40

Als der Mond aufging, stand Alexandria auf der Mauer über der großen Stadt Rom. Der Regen trommelte auf die Steine. In der ganzen Stadt waren Fackeln angezündet worden, die fauchten und zischten und den Verteidigern nur wenig Licht spendeten. Beim Ruf der Alarmhörner waren sie alle zusammengelaufen, hatten Werkzeuge und Messer gepackt, um die Mauern gegen die schweigenden Massen zu verteidigen, die in der Dunkelheit vorübermarschierten und den Campus Martius in einen schlammigen Acker verwandelten.

Tabbic hielt seinen Eisenhammer fest in den Händen, sein Gesicht sah im flackernden Licht bleich und verhärmt aus. Alexandria wusste, dass er nicht nachgeben würde, ebenso wenig wie alle anderen. Sollten die Sklaven sie angreifen, würden sie genauso verbissen kämpfen wie die Legionen. Sie schaute nach links und rechts die Reihe der Gesichter entlang, die in die Dunkelheit hinabstarrten, und wunderte sich über ihre Ruhe. Familien standen schweigend zusammen, sogar die Kinder, die angesichts der vorüberziehenden Armee ehrfürchtig verstummt waren. Der Mond spendete nur wenig Licht, doch es reichte aus, um die weißen Gesichter der Sklaven zu sehen, die zu der Stadt heraufblickten, die ihren Tod verfügt hatte. Ihre Reihen schienen kein Ende zu nehmen, doch der Mond hatte seinen Zenit erklommen und sank wieder, ehe die letzten Nachzügler in der Nacht verschwanden.

Endlich, nach vielen Stunden der bangen Erwartung, ließ die Anspannung nach. Die Boten von den Legionen hatten die Nachricht überbracht, das Heer sei nicht mehr weit entfernt, und der Senat hatte die Bevölkerung auf die Mauern befohlen, bis alles wieder sicher war, wobei die Senatoren mit gutem Beispiel vorangegangen waren, indem sie sich mit den Schwertern ihrer Väter und Großväter auf den großen Torhäusern postiert hatten.

Alexandria sog die kühle Nachtluft ein und fühlte sich quicklebendig. Der Regen ließ allmählich nach, und Rom hatte überlebt. Das angespannte Lächeln auf den Gesichtern und das hier und dort laut werdende Gelächter zeigten ihr, dass es allen so erging. In diesem Moment wusste sie, dass sie alle hier in der Dunkelheit eine Gemeinschaft erlebt hatten, die genauso stark war wie jede andere Verbindung in ihrem Leben. Trotzdem fühlte sie sich zerrissen. Sie war selbst Sklavin gewesen, so wie die Menschen dort draußen Sklaven waren, und hatte davon geträumt, sich mit den anderen in einer gewaltigen Menge zu erheben und die herrschaftlichen Häuser und Mauern niederzureißen.

»Werden sie alle getötet werden?«, sagte sie leise, fast als spräche sie mit sich selbst.

Tabbic drehte sich abrupt zu ihr um. Seine Augen lagen im Dunkeln.

»Allerdings. Der Senat hat das Fürchten gelernt, und das wird er keinem einzigen von ihnen verzeihen. Bevor das alles zu Ende ist, werden die Legionen ein blutiges Exempel an ihnen statuieren.«

Pompeius ließ die Lampen in seinem Zelt herunterbrennen und las die Eilbotschaften aus Rom. Die Stadt lag weniger als dreißig Meilen südlich von ihnen. Der Regen trommelte auf die Leinwand des Kommandantenzeltes und tröpfelte an etlichen Stellen auf den durchweichten Boden. Essen stand unberührt auf dem Tisch. Pompeius las jede Nachricht wieder und wieder durch. Er musste Crassus verständigen.

Nach einer Weile stand er auf, schritt unruhig auf und ab und blickte erst auf, als eine der Fackeln flackernd erlosch. Er zog eine andere aus ihrem Halter und hielt sie vor die Karte, die über die gesamte Zeltwand gespannt war. Auf dem Pergament zeichneten sich dunkle, feuchte Flecken ab. Wenn es so weiterregnete, würde er sie abnehmen müssen. Rom war nur ein winziger Kreis auf der dicken Rindshaut, und irgendwo südlich davon zogen die Sklaven immer weiter in Richtung Meer. Er starrte auf das Symbol der Stadt. Er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste, bevor Crassus eintraf.

Rings um ihn herum patrouillierten die Wachen durch das schweigende Lager. Der Senat hatte ihnen Verpflegung geschickt, sobald Spartacus’ Armee nach Süden abgezogen war. Pompeius konnte sich die Angst auf den Straßen vorstellen, als die Sklaven vor den Mauern vorübergekommen waren, doch die Tore waren fest verschlossen geblieben.

Als er das gehört hatte, war er stolz auf sein Volk gewesen: Die Alten und Jungen, die Frauen und die treu gebliebenen Sklaven waren zum Kampf bereit gewesen. Sogar der Senat hatte sich wie vor Hunderten von Jahren bewaffnet, um die Stadt mit seinem Leben zu verteidigen. Das gab ihm Hoffnung.

Gemurmelte Parolen vor dem Zelt kündigten Crassus’ Ankunft an. Der Feldherr trat ein und blickte sich erstaunt in dem dunklen Zelt um. Er trug einen schweren Mantel über der Rüstung, und als er die Kapuze zurückschlug, sprühten rings um ihn Tropfen auf den Boden.

»Was für eine scheußliche Nacht«, brummte er. »Was gibt’s Neues?«

Pompeius wandte sich zu ihm um.

»Einige der Nachrichten sind… schrecklich«, erwiderte er, »aber das muss warten. An der Küste stehen vier Legionen, die gerade aus Griechenland angelandet sind. Ich werde zu ihnen reiten und sie mit den unseren zusammenführen.«

Crassus nickte müde.

»Was noch, Pompeius? Du könntest ihnen die Extraordinarii schicken, mit unseren Siegeln und unseren Befehlen. Warum willst du selbst gehen?«

Pompeius verzog im Dämmerlicht das Gesicht.

»Der Mann, der meine Tochter getötet hat, ist gefunden worden. Die Männer, die ich zurückgelassen habe, damit sie ihn aufspüren, beobachten ihn. Ich werde in der Stadt Halt machen, ehe ich mich den Legionen anschließe, die aus dem Westen kommen. Bis das erledigt ist, musst du ohne mich auskommen.«

Crassus nahm einen Kienspan und ein Ölkännchen vom Tisch und zündete die Lampen wieder an. Seine Hand zitterte ein wenig vor Anspannung. Endlich setzte er sich hin und sah Pompeius in die Augen.

»Wenn sie kehrtmachen und kämpfen, kann ich nicht auf dich warten«, sagte er.

Pompeius schüttelte den Kopf. »Dann zwing sie nicht zum Umkehren. Lass ihnen genug Platz zum Davonlaufen, und in ein paar Tagen, höchstens in einer Woche, bin ich mit frischen Männern wieder da, um diese Jagd ein für alle Mal zu beenden.«

Crassus ließ sich seinen Zorn nicht anmerken. Immer sahen sie in ihm nur den Kaufmann, den Geldverleiher, als gäbe es irgendein großes Geheimnis hinter den Legionen, das nur wenige Auserwählte kannten. Als hafte seinem Reichtum Schande an. Er sah, dass Pompeius um seinen Sieg bangte. Wie furchtbar, wenn der erbärmliche Crassus ihn ihm vor der Nase wegschnappte! Wer dieser Rebellion das Rückgrat brach, würde der nächste Konsul sein, so viel war sicher. Wie sollte der Senat dem Willen des Volkes nach so vielen Monaten der Angst widersprechen? Nicht zum ersten Mal verspürte Crassus Bedauern über seine Großzügigkeit, bei der Senatsdebatte Pompeius vorgeschlagen zu haben. Hätte er damals gewusst, wie der Feldzug verlaufen würde, hätte er es allein riskiert.

»Ich treibe sie nach Süden«, sagte er, und Pompeius nickte zufrieden. Dann nahm er eine weitere Meldung vom Tisch, hielt sie schräg ins Licht, damit Crassus sie lesen konnte, und zeigte dabei auf die Landkarte an der Zeltwand.

»Die Schiffe, die in diesem Bericht erwähnt werden, können nur für die Sklaven bestimmt sein. Ich würde hier bleiben, wenn ich nicht sicher wäre, dass sie weiterziehen, aber solange du sie nicht provozierst, werden sie weiter nach Süden marschieren, um die Schiffe zu erreichen. Ich fordere die Galeeren an. Es wird keine Flucht übers Meer geben, das schwöre ich.«

»Falls sie das wirklich vorhaben«, murmelte Crassus, der immer noch las.

»Sie können nicht ewig weiterlaufen. Sie müssen halb verhungert sein, egal, was sie unterwegs alles aufgelesen haben. Jeder Tag macht sie schwächer, wenn sie wirklich darauf hoffen, sich uns noch einmal in einer offenen Schlacht zu stellen. Nein, sie versuchen zu entkommen, und diese Berichte hier sind der Schlüssel dazu.«

»Und wenn sie sehen, dass unsere Galeeren sich sammeln, um ihre Flucht zu verhindern, kommst du mit den griechischen Legionen dazu und vernichtest sie?«, fragte Crassus und spürte, wie etwas von seiner Gereiztheit in seine Stimme kroch.

»Ganz recht«, erwiderte Pompeius scharf. »Nimm diese Bedrohung nicht auf die leichte Schulter, Crassus. Wir brauchen die zusätzlichen Legionen, die ich holen werde. Lass dich auf keinen Kampf ein, bevor du meine Fahnen siehst. Mir wäre es lieber, dich zurückweichen zu sehen, als dass du aufgerieben wirst, ehe ich zurückkomme.«

»Na schön«, antwortete Crassus. Es traf ihn hart, dass seine Fähigkeiten so beiläufig abgetan wurden. Falls Spartacus während Pompeius’ Abwesenheit angriff, würde er die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und den Ruhm selbst ernten. »Ich weiß, dass du so rasch wie möglich zu uns stoßen wirst«, fügte er hinzu.

Pompeius sank ein wenig in sich zusammen und stützte die Fingerknöchel auf den Tisch.

»Da wäre noch etwas. Ich breche sofort in die Stadt auf, und ich weiß nicht, ob ich es für mich behalten soll, bis wir hier fertig sind, oder nicht.«

»Sag es mir«, sagte Crassus leise.

Die Männer schliefen unruhig in den von der Nässe schweren Lederzelten, auf die der Regen in unregelmäßigem Rhythmus herabrauschte. Es war ein anstrengender Tag gewesen, an dem die Legionen ihr Marschtempo so dicht vor der Stadt noch einmal erhöht hatten. Als der Befehl zum Aufstellen der Zelte gekommen war, hatten die meisten Legionäre nicht einmal mehr die Rüstungen ausgezogen, bevor sie eingeschlafen waren. Diejenigen, die die Gewaltmärsche überstanden hatten, waren härter, als sie es jemals gewesen waren; die Haut spannte sich straff über festen Muskeln. Sie hatten unterwegs Freunde sterben oder mit zuckenden Beinen einfach am Straßenrand zusammenbrechen sehen. Ein paar davon hatten überlebt und sich der Kolonne am Ende wieder angeschlossen, aber viele ihrer Verwundeten waren gestorben, hatten bei jedem Schritt Blut verloren, bis schließlich ihre Herzen versagt hatten und sie dort liegen blieben, wo sie zusammengebrochen waren.

Füße, die geblutet hatten und von einer braunen Kruste überzogen gewesen waren, waren jetzt mit Schwielen bedeckt, die sich weiß von ihren Sandalen abhoben. Gerissene Muskeln waren geheilt und die Legionen auf dem Marsch wieder erstarkt, die Köpfe waren wieder trotzig gereckt. In der dritten Woche hatte Pompeius auf der Via Flaminia ein rascheres Tempo verlangt, das sie, von neuerlichem Jagdfieber gepackt, klaglos eingehalten hatten.

Julius knurrte gereizt, als ihn jemand an der Schulter schüttelte.

»Nachricht von Pompeius, Julius. Wach auf, schnell.«

Julius schreckte auf und schüttelte den Kopf, um den Traum zu vertreiben. Er schaute aus dem Zelt und sah den Boten, der das bronzene Siegel des Pompeius trug. Dann zog er sich rasch an, ließ jedoch seine Rüstung zurück. Kaum war er vor das Zelt getreten, war er auch schon bis auf die Haut durchnässt.

Der Posten vor dem Kommandozelt trat zur Seite, nachdem Julius ihm die Losung des Tages genannt hatte. Sowohl Crassus als auch Pompeius waren anwesend. Er salutierte und war sofort hellwach. In ihren Gesichtern lag etwas Seltsames, etwas, das er noch nie zuvor darin gesehen hatte.

»Setz dich, Julius«, sagte Crassus.

Der Ältere sah ihn beim Reden nicht an, und Julius runzelte ein wenig die Stirn, als er sich auf einer Bank vor dem Tisch niederließ. Geduldig wartete er, und als die beiden Oberbefehlshaber nicht sogleich sprachen, bohrte sich ein Stich der Angst in sein Inneres. Er wischte sich mit einer nervösen Geste den Regen aus dem Gesicht. Pompeius füllte einen Becher mit Wein und schob ihn dem jungen Tribun hin.

»Wir… ich habe schlechte Nachrichten, Julius. Boten aus der Stadt sind eingetroffen«, setzte er mit düsterer Miene an und holte beklommen Luft.

»Es hat einen Anschlag auf dein Gut gegeben. Deine Frau ist getötet worden. Soweit ich weiß…«

Mit einer ungelenken Bewegung erhob sich Julius. »Nein«, sagte er. »Nein, das kann nicht sein.«

»Es tut mir Leid, Julius. Die Nachricht kam mit den letzten Anweisungen aus der Stadt«, sagte Pompeius. Das Entsetzen des jungen Mannes weckte die Erinnerung daran, wie er seine Tochter im Garten gefunden hatte. Er reichte Julius das Pergament und sah schweigend zu, wie dieser es durchlas und mit verschwimmenden Augen immer wieder von vorne anfing. Julius atmete stoßweise, und seine Hände zitterten so sehr, dass er die Worte kaum lesen konnte.

»Gütige Götter, nein«, flüsterte er. »Hier steht ja kaum etwas. Was ist mit Tubruk? Mit Octavian? Meine Tochter wird mit keinem Wort erwähnt. Es sind lediglich ein paar Worte. Cornelia…« Er konnte den Satz nicht beenden, senkte den Kopf in stummer Verzweiflung.

»Es ist eine offizielle Nachricht, Julius«, sagte Pompeius. »Es kann sein, dass sie noch am Leben sind. Bestimmt treffen bald weitere Briefe ein.« Er unterbrach sich einen Augenblick und überlegte. »Da wir so nah vor der Stadt stehen, hätte ich vollstes Verständnis dafür, wenn du kurz Urlaub nehmen und daheim nach dem Rechten sehen möchtest.«

Julius schien ihn nicht zu hören. Crassus ging zu dem jungen Mann hinüber, der in seinem Leben schon so viel Kummer erfahren hatte.

»Wenn du zu deinem Anwesen reiten möchtest, stelle ich dir die erforderlichen Papiere aus. Hörst du mich?«

Julius hob den Kopf, und beide Männer zogen es vor, zur Seite zu blicken, anstatt seinen Schmerz mit anzusehen.

»Ich bitte um die Erlaubnis, die Zehnte mitzunehmen«, sagte Julius zitternd.

»Das kann ich nicht erlauben, Julius«, antwortete Pompeius. »Selbst wenn wir sie erübrigen könnten, kann ich dir nicht eine Legion geben, um sie gegen deine privaten Feinde einzusetzen.«

»Dann nur fünfzig. Nur zehn«, brachte Julius mit brechender Stimme hervor.

Pompeius schüttelte den Kopf. »Ich reite selbst in die Stadt, Julius. Der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden, das schwöre ich dir, aber es muss alles nach dem Gesetz zugehen, für den Frieden der Stadt. Für alles, was Marius immer angestrebt hat. Das ist deine und meine Pflicht.«

Julius wandte sich um, als wollte er das Zelt verlassen, hielt sich jedoch mit immenser Willenskraft zurück. Pompeius legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Wir dürfen die Republik nicht wegwerfen, wenn uns ihre Beschränkungen nicht mehr genehm sind, Julius. Als meine Tochter starb, habe ich mich zum Warten gezwungen. Marius selbst hat gesagt, die Republik sei ein Leben wert, erinnerst du dich?«

»Nicht ihr Leben«, gab Julius zurück. Sein Atem ging unterbrochen von schluchzenden Stößen, die er beim Reden zu beherrschen suchte. »Sie hatte doch nichts damit zu tun.«

Die beiden Feldherren wechselten über seinen Kopf hinweg einen Blick.

»Reite nach Hause, Julius«, sagte Crassus nachsichtig. »Ein Pferd steht für dich bereit. Solange du weg bist, übernimmt Brutus das Kommando über die Zehnte.«

Endlich erhob sich Julius und atmete mehrmals tief durch, um vor Crassus und Pompeius so etwas wie Haltung zu zeigen.

»Ich danke euch«, sagte er und versuchte zu salutieren. Erst jetzt bemerkte er, dass er noch immer die Nachricht in der Hand hielt, und legte sie auf den Tisch, bevor er das Zelt verließ und die Zügel des Pferdes ergriff, das für ihn gesattelt worden war. Am liebsten wäre er sofort aus dem Lager hinausgaloppiert, doch er wendete das Tier auf der Hinterhand und ritt zurück zur Zehnten, die schlafend in ihren Zelten lag. Dort zog er die Eingangsplane von Brutus’ Zelt zurück und weckte seinen Freund, der sofort hellwach war, als er Julius’ Gesicht sah.

»Ich reite nach Rom, Julius. Cornelia ist tot, ich weiß auch nichts Genaueres. Ich… ich verstehe das alles nicht.«

»Oh, Julius… nein«, sagte Brutus. Er zog den Freund an sich und umarmte ihn, und die Berührung ließ die Tränen in einem Schwall aus Julius herausquellen. So standen sie lange beieinander, vom Kummer zusammengeschweißt.

»Marschieren wir mit?«, flüsterte Brutus.

»Pompeius hat es verboten«, antwortete Julius und löste sich endlich von seinem Freund.

»Und wenn schon, Julius. Marschieren wir? Du brauchst es nur zu sagen.«

Julius schloss einen Moment die Augen und dachte an das, was Pompeius gesagt hatte. Der Konsul hatte selbst Verluste erlitten. Sollte er sich als schwächer erweisen als dieser Mann? Cornelias Tod hatte ihn von allen Hemmnissen befreit. Nichts konnte ihn davon abhalten, eine Armee gegen Cato zu führen und ihn aus dem Fleisch Roms herauszubrennen. Am liebsten hätte er Flammen über der Stadt gesehen, hätte den Namen und jede Erinnerung an die Sullaner für alle Zeiten getilgt. Catalus, Bibulus, Prandus, Cato selbst. Sie alle hatten Familien, die für das, was ihm genommen worden war, mit Blut bezahlen konnten.

Da war noch seine Tochter Julia. In dem Bericht hatte nichts von ihrem Tod gestanden.

Bei dem Gedanken an sie legten sich die Verpflichtungen des Lebens, das er gewählt hatte, wieder wie ein Mantel um ihn und dämpften seinen Kummer. Brutus sah ihn immer noch wartend an.

»Nein, Brutus, noch nicht. Ich werde warten. Aber eines Tages wird diese Blutschuld bezahlt werden. Führe du die Zehnte, bis ich wiederkomme.«

»Reitest du allein? Lass mich mitkommen«, sagte Brutus und legte eine Hand auf die Zügel, die Julius hielt.

»Nein, du musst das Kommando übernehmen. Pompeius hat mir verboten, jemanden von der Zehnten mitzunehmen. Hol Cabera aus seinem Zelt. Ich brauche ihn.«

Brutus rannte zum Schlafplatz des alten Heilers und rüttelte ihn wach. Sobald er begriffen hatte, setzte sich der alte Mann rasch in Bewegung, obwohl sein Gesicht von Erschöpfung gezeichnet war, als er seinen Umhang gegen den prasselnden Regen eng um sich zog.

Cabera streckte einen Arm aus, um sich hinter Julius in den Sattel zu schwingen. Julius zog ihn mit einem Ruck herauf und brachte das nervös tänzelnde Pferd wieder zur Ruhe. Dann sah er Brutus an und umschloss seinen Unterarm mit dem Legionärsgriff.

»Pompeius weiß nichts von den Soldaten, die wir auf dem Hof zurückgelassen haben, Julius. Sie werden für dich kämpfen, wenn du sie brauchst.«

»Falls sie noch leben«, erwiderte Julius.

Dann raubte ihm überwältigender Kummer den Atem, und er grub dem Pferd die Fersen in die Flanken. Mit einem Satz war er davon, tief über den Hals des Tieres gebeugt, Cabera hinter sich, die Augen im Regen blind vor Tränen.

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