35

Julius keuchte ein wenig in der kalten Luft. Er drehte sich um und schaute zurück auf die schimmernde Schlange, die sich die Via Flaminia unterhalb des steilen Passes hinabwand. Die ersten drei Tage waren anstrengend für ihn gewesen, bis die Ausdauer der Zeit in Griechenland nach und nach wieder zurückgekehrt war. Jetzt wölbten sich wieder die Muskelstränge unter der Haut seiner Schenkel, und er genoss die Freude, die simple Anstrengung mit sich bringt, wenn sich der Körper anfühlt, als gäbe es keine Grenzen für seine Belastung. Am Ende des zehnten Tages freute er sich an diesem Marsch auf Ariminum, mit den Legionen hinter sich. Am Abend im Feldlager übte er mit den Experten, die Crassus mitgenommen hatte, mit dem Gladius, und obwohl er wusste, dass er es darin niemals bis zur Meisterschaft bringen würde, wurden seine Handgelenke von Tag zu Tag kräftiger, bis nur noch die Ausbilder selbst seine Deckung durchbrechen konnten.

Der Wind wehte kräftig um die Marschkolonne. Julius schauderte ein wenig. Obwohl er in der Zeit, die er außerhalb Roms verbracht hatte, viele verschiedene Länder kennen gelernt hatte, war die Kälte auf den Höhen des Apennins neu für ihn, und er ertrug sie mit einem grimmigen Widerwillen, den er auch in den Gesichtern vieler Soldaten rings um sich herum sah.

Um den Staubgeschmack aus seiner Kehle zu spülen, nahm Julius einen großen Schluck aus seinem Wasserschlauch, wobei er das Gewicht seiner Ausrüstung verlagern musste, um den verkorkten Auslass an die Lippen zu führen. Die Kolonne machte nur zweimal pro Tag Halt: einmal kurz zur Mittagszeit und dann am Abend, der jedoch mit drei Stunden erschöpfender Arbeit begann, denn jeden Abend hieß es, die Grenzen des Lagers gegen Hinterhalte und Angriffe zu sichern. Wieder drehte er sich nach der Marschkolonne um und staunte, wie lang sie war. Von der Passhöhe aus konnte er in der klaren Luft sehr weit sehen, doch die für ihn unsichtbare Nachhut der Kavallerie war mehr als dreißig Meilen weiter hinten. Da Crassus ein straffes Tempo von fünfundzwanzig Meilen von Tagesanbruch bis zur Abenddämmerung angeordnet hatte, hieß das, dass die Nachhut einen ganzen Tag hinter der Vorhut hermarschierte und diese erst in Ariminum wieder einholen würde. Jeder Halt musste entlang der Marschkolonne von den Signalbläsern durchgegeben werden, deren blökende Laute in der Ferne immer leiser wurden, bis sie schließlich nicht mehr zu hören waren.

Die steilen Berghänge links und rechts wurden von den Einheiten der so genannten Extraordinarii gesichert, Reiter, die zur Sicherheit des Vormarsches immer ein Stück voraus kundschafteten. Die Männer mussten nach Julius’ Schätzung auf ihren ausdauernden Pferden auf ihren Erkundungsritten kreuz und quer durch die Umgebung drei- oder viermal so viel Wegstrecke zurücklegen wie die Kolonne der marschierenden Legion. Er wusste, dass diese Taktik den Vorschriften entsprach, obwohl nur ein Haufen Lebensmüder es gewagt hätte, eine Streitmacht von ihrer Stärke anzugreifen.

Ganz vorne ging die Voraus-Legion, die jeden Tag durch das Los bestimmt wurde. Da die Primigenia noch immer nicht ihre volle Kampfstärke erreicht hatte, konnte sie an diesem Wechsel nicht teilnehmen und war deshalb stets ungefähr zehn Meilen weiter hinten stationiert, irgendwo mitten in der Kolonne, außer Sichtweite. Julius fragte sich, wie Brutus und Renius den Marsch wohl fanden. Cabera war älter als einige der Veteranen, die mit ihm gegen Mithridates gekämpft hatten. In Rom hatte Julius es für wichtig gehalten, sich in Crassus’ Nähe aufzuhalten, jetzt jedoch vermisste er seine Freunde. Wie sehr er sich auch anstrengte, es wollte ihm nicht gelingen, die Adlerstandarte der Primigenia in dem Wald von Bannern hinter ihm auszumachen. Er sah zu, wie die Reiterei der Legionen an den Flanken der Kolonne auf und ab patrouillierte wie die Ameisensoldaten, die er in Afrika gesehen hatte, ständig auf der Hut vor einem Angriff, dem sie so lange standhalten würden, bis sich die Reihen der Legionäre formiert hatten.

Julius marschierte mit der Vorhut in Rufweite von Crassus und Pompeius, die im Schritt vor den Männern herritten, die sie anführten. Da mehr als viertausend Mann vor ihnen marschierten, hatten die Heerführer dafür gesorgt, dass das Hauptlager angelegt und die Zelte aufgebaut waren, wenn sie es erreichten. So konnten sie ohne Verzug mit ihren Besprechungen anfangen und ihr Abendessen zu sich nehmen, während die anderen die gewaltigen Erdwälle rings um das Lager errichteten und damit eine Befestigungsanlage schufen, die fast alles aufhalten konnte.

Die drei Lager wurden jeden Abend auf die exakt gleiche Weise mit Fahnen gekennzeichnet. Wenn die Sonne schließlich hinter den Bergen unterging, waren die sechs Legionen in riesigen Quadraten geschützt, kampierten in mit Haupt- und Nebenstraßen versehenen Städten, die wie aus dem Nichts mitten in der Wildnis entstanden waren. Julius hatte über die Organisation gestaunt, die die anderen Soldaten für selbstverständlich ansahen. Abend für Abend hämmerte er gemeinsam mit ihnen die eisernen Zeltpflöcke an der ihnen zugewiesenen Stelle in den Boden. Dann schloss er sich den Einheiten an, die den Graben aushoben, und den Erdwall, der die äußere Schutzmauer bildete, mit Holzpfählen bestückten und so eine lückenlose Festung errichteten, die nur durch vier, mit Wachen versehenen und nur mit Losungsworten passierbaren Toren unterbrochen wurde. Obwohl ihm seine Lehrer viel über Regelwerk und Taktiken der Legion beigebracht hatten, war Julius fasziniert von der Wirklichkeit, und er erkannte von Anfang an, dass ein Teil ihrer Kampfstärke daraus resultierte, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hatten. Hätte Mithridates eine Befestigung um sein Lager gebaut wie die Legionen, wäre Julius womöglich immer noch in Griechenland und würde nach einer Möglichkeit suchen, sie zu überwinden.

Die Via Flaminia war an dieser Stelle durch eine schmale Schlucht zwischen steilen Hängen aus losem Geröll angelegt worden. Obwohl das Licht bereits schwand, nahm Julius an, dass Crassus die Soldaten weitermarschieren lassen würde, bis sie für das erste Lager offeneres Gelände erreicht hatten. Eine der Legionen würde um der Sicherheit willen ein Stück des Weges zu den tiefer gelegenen Ebenen zurückmarschieren müssen, womit der Pass bis auf die Wachen und die Extraordinarii, die auch in der Nacht berittene Patrouillen aufstellten, frei blieb. Was auch geschah, die Legionen würden von keinem Feind überrascht werden, eine Vorsichtsmaßnahme, die sie vor über hundert Jahren gelernt hatten, als sie auf den Ebenen gegen Hannibal in die Schlacht gezogen waren. Julius erinnerte sich an die Bewunderung, die Marius dem alten Feind entgegengebracht hatte. Trotzdem war auch der Karthager am Ende an Rom gescheitert.

Das Land war früher einmal wild und unzivilisiert gewesen, doch jetzt zogen sich die breiten Steinplatten der Via Flaminia durch die Berge, und alle zwanzig Meilen fanden sich bemannte Wachstationen. Oft waren rings um diese Stationen Dörfer entstanden, in denen sich die Menschen im schützenden Schatten Roms angesiedelt hatten. Viele von ihnen fanden Arbeit bei der Instandhaltung der Straße, und Julius hatte ab und zu unterwegs kleine Gruppen von Arbeitern gesehen, die mit stumpfer Gleichgültigkeit gegenüber allem außer der Unterbrechung ihrer Arbeit am Straßenrand warteten.

Dann wieder kam das Heer an Kaufleuten vorüber, die zum Verlassen der Straße gezwungen waren und die Soldaten mit einer Mischung aus Wut und Ehrfurcht musterten. Sie konnten nicht nach Rom weiterziehen, solange die Marschkolonne ihnen den Weg versperrte, und diejenigen, die verderbliche Ware transportierten, setzten finstere Mienen auf und berechneten im Stillen bereits den Verlust, der ihnen entstehen würde. Die Legionäre ignorierten sie. Sie hatten die Handelsadern mit ihrer Hände und Rücken Arbeit gebaut und hatten Vorrang darauf.

Julius wünschte sich, Tubruk wäre bei ihm. Vor langer Zeit war er auf dem gleichen Weg durch die Berge gekommen, hatte zuvor die ausgedehnten Ebenen durchquert, auf denen Crassus die Sklavenarmee bald zum Kampf zu stellen hoffte. Der Gutsverwalter hatte nicht an einem weiteren Feldzug teilnehmen wollen, selbst wenn Julius ihn von der Aufgabe, sich um Cornelias Sicherheit zu kümmern, hätte entbinden können.

Seine Lippen pressten sich unbewusst aufeinander, als er an den Abschied dachte. Er war bitter gewesen, und obwohl er nur ungern losgezogen war, während der Zorn noch frisch zwischen ihm und Cornelia stand, konnte er es nicht hinauszögern, sich der Primigenia anzuschließen, die inmitten der Heerscharen auf dem Campus Martius zum Marsch nach Norden bereitstand.

Immer noch waren die Erinnerungen daran, wie er die Stadt das letzte Mal verlassen hatte, schmerzhaft lebendig in ihm. Am Horizont hinter ihm hatte Rom in Flammen gestanden, und Sullas Männer hatten die Überreste der Primigenia zur Strecke gebracht. Julius verzog im Marschieren das Gesicht. Die Legion lebte weiter, während Sullas vergifteter Leib längst zu Asche zerfallen war.

Die Verhandlung hatte dazu beigetragen, Marius’ Namen in der Stadt reinzuwaschen, aber Julius wusste, dass er, solange Sullas Freunde am Leben waren und ihre gehässigen Spielchen im Senat spielten, nicht das Rom erschaffen konnte, das Marius sich gewünscht hatte. Cato hockte sicher in der Stadt, während seine größten Gegenspieler im Krieg waren, aber sobald sie zurückkehrten, würde sich Julius mit Pompeius verbünden, um dieser fetten Made endgültig den Garaus zu machen. Der Feldherr verstand diese Notwendigkeit besser als die meisten anderen. Einen Augenblick dachte Julius an das Schicksal von Catos Sohn. Es wäre ein Leichtes, ihn so lange bei jedem Angriff in die vordersten Reihen zu stellen, bis er gefallen war, doch das wäre ein feiger und hinterhältiger Sieg über Cato. Er schwor sich, dass Germinius, sollte er fallen, den Tod finden würde wie jeder andere Soldat, so wie das Schicksal es ihm bestimmt hatte. Die Tochter des Pompeius hatte man mit einer Tonmünze in der erschlafften Hand gefunden, auf der Sullas Name stand, aber Julius wollte nicht so tief sinken und Unschuldige ermorden, auch wenn er hoffte, dass Cato vor Angst um seinen Sohn verging. Sollte er nur schlecht schlafen, während sie für Rom kämpften.

Jetzt jedoch lagen die langen, entbehrungsreichen Monate des Feldzuges vor ihnen. Julius wusste, dass er von Glück sagen durfte, wenn er die Mauern der Stadt vor Jahresfrist wiedersah. Er würde sich gedulden. Nur eine Armee konnte sein Anwesen einnehmen, außerdem war Cornelias Vater Cinna in Rom geblieben und konnte dort Cato im Senat die Stirn bieten. Sie hatten eine sehr private Allianz geschmiedet, und Julius wusste, dass es mit der Stärke des Pompeius und dem Reichtum des Crassus kaum etwas gab, das sie nicht erreichen konnten.

Als Julius durch den Pass hindurch und hinaus ins verblassende Tageslicht marschierte, bliesen die Hörner zum Halten. Er sah, wie sich die Via Flaminia bis in ein tiefes Tal hinunterwand, bevor sie sich in der Ferne wieder zu einem dunklen Berggipfel emporschlängelte, der angeblich der letzte Anstieg vor Ariminum war. Er wünschte, Brutus wäre an seiner Seite und könnte das sehen, oder Cabera, der noch weiter hinten in den Reihen der Hilfstruppen marschierte. Julius’ eigener Rang als Tribun hatte ihm erlaubt, beinahe ganz vorne Aufstellung zu nehmen, doch ein Marsch in Schlachtordnung war nicht der geeignete Ort, um sich mit seinen Freunden angenehm die Zeit zu vertreiben.

Im Licht der untergehenden Sonne machten sich die ersten Wachen bereit, wobei sie, wie es die Tradition forderte, ihre Schilde bei den Einheiten zurückließen. Zehntausend Soldaten aßen in aller Eile und legten sich in der Miniaturstadt, die sie geschaffen hatten, zum Schlaf. In der Nacht wurden sie reihum geweckt, um Wache zu stehen, und die abgelösten Posten nahmen nach der kalten Bergluft dankbar die noch warmen Schlafstellen ein.

Julius stand in der Dunkelheit auf seinem Posten und blickte über den aufgeworfenen Erdwall auf das raue Land dahinter. Er übernahm ein quadratisches Stück Holz aus der Hand eines Zenturios und prägte sich die dort eingeritzte Parole ein. Dann wurde er, das stille Lager im Rücken, in der Finsternis allein gelassen. Mit einem sarkastischen Grinsen quittierte er die Erkenntnis, weshalb die Wachen keine Schilde tragen durften: Es war zu verlockend, die Arme auf den oberen Rand zu stützen, den Kopf auf die Arme zu legen und wegzudösen. Er blieb wach und aufmerksam und fragte sich, wie lange es wohl her war, dass man einen Wachtposten schlafend angetroffen hatte. Die Strafe dafür war, von seinen eigenen Zeltgenossen totgeprügelt zu werden, was auch den müdesten Soldaten davon abhielt, die Augen zu schließen.

Die Wache verlief ohne besondere Zwischenfälle, bis Julius sie an einen Zeltgefährten übergab und sich den Schlaf möglichst rasch herbeiwünschte. Die Probleme mit Cornelia und Cato kamen ihm weit entfernt vor, als er mit geschlossenen Augen dalag und dem Schnarchen der Männer rings um ihn lauschte. Man konnte sich nur allzu leicht vorstellen, dass es auf der ganzen Welt keine Streitmacht gab, die der geballten Kampfkraft, die Crassus nach Norden geführt hatte, ernsthafte Probleme bereiten konnte. Kurz bevor er einschlief, dachte Julius an die Hoffnung, dass er und Brutus in dem bevorstehenden Blutvergießen die Möglichkeit haben würden, den Namen der Primigenia zu einem leuchtenden Vorbild werden zu lassen.

Octavian gellte dem Schwarm seiner Gegner einen schrillen Angriffsschrei entgegen. Sie hatten noch nicht bemerkt, dass er ein geborener Kämpfer war, und mit jedem Hieb streckte er einen von ihnen sterbend und nach seiner Mutter wimmernd zu Boden. Mit einem Satz war er bei ihrem Anführer, der in seiner fiebrigen Phantasie eine starke Ähnlichkeit mit dem Lehrling des Metzgers hatte, um ihn mit dem Speer zu durchbohren. Der feindliche Soldat brach röchelnd zusammen und winkte Octavian zu seinem blutverschmierten Mund heran, damit er seine letzten Worte vernahm.

»Ich habe schon in Hunderten von Schlachten gekämpft, aber noch nie bin ich auf einen so geschickten Gegner getroffen«, hauchte er mit seinem letzten Atemzug.

Octavian stieß ein Triumphgeheul aus, rannte um den Stall und wirbelte dabei den schweren Gladius über dem Kopf. Ohne Vorwarnung wurde sein Handgelenk von einer kräftigen Hand von hinten gepackt, und er quietschte überrascht auf.

»Was treibst du hier mit meinem Schwert?«, fragte Tubruk, der heftig durch die Nase atmete.

Octavian duckte sich in Erwartung eines Schlages, doch als der nicht kam, machte er vorsichtig die Augen auf. Er sah, dass der alte Gladiator ihn immer noch wütend anstarrte und auf eine Antwort wartete.

»Es tut mir Leid, Tubruk, ich habe es mir nur ausgeborgt… zum Üben.«

Tubruk hielt das Handgelenk des Jungen so fest, dass der nicht entrinnen konnte, und entwand das Schwert mit der anderen Hand Octavians widerstrebenden Fingern. Er hielt es sich vor die Augen und fluchte zornig, worauf Octavian zusammenzuckte. Als er den Ausdruck sah, der sich auf Tubruks Gesicht ausbreitete, riss er die Augen vor Angst weit auf. Er hatte ihn nicht so früh von den Feldern zurückerwartet, sonst hätte er das Schwert längst wieder an seinen Platz gestellt.

»Sieh dir das an! Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie lange es dauert, bis die Schneide wieder richtig scharf ist? Nein, natürlich nicht. Du bist nur ein dummer kleiner Tölpel, der glaubt, er könnte alles stehlen, wonach ihm gerade der Sinn steht.«

Octavian stiegen die Tränen in die Augen. Er wünschte sich nichts sehnlicher als die Anerkennung des alten Gladiators, und die Enttäuschung war schlimmer als jeder Schmerz.

»Es tut mir Leid. Ich wollte es mir nur ausborgen. Ich schärfe es für dich, dann sieht man keine Scharten mehr!«

Tubruk wandte sich wieder der Klinge zu.

»Was hast du bloß angestellt? Hast du damit absichtlich gegen etwas geschlagen? Das hier kann man nicht mehr auswetzen. Es muss von Grund auf nachgeschliffen werden, oder am besten wirft man es gleich weg. Ich habe dieses Schwert als Gladiator in der Arena und in drei Kriegen getragen, und das alles ist durch eine einzige Stunde in den Händen eines gedankenlosen Jungen, der die Finger nicht vom Eigentum anderer Leute lassen kann, zunichte gemacht. Diesmal bist du zu weit gegangen, mein Junge, das schwöre ich dir!«

Zu wütend, um weiterzureden, schleuderte Tubruk das Schwert zu Boden und ließ das schniefende Kind los. Zornig stürmte er aus dem Stall und ließ den Jungen in seinem Elend stehen.

Octavian hob die Waffe auf und fuhr mit dem Daumen über die Klinge, die an einigen Stellen richtiggehend eingeknickt war. Wenn er einen guten Wetzstein fand und sich ein paar Stunden verdrückte, so dachte er, dann hatte sich Tubruk bei seiner Rückkehr bestimmt wieder beruhigt und er konnte ihm das frisch geschärfte Schwert zurückgeben. Schon sah er den verdutzten Gladiator vor sich, als er ihm die wie neu schimmernde Klinge überreichte.

»Das hätte ich nicht für möglich gehalten«, stellte er sich die Worte Tubruks vor, als er die neue Schneide begutachtete. Octavian nahm sich vor, dann überhaupt nichts zu sagen, sondern nur bescheiden dazustehen, bis Tubruk ihm das Haar zauste und der Zwischenfall vergessen war.

Sein Tagtraum wurde durch Tubruks Rückkehr jäh unterbrochen, und Octavian ließ das Schwert sofort fallen, als er den schweren Lederriemen in Tubruks Hand sah.

»Nein! Ich hab doch gesagt, dass es mir Leid tut! Ich mache das Schwert wieder heil, ehrlich!«, heulte Octavian auf, aber Tubruk zerrte ihn schweigend aus dem Stall hinaus ins Sonnenlicht. Der kleine Junge wehrte sich vergeblich, doch die Hand, die ihn bis in den Hof zog, war in all ihrer erwachsenen Stärke unerbittlich. Er konnte sich nicht aus ihrem Griff befreien, obwohl er inzwischen doch schon so groß geworden war.

Tubruk stieß mit der Hand, die den Riemen hielt, das Haupttor auf und grunzte vor Anstrengung.

»Das hätte ich schon viel früher tun sollen. Da ist die Straße, die in die Stadt zurückführt. Ich rate dir, dich sofort auf den Weg zu machen, und wage es ja nicht, mir noch einmal unter die Augen zu treten. Wenn du hier bleibst, verprügele ich dich so lange, bis du es besser weißt. Also sag schon: Was wirst du tun – bleiben oder gehen?«

»Ich will nicht weg, Tubruk«, weinte der Junge und schluchzte vor Angst und Verzweiflung.

Tubruks Mund wurde schmal. Er blieb den Bitten des Jungen gegenüber taub.

»Na schön«, sagte er grimmig, packte Octavian an seiner Tunika und ließ den Riemen mit lautem Klatschen, das im ganzen Hof widerhallte, auf dessen Hinterteil niedersausen. Octavian zerrte wie verrückt, um zu entkommen, und stieß ein unverständliches Geschrei aus, doch Tubruk achtete nicht auf ihn, sondern holte abermals mit dem Riemen aus.

»Tubruk! Hör sofort auf!«, ertönte plötzlich Cornelias Stimme. Sie war auf dem Hof gekommen, um dem Lärm auf den Grund zu gehen und stand jetzt mit flammenden Augen vor den beiden. Octavian nutzte die Gelegenheit und riss seine Tunika aus Tubruks Fingern. Schutz suchend lief er zu ihr, schlang die Arme um sie und verbarg den Kopf in ihrem Gewand.

»Was machst du mit dem Jungen, Tubruk?«, fuhr Cornelia den Verwalter an.

Tubruk gab ihr keine Antwort, sondern machte nur einen Schritt auf sie zu, um sich Octavian wieder zu schnappen. Obwohl der Junge das Gesicht tief in den Falten von Cornelias Gewand vergraben hatte, spürte er ihn kommen und drängte sich ängstlich hinter die Frau. Cornelia wehrte Tubruk mit beiden Händen so wild ab, dass er schnaufend einen Schritt zurückwich.

»Hör sofort auf. Der Junge ist völlig verängstigt, siehst du das nicht?«

Tubruk schüttelte langsam den Kopf und sah dann mit einem Ruck auf.

»Du tust ihm für später keinen Gefallen, wenn du ihm jetzt erlaubst, dass er sich hinter dir versteckt. Ich will, dass er sich an das hier erinnert, wenn er wieder einmal auf die Idee kommt, etwas zu stehlen.«

Cornelia bückte sich und nahm Octavians Hand.

»Was hast du denn jetzt schon wieder genommen?«, erkundigte sie sich.

»Ich hab mir nur sein Schwert ausgeliehen. Ich wollte es wieder zurücklegen, aber dann ist es stumpf gewesen, und er ist zurückgekommen, bevor ich es wieder schärfen konnte«, heulte Octavian erbärmlich und beobachtete Tubruk aus dem Augenwinkel, falls dieser noch einen Versuch unternehmen sollte, ihn sich zu schnappen.

Cornelia schüttelte den Kopf.

»Du hast sein Schwert kaputt gemacht? Ach, Octavian. Das geht wirklich zu weit! Da muss ich dich Tubruk zurückgeben. Es tut mir Leid.«

Octavian schrie, als sie mit entschlossener Kraft seine Finger von ihrem Gewand löste und Tubruk ihn wieder an der Tunika packte. Cornelia biss sich unglücklich auf die Unterlippe, als Tubruk den Riemen noch viermal niederklatschen und Octavian dann in die tröstende Dunkelheit der Stallungen rennen ließ.

»Er hat schreckliche Angst vor dir«, sagte Cornelia und sah dem davonlaufenden Jungen nach.

»Gut möglich, aber das war nötig. Ich habe ihm Sachen durchgehen lassen, die sich Julius oder Brutus als Jungen niemals hätten erlauben dürfen. Der Bengel verbringt die Hälfte seiner Zeit in einer Traumwelt. Es schadet ihm nichts, anständig den Hintern versohlt zu bekommen. Vielleicht besinnt er sich beim nächsten Mal eines Besseren, wenn er wieder etwas stehlen will.«

»Ist das Schwert nicht mehr zu gebrauchen?«, fragte Cornelia, die sich in der Gesellschaft dieses Mannes, der Julius schon gekannt hatte, als er ebenso klein gewesen war wie Octavian, ein wenig unsicher fühlte.

Tubruk zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich nicht. Der Junge ist jedenfalls glimpflicher davongekommen und wesentlich besser dran, als wenn er seinen fröhlichen Lebenswandel noch eine Weile in der Stadt fortgeführt hätte. Lass ihn eine Weile in den Ställen hocken. Er wird sich ausheulen, und nachher kommt er zum Essen wieder ins Haus, als wenn nichts geschehen wäre, so wie ich ihn kenne.«

Octavian tauchte zum Abendessen nicht auf, und Clodia brachte ihm bei Einbruch der Dunkelheit eine Schüssel mit Essen hinaus. Sie konnte ihn in den Stallungen nirgends finden, und auch eine Suche auf dem gesamten Anwesen brachte keine Spur von dem kleinen Jungen. Er und der Gladius waren verschwunden.

»Du bist zu hässlich, um ein guter Schwertkämpfer zu sein«, sagte Brutus gut gelaunt, als er den wütenden Legionär leichtfüßig umkreiste. Bei Anbruch der Dunkelheit hatten sich die Männer, wie an den vorangegangenen drei Abenden, in der Mitte des Lagers versammelt, um sich die Zweikämpfe anzusehen, die Brutus eingeführt hatte.

»Es stimmt zwar, dass man eine gewisse Fertigkeit dafür braucht, aber gutes Aussehen ist genauso wichtig«, fuhr Brutus fort und sah den Mann mit forschenden Blicken an, die seine Dreistigkeit Lügen straften. Der Legionär hielt das Übungsschwert ein wenig zu verkrampft in der Hand. Obwohl die hölzerne Waffe kaum tödlich war, konnte ein ordentlicher Hieb durchaus einen Finger brechen oder ein Auge ausstechen. Die hohle Schwertklinge war mit Blei gefüllt, damit sie schwerer war als ein normaler Gladius. Wenn die Soldaten ihre richtigen Schwerter hochhoben, kamen sie ihnen dann beinahe wundersam leicht vor.

Brutus wich mit dem Oberkörper zur Seite, um einem Schlag auszuweichen, und ließ die Klinge nur wenige Zentimeter neben sich vorbeizischen. Er hatte diese Kämpfe am sechsten Abend ins Leben gerufen, als er gemerkt hatte, dass er nicht annähernd so müde war wie erwartet. Sie waren rasch zur Hauptunterhaltung der gelangweilten Soldaten geworden; die Männer wurden von Brutus’ keckem Selbstbewusstsein angelockt, mit dem er behauptete, dass es keiner von ihnen mit ihm aufnehmen könne. Oft kämpfte er gegen drei oder vier Legionäre hintereinander, und nach dem zweiten Abend fanden sogar die Glücksspiele im Lager kaum noch Zuspruch, da alles Geld lieber auf oder gegen Brutus gesetzt wurde. Wenn er weiterhin gewann, würde er diesen Feldzug mit einem kleinen Vermögen abschließen.

»Die Leute wollen ansehnliche Helden sehen, verstehst du? Du kommst dafür ja wohl kaum in Frage«, höhnte Brutus und wich kurz darauf mit einem Knurren der nächsten Attacke aus. »Dabei liegt es gar nicht an so offenkundigen Dingen wie einer Nase oder einem seltsamen Mund…« Er setzte zu einer wirbelnden Schlagkombination an, die hektisch abgewehrt wurde, und machte einen Schritt zurück, damit der Mann sich wieder fangen konnte. Anfangs hatte sich der Legionär ebenso großspurig gegeben wie Brutus, doch inzwischen flog ihm der Schweiß von den Haaren, wenn er sich duckte oder angriff. Brutus musterte sein Gesicht, als beurteilte er seine Züge.

»Nein, es ist die gesammelte Hässlichkeit, als säße überhaupt nichts an der richtigen Stelle«, sagte er.

Der Soldat fauchte und setzte zu einem Schlag an, der, hätte er getroffen, durchaus Brutus’ Schädel hätte spalten können. Er ging jedoch ins Leere, und als der Soldat der Klinge folgte, berührte Brutus den Hals des Mannes mit seinem eigenen Schwert, gerade so viel, um ihn das Gleichgewicht verlieren zu lassen. Der Legionär krachte bäuchlings zu Boden und erhob sich keuchend.

»Morgen wieder?«, fragte er. »Ich glaube, ich kann dich schlagen, wenn du mir noch eine Chance gibst, hässlich oder nicht.«

Brutus zuckte die Achseln und zeigte auf die Reihe der wartenden Soldaten.

»Da kommen noch einige vor dir, aber ich sehe zu, dass dich Cabera morgen Abend nach vorne stellt, wenn du dann noch willst. Du bist immer noch viel zu verkrampft.«

Der Soldat schaute auf seinen Griff und nickte.

»Arbeite an deinen Handgelenken«, fuhr Brutus ernsthaft fort. »Sobald du dich auf ihre Kraft verlassen kannst, bist du in der Lage, lockerer zu kämpfen.«

Der Mann zog sich wieder in die Menge zurück und bewegte dabei konzentriert das hölzerne Schwert. Cabera brachte den nächsten Kandidaten, schob ihn vor sich her wie ein Lieblingskind.

»Der hier behauptet, er sei gut. Er war vor ein paar Jahren der Beste in seiner Zenturie. Der Quartiermeister will wissen, ob du bereit bist, die Wette noch einmal freizugeben. Ich glaube, langsam macht er sich Sorgen.« Cabera grinste Brutus an. Er war sichtlich froh, dass er sich nach den ersten langweiligen Abenden fast am hinteren Ende des Zuges in die Reihen der Primigenia manövriert hatte.

Brutus betrachtete seinen neuen Gegner von oben bis unten, musterte die mächtigen Schultern und die schlanke Taille. Der Mann ließ sich davon nicht beeindrucken und dehnte ungerührt seine Muskeln.

»Wie heißt du?«, fragte Brutus ihn.

»Domitius, Zenturio«, antwortete der Mann.

Er hatte etwas an sich, das Brutus misstrauisch die Augen zusammenkneifen ließ.

»Du warst also Zenturienbester. Vor wie vielen Jahren?«

»Vor drei Jahren. Und letztes Jahr Legionsbester«, erwiderte Domitius und setzte seine Aufwärmübungen fort, ohne den Jüngeren anzusehen.

Brutus wechselte einen kurzen Blick mit Cabera und bemerkte dabei, dass die Menge um sie herum so angewachsen war, dass bis auf die Wachtposten so gut wie jeder aus dem Lager um sie herumstehen musste. Auch Renius hatte sich zu ihnen gesellt. Brutus runzelte die Stirn, als er ihn erblickte. Es war nicht leicht, sich zu entspannen, wenn der Mann, der einem alles beigebracht hatte, scheinbar ungläubig den Kopf schüttelte. Brutus raffte sein Selbstvertrauen zusammen.

»Die Sache ist die, Domitius… ich bin sicher, dass du ein tüchtiger Kämpfer bist, aber in jeder Generation muss es einen geben, der besser als alle anderen ist. Das ist nun einmal das Gesetz der Natur.«

Domitius dehnte langsam seine Beinmuskeln und schien über Brutus’ Worte nachzudenken.

»Wahrscheinlich hast du Recht«, antwortete er dann.

»Natürlich habe ich Recht. Jemand muss der Beste seiner Generation sein, und es ist mir fast peinlich zu sagen, dass ich derjenige bin.« Brutus fixierte Domitius und lauerte auf seine Reaktion.

»Fast peinlich?«, murmelte der Mann, während er seine Rückenmuskeln lockerte.

Die Gelassenheit des Legionärs irritierte Brutus. Etwas an diesen beinahe hypnotischen Streckübungen reizte ihn.

»Genau. Cabera? Geh zum Quartiermeister und sag ihm, dass ich noch Wetten für einen letzten Kampf annehme, gegen Domitius.«

»Ich glaube nicht…«, fing Cabera an und warf einen zweifelnden Blick auf den Neuankömmling. Domitius war fast einen Kopf größer als Brutus und bewegte sich mit einem Körpergefühl und einem Gleichgewichtssinn, wie man es nur selten zu sehen bekam.

»Sag’s ihm einfach. Dieser eine noch, dann komme ich kassieren.«

Cabera verzog das Gesicht und trottete davon.

Domitius richtete sich auf wie eine Schlange, die sich entrollt, und lächelte Brutus an.

»Darauf habe ich gewartet«, sagte er. »Meine Freunde haben sehr viel Geld verloren, weil sie gegen dich gesetzt haben.«

»Und das hat dich nicht stutzig gemacht? Na komm, bringen wir es hinter uns«, erwiderte Brutus knapp.

Domitius seufzte. »Ihr kleinen Männer seid immer so ungeduldig«, sagte er und schüttelte den Kopf.

Octavian wischte sich die Nase am Unterarm ab und hinterließ dabei eine silbrige Spur auf der Haut. Zuerst war ihm die Stadt ganz fremd vorgekommen. Es war nicht schwer gewesen, sich in der Deckung eines Bauernkarrens an den Torwächtern vorbeizuschleichen, aber sobald er drinnen war, setzten ihm der Lärm, die Gerüche und das eilige Gewimmel der Menschenmengen zu. Ihm wurde klar, dass er in den Monaten auf dem Landgut vergessen hatte, wie turbulent es sogar am Abend in der Großstadt zuging.

Er hoffte, dass sich Tubruk Sorgen um ihn machte. In ein oder zwei Tagen würden sie ihn wieder mit offenen Armen aufnehmen, besonders, wenn es ihm gelang, Tabbic zu überreden, der Klinge wieder eine ordentliche Schneide zu verpassen. Bis dahin musste er nur aufpassen, dass ihm bis zum Morgen, wenn der kleine Laden wieder geöffnet wurde, nichts zustieß. Das Schwert trug er in eine Pferdedecke eingewickelt unter dem Arm. Andernfalls wäre er damit nicht weit gekommen. Irgendein rechtschaffener Bürger hätte ihn angehalten, oder, schlimmer noch, ein Dieb hätte es ihm weggenommen, um es in einem billigeren Laden als dem von Tabbic zu Geld zu machen.

Fast unbewusst ließ sich Octavian von seinen Schritten in die Richtung des Hauses seiner Mutter führen. Wenn er nur die Nacht dort verbringen konnte, würde er am Morgen zu Tabbic gehen und in einem oder zwei Tagen wieder auf dem Landgut sein. Dann war Tubruk bestimmt zufrieden mit ihm. Er dachte daran, wie seine Mutter wahrscheinlich reagieren würde, und zuckte zusammen. Sie würde das Schwert sofort entdecken und bestimmt denken, er hätte es gestohlen. Für eine Mutter war sie nicht sehr vertrauensvoll, das musste er sich leider eingestehen. Sie glaubte ihm nichts, selbst wenn er die Wahrheit sagte, und das machte ihn immer besonders wütend.

Vielleicht sollte er versuchen, Alexandria ein Zeichen zu geben, sie nach draußen zu locken, ohne den Rest des Hauses zu stören. Sie verstand bestimmt besser als seine Mutter, was er tun musste.

Er trottete durch die nächtliche Menge, wich den Straßenhändlern aus und widerstand der Versuchung, nach dem warmen Essen zu greifen, das die Luft mit verführerischen Düften erfüllte. Er war am Verhungern, doch das bohrende Gefühl in seinem Magen kam erst an zweiter Stelle – nach dem Bedürfnis, mit Tubruk wieder alles ins Reine zu bringen. Sich von einem aufgebrachten Budenbesitzer schnappen zu lassen, würde alles genauso verderben wie eine Unterhaltung mit seiner Mutter.

»Das ist ja die Ratte!«

Der Ausruf riss ihn urplötzlich aus seinen trübseligen Gedanken. Er sah auf und starrte in die erstaunten Augen des Schlachterlehrlings. Panik flackerte in ihm auf. Er sprang auf die Straße, um den von hinten nach ihm greifenden Händen zu entkommen. Sie waren alle da! Verzweifelt riss er die Decke zurück und legte die Hand um den Griff von Tubruks Gladius. Gerade als der Junge des Schlachters sich auf ihn stürzen wollte, riss er die Klinge hoch. Ein wilder Hieb hätte beinahe die in begieriger Vorfreude ausgestreckten Finger erwischt, und der Lehrling stieß einen erstaunten Fluch aus.

»Dafür bring ich dich um, du kleiner Drecksack aus Thurin. Ich hab mich schon gewundert, wo du steckst. Jetzt hast du dich wohl aufs Schwerterklauen verlegt, was?«

Octavian sah, dass die anderen zusammenrückten, um ihm den Fluchtweg zu versperren, während der Junge ihn anknurrte. In wenigen Augenblicken war er umzingelt, und die geschäftige Menge schob sich um sie herum, ohne seine missliche Lage zu bemerken, oder zu ängstlich, um sich einzumischen.

Octavian hielt das Schwert in der ersten Position, so wie Tubruk es ihm beigebracht hatte. Er konnte nicht weglaufen, also schwor er sich, wenigstens einen guten Treffer zu landen, bevor sie sich auf ihn stürzten.

Der Schlachterjunge lachte, als er erneut näher kam. »Jetzt bist du nicht mehr so vorwitzig, was, du kleine Ratte?«

Er kam Octavian riesengroß vor. Das Schwert in seiner Hand fühlte sich nutzlos an. Der Bursche streckte die Hand aus, um einen plötzlichen Angriff zur Seite zu schlagen, sein Gesicht leuchtete vor unbeherrschter Erregung.

»Gib es mir, dann lass ich dich am Leben«, sagte er grinsend.

Bei dieser Drohung schlossen sich Octavians Finger nur noch fester um den Griff. Er versuchte sich daran zu erinnern, was Tubruk an seiner Stelle getan hätte. Als der Lehrling in Reichweite seiner schwankenden Klinge trat, fiel es ihm wieder ein.

Mit einem gellenden Schrei ging er zum Angriff über und zog die Klinge über die ausgestreckte Hand. Wäre sie scharf gewesen, hätte er den Jungen vielleicht zum Krüppel machen können. So hingegen heulte dieser nur auf, tänzelte nach hinten außer Reichweite und umklammerte die verletzte Hand mit der anderen.

»Lasst mich in Ruhe!«, schrie Octavian und hielt nach einer Lücke Ausschau, durch die er sich davonmachen konnte.

Es gab keine. Der Schlachterjunge untersuchte seine zerschnittene Hand. Dann verzog sich sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Er griff nach hinten, zog ein schweres Messer aus dem Gürtel und zeigte es Octavian. Es war vom Blut seines Gewerbes ganz rostig, und Octavian konnte seinen Blick kaum davon losreißen.

»Ich schneide dich in Stücke, du Ratte. Ich steche dir die Augen aus und lasse dich blind liegen«, fauchte ihn der Ältere an.

Octavian versuchte zu fliehen, doch statt ihn festzuhalten lachten die anderen Lehrjungen nur und stießen ihn wieder auf den Schlachterburschen zu. Wieder hob er das Schwert, doch dann ragte ein Schatten über den Lehrlingen auf, und eine kräftige Hand knallte hörbar gegen den Kopf des Schlachterjungen, der daraufhin zu Boden fiel.

Tubruk bückte sich und hob das Messer auf. Der Fleischerbursche wollte aufstehen, doch Tubruk schloss die Faust und streckte ihn mit einem Hieb in den Straßendreck, wo er halb benommen herumscharrte.

»Hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages gegen Kinder kämpfen muss«, murmelte Tubruk. »Alles in Ordnung?« Octavian starrte ihn mit vor Staunen offenem Mund an. »Ich suche schon seit Stunden nach dir.«

»Ich wollte… das Schwert zu Tabbic bringen. Ich hab’s nicht gestohlen«, antwortete Octavian, der wieder spürte, dass ihm die Tränen in die Augen zu steigen drohten.

»Ich weiß, mein Junge. Clodia hat sich gedacht, dass du zu ihm willst. Gut, dass ich dich rechtzeitig gefunden habe, oder?«

Der alte Gladiator warf einen Blick auf die Lehrlinge, die immer noch unsicher im Kreis um sie herumstanden und nicht wussten, ob sie bleiben oder weglaufen sollten.

»An eurer Stelle, Jungs, würde ich das Weite suchen, bevor ich die Geduld verliere«, sagte er. Sein Gesichtsausdruck verdeutlichte ihnen, dass er es ernst meinte, woraufhin sie sich, ohne weitere Zeit zu verlieren, aus dem Staub machten.

»Ich lasse das Schwert zu Tabbic bringen, einverstanden? Kommst du jetzt wieder mit oder nicht?«

Octavian nickte. Tubruk drehte sich um und marschierte durch die Menge zum Stadttor zurück. Bis sie auf dem Gut ankamen, würde schon fast der Morgen grauen, doch er wusste, dass er ohnehin nicht geschlafen hätte, wäre Octavian nicht wieder aufgetaucht. Trotz all seiner Fehler mochte er den Jungen.

»Warte, Tubruk. Nur einen Augenblick«, rief Octavian.

Tubruk drehte sich mürrisch um. »Was ist denn jetzt noch?«

Octavian ging zu dem übel zugerichteten Lehrburschen und trat ihm mit voller Wucht ins Gemächt. Tubruk zuckte mitfühlend zusammen.

»Bei den Göttern, du musst noch viel lernen! Das tut man nicht, wenn ein Mann bereits am Boden liegt.«

»Vielleicht nicht, aber das war ich ihm noch schuldig.«

Tubruk entließ die Luft aus den aufgeblasenen Wangen, und Octavian trottete neben ihm her.

»Vielleicht hast du Recht, mein Junge.«

Brutus konnte nicht glauben, was ihm geschah. Der Mann war schier übermenschlich. Er hatte nicht mehr genug Luft für Neckereien, und um ein Haar hätte er den Kampf in den ersten Sekunden verloren, als Domitius mit einer Geschwindigkeit zugeschlagen hatte, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Sein Zorn hatte seine Reflexe angespornt, so dass er die Attacke abwehren konnte, doch das Krachen abgeblockter Schläge ertönte mit einer erbarmungslosen Ausdauer, die er nicht für möglich gehalten hätte. Der andere schien nicht einmal Luft holen zu müssen. Die Schläge prasselten ohne Unterlass auf ihn ein, aus allen Richtungen, und zweimal hätte Brutus fast sein Schwert verloren, als er am Arm getroffen wurde. Bei einem richtigen Zweikampf hätte das wahrscheinlich das Ende des Duells bedeutet, aber bei den Übungskämpfen musste es ein eindeutig tödlicher Hieb sein, besonders wenn Geld im Spiel war.

Brutus hatte ein wenig an Boden gewonnen, nachdem er den fließenden Stil gefunden hatte, den er von einem Stammeskrieger in Griechenland gelernt hatte. Wie gehofft hatten die unterschiedlichen Rhythmen Domitius’ Angriff aus dem Gleichgewicht gebracht, und er hatte den Unterarm des Mannes mit einem Hieb getroffen, der ihm bei einer echten Klinge die Hand am Gelenk abgetrennt hätte.

Domitius war daraufhin verwundert ein Stück zurückgewichen, und Brutus hatte den Augenblick genutzt, um seinen Zorn zu bezwingen und seinem Gegner mit der gleichen Gelassenheit zu begegnen. Domitius schnaufte nicht einmal und wirkte völlig entspannt.

Um nicht einen feindlichen Angriff zu übertönen, war es den umstehenden Soldaten verboten, die Kämpfer anzufeuern oder laut zu jubeln. Stattdessen zischten sie oder stöhnten leise auf, ballten die Fäuste und fletschten vor Aufregung die Zähne.

Als die Schwerter sich ineinander verhakt hatten, ergab sich für Brutus die Möglichkeit, einen Faustschlag zu landen, doch auch das war verboten, damit sich die Soldaten nicht so schwer verletzten, dass sie am folgenden Tag nicht mehr mitmarschieren konnten.

»Jetzt hätte… ich dich gehabt«, keuchte er.

Domitius nickte. »Ich hatte meine Chance schon früher. Aber ich habe natürlich auch eine größere Reichweite als du.«

Wieder kam die Attacke, und Brutus wehrte sie zweimal ab, bevor die Dritte seine Deckung durchbrach und er auf die hölzerne Spitze hinabblickte, die schmerzhaft unterhalb der Rippen auf seine Brust drückte.

»Das wär’s wohl«, sagte Domitius. »Du bist wirklich sehr gut. Mit diesem komischen Stil, den du mittendrin gewechselt hast, hättest du mich fast erwischt. Den musst du mir gelegentlich beibringen.« Als er Brutus’ niedergeschlagenen Gesichtsausdruck sah, musste er lachen.

»Mein Sohn, seit ich so alt war wie du, bin ich fünfmal Legionsbester gewesen. Du bist immer noch zu jung, um deine volle Geschwindigkeit erreicht zu haben, und mit der Geschicklichkeit dauert es sogar noch länger. Fordere mich in einem oder zwei Jahren wieder heraus, vielleicht sieht das Ergebnis dann anders aus. Du hast dich wacker geschlagen, und ich sollte das wissen.«

Domitius ging zu einer Gruppe Soldaten hinüber, die ihm freudig auf Rücken und Schultern klopften. Cabera kam mit säuerlicher Miene auf Brutus zu.

»Er war sehr gut«, murmelte Brutus. »Besser als Renius oder jeder andere.«

»Könntest du ihn schlagen, wenn ihr noch einmal kämpfen würdet?«

Brutus dachte darüber nach, rieb sich das Kinn und den Mund. »Vielleicht… wenn ich meine Lehren aus diesem Kampf ziehe.«

»Gut, denn ich habe unsere Gewinne schon vor dem Kampf beim Quartiermeister abgeholt.«

»Was? Ich habe dir doch gesagt, du sollst sie noch offen lassen!«, sagte Brutus mit erstauntem Grinsen. »Ha! Wie viel haben wir eingestrichen?«

»Zwanzig Aurei, das ist doppelt so viel wie das ursprüngliche Silber für die sieben Kämpfe, die du gewonnen hast. Ein paar musste ich für Domitius lassen, weil ich aus Höflichkeit auf dich gesetzt habe, aber der Rest gehört uns.«

Brutus lachte laut auf und zuckte gleich darauf zusammen, als er die blauen Flecken spürte, die er sich eingehandelt hatte.

»Er hat mich nur herausgefordert, damit seine Freunde ihr verspieltes Geld zurückgewinnen konnten. Wie es aussieht, bekomme ich doch noch eine zweite Chance.«

»Wenn du willst, mache ich es für morgen aus. Die Chancen dürften hervorragend stehen. Wenn du gewinnst, gibt es im ganzen Lager keine einzige Münze mehr.«

»Dann tu das. Ich würde es gern noch einmal mit Domitius versuchen. Du alter Schlaufuchs! Woher wusstest du, dass ich verlieren würde?«

Cabera seufzte und beugte sich zu Brutus herab, als wollte er ihn in ein Geheimnis einweihen. »Ich wusste es, weil du ein Narr bist. Niemand schlägt einen Legionsbesten nach drei anderen Kämpfen.«

»Beim nächsten Mal lasse ich Renius die Einsätze machen«, schnaubte Brutus empört.

»In diesem Falle lasse ich mir meinen Anteil vorher ausbezahlen.«

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