21

Alexandria versuchte unauffällig zuzusehen, während Tabbic Octavian eine bestimmte Technik erklärte. Seine Stimme war ein gleichmäßiges, leises Murmeln, das jede Bewegung der kräftigen Hände begleitete. Auf der Werkbank vor ihnen hatte Tabbic ein Stück dicken Golddraht auf ein Stück Leder gelegt. Beide Enden des Drahts wurden von winzigen Holzklammern festgehalten, und er zeigte Octavian durch Gesten, wie er einen schmalen hölzernen Klotz über den Draht bewegen sollte.

»Gold ist von allen Metallen das weichste, mein Junge. Um dem Draht ein Muster zu geben, muss man den Prägeblock nur sanft dagegen drücken und ihn hin und her bewegen, wobei man den Arm ganz gerade hält, so wie ich es dir gezeigt habe. Versuch es mal.«

Octavian senkte langsam den Klotz und setzte die gekerbte Unterseite auf die zerbrechlich aussehende Linie des Edelmetalls.

»Gut so. Und jetzt versuche es mit ein bisschen mehr Druck. Gut. Dann zeig mal her«, fuhr Tabbic fort. Octavian hob den Klotz hoch und strahlte, als er die gleichmäßige Perlenreihe sah, die durch den Druck erzeugt worden war. Tabbic betrachtete sie aufmerksam und nickte.

»Du hast das richtige Gefühl dafür. Bei zu viel Druck geht der Draht entzwei, und man muss noch einmal von vorne anfangen. Jetzt löse ich die Klammern und drehe den Draht um, damit du den Perlendruck fertig stellen kannst. Sei diesmal so vorsichtig wie möglich; die Verbindungsstücke dazwischen werden so dünn wie die Haare auf deinem Kopf.«

Als Tabbic den Rücken streckte, der ihm wehtat nach der langen Zeit in der gebückten Haltung über der niedrigen Bank, die er für Octavian gebaut hatte, begegnete er Alexandrias Blick. Sie zwinkerte ihm zu, worauf er sich verlegen räusperte, um ein Lächeln zu verbergen. Sie wusste, dass ihm der Unterricht mit Octavian inzwischen Freude machte. Es hatte lange gedauert, bis er sein Misstrauen dem kleinen Dieb gegenüber zumindest teilweise abgelegt hatte, doch sie wusste von ihrer eigenen Arbeit mit ihm, wie sehr er es genoss, seine Fähigkeiten weitergeben zu können.

Octavian fluchte, als der dünne Draht unter seinen Händen zerbrach. Betrübt hob er den Klotz an, unter dem drei einzelne Stücke lagen. Tabbic zog die buschigen Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf, während er die zerbrochenen Teile vorsichtig aufsammelte, um sie einschmelzen und erneut ausrollen zu können.

»Wir versuchen es später noch einmal. Oder morgen. Du hättest es dieses Mal fast geschafft. Wenn du den ganzen Draht ordentlich verzieren kannst, zeige ich dir, wie man daraus die Fassung für die Spange einer Dame macht.«

Octavian sah niedergeschlagen aus. Alexandria hielt den Atem an und fragte sich, ob er einen seiner fürchterlichen Tobsuchtsanfälle bekommen würde, mit denen er in den ersten Wochen ihre Nerven auf eine harte Probe gestellt hatte. Als nichts passierte, atmete sie langsam und erleichtert aus.

»In Ordnung. Das würde mir gefallen«, sagte er langsam.

Tabbic drehte sich um und überprüfte die Päckchen mit den fertigen Arbeiten, die an die Auftraggeber ausgeliefert werden mussten.

»Ich habe noch eine Aufgabe für dich«, sagte er und gab ihm einen winzigen, gefalteten und verschnürten Lederbeutel. »Das ist ein Silberring, den ich repariert habe. Lauf damit zum Viehmarkt und erkundige dich nach einem Meister Gethus. Er leitet den Verkauf und dürfte deshalb nicht schwer zu finden sein. Er sollte dir eine Sesterze für die Arbeit geben. Du nimmst sie und kommst sofort damit zurück, ohne unterwegs zu trödeln. Hast du mich verstanden? Ich vertraue dir. Wenn du den Ring oder die Münze verlierst, sind wir beide geschiedene Leute.«

Alexandria hätte über den ernsten Gesichtsausdruck des kleinen Jungen am liebsten laut aufgelacht. In den ersten Wochen der Lehrzeit wäre eine solche Drohung sinnlos gewesen. Damals hätte Octavian überhaupt nichts dagegen gehabt, wieder in Ruhe gelassen zu werden. Er hatte sich heftig gegen die vereinten Bemühungen seiner Mutter, Tabbics und Alexandrias zur Wehr gesetzt. Zweimal hatten sie die Märkte im Stadtviertel nach ihm abgesucht, und beim zweiten Mal hatten sie ihn zu den Sklavenhändlern geschleppt, um ihn schätzen zu lassen. Danach war er nicht mehr fortgelaufen, sondern hatten sich auf eine Missmutigkeit verlegt, von der Alexandria schon dachte, er würde sie nie wieder ablegen.

Die Veränderung war in der Mitte der vierten Arbeitswoche eingetreten, als Tabbic ihm gezeigt hatte, wie man mit winzigen Tröpfchen geschmolzenen Metalls ein Muster auf ein Stück Silber machen konnte. Obwohl sich der Junge den Daumen verbrannt hatte, als er es anfassen wollte, hatte ihn der Vorgang fasziniert, und er hatte sogar das Abendessen versäumt, weil er sehen wollte, wie das Stück am Ende poliert wurde. Seine Mutter Atia war mit schuldbewusster Miene in der Werkstatt erschienen, wo es ihr die Sprache verschlug, als sie den kleinen Burschen sah, der immer noch mit unterschiedlichen Poliertüchern bei der Arbeit war. Als Alexandria am nächsten Morgen erwachte, fand sie ihre Kleider sauber und über Nacht ausgebessert vor. Weiterer Dank war zwischen den beiden Frauen nicht nötig. Obwohl sie sich jeden Tag nur eine oder zwei Stunden vor dem Schlafengehen sahen, war zwischen ihnen eine Freundschaft entstanden, die die beiden zurückhaltenden, eigenbrötlerischen Menschen überraschte. Sie hatten die ganze Zeit so schwer gearbeitet, dass ihnen gar nicht aufgefallen war, wie einsam sie waren.

Octavian trabte pfeifend durch die Menschenmenge auf dem Viehmarkt. Wenn die Bauern ihr Vieh zum Versteigern und Schlachten in die Stadt brachten, war dort immer viel los, und der Geruch von warmem Dung und Blut lag in der Luft. Jeder schien jedem etwas zuzurufen und komplizierte Gesten zu vollführen, um auch dann noch mitzubieten, wenn man ihn längst nicht mehr hören konnte.

Octavian hielt nach einem der Verkäufer Ausschau, den er nach Gethus fragen konnte. Er wollte den Ring abgeben und schneller zu Tabbics Laden zurückkehren, als die Erwachsenen es für möglich halten würden.

Während er sich durch die geschäftige Menge schob, malte er sich Tabbics Überraschung über seine prompte Rückkehr aus.

Plötzlich packte ihn eine Hand am Hals und riss ihn mit einem Ruck von den Füßen. Instinktiv versuchte er sich gegen den Angreifer zur Wehr zu setzen.

»Du willst wohl jemandem seine Kuh klauen, was?«, ertönte eine harte, nasale Stimme neben seinem Ohr.

Er riss den Kopf herum und stöhnte laut auf, als er das grobe Gesicht des Schlachterjungen erkannte, mit dem er schon oft aneinander geraten war. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Wie ein Trottel hatte er alle üblichen Vorsichtsmaßnahmen außer Acht gelassen, und sie hatten ihn ohne die geringste Mühe geschnappt.

»Lass mich los! Hilfe!«, schrie er.

Der ältere Junge schlug ihn hart auf die Nase, die sofort zu bluten anfing.

»Halt bloß den Schnabel, du. Ich schulde dir sowieso noch eine Tracht Prügel für die, die ich gekriegt habe, weil ich dich das letzte Mal nicht rechtzeitig erwischt habe.« Der kräftige Arm umklammerte Octavians Hals und drückte ihm die Kehle zu, während er ihn rückwärts in eine enge Gasse zog. Er versuchte sich zu befreien, aber es war hoffnungslos, und die vorüberziehende Menge schaute nicht einmal in seine Richtung.

Der Schlachterlehrling war nicht allein. Die anderen drei Jungen besaßen ebenfalls den kräftigen, langgliedrigen Körperbau von Kindern, die an harte körperliche Arbeit gewöhnt waren. Sie trugen die mit Blut befleckten Schürzen von ihrer Arbeit auf dem Markt, und Octavian geriet in Panik. Er wurde fast ohnmächtig vor Entsetzen, als er ihre grausamen Gesichter sah. Kaum waren sie um eine Ecke der Gasse gebogen, schlugen die Jungen johlend auf ihn ein. Hier wurde der Lärm des Marktes von den hohen Mietshäusern verschluckt, die so weit über ihnen aufragten, dass sie sich oben fast berührten und für eine unnatürliche Dunkelheit sorgten.

Der Schlachterjunge warf Octavian in den schmierigen Dreck, der knöcheltief in der Gasse stand, eine Mischung aus Abfällen und menschlichen Ausscheidungen, die seit Jahren aus den schmalen Fenstern über ihnen heruntergekippt wurden. Octavian robbte zur Seite, um ihnen zu entkommen, aber einer von ihnen stieß ihn mit einem kräftigen Tritt wieder an seinen Platz zurück. Der kleine Körper wurde durch die Luft geschleudert und ächzte bei dem Aufprall laut. Als sich die beiden anderen Jungen dem ersten anschlossen und brutal nach jedem Körperteil traten, das sie treffen konnten, schrie Octavian vor Schmerz und Angst laut auf.

Nach ungefähr einer Minute hörten die Jungen auf. Sie stützten die Hände auf die Knie und keuchten vor Anstrengung. Octavian war kaum noch bei Bewusstsein und hatte sich zu einer kleinen, erbärmlichen Kugel zusammengerollt, die kaum noch von dem Dreck, in dem sie lag, zu unterscheiden war.

Der Schlachterjunge verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen, hob die Faust und lachte roh, als Octavian vor ihm zurückzuckte.

»Das geschieht dir recht, du kleiner Thuriner Drecksack. Jetzt wirst du es dir zweimal überlegen, ehe du meinem Herrn wieder etwas stiehlst, oder?« Er landete einen sorgfältig gezielten Tritt in Octavians Gesicht und grölte vor Freude, als dessen Kopf zurückgeschleudert wurde. Mit offenen Augen lag Octavian bewusstlos da, das Gesicht zur Hälfte im Dreck versunken. Schmutziges Wasser drang ihm zwischen die Lippen, und trotz seiner Ohnmacht begann er schwach zu husten und zu würgen. Die Finger, die ihn abtasteten, spürte er nicht, nahm auch nicht den erfreuten Ausruf wahr, als die älteren Jungen den Silberring in seinem schützenden Beutel fanden.

Der Schlachterjunge pfiff leise, als er den Ring anprobierte. Der Stein war ein einfaches, halbrundes Stück schwerer Jade, das von winzigen silbernen Klauen festgehalten wurde.

»Wem hast du den wohl geklaut?«, sagte er und blickte auf die daliegende Gestalt hinab. Jeder versetzte dem Jungen im Namen des Ringbesitzers noch einen Tritt, ehe sie zum Markt zurückliefen, vollauf zufrieden mit ihrem unverhofften Glück.

Octavian erwachte erst Stunden später. Er setzte sich langsam auf, und als er ausprobierte, ob ihn seine Füße trugen, musste er sich minutenlang übergeben. Er fühlte sich schwach, und die Schmerzen waren so stark, dass es eine Weile dauerte, bis er sich wieder bewegen konnte, wobei er sich vornüber beugte und lange Fäden dunklen Blutes auf den Boden spuckte. Als sein Kopf langsam wieder klar wurde, suchte er zuerst in der Tasche, dann überall auf dem Boden um ihn herum nach dem Ring. Schließlich musste er sich eingestehen, dass er ihn verloren hatte, und frische Tränen rannen durch den Dreck und das verkrustete Blut in seinem Gesicht. Er stolperte zurück auf die Hauptstraße und verbarg die Augen vor dem schmerzenden Sonnenlicht. Immer noch weinend und auf wackligen Beinen machte er sich voller Verzweiflung auf den Rückweg zu Tabbics Werkstatt.

Tabbic stampfte mit dem Fuß auf den hölzernen Boden des Ladens. Die Wut stand ihm in jeder Falte seines finsteren Gesichts geschrieben.

»Zur Hölle, dafür bringe ich den Lümmel um. Er hätte schon vor Ewigkeiten wieder zurück sein müssen.«

»Das sagst du jetzt schon seit einer Stunde, Tabbic. Vielleicht ist er aufgehalten worden, oder er konnte Meister Gethus nicht finden«, erwiderte Alexandria mit ruhiger Stimme.

Tabbic schlug mit der Faust auf den Arbeitstisch. »Oder vielleicht hat er den Ring verkauft und ist abgehauen, das ist wohl wahrscheinlicher!«, knurrte er. »Du weißt, dass ich den Ring ersetzen muss. Und dann auch noch Jade! Es kostet mich einen ganzen Tag Arbeit und einen Aureus an Material, um Gethus einen neuen zu machen. Höchstwahrscheinlich behauptet er dann auch noch, er hätte ihn von seiner Mutter auf dem Sterbebett bekommen und verlangt eine Entschädigung dafür. Wo steckt dieser Bengel?«

Die dicke Holztür des Ladens öffnete sich knarrend. Staub wirbelte von der Straße herein. Auf der Schwelle stand Octavian. Tabbic warf nur einen Blick auf die blauen Flecke und die zerrissene Tunika und eilte zu ihm hinüber. Alle Wut war verflogen.

»Es tut mir Leid«, weinte der kleine Junge, als ihn Tabbic tiefer in den Laden hineinführte. »Ich habe versucht mich zu wehren, aber es waren drei, und niemand hat mir geholfen.« Er wimmerte auf, als Tabbic seine sich heftig hebende Brust auf gebrochene Rippen abtastete.

Der Metallschmied grunzte und stieß pfeifend die Luft durch die geschlossenen Zähne.

»Da haben sie ja wirklich ganze Arbeit geleistet. Kannst du richtig atmen?«

Octavian wischte sich die laufende Nase vorsichtig mit dem Handrücken ab.

»Es geht. Ich bin so schnell wie möglich hergekommen. Ich habe sie in der Menge nicht gesehen. Normalerweise passe ich immer auf, aber ich habe mich beeilt, und…« Er fing an zu schluchzen. Alexandria legte einen Arm um ihn und scheuchte Tabbic weg.

»Nun ist es aber gut, Tabbic. Er kann jetzt kein Verhör ertragen. Er hat etwas Schlimmes erlebt und braucht Pflege und Ruhe.«

Tabbic trat beiseite, und sie führte den Jungen in das Hinterzimmer und die Treppe hinauf in die Wohnung über dem Laden. Als er allein war, seufzte er, rieb sich mit einer Hand über das faltige Gesicht und kratzte sich die grauen Bartstoppeln, die seit der morgendlichen Rasur schon wieder nachgewachsen waren. Dann schüttelte er den Kopf, drehte sich zur Werkbank um und wählte die Werkzeuge aus, die er brauchte, um einen neuen Ring für Gethus anzufertigen.

Schweigend arbeitete er ein paar Minuten lang, dann hielt er inne und blickte sich nach der engen Treppe um.

»Ich glaube, ich muss dir ein vernünftiges Messer machen, mein Junge«, murmelte er vor sich hin, ehe er das Werkzeug wieder zur Hand nahm. Nachdem er sich mit Kreide eine Skizze gemacht hatte, fügte er hinzu: »Und dir beibringen, wie man damit umgeht.«

Brutus stand auf dem Campus Martius, die Adlerstandarte der Primigenia neben sich in die Erde gerammt. Voller Freude hatte er gesehen, dass einige der anderen Legionen, die nach Rekruten suchten, Banner aus Stoff verwenden mussten, während man für ihn die alte Standarte aufgetrieben hatte, die Marius hatte anfertigen lassen. Sie bestand aus gehämmertem Gold auf Kupfer und blitzte in der Morgensonne. Er hoffte, sie würde mehr als nur ein paar der Jungen ins Auge stechen, die sich seit dem Morgengrauen versammelt hatten. Nicht alle von ihnen waren hier, um bei einer Legion zu unterschreiben. Einige waren nur zum Schauen gekommen. Für sie hatten die Essenverkäufer noch vor dem ersten Tageslicht ihre Stände aufgebaut. Der Duft von gegrilltem Fleisch und Gemüse ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, und er überlegte gerade, ob er sich ein frühes Mittagessen gönnen sollte, wobei er die Münzen in seinem Geldbeutel klingen ließ und die Menge betrachtete, die sich um die Reihe der Standarten gebildet hatte.

Er hatte erwartet, dass es einfacher sein würde. Renius wirkte von Kopf bis Fuß wie ein Löwe des alten Rom, und die zehn Männer, die sie mitgebracht hatten, sahen prächtig aus in ihren neuen, auf Hochglanz polierten Rüstungen, die die Menge beeindrucken sollten. Trotzdem konnte Brutus nur stumm zusehen, wie sich überall entlang der Reihe Hunderte von jungen Römern als Legionäre verpflichteten, ohne dass auch nur einer von ihnen in die Nähe seines Postens gekommen wäre. Ein paar Mal hatten sich kleinere Gruppen versammelt, mit dem Finger herübergezeigt und geflüstert, waren dann jedoch weitergezogen. Er war in Versuchung geraten, ein paar von den Jungen zu packen und sie zu fragen, was sie da tuschelten, hatte sich aber zurückgehalten. Kurz vor der Mittagszeit war die Menge auf die Hälfte geschrumpft, und soweit er sehen konnte, war die Primigenia die einzige Standarte, um die sich noch keiner aus der neuen Generation geschart hatte.

Er knirschte mit den Zähnen. Diejenigen, die sich schon gemeldet hatten, würden weitere zu diesen Adlern ziehen. Inzwischen fragten sich die Leute wahrscheinlich schon, was denn mit der Primigenia nicht stimmte, weil niemand sich ihr anschließen wollte. Hinter vorgehaltener Hand und mit kindischer Erregung würden sie über die Verräter-Legion flüstern. Er räusperte sich und spuckte auf den sandigen Boden. Bei Sonnenuntergang endeten die Prüfungen, aber bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig, als auszuharren und auf das Ende zu warten, in der Hoffnung, vielleicht doch noch ein paar Nachzügler abzubekommen, wenn es dunkelte. Der Gedanke trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht. Wenn Marius hier gewesen wäre, das wusste er, so hätte er sich unter die jungen Leute gemischt, hätte auf sie eingeredet, Witze gerissen und sie dazu gebracht, sich seiner Legion anzuschließen. Natürlich hatte damals auch eine Legion existiert, der man sich anschließen konnte.

Brutus nahm seine mürrische Betrachtung der Menge wieder auf und wünschte, er könnte sie dazu bringen, ihn zu verstehen. Drei junge Männer kamen auf die Standarte zugeschlendert, und er versuchte, sie so freundlich wie möglich anzulächeln.

»Die Primigenia, nicht wahr?«, sagte einer von ihnen.

Brutus sah, wie die anderen mühsam ihr Grinsen unterdrückten. Sie wollten sich also nur einen Spaß machen, vermutete er. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er ihnen die Köpfe aneinander schlagen sollte, doch er riss sich zusammen, weil er die Blicke seiner zehn Männer auf sich spürte. Er bemerkte, wie in Renius neben ihm der Zorn aufstieg, aber auch der ältere Mann blieb stumm.

»Wir waren die Legion von Marius, dem römischen Konsul«, sagte er, »siegreich in Afrika und überall in allen Ländern Roms. Auf richtige Männer, die sich uns anschließen wollen, wartet hier viel Geschichte.«

»Wie ist denn der Sold bei euch?«, fragte der größte von ihnen in gespielt ernstem Tonfall.

Brutus atmete langsam ein. Sie wussten, dass der Senat den Sold für alle Legionen festsetzte. Mit Crassus im Hintergrund hätte er nur allzu gern mehr geboten, aber es war eine Obergrenze festgelegt worden, um zu verhindern, dass wohlhabende Geldgeber das ganze System unterminierten.

»Fünfundsiebzig Denare, wie bei allen anderen auch«, erwiderte er schnell.

»Einen Augenblick mal… die Primigenia? Waren das nicht die, die die Stadt zerstört haben?«, fragte der hoch gewachsene Bursche, als hätte er plötzlich eine Erleuchtung gehabt. Er drehte sich zu seinen grinsenden Freunden um, die sich nur zu gerne von ihm unterhalten ließen.

»So ist es!«, sagte er erfreut. »Sulla hat sie vernichtet, oder? Sie wurden von irgend so einem Verräter angeführt.«

Der Große hielt inne, als er den veränderten Gesichtsausdruck der Freunde sah und ihm klar wurde, dass er zu weit gegangen war. Als er sich wieder umdrehte, holte Brutus mit der Faust aus, aber Renius blockte den Schlag mit ausgestrecktem Arm ab. Die drei jungen Männer zuckten vor der Drohung zurück, aber ihr Anführer gewann seine Selbstsicherheit rasch zurück, und sein Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen.

Ehe er etwas sagen konnte, trat Renius dicht vor ihn hin. »Wie heißt du?«

»Germinius Cato«, erwiderte er überheblich. »Du wirst schon von meinem Vater gehört haben.«

Renius drehte sich zu den Soldaten hinter ihm um.

»Schreibt seinen Namen auf. Er ist dabei.«

Die Arroganz wich der Verblüffung, als Germinius sah, wie sein Name auf die leere Schriftrolle gesetzt wurde.

»Das kannst du nicht machen! Mein Vater wird dich…«

»Du bist dabei, Junge. Vor Zeugen«, erwiderte Renius. »Diese Männer werden schwören, dass es freiwillig geschehen ist. Sobald wir es dir gestatten, kannst du gerne zu deinem Vater laufen und ihm erzählen, wie stolz du bist.«

Catos Sohn funkelte die älteren Männer an, und seine Selbstsicherheit kehrte wieder.

»Mein Name wird schon vor Sonnenuntergang wieder von dieser Rolle gelöscht sein«, sagte er.

Wieder trat Renius dicht an ihn heran.

»Sag ihm, Renius hätte deinen Namen aufgenommen. Er kennt mich. Sag ihm, du wirst stets als der Sohn bekannt sein, der sich davor drücken wollte, seiner Stadt in der Legion zu dienen. Wenn sich so etwas herumspricht, bedeutet das seinen Untergang, meinst du nicht auch? Glaubst du, du könntest nach einer solchen Schande noch in seine Fußstapfen treten? Der Senat mag keine Feiglinge, Junge.«

Der junge Mann erbleichte vor Wut und Hilflosigkeit. »Ich werde…« Er verstummte, und ein schrecklicher Zweifel stieg in seinem Gesicht auf.

»Du wirst dich jetzt neben diesen Adler stellen, bis wir so weit sind, dich den Eid ablegen zu lassen. Bis man mir etwas anderes sagt, bist du der erste Rekrut des Tages.«

»Du kannst mich nicht daran hindern zu gehen!«, erwiderte Germinius mit überschnappender Stimme.

»Einen rechtmäßigen Befehl missachten? Ich lasse dich auspeitschen, wenn du dich auch nur einen weiteren Schritt von mir entfernst. Nimm Haltung an, ehe ich die Geduld verliere!«

Der gebellte Befehl ließ Germinius in ohnmächtiger Wut stehen bleiben. Unter Renius’ Blicken richtete er sich auf. Seine Freunde schickten sich an, sich unauffällig aus dem Staub zu machen.

»Eure Namen!«, fuhr Renius sie an, und sie erstarrten. Sie blickten ihn stumm an, und er zuckte die Achseln.

»Schreibt sie als Legionäre zwei und drei des heutigen Tages auf. Das reicht – jetzt, wo ich eure Gesichter kenne! Steht vor der Menge stramm, Männer.« Er drehte sich einen Augenblick zu den Soldaten der Primigenia um und beachtete ihre Verblüffung nicht weiter.

»Falls sie weglaufen«, sagte er laut und deutlich, »werden sie zurückgeholt und noch hier auf dem Feld ausgepeitscht. Das kostet uns vielleicht ein paar Rekruten, aber die anderen können ebenso gut sehen, dass der strahlende Ruhm auch seine Schattenseiten hat.«

Die drei jungen Römer standen stocksteif zur Menge gekehrt da, und Renius ließ sich überrascht von Brutus ein paar Schritte weit außer Hörweite ziehen.

»Cato wird toben«, murmelte Brutus. »Er will seinen Sohn bestimmt nicht ausgerechnet in dieser Legion sehen.«

Renius räusperte sich und spuckte in das staubige Gras des Feldes. »Er wird ihn aber auch nicht als Feigling gebrandmarkt sehen wollen. Es ist deine Entscheidung, aber du gewinnst nichts damit, wenn du ihn jetzt laufen lässt. Vielleicht versucht er, sich freizukaufen, vielleicht steht er es auch durch. In ein oder zwei Tagen werden wir es wissen.«

Brutus sah den alten Gladiator an und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Du hast mir das eingebrockt, also werde ich es jetzt durchstehen.«

Renius hielt seinem Blick stand. »Wenn du ihn geschlagen hättest, hätte sein Vater dich töten lassen.«

»Du wusstest doch gar nicht, wer er war, als du mich aufgehalten hast!«, wandte Brutus ein.

Renius seufzte. »Ich habe dir doch wirklich mehr beigebracht, mein Junge. Was soll ich denn sonst denken, wenn ein Junge das Wappen seines Vaters auf einem Goldring trägt, der groß genug ist, um damit ein Haus zu kaufen?«

Brutus sah ihn blinzelnd an, ging dann zu den drei neuen Rekruten hinüber und warf einen unauffälligen Blick auf Germinius’ Hand. Gerade, als er zu Renius zurückgehen wollte, lösten sich drei junge Burschen aus der Menge und kamen auf den Adler der Primigenia zu.

»Schreibt eure Namen auf die Rolle dort und stellt euch zu den anderen, Jungs«, sagte Renius zu ihnen. »Sobald wir genug beisammen haben, lassen wir euch den Eid ablegen.« Er winkte sie herüber, und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

Загрузка...