Keine Pelmeni für Werner.


Dafür aber eine neue Aufgabe für unwillige Musketiere.


»Schon wieder Fischstäbchen?« Werner guckt enttäuscht, als ihn nach dem Segelausflug nicht die erhofften Pelmeni erwarten, sondern ein zarter Hauch Seelachsfilet durch die Wohnung weht. Babuschka, die gerade aus der Küche kommt, sagt nichts dazu, sondern zwinkert uns nur verschwörerisch zu. Kira, Pauli und Tom zwinkern zurück. Wir sitzen auf dem Boden vor dem Flügel und tun so, als hätten wir gerade noch geübt. Das heißt natürlich, die Kinder tun so. Weil ich weder zwinkern noch in Texten blättern kann, bemühe ich mich, wenigstens auch ein bisschen verschwörerisch dreinzublicken. Es ist ein schweres Katerleben! Und ich muss es ganz allein durchstehen – Odette, Karamell und Spike sind nämlich nach unserem Ausflug zum Schrottplatz gleich unten im Hof geblieben. Vier Katzen in der Wohnung: Das war Babuschka eindeutig zu viel.

Werner seufzt. »Am Ende des Tages wird Winston das einzige Mitglied der Familie Hagedorn sein, das diese Spezialität einmal probieren durfte.«

Anna klopft ihm auf die Schulter. »Keine Sorge, Herr Hagedorn. Es wird schon noch klappen mit den Pelmeni. Aber es ist doch auch toll, dass hier alle so fleißig geübt haben, dass meine Mutter nicht groß zum Kochen gekommen ist.« Dann dreht sie sich zu uns um. »So, dann wollen wir jetzt aber auch mal etwas von den Künstlern hören!«

Kiras Gesichtsfarbe wechselt. Ich glaube, sie wird rot. Ich glaube deshalb, weil ich doch als Kater kein Meister im Farbensehen bin. Aber aus meiner Zeit als Mädchen weiß ich, dass die Welt ziemlich bunt ist und insbesondere Menschen gern die Farbe von reifen Tomaten annehmen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Eben so wie Kira in diesem Moment.

»Ähm, ja, also«, stammelt sie, »das soll doch eine Überraschung werden – wenn ihr es jetzt schon hört, dann ist die Premiere gar nicht mehr spannend für euch.«

»Och, das stört mich nicht.« Anna lässt nicht locker.

»Äh, ja, aber ich habe leider gerade ziemliche Halsschmerzen, ich kann gar nicht mehr singen«, behauptet Kira nun.

Anna runzelt die Stirn. »Hm, dann sollten wir deine Freunde nach dem Essen verabschieden. Nicht dass du eine Erkältung bekommst und noch alle ansteckst. Vielleicht gehst du zur Abwechslung heute auch mal früh ins Bett, damit du morgen fit für die Schule bist.«

Maunz! Es ist wirklich ein Kreuz mit der Flunkerei – wenn man einmal damit angefangen hat, kommt man nur schwer wieder davon los. Eigentlich wollten wir doch noch unsere große Lagebesprechung abhalten und alle gewonnenen Erkenntnisse unserer Observation zusammentragen. Wobei diese im Wesentlichen daraus bestehen, dass Albert Schmidt, der Vertretungshausmeister, unser neuer Hauptverdächtiger ist. Um nicht zu sagen: unser einziger Verdächtiger, wenn man einmal von der ominösen Frau mit blonden Haaren absieht. Da sind sich alle einig: Nach Babuschkas rasantem Abgang mit zwei Katzen auf dem Arm kam Herr Schmidt auch aus dem Schuppen und wurde von Tom, Pauli und Kira, die hinter einem der Schrotthaufen lauerten, einwandfrei identifiziert. Der Schulhausmeister am Ort der geplanten Lösegeldübergabe – das fanden sie höööchst verdächtig! Und durch einen sehr gekonnten Schnüffeltanz konnte ich meinen Zweibeinern klarmachen, dass auch ich Herrn Schmidt für den Entführer halte. Immer wenn sein Name fiel, habe ich wie wild in der Luft herumgeschnuppert – Kira wusste sofort, was ich meinte, und konnte es den anderen erklären. Der Typ sieht nicht nur verdächtig aus, er riecht auch so!

Aber was machen wir als Nächstes? Das müssen wir nun wohl oder übel morgen in der Schule besprechen, denn jetzt heißt es gaaanz schnell nach Hause rennen, bevor Anna und Werner dort eintrudeln. Dass die nämlich so gelassen auf die ganze Geschichte reagieren wie Babuschka, bezweifelte ich. Besser also, sie erfahren gar nichts davon.

Ich wüsste allerdings zu gern, was Babuschka, die Katzenretterin, über die ganze Geschichte denkt. Seit ihrem Eins-a-Auftritt im Schuppen sehe ich sie wirklich mit ganz anderen Augen – eine echte Weltklasse-Oma! Bisher hat sie außer einem kopfschüttelnden joi, joi noch nicht viel gesagt. Was wiederum beweist, dass sie völlig anders ist, als alle anderen erwachsenen Menschen, die ich kenne. Wahrscheinlich ist sie das, was Kira immer cool nennt. Insofern wäre es gut, Babuschka bei der weiteren Einsatzplanung dabeizuhaben. Aber wir können sie morgen schlecht mit in die Schule nehmen. Als Kira mich das erste Mal in ihre Klasse geschmuggelt hat, hat sie mich in ihrer Schultasche versteckt. Ich würde sagen, da passt Babuschka schon wegen ihrer Hochsteckfrisur nicht hinein!

»Leute, wir sind auf dem richtigen Weg!« Kiras Augen funkeln regelrecht, als sie am nächsten Morgen vor der Schule auf Pauli und Tom trifft. »Ich konnte heute Nacht überhaupt nicht schlafen, weil ich die ganze Zeit darüber nachdenken musste, wie wir es heute am besten anstellen. Denn eines ist wohl klar: Das ist unsere letzte Chance, Emilia zu retten. Ich denke mal, dass die Polizei bei der Lösegeldübergabe alles tun wird, um den Typen dingfest zu machen. Aber wenn das wieder schiefgeht, dann gute Nacht!«

Tom räuspert sich. »Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Ich meine, wir sind uns doch jetzt ziemlich sicher, dass der Entführer wahrscheinlich dieser komische Herr Schmidt ist. Warum gehen wir nicht zur Polizei und erzählen, was wir wissen.«

»Nein!« Pauli schüttelt energisch den Kopf. »Was wissen wir denn wirklich? Wir wissen, dass Herr Schmidt momentan unseren Hausmeister vertritt und dass er auf dem Schrottplatz arbeitet. Ist ja nicht gerade eine Sensation und kann auch Zufall sein. Ich glaube nicht, dass die Polizei dafür schon ein Sondereinsatzkommando schickt.«

»UND wir wissen, dass er so riecht wie die Briefe des Entführers – das hat Winston einwandfrei festgestellt«, wirft Kira ein.

»Na ja«, sagt Pauli. Dann sagt sie nichts mehr. Das ärgert mich. Sogar noch mehr, als wenn sie gesagt hätte, dass sie mir nicht glaubt. Der werde ich’s noch zeigen!

»Okay, sagen wir mal, wir haben einen begründeten Verdacht«, überlegt Tom laut. »Dann hilft es nichts: Wir müssen Schmidt weiter beobachten. Vor allem, wenn der die Schule verlässt. Am besten, wir suchen ihn gleich unauffällig und lassen ihn dann nicht mehr aus den Augen.«

Pauli schüttelt den Kopf. »Wie soll das denn gehen? Wir müssen in den Unterricht. Ich glaube nicht, dass uns Prätorius einfach im Schulgebäude herumlaufen lässt, während wir eigentlich Bio haben. Wie willst du ihm das erklären?«

Tom zuckt mit den Schultern. »Weiß nicht.«

Kira seufzt. »Schade, dass Herr Schmidt Winston schon gesehen hat, sonst könnte der ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und uns sofort holen, wenn er etwas entdeckt hat.«

Pauli sagt schon wieder nichts, guckt aber immer noch skeptisch. Grrrr, gleich rollen sich meine Schnurrhaare auf! Was fällt der ein, so an mir zu zweifeln! Ich möchte am liebsten sofort beweisen, dass Kira recht hat und ich Schmidt perfekt beschatten könnte. Aber leider hat sie außerdem recht mit der Feststellung, dass er mich schon kennt. Gut, ich bin nicht die einzige schwarze Katze auf der Welt, trotzdem würde er wahrscheinlich misstrauisch werden. Ha! Das ist es überhaupt: Ich bin nicht die einzige Katze auf der Welt. Und erst recht nicht in Hamburg. Es gibt ja auch noch Spike und Karamell! Die können jetzt endlich mal beweisen, was in ihnen steckt. Hoffentlich nicht nur zwei Schmusekätzchen, sondern echte Löwen!

Ich beschließe, zurück nach Hause zu laufen und die beiden zu holen. Die sollen sich so lange vor das Schultor setzen, bis Schmidt auftaucht, und ihn dann verfolgen. Einfacher Plan – das müssten doch sogar der Dicke und der Ängstliche hinkriegen!

Als Tom, Kira und Pauli die Treppenstufen zum Schuleingang hochgehen wollen, mache ich deshalb kehrt.

»Hey, Winston, wo willst du denn hin?« Kira läuft hinter mir her, kniet sich neben mich und streicht mir mit der Hand über den Rücken. Ich setze mich und schaue ihr fest in die Augen. Liebe Kira, ich weiß, du kannst mich nicht mehr hören, aber vertrau mir einfach: Ich weiß, was ich tue!

Sie lächelt mich an, dann nickt sie. »Okay, Winston. Du weißt, was du tust. Dann mal los!!«

Hat sie mich etwa doch verstanden? Ist da vielleicht noch ein winzig kleiner Rest von Gedankenübertragung zwischen uns übrig geblieben?

»Also verstehe ich das richtig? Wir sollen diesen gefährlichen Kerl jagen, der schon dir und Odette an den Kragen wollte? Und ihr beiden seid vorsichtshalber nicht dabei?« Heilige Ölsardine, Karamell ist so ein Feigling! Seit einer halben Stunde hocke ich mit ihm und Spike im Hinterhof und versuche, die beiden zu überreden, nun endlich zur Schule mitzukommen. Bisher ohne Erfolg. Wenn doch bloß Odette hier wäre – sie hätte die beiden bestimmt schon längst überzeugt. Aber von der schönsten Katze der Welt fehlt leider jede Spur. Ich hole tief Luft.

»Falsch, Karamell. Ihr sollt ihn nicht jagen. Ihr sollt nur aufpassen, dass er uns nicht durch die Lappen geht. Ihr setzt euch ganz gemütlich vor die Schule, und falls Herr Schmidt selbige dann verlassen sollte, heftet ihr euch einfach an seine Fersen. Sobald ihr wisst, wo er hinwill, bleibt einer von euch bei ihm und der andere holt mich. Kein Risiko, überhaupt nicht gefährlich, verstanden?«

»Ich weiß nicht«, Karamell ist noch nicht überzeugt, »nachher tut der uns doch was. Und warum können die Kinder den nicht einfach verfolgen? Die hat er doch auch nicht gesehen, oder?«

Stimmt. Herr Schmidt hat Kira, Pauli und Tom nicht entdeckt, als er hinter Babuschka aus dem Schuppen kam. Aber an Karamells Frage merkt man trotzdem deutlich, dass er noch nie eine Schule von innen gesehen hat. Kann man ihm als Kater allerdings auch nicht vorwerfen.

Ich hole deshalb zu einer Erklärung aus: »Pass auf, Karamell, es ist so: Kira, Tom und Pauli sind vormittags in der Schule. Da kann man nicht einfach kommen und gehen, wie man gerade lustig ist. Dann gibt’s richtig Ärger!«

Karamell und Spike gucken mich verständnislos an.

»Wieso gibt’s da Ärger?«, will Spike wissen. »Sind doch noch genug andere Kinder da. Du hast jedenfalls gesagt, in der Schule sei es ziemlich laut, weil da so viele Kinder rumrennen. Da müssten die Lehrer doch froh sein, wenn mal drei Kinder fehlen.«

Gut. Im Grund klingt das einleuchtend. Wenn ich Lehrer wäre, hätte ich gegen ein paar Kinder weniger im Klassenzimmer überhaupt nichts einzuwenden. Aber so funktioniert Schule meines Wissens leider nicht.

»Spike, ich weiß auch nicht, warum Anwesenheit in der Schule so wichtig ist. Ich weiß nur, dass es so ist. Und dass die Kinder deswegen nicht einfach abhauen und Herrn Schmidt verfolgen können.«

»Na und? Nicht mein Problem«, mault Karamell.

»Also wirklich!«, fauche ich ihn entnervt an. »Wenn ich bei deinem Ausflug in die Mülltonne genauso gedacht hätte, wärst du jetzt bestimmt schon zu einer hübschen Rolle Altpapier verarbeitet worden. Aber nein, ich bin zu dir in die Tonne gesprungen und habe dich gerettet. Obwohl das bei Licht betrachtet auch überhaupt nicht mein Problem war.«

»Na ja, Karamell – da hat Winston recht«, wirft Spike ein. »So kamen wir doch eigentlich auf die Idee mit den Muskeltieren.«

»Die heißen übrigens Musketiere«, verbessere ich Spike.

»Hä? Wieso das denn auf einmal?«

»Äh … weil – ach egal. Merk dir einfach, dass die ab jetzt Musketiere heißen.«

Spike schnauft. »Wenn ich gewusst hätte, wohin das Ganze führen würde, hätte ich mir weder gewünscht, Muskeltier noch Musketier zu sein. Ich hätte mal schön auf meinem sonnigen Fleckchen hier liegen bleiben sollen.«

»Jaja. Aber dafür ist es nun zu spät. Wir sollten jetzt wirklich los. Wisst ihr übrigens, wo Odette steckt?«

Karamell und Spike gucken sich an, dann schütteln sie gleichzeitig den Kopf.

»Nee. Nicht die geringste Ahnung. Die haben wir seit gestern Abend nicht mehr gesehen.«

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