Kommando »Rettet Emilia«.


Ohne James Bond. Aber mit Winston. Agent auf leisen Pfoten.


Eure letzte Chance! Montag, 16 Uhr. Schrottplatz Alte Werder Straße. Neben dem Kranhäuschen steht ein alter blauer Golf III. Tüte mit Geld in den Fußraum des Beifahrersitzes. Wenn es klappt, ist Emilia Dienstagmittag wieder da. Sonst … aber das wisst Ihr wohl selbst.

Mein Gefühl hat mich also nicht getäuscht: Im Umschlag steckte ein Erpresserbrief. Jetzt liegt er auf dem kleinen Sofatisch und sieht genau so aus wie sein Vorgänger: ein weißes Blatt, der Text aufgeklebt aus lauter ausgeschnittenen Buchstaben. So richtig freuen kann ich mich über meinen guten Riecher allerdings nicht, denn die Stimmung ist gerade am Boden. Frau Stetten weint, Tom, Pauli und Kira gucken ganz betreten.

»Mein armes Kind!«, schluchzt Emilias Mutter verzweifelt. »Ich muss sofort meinen Mann anrufen! Vielen Dank für eure Unterstützung, aber ich kann momentan gar keinen Schlachtplan mit euch entwerfen, so durcheinander bin ich. Ich brauche jetzt ein bisschen Ruhe – tut mir leid, dass ihr extra gekommen seid!«

Kira räuspert sich. »Keine Sorge, das verstehen wir. Ist ja auch schon ziemlich spät. Hier, auf diesem Zettel habe ich Ihnen die Adressen und Telefonnummern der beiden Kinder notiert, die den Entführer gesehen haben. Beziehungsweise: die Entführerin!« Sie reicht Frau Stetten ein Stück Papier. »Und wenn uns noch etwas auffällt oder wir etwas herausfinden, das weiterhelfen könnte, melden wir uns gleich.«

»Danke, Kira. Ich bin froh, dass Emilia so gute Freunde hat!« Frau Stetten versucht, sich ein Lächeln abzuringen. Pah, wenn die wüsste, dass Kira, Pauli und Tom gar keine Freunde der doofen Emilia sind! Aber vermutlich ist das gerade nicht der richtige Zeitpunkt, um dieses Missverständnis aufzuklären.

Draußen auf der Straße zieht Kira ihr Handy aus der Hosentasche und wirft einen Blick drauf. »Hm, schon fast neun. Wenn ich noch verhindern will, dass mein kleiner Ausflug auffällt, muss ich jetzt los.«

Tom nickt. »Ja, ich eigentlich auch. Aber noch eigentlicher müssen wir uns ganz dringend überlegen, wie wir jetzt weitermachen. Ich meine, James Bond macht auch nicht einfach Feierabend, wenn der Bösewicht noch frei herumläuft.«

James Bond! Den kenne ich aus dem Fernsehen! Er ist ein berühmter Geheimagent, sieht (für einen Menschen) ziemlich gut aus, weiß immer, wie er Verbrechern das Handwerk legen kann, und kommt bei den Frauen einfach sensationell an. Also – im Grunde genommen ist er mir ziemlich ähnlich. Nur dass ich noch kein berühmter Agent bin. Aber das kann ja noch werden: Kater Winston – Agent auf leisen Pfoten!

Kira kichert. Ob sie doch wieder meine Gedanken lesen kann? »James Bond! Na klar! Der hat allerdings auch keine russische Großmutter, die ihm die Hölle heißmacht, wenn er zu spät nach Hause kommt.«

»Tja, Leute, ich hab noch etwas Zeit.« Pauli grinst. »Ich habe meiner Mutter einfach gesagt, dass ich heute bei dir übernachte, Kira. Ihr war’s ganz recht, ich hatte den Eindruck, sie hat heute noch etwas vor.«

Kira rollt mit den Augen. »Das heißt, du willst jetzt einfach mitkommen?«

»Genau.«

»Und wie erkläre ich das meiner Mama?«

»Nu entspann dich mal, irgendwas Schlaues fällt uns schon ein. Wäre doch total cool – dann können wir heute Nacht noch mal die ganze Lage besprechen!«

»Klasse Idee!«, ruft Tom, zieht ebenfalls sein Handy aus der Hosentasche und wählt eine Nummer. »Hallo, Papa, hier ist Tom! Du, wir sind hier immer noch mitten in unserer Probe. Wäre es okay, wenn ich heute bei Kira übernachte? Pauli darf auch, ihre Mutter hat nichts dagegen. Okay? Danke!« Er steckt sein Handy wieder in die Tasche. »So, bin auch dabei! Wollen wir los?«

»Hey, Moment mal! Wir können doch nicht einfach eine spontane Übernachtungsparty bei mir starten! Meine Mutter bekommt die Krise, wenn sie das mitkriegt! Meine Oma ist seit heute zu Besuch und Babuschka ist verdammt anstrengend. So locker meine Mama normalerweise ist – das ist heute nicht drin!«

Was soll ich sagen? Das kann ich nur bestätigen! Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn morgen drei Kinder anstelle von einem zum Frühstück erscheinen. Zu Babuschkas Vorstellung von guter Kindererziehung passt das garantiert nicht.

»Ooch, Kiralein«, flötet Pauli, »deine Mama wird uns schon nicht mitten in der Nacht vor die Tür setzen. Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Du hast doch den Brief gelesen: Übermorgen Nachmittag ist die nächste Übergabe geplant. Wenn wir einen Vorsprung vor der Polizei gewinnen wollen, müssen wir sofort loslegen.«

Kira seufzt. »Na gut. Dann kommt mit. Aber das klappt nur, wenn meine Mama und Oma noch nicht zu Hause sind. Dann können wir heimlich reinschlüpfen. Sonst müsst ihr nach Hause gehen.«

Pauli und Tom nicken. »Gebongt.«

Odette knufft mich in die Seite.

»Hey, wenn es nun schon eine Lagebesprechung gibt, will ich auch dabei sein. Ich komme einfach mit in eure Wohnung, einverstanden?«

Einerseits eine wirklich tolle Idee – Odette in meiner Wohnung, eine Wahnsinnsvorstellung! Andererseits: Babuschka! Ein bisschen Angst habe ich schon vor ihr! Aber dann denke ich an James Bond und beschließe, dass sich auch Geheimagenten auf vier Pfoten nicht vor Großmüttern fürchten, jawoll!

»Psst! Leise! Ihr seid viel zu laut! Ich glaube, jetzt sind sie gerade nach Hause gekommen!« Kira versucht sich in einer Mischung aus Flüstern und Schimpfen, was nur so halbwegs klappt. Ihr Zimmer ist mittlerweile die Zentrale des Kommandos »Rettet Emilia«. Kira, Tom und Pauli sitzen im Kreis auf dem Boden, Odette und ich hocken daneben.

Tatsächlich hat eben die Wohnungstür geklappert und nun hört man auch deutlich Stimmen im Flur: Werners tiefe, sanfte und dann Annas – deutlich heller. Babuschka ist anscheinend müde, sie sagt jedenfalls nichts. Auch gut. Irgendwann hört also jeder Drache einmal auf, Feuer zu speien.

Mucksmäuschenstill lauschen die Kinder, bis sich die Stimmen vom Flur ins Wohnzimmer verlagern. Glück gehabt! Einen Moment lang hatte ich schon befürchtet, Anna würde noch einmal in Kiras Zimmer gucken. Das macht sie nämlich ab und zu, bevor sie selbst ins Bett geht. Ich habe sie schon ein paarmal dabei beobachtet und fand es immer rührend fürsorglich. Heute wäre es allerdings ziemlich blöd gewesen.

Pauli fängt an zu kichern. »Ich bin schon auf das Gesicht deiner Mutter gespannt, wenn wir hier morgen alle aus deinem Zimmer marschiert kommen.«

Kira guckt grimmig. »Ach ja? Ich überhaupt nicht. Ich wollte auch gerade schon vorschlagen, den Wecker auf fünf Uhr zu stellen. Dann könnt ihr abhauen, bevor Mama oder Werner überhaupt etwas davon mitbekommen.«

Tom tippt sich an die Stirn. »Fünf Uhr? Du spinnst wohl! Das ist ja noch mitten in der Nacht!«

Jetzt ist es wiederum an Kira zu kichern. »Tom, du bist ein echtes Weichei. Fünf Uhr ist eindeutig Morgen. Am besten schlafen wir jetzt mal, dann sind wir um fünf auch fit. Nach dem Frühstück treffen wir uns dann alle wie besprochen wieder auf dem Schrottplatz. Also so gegen neun Uhr, okay?«

Der Plan, den wir – na ja, also die Kinder – in der letzten Stunde ausgeheckt haben, geht nämlich so: Wir nutzen die Erkenntnisse aus dem neuen Erpresserschreiben und den Aussagen von Finn und Lotti und durchsuchen gleich morgen früh den Schrottplatz nach einer Frau mit langen blonden Haaren. Wenn wir sie finden, beschatten wir sie, damit sie uns zu Emilias Versteck führt. Und wenn wir das entdeckt haben, alarmieren wir die Polizei, damit die Emilia befreit. Jetzt muss ich den Kindern nur noch verklickern, dass es viel besser ist, wenn neben drei Agenten noch vier Muskeltiere mit in die Fahndung einsteigen – dann wird aus dem guten Plan ein spitzenmäßiger!

Ich rapple mich also auf, hüpfe in die Kreismitte und fauche, so laut ich kann.

Kira legt den Kopf schief. »Hm, wenn ich nur wüsste, was Winston uns gerade sagen will. Es ist bestimmt etwas sehr Wichtiges!«

Stimmt ganz genau! Ich fauche noch einmal.

»Winston erstaunt mich immer wieder«, stellt Pauli fest. »Ob alle Katzen so schlau sind? Oder ob das noch an eurem Körpertausch liegt?«

Odette maunzt, die Kinder gucken erstaunt.

»Mannomann!«, ruft Tom. »Das wird langsam unheimlich mit den beiden! Ich frage mich sowieso schon die ganze Zeit, woher Winston wusste, dass der Brief heute Abend vom Entführer war. Wusste er doch, oder?« Er guckt mich scharf an, ich miaue zustimmend. »Nicht zu vergessen heute Morgen – den Brief hatte er doch auch schon angeschleppt. Und dann die Sache mit den beiden Kindern. Wie hat Winston die bloß gefunden? Die standen ja gar nicht mehr direkt vorm Haus, sondern waren schon ein ganzes Stück weit weg. Ich werde das Gefühl nicht los, dass diese beiden Katzen irgendetwas wissen, was wir noch nicht gecheckt haben.«

So ist es. Dann werde ich mal versuchen, euch Zweibeiner in den aktuellen Stand unserer Ermittlungen einzuweihen. Ich drücke meine Nase auf den Boden und versuche, Geräusche zu machen, die ansatzweise nach Schnüffeln klingen. Dann schnüffele ich einmal im Kreis, setze mich wieder auf und maunze.

»Hä?« Kira kratzt sich am Kopf.

»Ich glaube, sie haben dich nicht verstanden«, meint Odette trocken. »Es sah aber auch ziemlich seltsam aus. Ein guter Schauspieler bist du jedenfalls nicht.«

»Schönen Dank auch«, erwidere ich gereizt. »Dann mach doch selbst, wenn du eine bessere Idee hast!«

»Hab ich auch!« Sie trabt zu Kira und schnüffelt an deren Händen.

»Hey, das kitzelt!«, ruft Kira.

»Tja, super Idee, Odette«, ätze ich. »Da hat Kira ja sofort geschnallt, was du sagen wolltest.« Odette sagt dazu nichts, sondern schnuppert weiter an Kiras Händen. Dann hört sie damit auf, läuft zu Kiras Schreibtisch, macht einen Satz auf die Tischplatte und beginnt, dort in einem Haufen Papier herumzuschnüffeln.

»Hm, ich glaube, das soll Schnüffeln bedeuten«, sagt Pauli schließlich.

»Meinst du?« Tom klingt skeptisch.

»Ja. Erst hat die weiße Katze doch an Kiras Händen geschnüffelt, jetzt an Papier. Also, wenn die Katzen wirklich versuchen, uns etwas zu sagen, dann doch wohl, dass sie etwas Bestimmtes erschnüffelt haben.«

»Genau!«, ruft Kira plötzlich. »Wenn Odette an Papier schnüffelt, meint sie wahrscheinlich den Brief des Entführers – er scheint nach etwas zu riechen, das die Katzen wiedererkannt haben. Vielleicht haben sie so auch die Kinder gefunden. Weil die auch danach gerochen haben.«

Heilige Ölsardine – na endlich! Es hat zwar lange gedauert, aber nun haben wir unsere Zweibeiner auf der richtigen Spur. Ich schnurre zufrieden.

»Also stimmt es, Winston?« Kira mustert mich eindringlich. Ich schnurre noch lauter. »Tja, wenn das so ist, Leute, dann müssen wir Odette und Winston natürlich unbedingt morgen früh mitnehmen.«

»Hurra!« Mit einem lang gezogenen Maunzer springt Odette wieder vom Schreibtisch hinunter und läuft zu mir. »Ich hätte nicht gedacht, dass die Verständigung zwischen Mensch und Katze so toll klappt«, ruft sie begeistert. »Das geht ja richtig einfach! Jetzt müssen wir nachher nur noch Karamell und Spike mitnehmen, dann läuft es genauso, wie wir es geplant hatten. Sag, dass ich das gut gemacht habe, Winston!«

»Ja, hast du gut gemacht. Aber ich vermute, dass es in diesem Fall nur so einfach war, weil Kira schon mal als Katze durch die Gegend gelaufen ist. Sie weiß eben, wie wir Katzen ticken. Die meisten Menschen glauben bestimmt nicht, dass wir logisch denken können.«

»Pah!« Odette klingt empört. »Das kann gar nicht sein! Die Menschenpolizei arbeitet doch sogar mit Hunden zusammen! Also, wenn sie Hunden zutrauen, ihnen zu helfen, muss das doch für uns erst recht gelten! Frechheit!«

»Na ja, Hunde sind eben … unkomplizierter. Also, aus menschlicher Sicht, meine ich. Ich glaube, sie helfen Menschen einfach gern. Und diese Eigenschaft macht sich die Polizei eben zunutze.«

»Wir helfen doch auch gern!«

»Ja, machen wir auch. Aber eben auf unsere Weise. Ich glaube, was Menschen an Hunden mögen, ist, dass Hunde es eben so machen, wie der Mensch es gern möchte. Man kann es ihnen gewissermaßen vorschreiben.«

»Okay, da hast du recht. Vorschreiben lassen würde ich mir das nicht. Trotzdem: Ich helfe gern! Auch Menschen!«

Könnte ich grinsen, jetzt würde ich es tun. Odette ist einfach zu süß, wenn sie sich aufregt.

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