9

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Fercus. Er zerrte an den Stricken, die ihn an den Stuhl fesselten, doch sie gaben nicht nach.

»Ich glaube, du weißt ganz genau, was ich meine«, antwortete Antonidus und beugte sich so nahe zu ihm herüber, dass ihre Stirnen sich beinahe berührten. »Ich besitze die Gabe, eine Lüge zu erkennen, wenn ich eine höre.« Plötzlich schnüffelte er zweimal vernehmlich, was Fercus daran erinnerte, dass man Antonidus auch Sullas Hund nannte.

»Und du stinkst nach Lügen«, sagte Antonidus verächtlich. »Ich weiß, dass du etwas damit zu tun hast. Also erzähl mir einfach alles, dann muss ich die Folterknechte nicht holen. Von hier gibt es kein Entrinnen, Sklavenhändler. Niemand hat gesehen, wie du verhaftet wurdest, und niemand wird jemals erfahren, dass wir uns unterhalten haben. Sag mir einfach, wer den Mord befohlen hat und wo sich der Mörder aufhält, dann kannst du unversehrt nach Hause gehen.«

»Bring mich vor ein ordentliches Gericht. Dann finde ich einen Verteidiger, der meine Unschuld beweist!«, sagte Fercus mit zitternder Stimme.

»Oh, das hättest du wohl gern, was? Tag um Tag mit nutzlosem Gerede vergeuden, mit dem der Senat zu beweisen versucht, dass das Gesetz für alle gilt. Hier unten gibt es kein Gesetz. Hier unten ehren wir immer noch Sullas Andenken.«

»Aber ich weiß doch nichts!«, schrie Fercus verzweifelt, und Antonidus wich zu seiner Erleichterung ein paar Zentimeter zurück.

Der Feldherr schüttelte bedauernd den Kopf.

»Wir wissen, dass sich der Mörder unter dem Namen Dalcius eingeschlichen hat. Wir wissen auch, dass er drei Wochen zuvor zur Küchenarbeit gekauft worden war. Die Kaufurkunde ist natürlich verschwunden, aber es gab Zeugen dafür. Glaubst du im Ernst, niemand hätte Sullas Einkäufer auf dem Markt erkannt? Dein Name wurde dabei immer wieder genannt, Fercus.«

Fercus erbleichte. Er wusste, dass man ihn nicht am Leben lassen und dass er seine Töchter nie mehr wiedersehen würde. Wenigstens waren sie nicht in der Stadt. Als die Soldaten gekommen waren und nach den Unterlagen vom Sklavenmarkt gefragt hatten, hatte er seine Frau weggeschickt. Da wusste er bereits, was passieren würde. Er konnte nicht mit seiner Familie fliehen, wenn er sie vor den Wölfen schützen wollte, die Sullas Freunde ihm auf die Fersen hetzen würden.

Er hatte in Kauf genommen, dass ein geringes Riskio bestehen blieb. Doch nachdem er die Verkaufsunterlagen verbrannt hatte, hatte er geglaubt, dass sie zwischen so vielen tausend anderen Menschen niemals eine Verbindung zu ihm herstellen konnten. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

»Überwältigt dich dein schlechtes Gewissen? Oder ärgert es dich nur, dass man dir doch auf die Schliche gekommen ist?«, fragte Antonidus schneidend. Fercus blieb stumm und starrte vor sich auf den Boden. Er glaubte nicht, dass er die Folter durchstehen würde.

Die Männer, die auf Antonidus’ Befehl hereinkamen, waren altgediente Soldaten, die ruhig und gelassen alles ausführten, was man ihnen auftrug.

»Ich will Namen von ihm«, sagte Antonidus zu ihnen. Dann drehte er sich zu Fercus um, hob seinen Kopf an und zwang den anderen ihn anzusehen. »Wenn diese Männer einmal angefangen haben, bedarf es großer Mühe, sie wieder zum Aufhören zu bewegen. Diese Arbeit machen sie nämlich gerne. Hast du noch irgendetwas zu sagen, bevor sie beginnen?«

»Die Republik ist ein Menschenleben wert«, sagte Fercus. Seine Augen leuchteten.

Antonidus lächelte. »Die Republik ist tot, aber ich habe es gern mit Männern mit Prinzipien zu tun. Dann lasst uns sehen, wie lange du den deinen treu bleibst.«

Fercus zuckte zurück, als sich die ersten Metallsplitter in seine Haut pressten. Antonidus sah den beiden Männern eine Weile fasziniert bei der Arbeit zu, dann jedoch wurde er langsam blass und zuckte bei den unterdrückten Würgelauten zusammen, die Fercus von sich gab. Er gab den Männern mit einem Nicken zu verstehen, dass sie ihre Arbeit fortsetzen sollten, dann eilte der General hinaus in die kühle Nachtluft.

Es war schlimmer als alles, was Fercus je erlebt hatte, eine Höllenqual aus Erniedrigung und nackter Todesangst. Er drehte einem der Männer langsam den Kopf zu, und seine rissigen Lippen setzten zum Sprechen an, obwohl seine Augen nur noch verschwommene Umrisse aus Schmerz und Licht ausmachen konnten.

»Wenn ihr Rom liebt, dann lasst mich sterben. Lasst mich schnell sterben.«

Die beiden Männer hielten kurz inne, sahen sich an und fuhren dann mit ihrer Arbeit fort.

Julius saß mit den anderen im Sand. Sie zitterten vor Kälte, bis die Sonne endlich aufging und sie wärmte. Ihre Kleidung hatten sie im Meerwasser so gut es ging von den schlimmsten Spuren der monatelangen schmutzigen Dunkelheit gereinigt, mussten sie nun aber am Körper trocknen lassen.

Die Sonne stieg rasch über den Horizont, und wortlos wurden sie Zeugen des ersten glorreichen Sonnenaufgangs, den sie erlebten, seit sie zum letzten Mal auf dem Deck der Accipiter gestanden hatten. Das Morgenlicht zeigte ihnen, dass der Strand nur ein schmaler Sandstreifen war, der sich an einer ihnen unbekannten Küste dahinzog. So weit das Auge reichte, wucherte direkt dahinter dichtes Gestrüpp, das nur von einem einzigen breiten Pfad durchbrochen war. Prax hatte ihn gefunden, als sie getrennt voneinander die Gegend erkundeten. Sie hatten keine Ahnung, wo der Kapitän sie hatte absetzen lassen, aber allem Anschein nach lag ihr jetziger Aufenthaltsort nahe bei einem Dorf. Damit die Lösegelder eine regelmäßige und zuverlässige Einnahmequelle für die Piraten blieben, mussten die Geiseln den Weg zurück in die Zivilisation finden. Deshalb wussten die Legionäre, dass die Küste nicht unbewohnt sein konnte. Prax war sicher, dass es sich um die Nordküste von Afrika handelte. Er behauptete, einige der Bäume wiederzuerkennen, und ganz sicher waren die Vögel, die über ihren Köpfen dahinsegelten, keine, die sie von zu Hause kannten.

»Vielleicht sind wir ja in der Nähe einer römischen Siedlung«, hatte Gaditicus gesagt. »Entlang der Küste gibt es Hunderte davon, und wir sind sicher nicht die ersten Gefangenen, die hier ausgesetzt werden. Es sollte also möglich sein, auf einem der Handelsschiffe einen Platz zu bekommen und noch vor Ende des Sommers wieder in Rom zu sein.«

»Ich gehe nicht nach Rom zurück«, hatte Julius leise aber bestimmt gesagt. »Nicht so, ohne Geld und in Lumpen gehüllt. Was ich zu dem Kapitän gesagt habe, war mein voller Ernst.«

»Was bleibt uns denn anderes übrig?«, hatte Gaditicus zweifelnd erwidert. »Selbst wenn du ein Schiff und eine Mannschaft hättest, bräuchtest du Monate, um diesen einen Piraten unter vielen anderen zu suchen.«

»Ich habe gehört, wie ihn einer der Wächter Celsus genannt hat. Selbst wenn das nicht sein richtiger Name ist, so ist es immerhin ein Anfang. Wir kennen sein Schiff, und wir finden bestimmt jemanden, der ihn kennt.«

Gaditicus hob skeptisch die Augenbrauen. »Nun hör mal gut zu, Julius. Ich würde diesen Sauhund genauso gerne wiederfinden wie du, aber es ist einfach unmöglich. Ich hatte nichts dagegen, dass du diesem Dummkopf an Bord die Meinung gesagt hast, aber Tatsache bleibt, dass wir nicht einmal ein einziges Schwert haben, von Geld ganz zu schweigen.«

Julius stand auf und sah dem Zenturio fest in die Augen. »Dann fangen wir eben damit an, dass wir uns Schwerter und Geld beschaffen. Danach besorgen wir uns Männer für eine Mannschaft und zuletzt das Schiff, um ihn zu jagen. Eins nach dem anderen.«

Gaditicus hielt Julius’ Blick stand. Er spürte den Ernst, der dahinter lag.

»Wir?«, fragte er leise.

»Wenn es sein muss, mache ich es auch alleine, dann dauert es eben länger. Wenn wir aber zusammenbleiben, habe ich ein paar gute Ideen, wie wir unser Geld wieder zurückbekommen, so dass wir stolz und erhobenen Hauptes nach Rom zurückkehren können. Ich werde nicht geschlagen nach Hause zurückkriechen.«

»Das ist auch für mich kein angenehmer Gedanke«, erwiderte Gaditicus. »Das Gold, das meine Familie geschickt hat, dürfte sie alle in Armut gestürzt haben. Sie sind bestimmt froh, mich gesund und wohlbehalten wiederzusehen, aber dafür müsste ich tagtäglich mit ansehen, wie sehr sich ihr Leben verändert hat. Wenn du nicht bloß träumst, höre ich mir deine Ideen gerne an. Es kann auf jeden Fall nicht schaden, wenn man darüber redet.«

Julius legte dem älteren Mann die Hand auf die Schulter, bevor er sich zu den anderen umdrehte.

»Und wie sieht es mit euch aus? Wollt ihr wie geprügelte Hunde nach Hause kriechen oder noch ein paar Monate drangeben und das zurückholen, was wir verloren haben?«

»Sie haben bestimmt noch mehr an Bord als nur unser Gold«, sagte Pelitas bedächtig. »Sie können es ja nirgendwo in Sicherheit bringen, also ist wahrscheinlich auch das Legionssilber noch im Laderaum.«

»Das der Legion gehört!«, sagte Gaditicus scharf, mit einem Funken seiner alten Autorität in der Stimme. »Nein, Männer. Ich werde nicht zum Dieb werden. Das Legionssilber ist mit dem Stempel Roms geprägt. Alles, was wir davon noch finden sollten, geht an die Soldaten, weil sie ihren Sold redlich verdient haben.«

Die anderen nickten zustimmend, denn sie wussten, dass dies nur gerecht war.

Nur Suetonius meldete sich ungläubig zu Wort.

»Ihr redet, als läge das Gold hier vor euch und nicht in einem weit entfernten Schiff, das wir nie wiedersehen werden, weil wir vorher Gott weiß wo verhungern!«

»Du hast Recht!«, sagte Julius. »Wir sollten lieber sofort diesem Pfad folgen. Für einen Wildwechsel ist er zu breit, also dürfte ein Dorf in der Nähe sein. Über den Rest reden wir, wenn wir uns endlich wieder als Römer fühlen können, wenn wir eine anständige Mahlzeit im Bauch haben und endlich diese widerlichen Bärte abrasiert sind.«

Die Männer erhoben sich und gingen mit Julius auf die Lücke im Gestrüpp hinter ihnen zu. Nur Suetonius stand mit offenem Mund reglos da. Nach einer Weile klappte er den Mund wieder zu und trottete den anderen hinterher.

Die beiden Folterknechte standen reglos da, während Antonidus das blutige Bündel betrachtete, das einmal Fercus gewesen war. Beim Anblick des verstümmelten Leichnams zuckte der General zwar kurz zusammen; er war froh, dass er hatte ruhig und fest schlafen können, während dies alles hier unten vor sich gegangen war.

»Hat er gar nichts gesagt?«, fragte Antonidus und schüttelte verwundert den Kopf. »Beim Kopf des Jupiter – seht euch nur an, was ihr aus ihm gemacht habt. Wie kann ein Mann so etwas aushalten?«

»Vielleicht hat er ja wirklich nichts gewusst«, bemerkte einer der grimmigen Männer.

Antonidus dachte eine Weile schweigend darüber nach.

»Vielleicht. Ich wünschte nur, wir hätten seine Töchter herbringen können, um wirklich sicherzugehen.«

Er schien fasziniert von den zahllosen Wunden und sah sich die Leiche genauer an, nahm jede Brandwunde und jeden Schnitt sorgfältig in Augenschein und pfiff dann leise durch die Zähne.

»Erstaunlich. Ich hätte nicht gedacht, dass so viel Mut in ihm steckt. Hat er nicht einmal versucht, falsche Namen zu nennen?«

»Nein. Er hat kein einziges Wort gesagt.«

Hinter dem Rücken des Feldherrn, der sich über die noch immer gefesselte Leiche beugte, wechselten die Männer erneut einen Blick. Nur den Bruchteil einer Sekunde blitzte ein stilles Einverständnis in ihren Augen auf, dann wurden ihre Gesichter wieder ausdruckslos.

Varro Aemilianus hieß die zerlumpten Offiziere mit einem strahlenden Lächeln in seinem Haus willkommen. Obwohl er bereits vor fünfzehn Jahren aus der Legion ausgeschieden war, war es für ihn jedes Mal ein Vergnügen, die jungen Männer zu empfangen, die die Piraten an seinem schmalen Küstenstreifen aussetzten. Es erinnerte ihn an die Welt außerhalb seines Dorfes, die weit genug entfernt war, um sein friedliches Leben hier nicht zu stören.

»Setzt euch, meine Herren«, sagte er und deutete auf mehrere Liegen, die dünn gepolstert waren. Sie waren einmal sehr schön gewesen, aber die Zeit hatte dem Bezug allen Glanz genommen, wie er bedauernd feststellte. Diesen Soldaten war das ohnehin völlig gleichgültig, dachte er, während sie sich auf den ihnen angewiesenen Plätzen niederließen. Nur zwei von ihnen, in denen er sogleich die Anführer der Gruppe erkannte, blieben stehen. Solche Kleinigkeiten amüsierten ihn immer sehr.

»Eurem Aussehen nach zu urteilen, würde ich annehmen, ihr seid von den Piraten, die diese Küste unsicher machen, als Geiseln festgehalten worden«, sagte er mit vor Mitleid triefender Stimme. Er fragte sich im Stillen, was sie wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass der Pirat Celsus oft hier ins Dorf kam, um mit seinem alten Freund zu plaudern und ihm Neuigkeiten und Tratsch aus den Städten zuzutragen.

»Und doch ist diese Siedlung hier verschont geblieben«, meinte der Jüngere der beiden.

Varro warf ihm einen scharfen Blick zu und bemerkte den durchdringenden Blick der blauen Augen.

Eines der Augen sah ihn durch eine dunkle, geweitete Mitte an, die den wahren Varro hinter seinem heiteren Gebaren zu erkennen schien. Trotz der Bärte standen die Männer vor ihm alle gerader und kraftvoller da, als die jämmerlichen Grüppchen, die Celsus sonst alle paar Jahre hier aussetzte. Varro ermahnte sich zur Vorsicht, weil er sich der Situation nicht ganz sicher war. Immerhin standen draußen seine Söhne, bewaffnet und jederzeit zum Eingreifen bereit. Es zahlte sich immer aus, vorsichtig zu sein.

»Die Geiseln, für die sie Lösegeld bekommen haben, setzen sie immer hier an dieser Küste aus. Ich denke, sie begrüßen es, wenn die Männer wieder in die Zivilisation zurückgebracht werden, damit weiter Lösegelder gezahlt werden. Was sollen wir eurer Meinung nach tun? Wir alle hier sind nur einfache Bauern. Rom hat uns das Land überlassen, damit wir einen ruhigen Lebensabend genießen können – nicht, damit wir gegen Piraten kämpfen. Ich denke, das ist wohl eher die Aufgabe unserer Galeeren.«

Beim letzten Satz zwinkerte er viel sagend und erwartete, der junge Mann werde lächeln oder sich vielleicht schämen, bei seiner eigentlichen Aufgabe versagt zu haben. Aber sein ungerührter Blick änderte sich nicht, und Varro fühlte, wie seine gute Laune langsam dahinschwand.

»Die Siedlung ist zu klein für ein Badehaus, aber es gibt ein paar Privathäuser, die euch aufnehmen und euch Rasierzeug leihen werden.«

»Was ist mit Kleidung?«, wollte der ältere der beiden Stehenden wissen.

Varro wurde sich bewusst, dass er ihre Namen nicht kannte, und blinzelte nervös. Diese Unterhaltung verlief anders als sonst. Die letzte Gruppe war beinahe in Tränen ausgebrochen, in so einem fernen Land auf einen Römer zu stoßen, der in einem solide gebauten Steinhaus auf einer Liege saß.

»Bist du der Offizier hier?«, fragte Varro zurück, behielt aber dabei den jüngeren Mann im Auge.

»Ich war der Kapitän der Accipiter, aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, entgegnete Gaditicus.

»Ich fürchte, wir haben keine Kleidung für euch…«, begann Varro.

Da sprang der junge Mann auf ihn zu, packte ihn am Hals und riss ihn von seinem Sitz hoch. Varro röchelte erschrocken, als er auf den Tisch gezerrt und darauf niedergedrückt wurde. Er starrte nach oben in die blauen Augen, die alle seine Geheimnisse zu kennen schienen.

»Für einen Bauern lebst du aber in einem sehr schönen Haus«, zischte die Stimme. »Hast du etwa geglaubt, wir merken das nicht? Welchen Rang hattest du in der Legion, und unter wem hast du gedient?«

Der Griff um seinen Hals lockerte sich etwas, so dass Varro wieder sprechen konnte. Zuerst wollte er nach seinen Söhnen schreien, doch solange die Hand des Mannes seine Kehle umklammerte, wagte er es nicht.

»Ich war Zenturio unter Marius«, krächzte er heiser. »Wie kannst du es wagen…« Der Druck der Finger verstärkte sich wieder, und seine Stimme versagte. Er konnte kaum noch atmen.

»Dann stammst du wohl aus einer reichen Familie, wie? Draußen verstecken sich zwei Männer. Wer ist das?«

»Meine Söhne…«

»Ruf sie herein. Wir werden sie am Leben lassen, aber wir lassen uns beim Hinausgehen nicht überfallen. Wenn du versuchst, sie zu warnen, stirbst du, noch bevor sie bei dir sind, das schwöre ich.«

Varro glaubte ihm aufs Wort, und als er wieder zu Atem kam, rief er seine Söhne herein. Entsetzt musste er zusehen, wie die Fremden rasch zur Tür traten, die Hereinstürmenden packten und ihnen die Waffen wegnahmen. Die beiden Männer versuchten noch um Hilfe zu schreien, aber da hagelten schon von allen Seiten Schläge auf sie ein und sie gingen zu Boden.

»Ihr tut uns Unrecht. Wir leben hier in Frieden«, krächzte Varro erstickt.

»Du hast Söhne. Warum sind sie nicht nach Rom zurückgekehrt, um in der Armee zu dienen wie ihre Vorväter? Was außer einem Abkommen mit Celsus und Männern wie ihm kann sie hier festhalten?«

Der junge Offizier drehte sich zu den Soldaten um, die Varros Söhne festhielten.

»Bringt sie nach draußen und schneidet ihnen die Kehle durch«, befahl er kurz.

»Nein! Was wollt ihr von mir?«, rief Varro rasch.

Die blauen Augen hielten seinen Blick wieder gefangen.

»Ich will Schwerter und das Gold, das dir die Piraten zahlen, weil du ihnen Unterschlupf gewährst. Dann will ich Kleidung für die Männer, und Rüstungen, falls du welche hast.«

Varro versuchte zu nicken; die Hand umklammerte noch immer seinen Hals.

»Ihr werdet alles bekommen, aber Gold habe ich nicht viel«, sagte er unglücklich.

Einen Moment lang verstärkte sich der Griff um seinen Hals.

»Spiel kein falsches Spiel mit mir«, sagte der junge Mann drohend.

»Wer bist du?«, keuchte Varro.

»Ich bin der Neffe des Mannes, dem bis in den Tod zu dienen du geschworen hast. Mein Name ist Julius Cäsar«, sagte er ruhig.

Julius ließ den Mann aufstehen. Nach außen behielt er seinen unnachgiebigen Gesichtsausdruck bei, doch insgeheim hob sich seine Stimmung. Wie lange war es her, dass Marius gesagt hatte, ein Soldat müsse manchmal seinen Instinkten folgen? Von dem Moment an, als sie in das friedliche Dorf gekommen waren und die gepflegte Hauptstraße mit den ordentlichen Häusern gesehen hatten, war ihm klar gewesen, dass Celsus das Dorf mit Sicherheit nicht ohne irgendeine Abmachung verschont hatte. Er fragte sich, ob das wohl bei allen Dörfern entlang der Küste so war, und fühlte einen Augenblick lang einen Anflug von Schuldgefühlen. Rom versetzte seine ausscheidenden Legionäre an diese fremde Küste, gab ihnen hier Land und erwartete, dass sie sich fortan um sich selbst kümmerten und allein durch ihre Anwesenheit für Frieden sorgten. Wie aber sollten sie überleben, ohne mit den Piraten einen Handel abzuschließen? Ganz zu Anfang hatten sich einige von ihnen vielleicht sogar zur Wehr gesetzt, doch sie waren mit Sicherheit getötet worden. Ihre Nachfolger jedoch hatten gar keine Wahl mehr gehabt.

Er sah hinüber zu Varros Söhnen und seufzte. Dieselben ausgeschiedenen Legionäre hatten Kinder, die Rom noch nie zu Gesicht bekommen hatten und sich den Piraten anschlossen, wenn sie kamen. Er betrachtete die dunkle Haut der beiden. Auch ihre Gesichtszüge waren eine Mischung aus Afrika und Rom. Wie viele von dieser Sorte gab es hier wohl, die nichts mehr von der Treue ihrer Vorväter wussten? Sie konnten genauso wenig wie er einfach nur Bauern bleiben, wenn die Welt da draußen nur auf sie zu warten schien.

Varro rieb sich nachdenklich den Nacken, beobachtete Julius und versuchte, seine Gedanken zu erraten. Sein Mut sank noch tiefer, als er sah, wie der seltsame Blick der blauen Augen auf seinen Söhnen zu ruhen kam. Er hatte Angst um sie, denn selbst jetzt spürte er den unbändigen inneren Groll des jungen Offiziers.

»Uns ist nichts anderes übrig geblieben«, sagte er. »Celsus hätte uns alle getötet.«

»Du hättest Nachricht nach Rom senden und dem Senat die Piraten melden sollen«, erwiderte Julius abwesend.

Varro hätte fast gelacht. »Glaubst du denn, die Republik kümmert es, was mit uns geschieht? Sie lässt uns an ihre Träume glauben, solange wir noch jung und stark genug sind, um für sie zu kämpfen. Aber sobald Kraft und Jugend verflogen sind, vergisst sie uns und fängt an, die nächste Generation von Narren auf ihre Seite zu ziehen. Dabei wird der Senat durch die Ländereien, die wir für ihn erobert haben, immer reicher und fetter. Wir waren auf uns allein gestellt, und ich habe getan, was ich tun musste.«

In seinem Zornesausbruch lag viel Wahrheit. Julius sah ihn an und bemerkte, dass er sich aufrechter hielt.

»Korruption kann man ausbrennen«, sagte er. »Seit Sulla an der Macht ist, stirbt der Senat.«

Varro schüttelte langsam den Kopf.

»Die Republik lag schon im Sterben, lange bevor Sulla kam, mein Junge. Du bist nur zu jung, um das zu erkennen.«

Varro ließ sich wieder auf seinen Sitz zurückfallen, rieb sich aber noch immer den Hals. Als Julius seinen Blick von Varro löste und sich umsah, schauten ihn alle Offiziere der Accipiter an und warteten geduldig.

»Was jetzt, Julius?«, fragte Pelitas ruhig. »Was tun wir als Nächstes?«

»Wir suchen zusammen, was wir brauchen und gehen zum nächsten Dorf, und danach zum übernächsten. Dafür, dass sie die Piraten in ihrer Mitte aufgenommen haben, sind uns diese Leute einiges schuldig. Ich zweifle nicht daran, dass es noch viele wie ihn gibt«, sagte er und deutete dabei auf Varro.

»Du glaubst, du kannst einfach so weitermachen?«, fragte Suetonius; er war entsetzt darüber, was hier vor sich ging.

»Natürlich. Nur dass wir beim nächsten Mal Schwerter und anständige Kleidung haben werden. Dann wird es nicht mehr so schwer sein.«

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