Ich weiß nicht, warum ich immer dachte, Verbrecher seien dumm.


Es stimmt nämlich leider nicht.


Die ganze Fahrt über mache ich mir Gedanken, was Entführer wohl mit Katzen anstellen, die sie auf dem Rücksitz ihres Autos unter einer karierten Wolldecke finden. Da die Fahrt aber erstaunlich kurz ist, komme ich diesbezüglich zu keinem eindeutigen Ergebnis. Auf alle Fälle aber wird es böse enden – da bin ich mir sehr sicher!

Das Auto ruckelt etwas und scheint einen Hügel hinunterzufahren, dann hält es an. Um uns herum ist es stockfinster. Und das liegt nicht nur an der Decke.

»Meinst du, wir sind schon da?«, flüstert Odette, die neben mir hockt. »Wir sind doch gerade erst losgefahren.«

»Keine Ahnung! Wie du weißt, sitze ich zum ersten Mal in diesem Auto.« Maunz! Ich glaube, das klang ziemlich unfreundlich.

»Hey, bist du sauer auf mich?«, kommt es prompt zurück.

Ich überlege kurz. Bin ich sauer? »Nein, sauer bin ich nicht. Ich habe nur richtiges Muffensausen und wundere mich, dass du so wahnsinnig gelassen bleibst.«

Odette kichert. »Das ist jetzt wirklich lustig! Und weißt du auch, warum?«

»Überhaupt nicht. Ich kann hier gar nichts Lustiges erkennen.«

»Na – ich bin so ruhig, weil du bei mir bist. In deiner Gegenwart habe ich das Gefühl, dass mir nichts passieren kann. Du bist mein Held, weil du so entschlossen nach Emilia suchst. Und wie du mir gestern geholfen hast – total mutig. Ob du es glaubst oder nicht: Ich habe sogar vorher schon einmal davon geträumt, wie du mich rettest. Ich wusste also einfach, dass ich mich an deiner Seite sicher fühlen kann. Und jetzt sagst ausgerechnet du, dass du Angst hast. Das ist komisch, oder?«

Unter normalen Umständen würde ich jetzt laut jubeln – schließlich hat Odette gerade gesagt, dass ich ihr Held bin. Und dass sie tatsächlich den gleichen Traum hatte wie ich. Zwischen uns muss es also ein ganz besonderes Band geben. Aber die Umstände sind leider nicht normal, und bevor ich noch erwidern kann, dass ich von außen deutlich mutiger aussehe, als ich von innen bin, fängt Schmidt an zu telefonieren.

»Hallo, hören Sie mich?«, sagt er. »Ja, ich stehe jetzt in der Tiefgarage. Sie können runterkommen.«

Ach, deswegen ist es mit einem Mal so dunkel geworden: Das Auto steht in einer Garage. Ich kenne mich damit zwar nicht wahnsinnig gut aus, aber in den Krimis, die Werner und ich so gern im Fernsehen angucken, kommen häufiger mal Garagen vor. In denen ist es meist auch sehr dunkel UND es finden dort sehr häufig Verbrechen statt, schluck! Unwillkürlich rutsche ich ein Stück näher an Odette heran, sie kuschelt sich daraufhin ganz eng an meine Flanke. Schnurrrrr, das fühlt sich nicht schlecht an. Vielleicht kann ich mich mit dem »Held sein« doch anfreunden. Mutiger als Karamell bin ich allemal. Was natürlich kein Kunststück ist.

Das Licht in der Garage scheint anzugehen, jedenfalls wird es unter der Wolldecke heller. Mit einem Klack öffnet Schmidt die Wagentür, es rumpelt kurz, er ist wohl ausgestiegen. Vorsichtig luge ich unter der Decke hervor – was in aller Welt macht Schmidt hier? Und mit wem hat er telefoniert? Vielleicht mit einem Komplizen, der ihm nun Emilia bringt? Schritte nähern sich, aber noch kann ich niemanden erkennen.

»Hallo, Herr Schmidt!« Ein anderer Mann bleibt neben dem Auto stehen. »Danke, dass Sie den Wagen extra vorbeibringen. Ich wäre ja die paar Meter normalerweise einfach zu Fuß gegangen und hätte ihn abgeholt, aber mit dieser blöden Fußverletzung … jeder Schritt tut mir momentan weh!«

»Keine Ursache. Hab ich doch gern gemacht. Er war allerdings überhaupt nicht besonders dreckig, ich habe mich ein bisschen gewundert.«

»Ja, Sie haben recht – aber wissen Sie, meine Mutter reagiert sehr empfindlich auf Tierhaare und ich habe vor Kurzem einen Hund mitgenommen. Ich will doch nicht, dass sie auf der nächsten Fahrt in Atemnot gerät.«

»Keine Sorge. Ich habe ihn ganz gründlich ausgesaugt.«

Hä? Hundehaare? Mutter? Atemnot? Wovon reden die? Und apropos reden: Irgendwie kommt mir die Stimme des anderen Mannes bekannt vor. Die habe ich schon einmal gehört. Bloß: Wo?

»Odette«, flüstere ich, »kennst du die Stimme?«

»Nein, warum?«

»Sie kommt mir so bekannt vor.«

»Mir nicht. Ich wundere mich nur, dass der Typ etwas von einem Hund erzählt. Es riecht nämlich überhaupt nicht nach Hund. Und glaube mir – so gut kann man ein Auto gar nicht saugen, dass ich das nicht riechen würde! Vor Hunden habe ich richtig Angst – ich erkenne sofort, wenn einer in der Nähe war. Und ich sage dir eins: Hier war keiner.«

Hm. Odette hat recht. Normalerweise stinken Hunde ziemlich penetrant und man riecht sie auch noch, wenn sie längst das Weite gesucht haben. Ob ein Staubsauger das so einfach ändern kann, wage ich auch zu bezweifeln. Eins ist klar: Der Mann lügt Schmidt an. Aber warum nur?

»Und wo Sie gerade da sind, Herr Schmidt, habe ich noch eine Bitte«, fährt der Mann fort, »eine Freundin von mir möchte ihr Auto verkaufen. Ich habe Sie als den richtigen Mann empfohlen, um die Karre ordentlich aufzumöbeln. Sie wissen ja – ein gepflegter Gesamteindruck macht bestimmt ein paar Hundert Euro plus beim Preis aus. Noch dazu Ihr Neuwagenduft im Auto – und fertig ist der Käufertraum!«

Die beiden Männer lachen. Und ich verstehe nur noch Bahnhof. Wir sitzen im wahrsten Sinne des Wortes auf zwei Millionen Euro Lösegeld und die Typen unterhalten sich über die Frage, wie man einen Gebrauchtwagen am besten los wird? Unglaublich!

»Tja, ich tue, was ich kann«, sagt Schmidt.

»Nicht so bescheiden! Sie sind ein wahrer Meister der Autoreinigung!«, lobt ihn der andere Mann. »Der Wagen meiner Freundin kann es wirklich vertragen. Und das Lustigste ist, dass er genauso aussieht wie mein eigenes Auto: Auch ein blauer Golf. Können Sie den bitte gleich mitnehmen?«

»Klar, kein Problem, ich muss ja sowieso zurück zum Schrottplatz. Wo steht denn das Schätzchen?«, will Schmidt nun wissen.

»Gleich da drüben. Kommen Sie!«

Schätzchen? Meint er damit das Auto? Oder vielleicht doch Emilia?! Ich nehme all meinen Mut zusammen und setze mich so auf, dass ich richtig aus dem Fenster gucken kann. Die beiden Männer stehen jetzt vor einem anderen Auto, und als sich der Kerl neben Herrn Schmidt zu uns umdreht und noch mal zu unserem Wagen kommt, erkenne ich ihn sofort: Es ist Herr Salemke, der Klavierlehrer! Emilias Klavierlehrer!

Mit einem Mal wird mir alles klar: Wir verfolgen die ganze Zeit den Falschen! Herr Schmidt ist nicht der Entführer. Ja, er ahnt vermutlich gar nicht, dass er da in ein Verbrechen hineingeraten ist. Er hat Herrn Salemke anscheinend ganz ahnungslos den Wagen vorbeigebracht – und somit gleichzeitig das Lösegeld. Deswegen hat Frau Stetten die Tüte auch so umständlich unter dem Vordersitz versteckt: Damit Schmidt sie erst gar nicht sieht. Noch dazu lange bevor die Lösegeldübergabe eigentlich stattfinden sollte. Das waren mit Sicherheit neue Anweisungen von Salemke, von denen die Polizei nichts weiß. Und nun wird Schmidt ebenso ahnungslos das nächste blaue Auto mit auf den Schrottplatz nehmen – und die Polizei wird den falschen Wagen beobachten, während Salemke mit dem Lösegeld schon über alle Berge ist! Ja, so oder so ähnlich muss es sein! Heilige Ölsardine! Was für ein bösartiger, aber genialer Plan!

Auch Odette kommt unter der Decke hervor. »Winston, was ist denn? Kennst du den Mann tatsächlich?«

»Ja, es ist Emilias Klavierlehrer, Herr Salemke. Ich habe ihn in der Schule schon mal gesehen, weil er dort hilft, das Musical einzustudieren.«

»Echt? So ein Zufall! Dass gerade der Herrn Schmidt kennt.«

»Nein«, widerspreche ich, »ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Ich glaube, in Wirklichkeit ist Salemke der Entführer. Und er hat Schmidt dazu gebracht, dass der ihm ganz ahnungslos das Lösegeld vorbeibringt.«

»Hm, das verstehe ich nicht. Wie kommst du darauf? Die Briefe rochen doch alle nach diesem Schmidt.«

»Tja, wie das kommt, weiß ich auch noch nicht so genau, aber auch dafür wird es eine logische Erklärung geben. Den Rest erzähle ich dir später in Ruhe, Odette. Jetzt müssen wir erst mal überlegen, wie wir aus der Nummer wieder rauskommen. Denn Schmidt wird gleich mit dem anderen Auto da drüben wieder zum Schrottplatz fahren und dann stecken wir hier allein mit einem Verbrecher in der Tiefgarage. Also, was sollten wir jetzt tun …?«

In diesem Moment wird die hintere Wagentür aufgerissen. Ich bin so verdattert, dass ich gar nicht mehr dazu komme, mich wieder unter der Wolldecke zu verstecken. Stattdessen finde ich mich auf einmal Auge in Auge mit Salemke wieder. Verdammtes Katzenklo – das ist nicht gut!

»Schmidt!«, ruft Salemke völlig überrascht. »Haben Sie zwei Katzen mitgebracht?«

»Zwei Katzen? Nee, wieso?« Er kommt zu uns herübergelaufen. »Ach nee! Das gibt’s doch gar nicht! Was wollt ihr beiden denn schon wieder hier?«

»Kennen Sie die zwei etwa?« Die Stimme von Salemke klingt so scharf, dass man mit ihr locker frisch gekochte Geflügelleber in kleine Würfel schneiden könnte.

»Na ja, was heißt kennen – die beiden haben gestern auf meinem Schrottplatz rumgeschnüffelt. Begleitet von einer sehr seltsamen älteren Dame. Russin, oder so. Ich hatte den Eindruck, dass die etwas bei mir suchen.« Er stutzt, dann lacht er. »Verrückt, oder? Was sollen denn zwei Miezekatzen bei mir suchen?«

Salemke lacht nicht, sondern starrt uns an. Ich fühle mich unter seinem Blick unwohl wie schon lange nicht mehr. Ich versuche, mich ganz klein zu machen und irgendwie anders als sonst auszusehen. Leider zwecklos!

»Dich habe ich doch schon mal irgendwo gesehen.« Er überlegt kurz. »Genau. In der Schule. Du bist doch der Kater vom Gestiefelten Kater – von dieser Kira oder wie sie heißt.« Er überlegt kurz. »Die ist doch auch Russin oder so was. Wohl kaum ein Zufall, Miezekatze, oder?«

Jetzt guckt auch Schmidt noch einmal genauer hin.

»Hm, jetzt, wo Sie das sagen: Könnte tatsächlich das Viech sein, das die Kinder am ersten Probentag mit angeschleppt haben. Ich fand die Idee ja gleich blöd, aber auf mich hören diese Künstler ja nicht.«

»Jaja. Diese Künstler.« Salemkes Stimme klingt so kalt, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Dann dreht er sich wieder zu Schmidt. »Na ja. Lassen Sie die Katzen mal meine Sorge sein. Sie fahren jetzt schön mit dem Auto meiner Freundin zum Schrottplatz, ich kümmere mich um die beiden Ausreißer hier und sorge dafür, dass sie wohlbehalten wieder nach Hause kommen.«

Ich wäre bereit, eine Riesenportion Geflügelleber auf Folgendes zu verwetten: Erstens – Salemke hat gar keine Freundin.

Zweitens – er will uns nicht nach Hause bringen. Schon gar nicht wohlbehalten. Ganz im Gegenteil!

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