Erziehung auf Russisch. Essen auf Italienisch. Schummeln auf Deutsch.


»Na, war Katerrr wieder verschwunden?« Babuschka beäugt mich misstrauisch, als Kira mich ins Wohnzimmer trägt und sich zusammen mit mir auf das Sofa setzt.

Kira schüttelt den Kopf. »Nö. Ich habe ihn nur ein bisschen im Hof herumlaufen lassen. Winston braucht seine Freiheit!«

Genau! Weil ich nämlich ein wilder und gefährlicher Typ bin und es mir als reiner Stubenkater mittlerweile viel zu langweilig ist! Ähem, okay, das ist nur die halbe Wahrheit: Eigentlich gefällt es mir in der Wohnung ziemlich gut, nur kann ich Odette wohl kaum beeindrucken, wenn ich den ganzen Tag auf dem Sofa herumliege. Aber wem erzähle ich das – Babuschka kann mich doch nicht verstehen.

»Kira, kak charascho schto ja nakanezta sdes. Ja budu w buduschtschem pamagat twajej mame schtobi sdes nakanez vazaril parjadak!«

Kira zuckt mit den Schultern. »Oma, ich verstehe leider kein Russisch mehr. Du musst Deutsch mit mir sprechen.«

Maunz – das ist aber eine faustdicke Lüge! Denn seitdem ich selbst in Kiras Körper steckte, weiß ich, dass sie ausgezeichnet Russisch versteht. Warum will Kira das denn nicht zugeben? Ob ihr vielleicht nicht passt, was Babuschka gerade gesagt hat? Dass sie hier endlich mal für Ordnung sorgen will. Selbst als Kater verstehe ich das jetzt noch. Gefallen tut mir die Vorstellung einer für Ordnung sorgenden Babuschka allerdings auch nicht. Ich finde nämlich, bei uns ist alles in Ordnung.

Babuschka seufzt. »Kein Russisch? Joi, joi, das ist schlimm! Ich werde dich wieder lehren.«

»Danke für das Angebot, Oma, aber ich habe schon genug mit der Schule zu tun.« Kira klingt fröhlich, aber bestimmt, Babuschka seufzt noch mehr.

»Na gut. Dann später. Dann jetzt Katerrrr.«

Hä? Wie? Kater? Das bin ja ich! Babuschka guckt mich durchdringend an und klopft mit der Hand auf den freien Platz neben sich. »Winstoooon! Kommst du hier!«

Heilige Ölsardine! Diese Stimme duldet keinen Widerspruch! Aber das ist mir egal. Ich wiederhole mich ungern, aber: Ich bin kein Hund.

Betont gelangweilt schlängle ich mich vom Sofa und schlurfe ganz gemächlich Richtung Flur.

»Winstooon! Komm hier!«

Ich setze meinen Weg mit dem Ziel Küche fort. Hinter mir ertönt ein ganzer Schwall russischer Schimpfwörter. Pah! Ich drehe nicht mal den Kopf. Wenn die denkt, dass sie mich erziehen kann, hat sie sich geschnitten.

Kurz bevor ich die Küche erreiche, taucht Kira neben mir auf. »Winston, ich kann dich total gut verstehen. Aber leider haben wir momentan schon genug Probleme. Stell dir mal vor, was wäre, wenn wir mitten in unseren Ermittlungen noch einmal Hausarrest bekämen. Oder du nicht mehr mit mir rausgehen dürftest. Das wäre eine Katastrophe! Wir sollten uns also jetzt nicht noch mit Babuschka anlegen. Bitte, tu, was sie sagt!«

Ich schnaufe empört. Wieso soll ich denn jetzt den dressierten Kater spielen, wenn Kira selbst auch nicht das macht, was ihre Oma gern hätte?

»Ja, du hast ja recht! Ich habe mich auch nicht vorbildlich benommen, als ich so getan habe, als ob ich kein Russisch mehr verstehen würde. Aber das war Notwehr! Sonst muss ich garantiert die nächsten Tage nur Russisch mit ihr sprechen. Davon bekomme ich Halsschmerzen. Ist zu ungewohnt für mich.«

Fauch und Funkel! Was für eine blöde Ausrede! Ich gucke Kira böse an.

»Ehrlich, Winston. Das stimmt!« Sie fasst mir unter den Bauch und krault mich sanft. Schnurrr! Was für ein schönes Gefühl! Da kann ich ihr fast nicht mehr böse sein. Ich schnurre lauter.

»Na, siehst du! Wieder Freunde, oder? Mach einfach die nächste halbe Stunde mal, was Babuschka von dir möchte. Dann ist sie glücklich – und wir sind es auch. Einverstanden?«

Na gut. Einverstanden. Aber so ganz ohne Bestechung funktioniert das bei mir nicht. Ich drehe mich zur Küchentür, stupse sie mit meiner Nase, setze mich dann und schaue Kira erwartungsvoll an. Mal sehen, ob sie errät, was ich damit sagen will. Sie lächelt.

»Okay, Winston. Ein kleines Honorar ist natürlich für dich drin: Wenn du brav bist, gibt es für dich morgen eine Extraportion Pelmeni. Die kochen wir nämlich morgen wieder.«

Na also, geht doch! Wie kommt Spike bloß auf die Idee, dass sich Katzen und Kinder nicht miteinander verständigen können? Im Gegenteil – sie können es wunderbar!

Gaaanz langsam setze ich mich in Bewegung und laufe zurück ins Wohnzimmer, wo Babuschka schon auf mich wartet.

»Smatri u menja, druschok! Ja tebja jeschtscho maneram nautschu!«

Schluck. Sie ist also fest entschlossen, mir Manieren beizubringen. Jedenfalls hat sie das gerade gesagt. Nun gut, für eine schöne Portion Pelmeni mache ich gute Miene zum bösen Spiel. Als sie also wieder mit der flachen Hand auf den leeren Platz neben sich klopft und »Hopp!« brüllt, springe ich einfach hoch und setze mich neben sie. Babuschka lächelt zufrieden, Kira, die mir gefolgt ist, tut so, als sei sie völlig überrascht, reißt die Augen auf und sagt: »Huch!«

»Siehst du, Kira! Geht gut! Braves Katerrrr!« Sie krault mich hinter den Ohren, ich lasse es geschehen. Und nicht nur das – ich ringe mich sogar zu einem Schnurren durch. Ich bin ein Schleimer, ich weiß. Aber die Pelmeni sind einfach zu lecker!

»So, Kater: Wenn ich sage ›Geh Korbchen‹, dann läufst du zu Korbchen und legst hinein.«

Och nö! Wir sind hier doch nicht im Zirkus. Sofort höre ich auf zu schnurren. Kira merkt gleich, was mit mir los ist, denn sie beugt sich zu mir und flüstert »Pelmeni«. Meinetwegen. Aber diese Leckerli sind wirklich hart verdient!

»Geh Korbchen, Winstooon!«, befiehlt Babuschka. Ich springe vom Sofa und laufe mit gesenktem Haupt zur Küche. Ab durch die Tür und hinein in mein Körbchen – dieses Schauspiel ist eines Katers unwürdig! Ich bleibe liegen, bis Babuschka auch in der Küche auftaucht, um sich von ihrem phänomenalen Erziehungserfolg zu überzeugen.

»Ah! Säähr brav! Sähr brav!« Sie beugt sich zu mir und tätschelt meinen Kopf. Wenn ich könnte, würde ich bellen, so sehr komme ich mir gerade wie ein Hund vor! Wahrscheinlich übt sie als Nächstes »Sitz!« und »Platz!« mit mir. Gut, dass meine Muskeltierfreunde das nicht sehen können!

Anna kommt in die Küche. »Ah, Mamuschka, ich sehe, du verstehst dich gut mit Winston.«

»Ja. Ich bringe ihm gutes Benehmen bei. Geht gut! Wenn klappt bei Katerrr, kann ich mich auch kümmern um Kind. Tjebje sljedujet gavarit s Kirai po-russkij!«

»Ich soll Russisch mit Kira sprechen?«, wiederholt Anna, was Babuschka gerade auf Russisch zu ihr gesagt hat. »Warum? Wir leben in Deutschland. Ich spreche nur noch ganz selten Russisch. Ich finde es wichtig, dass Kira perfekt Deutsch spricht, damit sie hier Erfolg hat. Außerdem ist Kira gut erzogen!«

Babuschka schüttelt den Kopf und murmelt irgendetwas Unverständliches. Sie ärgert sich, klare Sache. Aber auch Anna guckt, als ob ihr eine Laus über die Leber gelaufen sei. Ihr Mund ist auf einmal ganz schmal und ihre Augen sehen aus wie Schlitze. Kein gutes Zeichen! Wahrscheinlich hatte Werner recht: Anna will ihrer Mutter beweisen, dass hier in Deutschland alles bestens läuft. Und wenn Babuschka das anzweifelt, ärgert sich Anna. Die Erziehung von Kindern ist offenbar eine große Sache bei den Menschen. Da will niemand etwas falsch machen und als schlechte Mutter oder schlechter Vater dastehen. Pfff – wenn man mich fragt: Erziehung wird maßlos überschätzt! So wichtig ist die nun auch wieder nicht. Aber mich fragt natürlich niemand.

Werner steckt den Kopf durch die Küchentür. »Ah, ein Mutter-Tochter-Gespräch, wie schön!« Anna wirft ihm einen giftigen Blick zu, sie findet seine Bemerkung offenbar gar nicht lustig. Werner zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Ich will auch gar nicht weiter stören, sondern wollte nur fragen, ob die Damen wohl an einem Restaurantbesuch interessiert wären. Nachdem die Fischstäbchen heute Mittag zwar außerordentlich lecker waren, aber unserem Gast zu Ehren vielleicht doch nicht das Richtige, würde ich euch gerne zu meinem Lieblingsitaliener einladen. Im Come Prima im Eppendorfer Weg schmeckt es einfach fantastisch.«

Anna zögert. »Ach, ich weiß nicht – Mutter, was meinst du?«

»Liebling? Ist Freund von Professor?«

Werner lacht. »Gewissermaßen, Frau Kovalenko. Ricardo kenne ich schon seit vielen Jahren, er kocht meiner Meinung nach einfach das beste italienische Essen hier in der Gegend. Kennen Sie die italienische Küche?«

Babuschka schüttelt den Kopf und macht dazu ein Gesicht, als hielte sie es für absolut ausgeschlossen, dass ein italienischer Koch in der Lage ist, etwas Schmackhaftes zuzubereiten.

Was für eine schwierige Frau! Ich kenne mich damit natürlich nicht aus, weil Werner mich noch nie zu diesem Ricardo mitgenommen hat, ABER: Wenn mein Herrchen etwas empfiehlt, ist es auch gut! Ehrensache! Abgesehen davon ist es ein bisschen unfreundlich, auf eine nette Einladung so zu reagieren. Finde ich jedenfalls.

Anna scheint das Gleiche zu denken wie ich, jedenfalls rollt sie mit den Augen und sagt dann: »Mamuschka! Die italienische Küche ist weltberühmt! Und wenn der Herr Professor ein Restaurant empfiehlt, ist es bestimmt Spitzenklasse.«

»So?« Babuschka guckt ihre Tochter zweifelnd an. »Na, dann gehst du vielleicht allein mit Professor? Sowieso besser! Ich passe auf Kind und auf Kater auf.« Jetzt lächelt sie und freut sich offenbar über ihre Idee, Werner und Anna allein loszuschicken. Was daran besser sein soll, ist mir allerdings nicht klar. Gut, ich freue mich natürlich, wenn Kira hierbleibt – vielleicht kann ich dann endlich versuchen, ihr unseren Emilia-Rettungsplan zu erklären. Auf Babuschka als Aufpasserin kann ich allerdings gut verzichten. Also, Werner, die Dame nimm mal bitte mit!

»Äh«, Werner klingt verlegen, als ob Babuschka irgendetwas gesagt hätte, was ihm ein bisschen peinlich ist, »nein, äh, also, ich freue mich, wenn Sie uns begleiten. Sie sind doch unser Ehrengast! Außerdem kann Kira gern mitkommen – ein so wohlerzogenes Kind habe ich immer gern dabei.«

Jetzt strahlt Anna Werner an und ich wünsche mir, Odette würde mich so ansehen. Babuschka hingegen zuckt mit den Schultern, sie scheint anderer Meinung zu sein. Mir unbegreiflich – sind denn wohlerzogene Kinder in diesem Russland so anders? Dazu sagt Babuschka aber leider nichts. Stattdessen ringt sie sich endlich mal zu einem Lächeln durch.

»Gutt, gutt. Dann komm ich mit. Vielen Dank, Herr Professor, für Einladung!«

»Klasse! Dann hole ich meine Jacke und sage Kira Bescheid.« Werner trabt aus der Küche, ich trabe hinterher. Im Wohnzimmer sitzt sie nicht mehr, also laufen wir weiter zu ihrem Zimmer. Kurz bevor wir es erreichen, bilde ich mir ein, Kiras Stimme zu hören – als ob sie mit jemandem redet. Und zwar ziemlich aufgeregt. Werner klopft kurz an, Kira öffnet. Außer ihr ist niemand da. Merkwürdig. Seit wann führt Kira Selbstgespräche? Werner scheint sich allerdings überhaupt nicht zu wundern. Was wiederum mich nicht wundert. Wahrscheinlich hat er es gar nicht gehört. Menschen haben ein wirklich grottenschlechtes Gehör. Jedenfalls im Vergleich zu uns Katzen.

»Hallo, Kira! Zur Feier des Tages lade ich euch zu meinem Lieblingsitaliener ein. Der macht die beste Pizza der Stadt. Wir wollen gleich los.«

»Herr Hagedorn, sind Sie böse, wenn ich hierbleibe? Ich bin ein bisschen müde.« Kira guckt sehr treuherzig und reibt sich tatsächlich die Augen. Komisch, wo kommt denn dieser plötzliche Schwächeanfall her? So kenne ich Kira gar nicht, normalerweise ist die um diese Uhrzeit immer fit wie ein Turnschuh!

Werner schüttelt den Kopf. »Na, ich finde es natürlich schade – aber wenn du müde bist, geh lieber früh ins Bett. Der Italiener läuft nicht weg, dann nehme ich dich ein anderes Mal mit.«

»Ja, genau. So werde ich es machen. Ich schmier mir schnell ein Brot und dann geht’s ab in die Falle.« Sie gähnt geräuschvoll.

»Alles klar. Dann gute Nacht!«

»Danke! Und Ihnen guten Appetit!«

Werner zieht den Kopf wieder aus dem Zimmer und schließt die Tür.

Seit ich Kira kenne, habe ich noch nie erlebt, dass sie freiwillig früh ins Bett geht. Vor allem nicht, wenn die Alternative eine leckere Pizza wäre. Hier stimmt etwas nicht. Und zwar ganz gewaltig!

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