37

Eine Kette weißer Bergspitzen säumte den Horizont. Irgendwo zwischen diesen Zacken lagen die drei Pässe, durch die sie dem Zorn Roms zu entkommen hofften. Der Anblick der kalten Gipfel ließ Heimweh in Spartacus aufsteigen. Obwohl er Thrakien seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte, erinnerte er sich doch, dass er damals auf den niedrigeren Hängen der gewaltigen Bergkette herumgeklettert war. Seit jeher hatte er die Höhe geliebt, dort, wo der Wind unablässig gegen die Haut blies. Man fühlte sich einfach lebendiger in dieser Umgebung.

»Sie sind so nahe«, sagte er laut. »In einer oder zwei Wochen könnten wir sie überqueren und nie wieder eine römische Uniform sehen.«

»Bis sie nächstes Jahr kommen und auf der Suche nach uns ganz Gallien auf den Kopf stellen, so wie ich die kenne«, meinte Krixos. Verglichen mit dem Gladiator, dem er folgte, war Krixos schon immer sehr direkt gewesen. Krixos genoss seinen Ruf, ein praktischer Mann zu sein, der sich weder von Träumen noch von ungezügelten Phantasien von der bleiernen Wirklichkeit dessen, was sie erreicht hatten, ablenken ließ. Er war von untersetzter, vierschrötiger Gestalt, das absolute Gegenteil zu Spartacus, der auch dann, wenn er reglos dastand, jene Leichtigkeit an sich hatte, die auf große Gewandtheit schließen ließ. Krixos besaß keine solche Anmut. In einem Bergwerk geboren, war er ebenso hässlich wie stark, und der einzige unter den Gladiatoren, der Spartacus beim Ringen ein Unentschieden abtrotzen konnte.

»Sie würden uns niemals finden, Krix. Die Gallier sagen, das Land jenseits der Berge sei voller kriegerischer Stämme. Die Legionen müssten jahrzehntelang Krieg führen, und dazu haben sie keine Lust. Jetzt, wo Sulla tot ist, hat die Bande keinen richtigen Anführer mehr. Sobald wir die Alpen hinter uns haben, sind wir frei.«

»Immer noch der alte Träumer, Spartacus?«, sagte Krixos, dessen Enttäuschung offensichtlich war. »Was für eine Freiheit siehst du, die ein solcher Gewinn wäre? Die Freiheit, noch mehr zu schuften, als wir es als Sklaven getan haben, um die Ernte aus dem Boden irgendeines Landes zu kratzen, ständig bedroht von dessen früheren Besitzern. Die Leute dort wollen uns ebenso wenig wie die Römer, da kannst du sicher sein. Diese Freiheit, die du uns versprichst, wird uns das Kreuz brechen, das weiß ich. Bring die Frauen und Kinder in Sicherheit, sage ich, das genügt. Hundert Mann sollen sie durch die Pässe begleiten, und wir bringen das, was wir angefangen haben, hier zu Ende.«

Spartacus sah seine rechte Hand an. Krixos war besessen von einem Blutdurst, der nur bei dem Triumph in Mutina vorübergehend gestillt worden war. Nach allem, was er in römischen Händen hatte erleiden müssen, war das nur allzu verständlich, doch Spartacus wusste, dass mehr dahinter steckte.

»Willst du denn ihr verweichlichtes Leben übernehmen, Krix?«, fragte er.

»Warum nicht?«, wollte der Gefragte wissen. »Jetzt, nachdem wir ihren Bienenkorb umgekippt haben, sollten wir uns auch den Honig holen. Du erinnerst dich ebenso gut an den Bürgerkrieg wie ich. Wer Rom hat, der hat sie an den Eiern. Wenn wir die Stadt einnehmen können, kippt der Rest von ihnen auch um. Sulla hat das gewusst!«

»Er war ein römischer Feldherr, kein Sklave.«

»Was spielt das für eine Rolle? Sobald du drin bist, stellst du neue Regeln nach deinem Geschmack auf. Es gibt keine Regeln, außer denen, die derjenige aufstellt, der die Macht dazu hat. Ich sage dir, wenn du diese Chance verpasst, wirfst du alles weg, was wir erreicht haben. In zehn Jahren könnte in den Geschichtsbüchern stehen, dass die Garnison in Mutina die Rebellen und wir die echten, die treuen Römer waren!

Wenn wir die Stadt einnehmen, sind wir in der Lage, ihnen ihre Geschichte und ihren Stolz in den Rachen zu stopfen und sie zu zwingen, die neue Ordnung zu akzeptieren. Gib nur den Befehl, Spartacus, und ich sorge dafür, dass es geschieht.«

»Und die Paläste und die großen Landgüter?«, bohrte Spartacus mit zusammengekniffenen Augen weiter.

»Gehören uns! Warum nicht? Was erwartet uns in Gallien, außer armseliges Ackerland und primitive Dörfer?«

»Um die Güter zu bewirtschaften, braucht man Sklaven, Krixos. Hast du das vergessen? Wer soll deine Ernte einbringen und sich um deine Reben kümmern?«

Krixos fuchtelte mit der vernarbten Faust vor dem Mann herum, den er verehrte wie keinen anderen. »Ich weiß, was du denkst, aber wir machen es nicht genauso wie diese verfluchten Schweine. Es muss nicht so sein.«

Da Spartacus ihn nur schweigend ansah, fuhr er wütend fort: »Na schön, wenn du unbedingt eine Antwort haben willst – dann lasse ich eben den Senat auf meinen Feldern arbeiten und bezahle den Drecksäcken sogar Lohn dafür.«

»Wer von uns beiden ist jetzt der Träumer, Krix?«, lachte Spartacus. »Sieh doch, wir haben es so weit gebracht. Wir haben einen Ort erreicht, von dem aus wir alles hinter uns lassen und ein völlig neues Leben anfangen können. Nein, wir können unser Leben wieder aufnehmen, so, wie es hätte sein sollen. Vielleicht spüren sie uns letztendlich doch noch auf, aber, wie ich schon sagte, Gallien ist groß genug, um mehr als eine Armee darin zu verstecken. Wir gehen so weit nach Norden, bis wir einen Ort finden, wo Rom nicht mehr ist als ein Wort, oder wo man noch nie davon gehört hat. Wenn wir uns wieder nach Süden wenden, noch dazu mit den Frauen und Kindern, setzen wir alles aufs Spiel, was wir bisher gewonnen haben. Und wofür? Damit du in einem Marmorhaus sitzen und auf alte Männer spucken kannst?«

»Du lässt dich von ihnen tatsächlich aus dem Land jagen?«, fragte Krixos verbittert.

Spartacus packte ihn mit einer seiner kraftvollen Hände am Arm.

»Du willst tatsächlich darauf warten, dass sie dich umbringen?«, fragte er sanft.

Bei diesen Worten verschwand Krixos’ Zorn.

»Verstehst du denn nicht, du thrakischer Sturkopf«, sagte er mit verkniffenem Lächeln. »Das hier ist auch mein Land. Hier bin ich dein Feldherr, der Sklavenhammer, der eine Legion auf ihrem eigenen Feld geschlagen hat, und zwei weitere in Mutina. In Gallien bin ich nur einer von vielen Kriegsfürsten in schlecht gegerbten Fellkleidern. Und du auch. Wir sind verrückt, wenn wir uns von all diesem Reichtum und all der Macht abwenden, nur um unsere restlichen Jahre in der Hoffnung zu verbringen, dass sie uns niemals finden. Jetzt haben wir sogar Antonidus. Er kennt ihre Schwächen. Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass wir gewinnen können, würde ich ihnen meinen Arsch zukehren und mich davonmachen, bevor ich noch einen einzigen Legionär zu Gesicht bekomme. Aber wir können gewinnen. Antonidus sagt, sie sind an allen anderen Grenzen fest gebunden, in Griechenland, in Afrika, überall. Sie haben nicht genug Legionen im Land, um uns zu widerstehen. Bei den Göttern, der Norden steht uns offen, du hast es selbst gesehen. Antonidus sagt, wir können für jeden Legionär drei Mann ins Feld bringen. Eine bessere Chance bekommst du nicht, nicht in diesem Leben. Egal was sie haben, wir können sie schlagen, und danach gehört alles uns – Rom, die Städte, das Land, der Reichtum, alles!«

Er streckte die Hand aus und flüsterte die Worte, die jedes Stadium ihrer Rebellion begleitet hatten, von den ersten wilden Tagen bis zur aufkeimenden Hoffnung, dass sie die alte, seit Jahrhunderten bestehende Ordnung zerschlagen könnten.

»Alles oder nichts, Spartacus?«, fragte er.

Der Gladiator schaute auf die Hand und das Band der eingeschworenen Freundschaft, die sie repräsentierte. Sein Blick wanderte über den Adler von Mutina, der an der Zeltwand lehnte. Nach einem Augenblick stummen Nachdenkens stieß er den angehaltenen Atem aus.

»Na schön. Alles oder nichts. Bringt die Frauen und Kinder in Sicherheit, und dann will ich Antonidus sprechen, bevor ich es den Männern sage. Glaubst du, sie werden uns folgen?«

»Nein, Spartacus, aber dir werden sie überallhin folgen.«

Spartacus nickte. »Dann ziehen wir nach Süden und stoßen gegen ihr Herz vor.«

»Und reißen es ihnen aus.«

Pompeius hatte Lepidus mit seiner Legion an die Spitze der Marschkolonne beordert und sie so gezwungen, die Geschwindigkeit vorzugeben. Hinter ihnen marschierte die Primigenia mit Crassus und Pompeius an der Spitze. Die Botschaft war deutlich, und die ersten hundert Meilen waren mit der von Pompeius gewünschten Geschwindigkeit zurückgelegt worden, ohne einen einzigen Mann einzubüßen.

Die Abende in den beiden großen Lagern verliefen deutlich ruhiger als auf der Via Flaminia. Die Marschgeschwindigkeit laugte die Legionäre aus, und sobald das Signal zum Anhalten ertönte, wollten sie kaum etwas anderes als essen und schlafen. Sogar Brutus hatte mit seinen Schwertkämpfen aufgehört, wobei er sich mit zwei Niederlagen und zwei Siegen unentschieden von Domitius trennen musste. Ab und zu brachte Cabera verstimmt das Geld zur Sprache, das sie dabei verloren hatten.

Die Reiterei der Extraordinarii kam jeden Tag mit neuen Meldungen zurück und schwärmte der Hauptstreitmacht weit voraus. Die Nachrichten, die sie mitbrachten, waren beunruhigend kurz und enthielten keinerlei Hinweise darauf, dass sich das Sklavenheer irgendwo in ihrer Nähe aufhielt. Pompeius entsandte immer mehr Kundschafter mit dem Auftrag, sie im Norden und im Westen aufzuspüren. Es wurde nicht laut ausgesprochen, aber insgeheim befürchtete man, dass der Feind sie in einem derart riesigen Landstrich unbemerkt umgehen und in ihrem Rücken gegen den schutzlos ausgelieferten Süden vorstoßen könnte.

Jeden Abend prallten die Argumente und überreizten Gemüter bei der Versammlung der Heerführer aufeinander. Statt es als Beweis von Pompeius’ Missgunst zu betrachten, schien Lepidus mit der Führung der Marschkolonne überaus zufrieden zu sein, und Pompeius war immer weniger gewillt, sich seine Beschwerden anzuhören. Nach Lepidus’ Ansicht konnte nur seine Autorität die Geschwindigkeit erzwingen, die Pompeius von seinen Legionen erwartete, und jeden Abend behauptete er, dass der Preis dafür verheerend sein könnte. Er entwickelte eine wahre Meisterschaft darin, genau dann mit seinen Sticheleien aufzuhören, wenn Pompeius der Geduldsfaden riss. Inzwischen waren die Zusammenkünfte beinahe zu Kraftproben zwischen den beiden geworden, denen auch Crassus machtlos zusehen musste. Julius hoffte nur, dass Lepidus ebenso gut kämpfen wie streiten konnte.

Nach zwei Wochen auf der Straße nach Westen berichtete Lepidus triumphierend, dass etliche Männer zusammengebrochen und bei den Wachposten oder in Dörfern zurückgelassen worden seien, mit dem Befehl, sich nach ihrer Genesung wieder dem Heer anzuschließen. Jeden Abend litten Hunderte von Legionären in der langen Marschkolonne an Blasen und Verstauchungen. Die Legionen näherten sich der Erschöpfung, und die anderen Unterheerführer schlugen sich nach und nach auf Lepidus’ Seite und schlossen sich seiner Forderung nach einer Erholungspause für die Männer an. Pompeius gab widerstrebend nach, denn er wollte seine Autorität nicht unterwandert sehen, und gewährte ihnen vier Tage Rast. Nur die Extraordinarii durften nicht ruhen, denn Pompeius schickte sie in einem letzten Versuch, das Sklavenheer ausfindig zu machen, alle auf einmal aus.

Endlich kamen die Reiter mit Meldungen ins Lager zurückgaloppiert, dass der Feind gesichtet worden sei. Die Aufständischen bewegten sich von den Bergen weg nach Süden und Osten in die Ebene hinein. An diesem Abend versammelte Pompeius seine Feldherren um sich, um ihnen die bitteren Neuigkeiten mitzuteilen.

»Sie haben es auf Rom abgesehen, und unsere Kundschafter berichten, dass sie mittlerweile achtzigtausend Mann haben. Jeder Sklave im Norden ist zu ihnen übergelaufen.«

Es war sinnlos, die Zahlen vor den Feldherren geheim zu halten, jetzt, da die Rebellen nur noch ein paar hundert Meilen entfernt waren. Nachdem die Kundschafter sie endlich entdeckt hatten, würde man sie nicht mehr entwischen lassen. Ganz gleich, wie stark der Feind war, es blieb nur noch die Entscheidung, wo man ihn am besten angreifen sollte.

»Wenn sie nach Süden kommen, können wir ihnen entweder entgegenmarschieren, oder warten, bis sie uns erreicht haben«, fuhr Pompeius fort. »Was auch geschieht, sie dürfen nicht an uns vorbei, sonst verlieren wir Rom. Wir dürfen keinen Fehler machen, meine Herren, denn wenn sie unsere Reihen durchbrechen, wird Rom fallen, und alle unsere Lieben werden sterben, so wie es Karthago ergangen ist. Wir werden hier bis zum letzten Mann kämpfen, falls es so weit kommen sollte. Macht euren Männern das klar. Wir können uns nirgendwohin zurückziehen, es gibt keine Zuflucht, wo wir uns neu formieren und abermals zuschlagen können. Die Republik steht und fällt mit uns.«

Lepidus sah ebenso schockiert aus wie die anderen. »Achtzigtausend! Ich habe genauso viel Vertrauen in unsere Soldaten wie jeder andere, aber… wir müssen die Legionen aus Griechenland und Spanien zurückrufen. Der Senat hatte keine Ahnung vn der Größe der Bedrohung, gegen die er uns ausgesandt hat.«

Dieses eine Mal ertrug Pompeius seinen Ausbruch ohne eine scharfe Zurechtweisung. »Ich habe Nachricht nach Rom geschickt, aber wir stehen hier. Jetzt. Selbst wenn wir die Grenzen entblößen könnten, ohne alles zu verlieren, was wir in hundert Jahren gewonnen haben, würden uns die anderen Legionen nicht rechtzeitig erreichen, um bei dieser Schlacht eine Rolle zu spielen.«

»Aber wir könnten einen geordneten Rückzug antreten, bis die Verstärkung eingetroffen ist. Achtzigtausend Mann können uns einfach überrennen. Wir werden in die Zange genommen und in der ersten Stunde der Schlacht vernichtet werden. Das ist unmöglich!«

»Wenn du so vor den Soldaten sprichst, wird genau das geschehen«, herrschte Pompeius den Feldherrn an. »Wir haben es hier nicht mit ausgebildeten Legionären zu tun, Lepidus. Höchstwahrscheinlich hätten sie über die Berge entkommen können, stattdessen haben sie es auf Reichtum und Plünderungen abgesehen, wohingegen unsere Männer für unsere Heimatstadt und das Leben all ihrer Bewohner kämpfen. Die Rebellen werden uns unterliegen. Wir werden standhalten!«

»Wahrscheinlich hat der Kommandant von Mutina das Gleiche gesagt«, murmelte Lepidus, allerdings nicht laut genug, als dass Pompeius sich zu einer Erwiderung gezwungen gesehen hätte. Er warf dem Legaten lediglich einen finsteren Blick zu.

»Meine Herren! Meine Befehle lauten: angreifen und vernichten. Und genau das werden wir tun. Wenn wir auf sie warten, könnten sie uns einfach umgehen, also tragen wir diesen Krieg zu ihnen. Die Männer sollen sich zum Marsch nach Norden bereitmachen. Lepidus, du übernimmst die linke Flanke und schwärmst so weit aus, dass sie uns nicht einkreisen können. Sie haben so gut wie keine Reiterei, abgesehen von ein paar gestohlenen Pferden, also setze die unsere entsprechend ein, um die Flügel zu halten. Julius, ich will dich auf der linken Seite, um Lepidus zu unterstützen, falls es nötig wird. Crassus und ich übernehmen wie immer die rechte Flanke, wo ich mich auf den Hauptteil der Kavallerie konzentriere und verhindere, dass sie uns ausweichen und nach Süden gegen Ariminum ziehen. Sie dürfen diese Stadt unter keinen Umständen erreichen.«

Einer der beiden Legaten aus Ariminum räusperte sich.

»Ich würde gern die rechte Flanke mit dir übernehmen. Viele meiner Männer haben Familie in Ariminum. Ich auch. Sie werden noch entschlossener kämpfen, wenn sie wissen, was passieren könnte, wenn die rechte Flanke zusammenbricht.«

Pompeius nickte. »Gut. Die Legionen aus Ariminum bilden das Herzstück der rechten Flanke. Die anderen treten zwischen den beiden Flanken in der Mitte an. Ich will die Manipel der Hastati an vorderster Front, anstelle der Velites. Wir sind hier eher auf Durchschlagskraft angewiesen als auf Schnelligkeit, um sie mit der ersten Angriffswelle zurückzuwerfen. Die Triarii werden sofort eingesetzt, sobald der Vormarsch ins Stocken gerät oder zusammenbricht. Ich bin bislang noch keiner Streitmacht begegnet, die es mit unseren erfahrensten Kämpfern aufnehmen könnte.«

Als die Besprechung beendet war, graute bereits der neue Tag, der damit zugebracht wurde, das Lager abzubrechen und die Truppe marschbereit zu machen. Julius blieb bei der Primigenia, gab Befehle und Positionen an Brutus und die Zenturios aus. Bis zum Abend wusste jeder Mann Bescheid, gegen welchen Gegner es ins Feld ging, und viele der Verletzungen, die sie sich auf dem Marsch zugezogen hatten, waren alsbald vergessen oder wurden bei dem Gedanken an den Waffengang, den sie sich herbeiwünschten, nicht beachtet. Trotz der Gerüchte hinsichtlich der gewaltigen Überlegenheit des Feindes war jeder Legionär entschlossen, Rom und ihre Familien keinesfalls den Eindringlingen zu überlassen. Sie wussten besser als jeder andere, dass ihre Disziplin und ihr Können ihresgleichen suchten, ganz egal welcher Feind gegen sie antrat, und wie stark er auch sein mochte.

Die Armee des Spartacus wurde in der Abenddämmerung gesichtet. Signale wurden gegeben, ein Lager in Feindnähe zu errichten, mit zweimal so hohen Umfriedungen und Wachtposten, die sich stündlich ablösten, um auf jeden nächtlichen Angriff vorbereitet zu sein. Speere wurden geschärft oder mit frisch geschmiedeten Spitzen versehen. Schwere Wurf- und Schleudermaschinen wurden zusammengebaut, Steinschleudern für den Tagesanbruch bereitgestellt, deren Räder tiefe Furchen in der Erde hinterließen. Das Sklavenheer hatte kein schweres Kriegsgerät zu bieten, und obwohl sie nicht auf verschiedene Entfernungen einzustellen waren, konnten die »Eselstritt«-Steinschleudern breite Breschen in einen feindlichen Angriff schlagen.

Brutus rüttelte Julius an der Schulter und weckte ihn aus einem leichten Schlaf.

»Meine Wache?«, fragte Julius verschlafen und setzte sich in dem dunklen Zelt auf.

»Schsch. Komm mit nach draußen. Ich will dir etwas zeigen.«

Ein wenig verwirrt folgte ihm Julius durch das Lager, wobei sie zweimal von aufmerksamen Posten angehalten wurden und das Losungswort des Tages geben mussten. Jetzt, da der Feind in Reichweite war, herrschte nicht mehr die gewohnte Ruhe im Lager. Viele der Männer, die nicht schlafen konnten, saßen vor ihren Zelten um kleine Feuer und unterhielten sich leise. Die Anspannung und die Angst schlug ihnen auf die Blase, und Julius und Brutus sahen, dass der Latrinegraben bereits stank und völlig durchweicht war, als sie daran vorbeikamen.

Julius merkte, dass Brutus direkt auf das Prätorianertor im Nordwall des Lagers zustrebte.

»Was hast du vor?«, zischte er seinem Freund zu.

»Ich muss uns aus diesem Lager herausbringen. Einen Tribun lassen sie durch, wenn du es ihnen befiehlst.« Er schilderte Julius flüsternd seine Idee, und dieser blinzelte seinen Freund in der Dunkelheit verwundert an. Er fragte sich, wo er immer diese ungestüme Energie hernahm. Dann überlegte er kurz, ob er sich weigern und wieder zu seinem Zelt zurückgehen sollte, aber die Nachtluft hatte seinen Kopf klar gemacht, und er bezweifelte, dass er wieder einschlafen konnte. Er war überhaupt nicht mehr müde. Stattdessen zitterten seine Muskeln vor nervöser Anspannung, und untätiges Warten war schlimmer als alles andere.

Das Tor wurde von einer Zenturie Extraordinarii bewacht, die noch immer den Staub ihrer Erkundungsritte auf den Uniformen trugen. Als sie sich ihnen näherten, lenkte der Kommandeur sein Pferd auf sie zu.

»Ja?«, erkundigte er sich ohne Umschweife.

»Ich will das Lager für ein paar Stunden verlassen«, erwiderte Julius.

»Laut Befehl verlässt niemand das Lager.«

»Ich bin der Legat der Primigenia, ein römischer Tribun und der Neffe des Marius. Lass uns durch.«

Der Zenturio zögerte angesichts dieses Befehls. »Ich müsste es melden, Herr. Wenn du das Lager verlässt, handelst du gegen den direkten Befehl des Pompeius.«

Julius warf Brutus einen kurzen Blick zu und verfluchte ihn dafür, dass er ihn in eine solche Lage gebracht hatte.

»Ich kläre das mit dem Heerführer, wenn ich wiederkomme. Wenn du willst, kannst du ihm Meldung machen.«

»Er wird erfahren wollen, was du vorhast, Herr«, fuhr der Zenturio fort und verzog ein wenig das Gesicht.

Julius bewunderte seine Standhaftigkeit, obgleich er sich davor fürchtete, was Pompeius sagen würde, wenn der Mann seine Drohung wahr machte und ihm tatsächlich Bericht erstattete.

»Es gibt da eine Felsnase, die das Schlachtfeld überragt«, sagte er leise. »Brutus glaubt, dass wir von dort einen guten Blick auf die feindliche Streitmacht haben.«

»Ich kenne das Gelände, Herr, aber die Kundschafter sagen, der Felsen sei zu steil, um ihn zu erklettern. Es geht praktisch senkrecht nach oben«, erwiderte der Soldat und rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Einen Versuch wäre es wert«, mischte sich Brutus ein.

Der Zenturio sah ihn zum ersten Mal an. Seine Miene war nachdenklich.

»Ich könnte die Meldung bis zur Wachablösung in drei Stunden verzögern. Wenn ihr bis dahin nicht zurück seid, muss ich euch als Deserteure melden. So viel gestehe ich einem Neffen des Marius zu, aber nicht mehr.«

»Guter Mann. So weit wird es nicht kommen. Wie ist dein Name?«, fragte ihn Julius.

»Taranus, Herr.«

Julius klopfte dem Pferd den zitternden Hals.

»Ich bin Julius Cäsar, und das ist Marcus Brutus. Wir sind vor der Wachablösung wieder hier, Taranus. Ich gebe dir mein Wort darauf.«

Auf Taranus’ Befehl traten die Wachen zur Seite und ließen sie durch. Draußen standen sie auf einer felsigen Ebene, und irgendwo vor ihnen lag der Feind. Sobald sie außer Hörweite der Wachen waren, fuhr er Brutus an.

»Ich fasse es nicht, dass ich mich von dir zu so etwas habe überreden lassen! Wenn Pompeius davon erfährt, lässt er uns die Haut vom Rücken peitschen. Mindestens.«

Brutus zuckte ungerührt die Achseln.

»Das wird er nicht tun. Nicht, wenn wir diesen Felsen erklettern. Seine Kundschafter sind Reiter, verstehst du? Sie denken, alles, wo sie kein Pferd hinaufbekommen, kann nicht erklommen werden. Ich habe mir den Felsen kurz angesehen, bevor es dunkel wurde. Von dort oben haben wir eine hervorragende Aussicht. Das Mondlicht müsste ausreichen, um das Lager des Feindes zu sehen, und das dürfte sehr nützlich sein, ganz egal, was Pompeius dazu sagt, dass wir das Lager verlassen haben.«

»Ich kann nur hoffen, dass du Recht hast«, sagte Julius grimmig. »Jetzt komm. Drei Stunden sind nicht sehr viel.«

Die beiden jungen Männer trabten los und hielten auf die schwarze Silhouette zu, die sich vor ihnen gegen die Sterne abzeichnete. Es war eine bedrohliche Felsspitze, ein Zahn mitten in der Ebene.

»Aus der Nähe sieht es viel höher aus«, flüsterte Brutus und entledigte sich für den Aufstieg seiner Sandalen und seines Schwertes. Obwohl sie sich so die Füße aufreißen würden, war es besser, als mit rutschenden und klappernden eisenbeschlagenen Sandalen zu klettern und so den Feind auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich wussten sie nicht, wie nahe sie seinen Spähtrupps waren, aber weit entfernt konnten sie nicht sein.

Julius blickte zum Mond hinauf und versuchte auszurechnen, wie viel Zeit ihnen blieb, bevor er unterging.

Trotz des hilfreichen Mondlichts war der Aufstieg schwierig und gefährlich. Die ganze Zeit über quälte Julius die Vorstellung, dass irgendein Bogenschütze der Sklavenarmee sie erblicken und mit Pfeilen spicken würde, so dass sie auf die mit Felsbrocken übersäte Ebene stürzen und dort zerschmettert werden würden. Die Felsnadel schien immer höher zu werden, je weiter sie kletterten, und Julius war überzeugt, dass sie mindestens hundert, wenn nicht gar zweihundert Fuß hoch war. Nach einer Weile verwandelten sich seine Füße in gefühllose Klumpen, die ihn kaum noch trugen. Seine Finger schmerzten und verkrampften sich, und allmählich sorgte er sich, dass sie nicht mehr rechtzeitig im Lager zurück sein würden, bevor der Zenturio sie meldete.

Seiner Berechnung nach dauerte es fast eine Stunde, bis sie den abgeflachten Gipfel des Felsens erreicht hatten, und zunächst konnten Brutus und er nichts anderes tun, als keuchend dazuliegen und lang ausgestreckt darauf zu warten, dass sich ihre gemarterten Muskeln einigermaßen erholten.

Der Gipfel war eine unebene Fläche, die im Mondlicht beinahe weiß schimmerte. Julius hob den Kopf und duckte sich gleich darauf wieder. Entsetzen durchfuhr ihn.

Dort war noch jemand, nur wenige Fuß von ihnen entfernt. Zwei Gestalten saßen da und beobachteten sie. Julius griff dorthin, wo normalerweise sein Schwert hing, und beinahe hätte er laut geflucht, als ihm einfiel, dass er es unten liegen gelassen hatte.

»Sieht ganz so aus, als hättet ihr zwei die gleiche Idee gehabt«, gluckste eine tiefe Stimme.

Brutus stieß einen Fluch aus und richtete sich auf, ebenso erschrocken wie Julius. Die Stimme sprach Latein, doch jede Hoffnung, dass es sich dabei um einen ihrer eigenen Leute handeln könnte, wurde rasch zerstreut.

»Diesen Aufstieg habt ihr wohl kaum mit euren Schwertern geschafft, Jungs, aber ich habe einen Dolch dabei, und wenn man so hoch oben und noch dazu barfuß ist, sollte man sich sehr vorsichtig und friedfertig bewegen. Kommt ganz langsam her, und macht mich bloß nicht nervös.«

Brutus und Julius sahen einander an. Sie konnten sich nicht zurückziehen. Die beiden Gestalten erhoben sich und wandten sich ihnen zu. Sie schienen den geringen Platz hier oben völlig in Anspruch zu nehmen. Auch sie waren barfuß und trugen lediglich Tuniken und Beinkleider. Einer von ihnen winkte sie mit einem Dolch heran.

»Allem Anschein nach bin ich damit der König der Nacht, meine Freunde. An eurer Kleidung sehe ich, dass ihr Römer seid. Wolltet ihr ein bisschen die Aussicht genießen?«

»Töten wir sie«, drängte sein Gefährte.

Brutus betrachtete ihn mit einem flauen Gefühl im Inneren. Der Mann war so kräftig gebaut wie ein Ringer, und das Mondlicht ließ ein Gesicht erkennen, in dem keinerlei Mitleid war. Er konnte lediglich darauf hoffen, den Mann mit sich in die Tiefe zu reißen, ein Gedanke, der ihn nicht sonderlich beruhigte. Er schob sich ein Stück weiter von dem Abgrund hinter ihm weg.

Der andere Mann legte eine Hand auf die Brust seines Freundes und hielt ihn zurück.

»Dazu besteht keine Veranlassung, Krix. Morgen in der Schlacht gibt es Gelegenheiten genug. Dann können wir immer noch einer des anderen Blut vergießen, und dabei nach Herzenslust brüllen und Drohungen ausstoßen.«

Der Ringer gab mit einem Grunzen nach und drehte den beiden Römern den Rücken zu. Jetzt saß er fast so nahe, dass sie ihn hätten berühren können, aber etwas in der wachen Haltung des Mannes verriet Brutus, dass er genau das erwartete. Vielleicht hoffte er sogar darauf.

»Seid ihr bewaffnet?«, fragte der erste Mann freundlich und winkte sie vorwärts. Als sie sich nicht rührten, rückte er mit stoßbereitem Dolch ein Stück näher an Julius heran. Sein kleinerer Begleiter hinter ihm hatte sich wieder umgedreht und funkelte die jungen Männer herausfordernd an.

Julius ließ sich abtasten und sah dann zu, wie auch Brutus nach versteckten Klingen durchsucht wurde. Der Mann ging sehr gewissenhaft vor, und seine Schultern sahen kräftig genug aus, um ihn auch ohne den Dolch gefährlich genug erscheinen zu lassen.

»Brave Jungs«, sagte er, als er sicher war, dass sie nichts bei sich trugen. »Ich habe nur deshalb eine Waffe dabei, weil ich ein misstrauischer alter Kerl bin. Kämpft ihr morgen mit?«

Julius nickte ungläubig. Er konnte immer noch nicht recht glauben, was hier vor sich ging. Seine Gedanken überschlugen sich, doch er konnte nichts anderes tun als mitspielen. Als ihm das bewusst wurde, entspannte er sich endlich und lachte, worauf Brutus erschrocken zusammenzuckte. Der Mann mit dem Dolch lachte ebenfalls trocken und musterte den jungen Römer.

»Du kannst genauso gut lachen, junger Freund. Hier oben ist es ein bisschen eng für einen Kampf. Von mir aus könnt ihr tun, weshalb ihr hierher gekommen seid, es spielt ohnehin keine Rolle. Ganz egal, was ihr euren Feldherrn berichtet, uns kann morgen ohnehin nichts aufhalten.«

Julius behielt den Mann im Auge, stets auf eine unvermutete Bewegung gefasst, und setzte sich, wobei sein Herz bei dem Gedanken, dass ein rascher Stoß ihn über den Felsrand befördern würde, zu rasen anfing. Die Situation war, gelinde gesagt, sehr merkwürdig, aber der Mann mit dem Messer wirkte völlig gelassen, weit entfernt von der Schlacht, der sie unten auf dem Boden ausgesetzt sein würden.

Von der Granitnadel aus betrachtet, schien das Lager der Aufständischen unglaublich nah, fast so, als könne man mit einem kräftigen Sprung mitten darin landen. Julius ließ den Blick darüber wandern und fragte sich, ob die beiden sie zurückkehren lassen würden, ehe der Zenturio der Torwache sie als abwesend meldete.

Der Mann barg das Messer in seiner Tunika, ließ sich neben Julius nieder und folgte seinem Blick. »Die größte Armee, die ich je gesehen habe«, sagte er fröhlich und zeigte zum Rebellenlager hinüber. »Ich würde sagen, das wird morgen sehr schwer für euch.«

Julius erwiderte nichts, wollte sich nicht zu einer Diskussion verleiten lassen. Insgeheim hatte er den gleichen Eindruck. Das feindliche Lager war fast zu groß, um es mit einem Blick zu erfassen, und es sah aus, als könne es die acht Legionen mühelos schlucken.

Brutus und der Ringer waren stehen geblieben und beäugten einander misstrauisch. Der Mann mit dem Messer grinste, als er sie ansah.

»Setzt euch doch, ihr zwei«, sagte er mit einem Kopfnicken. Widerwillig rückten sie zusammen und setzten sich angespannt dicht nebeneinander.

»Ihr müsst so an die dreißig- oder vierzigtausend Mann haben, stimmt’s?«, erkundigte sich der Ringer bei Brutus.

»Rate nur weiter«, erwiderte Brutus kurz angebunden, und der Mann wollte erneut aufstehen, wurde aber von einer kurzen Berührung seines Gefährten zurückgehalten.

»Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Wir zerstreuen die Römer in alle Winde, egal wie stark sie sind.« Er grinste Julius an. Zweifellos hoffte er, dieser würde sich bei dieser Bemerkung erheben. Aber Julius ignorierte ihn. Er war damit beschäftigt, sich die wenigen Einzelheiten des Lagers einzuprägen, die er im schwachen Licht erkennen konnte. Er sah, dass der Mond inzwischen tief gesunken war und stand langsam auf, um seine merkwürdigen Gefährten nicht zu erschrecken.

»Wir müssen jetzt wieder zurück«, sagte er. Die Anspannung kehrte wieder und verkrampfte seine schmerzenden Muskeln.

»Ja. Ich denke, das geht uns allen so«, erwiderte der Mann mit dem Messer und erhob sich geschmeidig. Er war mit Abstand der Größte von ihnen und bewegte sich mit einer Eleganz, die den Krieger in ihm verriet. Auch Brutus bewegte sich so, und vielleicht war es diese unbewusste Erkenntnis, die den Mann mit der Ringerstatur sofort gereizt hatte.

»Diese Begegnung war… sehr interessant. Ich hoffe, wir beide begegnen uns morgen nicht«, sagte Julius.

»Ich hoffe, wir beide begegnen uns«, raunte Brutus dem Ringer zu, der nur abfällig schnaubte.

Der Mann mit dem Messer reckte den Rücken und verzog das Gesicht. Dann klopfte er Julius auf die Schulter und lächelte.

»Das liegt in den Händen der Götter, meine jungen Freunde. Aber jetzt finde ich, dass mein Gefährte und ich als Erste hinabklettern sollten, meint ihr nicht? Ich möchte wirklich nicht, dass ihr euch euren kleinen Waffenstillstand noch einmal anders überlegt, sobald ihr eure Schwerter wieder in den Händen haltet. Stellt euch dort drüben hin, wo ihr heraufgeklettert seid, und wir sind gleich verschwunden.«

Die beiden älteren Männer kletterten mit geschmeidigen Bewegungen außer Sicht und waren fort.

Brutus stieß prustend den Atem aus. »Ich dachte, jetzt sind wir tot.«

»Ich auch. Glaubst du, das war Spartacus?«

»Möglich. Jedenfalls wird er es sein, wenn ich die Geschichte erzähle.« Brutus fing an zu lachen. Er musste die schreckliche Anspannung irgendwie loswerden.

»Wir sollten uns lieber auf den Weg machen, sonst serviert uns dieser Wachposten Pompeius auf einem Tablett«, sagte Julius, ohne auf seine Worte einzugehen. Rasch kletterten sie hinab und ertrugen die Kratzer und Schrammen des Abstiegs ohne einen Laut. Ihre Sandalen lagen noch dort, wo sie sie zurückgelassen hatten, aber die beiden Schwerter waren weg. Brutus suchte im Gestrüpp danach, kam jedoch mit leeren Händen zurück.

»Elende Saubande. Es gibt einfach keine Ehre mehr.«

Загрузка...