Warum Katzen keine Erziehung brauchen. Und Agenten kein Spaghettieis.


»Kater ist noch jung?« So, wie Babuschka Kater ausspricht, klingt es eher wie Katerrrrr mit ziemlich vielen Rs am Ende. Sie beäugt mich misstrauisch und ich habe das Gefühl, dass sie mit der Frage nach meinem Alter irgendetwas Unfreundliches sagen will. Pöh! Da stehe ich doch drüber. Oder besser: liege ich drüber. Ich habe mich nämlich unter dem Esstisch zusammengerollt, an dem sich nun endlich – endlich! – alle versammelt haben. Werner räuspert sich.

»Na ja, was heißt schon jung? Mitteljung, würde ich sagen. Kein Kätzchen mehr, aber auch noch nicht alt.«

»Dann hat Erziehung noch Sinn. Vielleicht sollte ich mich um Erziehung kümmern. Kann ich sehr gut. Habe ich schon viele Hunde erzogen.«

FAUCH! Hunde? Heilige Ölsardine – diese Frau vergleicht ernsthaft Hunde mit Katzen? Und was heißt hier überhaupt Erziehung? Ich bin doch kein Menschenkind. Ich bin eine Katze. Verstanden? Eine K-A-T-Z-E. Man kann mich lieben, man kann mich doof finden, aber man kann mich nicht erziehen. Das wäre ja auch noch schöner, wenn mir ein Mensch beibringen wollte, wie ich mich zu benehmen habe. Maunz! Das ist eben der Unterschied zum Hund: Ich bin eine eigenständige Persönlichkeit, da gibt’s nichts zu erziehen. Los, Werner! Sag’s ihr!

»Ähem, ja, Frau Kovalenko, das ist wirklich ein sehr nettes Angebot von Ihnen. Da komm ich gern mal drauf zurück. Ein bisschen bessere Manieren könnten Winston nicht schaden.«

»Warum heißt Winston?« Babuschka klingt so, als dürften Katzen ihrer Meinung nach nur Miezi oder Blacky heißen.

»Nun ja – Winston ist ein sehr edler Rassekater, und zwar Britisch Kurzhaar. Deshalb Winston. Winston Churchill. Wie der britische Premierminister.«

»Aha.« Babuschka sagt nichts mehr dazu, aber allein diesem kleinen Aha kann man deutlich entnehmen, dass sie diesen Namen für einen Kerl wie mich reichlich überkandidelt findet. Maunz! Langsam verstehe ich, warum Anna ihre Mutter einfach in Russland hat sitzen lassen.

»Mama, kann ich mich nach dem Essen mit Tom und Pauli treffen? Wir müssen noch etwas Wichtiges für die Schule erledigen.« Kira klingt zuckersüß. Kaum zu glauben, dass sie ihrer Mutter vor einer halben Stunde noch die Pest an den Hals gewünscht hat. Dann folgte allerdings eine filmreife Versöhnung der beiden mit Umarmung, Aussprache und allem Pipapo, während Werner in der Küche den Gefrierschrank nach einer brauchbaren Alternative zu den nicht mehr vorhandenen Pelmeni durchforstete. Und so sind jetzt alle wieder glücklich vereint und essen Fischstäbchen mit Ketchup. Also, fast alle sind glücklich. Bei Babuschka bin ich mir da nicht so sicher. Wenn die Dame Katzen gerne wie Hunde dressieren würde, ist sie sicher auch der Meinung, dass man Mädchen wie Kira ruhig mal zwei Tage bei Wasser und Brot einsperren sollte.

»Mit Tom und Pauli treffen? Darfst du, Schatz. Grüß die beiden von mir!«

Hällochen, Popöchen! Auch Anna klingt ganz kuschelig. Man kann über meinen Werner sagen, was man will – aber als Parlamentär – oder wie das heißt – ist er einfach Eins-a-Spitzenklasse! Die Versöhnung zwischen Anna und Kira hat er super hinbekommen. Ich wette, der kriegt auch eine harte Nuss wie Babuschka weichgespült.

»Hi, Kira!«, begrüßt uns Tom wenig später in der Eisdiele. »Das ist ja toll, dass wir uns jetzt doch hier treffen können. Pauli ist auch gleich da. Ich besorg schon mal Spaghettieis für alle und für Winston einmal Geschmacksrichtung Hering, oder?«

Kira schüttelt den Kopf. »Nee, bleib mal hier. Ich muss dir unbedingt den Brief zeigen, die Lage ist verdammt ernst!«

»So ernst, dass nicht mal Zeit für ein Spaghettieis ist?« Tom grinst. Mir scheint, er glaubt nicht recht an die Entführung. Oder ist er am Ende gar froh, dass jemand Emilia entführt hat? Immerhin gehört sie zu Leonies Ziegenclub. So richtig vermissen würde er sie vermutlich nicht. Ich kann ihn verstehen! Und die Idee mit dem Heringeis für mich ist natürlich Weltklasse!

»Jetzt hör mal auf mit den Witzen und deinem blöden Spaghettieis! Ich glaube, Emilia ist wirklich entführt worden, und auch wenn sie eine doofe Kuh ist, muss man ihr doch trotzdem helfen, oder? Schon allein, weil es wichtig ist, das Richtige zu tun.«

Das Richtige tun? Hey, das habe ich doch schon mal gehört! Odette hat es gesagt, als ich Karamell erst nicht helfen wollte. Offenbar sind sich Kira und Odette in gewisser Weise sehr ähnlich – kein Wunder, dass ich beide so gern mag.

Kira zieht den Erpresserbrief aus ihrer Tasche, legt ihn auf den kleinen Tisch zwischen sich und Tom und streicht ihn glatt. »Hier. Den hat Winston aus Emilias Haus rausgeschmuggelt.«

Tom liest kurz, dann pfeift er. »Mannomann! Ist ja echt krass! Klar, ich mag Emilia nicht, aber das ist natürlich trotzdem schlimm! Jetzt will ich auch kein Spaghettieis mehr.«

»Was ist schlimm?« Pauli ist angekommen und setzt sich zu Kira und Tom.

Tom deutet auf den Brief. »Lies selbst!«

Pauli nimmt den Zettel und überfliegt ihn. »Alter Verwalter! Ist der Brief echt?«

Kira nickt. »Ich glaube schon. Winston hat ihn aus der Villa mitgebracht. Natürlich weiß ich nicht genau, wo er ihn da gefunden hat. Aber findet ihr nicht auch, dass das alles erklären würde? Emilias plötzliches Fehlen bei der Probe? Das seltsame Verhalten ihrer Mutter?«

»Hm«, Pauli legt den Kopf schief, »du hast recht: Das würde so einiges erklären. Aber: Was haben wir damit zu tun? Wenn ein Kind entführt wird, kümmert sich doch die Polizei darum. Das sind Profis, lass die mal machen!«

»Hast du das denn nicht gelesen?« Kira nimmt Pauli den Zettel aus der Hand und wedelt aufgeregt damit hin und her. »Hier steht doch: Keine Polizei! Sonst kommt Emilia nie wieder!«

»Ach, Quatsch.« Pauli lacht. »Das schreiben die doch immer. Das ist gewissermaßen ein Standard-Erpresserbrief. Mach dir keine Sorgen um Emilia. Es ist bestimmt so, wie wir schon mal gesagt haben: Unkraut vergeht nicht. Den Rest macht die Polizei.«

Tom räuspert sich. »Also, ich weiß nicht. Ich finde: Keine Polizei. Das war meine Bedingung – aber Ihr habt Euch nicht daran gehalten. Ich habe die Bullen gesehen. Schluss damit!, klingt überhaupt nicht nach einem Erpresser-Standardbrief. Sondern so, als hätte die Polizei schon nach Emilia gesucht und der Erpresser hätte es gemerkt.«

»Das sind doch bloß Vermutungen. Genauso wie der ganze Zettel. Ist ja schön, dass Winston den angeschleppt hat. Aber ob der wirklich echt ist? Wer weiß, wo er den herhat.«

»Na, habe ich doch gesagt«, erklärt Kira, »aus Emilias Haus.«

Pauli zuckt mit den Schultern. »Wie kannst du da so sicher sein?«

»Winston hat es mir gesagt. Ähm, also, so in der Art jedenfalls.«

Pauli grinst. »So was in der Art. Nee, schon klar.« Sie fängt an zu kichern. Seltsam, ich wüsste eigentlich nicht, was daran so lustig wäre!

»Wenn Winston eine ganz normale Katze wäre, würde ich jetzt auch lachen«, mischt sich Tom ein, »aber wir wissen ja, dass es nicht so ist.« Stimmt. Tom und Pauli haben die gesamte Körpertausch-Aktion ja hautnah miterlebt. Ohne die beiden hätte der Rücktausch gar nicht geklappt. Pauli müsste also in der Tat wissen, was für ein besonderer Kater ich bin. Und dass ich auch einen ganz besonderen Draht zu Kira habe!

Pauli seufzt und lenkt ein. »Klar, weiß ich ja. Trotzdem: Eine Entführung ist ein echtes Verbrechen. Dagegen war der Zigarettenschmuggel von Vadim direkt harmlos. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, sich da einzumischen.«

»Ich hab’s!«, ruft Kira. Die Freunde mustern sie interessiert. »Wir gehen mit dem Brief zu Emilias Eltern und fragen sie nach der Entführung. Die können uns doch sagen, was die Polizei schon gemacht hat und wie wir vielleicht helfen könnten.«

Tom zieht die Augenbrauen zusammen. »Emilias Eltern fragen? Die werfen uns doch achtkantig aus dem Haus, wenn wir da als Hobbydetektive ankommen. Meiner Erfahrung nach lassen sich Erwachsene von Kindern ungern helfen, wenn es ernst wird.«

»Normalerweise bestimmt – aber ihr habt doch gesehen, wie fertig Emilias Mutter aussah. Und die Polizei hat es offenbar bis jetzt nicht geregelt bekommen. Vielleicht sind Emilias Eltern also froh, wenn wir unsere Hilfe anbieten.«

Stimmt. Was Kira da sagt, klingt gar nicht so abwegig.

Pauli seufzt. »Na gut. Einen Versuch ist es wert. Und wenn der Erpresserbrief echt ist, müssen wir ihn sowieso schleunigst zurückbringen. Dann vermisst ihn die Polizei bestimmt schon. So von wegen kriminaltechnischer Untersuchung und so.«

Kriminaltechnische Untersuchung? Was soll das nun wieder sein? Ich fand meine Idee, das Ding mitzunehmen, super! Die Polizei hatte ihn ja schon gelesen, die braucht ihn doch gar nicht mehr!

Kira lächelt. »Dann sind wir uns also einig: Wir werden wieder zu Agenten! Schlagt ein!« Sie hält ihre rechte Hand über den Tisch, Tom und Pauli legen ihre Hände drüber.

»Genau! Ab sofort sind wir wieder die drei Agenten!«, ruft Pauli.

Alles schön und gut – aber wieso drei? Können die nicht zählen? Ich maunze empört.

»Oh, entschuldige, Winston«, meint Tom. »Es muss natürlich heißen: vier Agenten!«

Schon VIEL besser! Jetzt muss ich meinen Menschenfreunden nur noch irgendwie beibringen, dass nicht nur Agent Winston mit von der Partie ist, sondern auch die vier Muskeltiere. Aber das kriege ich auch noch irgendwie hin.

Загрузка...