Das Geheimnis erfolgreicher Agenten?


Keine Ahnung. Wüsste ich auch gern.


Mit dem achtkantig hinauswerfen lag Tom gar nicht so falsch. Nur dass wir momentan gar nicht erst reingelassen werden, weil uns Emilias Eltern zweifelsohne für völlig verrückt halten. Insofern erübrigt sich das mit dem Rauswurf auf natürliche Art und Weise.

Außerdem stimmt die Einschätzung, dass sich Erwachsene nicht gern von Kindern helfen lassen, völlig.

Als wir klingeln, öffnet der Mann, der wohl Emilias Vater sein muss. Jedenfalls taucht direkt neben ihm Emilias Mutter auf und er legt seinen Arm um ihre Schulter, ganz so, als wolle er sie beschützen. Fragt sich nur, vor wem. Denn vor der Tür stehen drei Kinder und eine Katze. Sieht mit Sicherheit nicht besonders gefährlich aus. Trotzdem guckt uns Herr Stetten sehr böse an.

»Ja, bitte?«

»Ähm, wir sind Freunde von Emilia und wir haben eine Frage. Weil sie doch gestern nicht zur Schule gekommen ist und da …«

Weiter kommt Kira nicht, denn der Mann unterbricht sie unfreundlich. »Was geht euch das an? Emilia ist krank und in der Schule entschuldigt.«

Seine Frau mischt sich ein. »Und ihr wart doch gestern schon hier. Was wollt ihr denn noch?«

»Also«, meldet sich Tom jetzt zu Wort und seine Stimme klingt entschlossen, »wir haben gestern auf dem Bürgersteig vor Ihrem Haus noch etwas gefunden, das bestimmt Ihnen gehört, und wollten es zurückbringen.« Diese Geschichte hatten sich Kira, Tom und Pauli vorher ausgedacht, um zu erklären, wie sie überhaupt an den Brief gekommen sind. Hier etwas von Katern zu erzählen, die lesen können und Briefe transportieren, hielten sie für keine gute Idee.

Tom gibt Emilias Vater den Zettel, der mittlerweile nicht mehr ganz so taufrisch aussieht. Gut lesen kann man ihn allerdings noch, was Herr Stetten jetzt auch tut. Er hat ihn noch nicht ganz überflogen, da dreht er sich auch schon wieder zu Tom, holt kurz Luft und: brüllt uns an! Und zwar richtig laut!

»WOHER habt ihr das? Wie kommt ihr an diesen Brief?«

Tom macht vor Schreck einen Schritt rückwärts und tritt mir dabei auf die Pfoten. FAUCH! Pass doch auf!

»Äh«, stammelt Tom dann, »äh … ich sag doch – er lag auf der Straße. Wir haben Emilia gestern ihre Hausaufgaben vorbeigebracht und da haben wir den Zettel gefunden … äh …«

»Ach, habt ihr?« Herr Stetten schreit zwar nicht mehr, aber er klingt immer noch sehr aufgebracht. »Und warum habt ihr ihn denn nicht gleich bei uns abgegeben?«

»Weil«, antwortet Kira anstelle von Tom, »wir nicht gleich gesehen haben, worum es in dem Brief überhaupt geht. Wir dachten, es ist etwas, das Emilia gebastelt hat. Wir wollten nicht noch einmal stören und dachten, wir geben ihn ihr einfach mit den nächsten Hausaufgaben zurück.«

»Dachtet ihr«, echot der Mann böse. Was hat der denn bloß? »Soll ich dir mal sagen, warum ich weiß, dass du lügst?«, fragt er Kira dann.

Die reißt die Augen auf. »Aber ich lüge nicht! Wie kommen Sie darauf?«

»Ganz einfach: Weil wir den Brief erst heute früh bekommen haben. Ihr könnt ihn gestern also noch gar nicht gefunden haben.«

»Ups«, sagt Kira. Dann sagt sie nichts mehr und Tom und Pauli werfen sich erstaunte Blicke zu. Klar, die dachten ja auch, dass ich den Zettel gestern mitgeschleppt hätte. Von meinem heutigen Ausflug wissen die Kinder schließlich nichts. Mist! Da habe ich uns aber aus Versehen richtig in die Pfanne gehauen! Wie kommen wir aus der Nummer bloß wieder raus?

»Wenn ihr den Brief also tatsächlich gefunden habt, dann müsst ihr heute noch mal da gewesen sein«, schnaubt Emilias Vater. »Und da frage ich mich natürlich: Warum? Ihr wart gestern da, ihr kommt heute noch einmal, ihr beobachtet unser Haus ganz genau – denn sonst würdet ihr kaum bemerken, ob hier mal ein Blatt Papier rumfliegt oder nicht. Warum?« Er schnappt jetzt regelrecht nach Luft. »Wenn ihr dafür nicht eine sehr gute Erklärung habt, werde ich jetzt sofort die Polizei rufen! Wahrscheinlich steckt ihr doch mit diesem Entführer unter einer Decke!«

Heilige Ölsardine! Ich merke, wie meine Schwanzspitze beginnt zu jucken UND meine Schnurrhaare sich kräuseln – jetzt stecken wir aber richtig in der Klemme! Und derjenige, der den ganzen Schlamassel aufklären könnte, also ich, kann dummerweise nicht mit Menschen sprechen. Ich bin eigentlich sehr, sehr froh, dass ich nach unserem letzten Abenteuer wieder in meinem Katzenkörper gelandet bin, aber in diesem Moment ertappe ich mich bei dem Gedanke, dass es gerade jetzt ziemlich praktisch wäre, wieder Kira zu sein.

Ob wir gleich alle ins Gefängnis kommen? Oder die Kinder ins Gefängnis und ich ins Tierheim? Für einen ganz kurzen Augenblick überlege ich, einfach abzuhauen. Emilia ist schließlich nicht meine Freundin. Genau genommen ist sie auch nicht Kiras Freundin. Andererseits: Ich kann mein Mädchen doch nicht einfach allein in der Patsche sitzen lassen. Das sähe einem Muskeltier überhaupt nicht ähnlich – und einem Winston Churchill erst recht nicht. Ich verwerfe meine feigen Fluchtgedanken also wieder und versuche stattdessen, niedlich zu gucken. Vielleicht ist Emilias Vater ein Tierfreund und das besänftigt ihn ein bisschen.

Ist er wohl eher nicht. Meinen unglaublich süßen Augenaufschlag erwidert Herr Stetten jedenfalls mit einem weiteren bösen Blick und brummt immer noch sehr grummelig: »Also, was ist nun? Bekomme ich eine Antwort oder muss ich die Polizei rufen?«

Kira räuspert sich. Ah, das ist mein Mädchen! Immer mutig und nie um eine Antwort verlegen. Die Frage ist nur: Wie will sie das erklären?

»Tut mir leid, Herr Stetten. Sie haben recht – unsere Geschichte stimmt so nicht ganz. Sie ist aber auch nicht ganz falsch. Wir haben den Zettel wirklich gefunden – aber nicht vor Ihrem Haus. Mein Kater Winston kam mit dem Brief im Maul an. Deswegen kann ich auch nicht genau sagen, wann und woher er ihn hat. Ich hatte nur vermutet, dass er ihn gestern mitgenommen hat. Es war mir aber peinlich zuzugeben, dass mein Kater etwas bei Ihnen hat mitgehen lassen. Deshalb die Geschichte mit dem Bürgersteig.«

Herr Stetten starrt mich an, sagt aber nichts. Allerdings wechselt sein Blick von böse zu sehr böse. Okay: Hallo, Tierheim, wärmt schon mal ein schönes Plätzchen für mich vor. Ich komme gleich!

Kira schluckt, dann redet sie weiter. »Winston ist mir heute Morgen abgehauen.« Bitte? So stimmt das gar nicht! Ich hatte einfach ein anderes Ziel als Kira, aber mit Abhauen hatte das nun wirklich nichts zu tun. »Ich weiß nicht, wo er hingelaufen ist, aber vielleicht war er tatsächlich noch einmal hier. Und dabei muss er den Brief gefunden haben.«

Schnaubt Herr Stetten oder lacht er? Schwer zu sagen, es ist auf alle Fälle ein unschönes Geräusch. »Ach, dein Kater kommt noch einmal hierher, findet den Erpresserbrief und bringt ihn dir. Und das soll ich glauben?« Sein Gesichtsausdruck verrät, dass er weit davon entfernt ist, das zu tun. Manchmal fällt es mir als Kater schwer, im Gesicht eines Menschen zu lesen, aber hier ist es eindeutig: Herr Stetten hält uns für Lügner. Kira lässt trotzdem nicht locker.

»Aber gucken Sie sich doch mal den Brief an: Dann werden Sie sehen, dass er ein bisschen angenagt aussieht. Von ziemlich spitzen Zähnen. Das war Winston. Ich kann es mir ja auch nicht genau erklären, aber irgendwie ist er an den Brief gekommen. Das ist wirklich die Wahrheit!«

Jetzt mischt sich Emilias Mutter ein.

»Klaus, vielleicht stimmt es ja, was die Kinder sagen. Du weißt doch, dass ich heute Vormittag das Gefühl hatte, jemand sei im Haus. Ich hatte ein Geräusch gehört. Du hast das auf meine angespannten Nerven geschoben, aber vielleicht war es tatsächlich der Kater.«

»Also wirklich, Anja – das ist doch totaler Unsinn!« Emilias Vater schüttelt den Kopf.

Seine Frau zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht – mein Gefühl sagt mir, dass diese Kinder nicht lügen. Warum sollten sie? Ich glaube, sie wollen uns wirklich nur helfen – jedenfalls solltest du nicht die Polizei rufen.«

Genau! Die Frau hat völlig recht! Keine Polizei! Herr Stetten seufzt.

»Na gut. Mach ich nicht. War auch mehr so dahingesagt, meine Nerven sind eben zum Zerreißen gespannt.«

Kira wendet sich an Frau Stetten.

»Danke für Ihr Vertrauen! Und es stimmt: Wir wollen Ihnen helfen. Vielleicht können wir irgendetwas tun, was die Polizei nicht kann. Immerhin schreibt der Erpresser doch eindeutig: keine Polizei!«

Frau Stetten nickt. »Ja, danke! Das ist vielleicht eine gute Idee. Ich denke …«

Bevor sie noch sagen kann, was sie denkt, wird sie von einem bitteren Lachen ihres Mannes unterbrochen.

»Nichts für ungut, Anja, aber wie sollen diese Kinder uns helfen? Die Lage ist viel zu ernst, um sich hier mit drei Kindern und einem Kater an den Tisch zu setzen.« Er guckt noch einmal kurz auf den Erpresserbrief, faltet ihn dann. »Den hier gebe ich gleich der Polizei, der wird nämlich schon verzweifelt gesucht. Und euch«, er guckt Kira, Tom und Pauli direkt an, »bitte ich zu gehen. Bitte lasst die Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen. Die werden es schon so anstellen, dass der Entführer sie nicht noch einmal bemerkt. Und vor allem: Zu keinem Menschen ein Wort über diese Entführung! Sonst bringt ihr Emilia in noch größere Gefahr!«

Die Kinder beeilen sich zu nicken. Alle murmeln sie etwas wie »Natürlich, wir halten dicht« oder »Das ist doch selbstverständlich«. Dann schließt Herr Stetten wieder die Tür und wir zockeln davon.

Okay, fassen wir mal unser erstes Ermittlungsergebnis zusammen: Wir sind nicht im Knast gelandet. Aber »rasend erfolgreiche Agenten« geht wahrscheinlich trotzdem irgendwie anders.

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