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Auf dem Hügel über ihnen ragte die Festung von Mytilene auf. Dort, wo im Dunkeln die Wachen patrouillierten, wanderten Lichtpunkte auf den Mauern auf und ab. Das Tor aus Eisen und Eichenholz war geschlossen, und die einzige Straße, die die steilen Hänge hinaufführte, war schwer bewacht.

Gaditicus hatte nur zwanzig Männer auf der Galeere zurückgelassen. Sobald der Rest der Zenturie an Land gegangen war, befahl er, den Corvus, die schwere Enterbrücke, einzuziehen, und die Accipiter glitt leise von der dunklen Insel weg und ein Stück weit hinaus aufs Meer. Die Ruderschläge spritzten in den ruhigen Wellen kaum auf.

Damit war die Galeere vor Angriffen geschützt, solange die Soldaten fort waren. Da jegliches Licht streng untersagt war, lag sie da wie ein dunkler Fleck, für feindliche Schiffe unsichtbar, es sei denn, sie liefen direkt in den Hafen der kleinen Insel ein.

Julius wartete in seiner Einheit auf Befehle. Nur mühsam konnte er seine Erregung unterdrücken. Nach sechs Monaten Küstenpatrouille sollte es nun endlich wieder in den Kampf gehen. Obwohl sie den Vorteil der Überraschung auf ihrer Seite hatten, sah die Festung immer noch wuchtig und gefährlich genug aus. Er wusste, dass das Erklettern der Mauern nicht ohne Blutvergießen abgehen würde. Noch einmal kontrollierte er seine Ausrüstung und überprüfte jede einzelne Sprosse der Leitern, die man ihm ausgehändigt hatte. Dann ging er zwischen seinen Männern umher und sah nach, ob auch alle Tücher um die Sandalen gebunden hatten, um ihre Schritte zu dämpfen und beim Klettern besseren Halt zu haben. Alles war in bester Ordnung, doch wie schon zweimal vor der Landung unterwarfen sich die Männer der Kontrolle auch dieses Mal ohne Murren. Er wusste, dass sie ihm keine Schande machen würden. Vier von ihnen waren Langzeitsoldaten, darunter Pelitas, der über mehr als zehn Jahre Erfahrung auf der Kriegsgaleere verfügte. Sobald Julius bemerkt hatte, dass der Großteil der Mannschaft Pelitas respektierte, hatte er ihn zu seinem Stellvertreter in der Einheit gemacht. Wegen seines nachlässigen Umgangs mit der Uniform und seines verblüffend hässlichen Gesichts war er zuvor bei den Beförderungen übersehen worden, aber Julius hatte die dahinter verborgenen Qualitäten rasch erkannt. Pelitas war sehr schnell zu einem getreuen Anhänger des neuen jungen Tesserarius geworden.

Die anderen sechs hatte die Accipiter in den römischen Häfen rund um Griechenland aufgesammelt, als sie ihre Besatzung vervollständigte. Zweifellos hatten einige von ihnen eine eher düstere Vergangenheit, aber bei Galeerensoldaten wurde ein untadeliger Lebenswandel nicht unbedingt als notwendigste Voraussetzung angesehen. Männer mit Schulden, oder solche, die in Zwistigkeiten mit einem Offizier geraten waren, wussten sehr wohl, dass die See ihre letzte Chance auf Sold war. Aber Julius beschwerte sich nicht, denn seine zehn Männer waren ausnahmslos kampferprobte Soldaten. Lauschte man ihren Geschichten, erhielt man eine Zusammenfassung der Fortschritte Roms während der letzten zwanzig Jahre. Es waren brutale, harte Männer, und Julius wusste die Gewissheit zu schätzen, dass sie auch vor schmutzigen Aufträgen nicht zurückscheuen oder sich gar drücken würden – wie etwa davor, die Festung Mytilene anzugreifen und sie von Rebellen zu säubern.

Gaditicus ging durch die Einheiten und sprach mit jedem der Offiziere. Suetonius nickte zu allem, was man ihm sagte, und salutierte. Julius betrachtete seinen ehemaligen Nachbarn und fühlte erneut Abneigung in sich hochsteigen, die er jedoch an nichts Bestimmtem im Wesen des jungen Wachoffiziers festmachen konnte. Seit Monaten arbeiteten sie schon in einer Art frostiger Höflichkeit miteinander, die nun unauflösbar geworden schien. Suetonius sah ihn immer noch als den kleinen Jungen, den er und seine Freunde vor einer Ewigkeit gefesselt und verprügelt hatten. Er wusste nichts von Julius’ Erfahrungen seither und hatte verächtlich gelächelt, als Julius den Männern erzählte, wie es war, mit Marius im Triumphzug in Rom einzuziehen. Die Ereignisse in Rom waren für die Männer an Bord nur vage Gerüchte und Julius spürte, dass etliche von Tonius’ Freunden ihm keinen Glauben schenkten. Eine unangenehme Situation, doch schon das leiseste Anzeichen von Spannung oder Streitigkeiten zwischen den einzelnen Einheiten hätte eine Rückstufung der Offiziere bedeutet. Julius hatte sich zurückgehalten, selbst als er hörte, dass Suetonius die Geschichte zum Besten gab, wie er den anderen Tesserarius mit dem Kopf nach unten an einen Baum hatte hängen lassen, nachdem er ihm eine ordentliche Tracht Prügel verpasst hatte. Sein Tonfall ließ diesen Vorfall lediglich wie einen derben Knabenstreich erscheinen. Gegen Ende seiner Erzählung spürte er Julius’ Blick auf sich ruhen, täuschte Überraschung vor und zwinkerte seinem Stellvertreter bedeutungsvoll zu. Dann hatten sich alle wieder ihren Pflichten zugewandt.

Als Gaditicus zu der letzten Einheit weiterschritt, sah Julius Suetonius hinter dessen Rücken grinsen. Er selbst hielt die Augen fest auf den Zenturio gerichtet, salutierte steif und nahm Haltung an. Gaditicus nickte ihm zu und erwiderte den Salut mit einer raschen Bewegung des rechten Unterarms.

»Wenn sie bis jetzt noch nicht gemerkt haben, dass wir hier sind, müssten wir das kleine Nest bis zum Morgengrauen ausgeräuchert haben. Wenn sie aber gewarnt worden sind, müssen wir um jeden Schritt kämpfen. Vergewissere dich, dass Rüstungen und Schwerter gegen Geräusche gedämpft sind. Ich will nicht, dass sie Alarm schlagen, solange wir noch auf den ungeschützten Hängen herumklettern.«

»Jawohl, Zenturio«, erwiderte Julius.

»Deine Männer greifen die Südseite an. Dort geht es nicht ganz so steil hinauf. Bring so schnell wie möglich die Leitern zum Einsatz und lass am Ende jeder Leiter einen Mann stehen, der sie festhält. So verliert ihr keine Zeit damit, nach einem festen Tritt zu suchen. Suetonius’ Männer haben den Auftrag, die Wachen am Tor zu töten. Dort stehen vier Mann, es könnte also laut werden. Wenn ihr Schreie hört, bevor ihr die Mauer erreicht habt, dann rennt los. Wir dürfen ihnen keine Zeit lassen, sich zu fangen. Verstanden? Gut. Noch irgendwelche Fragen?«

»Wissen wir, wie viele da drin sind, Herr?«, fragte Julius.

Gaditicus sah ihn überrascht an.

»Wir nehmen diese Festung ein, ganz egal, ob sie fünfzig oder fünfhundert Mann haben! Sie haben seit zwei Jahren keine Steuern gezahlt, und der hiesige Statthalter ist ermordet worden. Bist du etwa der Meinung, wir sollten auf Verstärkung warten?«

Julius errötete beschämt. »Nein, Zenturio.«

Gaditicus lachte bitter auf. »Die Flotte ist schon spärlich genug bestückt. Wenn du diese Nacht überlebst, wirst du dich allmählich daran gewöhnen, dass du niemals genug Männer und Schiffe zur Verfügung hast. Jetzt nimm deinen Platz ein und umgehe die Festung in einem großen Bogen. Nutzt jede Deckung. Verstanden?«

»Jawohl«, antwortete Julius und salutierte erneut. Ein Offizier zu sein, wenn auch nur im niedrigsten Dienstgrad, war nicht gerade leicht. Es wurde einfach erwartet, dass er wusste, was zu tun war, als stellten sich die Fähigkeiten mit dem Rang von selbst ein. Er hatte noch nie zuvor eine Festung angegriffen, weder bei Tag noch bei Nacht, und jetzt sollte er blitzschnell Entscheidungen treffen, von denen Leben oder Tod seiner Männer abhingen. Entschlossen drehte er sich zu ihnen um. Er würde sie nicht enttäuschen.

»Ihr habt den Zenturio gehört. Geräuschlos vorgehen, getrennt marschieren. Auf geht’s!«

Wie ein Mann schlugen alle mit der rechten Faust gegen ihre ledernen Brustpanzer. Julius zuckte bei dem leisen Geräusch zusammen.

»Und macht nicht so einen Krach! Bis wir in der Festung sind, bestätigt ihr keinen meiner Befehle mehr. Ich will nicht, dass ihr losplärrt, ›Jawohl, Herr‹, wenn wir gerade versuchen, lautlos vorzurücken, verstanden?«

Einige Männer grinsten, doch während sie sich langsam in der Deckung von Büschen und Felsen voranarbeiteten, war die Anspannung deutlich spürbar. Zwei andere Einheiten schlossen sich Julius’ Truppe an; Gaditicus blieb zurück, um den Hauptangriff zu befehligen, sobald die Torwachen ausgeschaltet waren.

Als er sah, wie reibungslos sich die Männer immer paarweise zusammenfanden, war Julius dankbar für die endlosen Übungen. Jede Einheit führte vier lange Leitern mit sich, deren breite Sprossen die Soldaten fast in vollem Tempo hinaufstürmen konnten. Innerhalb weniger Sekunden würden sie die Zinnen der schwarzen Mauern erreicht haben und von dort in die Festung eindringen. Dann dürfte es richtig gefährlich werden. Da sie nicht wussten, wie vielen Aufständischen sie gegenüberstanden, würden die Legionäre versuchen, gleich zu Anfang so viele wie möglich von ihnen zu töten.

Als die Fackel einer Wache nicht weit vor ihnen zum Stehen kam, bedeutete er seinen Männern mit einer Handbewegung, sich zu ducken. Trotz des rhythmischen Zirpens der Grillen im Gras trug jedes noch so leise Geräusch in der Stille sehr weit. Nach einer Weile bewegte sich das Licht der Wache weiter, und Julius fing den Blick des ihm am nächsten kauernden Offiziers auf. Sie nickten einander kurz zu. Das war das Zeichen zum Angriff.

Julius richtete sich auf. Sein Herz schlug schneller. Auch seine Männer kamen aus der Deckung, und einer ächzte leise unter dem Gewicht der schweren Leiter. Dann trabten sie über den zerklüfteten Steinboden des südlichen Abhangs auf die Festung zu. Als er neben seinen Männern in leichten Laufschritt fiel, kam Julius das Geräusch ihrer Schritte trotz der dämpfenden Tücher um die Sandalen viel zu laut vor. Pelitas lief an der Spitze, am Kopfende der ersten Leiter, doch während sie den steinigen Hügel emporeilten, änderte sich die Reihenfolge in ihrer Truppe ständig. Sie konnten den Boden unter ihren Füßen nicht sehen, denn nicht einmal der Mond spendete Licht. Gaditicus hatte die Nacht gut ausgewählt.

Rasch wurden die Leitern zu den ganz vorne stehenden Männern durchgereicht, die sie nahe genug an die Mauer lehnten, um so weit wie möglich hinaufzugelangen. Der erste Mann an der Leiter hielt sie fest, und der zweite hinter ihm kletterte hinauf in die Dunkelheit. Innerhalb weniger Minuten war die erste Gruppe schon über die Mauer hinweg, dicht gefolgt von der zweiten. Ihr Aufstieg wurde dadurch erschwert, dass die Leitern auf dem felsigen Untergrund rutschten und schrammten. Julius stemmte sich mit der Schulter gegen eine wegrutschende Leiter und bediente sich dankbar der Hebelwirkung. Er wartete, bis der Mann am oberen Ende die Mauerspitze erreicht hatte. Entlang der gesamten Mauer sah man die Männer einen nach dem anderen in der Festung verschwinden. Noch immer war kein Alarm geschlagen worden.

Julius schob die Leiter zurecht, bis das umwickelte obere Ende wieder fest an der Mauer auflag. Als er schließlich selbst hochkletterte, musste er sich wegen des steilen Winkels eng an die Leiter schmiegen. Für den Fall, dass Bogenschützen ihn im Visier hatten, blieb er oben nicht stehen. Es war keine Zeit, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Rasch schob er sich über die Mauerkrone und ließ sich in die Dunkelheit darunter fallen.

Er landete, rollte sich ab und fand sich zwischen seinen Männern wieder, die auf ihn warteten. Vor ihnen lag ein schmaler Streifen struppiges Gras, das in langen Halmen über den uralten Steinen wuchs. Da sie hervorragende Zielscheiben für die Bogenschützen abgaben, mussten sie so schnell wie möglich von hier verschwinden. Julius sah, dass die anderen Einheiten nicht getrödelt hatten und bereits zur inneren Mauer der Festung vorgerückt waren. Er runzelte die Stirn. Die Mauer ragte nur zwanzig Fuß entfernt auf – genauso hoch wie die äußere. Nur standen ihre Leitern dieses Mal draußen, und sie saßen hier zwischen den beiden Mauern in der Falle, so wie es die Baumeister vor ewigen Zeiten geplant hatten. Leise fluchte er vor sich hin. Die Männer sahen ihn an und warteten auf eine schnelle Entscheidung.

Plötzlich schlug in der Festung eine Glocke an. Der schwere Ton dröhnte durch die Dunkelheit zu ihnen heraus.

»Was jetzt?«, fragte Pelitas. Er klang gelangweilt.

Julius holte tief Luft und fühlte, wie sich seine Nerven ein wenig beruhigten.

»Wenn wir hier bleiben, sind wir so gut wie tot. Bald werden sie Fackeln herunterwerfen, damit die Bogenschützen uns sehen können. Pelitas, du bist der geschickteste Kletterer in der Takelage, also zieh die Rüstung aus und sieh zu, ob du mit einem Seil die innere Mauer erklettern kannst. Die Steine sind schon alt, sie müssten dir genug Halt bieten.« Während Pelitas bereits die Riemen löste, die seine Rüstung zusammenhielten, wandte Julius sich an die anderen.

»Wir brauchen die Leiter. Wenn Pelitas abstürzt, sind wir leichte Beute für die Bogenschützen. Die Mauer hier ist fünfzehn Fuß hoch, aber die beiden Leichtesten von euch können wir bestimmt hinaufheben, damit sie über die Mauer greifen und die Leiter hochziehen.«

Er ignorierte die lauter werdenden Alarm- und Kampfgeräusche aus dem Innern der Festung. Wenigstens konzentrierten sich die Rebellen auf Gaditicus’ Angriff, aber auch für die Soldaten auf seiner Seite würde die Zeit früher oder später abgelaufen sein.

Die Männer hatten seinen Plan schnell begriffen. Die drei kräftigsten hakten die Arme ineinander und stellten sich mit dem Rücken dicht an die dunklen Steine der äußeren Mauer. Zwei weitere kletterten an ihnen hoch und drehten sich langsam um, so dass auch sie sich gegen die Wand hinter ihnen lehnen konnten. Die unteren drei stöhnten auf, als das Gewicht der beiden auf ihre Rüstungen drückte. Die Metallplatten bohrten sich in ihre Schultern, doch ohne deren Schutz hätte leicht ein Schlüsselbein brechen können. Schweigend ertrugen sie das Ungemach, aber Julius sah, dass sie nicht lange durchhalten konnten.

Er drehte sich zu den letzten beiden um, die sich ihrer Rüstungen bis auf die Unterkleider entledigt hatten und nun aufgeregt grinsend und barfuß vor ihm standen. Julius nickte ihnen zu. Genauso behände und mit der gleichen Geschwindigkeit, die sie im Tauwerk der Accipiter an den Tag legten, kletterten sie an ihren Kameraden hinauf. Während er auf sie wartete, zog Julius sein Schwert und versuchte in der Dunkelheit über sich etwas zu erkennen.

Zwanzig Fuß von ihnen entfernt stand Pelitas an der inneren Mauer, presste das Gesicht gegen den kalten, trockenen Stein und schickte ein verzweifeltes Stoßgebet gen Himmel. Seine Finger zitterten, weil sie zwischen zwei Steinplatten kaum Platz zum Zupacken fanden. Angestrengt versuchte er beim Hinaufziehen jedes Geräusch zu vermeiden. Seine Füße suchten nach einem Tritt, und sein Atem kam so laut und stoßweise zwischen den Zähnen hervor, dass er fast sicher war, jeden Augenblick würde jemand erscheinen und nachsehen. Einen Moment lang bedauerte er schon, den schweren Gladius zusammen mit dem um die Brust gewickelten Seil mitgenommen zu haben. Einerseits konnte er sich nichts Schlimmeres vorstellen als die Mauerkrone ohne Waffe zu erreichen, andererseits war die Aussicht, mit lautem Getöse abzustürzen, genauso unerfreulich.

Im Widerschein der Fackeln aus dem Inneren der Festung, die zur Verteidigung gegen Gaditicus und seine fünfzig Männer ansetzte, erkannte Pelitas über sich den Umriss eines hervorstehenden Steins. Er lachte verächtlich in sich hinein. Richtige Soldaten hätten schon längst Späher ausgesandt, um die Umgebung nach einer zweiten Angreifergruppe oder einem Hinterhalt abzusuchen. Es war doch gut, wenn man sein Handwerk richtig gelernt hatte, dachte er bei sich.

Blind tastete sich seine Hand nach oben und fand schließlich festen Halt, wo die Jahrhunderte die Kante eines Steinquaders ausgewaschen hatten. Pelitas’ Arme zitterten vor Erschöpfung, als er endlich die Hand auf den obersten Stein der Mauer legte und einen Moment lang so hängen blieb. Bevor er sich ganz hinaufzog, lauschte er sicherheitshalber, ob jemand nahe genug war, um ihn aufzuspießen.

Doch selbst als er den Atem anhielt, um zu horchen, vernahm er kein verdächtiges Geräusch. Er nickte vor sich hin und presste die Zähne aufeinander, als könne er die Angst zerbeißen, die er in solchen Momenten immer verspürte. Dann zog er sich hoch, schwang ein Bein über die Mauerkrone und ließ sich hinter die Mauer fallen. Dort duckte er sich sofort und zog seinen Gladius langsam und so geräuschlos wie möglich aus der Scheide.

Unsichtbar kauerte er in der Dunkelheit auf dem Rand einer schmalen Plattform, von der zu beiden Seiten Stufen zu den anderen Gebäuden hinunterführten. Die Überreste einer Mahlzeit auf dem Boden verrieten ihm, dass hier eine Wache gestanden hatte. Doch der Mann war offensichtlich zum Tor geeilt, um den Angriff dort abzuwehren, statt auf seinem Posten zu bleiben. Angesichts dieses Mangels an Disziplin schüttelte Pelitas missbilligend den Kopf.

Behutsam wickelte er sich das schwere Seil vom Körper und band ein Ende an einen verrosteten Eisenring, der in den Stein eingelassen war. Er zog kräftig daran, lächelte und ließ das erneut locker aufgerollte Seil hinunter in die Dunkelheit fallen. Julius sah, dass auch eine der anderen Einheiten dicht an der Innenseite der Außenmauer stand. Die Männer ahmten seine Idee nach, die Leitern hereinzuholen. Beim nächsten Mal würden sie ein Seil an die obere Sprosse binden, es über die Mauer werfen, und der letzte Mann konnte die Leiter dann einfach hochziehen. Aber hinterher war man immer schlauer. Gaditicus hätte mehr Zeit damit verbringen sollen, die Anlage der Festung zu erkunden, obwohl das zugegebenermaßen sehr schwierig war, denn im weiten Umkreis überragte nichts den steilen Hügel von Mytilene. Julius verwarf den Gedanken als illoyal. Trotzdem wusste er, dass er, hätte er den Angriff befehligt, seine Männer niemals zum Angriff gegen die Festung geschickt hätte, ehe er alles in Erfahrung gebracht hätte, was es darüber zu wissen gab.

Die Gesichter der drei Männer an der Basis der Menschenpyramide waren schweißüberströmt und vor Schmerzen verzerrt. Von oben hörte er kratzende Geräusche, dann glitt die Leiter endlich herab. Eilig lehnte er sie gegen die Wand, und die Männer, die oben standen, kletterten daran herunter. Die drei unteren Männer keuchten vor Erleichterung und rollten ausgiebig die Schultern, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Julius ging zu ihnen, packte jeden anerkennend am Unterarm und teilte ihnen flüsternd den nächsten Schritt des Angriffs mit. Gemeinsam liefen sie hinüber zur Innenmauer.

Dicht über ihnen brüllte jemand etwas aus der Dunkelheit der inneren Festung. Julius’ Herz hämmerte wie wild. Er verstand die Worte zwar nicht, aber die Panik darin war offensichtlich. Inzwischen war der Überraschungseffekt verpufft, doch sie hatten die Leiter, und als er sich eng an die Mauer presste, sah er, dass auch Pelitas nicht versagt hatte oder abgestürzt war.

»Bringt die Leiter ein paar Fuß weiter hier herüber und seht zu, dass sie fest steht. Drei Mann klettern hier am Seil hoch. Der Rest kommt mit mir.«

Sie rannten hinüber zu dem neuen Angriffspunkt. Plötzlich schwirrten über ihren Köpfen Pfeile durch die Luft und trafen die Männer der anderen Gruppe, die gerade ihre Leiter herübertrugen. Schreie gellten, als ein Römer nach dem anderen tödlich getroffen zusammenbrach. Julius zählte wenigstens fünf Bogenschützen über ihnen. Ihre Aufgabe wurde erleichtert, als Fackeln entzündet und in den Vorhof hinuntergeworfen wurden. Der untere Teil der Innenmauer lag noch immer im Dunkeln. Julius nahm an, dass die Rebellen noch nicht gemerkt hatten, dass die Römer bereits unter ihnen standen, und glaubten, soeben die ersten Angreifer abzuwehren.

Den Gladius fest in der Hand, bestieg Julius die Leiter und erklomm die weit auseinander liegenden Sprossen. Die Erinnerung an den Aufstand, bei dem vor Jahren sein Vater getötet worden war, schoss ihm durch den Kopf. So fühlte es sich also an, der Erste zu sein, der die Mauer erstieg! Oben angekommen, schob er die Gedanken schnell beiseite und warf sich blitzschnell nieder, um einem Axtschlag auszuweichen, der ihn enthaupten sollte. Er verlor das Gleichgewicht und schwankte einen Moment hilflos auf der Mauer, bekam aber wieder festen Halt, und dann war er drinnen.

Er hatte keine Zeit, die Lage zu prüfen. Mit einer schnellen Bewegung parierte er einen weiteren Axthieb und trat fest zu, als das Gewicht der Waffe seinen Angreifer zur Seite riss. Die Axt prallte hart auf die Steine, und Julius’ Schwert glitt mühelos in die schwer atmende Brust seines Gegners. Etwas traf ihn am Kopf und sein Wangenschutz brach ab. Alles um ihn herum verschwamm, automatisch riss er das Schwert hoch, um den Schlag zu parieren. Er fühlte, wie ihm Blut an Hals und Brust herunterlief, kümmerte sich jedoch nicht darum. Inzwischen hatten noch mehr Männer aus seiner Einheit den schmalen Wehrgang erreicht, und das Gemetzel begann.

Drei seiner Männer bildeten am oberen Ende der Leiter eine Art Keil. Ihre leichten Rüstungen verbeulten unter den Schlägen. Julius sah, wie einer der Rebellen von einem Gladius aufgespießt wurde, der von unten durch seinen Kiefer drang.

Die Männer, gegen die sie kämpften, trugen keine Uniformen. Einige hatten uralte Rüstungen angelegt und schwangen seltsame Schwerter, andere wiederum waren mit Streitäxten und Speeren ausgerüstet. Dem Aussehen nach waren es Griechen, und sie schrieen sich auch gegenseitig Worte in dieser melodischen Sprache zu. Alles versank in einem heillosen Durcheinander, und Julius konnte nur fluchend zusehen, wie einer seiner Männer mit einem Aufschrei zu Boden ging. Dunkles Blut spritzte im Licht der Fackeln auf. Von überall her näherte sich jetzt das Hallen eiliger Schritte. Es hörte sich an, als hielte sich eine ganze Armee in der Festung auf, die sich jetzt eilig um sie zusammenzog. Zwei weitere von seinen Männern tauchten oben auf dem Wehrgang auf, warfen sich ins Kampfgetümmel und schlugen den Feind zurück.

Mit einem Ausfall, den Renius ihm vor Jahren einmal gezeigt hatte, bohrte Julius seine Schwertspitze in die Kehle eines Feindes; wild und wie im Rausch stieß er zu, und sein Gegner stürzte tot zu Boden. Was auch immer sie waren, die Männer, denen sie hier gegenüberstanden, konnten nur durch zahlenmäßige Überlegenheit gewinnen. Die Disziplin und die Geschicklichkeit der römischen Soldaten machte es nahezu unmöglich, die Männer rings um die Leiter zu vertreiben.

Dennoch ermüdeten sie langsam. Julius sah, wie einer seiner Männer vor Angst und hilfloser Wut aufschrie, als sein Schwert zwischen den Platten einer Prunkrüstung stecken blieb, die wahrscheinlich seit der Zeit Alexanders des Großen von Generation zu Generation weitergegeben worden war. Zornig zerrte der Römer an seinem Schwert und schleuderte seinen gepanzerten Gegner dabei fast zu Boden. Doch sein wütendes Gebrüll verwandelte sich abrupt in einen Schmerzensschrei. Julius sah, wie der Rebell dem Römer einen kurzen Dolch unter der Brustpanzerung in den Unterleib rammte. Der Getroffene sank in sich zusammen und ließ sein verkeiltes Schwert stecken.

»Zu mir!«, schrie Julius seinen Leuten zu. Nur gemeinsam konnten sie sich einen Weg auf dem schmalen Wehrgang freikämpfen und tiefer in die Festung eindringen. Er sah eine Treppe neben sich und gab seinen Männern ein Zeichen. Immer mehr seiner Gegner fielen tot und verwundet zu Boden, und allmählich fand Julius Gefallen an dem Kampf. Sein Schwert lag gut in der Hand, und seine Rüstung gab ihm das Gefühl, unverwundbar zu sein. In der Hitze des Gefechts erschien sie ihm federleicht.

Ein unerwarteter Schlag fegte ihm den ohnehin schon beschädigten Helm vom Kopf, und er empfand die kalte Nachtluft als eine Wohltat auf der verschwitzten Haut. Er lachte kurz auf, machte einen schnellen Schritt nach vorne und warf sich gegen den Schild eines Gegners, so dass der Mann seinen eigenen Kameraden vor die Füße taumelte.

»Accipiter!«, schrie Julius laut. Habicht. Der Schlachtruf würde genügen. Er hörte, wie andere Stimmen ihn aufgriffen und weitergaben, und er brüllte den Namen immer wieder, während er sich unter einem gekrümmten Schwert hinwegduckte, das eher wie das Grabmesser eines Bauern aussah als wie eine kampftaugliche Waffe. Julius’ Gegenschlag schlitzte dem Mann die Oberschenkel auf und ließ ihn brüllend auf die Steinplatten sinken.

Die anderen Legionäre sammelten sich um ihn. Er sah, dass acht Männer seiner Einheit die Mauer erklommen hatten; sechs weitere hatten die Salven der Bogenschützen überlebt. Sie kämpften Rücken an Rücken, und die angreifenden Rebellen wurden weniger, denn immer mehr Leichen lagen um sie herum.

»Wir sind Soldaten Roms«, presste einer der Männer zwischen den Zähnen hervor. »Wir sind die Besten der Welt. Vorwärts! Nicht zurückbleiben!«

Julius grinste ihn an und stimmte in den Schlachtruf ein, den Namen ihrer Galeere, als dieser wieder laut ertönte. Er hoffte, dass Pelitas ihn hörte, denn irgendwie zweifelte er nicht daran, dass der hässliche Kerl das Ganze überlebt hatte.

Pelitas hatte an einem Haken einen Umhang gefunden, unter dem er seine römische Tunika und das blanke Schwert verbergen konnte. Ohne seine Rüstung fühlte er sich schutzlos, aber die Männer, die an ihm vorbeirannten, beachteten ihn überhaupt nicht. Ganz in der Nähe hörte er die Legionäre ihre Kampfparolen knurren und brüllen, und ihm wurde klar, dass es höchste Zeit war, zu ihnen zu stoßen. Er nahm eine Fackel aus der Wandhalterung und folgte den herbeistürzenden Feinden zu dem wütenden Klirren der Schwerter. Bei allen Göttern… es waren wirklich unglaublich viele! Außerdem war die innere Festung ein wahres Labyrinth aus zerbröckelnden Mauern und leeren Räumen. Es würde Stunden dauern, um die Burg von allen Gegnern zu säubern, denn jeder Schritt konnte in einen Hinterhalt oder in die Schusslinie eines Bogenschützen führen. Für einen kostbaren Augenblick unbeobachtet und unerkannt, schob sich Pelitas um eine Ecke. Er kam schnell voran und versuchte zwischen all den Nischen und Winkeln nicht die Orientierung zu verlieren. Dann stand er vor der nördlichen Mauer, dicht neben einer Gruppe Bogenschützen, die mit ernsten und konzentrierten Gesichtern ihre Pfeile abschossen. Vermutlich war der Rest von Gaditicus’ Streitkraft noch immer dort draußen, obwohl Pelitas unten im Hof beim Haupttor schon raue römische Befehle hören konnte. Eine Hand voll Männer war also bereits ins Innere der Festung vorgedrungen, doch die Schlacht war noch lange nicht vorüber.

Fast die halbe Stadt musste sich hier oben verschanzt haben, dachte er wütend, als er auf die Bogenschützen zulief. Kurz bevor er sie erreicht hatte, hob einer jäh den Kopf, nickte dann aber nur und schoss ohne Eile weiter in die Menge der Soldaten unter ihnen.

Als er erneut zielte, griff Pelitas an und stieß zwei der Männer kopfüber auf die Steine unter ihnen. Mit einem dumpfen Knall schlugen sie auf, und die anderen drei Bogenschützen drehten sich entsetzt zu ihm um. Pelitas warf den Umhang zurück und hob sein Kurzschwert.

»Guten Abend, Jungs«, sagte er fröhlich. Schon beim ersten Schritt rammte er dem Nächststehenden sein Schwert in die Brust und stieß den Leichnam mit dem Knie achtlos die Mauer hinunter. Dann bohrte sich ein Pfeil in seine Seite und fuhr so tief hinein, dass vorne am Bauch nur noch die Federn herausragten. Er stöhnte auf, als seine linke Hand fast automatisch und wie von selbst daran zerrte. Zornig zog er dem vor ihm stehenden Schützen, der jetzt ebenfalls den Bogen hob, den Gladius durch die Kehle.

Der Mann, der am weitesten von ihm entfernt stand, hatte den Schuss abgegeben. Fieberhaft versuchte er nun einen weiteren Pfeil einzulegen, aber die Furcht machte ihn ungeschickt, und schon hatte Pelitas ihn mit zum Stoß vorgestrecktem Schwert erreicht. Angsterfüllt wich der Schütze zurück und kippte mit einem gellenden Schrei über die Mauer. Pelitas sank keuchend auf ein Knie. Das Atmen tat weh. Da kein Gegner mehr da war, legte er das Schwert neben sich. Dann versuchte er, den Pfeil an seinem Rücken abzubrechen. Er würde ihn nicht ganz herausziehen, denn jeder Soldat hatte schon einmal den tödlichen Blutschwall gesehen, der dann aus der Wunde hervorsprudelte und einen unweigerlich verbluten ließ. Der Gedanke, jedes Mal damit anzustoßen, wenn er sich umdrehte, trieb ihm die Tränen in die Augen.

Seine Hände wurden langsam glitschig, aber er konnte den hölzernen Schaft nur ein wenig biegen. Ein leises, gequältes Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Seine Seite war blutüberströmt und ihm wurde schwindlig, als er versuchte aufzustehen. Er knurrte leise und zog den Pfeil wieder durch sich hindurch, damit er hinten nicht zu weit herausragte.

»Muss die anderen finden«, murmelte er verbissen und holte tief Luft. Seine Hände zitterten im einsetzenden Schock, also packte er mit der einen den Gladius so fest wie möglich, die andere barg er zur Faust geballt in einer Falte des Umhangs.

Gaditicus schlug einem Mann, der auf ihn zugerannt kam, mit dem Handrücken in die Zähne und versetzte ihm dann einen Stoß in die Rippen. Die Festung war voller Aufständischer, viel mehr, als die kleine Insel überhaupt ernähren konnte, dessen war er sich sicher. Die Rebellion musste wie ein Lauffeuer vom Festland übergegriffen haben, doch es war zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Trotzdem musste er an die Frage des jungen Offiziers nach der Anzahl der Gegner denken, und auch daran, wie er höhnisch darüber gelacht hatte. Vielleicht hätte er wirklich Verstärkung anfordern sollen. Der Ausgang dieser Nacht war schwer vorauszusagen.

Dabei hatte alles so gut angefangen: Die Wachen waren rasch und fast gleichzeitig ausgeschaltet worden. Noch bevor irgendjemand drinnen überhaupt begriffen hatte, was da vor sich ging, hatte er zehn Männer über die Leitern steigen und das Tor öffnen lassen. Dann jedoch hatten die dunklen Gebäude Unmengen von Soldaten ausgespieen, die noch im Laufen ihre Rüstungen anzogen. Die engen Gänge und Treppen dieses Irrgartens waren der Traum eines jeden Bogenschützen. Nur das spärliche Licht hinderte sie daran, schlimmere Treffer als nur Fleischwunden zu landen. Gaditicus hatte bis jetzt nur einen Mann verloren, dem ein Pfeil direkt in den Mund und durch den Schädel gedrungen war.

Er hörte seine Männer keuchen, als sie sich in der Dunkelheit dicht hinter ihm an eine Wand drängten. Ein paar Fackeln waren angezündet worden, aber abgesehen von gelegentlich blind abgefeuerten Pfeilen hatte sich der Feind fürs Erste in die Seitengebäude zurückgezogen. Jeder, der jetzt zwischen ihnen hindurcheilte, würde schon nach den ersten Schritten in Stücke gehackt werden. Andererseits konnten die Feinde ihren Unterschlupf auch nicht verlassen, um die Legionäre anzugreifen. Es war eine vorübergehende Kampfpause, und Gaditicus war froh, dass er kurz Luft holen konnte. Ihm fehlte die gute körperliche Verfassung der Landlegionen. Wie man auf einem Schiff auch exerzierte und trainierte, bereits nach wenigen Minuten rennen und kämpfen an Land war man erschöpft. Vielleicht war es aber auch nur das Alter, gestand er sich insgeheim ironisch ein.

»Der Fuchs ist in seinem Bau verschwunden«, murmelte er. Von jetzt an würde es sehr schwer werden. Sie mussten sich von Gebäude zu Gebäude durchkämpfen und würden dabei für jeden getöteten Feind einen der eigenen Männer verlieren. Für die Aufständischen war es einfacher. Sie brauchten nur hinter einer Tür oder einem Fenster zu lauern und den Ersten niederzustechen, der hereinkam.

Gerade als sich Gaditicus umdrehte, um dem Soldaten hinter ihm einen Befehl zu erteilen, sah er, wie der Mann mit vor Schreck aufgerissenem Mund vor sich auf den Boden starrte. Die Steine waren mit einer schimmernden Flüssigkeit bedeckt, die zwischen den Gebäuden der Festung herunterrann und sich schnell zwischen den Füßen der Männer verteilte. Jetzt blieb keine Zeit mehr, einen Plan zu schmieden.

»Lauft!«, schrie Gaditicus seinen Männern zu. »Rennt nach oben! Bei allen Göttern, lauft!«

Einige der jüngeren Männer sahen sich verständnislos um, doch die Erfahreneren versuchten nicht erst, das Warum zu ergründen. Gaditicus lief hinten und versuchte nicht an die Bogenschützen zu denken, die auf genau diesen Augenblick gewartet hatten. Er hörte das Knistern des Feuers, das die klebrige Flüssigkeit in Brand setzte. Pfeile schwirrten an seinem Kopf vorbei und trafen einen Legionär in den Rücken. Der Soldat wankte noch ein paar Schritte weiter, bevor er zusammenbrach. Gaditicus blieb stehen, um ihm zu helfen, aber als er den Kopf drehte, sah er die Flammen auf sich zurasen. Er bückte sich und zog dem Soldaten die Schwertklinge durch die Kehle, denn ein schneller Tod war immer noch besser, als bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Kaum hatte er sich aufgerichtet, spürte er die Hitze im Rücken, und blankes Entsetzen packte ihn. Seine Sandalen waren völlig mit dem Zeug durchtränkt, und er wusste sehr wohl, dass dieses Feuer nicht zu löschen war. Blindlings rannte er hinter seinen Männern her.

Die Soldaten stürzten in vollem Lauf um eine Ecke und rannten direkt auf drei kniende Bogenschützen zu. Alle drei verloren die Nerven, und nur einer schoss einen Pfeil ab, der über ihre Köpfe hinwegflog. Sie wurden fast ohne Verzögerung überrannt und niedergemäht.

Die auflodernden Flammen machten die Festung sichtbar. Gaditicus und seine Männer brüllten vor Wut und vor Erleichterung, noch am Leben zu sein, und ihr Gebrüll gab ihnen neue Kraft und verängstigte die Feinde.

Ihr Weg endete in einem Hof, und dieses Mal schossen die wartenden Bogenschützen schnell und präzise. Die vier Männer der ersten Reihe gingen sofort zu Boden, und die zweite Reihe stolperte über ihre toten Kameraden. Der Hof war voller Rebellen, die, wie um den Römern in Wildheit nicht nachzustehen, heulend auf sie zustürmten.

Julius erstarrte, als er die Flammen vor einer Reihe niedriger Gebäude zu seiner Linken auflodern sah. Sofort teilte sich die schützende Dunkelheit in flackerndes Gold und tiefe Schatten, und nur ein paar Schritte vor ihm wurden in einer Nische plötzlich drei Männer sichtbar. Sie wurden niedergemacht, und die Römer entdeckten hinter ihnen eine offene Tür, die tiefer in die Festung hineinführte. Ohne lange zu überlegen, rannte Julius direkt hindurch und riss einem Feind, der dahinter wartete, sein Schwert durch die Eingeweide, bevor dieser zuschlagen konnte. Seine Männer zögerten keinen Augenblick und folgten ihm. Da sie die Festung nicht kannten, konnten sie auf der Suche nach Gaditicus und seinen Männern kostbare Zeit verlieren. Am wichtigsten war es, ständig in Bewegung zu bleiben und jeden zu töten, der sich ihnen in den Weg stellte.

Nach dem hellen Feuerschein draußen war es im Innern der Festung erschreckend dunkel. Eine Treppe führte zu einer Reihe leerer Räume, an deren hinterem Ende eine weitere Treppe nach unten führte. Sie wurde von einer einzigen Öllampe an der Wand beleuchtet. Julius griff sich die Lampe und fluchte, als die heiße Flüssigkeit auf seine Haut tropfte. Seine Männer polterten hinter ihm her, und Julius warf sich am Fuße der Treppe zu Boden. Um ihn herum prallten Pfeile auf die Steine, zersplitterten und ließen spitze Bruchteile zwischen sie spritzen.

Drei Männer befanden sich in dem niedrigen, länglichen Raum. Zwei von ihnen starrten die schmutzigen, blutbesudelten Soldaten entsetzt an. Der dritte, ihr Gefangener, war an einen Stuhl gefesselt. An seinem Gewand erkannte Julius, dass er Römer sein musste. Gesicht und Körper waren geschunden und geschwollen, in seinen Augen jedoch flammte ein Funken jäher Hoffnung auf.

Julius stürmte quer durch den Raum und wich einem zu hastig abgefeuerten Pfeil aus. Er erreichte die Männer und schnitt dem Bogenschützen mit beinahe verächtlicher Geste die Kehle durch. Der andere versuchte ihn zu erstechen, doch der Brustpanzer hielt dem Stoß leicht stand. Ein Schlag mit dem Handrücken schickte den Mann zu Boden.

Julius setzte die Spitze seines Gladius’ auf den Boden und stützte sich darauf. Mit einem Mal war er sehr müde. Sein Atem ging stoßweise, und erst jetzt fiel ihm auf, wie still es in dem Raum war, wie tief unter der eigentlichen Festung sie sich befinden mussten.

»Das hast du gut gemacht«, sagte der Mann auf dem Stuhl.

Julius schaute ihn an. Erst aus der Nähe sah er, wie brutal der Mann gefoltert worden war. Sein Gesicht war geschwollen und verschoben, die Finger waren ihm gebrochen worden und standen in grotesken Winkeln ab. Ein Zittern durchlief den Körper des Mannes. Julius nahm an, dass er versuchte, den Rest Selbstbeherrschung, der ihm noch geblieben war, nicht auch noch zu verlieren.

»Schneidet ihn los!«, befahl er und half dem Gefangenen auf, sobald er seine Fesseln los war. Der Mann war sehr unsicher auf den Beinen. Unwillkürlich stützte er eine Hand auf den Stuhl, stöhnte jedoch sofort vor Schmerzen auf. Er verdrehte die Augen nach oben, aber unter Julius’ festem Griff fasste er sich wieder.

»Wer bist du?«, fragte Julius und überlegte, was nun mit dem Befreiten geschehen sollte.

»Ich bin Paulus, der Statthalter. Man könnte sagen… das ist meine Festung.« Von Erschöpfung und Erleichterung übermannt, schloss er beim Sprechen die Augen. Julius bewunderte die Haltung des Mannes.

»Noch nicht, Herr«, erwiderte er. »Über uns wird gekämpft, und wir müssen wieder hinauf. Ich schlage vor, wir suchen einen sicheren Ort für dich, wo du den Ausgang abwarten kannst. Du siehst nicht gerade so aus, als könntest du dich uns anschließen.«

Tatsächlich war jede Farbe aus dem Gesicht des Mannes gewichen. Seine Haut war schlaff und aschgrau. Er war etwa fünfzig Jahre alt, von kräftiger Statur, und hatte einen leichten Bauchansatz. Julius vermutete, dass er früher einmal Soldat gewesen war. Doch die Zeit und ein geruhsames Leben hatten ihm seine Kraft genommen, zumindest die Kraft seiner Muskeln.

Der Statthalter richtete sich ein wenig auf. Die immense Willensanstrengung war ihm dabei deutlich anzusehen.

»Ich komme mit euch, so weit ich kann. Meine Hände sind zerschlagen, also kann ich nicht kämpfen. Aber ich will wenigstens aus diesem stinkenden Dreckloch hier heraus.«

Julius nickte und gab zweien seiner Männer ein Zeichen.

»Nehmt vorsichtig seine Arme, tragt ihn, wenn ihr müsst. Wir müssen Gaditicus zu Hilfe eilen.«

Mit diesen Worten stürmte Julius die Treppe hinauf. Seine Gedanken waren schon wieder bei der Schlacht über ihm.

»Komm, Herr! Stütz dich auf mich!«, sagte einer der beiden Männer und legte sich einen Arm des Statthalters auf die Schultern. Als sich dabei seine zerschmetterten Hände bewegten, schrie der Geschundene vor Schmerz auf und biss dann die Zähne aufeinander.

»Bringt mich schnell hier raus!«, befahl er knapp. »Wer war der Offizier, der mich befreit hat?«

»Das war Cäsar, Herr«, antwortete der Soldat und sie machten sich an den mühsamen Aufstieg. Am Ende der ersten Treppe war der Statthalter vor Schmerz ohnmächtig geworden, und sie kamen wesentlich schneller voran.

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