39

Suetonius lehnte sich an den Zaun im Wald. Aus den Augenwinkeln sah er die Sklaven seines Vaters ohne Hast arbeiten, sah, wie sie die Pfosten ausrissen und die Grenze abbauten. In wenigen Stunden würden sämtliche Spuren davon beseitigt sein, und Suetonius legte mürrisch den Kopf auf die Unterarme. Das Haus, das er geplant hatte, wäre wunderschön geworden, hätte sich hoch über die Bäume und über Cäsars Land erhoben, um vom Hügel aus darauf hinabzuschauen. Er hätte sich einen Balkon anbauen lassen, auf dem er an warmen Abenden mit einem kalten Getränk hätte sitzen können. All das war dahin, und das nur, weil sein Vater plötzlich schwach geworden war.

Suetonius zupfte an einem Splitter des Pfostens und dachte an die vielen kleinen Gemeinheiten, die Julius ihn hatte schlucken lassen, erst als Gefangener der Piraten und später bei den Wölfen in Griechenland. Er wusste, dass die anderen Männer ihn bereitwilliger anerkannt hätten, wenn Julius nicht gewesen wäre, womöglich wären sie sogar damit einverstanden gewesen, dass er das Kommando übernahm, so wie sie Julius akzeptiert hatten. Dann hätte er Lepidus Mithridates’ Leichnam überreicht und mit ihm gespeist, statt fast ohne Pause zum Hafen zu eilen. Der Senat hätte ihn zum Tribun ernannt, und sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen.

Stattdessen hatte er nichts mit nach Hause gebracht, außer einem Lösegeld, das ohnehin seinem Vater gehörte, dazu ein paar Narben, die er als Beweis dessen vorweisen konnte, was er erlitten hatte. Cäsar hatte die Wölfe nach Norden geführt, hatte ihnen geschmeichelt und sie überredet, ihm zu folgen, während Suetonius zurückblieb und ihm nicht einmal der kleine Trost vergönnt war, sich sein eigenes Haus zu bauen.

Er riss zornig an dem Splitter und zuckte zusammen, als dieser sich in seine Hand bohrte. Er hatte sich darum beworben, mit den sechs Legionen nach Norden zu ziehen, aber keiner der Legaten hatte ihn haben wollen. Man konnte sich denken, wer dafür gesorgt hatte. Er wusste, dass sein Vater sich zu seinen Gunsten hätte einsetzen können, doch er hatte nicht gewagt, ihn darum zu bitten. Hier, in der Stille des Waldes, brannte diese schändliche Behandlung heiß in ihm.

Als erneut eine Bewegung seine Aufmerksamkeit erregte, hob er den Kopf. Beinahe hoffte er, dass die Sklaven seines Vaters bei der Arbeit trödelten. Dann hätte er sie ausgepeitscht und damit einen Teil der Lethargie vertrieben, die er verspürte. Immer, wenn er die Faulen bestrafte, war ihm, als fühle er das Leben mächtiger durch seine Adern rauschen. Er wusste, dass sie in Angst vor ihm lebten, doch das war ja nur richtig.

Er holte tief Luft, um ihnen einen Befehl zuzubrüllen, in der Hoffnung, sie zusammenzucken zu sehen. Dann erstarrte er. Die Männer schlichen verstohlen durch das Dickicht auf der anderen Seite des Zaunes. Es waren nicht seine Sklaven. Ganz langsam legte er den Kopf wieder auf die Arme und sah schweigend zu, wie sie nicht weit von ihm vorüberkamen, ohne ihn zu bemerken.

Suetonius spürte, wie sein Herz plötzlich vor Angst hämmerte, und während er versuchte, flach zu atmen, schoss ihm die Röte ins Gesicht. Sie hatten ihn noch nicht gesehen, aber irgendetwas an der Szene stimmte ganz und gar nicht. Es waren drei Männer, die dicht hintereinander gingen, ein vierter folgte in einigem Abstand. Beinahe hätte sich Suetonius aufgerichtet, um dieser ersten Gruppe nachzuspähen, nur ein Instinkt hatte ihn gewarnt, sich still zu verhalten, als sie zwischen den Bäumen verschwanden. Dann war der vierte Mann in Sicht gekommen. Er war wie die anderen in grobe, dunkle Gewänder gehüllt und schritt leichtfüßig über das tote Holz und Moos. Seine Lautlosigkeit verriet die Gewandtheit des Jägers.

Suetonius sah, dass auch er bewaffnet war, und plötzlich ging ihm auf, dass der Mann ihn aus dem Waldesdunkel heraus sehen musste. Er wollte davonlaufen oder nach seinen Sklaven rufen. Jetzt dachte er an die Rebellion im Norden, und seine Gedanken füllten sich mit lebhaften, erschreckenden Visionen, wie sie ihn mit ihren Messern durchbohrten. Er hatte so viele sterben sehen und konnte sich nur allzu leicht vorstellen, wie sich diese Männer wie wilde Tiere auf ihn stürzten. Sein Schwert hing an seiner Seite, doch er rührte keine Hand.

Er hielt den Atem an und ließ den Mann passieren. Dieser schien bemerkt zu haben, dass er beobachtet wurde; er blickte sich suchend um und musterte die umstehenden Bäume. Er sah Suetonius nicht, und nach einer Weile entspannte er sich wieder, ging weiter und verschwand ebenso spurlos wie seine Gefährten vor ihm.

Suetonius atmete vorsichtig aus; er wagte noch immer nicht, sich zu bewegen. Sie waren auf Cäsars Anwesen zugegangen, und als ihm das bewusst wurde, nahmen seine Augen einen grausamen Glanz an. Sollte Cäsar sein Land haben, wenn solche Männer darauf umherschlichen. Er würde sie nicht verraten. Alles lag in den Händen der Götter, nicht in seinen.

Es kam ihm vor, als wäre ein beträchtlicher Teil des Schmerzes und der Bitterkeit von ihm genommen worden. Er richtete sich auf und streckte sich. Wer auch immer diese Jäger waren, er wünschte ihnen viel Glück, als er zu den Sklaven zurückging, die noch immer damit beschäftigt waren, den Zaun niederzureißen. Er befahl ihnen, ihre Werkzeuge einzupacken und auf das Anwesen seines Vaters zurückzukehren, denn instinktiv wollte er sich in den nächsten Tagen so weit wie möglich vom Wald fern halten.

Die Sklaven sahen, dass sich seine Stimmung gebessert hatte, und wechselten Blicke; im Stillen fragten sie sich, was für eine Verwerflichkeit er erblickt hatte, die ihn so aufmuntern konnte, dann schulterten sie ihre Lasten und machten sich auf den Heimweg.

Julius war völlig ausgelaugt und fluchte leise, als er über einen losen Stein stolperte. Er wusste, dass er, sollte er hinfallen, womöglich nicht mehr hochkäme und an der Straße liegen gelassen würde.

Sie durften nicht anhalten, nicht, solange die Sklavenarmee vor ihnen auf Ariminum zuhielt. Indem sie in der Dunkelheit vom Schlachtfeld verschwunden waren, hatten sie einen halben Tag Vorsprung gewonnen, und Pompeius hatte befohlen, sie einzuholen. Der Abstand hatte sich in sieben Tagen nicht geschlossen, denn die Legionen verfolgten eine Armee, die wesentlich ausgeruhter war als sie selbst. Die Sklaven ernährten sich wie Heuschrecken von dem Land, durch das sie zogen, und die Legionen marschierten auf der Spur ihrer Verwüstungen. Julius wusste, dass sie noch viel mehr Soldaten verlieren konnten, aber wenn die Sklaven sich nach Süden wandten, war Rom zum ersten Mal in seiner Geschichte völlig entblößt.

Er richtete die Augen auf den Legionär vor ihm. Schon den ganzen Tag hatte er auf diesen Rücken gestarrt und kannte jede Einzelheit, angefangen von dem struppigen grauen Haar, das unter dem Helm hervorlugte, bis zu den Blutspritzern um die Knöchel des Mannes, der eine Meile weit heftig aufgestampft hatte, um seine Blasen zum Platzen zu bringen. Irgendwo weiter vorne hatte jemand uriniert und den Staub der Straße dunkel gefärbt. Julius trottete gleichmütig durch den Flecken und fragte sich, wann er selbst wieder so weit sein würde.

Neben ihm räusperte sich Brutus und spuckte aus. Von seiner gewohnten Energie war nichts zu bemerken. Er ging gebeugt unter dem Gewicht seines Marschgepäcks, und Julius wusste, dass seine Schultern wund gescheuert waren. Er rieb sich abends mit Bratfett ein und wartete stoisch darauf, dass sich Schwielen bildeten.

Seit dem Morgengrauen hatten sie kein Wort gewechselt, der Kampf gegen die Erschöpfung und die Straße spielte sich im Verborgenen ab. So ging es fast allen. Sie marschierten mit schlaffen, halb offenen Mündern, alle Aufmerksamkeit auf einen Punkt irgendwo weiter vorne gerichtet. Oft prallten mehrere Männer aufeinander, wenn die Hörner zum Halt bliesen, und erwachten aus einem dämmrigen Halbschlaf, wenn sie beschimpft oder gestoßen wurden.

Julius und Brutus kauten auf altem Brot und Fleisch herum, das ohne anzuhalten verteilt wurde. Während sie versuchten, Speichel zum Herunterschlucken zu sammeln, kamen sie an einem weiteren zusammengebrochenen Soldaten vorbei und überlegten, ob auch sie irgendwo am Straßenrand zurückgelassen werden würden.

Falls Spartacus vorhatte, die Legionen durch eine Verfolgungsjagd auszulaugen, hätte er es nicht besser machen können, und die ganze Zeit war allen klar, dass es wieder zur Schlacht kommen würde, sobald die Sklaven und Gladiatoren einen geeigneten Kampfplatz gefunden hatten. Nur der Tod würde die Legionen aufhalten.

Cabera hustete Staub aus seiner Kehle, und Julius warf dem alten Mann einen Blick zu; es wunderte ihn von neuem, dass er noch nicht umgefallen war wie die anderen. Die erbärmlichen Rationen und die vielen Meilen hatten seine schmächtige Gestalt noch mehr ausgezehrt, so dass er beinahe wie ein Skelett aussah. Seine Wangen waren eingesunken und dunkel, und der Marsch hatte ihn sowohl seines Humors als auch seiner Gesprächigkeit beraubt. Genau wie Brutus und Renius hinter ihm, hatte auch er kein Wort mehr gesagt, seit sie von müden Optios zum Aufstehen gezwungen worden waren. Die Optios hatten ihre Stöcke unterschiedslos gegen Offiziere und Mannschaften eingesetzt; ihre Gesichter waren ebenso ausgemergelt und erschöpft gewesen wie die aller anderen.

Nur vier Stunden durften sie in der Dunkelheit schlafen. Pompeius wusste, dass sie Ariminum in Flammen vorfinden könnten, doch die Sklaven würden kaum inne halten können, ehe die Legionen am Horizont auftauchten und sie zum Weitergehen zwangen. Sie durften Spartacus nicht erlauben, sich neu zu formieren. Falls nötig, würden sie ihn ins Meer treiben.

Julius hielt den Kopf mit Mühe hoch erhoben; er wusste, dass die Soldaten der Primigenia ringsherum ihn sahen. Lepidus’ Legion marschierte mit ihnen, doch zwischen den Gruppen bestand ein kaum merklicher Unterschied. Die Primigenia war nicht davongelaufen, und jeder Soldat wusste, dass die Strafe für dieses Versagen noch ausstand. Angst stand in den Augen von Lepidus’ Männern und nagte an ihrem Willen, während sie die Stunden in stummer Sorge verbrachten. Julius und Brutus konnten nichts für sie tun. Der Tod des Lepidus konnte den Augenblick der Panik während der Schlacht nur bis zu einem gewissen Grad wieder gutmachen.

Als sie ein altes Lager erreichten, ertönten die Hörner. Es war zwei Stunden zu früh, aber Pompeius hatte offensichtlich beschlossen, die Wälle zu benutzen, die sie schon einmal errichtet hatten, wobei nur wenig Arbeit nötig war, um die verstreute Erde wieder aufzuhäufen. Sobald sie drinnen waren, sanken die Männer dort zu Boden, wo sie gerade standen. Einige lagen auf der Seite, zu müde, um sich das Gepäck vom Rücken zu streifen. Freunde lösten einander die Riemen, dann wurden die kargen Rationen herausgeholt und von einer Hand zur anderen bis zu den Köchen weitergereicht, die in der Asche der alten Feuer neue Flammen entfachten. Die Männer wollten schlafen, doch zuerst mussten sie essen, also wurden der Getreidebrei und das getrocknete Fleisch aufgewärmt und so schnell wie möglich auf metallenen Tellern ausgegeben. Die Legionäre stopften sich das Essen ohne Interesse in den Mund, rollten dann die dünnen Marschdecken aus und legten sich hin.

Julius hatte gerade aufgegessen und leckte sich die letzten Krümel der Getreidegrütze, die sein Körper so dringend benötigte, von den Fingern, als er ein Horn ganz in der Nähe ein Warnsignal blasen hörte. Pompeius und Crassus näherten sich seiner Position.

Er rappelte sich auf und versetzte Brutus, der sich bereits zusammengerollt hatte und in den Schlaf hinübertrieb, einen Tritt. Renius klappte beim Klang des Horns ein Auge auf und richtete sich mit seinem einen Arm stöhnend wieder zum Sitzen auf.

»Auf! Bringt die Männer auf die Beine! Zenturios, lasst die Primigenia in Reih und Glied zur Inspektion antreten! Rasch!«

Er verabscheute es, dies tun zu müssen, als er sah, wie sich die Männer mühsam und benommen wieder aufrichteten. Einige hatten bereits geschlafen und standen mit schlaff herabhängenden Armen da, in ihren Augen zeigte sich lediglich eine stumpfe Aufmerksamkeit. Die Zenturios brüllten und knufften, bis sich so etwas wie Ordnung einstellte. Niemand stöhnte, niemand beklagte sich. Sie hatten nicht mehr die Energie oder die Willenskraft, um sich gegen irgendetwas zu wehren. Sie blieben dort stehen, wo sie hingeschubst wurden, und warteten darauf, dass man sie wieder schlafen ließ.

Pompeius und Crassus ritten durch das Lager und saßen kurz vor Julius ab. Wie nicht anders zu erwarten, sahen beide Männer frischer als die Legionäre rings um sie herum aus, doch die Heerführer trugen eine schmallippige Ernsthaftigkeit zur Schau, die einige von Lepidus’ Männern Gefahr wittern und einander ängstliche Blicke zuwerfen ließ. Pompeius kam auf Julius zu, der salutierte.

»Die Primigenia steht bereit, Herr«, sagte er.

»Es ist dein anderes Kommando, das mich herführt, Cäsar. Befiehl der Primigenia, sich wieder schlafen zu legen, und lass Lepidus’ Männer an ihrer Stelle antreten.«

Julius erteilte die entsprechenden Befehle, und die drei Männer warteten, bis die Soldaten eilig ihre Positionen eingenommen hatten. Obwohl sie in der Panik der Schlacht große Verluste erlitten hatten, waren es immer noch mehr als dreitausend Überlebende. Einige waren verwundet, doch diejenigen, die es am schwersten erwischt hatte, waren schon vor Tagen auf der Straße liegen geblieben. Pompeius bestieg sein Pferd, um von dort aus zu den Männern zu sprechen, doch bevor er anfing, beugte er sich noch einmal zu Julius hinab.

»Misch dich nicht ein, Julius«, sagte er leise. »Die Entscheidung ist gefallen.«

Julius erwiderte den fragenden Blick ungerührt und nickte dann. Pompeius gesellte sich zu Crassus, und gemeinsam ritten sie im Schritt direkt vor die erste Reihe der angetretenen Männer.

»Zenturios! Vortreten!«, brüllte Pompeius laut. Dann hob er den Kopf, damit seine Stimme so weit trug wie möglich. »Diese Legion ist mit dem Makel der Schande behaftet, der herausgeschnitten werden muss. Für Feigheit gibt es keine Entschuldigung. Vernehmt jetzt die Strafe, die über euch verhängt wurde.

Jeder zehnte Mann im Glied wird von den Zenturios gekennzeichnet. Er wird von der Hand der anderen sterben. Ihr benutzt keine Klingen, sondern schlagt sie mit Fäusten und Knüppeln tot. Auf diese Weise werdet ihr das Blut eurer Freunde vergießen und euch stets daran erinnern. Ein Zehntel von euch wird heute sterben. Zenturios! Fangt an zu zählen!«

Julius sah entsetzt zu, wie die Zenturios die Zahlen riefen. Als sie die Reihen abschritten, krümmten sich die Männer um den Unglücklichen vor Angst, wenn die Offiziere vor ihnen stehen blieben und keuchten dann auf, wenn die Hand auf eine andere Schulter fiel. Einige schrieen auf, entweder um ihrer selbst oder um ihrer Freunde willen, doch es gab keine Gnade. Crassus und Pompeius beobachteten das Ganze mit ungerührter Verachtung.

Es dauerte weniger als eine Stunde, und am Schluss standen dreihundert Mann vor der Formation. Manche weinten, andere starrten mit leerem Blick auf den Boden, unfähig, zu begreifen, was mit ihnen geschah, warum ausgerechnet sie zum Sterben ausgesucht worden waren.

»Vergesst dies nie!«, brüllte Pompeius seine Männer an. »Ihr seid vor Sklaven davongelaufen, was seit Generationen noch keine Legion getan hat. Legte eure Schwerter nieder und erfüllt eure Aufgabe.«

Die Reihen lösten sich auf, als jeder ausgesuchte Mann von neun seiner Freunde und Brüder umringt wurde. Julius hörte einen von ihnen eine Entschuldigung murmeln, bevor er den ersten Schlag führte. Es war schlimmer als alles, was Julius jemals gesehen hatte. Obwohl die Optios Knüppel besaßen, hatten die einfachen Soldaten nur ihre Fäuste, um die Gesichter und Brustkästen von Menschen einzuschlagen, die sie seit Jahren kannten. Einige von ihnen schluchzten beim Zuschlagen, ihre Gesichter zuckten wie die von Kindern, doch kein einziger verweigerte sich.

Es dauerte sehr lange. Einige der misshandelten Soldaten starben schnell, mit zerquetschten Kehlen, andere hingegen hielten lange aus, schrieen in einem grausigen Chor, der Brutus einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte, als er wie versteinert vor den Gruppen von Männern mit blutigen Fäusten stand, die wie wild zuschlugen und traten. Ungläubig schüttelte er den Kopf, dann schaute er angewidert zur Seite. Er sah, dass Renius stocksteif und mit blassem Gesicht dastand.

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas noch einmal mit ansehen muss«, murmelte Renius. »Ich dachte, das wäre schon vor langer Zeit abgeschafft worden.«

»War es auch«, antwortete Julius mit tonloser Stimme. »Sieht aus, als hätte Pompeius es wieder eingeführt.«

Ciro schaute entsetzt zu. Seine Schultern sanken immer weiter herab. Er sah Julius fragend an, doch dieser hatte kein Wort des Trostes oder der Erklärung für ihn.

Julius sah, wie die letzten Hiebe niedergingen und die Zenturios jeden einzelnen Leichnam überprüften. Die Männer traten zurück, ihre Energie verpuffte, als sie sich mühsam wieder in Reih und Glied aufstellten. Vor ihnen lagen die Leichen in Kreisen aus blutigem Gras, und viele der Lebenden trugen die Spritzer der Hinrichtung an sich, als sie mit vor Trauer gesenkten Köpfen dastanden.

»Wenn wir in Rom wären, würde ich befehlen, eure Legion aufzulösen und euch verbieten, jemals wieder Waffen zu tragen!«, brüllte Pompeius in die Stille hinein. »Angesichts der Umstände könnt ihr euch vielleicht noch retten!« Er warf Crassus einen Blick zu, und der Senator rückte sich im Sattel zurecht. Julius zog plötzlich die Stirn in Falten. Wenn Pompeius Crassus den Vortritt ließ, bedeutete das, dass er für das, was gesagt werden würde, das volle Gewicht der Autorität des Senats benötigte. Trotz aller Winkelzüge war dies nur Crassus zuteil geworden.

Der Ältere räusperte sich und hob die Stimme.

»Auf meinen Befehl hin wird eine neue Legion gebildet, um den Makel des Lepidus auszulöschen. Ihr schließt euch der Primigenia an und beginnt eine neue Geschichte. Eure Standarten werden geändert. Ihr bekommt einen neuen Namen, der von der Schande unberührt ist. Ich ernenne Gaius Julius Cäsar zu eurem neuen Kommandanten. Ich spreche mit der Autorität des Senats.«

Crassus wendete sein Pferd und trabte dorthin, wo Julius stand und ihn finster ansah.

»Dann werden sie also Primigenia sein?«, fragte er barsch.

Crassus schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was dir damit angetan wird, Julius, aber so ist es besser. Wenn sie für dich zu den Waffen greifen, werden sie immer abseits stehen, so wie jetzt. Ein neuer Name eröffnet ihnen neue Möglichkeiten… und dir auch. Pompeius und ich sind uns einig. Befolge deine Befehle. Am heutigen Tag endet die Primigenia.«

Julius brachte zunächst vor Zorn kein Wort heraus. Crassus musterte ihn eingehend und wartete auf eine Antwort. Der Jüngere begriff, was sie vorhatten, aber die Erinnerung an Marius plagte ihn trotz allem. Crassus verstand dies, er beugte sich vom Pferd und sagte so leise, dass ihn sonst niemand hören konnte: »Dein Onkel würde es verstehen, Julius. Dessen kannst du gewiss sein.«

Julius biss die Zähne zusammen und nickte kurz, traute seiner Stimme jedoch noch immer nicht. Er schuldete diesem Mann sehr viel.

Crassus richtete sich wieder auf und entspannte sich.

»Du brauchst einen neuen Namen für deine Legion. Pompeius fand, sie sollten…«

»Nein«, fiel ihm Julius ins Wort. »Ich habe einen Namen für sie.«

Crassus hob erstaunt die Brauen, als Julius um sein Pferd herumging und sich vor den blutverschmierten Männern aufbaute, die er befehligen sollte. Er holte tief Luft, damit seine Stimme zu möglichst vielen von ihnen vordrang.

»Ich werde euren Eid entgegennehmen, wenn ihr bereit seid, ihn zu leisten. Ich weiß, dass ihr nicht vom Schlachtfeld geflohen seid, sondern euch wieder gesammelt habt, als ich es von euch verlangte, auch als Lepidus tot war.« Sein Blick fiel auf die zerschlagenen Leichname vor den Reihen. »Der Preis für das Versagen wurde gezahlt und wird nach dem heutigen Tag nie wieder erwähnt werden. Aber er darf nie vergessen werden.«

Das Schweigen war schrecklich. Blutgeruch hing in der Luft.

»Ihr seid gezeichnet mit dem Leben jedes zehnten Mannes. Ich nenne euch die Zehnte, auf dass ihr niemals den gezahlten Preis vergesst, und auf dass ihr nie wieder zurückweicht.«

Aus dem Augenwinkel sah Julius, wie Crassus bei dem Namen das Gesicht verzog, doch er hatte vom ersten Augenblick an gewusst, dass dies die richtige Wahl war. Der Name würde sie durch Furcht und Schmerz geleiten, wenn andere den Mut verloren.

»Primigenia! Mein letzter Befehl an euch. Stellt euch mit euren Brüdern auf. Seht euch ihre Gesichter an und lernt ihre Namen. Wisset dies: Wenn ein Feind hört, dass die Zehnte gegen ihn steht, wird er sich fürchten, denn die Zehnte hat ihren Beitrag mit dem eigenen Blut bezahlt.«

Während sich die Reihen schlossen, ging Julius zu Crassus zurück. Auch Pompeius kam näher. Beide Feldherren betrachteten Julius mit zurückhaltendem Interesse.

»Du hast… sehr gut zu ihnen gesprochen, Julius«, sagte Pompeius. Er schüttelte kaum merklich den Kopf und sah zu, wie die Primigenia in den dezimierten Reihen aufgenommen wurde. Er hatte gedacht, Julius würde sich seinem Befehl widersetzen, um den Namen der Primigenia zu bewahren, und er hatte sich bereits innerlich darauf vorbereitet, seinen Entschluss mit Nachdruck durchzusetzen. Die Leichtigkeit, mit der der junge Kommandeur die Neuigkeit aufgenommen und zu seinem Vorteil umgesetzt hatte, war eine Überraschung. Zum ersten Mal bekam Crassus eine Vorstellung davon, weshalb der junge Mann in Griechenland gegen Mithridates und davor gegen die Piraten so erfolgreich gewesen war. Er schien stets die richtigen Worte zu finden und dabei zu wissen, dass sie tiefer drangen als jedes Schwert.

»Ich hätte gern etwas mehr Zeit im Lager, bevor wir weiterziehen, Herr. Das gibt mir die Gelegenheit, mit den Männern zu reden, außerdem können sie essen und ein wenig schlafen.«

Pompeius war versucht, ihm die Erlaubnis zu verweigern. Abgesehen von der dringenden Notwendigkeit, die Sklaven zu verfolgen, warnte ihn sein Instinkt davor, es diesem jungen Mann, der die Herzen der Soldaten so direkt ansprechen und sie im Handumdrehen aus ihrem Elend holen konnte, nicht zu leicht zu machen. Doch dann besann er sich eines Besseren. Cäsar dürfte jeden Vorteil brauchen, wenn es ihm gelingen sollte, die Würde der neuen Legion aus der Asche auferstehen zu lassen.

»Du kannst ihnen sagen, dass ich ihnen auf deine Bitte hin zwei zusätzliche Stunden gewähre, Julius. Wir marschieren bei Sonnenaufgang weiter. Haltet euch bereit.«

»Vielen Dank, Herr. Ich kümmere mich um neue Schilde und Rüstungen für die Männer, sobald wir diesem Aufstand ein Ende bereitet haben.«

Pompeius nickte geistesabwesend und gab Crassus ein Zeichen, zu ihrem Kommandozelt zurückzureiten. Julius sah ihnen mit undurchdringlicher Miene nach. Dann wandte er sich an Brutus und bemerkte, dass Cabera neben ihm stand, in dessen Gesicht ein wenig von der gewohnten Lebendigkeit und Aufmerksamkeit zurückgekehrt war. Julius lächelte verkniffen.

»Brutus, lass sie wegtreten und sag ihnen, sie sollen fertig essen. Dann will ich mit so vielen wie möglich sprechen, bevor sie sich schlafen legen. Marius hätte sich ihre Namen eingeprägt, und so will ich es auch halten.«

»Es schmerzt, dass es die Primigenia nicht mehr gibt«, murmelte Brutus.

Julius schüttelte den Kopf.

»Das stimmt nicht. Ihr Name bleibt auf den Heeresrollen erhalten. Dafür sorge ich. Pompeius und Crassus hatten Recht damit, einen neuen Anfang zu machen, auch wenn es wehtut. Jetzt kommt, meine Herren, mischen wir uns unter die Zehnte. Es ist Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen.«

Ariminum lag unter einer Rauchwolke. Die Sklavenarmee war wie ein Heuschreckenschwarm durch die Stadt gezogen und hatte alles Essbare mitgenommen; auch Schafe und Rinder hatten sie eingefangen und trieben die Schlachttiere vor sich her. Während sich die Bürger hinter ihren verbarrikadierten Türen verbargen, war Spartacus mit seiner Armee langsam durch die verlassenen Straßen marschiert, und die Sonne hatte schwache Schatten hinter sie geworfen. Sie hatten die Getreidespeicher und verlassenen Märkte in Brand gesetzt, denn sie wussten, dass ihre Verfolger sich vielleicht damit aufhalten würden, die Feuer zu löschen, bevor sie sich wieder an ihre Fersen hefteten. Da ihnen die Legionen so dicht im Nacken saßen, war jede Stunde kostbar.

Die Wachen vor der Schatzkammer der Stadt waren geflohen, und Spartacus hatte befohlen, das Gold für die Reise nach Süden auf Maultiere zu laden. Es war ein Vermögen, das durch den Handel, den die Stadt trieb, zusammengekommen war, und sobald die Gladiatoren die Kisten voller Gold gesehen hatten, war der Traum von einer Flotte, die sie alle in die Freiheit brachte, in greifbare Nähe gerückt.

Doch die Kais im Hafen waren leer, die Schiffe lagen weiter draußen auf dem Meer, von wo aus ihre Besatzungen zusehen konnten, wie die Sklavenhorden unter aufsteigenden Wolken aus Rauch und Asche die Stadt plünderten. Die Schiffe waren voller schweigender Menschen, die das Treiben beobachteten. Spartacus ging bis zum Rand des Kais und blickte zu ihnen hinüber.

»Sieh nur, wie viel sie aufnehmen können, Krix. Wir haben genug Gold, um für jeden von uns eine Koje zu bezahlen.«

»Diese edlen Kaufleute werden keinen Finger rühren, um uns zu retten«, erwiderte Krixos. »Wir müssen uns auf die Piraten verlassen. Die Götter wissen, dass sie genug Schiffe haben, und wenn sie dabei Rom eins auswischen können, freut es sie umso mehr.«

»Aber wie sollen wir sie verständigen? Wir müssen Reiter in jeden Hafen schicken. Es muss eine Möglichkeit geben, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen.« Spartacus blickte über das Wasser zu den bleichen Flecken der Gesichter hinüber, die sich dort auf den Decks drängten. Es war möglich, sofern es ihnen gelang, mit den Feinden Roms Verbindung aufzunehmen.

Antonidus trat neben ihn und blinzelte mit einem verächtlichen Schnauben über die Wellen.

»Die mutigen Bürger Roms! Verstecken sich vor uns wie kleine Kinder!«, sagte er.

Spartacus zuckte die Achseln. Er war Antonidus’ Gehässigkeit und Verachtung leid. »Mit sechzig oder siebzig Schiffen wie diesen dort draußen können wir den Einflussbereich Roms verlassen. Eine Flotte, gekauft mit ihrem eigenen Gold, scheint mir ein sehr gerechter Gedanke.« Antonidus betrachtete die beiden Gladiatoren mit größerem Interesse. Er war versucht gewesen, sich im Hafen davonzustehlen, seine Rüstung abzulegen und sich unter die Menschenmenge zu mischen, die sich bestimmt versammelte, sobald die Sklaven fort waren. Dann hatte er das Gold gesehen, das sie aus der Schatzkammer geholt hatten. Es war genug, dass er sich damit ein Landgut in Spanien kaufen konnte, oder einen riesigen Hof in Afrika. Es gab viele Orte, wo sich ein einzelner Mann verstecken konnte, jedoch keine Armee. Wenn er blieb, könnte ihm ihr Vertrauen zu der Möglichkeit verhelfen, die er brauchte. Würde Pompeius ihm verzeihen, wenn er ihm den Kopf des Spartacus brachte? Antonidus runzelte die Stirn. Nein, er hatte schon einmal vor einem römischen Gericht gestanden, das war genug. Es war besser, sich irgendwohin zurückzuziehen, wo er noch einmal von vorne anfangen konnte.

Spartacus drehte sich um, wandte dem Meer den Rücken zu.

»Wir schicken ortskundige Männer in jeden Hafen und geben ihnen ein paar Münzen mit, die ihre Versprechen belegen können. Sprich mit ihnen, Krixos. Jemand muss wissen, wie wir die Piraten erreichen können. Teile ihnen unseren Plan mit. Das wird ihre Stimmung auf dem Marsch nach Süden bessern.«

»Dann ziehen wir also nach Süden, gegen Rom?«, fragte Antonidus scharf.

Die Züge des Gladiators verzerrten sich in jähem, schrecklichem Zorn, und Antonidus wich einen Schritt zurück, als Spartacus antwortete.

»Wir hätten uns niemals von den Bergen abwenden sollen, aber jetzt müssen wir dafür sorgen, dass uns die Legionen nicht einholen. Wir lassen diese Hunde so lange hinter uns herlaufen, bis sie zusammenbrechen. Vergesst nicht, dass wir diejenigen sind, die ihre Felder bestellen und jede helle Stunde für ihren Wohlstand arbeiten. Das hat uns stark gemacht. Wollen wir doch mal sehen, in welcher Verfassung sie sind, wenn wir in Sichtweite ihrer geliebten Stadt kommen.«

Beim Sprechen blickte er nach Westen in die Sonne, und seine Augen nahmen einen goldenen Schimmer an, als er an die Legionen dachte, die sie verfolgten. Seine Miene war verbittert, und Antonidus musste den Blick abwenden.

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