7

Verkrampft und steif vor Kälte erwachte Tubruk in der Dunkelheit des Sklavenhauses. Er hörte, dass sich um ihn herum noch andere Körper bewegten, doch in dem Kerker, in dem sie schliefen und für die Reise bereitgehalten wurden, war vom Morgengrauen noch nichts zu sehen.

Von Anfang an, als er und Fercus die Einzelheiten seines Planes ausgearbeitet hatten, hatte er es sich selbst nie zugestanden, auch über sein eigenes Schicksal nachzudenken. Die drohende Folter oder gar der Tod, falls der Anschlag auf Sulla fehlschlug oder er auf der Flucht gefangen genommen würde, schienen ihm eine vergleichsweise geringe Sorge zu sein. Es gab für ihn so viele Möglichkeiten zu scheitern, dass er den Gedanken an die eine Nacht und den einen Tag, die er eventuell als Sklave zubringen musste, verdrängt, ja sogar beinahe vergessen hatte.

Er sah sich um und machte in der Dunkelheit einzelne Augenpaare aus. Das Gewicht der eisernen Handschellen wurde ihm bewusst. Sie fesselten seine Hände an eine feingliedrige Kette, die bei der kleinsten Bewegung rasselte. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie es gewesen war, das erste Mal als Sklave in Ketten zu liegen. Doch die Erinnerungen an die Nächte, Tage und Jahre drängten sich in seine Gedanken und wurden so übermächtig, dass er beinahe laut aufgeschrieen hätte. Einige der angeketteten Männer weinten leise. Noch nie in seinem Leben hatte Tubruk traurigere Klagelaute gehört.

Vielleicht hatte man sie aus fremden Ländern hierher verschleppt, oder sie wurden für eine Straftat, oder weil sie sich verschuldet hatten, mit der Sklaverei bestraft. Es gab viele Möglichkeiten, so zu enden, die schlimmste von allen jedoch war, in die Sklaverei geboren zu werden. Als Kind rannte man noch in aller Unschuld umher und spielte, bis man alt genug wurde, um zu begreifen, dass es keine Zukunft gab, außer der, verkauft zu werden.

Tubruk atmete den Stallgeruch ein. Öl und Stroh, Schweiß und Leder. Saubere menschliche Tiere, die nichts besaßen und jemand anderem gehörten. Trotz des Gewichts der Ketten richtete er sich auf. Die anderen Sklaven hielten ihn für einen der ihren, für jemanden, der schwere Schuld auf sich geladen hatte, weil er derart von Schlägen gezeichnet war. Aus dem gleichen Grund hielt ihn auch die Wache für einen Unruhestifter. Nur Fercus allein wusste, dass er in Wirklichkeit ein freier Mann war.

Der Gedanke daran war nicht sehr beruhigend. Es genügte nicht, sich in Erinnerung zu rufen, dass er nur eine kurze Reise vom Gut und von der Freiheit entfernt war. Wenn man von jedermann für einen Sklaven gehalten wurde und in der Dunkelheit so angekettet war, dass selbst das Aufstehen unmöglich war, wo ist da die kostbare Freiheit? Wenn ein freier Mann mit Sklaven zusammen an einer Kette hing, dann war auch er ein Sklave. Tubruk fühlte die alte namenlose Angst in sich aufsteigen, die er vor Jahrzehnten in demselben Raum schon einmal gespürt hatte. Essen, schlafen, aufstehen und sterben – und das alles nach Lust und Laune eines anderen. Er war dahin zurückgekehrt, und all die Jahre, in denen er stolz darauf gewesen war, seinen Weg zurück in die Freiheit gefunden zu haben, schienen mit einem Wimpernschlag nurmehr Schall und Rauch.

»Sie ist ein so zerbrechliches Gut«, sagte er leise, nur um seine eigene Stimme zu hören. Der Mann neben ihm erwachte stöhnend und riss Tubruk fast um, als er versuchte sich aufzusetzen. Tubruk wandte den Blick ab. Er war dankbar für die Dunkelheit und wollte nicht, dass das Licht durch die weit oben liegenden Fenster hereindrang und ihre Gesichter enthüllte. Die Männer um ihn herum waren für ein kurzes, schweres Leben auf den Feldern bestimmt, wo sie so lange arbeiten würden, bis sie umfielen und nicht mehr aufstehen konnten. Und sie glichen ihm selbst. Vielleicht würden ein oder zwei in diesem Raum wegen ihrer Körperkraft und Schnelligkeit ausgewählt und für den Zirkus ausgebildet werden. So würden sie ihr Leben im Sand der Arena ausbluten, statt als verkrüppelte Wasserträger zu enden oder langsam von einer Krankheit dahingerafft zu werden. Ein paar von ihnen würden vielleicht auch Kinder haben, die man ihnen wegnahm, um sie zu verkaufen, sobald sie alt genug waren.

Trotz Tubruks Wunsch drang langsam das Morgenlicht in ihre Zelle, in der die angeketteten Sklaven still und teilnahmslos verharrten. Nur das leise Klirren der Ketten wies darauf hin, dass die meisten von ihnen inzwischen erwacht waren. Mit dem Licht kam auch das Essen, also warteten sie geduldig weiter.

Tubruk betastete sein Gesicht und zuckte zusammen, als seine Finger über die Schwellungen glitten, die von Fercus’ Schlägen herrührten. Die Wache hatte sehr überrascht ausgesehen, als man Tubruk hereingebracht hatte. Fercus war noch nie grausam gewesen, und der Wachmann wusste, dass Tubruk ihn schon sehr beleidigt haben musste, um ausgerechnet am Vortag seiner Auslieferung an seine neuen Besitzer eine so schwere Tracht Prügel zu beziehen.

Natürlich waren keine Fragen gestellt worden. Selbst wenn die Sklaven nur ein paar Tage in Fercus’ Haus verbrachten, bis er sie weiterverkauft hatte, so waren sie in dieser Zeit dennoch sein Eigentum, genauso wie der Stuhl, auf dem er saß oder die Kleider, die er trug.

Man gab ihnen Holzschalen mit gekochten Gemüseresten und Brot. Tubruk tauchte gerade die Finger in die Schale, als sich die Tür wieder öffnete und Fercus mit drei Soldaten hereinkam. Tubruk hielt wie die anderen den Kopf gesenkt, weil er nicht riskieren wollte, ihre Blicke auf sich zu ziehen. Ein plötzliches Gemurmel war zu hören, doch Tubruk schwieg beharrlich. Er hatte seinen eigenen Verdacht, warum die Soldaten hier waren, und sein Magen krampfte sich vor innerer Anspannung zusammen. Mittlerweile mussten sie das ganze Küchenpersonal in Sullas Haus verhört haben, und dabei hatten sie sicherlich festgestellt, dass ein gewisser Dalcius fehlte. Fercus hatte zwar damit gerechnet, dass sie beim Verlassen der Stadt noch einmal kontrolliert würden, aber dass sie so gründlich vorgingen und sogar seine Sklavenzellen durchsuchten, noch bevor der Transport überhaupt aufgebrochen war, überraschte ihn doch.

Im grauen Licht des anbrechenden Tages fürchtete Tubruk, sofort entdeckt zu werden, doch die Soldaten gingen ohne Hast zwischen den kauenden Sklaven hindurch. Offensichtlich nahmen sie die ihnen übertragene Aufgabe sehr ernst und wollten sehr gewissenhaft vorgehen. Sollten sie doch, dachte Tubruk verärgert. Wenn sie ihn hier nicht ausfindig machten und man ihn später am Stadttor doch entlarvte, würden sie schwer bestraft werden. Er fragte sich, ob Sulla das Gift mit dem Eis gegessen hatte, doch falls der Senat beschlossen hatte, die Nachricht zurückzuhalten, würde es Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern, bevor er es mit Sicherheit wusste. Die Bevölkerung Roms bekam den Diktator ohnehin nur selten zu Gesicht, und wenn, dann nur aus weiter Entfernung über die Köpfe einer Menschenmenge hinweg. Sie würden ihr Leben ahnungslos weiterleben und vielleicht nie von dem Attentat erfahren – sofern Sulla überlebt hatte.

Eine grobe Hand fuhr unter sein langsam mahlendes Kinn und zog seinen Kopf nach oben. Tubruk erblickte einen jungen Legionär mit unbarmherzigen Augen. Er schluckte seinen Bissen hinunter und versuchte eine gleichgültige Miene aufzusetzen.

Der Soldat pfiff leise durch die Zähne. »Der hier hat aber eine ordentliche Abreibung gekriegt«, sagte er leise.

Tubruk blinzelte nervös durch seine geschwollenen Augen.

»Er hat meine Frau beleidigt«, knurrte Fercus. »Ich habe die Bestrafung gleich selbst vorgenommen.«

»Tatsächlich?«, fuhr der Legionär fort.

Tubruk schlug das Herz bis zum Hals. Zu spät fiel ihm ein, dass er dem Mann besser nicht in die Augen sehen sollte.

»Wenn es meine Frau gewesen wäre, hätte ich ihm den Bauch aufgeschlitzt«, sagte der Legionär abfällig und ließ Tubruks Kinn los.

»Aber dann wäre mir mein Gewinn entgangen«, gab Fercus eilig zu bedenken.

Der Offizier schnaubte verächtlich und sagte nur ein einziges Wort. »Händler!«

Er und Fercus gingen weiter zum nächsten Mann und Tubruk aß seine Schüssel leer, die er fest umklammerte, um das erleichterte Zittern seiner Hände zu verbergen. Ein paar Minuten später waren die Soldaten wieder weg, und die Wachen betraten den Raum, um sie mit Fußtritten zum Aufstehen zu bewegen. Dann kettete man sie in den Karren fest, die sie aus Rom heraus zu ihrem neuen Leben und zu ihrem neuen Zuhause bringen würden.

Unter dem Deck der Trireme drückte Julius den Kopf gegen die Gitterstäbe der kleinen Zelle und schloss sein linkes Auge, um genauer zu erkennen, was draußen vor sich ging. Wenn er es offen hielt, sah er immer so verschwommen, dass er bald Kopfschmerzen bekam, und das wollte er jeden Tag aufs Neue so lange wie möglich hinauszögern. Er sog die Luft tief in die Lunge und drehte sich wieder zu den anderen um.

»Das ist ganz sicher ein Hafen. Die Luft ist ganz warm, und ich rieche Früchte oder Gewürze. Ich würde sagen, das ist Afrika.«

Nach einem Monat in dem stickigen, beengten Halbdunkel verursachten diese Worte einige Aufregung unter den Römern, die gegen die hölzernen Wände ihres Kerkers gelehnt dalagen oder -saßen. Er sah sie der Reihe nach an und seufzte, bevor er wieder zu seinem Platz zurückschlurfte. Langsam und vorsichtig ließ er sich nieder, um seinen geschienten Arm nicht unnötig zu belasten.

Es war für sie alle ein sehr harter Monat gewesen. Man hatte ihnen Wasser zum Waschen und Rasiermesser verweigert, so dass sich die normalerweise peinlich sauberen Soldaten mittlerweile in einen zerlumpten, dreckigen und bärtigen Haufen verwandelt hatten. Der Eimer, den man ihnen als Latrine gegeben hatte, war übervoll und von Fliegen umschwirrt. Er stand hinten in einer Ecke, doch der Boden um den Eimer herum war glitschig vor Exkrementen, und sie hatten auch keine Lumpen, um sich abzuwischen. In der Tageshitze roch die Luft nach Krankheit, und zwei der Männer hatten bereits Fieber bekommen, das Cabera kaum in Schach halten konnte.

Der alte Heiler tat für sie, was er konnte. Aber jedes Mal, wenn er ihnen Essen brachte oder ihre Kranken versorgte, wurde er durchsucht. Die Piraten brauchten ihn immer noch für ihre eigenen Kranken und Verletzten. Cabera meinte, es sei offensichtlich, dass sie seit Jahren keinen Heilkundigen mehr an Bord gehabt hatten.

Julius spürte, wie die Kopfschmerzen einsetzten, und unterdrückte ein Stöhnen. Seit er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, waren die Schmerzen allgegenwärtig. Sie untergruben seinen Willen und zehrten an seiner Kraft, und sie ließen ihn die anderen unwirsch anfahren. Sie waren alle gereizt, und die Disziplin, die sie einmal gehabt hatten, hatte sich im eintönigen Dunkel Tag um Tag mehr aufgelöst. Gaditicus hatte mehr als einmal dazwischengehen müssen, um eine Schlägerei zu verhindern, weil die Gemüter überhitzt waren.

Wenn er die Augen geschlossen hielt, hielten sich auch die Kopfschmerzen in Grenzen. Doch Cabera hatte gesagt, er müsse das getrübte Auge benutzen und jeden Tag für ein paar Stunden damit abwechselnd in die Nähe und in die Ferne schauen, sonst würde es später, wenn sie erst wieder draußen in der Sonne wären, unbrauchbar bleiben. Er musste einfach fest daran glauben, dass das hier eines Tages zu Ende ging. Dann würde er nach Rom und zu Cornelia zurückkehren und von dem Elend hier nur noch böse Erinnerungen zurückbehalten. Es half schon, sich vorzustellen, wie er in der Sonne an der Hofmauer saß, den Arm um Cornelias schlanke Taille gelegt, dazu die kühle Luft von den Bergen, die an ihrem Haar zauste. Sie würde ihn sicher fragen, wie es ihm in dem Dreck und dem Gestank dieser Zelle hier ergangen sei, und er würde alles herunterspielen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als sich ihr Gesicht deutlicher in Erinnerung rufen zu können.

Julius hob die Hand und blinzelte sie an, dann sah er ebenso lange auf die verriegelte Tür, und dann wieder umgekehrt, bis die Kopfschmerzen erneut in seiner linken Schläfe pochten. Erschöpft ließ er die schmal gewordene Hand sinken und schloss die Augen. In dem Monat hier unten waren die Rationen gerade groß genug gewesen, um sie am Leben zu erhalten, mehr auch nicht. Was gäbe er jetzt für eine Auster, die ihm die Kehle hinunterglitt! Er wusste, dass es Unsinn war, sich so zu quälen. Aber sein Verstand brachte die leuchtenden Bilder von den Austernschalen so klar und deutlich hervor, als schwebten sie direkt vor ihm – und als seien seine Augen noch so gut wie vor dem Kampf auf der Accipiter.

Er konnte sich an die Geschehnisse dieses Tages überhaupt nicht mehr erinnern. Von einer Sekunde auf die andere war er nicht mehr gesund und stark, sondern krank und gebrechlich, mehr wusste er nicht. In den ersten Tagen, nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war er von wildem Zorn darüber erfüllt gewesen, was man ihm genommen hatte. Er war so lange auf dem linken Auge blind gewesen, dass er schon nicht mehr daran geglaubt hatte, jemals wieder richtig sehen und ein Schwert gebrauchen zu können.

Suetonius hatte ihm gesagt, dass einäugige Männer keine guten Kämpfer sein könnten. Außerdem hatte er gemerkt, dass er oft an Dingen vorbeigriff. Seine Hand fuhr einfach durch die Luft, weil er die Entfernungen falsch einschätzte. Jetzt, nachdem das Augenlicht zurückgekehrt war, schaffte er wenigstens das wieder. Doch die verschwommenen Umrisse, die er immer noch mit dem linken Auge sah, machten ihn wütend, und er versuchte unbewusst ständig, sich das Auge sauber zu reiben. Gewohnheitsmäßig hob sich seine Hand, doch er ertappte sich gerade noch rechtzeitig dabei; er wusste, dass es nichts nützen würde.

Der Kopfschmerz schien noch einen anderen Weg in seinem Kopf zu finden und arbeitete sich vor, bis auch dieser Punkt wie aus Mitgefühl mit dem ersten zu pochen begann. Hoffentlich würde es dabei bleiben und nicht noch schlimmer werden. Der Gedanke daran, was nach und nach mit ihm geschah, war für ihn eine Angst, der er sich noch nicht offen gestellt hatte, aber schon dreimal war der Kopfschmerz so stark geworden, dass Julius nur noch zuckende Lichtblitze sah, die ihn verzehrten. Dann war er jedes Mal mit dem Geschmack von Galle auf den Lippen wieder zu sich gekommen und hatte in seinem eigenen Dreck gelegen, während Gaditicus ihn energisch zu Boden drückte. Beim ersten Anfall hatte er sich so heftig auf die Zunge gebissen, dass sich sein Mund mit Blut füllte und er beinahe daran erstickt wäre. Jetzt hielten sie immer einen schmutzigen Stoffstreifen bereit, den sie aus seiner Tunika herausgerissen hatten. Den pressten sie ihm zwischen die Zähne, wenn er sich blind und in Krämpfen am Boden wälzte.

Bei dem Geräusch von Schritten auf der schmalen Treppe, die vom Deck herunterführte, hoben die rotäugigen, stinkenden Soldaten die Köpfe. Jedes ungewöhnliche Ereignis bedeutete für sie eine Ablenkung von der endlosen Langeweile. Selbst die zwei Männer, die im Fieber lagen, versuchten zu erkennen, wer da kam, obgleich der eine von ihnen sogleich wieder erschöpft zurücksank.

Es war der Kapitän des Schiffes, der, verglichen mit den Männern der Accipiter, vor Gesundheit und Sauberkeit nur so zu strotzen schien. Er war so groß, dass er den Kopf einziehen musste, um die Zelle zu betreten, und er hatte einen mit Schwert und Dolch bewaffneten Mann bei sich, der sich bereithielt, um sofort gegen eventuelle Angriffe vorzugehen.

Julius hätte über diese Vorsichtsmaßnahme laut gelacht, wenn ihm sein Kopf nicht so wehgetan hätte. Da sie keine Möglichkeit zur körperlichen Ertüchtigung hatten, hatten die Römer ihre Kraft rasch verloren. Es überraschte ihn immer noch, wie schnell Muskeln schwanden, wenn man sie nicht benutzte. Cabera hatte ihnen zwar gezeigt, wie sie sich gegenseitig durch Ziehen und Drücken wenigstens einigermaßen bei Kräften halten konnten, aber sonderlich viel schienen diese Übungen nicht zu bewirken.

Der Kapitän atmete flach und richtete seinen Blick auf den überlaufenden Eimer. Sein Gesicht war sonnengebräunt und vom jahrelangen Anblinzeln gegen das Gleißen des Meeres zerfurcht. Selbst seinen Kleidern haftete ein frischer Geruch an. Julius sehnte sich plötzlich so sehr danach, draußen an der frischen Luft zu sein, dass sein Herz vor Verlangen wild zu pochen begann.

»Wir haben jetzt einen sicheren Hafen erreicht. Vielleicht werdet ihr in ungefähr sechs Monaten irgendwann in einer einsamen Nacht wieder als freie, ausgelöste Männer am Strand abgesetzt werden.« Der Kapitän machte eine Pause, um sich an der Wirkung seiner Worte zu erfreuen. Die bloße Erwähnung, dass ihre Gefangenschaft ein Ende haben könnte, ließ die Blicke der Männer wie gebannt auf ihm ruhen.

»Aber die Summen, die wir für euch verlangen müssen, sind ein heikles Problem«, fuhr er fort. Seine Stimme klang so freundlich, als redete er mit Männern, die er gut kannte, statt mit Soldaten, die ihn mit den Zähnen in Stücke gerissen hätten, wenn ihnen die Kraft dazu geblieben wäre.

»Wir dürfen natürlich nicht so viel verlangen, dass eure Verwandten nicht zahlen können. Für die, die übrig bleiben, haben wir ja keine Verwendung. Andererseits habe ich den Verdacht, dass ihr mir, wenn ich euch danach frage, was ihr euren Familien wert seid, nicht die Wahrheit sagen werdet. Versteht ihr das?«

»Wir verstehen dich gut«, sagte Gaditicus.

»Also einigen wir uns am besten auf einen Kompromiss, denke ich. Jeder von euch nennt mir seinen Namen, seinen Rang und sein Vermögen, und ich entscheide, dass ihr gelogen habt, und füge der Summe das hinzu, was ich für richtig halte. Das ist ein bisschen so wie ein Glücksspiel.«

Niemand antwortete ihm, aber stumme Flüche stiegen zu den Göttern auf, und der Hass der Männer war deutlich an ihren Gesichtern abzulesen.

»Also gut. Fangen wir an.« Er zeigte auf Suetonius, der seinen Blick auf sich gezogen hatte, weil er sich gerade einen Läusebiss kratzte. Jeder von ihnen hatte von dem Ungeziefer überall am ganzen Körper rote Schrunden.

»Suetonius Prandus. Ich bin Wachoffizier im niedrigsten Rang, und meine Familie hat nichts zu verkaufen«, sagte er mit heiserer Stimme, weil er das Sprechen nicht mehr gewohnt war.

Der Kapitän blinzelte ihn prüfend an. Suetonius’ magere Gestalt verriet ebenso wie die aller anderen nicht das kleinste Anzeichen von Wohlstand. Julius wurde klar, dass sich der Kapitän nur auf ihre Kosten amüsieren wollte. Es machte ihm Spaß, die arroganten römischen Offiziere zu erniedrigen, weil sie mit einem Feind um ihren eigenen Wert schachern mussten. Doch was hätten sie sonst tun sollen? Wenn der Pirat zu viel verlangte und ihre Familien zu Hause das Geld nicht borgen konnten oder schlimmer noch, sich sogar zu zahlen weigerten, hatten sie nicht mehr lange zu leben. Es war verdammt schwer, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen.

»Ich denke, für den niedrigsten Rang werde ich zwei Talente verlangen, also fünfhundert in Gold.«

Suetonius stammelte entrüstet, aber Julius wusste sehr wohl, dass seine Familie diese Summe, oder sogar das Zehnfache davon, leicht aufbringen konnte.

»Bei den Göttern! So viel haben sie nicht!«, protestierte Suetonius, und sein ungepflegtes Äußeres schien seine Worte zu bestätigen.

Der Kapitän zuckte die Schultern. »Dann flehe deine Götter lieber an, dass sie das Geld zusammenbringen, sonst gehst du über Bord, mit einer Kette um den Hals, die dafür sorgt, dass du nicht wieder hochkommst.«

Scheinbar verzweifelt sank Suetonius in sich zusammen, aber Julius war sicher, dass er innerlich triumphierte, weil er den Piraten überlistet hatte.

»Und du, Zenturio? Entstammst du einer reichen Familie?«, fragte der Kapitän weiter.

Bevor er zu einer Antwort ansetzte, sah ihn Gaditicus durchdringend an. »Nein. Keinesfalls. Aber egal, was ich sage, du wirst mir ohnehin nicht glauben«, brummte er und schaute weg.

Der Kapitän zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Nun ja… ich denke, für einen Zenturio, und noch dazu einen Kapitän, wie ich selbst einer bin,… wäre es eine Beleidigung, weniger als zwanzig Talente zu verlangen. Das wären dann also fünftausend in Gold, glaube ich. Ja, genau.«

Gaditicus beachtete ihn nicht, doch die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Wie lautet dein Name?«, fragte er Julius.

Auch dieser überlegte zunächst, ob er den Mann ignorieren sollte, dann aber pochten seine Kopfschmerzen besonders stark, und unbändige Wut stieg in ihm auf.

»Mein Name ist Julius Cäsar, und ich habe zwanzig Männer unter meinem Kommando. Außerdem bin ich das Familienoberhaupt eines wohlhabenden Hauses.«

Die Augenbrauen des Kapitäns hoben sich, und die anderen Männer tuschelten ungläubig miteinander. Julius wechselte einen kurzen Blick mit Gaditicus, der warnend den Kopf schüttelte.

»Ein Familienoberhaupt also! Na, dann ist es mir eine besondere Freude, dich kennen zu lernen«, erwiderte der Kapitän mit einen abfälligen Lächeln. »Vielleicht wären dann zwanzig Talente für dich ebenfalls angemessen.«

»Fünfzig«, sagte Julius und richtete sich auf.

Der Kapitän blinzelte. Seine Überheblichkeit war mit einem Mal verschwunden.

»Aber das sind zwölftausend Goldstücke«, wandte er fassungslos ein, aus seiner Selbstgefälligkeit aufgeschreckt.

»Macht fünfzig daraus«, beharrte Julius mit fester Stimme. »Wenn ich dich gefunden und getötet habe, kann ich das Geld bestimmt gut gebrauchen. Immerhin bin ich sehr weit weg von zu Hause.« Trotz seiner rasenden Kopfschmerzen brachte er ein gefährliches Grinsen zustande.

Der Kapitän erholte sich schnell von seiner Überraschung. »Du bist doch der, der am Kopf verletzt worden ist. Sieht ganz so aus, als hättest du an Deck meines Schiffes deinen gesunden Menschenverstand verloren. Ich werde fünfzig Talente verlangen, und wenn deine Familie nicht zahlt, ist das Meer auch für dich tief genug.«

»Aber es ist nicht groß genug für dich, um dich vor mir zu verstecken, du elender Hurensohn«, erwiderte Julius ohne zu zögern. »Ich lasse alle deine Männer ans Kreuz nageln und sie entlang der Küste aufstellen. Deine Offiziere lasse ich vielleicht aus Mitleid zuvor erdrosseln. Darauf hast du mein Wort!«

Die Soldaten brachen in lauten Jubel aus und lachten über den Kapitän, der vor Zorn erbleichte. Einen Moment sah es fast so aus, als würde er weiter in die Zelle hineintreten, um Julius eigenhändig einen Fausthieb zu versetzen. Dann jedoch riss er sich zusammen und sah die Männer wütend an, die weiter schallend lachten.

»Ich setze für jeden von euch einen höheren Preis an! Mal sehen, ob ihr dann immer noch jubelt!«, versuchte er laut schreiend das Gejohle zu übertönen und ging hinaus. Sein Begleiter, der über Julius’ Unvernunft noch immer den Kopf schüttelte, sperrte sorgfältig hinter ihnen ab.

Als niemand mehr in der Nähe war, der sie hätte belauschen können, fuhr Suetonius zu Julius herum.

»Warum hast du das getan, du Idiot? Wegen deinem blöden Stolz nimmt er jetzt unsere Familien aus!«

Julius zuckte die Achseln. »Er setzt die Preise ohnehin so an, wie er es für angemessen hält. Und das hätte er auch getan, bevor er hier heruntergekommen ist. Für mich verlangt er aber vielleicht wirklich fünfzig Talente, aus reiner Gehässigkeit.«

»Cäsar hat Recht«, warf Gaditicus ein. »Der Kerl wollte sowieso nur mit uns spielen.«

Plötzlich kicherte er in sich hinein. »Fünfzig Talente! Habt ihr sein Gesicht gesehen? Da hat Rom aus dir gesprochen, mein Junge!« Sein Gelächter verwandelte sich in heiseres Husten, aber er grinste immer noch.

»Ich denke, es war ein Fehler von dir, ihn so zu reizen«, fuhr Suetonius unbeirrt fort, und ein paar andere Männer brummten zustimmend.

»Er hat römische Bürger umgebracht und die Accipiter versenkt, und du meinst, wir sollten seine kleinen Spielchen mitspielen? Darauf würde ich spucken, wenn ich noch Spucke übrig hätte«, knurrte Julius verächtlich. »Ich habe es so gemeint, wie ich es gesagt habe. Sobald ich frei bin, spüre ich ihn auf und bringe ihn um, und wenn es Jahre dauert. Jedenfalls sieht er mein Gesicht, bevor er stirbt.«

Wütend fuhr Suetonius auf ihn los, wurde jedoch von Pelitas zurückgehalten, als er versuchte an ihm vorbeizukommen.

»Setz dich hin, du Narr!«, brummte Pelitas und schubste ihn zurück. »Es ist doch Unsinn, sich hier gegenseitig an die Kehle zu gehen. Außerdem hat Cäsar sich noch nicht richtig erholt.«

Missmutig gab Suetonius nach. Julius ignorierte ihn und kratzte nachdenklich unter seiner Armschiene. Sein Blick fiel auf die Kranken, die weiter hinten im feuchten, stinkenden Stroh lagen.

»Diese Zelle wird uns umbringen«, sagte er, und Pelitas nickte.

»Wir wissen, dass sie die Treppe oben mit zwei Mann bewachen. An denen müssten wir vorbei. Vielleicht wäre jetzt, wo das Schiff vor Anker liegt, eine gute Gelegenheit, oder?«

»Vielleicht«, stimmte Julius nachdenklich zu. »Aber sie sind sehr vorsichtig. Selbst wenn wir die Tür aus den Angeln lösen können, ist die Luke zum Deck immer noch fest verriegelt. Sie wird sogar verriegelt, wenn jemand zu uns herunterkommt. Sogar bei Cabera. Ich weiß nicht, wie wir sie so schnell aufkriegen sollen, dass uns oben nicht gleich eine ganze Meute erwartet.«

»Wir könnten ja Suetonius’ Kopf als Rammbock benutzen«, sagte Pelitas grinsend. »Ein paar feste Stöße, und einer von beiden gibt nach. Egal, ob Luke oder Kopf, wir haben in jedem Fall etwas davon.« Julius fiel in sein Lachen ein.

In der folgenden Nacht starb einer der fieberkranken Männer. Der Kapitän erlaubte Cabera, die Leiche hinauszuziehen und sie ohne Zeremonie über Bord zu werfen. Die Moral der Überlebenden sank auf den Punkt tiefster Verzweiflung.

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