17

Julius stand wie die anderen um ihn herum mit gezogenem Schwert im finsteren Frachtraum und wartete schweigend auf das Signal. In der unnatürlichen Stille klangen die knarrenden Spanten der Ventulus, die die gegen den Rumpf klatschenden Wellen übertönten, fast wie flüsternde Stimmen.

Sie konnten hören, wie die Piraten über ihnen lachten und fluchten, als sie ihre schnelle Trireme an der Ventulus festmachten und sich, ohne auf Widerstand zu stoßen, auf ihrem Deck versammelten. Julius lauschte auf jedes Geräusch. Es war für sie alle ein Augenblick der Anspannung, am gefährlichsten jedoch war es für die, die an Deck geblieben waren, wo sie zur Abschreckung oder einfach aus Grausamkeit niedergemacht werden konnten. Zuerst hatte die Bereitschaft der Mannschaft der Ventulus, an Deck zu bleiben, wenn die Piraten an Bord kamen, Julius überrascht. Ihr anfänglicher Argwohn und ihre Wut auf seine Männer war verschwunden, als sie von ihrem geplanten Angriff auf die Piraten hörten. Er hatte ihrer Begeisterung Glauben geschenkt. Mit großem Vergnügen hatten sie diejenigen ausgewählt, die sich an Deck ergeben sollten, und Julius begriff, dass für diese Männer die Chance, sich an den gefürchteten und verhassten Piraten zu rächen, die Gelegenheit ihres Lebens bedeutete. Ihnen hatte nie die geballte Kampfkraft einer mit Legionären bemannten Kriegsgaleere zur Verfügung gestanden. Ein Handelsschiff wie die Ventulus konnte sein Heil nur in der Flucht suchen, und viele der Besatzungsmitglieder hatten im Lauf der Jahre Freunde durch Celsus und seinesgleichen verloren.

Trotzdem hatte Julius Pelitas und Prax, in einfache Kleider gehüllt, bei ihnen zurückgelassen. Es zahlte sich nie aus, das eigene Leben in die Hand von Fremden zu legen. Selbst wenn die Mannschaft sie verriet, konnte immer noch einer seiner Offiziere das Signal geben. Julius zog es vor, nichts dem Glück zu überlassen.

Leise drangen Stimmen durch die Luken über ihren Köpfen. Die dicht gedrängten Männer bewegten sich unruhig, aber keiner wagte auch nur zu flüstern. Sie konnten nicht wissen, wie viele Feinde an Deck waren. Die Mannschaft eines Piratenschiffes war meistens kleiner als die Besatzung einer römischen Galeere und bestand selten aus mehr als dreißig Schwertern, doch nachdem er die randvollen Decks der beiden Schiffe gesehen hatte, die die Accipiter versenkt hatten, war Julius klar, dass er sich nicht auf die eigene Überzahl verlassen konnte. Um ganz sicherzugehen, musste er das Überraschungsmoment auf seiner Seite haben. Mit dem Rest der Schiffsbesatzung warteten insgesamt fünfzig Mann mit ihm. Julius hatte sich entschieden, den Seeleuten die Wahl ihrer Waffen selbst zu überlassen, schließlich konnte er keine Männer entbehren, um sie zu bewachen. Das Beste, das er tun konnte, war, sie zwischen seinen eigenen Soldaten zu verteilen, um einen plötzlichen Angriff von hinten zu verhindern, wenn sie an Deck stürmten.

Dicht neben ihm stand einer von ihnen und hielt eine rostige Eisenstange umklammert. Julius konnte keine Spur von Hinterlist in ihm entdecken. Wie alle anderen starrte er auf die dunklen Luken, deren Konturen sich vor dem Sonnenlicht abzeichneten, das in breiten goldenen Strahlen, in denen glitzernde Staubflocken wirbelten, durch die Ritzen fiel. Die Strahlen bewegten sich beinahe hypnotisch mit dem Schaukeln der Ventulus. Jetzt waren noch mehr Stimmen von oben zu hören, und er erstarrte, als er sah, wie einer der sich bewegenden Schatten das Licht verdunkelte, während die Bretter unter seinem Gewicht knarrten. Seine eigenen Männer hätten sich nicht auf die Luken gestellt. Es mussten die Piraten sein, die auf dem erbeuteten Schiff umherliefen.

Julius hatte so lange wie möglich gewartet, ehe er zu den anderen nach unten gestiegen war, weil er mit eigenen Augen sehen wollte, wie die Piraten vorgingen, um dies beim nächsten Mal berücksichtigen zu können. Um das Ganze echt aussehen zu lassen, hatte er den Ruderern der Ventulus eine gesteigerte Schlagzahl befohlen, aber er war darauf vorbereitet gewesen, einige der Ruder aus dem Takt geraten zu lassen, falls die Piraten nicht aufholen konnten. Das war nicht nötig gewesen. Das feindliche Schiff musste sehr leicht sein, und es kam den ganzen Tag über stetig näher.

Erst als die Verfolger nahe genug heran waren, dass sie ihre Ruder zählen konnten, war Julius zu seinen Männern unter Deck gegangen. Seine größte Sorge war, dass der Gegner eine ausgebildete Mannschaft besaß, so wie Celsus. Wenn die Ruderer für Lohn arbeiteten, waren sie vielleicht nicht an die Bänke gekettet, und der Gedanke an einhundert muskelbepackte Ruderer, die nach oben gestürmt kamen, um es mit seinen Männern aufzunehmen, hätte eine Katastrophe bedeutet, ob sie nun bewaffnet waren oder nicht. Er hatte den spitzen Rammsporn an dem feindlichen Schiff ausgemacht, mit dem sie ihre Beute frontal aufspießen konnten, doch er glaubte nicht, dass sie ihn einsetzen würden. Wahrscheinlich kamen sie stattdessen längsseits und enterten. Zweifellos fühlten sie sich so weit von der Küste und patrouillierenden Galeeren entfernt völlig sicher und würden sich beim Entladen der Fracht Zeit lassen. Vielleicht würden sie sogar die Ventulus selber in Besitz nehmen, anstatt sie zu versenken, schließlich hatten die Piraten keine Werften. Er hoffte, dass sie nur eine kleine Streitmacht an Bord der Ventulus gebracht hatten. Wenn die Schiffe fest miteinander vertäut waren, konnte keines mehr fliehen, und genau so wollte Julius es haben. Er schwitzte vor Nervosität, während er auf das Signal wartete. So vieles konnte schief gehen.

Über ihnen wehte ein starker Wind, der winzige Tropfen salziger Gischt in die Gesichter der Besatzung der Ventulus und der Kaperer trieb. Da sie den Plan kannte, hatte die Mannschaft sich ohne Murren ergeben und den Befehl zum Einholen der Ruder und Segel gegeben. Ohne Vortrieb tanzte und schaukelte die Ventulus auf den Wellen. Eine Salve in hohem Bogen abgeschossener Pfeile hatte die längsseits kommenden Piraten begleitet, und Pelitas hatte einen Schritt zur Seite machen müssen, um nicht getroffen zu werden. Er sah, wie sich einige Mannschaftsmitglieder mit erhobenen Händen aufs Deck setzten. Da in ihrer Nähe keine Pfeile landeten, folgte er ihrem Beispiel und zog Prax mit sich hinunter. Als sie alle saßen, kamen keine weiteren Geschosse mehr geflogen. Pelitas hörte die Männer lachen, die darauf warteten, das Handelsschiff zu entern, und er lauerte grimmig lächelnd auf den richtigen Augenblick. Julius hatte gesagt, er solle abwarten, bis der Feind seine Kräfte zwischen den beiden Schiffen aufgeteilt hatte, doch es war unmöglich, festzustellen, wie viele Männer sie noch in Reserve hatten. Pelitas beschloss, zu rufen, sobald zwanzig Mann über die Reling gestiegen waren. Mehr konnten sie bei einem ersten Angriff vielleicht nicht überwältigen, und das Letzte, was sie gebrauchen konnten, war eine offene Schlacht an Deck. Zu viele von Julius’ Männern waren Neulinge, und wenn sich die Piraten nicht schnell ergaben, konnte sich das Blatt rasch wenden. Dann war alles verloren.

Die ersten zehn Feinde hatten das Hauptdeck der Ventulus erreicht. Obwohl sie sehr selbstsicher auftraten, bemerkte Pelitas doch, dass sie sich als Einheit bewegten und sich gegenseitig vor einem unvermuteten Angriff schützten. Sie verteilten sich ein wenig unter der sitzenden Mannschaft, und er sah die langen Lederschnüre von ihren Gürteln baumeln, mit denen die Gefangenen gefesselt werden sollten. Diese zehn waren zweifelsohne die besten Kämpfer, Veteranen, die ihr Geschäft verstanden und sich aus brenzligen Situationen heraushauen konnten. Pelitas wünschte, Julius hätte ihn ein Schwert mit an Deck nehmen lassen. Ohne Waffe fühlte er sich entsetzlich nackt.

Die Mannschaft ließ sich ohne Gegenwehr fesseln, und Pelitas zögerte. Es war zu früh für seinen Signalruf, weil erst zehn von ihnen an Deck waren, aber sie arbeiteten sehr konzentriert, und wenn sie die restlichen Männer genauso schnell fesselten, würden sie keine Hilfe mehr sein, sobald der Kampf begann. Er sah vier weitere Piraten über die Reling der Ventulus steigen und blickte dann in das ernste Gesicht eines Mannes, der mit Riemen in der Hand auf ihn zutrat. Vierzehn mussten reichen.

Als der Mann Pelitas’ Blick begegnete, stieß der Römer einen lauten Ruf aus, woraufhin der Pirat erschrocken sein Schwert hob.

»Accipiter!«, schrie Pelitas und rappelte sich auf.

Der Pirat sah ihn verdutzt an und bellte eine Antwort, doch dann flogen die Luken auf, und römische Legionäre mit in der Sonne glänzenden Rüstungen schwärmten aus.

Der Mann neben Pelitas wirbelte herum und starrte sie mit offenem Mund an. Ohne zu zögern sprang ihm Pelitas auf den Rücken und drückte ihm mit aller Kraft seinen Unterarm gegen die Kehle. Der Mann wankte stolpernd ein paar Schritte nach vorne, drehte dann das Schwert in seiner Hand um und rammte es nach hinten in Pelitas’ Brust. Der Römer ging im Todeskampf zu Boden.

Julius führte den Angriff an. Er tötete den ersten Mann, der vor ihm auftauchte und fluchte dann, als er erkannte, dass Pelitas zu früh gerufen hatte. Die Bogenschützen waren immer noch auf dem anderen Schiff. Dunkle Pfeile regneten auf das Deck und töteten eines der gefesselten Mannschaftsmitglieder. Ohne Schilde konnte man ihnen nicht entgehen, und Julius hoffte inständig, der Angriff möge nicht zusammenbrechen. Seine Männer hatten noch nie im feindlichen Feuer gestanden, und selbst den erfahrenen Soldaten fiel es schwer, nicht ihrem Instinkt zu folgen und in Deckung zu springen. Seine Klinge krachte scheppernd gegen eine andere, mit der anderen Hand schlug er seinen Gegner zu Boden. Rasch stach er ihm in die ungeschützte Kehle und trat über ihn hinweg.

Julius schaute sich um und versuchte die Lage zu überblicken. Die meisten Piraten auf der Ventulus waren ausgeschaltet. Seine Männer kämpften gut, obwohl einer oder zwei sich mühten, vor Schmerzen schreiend Pfeile aus ihren Gliedmaßen zu ziehen.

Ein surrender Pfeil traf Julius an der Brust und warf ihn einen Schritt zurück. Er raubte ihm den Atem, aber dann fiel das Ding klappernd auf das hölzerne Deck, und Julius wurde klar, dass ihn seine Rüstung gerettet hatte.

»Entern!«, schrie er, und seine Männer stürzten gemeinsam mit ihm auf das Piratenschiff zu. Weitere Pfeile zischten zwischen ihnen hindurch, ohne großen Schaden anzurichten, und Julius dankte den Göttern für die harten römischen Panzer. Er sprang auf die Reling der Ventulus und rutschte mit seinen eisenbeschlagenen Sandalen aus.

Fluchend landete er mit einem metallischen Scheppern vor den Füßen des Feindes. Ein nach ihm stoßendes Schwert stieß er mit dem Unterarm fort und zog sich dabei eine Wunde zu. Sein Gladius lag unter ihm, und er musste sich erst herunterwälzen, um ihn freizubekommen. Eine weitere Klinge prallte scheppernd gegen seine Schulter und brach ein Stück von seinem Harnisch ab.

Die anderen Römer brüllten auf, als sie ihn fallen sahen, und stürzten sich wütend auf die Piraten, die sich ihnen entgegenstellten. Sie warfen sich ohne jede Vorsicht auf das feindliche Schiff und dehnten ihre Kampflinie an Julius vorbei aus. Gaditicus griff nach seinem Arm und zog ihn auf die Füße.

»Jetzt bist du mir noch etwas schuldig«, knurrte er, als sie zusammen über das feindliche Deck stürmten. Julius rannte auf einen Piraten zu und wollte sich mit ausgestrecktem Gladius auf ihn stürzen, wobei er gleichzeitig mit einem Gegenangriff rechnete. Stattdessen verlor der Mann den Halt, als er außer Reichweite sprang, und warf sein Schwert weg, das über die Planken wirbelte. Er sah völlig verängstigt aus, als Julius langsam seinen schweren Gladius auf seine Kehle niedersinken ließ.

»Bitte! Genug!«, schrie er entsetzt. Julius hielt inne und riskierte einen weiteren raschen Blick in die Runde. Die Piraten wankten. Viele lagen tot auf den Planken, die anderen hatten die Arme gehoben und baten um Gnade. Schwerter fielen aufs Deck. Diejenigen Bogenschützen, die noch am Leben waren, nahmen ihre Bogen herunter. Selbst in der Niederlage gingen sie behutsam mit ihren Waffen um.

Julius trat einen Schritt zurück und drehte sich um. Sein Herz füllte sich mit Stolz.

Seine Rekruten standen in ihren glänzenden Rüstungen und mit ihren Schwertern in der ersten Position da. Sie sahen von Kopf bis Fuß aus wie eine Einheit Legionäre, stark und diszipliniert.

»Steh auf«, sagte er zu dem gestürzten Mann. »Ich nehme dieses Schiff für Rom in Besitz.«

Die Überlebenden wurden mit den Riemen gefesselt, die für die Mannschaft der Ventulus gedacht gewesen waren. Es war schnell getan, auch wenn Julius ein Mannschaftsmitglied zurückhalten lassen musste, dass seinem vormaligen Peiniger gegen den Kopf getreten hatte, nachdem man ihn gefesselt hatte.

»Zehn Peitschenhiebe für diesen Mann«, befahl Julius mit fester und kräftiger Stimme. Seine Männer hielten den Seemann fest gepackt, während die restliche Mannschaft der Ventulus Blicke wechselte. Julius starrte sie streng an. Er wusste, wie wichtig es war, dass sie seine Befehle befolgten. Auf sich alleine gestellt, hätten sie die Gefangenen wahrscheinlich zerstückelt und ihrem jahrelang aufgestauten Hass in einer Orgie der Folter und der Gewalt freien Lauf gelassen. Keiner der Seeleute konnte ihm in die Augen sehen, und schließlich lösten sie sich von den Gruppen der sich gegenseitig beglückwünschenden Männer. Endlich wandte sich Julius ab, um das weitere Vorgehen zu überwachen. Die Ruderer, vor denen er sich gefürchtet hatte, konnte man unter Deck vor Entsetzen über die Kampfgeräusche schreien hören. Er würde Männer nach unten schicken, um sie zu beruhigen.

»Julius! Hier drüben!«, rief eine Stimme.

Prax stützte Pelitas’ Oberkörper und presste eine Hand auf eine offene Wunde weit oben in der Brust. Der Mund seines Freundes war voller Blut, und als Julius ihn sah, wusste er, dass es keine Hoffnung für ihn gab. Cabera hätte ihn vielleicht retten können, aber niemand sonst.

Pelitas röchelte leise. Seine Augen waren geöffnet, aber sie nahmen nichts mehr wahr. Jeder harsche Atemzug ließ mehr Blut von seinen Lippen tröpfeln. Julius hockte sich neben die beiden, und viele andere umringten sie und verdeckten die Sonne. Während sie schweigend zusahen, schienen sich die Sekunden zu dehnen, bis der gequälte Atem schließlich erstarb und der helle Blick sich in ein glasiges Starren verwandelte.

Julius stand auf und sah auf die Leiche seines Freundes hinab. Er gab zweien seiner Männer ein Zeichen.

»Helft Prax, ihn unter Deck zu bringen. Ich werfe keinen von uns zusammen mit denen ins Meer.« Ohne ein weiteres Wort ging er davon, und von ihnen allen verstanden nur die Offiziere der Accipiter, warum er sich so unnahbar geben musste. Der Kommandant durfte vor seinen Männern kein Zeichen der Schwäche zeigen, und jetzt zweifelte keiner von ihnen mehr daran, wer sie anführte. Selbst Gaditicus hielt den Kopf gesenkt, als Julius allein an ihm vorbeischritt.

Nachdem beide Schiffe für die Nacht gesichert waren, gesellte sich Julius zu den anderen Offizieren der Accipiter, um auf Pelitas zu trinken, der den Weg nicht bis zu Ende mitgehen konnte.

Vor dem Einschlafen schritt Gaditicus mit Julius auf dem mondbeschienenen Deck der Ventulus auf und ab. Lange schwiegen sie und hingen ihren Erinnerungen nach, aber als sie vor den Stufen standen, die nach unten führten, ergriff Gaditicus seinen Arm.

»Das Kommando gehört dir.«

Julius sah ihn an, und der ältere Mann spürte die Kraft seiner Persönlichkeit. »Ich weiß«, sagte er nur.

Gaditicus lächelte gequält. »Das ist mir klar geworden, als du gefallen bist. Alle Männer sind hinter dir hergestürmt, ohne auf irgendwelche Befehle zu warten. Ich glaube, sie werden dir überallhin folgen.«

»Ich wollte, ich wüsste, wohin ich sie führe«, sagte Julius leise. »Vielleicht weiß einer der Männer, die wir gefangen genommen haben, wo Celsus steckt. Aber das finden wir morgen früh heraus.« Er blickte zu der Stelle auf dem Deck, wo Pelitas gefallen war. »Peli hätte sich köstlich amüsiert, als ich so ausgerutscht bin. Es wäre eine lächerliche Art gewesen, zu sterben.«

Während er sprach, schmunzelte er ohne Heiterkeit. Sein kühner Angriff bis direkt vor die Füße des Feindes. Gaditicus lachte nicht. Er klopfte ihm fest auf die Schulter, doch der junge Mann schien es nicht zu spüren.

»Er wäre nicht gestorben, wenn ich nicht nach Celsus gesucht hätte. Ihr wärt jetzt alle wieder in Rom, und auf euren Namen würde keine Schande lasten.«

Gaditicus packte seine Schulter und drehte ihn sanft um, bis Julius ihn ansah.

»Warst du nicht derjenige, der gesagt hat, wir sollten uns nicht die Köpfe darüber zerbrechen, was hätte sein können? Wir alle würden gern kehrtmachen und bessere Entscheidungen treffen, aber so funktioniert das nun einmal nicht. Wir haben nur eine Chance, selbst wenn alles davon abhängt. Ich hätte mit der Accipiter nicht diesen Küstenabschnitt entlangsegeln dürfen, aber wer weiß, was dann passiert wäre? Vielleicht wäre ich krank geworden oder man hätte mich in einem Gasthaus erstochen, oder ich wäre eine Treppe hinuntergefallen und hätte mir den Schädel eingeschlagen. Es hat einfach keinen Zweck, sich deswegen Gedanken zu machen. Wir müssen jeden Tag so nehmen, wie er kommt, und die bestmöglichen Entscheidungen treffen.«

»Und wenn sie sich als falsch erweisen?«

Gaditicus zuckte die Achseln. »Normalerweise schiebe ich es dann auf die Götter.«

»Glaubst du an sie?«, wollte Julius wissen.

»Man kann kein Schiff segeln, ohne zu wissen, dass es da noch etwas anderes gibt außer Menschen und Steinen. Was die Tempel der Götter betrifft, so bin ich mit meinen Opfern immer auf Nummer sicher gegangen. Es schadet niemandem, und man kann ja nie wissen.«

Julius musste über diese praktische Philosophie lächeln.

»Ich hoffe… ich sehe Pelitas irgendwann wieder«, sagte er.

Gaditicus nickte. »Wir sehen ihn alle wieder, aber es wird noch eine Weile dauern«, erwiderte er. Dann klopfte er Julius noch einmal auf die Schulter, ging nach unten und ließ ihn dort stehen, das Gesicht der Meeresbrise zugewandt.

Als er allein war, schloss Julius die Augen und stand lange bewegungslos da.

Am nächsten Morgen teilte Julius seine Männer in zwei Mannschaften auf. Er war in Versuchung, den Posten als Kapitän des schnelleren Piratenschiffs selbst zu übernehmen, folgte dann aber doch seinem Instinkt und gab Durus das Kommando, dem Kapitän und Besitzer der Ventulus. Dieser hatte nichts von dem Kampf mitbekommen, weil er in seiner Kajüte eingeschlossen gewesen war, doch sobald er die Lage erfasst hatte, hatte er aufgehört, wegen der über Bord geworfenen Ladung herumzubrüllen. Er hasste die Piraten ebenso sehr wie seine Besatzung und empfand großes Vergnügen, sie gefesselt unter seinem Deck zu sehen, dort, wo er selbst nur wenige Stunden zuvor gefangen gewesen war.

Als ihm Julius das Angebot machte, ergriff Durus seine Hand, um das Geschäft zu besiegeln.

»Beide Schiffe gehören mir, wenn du den Mann gefunden hast, den du suchst?«

»Falls nicht eines von ihnen versenkt wird, wenn wir Celsus angreifen. Außerdem brauchen meine Männer ein Schiff, mit dem sie römisches Festland erreichen können. Ich würde gerne seines dafür nehmen, aber er versteht sein Handwerk und es wird nicht leicht sein, es zu erobern – falls wir ihn überhaupt finden«, erwiderte Julius und fragte sich, wie weit er dem Kapitän trauen konnte. Um sich seiner Loyalität zu versichern, würde er ihm nur ein paar Männer von der Ventulus mit auf das andere Schiff geben. Seine Legionäre würden schon dafür sorgen, dass der Kapitän die Nerven behielt, wenn der Mut ihn zu verlassen drohte.

Durus sah verständlicherweise sehr zufrieden aus. Der Verkauf des gekaperten Schiffs würde ihm weit mehr einbringen als die verlorene Fracht, obwohl er entsetzt aufgestöhnt hatte, als er gehört hatte, dass auch das Elfenbein ins Meer geworfen worden war.

Das Hauptproblem war, was sie mit den überlebenden Piraten anfangen sollten. Die Verwundeten hatte man auf Julius’ Befehl hin ins Jenseits befördert und zusammen mit den Toten über Bord geworfen. Sie hatten ihr Leben selbst gewählt, und ihre Schreie ließen ihn kalt. Es blieben immer noch siebzehn Mann übrig, die Tag und Nacht bewacht werden mussten. Julius knirschte mit den Zähnen. Ihr Schicksal lastete auf seinen Schultern.

Er ließ die Piraten einzeln in die Kapitänskajüte bringen, wo er gelassen an dem schweren Tisch saß. Jeder war gefesselt und wurde von zwei seiner Männer festgehalten. Julius wollte, dass sie sich hilflos fühlten, und setzte eine möglichst harte und grausame Miene auf. Sie hatten behauptet, ihr Kapitän wäre bei dem Gefecht getötet worden, was Julius jedoch nicht unbedingt glaubte. Falls er unter ihnen war, würde er es zweifellos vorziehen, nicht erkannt zu werden.

»Zwei Fragen«, sagte er zu dem ersten der Männer. »Wenn du sie beantworten kannst, bleibst du am Leben. Wenn nicht, verfüttern wir dich an die Haie. Wer ist euer Kapitän?«

Der Mann spuckte Julius vor die Füße und wandte den Blick ab, als interessiere ihn das Ganze nicht. Julius ignorierte es, auch wenn er unter dem Tisch die warmen, nassen Tropfen auf seinem Knöchel spürte.

»Wo steckt Celsus?«, fuhr er fort.

Er erhielt keine Antwort, obwohl Julius bemerkte, wie der Gefangene zu schwitzen begann.

»Na gut«, sagte er leise. »Werft ihn den Haien vor und bringt mir den Nächsten.«

»Jawohl, Herr«, erwiderten die Soldaten gleichzeitig.

Nun schien der Mann zum Leben zu erwachen. Den ganzen Weg bis zur Reling schrie er und wehrte sich verzweifelt. Dort hielten sie ihn ein paar Augenblicke lang fest, während einer der Rekruten ein Messer aus dem Gürtel zog. Der andere schaute ihn fragend an. Er zuckte die Achseln und schnitt die Riemen durch, die die Hände des Piraten zusammenhielten, ehe er ihn über das Geländer hob, wo er schreiend mit einem lauten Platschen ins Meer stürzte.

Der Soldat steckte seinen Dolch weg und trat dann zu dem anderen, um den wild strampelnden Piraten im Wasser unter ihnen zu beobachten.

»Ich dachte nur, er sollte eine Chance haben«, sagte er.

Sie beobachteten, wie drei dunkle Schatten auf den zappelnden Mann zuglitten. Die Haie folgten dem Schiff, seit sie die ersten Leichen über Bord geworfen hatten. Der Pirat sah sie kommen und fing an, im Wasser zu toben und um sich zu schlagen. Dann wurde er unter die Oberfläche gezogen, und die beiden Soldaten gingen los, um den nächsten Mann zum Verhör zu holen.

Der zweite konnte nicht schwimmen und ging einfach unter. Der dritte verfluchte sie die ganze Zeit über, während der Fragen und auf dem Weg über die Reling, bis auch er unter Wasser gezerrt wurde. Weitere Haie hatten sich im Wasser versammelt und glitten in dem blutigen Schaum übereinander hinweg, während sie um das Fleisch kämpften.

Der vierte Mann fing sofort an zu reden, als Julius ihm die Fragen stellte.

»Ihr werdet mich so oder so umbringen«, sagte er.

»Nicht, wenn du mir sagst, was ich wissen will«, antwortete Julius.

Der Mann sackte erleichtert zusammen. »Dann bin ich der Kapitän. Tötest du mich jetzt nicht?«

»Wenn du mir sagen kannst, wo Celsus ist, hast du mein Wort«, sagte Julius und beugte sich zu ihm vor.

»Im Winter fährt er nach Samos, in Asien. Das liegt auf der anderen Seite der Griechischen See.«

»Den Namen kenne ich nicht«, sagte Julius misstrauisch.

»Es ist eine große Insel vor der Küste, in der Nähe von Milet. Die römischen Schiffe patrouillieren nicht in dieser Gegend, aber ich bin schon dort gewesen. Ich sage dir die Wahrheit!«

Julius glaubte dem Mann und nickte.

»Ausgezeichnet. Wir machen uns sofort auf den Weg dorthin. Wie weit ist es?«

»Einen Monat, allerhöchstens zwei.«

Bei dieser Antwort furchte Julius die Stirn. Sie würden irgendwo anlegen und Proviant besorgen müssen, was stets ein Risiko bedeutete. Er blickte zu den beiden Soldaten auf.

»Werft die anderen den Haien vor.«

Der Piratenkapitän blickte bei dem Befehl finster drein. »Aber mich nicht. Du hast gesagt, du lässt mich am Leben.«

Julius stand langsam auf. »Ich habe durch deinesgleichen gute Freunde verloren, und auch ein Jahr meines Lebens.«

»Du hast mir dein Wort gegeben! Du brauchst mich, um euch dorthin zu führen. Ohne mich findet ihr die Stelle nie«, sagte der Pirat schnell, und seine Stimme überschlug sich vor Angst.

Julius ignorierte ihn und richtete das Wort an die Soldaten, die seine Arme festhielten.

»Sperrt ihn an einem sicheren Ort ein.«

Als sie gegangen waren, saß Julius alleine in der Kabine und hörte, wie die restlichen Piraten an Deck gezerrt und über Bord geworfen wurden. Er blickte auf seine Hände hinunter, als der Lärm endlich geendet hatte und er wieder nur das Knarren und Ächzen eines Schiffes unter Segeln hörte. Er hatte damit gerechnet, Scham oder Gewissensbisse wegen seines Befehls zu empfinden, aber überraschenderweise passierte nichts dergleichen. Dann schloss er die Tür, damit er um Pelitas weinen konnte.

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