Miiiiiaaauuuuuiiiiaaaaiiiimaunz-


maunzmaunz, miimiiimiiiiauauiauu!


Oder: Niemand singt so schön wie ich!


»Wo bleibt denn Emilia?« Frau Heinson sieht sich fragend um. »Weiß jemand, wo sie steckt? Du vielleicht, Leonie?« Aber Leonie zuckt nur mit den Schultern. Der fünfte Probentag ist angebrochen, alle Mädchen und Jungen der 7c haben sich vor der Bühne versammelt und eigentlich sollte nun der erste komplette Durchlauf des Gestiefelten Katers stattfinden. Noch nicht auswendig gespielt und gesungen, sondern vorgelesen, aber immerhin das ganze Musical einmal am Stück. Schließlich ist heute der letzte Tag der Projektwoche und der will gut genutzt sein. Ab nächstem Montag werden die Proben nur noch nachmittags stattfinden können. Alle sind also aufgeregt und warten darauf, dass es endlich losgeht mit dem Gestiefelten Kater – aber es fehlt: der Gestiefelte Kater. Beziehungsweise Emilia.

»Mann, das gibt’s doch nicht – die blöde Kuh!«, regt sich Ben, der Müllersohn, auf. »Ohne Bescheid zu sagen! Jetzt stehen wir hier und warten. Was denkt die sich eigentlich? Voll daneben!«

»Sie muss krank geworden sein. Komisch nur, dass ihre Eltern noch nicht im Sekretariat angerufen haben«, wundert sich Frau Heinson. »Was machen wir denn jetzt bloß?«

Auch Fernandez schaut zunächst etwas ratlos, dann bleibt sein Blick an Pauli hängen, die erste Entwürfe ihrer Kostüme über dem Arm trägt.

»Pauli, hast du schon etwas für uns fertig?«

Sie nickt. »Ja, ich habe die letzten vier Tage mit Frau Eichstätt im Werkraum an der Nähmaschine gesessen. Wir haben schon mal ein paar grobe Entwürfe zusammengeheftet. Ich wollte heute mit dem Anprobieren beginnen. Frau Eichstätt schaut nachher vorbei, um mir zu helfen.«

»Frau Eichstätt?« Herr Fernandez hat den Namen offenbar noch nie gehört. Kein Wunder, ich auch nicht.

»Das ist die Kunstlehrerin. Sie ist aber auch sehr fit im Bereich Handarbeit«, erklärt Frau Heinson.

»Ach so. Na, dann würde ich sagen, wir schauen uns mal an, was unsere junge Gewandmeisterin hier schon geschafft hat«, beschließt Fernandez, »vielleicht kommt unser Kater ja, bis wir damit fertig sind.« Kater? Maunz! Hier bin ich doch! Fernandez lacht, bückt sich und streicht mir über den Kopf. »Dich sehe ich doch, Winston. Aber leider kannst du nicht singen, sonst würde ich dich sofort in ein Paar Stiefel stecken.« Leider? Ich würde sagen: Dem Katzengott sei Dank!

Pauli legt die Kostümentwürfe auf einen Tisch, der neben der Bühne steht. »Okay, dann gebe ich am besten allen, für die ich schon etwas gemacht habe, ihren Entwurf zum Anprobieren. Ich hole in der Zwischenzeit Frau Eichstätt. Wenn ihr die Sachen angezogen habt, kommt bitte wieder zu mir, damit wir sehen, ob das schon in die richtige Richtung geht.« Schnurr! Pauli klingt so entschieden, als ob sie ihr ganzes Leben schon nichts anderes als Kostümbildnerin am Theater gewesen sei. Ich bin beeindruckt!

»Also, wenn ihr hier erst noch über die Kostüme sprecht, könnte ich doch so lange in den Werkraum gehen und mit June und Smilla weiter am Entwurf für unser Bühnenbild basteln, oder?« Tom ist tatsächlich dabei, aus Sperrholz ein Bühnenmodell für unser Theaterstück zu bauen. Er hat es mir schon einmal kurz gezeigt – sah ein bisschen aus wie das Puppenhaus, das Werner einer seiner Nichten zu Weihnachten geschenkt hat.

Frau Heinson nickt. »Ja, macht ruhig, ich hole euch, wenn es hier weitergeht.«

Gut gelaunt pfeifend zieht Tom ab, die Projektwoche scheint ihm ziemlich viel Spaß zu machen.

Wer hingegen gerade äußerst schlecht gelaunt wirkt und offenbar versucht, sich unsichtbar zu machen, ist Kira. Seltsam, dabei könnte das doch heute ihre Chance sein! Sie hat nämlich in den letzten Tagen wirklich zu Hause Emilias Text geübt. Während ich den Vorschlag von Tom zunächst für einen Scherz gehalten habe – was er mit Sicherheit auch war –, hat Kira daraus Ernst gemacht. Ich würde sagen, den Gestiefelten Kater hat sie mittlerweile drauf! Dabei hat sie sogar am Klavier die Lieder gespielt und gesungen, die im Stück der Kater maunzt. Klang gar nicht mal so schlecht. Also, für menschliche Verhältnisse.

Ich streiche Kira um die Beine und versuche, sie dadurch aufzumuntern. Funktioniert nicht. Traurig lehnt sie an dem Tisch, auf dem Pauli gerade den Haufen mit den Kostümentwürfen abgelegt hat, und reagiert nicht auf mich. Was hat sie bloß? Vielleicht sollte ich sie mal daran erinnern, dass sie ihren besten Freund dabeihat und sich also keine Sorgen über irgendetwas machen muss. Kurz bevor wir nach unserem letzten Abenteuer wieder unsere Körper zurückgetauscht haben, haben wir nämlich ein geheimes Zeichen verabredet, mit dem wir uns jederzeit gegenseitig an unsere Freundschaft erinnern können. Falls das mal nötig sein sollte. Und jetzt scheint es mir nötig. Ich nehme also Anlauf, hüpfe auf den Tisch und von dort auf ihre Schultern.

Erschrocken zuckt sie zusammen. »Hey, Winston, was soll das?« Sie fängt an, sich zu schütteln. Nix da – mich wirst du nicht so schnell los! Ich kralle mich in den Stoff ihres T-Shirts, strecke meinen Kopf neben ihren und schlecke einmal blitzschnell links und rechts ihre Ohren ab. Kira hält kurz inne, dann greift sie nach oben, pflückt mich von ihren Schultern und nimmt mich in den Arm.

»Du hast recht, Winston: Beste Freunde für immer! Finde ich lieb, dass du mich ausgerechnet jetzt daran erinnerst. Hast du gemerkt, dass ich nicht so gut drauf bin?«

Ich beginne zu schnurren.

Kira seufzt. »Ach, ich weiß auch nicht. Eigentlich fühle ich mich ja mittlerweile total wohl an meiner neuen Schule. Ich habe mit Tom und Pauli zwei richtig gute Freunde gefunden und Leonie, die Zicke, lässt mich meistens in Ruhe. Aber trotzdem … manchmal wäre ich lieber wieder in meiner alten Klasse. Da hätte jeder gewusst, dass ich wirklich gut singen kann, und ich hätte mich gar nicht groß um eine Hauptrolle bewerben müssen. Man hätte mich gefragt – ganz sicher! Aber hier: Fehlanzeige.«

Maunz! Am liebsten würde ich ihr jetzt sagen: Dann müssen die Leute dich eben kennenlernen! Aber dazu musst du ihnen auch die Gelegenheit geben und die kommt sicherlich nicht, wenn du hier weiter am Tisch klebst und Trübsal bläst. Los, geh zu Frau Heinson und sag ihr, dass du für Emilia einspringen kannst, wenn die nicht aufkreuzt!

Aber leider kann Kira meine Gedanken nicht mehr lesen und deswegen klingt mein toller Ratschlag für sie nur wie Schnurr, schnurr, schnurr, miau, miau! Grrrr, so ein Mist!

»Weißt du, ich freue mich natürlich für Pauli, dass ihr diese Kostümgeschichte so viel Spaß macht. Aber ich komme mir gerade total überflüssig vor. Ich kann nicht einmal etwas anprobieren, die Kostüme für den Chor sind noch nicht fertig. Und ich kann auch nicht sofort zu diesem blöden Fernandez rennen und ihm sagen, dass ich heimlich die Rolle des Katers geübt habe. Der hält mich doch für total irre – und die anderen halten mich für eine Streberin. Selbst Tom wäre wahrscheinlich fassungslos, wenn er wüsste, dass ich seine Quatsch-Idee in die Tat umgesetzt habe. Das kann ich hier also keinem erzählen.«

Doch, genau das sollst du aber machen, Kira! Ich strecke mich ein Stück in die Höhe, um in ihr Gesicht schauen zu können. Vielleicht kann sie es in meinen Augen lesen?

Tatsächlich zieht sie mich noch ein bisschen näher an sich heran. »Ich finde es toll, dass du so zu mir hältst. Du weißt genau, wie ich mich fühle, nicht wahr? Dir geht es doch mit den Hofkatzen nicht anders. Da möchtest du dich sicher auch ab und zu einfach auf unserem schönen Sofa zusammenrollen und von der bösen Welt da draußen nichts wissen, oder? Und das mache ich jetzt auch – ich glaube, ich verziehe mich jetzt still und heimlich in die Cafeteria und hole mir ein Brötchen. Mich vermisst hier sowieso keiner.«

Grrr, das ist ja zum Schnurrhaareausreißen! Wieso versteht das Kind mich nicht? Was soll ich denn noch machen, damit sie weiß, was ich meine? Soll ich etwa singen? Unmöglich. Kann ich nicht.

»Komm, Winston. Wir hauen ab.« Kira steht vom Tisch auf und dreht sich Richtung Ausgang. Also gut. Vielleicht kann ich doch.

»Miauiauuuuuiaauu! Maauuuuunzzz! Miaumaunz! Miiiiiauuu!« Okay, es reicht wahrscheinlich nicht für dieses Fernsehdings namens Deutschland sucht den Superstar, aber ich finde, es geht schon in die richtige Richtung. »Miiiauuuuumiiii…«

»Winston!« Kira klingt geschockt. »Was ist mir dir? Hast du Schmerzen?« Sie setzt mich ganz behutsam auf die Tischplatte und streichelt mir zärtlich über den Rücken. »Du Armer, das klingt ja furchtbar!«

Furchtbar? Frechheit! Das war eindeutig Gesang und so viel schlimmer als dieses Menschengeheul wird es auch nicht gewesen sein. Beleidigt drehe ich Kira mein Hinterteil zu. Soll sie doch sehen, wie sie hier klarkommt. Pffff!

Ich will gerade vom Tisch runterhüpfen, da greift Kira nach mir. »Hey, hiergeblieben! Was ist denn bloß los mit dir? Tut dir gar nichts weh? Aber was willst du mir dann sagen?«

Also gut. Auf ein Neues! Aber wenn sie es dann nicht kapiert, lasse ich es. Ich mache mich hier doch nicht zum Deppen!

»Maaaauuuuunzzzzmiauuuiiiiauuuuiaaaamaunzmaunz«, lege ich los und finde, diese Melodie ist mir besonders gut gelungen. Vorsichtshalber schiebe ich aber noch ein doppeltes »Miiiimiiiiiimiiiii!« hinterher.

Kira macht große Augen. »Sag mal, versuchst du etwa zu singen?«

Was heißt denn hier: versuchen? Ich singe!

Jetzt beginnt Kira zu lächeln. Sie scheint endlich zu begreifen!

»Mensch, Winston! Willst du etwa, dass ich singe? Du willst, dass ich zu Heinson und Fernandez gehe und vorsinge?«

Schnurr, schnurr, SCHNURR! Hundert Punkte!

Kira legt den Kopf schief.

»Das willst du also wirklich. Hm. Aber ich habe dir doch schon erklärt, warum ich das nicht so gut finde. Ich weiß nicht, ich denke irgendwie, dass …« FAUCH! Wieso will Kira nicht auf mich hören? Ich bin mir sicher, dass das eine tolle Chance für sie ist! Manchmal muss man sich eben trauen und – jetzt mal einfach so als Vergleich – in die Mülltonne springen. Obwohl man nicht weiß, was einen dort erwartet. Ich werfe mich in Positur und schaue Kira herausfordernd an.

Sie seufzt. »Also gut. Wenn Emilia noch nicht da ist, sobald die anderen mit dem Anprobieren fertig sind, dann sage ich Frau Heinson, dass ich einspringen könnte.«

Gutes Mädchen, braves Kind!

Herr Fernandez klatscht in die Hände. »Kinder, kommt mal alle nach vorn zur Bühne! Wir haben gerade Emilias Eltern erreicht. Genauer gesagt hat Herr Salemke, unser Pianist, mit ihnen telefoniert.«

Der junge, dünne Mann, der eben noch am Klavier gelehnt hat, räuspert sich und stellt sich gerade hin. »Ja, Emilia ist leider tatsächlich krank und kommt heute nicht. Schade, gestern war sie noch putzmunter und wir haben auch schon ein paar Lieder gemeinsam einstudiert.«

Aha! Das muss also der Klavierlehrer von Emilia sein, von dem schon die Rede war. Klar, jetzt fällt mir auch wieder ein, dass er in den letzten Tagen hier öfter dabei war. Er hat den Chor und die Kinder begleitet, wenn Frau Heinson einzelne Lieder für das Stück geübt hat.

Fernandez guckt betrübt und seufzt. »So ein Mist! Aber wir beginnen trotzdem mit der Leseprobe und ich werde ihre Rolle von hier unten einlesen. Singen kann ich natürlich nicht. Das ist jetzt zwar doof, aber eine andere Möglichkeit gibt es wohl nicht. Alle anderen begeben sich bitte auf die besprochenen Positionen. Leonie, du kommst zu mir. Es ist wichtig, dass die Regie alles gut im Blick hat.«

Allgemeines Gewusel, die Kinder verteilen sich auf der Bühne oder im Hintergrund. Pauli steckt noch ein paar Kostümentwürfe ab, Tom, der mittlerweile wieder da ist, geht zum Technikpult, mit dem das Licht bedient wird. Nur Kira rührt sich immer noch nicht vom Fleck. Ich streiche an ihren Beinen vorbei – und fahre dabei einmal kurz mit meinen Krallen über ihr linkes Hosenbein.

»Aua, Winston! Ist ja gut – ich mach ja schon!«

Jetzt hebt Kira zögerlich die Hand. Fernandez schaut zu ihr hinüber und nickt ihr freundlich zu. »Ja, bitte?«

»Ich könnte Emilia erst mal vertreten. Ich … äh … ich habe die Rolle auch ein bisschen gelernt.«

Erstaunt zieht Fernandez die Augenbrauen nach oben. »Oh, hast du?«

Kira scheint ganz heiß zu werden, jedenfalls strahlt sie auf einmal eine ungewöhnliche Wärme aus.

»Ja«, stottert sie, »ich, äh, habe mich doch auch für die Rolle interessiert und da habe ich ein wenig geübt. So aus Spaß … äh …« Es wird immer wärmer neben Kira. Ich bekomme spontan ein sehr schlechtes Gewissen. Offenbar ist ihr die Sache furchtbar unangenehm und ich Trottel habe sie dazu gezwungen!

Leonie beginnt zu kichern. »Du hast ihre Rolle gelernt? Wie peinlich ist das denn? Ist dir etwa langweilig? Ich habe dir doch gesagt, dass du die Rolle nicht kriegst!« Auch ein paar andere Kinder fangen an zu lachen.

Ich verfluche mich für meine saublöde Idee – ich sollte mich aus diesem Menschenkrams in Zukunft einfach raushalten!

»Ich verstehe eure Heiterkeit nicht ganz«, wendet sich Fernandez jetzt an die Kinder. »Bei großen Produktionen ist ein sogenannter Understudy völlig üblich.«

»Understudy?«, echoen die Kinder.

»Ja, Understudy. Die zweite Besetzung. Richtige Musicals sind meist sehr aufwendig und teuer. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn man dann eine Vorstellung wegen Krankheit eines Hauptdarstellers absagen müsste. Also gibt es den Understudy, der die Rolle auch spielen kann und notfalls einspringt. Sehr bekannte Schauspieler und Sänger haben so angefangen. Shirley MacLaine zum Beispiel. Sie ist eine berühmte amerikanische Schauspielerin, hat sogar schon mal den Oscar gewonnen. Jedenfalls hat sie ihre Karriere der Tatsache zu verdanken, dass sie als Understudy für eine bekannte Schauspielerin eingesprungen ist und dabei entdeckt wurde. Also, Kira MacLaine – rauf auf die Bühne mit dir!«

Leonie guckt Kira sehr böse an, sagt aber nichts mehr. Herr Salemke setzt sich ans Klavier und stimmt die Takte des ersten Liedes vom »Gestiefelten Kater« an. Kira zögert kurz – aber dann legt sie los, als habe sie nie etwas anderes getan. Ihre Stimme ist klar und voll – und tut mir auf einmal auch nicht mehr in den Ohren weh. Wie durch ein Wunder verwandelt sich die eher nüchterne Atmosphäre der Schulaula in ein echtes Theater. Wahnsinn! Meine Kira hat es wirklich drauf.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie erstaunt die anderen Kinder gucken. Die beiden Mädchen direkt neben mir stecken die Köpfe zusammen und beginnen zu flüstern.

»Wow, die singt ja richtig toll!«

Das andere Mädchen nickt. »Ja, vielleicht sollten wir froh sein, wenn Emilia länger krank ist.«

Nett ist das nicht – aber die beiden haben vollkommen recht! Ich vermisse Emilia jedenfalls nicht. Jetzt muss nur noch die fiese Leonie ausfallen. Die Regie übernehme ich dann. Menschen rumscheuchen – das liegt mir als Kater bestimmt!

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