot das Schicksal selbst mir, meine Erinnerungen abzuschließen. Vom Senat kam ein Eilbote mit der Nachricht, daß Roms Kaiser Vespasian nahe Raete, der Heimat seines Geschlechts, gestorben ist. So konnte er seinen siebzigsten Geburtstag nicht mehr feiern, aber man sagt, er habe versucht, sich aufzurichten und stehend in den Armen derer, die ihn stützten, zu sterben.
Sein Tod wird noch zwei Tage geheimgehalten, bis Titus in Raete eingetroffen ist. Unsere erste Aufgabe im Senat wird es sein, Vespasian zum Gott auszurufen. Er hat es verdient, denn er war von allen Kaisern Roms der frömmste, selbstloseste, arbeitsamste und gerechteste. Daß er von Plebejern herstammte, ist nicht seine Schuld, und es ist ohne Belang, sobald er ein Gott ist. Als alter Freund will ich seinem Priesterkollegium beitreten, da ich bisher noch kein Priesteramt bekleidet habe. Ich denke an Deine Zukunft, mein lieber Sohn, und muß dieses Verdienst meinen bisherigen hinzufügen. In Eile mit eigner Hand, Dein Vater Minutus Lausus Manilianus.
Drei Monate später, bevor ich diese Aufzeichnungen in einem sicheren Versteck einmauere. Es ist, als ließe mich Fortuna nun im Stich. Der furchtbare Vesuvausbruch hat meine neuerbaute Prachtvilla in Herculanum zerstört, in der ich meine alten Tage unter einem milden Himmel und in guter Gesellschaft zu verbringen gedachte. Oder besteht mein Glück gerade darin, daß ich nicht dazugekommen war, hinzureisen, das Haus zu besichtigen und mit den Baumeistern wegen der Rechnungen zu streiten? Ich wäre vielleicht selbst unter dem Aschenregen begraben worden.
Aber ich fürchte, dieses entsetzliche Ereignis hat eine böse Vorbedeutung für die Regierung des Titus. Ich sage das, obgleich wir Freunde sind und er mir und Dir nur Gutes will. Zum Glück ist er noch in seinen besten Jahren, und man nennt ihn die Freude und das Entzücken der Menschheit. Weshalb, begreife ich nicht recht. Auch Nero wurde in seiner Jugend so genannt.
Gleichwohl glaube ich, daß Titus so gut herrschen und so lange leben wird, daß er alle Ränke des Domitian zunichte machen und Dich eines Tages zu seinem Nachfolger auf dem Thron ernennen kann. Hüte Dich vor Domitian. Was darf man wohl Gutes von einem Mann erhoffen, der sich die Zeit damit vertreibt, lebende Fliegen auf seinen Schreibstift zu spießen wie ein mutwilliger Knabe!