19

Das schwarze Wasser war bitterkalt und spülte immer wieder über die Römer, die flach auf den Flößen lagen und langsam auf den dunklen Rumpf von Celsus’ Schiff zupaddelten. Obwohl sich alle gerne beeilt hätten, hielt sich jeder Mann zurück und bewegte die tauben Hände nur mit kleinen Bewegungen im ruhigen Wasser. Julius’ Mannschaften hatten fieberhaft gearbeitet und Bretter und Seile von den beiden Schiffen gerissen, die außerhalb der Bucht an der Küste verborgen vor Anker lagen. Als sie fertig waren, glitten fünf Plattformen langsam durch die tiefen Rinnen auf den Strand zu, an dem Celsus festgemacht hatte, die Schwerter mit Stoff zusammengebündelt, um das Gleichgewicht zu halten. Sie hatten keine Rüstungen dabei. Auch wenn diese ihnen einen Vorteil hätten verschaffen können, ging Julius davon aus, dass sie keine Zeit haben würden, sie anzulegen. Stattdessen zitterten seine Männer in Tuniken und Beinlingen, die sie kaum vor dem nächtlichen Wind schützten.

Celsus erwachte in seiner Kajüte und lauschte. Was war das für ein Geräusch gewesen, das ihn soeben geweckt hatte? Hatte der Wind gedreht? Die Bucht bot vollkommenen Schutz, aber ein Sturm konnte eine Flutwelle durch die Kanäle treiben, die den Halt der Anker in dem schlammigen Meeresgrund lockern konnte. Zuerst wollte er sich einfach wieder umdrehen und weiterschlafen. Er hatte am Abend zuvor mit den anderen zu viel getrunken, und das schmierige Fett des gebratenen Fleisches hatte sich auf seiner Haut zu wachsartigen Spritzern verhärtet. Behäbig rieb er an einer Stelle und kratzte mit dem Fingernagel die Reste des Festmahls ab. Seine Offiziere schliefen ohne Zweifel ihren Rausch aus, und jemand musste jede Stunde auf dem Schiff nach dem Rechten sehen. Er seufzte, griff in der Dunkelheit nach seinen Kleidern und verzog das Gesicht bei dem muffigen Geruch nach Wein und Essen, der aus ihnen aufstieg.

»Ich sollte es besser wissen«, murmelte er vor sich hin und zuckte zusammen, als der bittere Geschmack von Säure in seiner Kehle hochstieg. Er fragte sich, ob er Cabera wecken sollte, damit ihm dieser etwas von der kreidigen Mixtur zusammenrührte, die anscheinend recht gut half.

Plötzlich hörte er ein Handgemenge vor seiner Tür und das Geräusch eines auf dem Deck aufschlagenden Körpers. Celsus runzelte die Stirn und nahm mehr aus Gewohnheit denn aus Furcht den Dolch vom Haken, als er die Tür öffnete und hinausblickte.

Dort hob sich ein dunkler, nicht näher zu erkennender Schatten gegen das Sternenlicht hoch über ihnen ab.

»Wo ist mein Geld?«, flüsterte Julius.

Celsus schrie erschrocken auf, stürzte vorwärts und drosch auf die Gestalt ein. Er spürte, wie ihn jemand an den Haaren packte, kaum dass er das Deck betreten hatte, und sein Kopf wurde zurückgerissen, ehe die Hand abrutschte. Er duckte sich schnell und brüllte aus Furcht vor der Klinge, die in seiner Vorstellung auf seinen ungeschützten Rücken niedersauste.

Auf dem Hauptdeck wogte eine unentwirrbare Masse aus zappelnden Gestalten, aber niemand antwortete ihm. Celsus sah seine Männer am Boden liegen, zu benommen von Alkohol und Schlaf, um sich wirklich zur Wehr setzen zu können. Er wich den Knäueln der Männer aus und rannte nach achtern zur Waffenkammer. Dort würden sie sich den Angreifern stellen. Noch war nicht alles verloren.

Etwas Schweres traf ihn im Genick, und er strauchelte. Seine Füße stolperten über eine gefesselte Gestalt, und er stürzte krachend zu Boden. Die Stille war gespenstisch. Im Dunkeln waren weder Rufe noch Befehle zu hören, nur das Stöhnen und Atmen von Männern, die ohne Erbarmen und mit allem, was sie in die Hände bekamen, um ihr Leben kämpften. Celsus sah, wie einer seiner Männer mit einem dicken Tau um den Hals kämpfte, sich mit den Fingern darankrallte, dann sprang er wieder auf und tastete sich weiter durch die Dunkelheit. Er schüttelte den Kopf, um das Gefühl von Panik loszuwerden, und sein Herz raste hemmungslos.

Die Waffenkammer war von Fremden umstellt. Ihre nasse Haut glänzte im Licht der Sterne, als sie sich zu ihm umdrehten. Er konnte ihre Augen nicht erkennen und hob den Dolch, um auf sie einzustechen, als sie auf ihn zukamen.

Ein Arm legte sich ihm von hinten um den Hals, und Celsus hieb wie wild darauf ein, worauf er mit einem Stöhnen weggezogen wurde. Er wirbelte herum und fuchtelte mit dem Dolch vor sich herum, als die Schatten auseinander glitten und ein Funke die Szenerie wie ein Blitz erleuchtete. Einen Augenblick lang sah er ihre leuchtenden Augen, ehe alles noch dunkler wurde als zuvor.

Julius schlug einen weiteren Funken und entzündete die Öllampe, die er aus Celsus’ Kajüte mitgebracht hatte. Celsus schrie vor Entsetzen auf, als er den jungen Römer erkannte.

»Gerechtigkeit für die Toten, Celsus«, sagte Julius, während er das Licht über das entsetzte Gesicht des Mannes wandern ließ. »Wir haben fast alle deine Männer, ein kleiner Rest hat sich unter Deck verbarrikadiert. Aber die laufen uns nicht weg.«

Seine Augen funkelten im Licht der Lampe, und Celsus spürte, wie seine Arme mit einer grauenvollen Endgültigkeit gepackt wurden, als die anderen ihn umringten und ihm den Dolch aus den Fingern rissen. Julius beugte sich so weit vor, dass ihre Gesichter sich fast berührten.

»Die Ruderer werden an ihre Bänke gekettet. Deine Mannschaft wird gekreuzigt, so wie ich es dir versprochen habe. Ich nehme dieses Schiff für Rom und das Haus Cäsar in Besitz.«

Verblüfft und fasziniert starrte Celsus ihn an. Sein Mund stand offen, während er zu verstehen versuchte, was geschehen war, aber es wollte ihm nicht gelingen.

Ohne Vorwarnung schlug ihm Julius hart in den Bauch. Celsus spürte, wie ihm die Säure aus dem Magen hochschoss und er würgte einen Augenblick, als sich seine Kehle mit Bitterkeit füllte. Er sackte in den Armen der Männer zusammen, die ihn festhielten, und Julius trat einen Schritt zurück. Plötzlich entwand sich Celsus dem nun gelockerten Griff der Männer hinter ihm und stürzte sich auf seinen Gegner. Er krachte gegen Julius, und beide stürzten zu Boden. Die Lampe verströmte ihr Öl über das Deck. In der Verwirrung machten sich die Römer mit der instinktiven Angst von Männern, die auf hölzernen Schiffen segelten, daran, die Flammen zu löschen. Celsus landete einen Treffer auf der sich windenden Gestalt unter ihm und sprang dann in einem verzweifelten Fluchtversuch auf die Reling des Schiffs zu.

Ciros riesige Gestalt versperrte ihm den Weg, und Celsus sah die Klinge nicht, in die er hineinrannte. Im Todeskampf schaute er in das Gesicht des Mannes, der ihn niedergestreckt hatte, aber dort war nichts zu sehen, nur Leere. Dann war er tot und glitt von dem Schwert auf das Deck.

Julius setzte sich keuchend auf. In der Nähe hörte er das Splittern von Holz. Dort bahnten sich seine Männer den Weg in die verbarrikadierten Kajüten. Es war so gut wie vorüber. Er zuckte beim Lächeln zusammen, weil seine Lippen von einem Schlag bluteten, den er irgendwann im Kampf abbekommen hatte.

Cabera kam über das Holzdeck auf ihn zugelaufen. Er sah noch ein bisschen magerer aus, falls das überhaupt möglich war, und in seinem breiten Grinsen fehlte seit dem letzten Mal mindestens ein weiterer Zahn. Trotzdem war es noch immer dasselbe Gesicht.

»Ich habe ihnen immer wieder gesagt, dass du kommen würdest, aber sie wollten mir nicht glauben«, sagte er fröhlich.

Julius stand auf und umarmte ihn, überwältigt vor Erleichterung, den alten Mann gesund und munter wiederzusehen. Es bedurfte keiner weiteren Worte.

»Lasst uns nachsehen, wie viel von unserem Lösegeld Celsus schon ausgegeben hat«, sagte er schließlich. »Lampen! Schafft Lampen her! Bringt sie mit hinunter in den Frachtraum.«

Cabera und die anderen folgten ihm die Treppe hinunter, die fast so steil war wie eine Leiter. Jeder der drängelnden Männer waren ebenso gespannt wie er, was sie wohl finden würden. Die Wachen waren betrunken gewesen und gleich beim ersten Angriff überwältigt worden, aber die vergitterte Tür war noch immer verschlossen, so wie Julius es angeordnet hatte. Als er die Hand darauf legte, hielt er einen Augenblick inne, atemlos vor Erwartung. Der Frachtraum konnte leer sein, das wusste er. Andererseits konnte er auch randvoll sein.

Die Tür gab unter den Äxten leicht nach, und als die anderen Julius folgten, erhellten die Öllampen den Hohlraum, der direkt unter den Ruderbänken lag. Das wütende Gemurmel der Ruderer hallte als gespenstisches Echo durch den geschlossenen Raum. Die Belohnung für ihre Treue zu Celsus würde die Sklaverei sein, als einzige ausgebildete Mannschaft im Dienst Roms.

Julius holte tief Luft. Alle Wände des Frachtraums bestanden aus stabilen, tiefen Eichenregalen, die vom Boden bis zur hohen Decke reichten. Auf jedem Regalbrett lagen Schätze. Kisten mit Goldmünzen und kleine, aufgestapelte Silberbarren, sorgfältig platziert, um das Gleichgewicht des Schiffes nicht zu beeinträchtigen. Julius schüttelte ungläubig den Kopf. Das, was er vor sich sah, würde ausreichen, um in manchen Teilen der Welt ein kleines Königreich zu kaufen. Die Sorge um diese Reichtümer musste Celsus zum Wahnsinn getrieben haben. Julius bezweifelte, dass er das Schiff jemals verlassen hatte, wo er so viel zu verlieren hatte. Das Einzige, was er nicht entdecken konnte, war der Stapel Wechsel, die ihm Marius vor seinem Tod gegeben hatte. Er hatte von Anfang an gewusst, dass sie für Celsus keinen Wert besaßen, denn der Pirat konnte niemals eine so große Summe aus der Stadtkasse beanspruchen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass sein Treiben bekannt wurde. Julius hatte gehofft, dass sie nicht mit der Accipiter versunken waren, aber das verlorene Geld war nichts im Vergleich zu dem Gold, das sie im Gegenzug gewonnen hatten.

Die Männer, die mit ihm eingetreten waren, verstummten bei dem Anblick. Nur Cabera und Gaditicus traten weiter in den Frachtraum hinein und begutachteten den Inhalt eines jeden Regals. Gaditicus blieb plötzlich stehen und zog ächzend eine Kiste hervor. In das Holz war ein Adler eingebrannt, und aufgeregt wie ein Kind öffnete er den Deckel mit dem Heft seines Schwertes.

Er zog eine Hand voll glänzender, frisch geprägter Silbermünzen hervor. Jede einzelne war mit Insignien Roms und dem Konterfei des Cornelius Sulla versehen.

»Wenn wir die hier zurückbringen, können wir unsere Namen reinwaschen«, sagte er zufrieden und blickte Julius an.

Julius musste über die Prioritäten des älteren Mannes lachen.

»Mit diesem Schiff als Ersatz für die Accipiter wird man uns wie verlorene Söhne empfangen. Wie wir wissen, ist es schneller als die meisten der unseren«, erwiderte Julius. Er sah, wie Cabera einige wertvolle Gegenstände in den Falten seines Gewandes verschwinden ließ, wo sie der enge Gürtel, der seine Taille umgab, am Herausfallen hinderte. Julius hob amüsiert die Augenbrauen.

Gaditicus fing an zu lachen, als er die Münzen durch die Finger rinnen und wieder in die Kiste zurückfallen ließ.

»Wir können wieder nach Hause«, sagte er. »Endlich können wir wieder nach Hause.«

Julius weigerte sich, Kapitän Durus die zwei Triremen zu übergeben, die er ihm als Ausgleich für seine verlorene Fracht versprochen hatte. Er hielt es für unklug, sich eine solche Blöße zu geben, ehe sie die Sicherheit eines römischen Hafens erreicht hatten. Während Durus wegen dieser Entscheidung tobte, suchte Gaditicus Julius in der Kajüte auf, die einmal Celsus gehört hatte, jetzt jedoch sauber geschrubbt und leer geräumt worden war. Der junge Mann ging während ihres Gesprächs darin auf und ab, unfähig, sich zu entspannen.

Gaditicus nippte an einem Becher Wein und genoss die vorzügliche Auswahl aus Celsus’ Vorräten.

»Wir könnten im Legionshafen von Thessaloniki anlanden und dort der Legion das Silber und das Schiff übergeben. Nachdem wir unsere Ehre wiederhergestellt haben, könnten wir die Küste entlangsegeln, oder sogar Richtung Westen nach Dyrrhachium marschieren und dort ein Schiff nach Rom nehmen. Wir sind so dicht dran. Durus sagt, er wird schwören, dass wir eine Geschäftsvereinbarung gehabt haben, also kann man uns nicht wegen Piraterie anklagen.«

»Da ist immer noch der Soldat, den Ciro im Hafen getötet hat«, sagte Julius langsam und gedankenverloren.

Gaditicus zuckte die Achseln. »Soldaten sterben, und wir haben ihn schließlich nicht niedergemetzelt. Der Mann hatte einfach Pech. Sie werden uns daraus keinen Strick drehen können. Wir können nach Hause zurückkehren.«

»Was wirst du machen? Du hast jetzt genug, um dich zur Ruhe zu setzen, denke ich.«

»Vielleicht. Ich habe mir überlegt, meinen Anteil dazu zu verwenden, um dem Senat die Sklaven zu bezahlen, die mit der Accipiter untergegangen sind. Wenn ich das tue, schicken sie mich vielleicht sogar wieder als Kapitän zur See. Wir haben schließlich zwei Piratenschiffe erobert, das können sie kaum außer Acht lassen.«

Julius erhob sich und packte den Arm seines Gefährten.

»Ich schulde dir weit mehr als das, das weißt du.«

Gaditicus ergriff den Arm, der ihn festhielt.

»Du schuldest mir gar nichts, Junge. Als wir in dieser stinkenden Zelle saßen… und unsere Freunde starben… damals hat mich mit ihnen auch mein Wille für eine Weile verlassen.«

»Aber du warst der Kapitän, Gadi. Du hättest auf deinem Befehlsrecht bestehen können.«

Gaditicus lächelte ein wenig traurig.

»Ein Mann, der das tun muss, merkt ziemlich schnell, dass er keinen sehr guten Stand hat.«

»Du bist ein guter Mann. Und ein großartiger Kapitän«, sagte Julius und wünschte sich, er hätte bessere Worte für seinen Freund gefunden. Er wusste, was für eine seltene Stärke es Gaditicus abverlangt hatte, seinen Stolz hinunterzuschlucken, doch ohne dies wäre es ihnen niemals gelungen, ihr Leben und ihre Ehre zurückzuerobern.

»Na, dann komm«, sagte er. »Wenn du es so willst, setzen wir nach Griechenland über und begeben uns wieder in die Zivilisation.«

Gaditicus lächelte mit ihm. »Was wirst du mit deinem Anteil am Gold machen?«, fragte er vorsichtig.

Nur Suetonius hatte sich beschwert, als Julius die Hälfte für sich beansprucht hatte, während der Rest zu gleichen Teilen aufgeteilt werden sollte. Auch wenn sie das römische Silber und die Lösegelder für die Offiziere der Accipiter abzogen, würde ihr Anteil immer noch größer sein, als sie jemals zu hoffen gewagt hatten. Suetonius hatte kein Wort mehr mit Julius gesprochen, nachdem er die für ihn bestimmte Summe erhalten hatte. Außer ihm gab es jedoch kein unzufriedenes Gesicht auf den drei Schiffen. Die anderen betrachteten Julius beinahe mit Ehrfurcht.

»Ich weiß noch nicht, was ich damit anfange«, sagte Julius, und sein Lächeln erstarb. »Ich kann nicht nach Rom zurückkehren, wie du weißt.«

»Sulla?«, fragte Gaditicus und erinnerte sich an den jungen Mann, der kurz vor dem Auslaufen in Ostia an Bord seiner Galeere gekommen war, das Gesicht noch verschmiert vom Ruß der brennenden Stadt hinter ihm.

Julius nickte finster.

»Ich kann nicht zurückkehren, solange er am Leben ist«, murmelte er, und seine Laune verfinsterte sich ebenso schnell, wie sie sich gehoben hatte.

»Du bist zu jung, um dir deswegen Gedanken zu machen. Manche Feinde kann man schlagen, andere muss man einfach überleben. Das ist sicherer.«

Julius dachte an diese Unterhaltung, als sie durch den tiefen Kanal segelten, hinter dem Thessaloniki vor den Stürmen des Ägäischen Meeres geschützt lag. Die drei Schiffe segelten Bug an Bug vor dem böigen Wind. Die Segel knatterten, und alle Männer, die sonst nichts zu tun hatten, waren an Deck mit Putzen und Polieren beschäftigt. Er hatte drei Flaggen der Republik für die Masten herstellen lassen, und wenn sie um die letzte Bucht herum auf den Hafen zusteuerten, würden sie einen Anblick bieten, der römische Herzen höher schlagen lassen würde. Er seufzte leise vor sich hin. Rom war alles, was er kannte. Tubruk, Cornelia und Marcus… wann würden sie sich wiedersehen? Seine Mutter. Zum ersten Mal, solange er sich erinnern konnte, wollte er sie sehen, nur um ihr sagen zu können, dass er ihre Krankheit verstand und dass es ihm Leid tat. Ein Leben im Exil war nicht zu ertragen. Er schauderte leicht, als der Wind in seine Haut schnitt.

Gaditicus trat neben ihm an die Reling. »Irgendetwas stimmt hier nicht, mein Junge. Wo sind die Handelsschiffe? Die Galeeren? Vor uns müsste eigentlich ein geschäftiger Hafen liegen.«

Während sie sich näherten, strengte Julius seine Augen an, um etwas an Land erkennen zu können. Dünne Rauchfahnen stiegen in den Himmel, zu viele, um von Kochstellen zu stammen. Als sie nahe genug herangekommen waren, um anlegen zu können, erkannte er, dass die einzigen anderen Schiffe im Hafen schwere Schlagseite hatten und Brandspuren aufwiesen. Von einem war kaum mehr als der ausgebrannte Rumpf übrig. Auf dem Wasser im Hafenbecken schaukelte eine Schicht aus nasser Asche und Holzsplittern.

Die restlichen Männer kamen an die Reling und betrachteten betreten schweigend das Bild der Verwüstung, das sich ihnen bot. Im schwachen Sonnenlicht wurden verwesende Leichen sichtbar. Kleine Hunde zerrten an ihnen und ließen die ausgestreckten Gliedmaßen in einer vulgären Parodie des Lebens hüpfen und zucken.

Die drei Schiffe machten fest, und die Soldaten gingen an Land, ohne die unnatürliche Stille zu stören, die Hände ohne Befehl an den Griffen der Schwerter. Julius ging mit ihnen, nachdem er Gaditicus angewiesen hatte, alles für einen schnellen Rückzug bereitzuhalten. Der römische Kapitän nahm den Befehl mit einem Nicken entgegen und stellte rasch eine kleine Truppe zusammen, die bei ihm bleiben und die Ruderer bewachen sollte.

Auf den ausgeblichenen braunen Steinen am Hafen lagen Frauen und Kinder beisammen, mit großen Fleischwunden, in denen sich Wolken summender Fliegen tummelten. Sie stiegen brummend auf, als die Soldaten näher kamen. Der Gestank war abscheulich, trotz des kalten Windes, der vom Meer her kam. Der größte Teil der Leichen waren römische Legionäre, deren Rüstungen immer noch über den schwarzen Tuniken glänzten.

Julius ging mit den anderen an den Haufen von ihnen vorbei und versuchte sich vorzustellen, was hier passiert sein mochte. Um die Gruppen von Toten herum sah er viele Blutspuren, die ohne Zweifel von gefallenen Feinden stammten, die man fortgeschafft und beerdigt hatte. Die römischen Leichen dort liegen zu lassen, wo sie gestorben waren, war eine absichtliche Herabwürdigung, ein Zeichen der Verachtung. Nach und nach stieg Wut in Julius auf, eine Wut, die er auch in den Augen der anderen um ihn herum erkennen konnte. Mit gezogenem Schwert und wachsendem Zorn pirschten sie sich durch die Straßen und vertrieben Hunde und Ratten von den Leichen. Doch es gab keinen Feind, den sie zum Kampf fordern konnten. Der Hafen war verlassen.

Schwer durch den Mund atmend blieb Julius stehen und betrachtete den Leichnam eines kleinen Mädchens in den Armen eines Soldaten, der hinterrücks erstochen worden war, als er mit ihr zu fliehen versucht hatte. Ihre Haut war von der Luft und der Sonne geschwärzt, und das hart gewordene, geschrumpfte Fleisch gab den Blick auf die Zähne und die dunklen Zungen frei.

»Ihr Götter, wer kann das nur getan haben?«, flüsterte Prax leise vor sich hin.

Julius’ Gesicht war zu einer bitteren Maske erstarrt. »Wir werden es herausfinden. Das hier sind meine Leute. Sie rufen uns zu, Prax, und ich werde ihnen antworten.«

Prax blickte ihn an und spürte die wahnsinnige Intensität, die der junge Mann verströmte. Als sich Julius umdrehte und ihn ansah, wandte er den Blick ab, er konnte ihm nicht in die Augen sehen.

»Stell einen Beerdigungstrupp zusammen. Gaditicus kann die Gebete für sie sprechen, wenn sie begraben sind.« Julius schwieg kurz und blickte zum Horizont, wo die Sonne im blassen Kupferton des Winters leuchtete.

»Die anderen sollen Bäume fällen. Wir werden die Kreuzigungen hier vornehmen. Als Warnung für diejenigen, die hierfür verantwortlich sind.«

Prax salutierte und rannte zurück zur Anlegestelle, froh darüber, den Gestank des Todes und den jungen Offizier hinter sich lassen zu können, dessen Worte ihm Angst machten, auch wenn er ihn zu kennen geglaubt hatte.

Julius stand teilnahmslos dabei, als die ersten fünf Piraten an die groben Stämme genagelt wurden. Jedes der Kreuze wurde mit Seilen aufgerichtet, ehe der senkrechte Balken in das vorbereitete Loch glitt und mit Holzkeilen fixiert wurde, die man festhämmerte. Die Gekreuzigten schrieen, bis ihre Kehlen heiser waren und kein Laut mehr aus ihnen drang, außer dem Pfeifen der Luft. Einem von ihnen rann blutiger Schweiß in dünnen roten Linien aus Achselhöhlen und Schritt und malte hässliche Muster auf seine Haut.

Der dritte Mann wand sich unter Qualen, als der eiserne Nagel durch sein Handgelenk in das weiche Holz des Querbalkens getrieben wurde. Er weinte und flehte wie ein Kind, riss seinen anderen Arm mit aller Kraft beiseite, bis er gepackt und festgehalten wurde, damit der Nagel ihn unter den Schlägen des Hammers aufspießen konnte.

Ehe die Männer ihre grausame Aufgabe mit seinen zitternden Beinen zu Ende bringen konnten, trat Julius wie benommen vor und zog langsam das Schwert. Die Männer hielten inne, als sie ihn kommen sahen, doch er ignorierte sie, während er seine Gedanken laut aussprach.

»Das reicht«, sprach er leise und stieß dem Mann das Schwert in die Kehle. In den glasig werdenden Augen stand Erleichterung, und Julius wandte den Blick ab und wischte das Blut von seinem Schwert. Er hasste sich für seine Schwäche, war jedoch außerstande, noch länger zuzusehen.

»Tötet die anderen schnell«, befahl er und ging alleine zurück zum Schiff. Gedanken rasten durch seinen Kopf, während er über die Steine des Kais schritt und ohne es zu merken sein Schwert wegsteckte. Er hatte geschworen, sie alle zu kreuzigen, aber die Realität war hässlicher, als er ertragen konnte. Das Geschrei war ihm durch Mark und Bein gegangen und hatte ihn mit Scham erfüllt. Nach dem Schrecken der ersten Kreuzigung hatte es seine gesamte Willenskraft erfordert, bei den nächsten zuzuschauen.

Er verzog das Gesicht vor Wut auf sich selbst. Sein Vater wäre nicht schwach geworden. Renius hätte sie eigenhändig und ohne mit der Wimper zu zucken angenagelt. Er spürte, wie seine Wangen vor Scham glühten. Zornig spuckte er auf die Kaimauer, als er an den Rand des Hafenbeckens kam. Trotzdem, er hätte nicht länger bei seinen Männern stehen bleiben und zuschauen können, und wenn er einfach weggegangen wäre, hätte es seinem Ansehen bei ihnen geschadet, nachdem das grausame Töten auf seinen Befehl hin begonnen hatte.

Cabera hatte sich geweigert, sich den Legionären bei den Hinrichtungen im Hafen anzuschließen. Er stand an der Reling des Schiffs, den Kopf in einer unausgesprochenen Frage auf die Seite gelegt. Julius schaute ihn an und zuckte die Achseln. Der alte Heiler klopfte ihm auf den Arm und hielt mit der anderen eine Amphore Wein hoch.

»Gute Idee«, sagte Julius, der mit den Gedanken ganz woanders war. »Aber hol lieber noch eine zweite. Ich möchte heute Nacht keine bösen Träume haben.«

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