9 Ins Unbekannte

Eines Abends saßen wir alle zusammen beim Essen im Speisezimmer der Missionsstation. Inzwischen war eine Woche verstrichen. Unsere Stimmung war sehr gedrückt, denn am darauffolgenden Morgen wollten wir unseren lieben Freunden, den Mackenzies, Lebewohl sagen und uns auf unsere Reise ins Unbekannte aufmachen. Von den Masai hatten wir nichts mehr gesehen oder gehört, und außer ein paar Speeren, die wir übersehen hatten, und die nun langsam im Gras verrosteten und ein paar leeren Patronenhülsen, die noch an der Außenmauer lagen, da, wo wir gestanden hatten, gab es nichts mehr, aus dem noch hätte hervorgehen können, daß der alte Viehkraal am Fuße des Hügels noch vor kurzem der Schauplatz eines so blutigen Gemetzels gewesen war. Mackenzie erholte sich, hauptsächlich dank der Tatsache, daß er von so gesunder Natur war, sehr rasch von seiner Verwundung. Inzwischen konnte er schon wieder auf Krücken herumlaufen. Von den anderen Verwundeten war einer am Wundbrand gestorben, während der Rest auf dem raschen Wege der Besserung war. Mr. Mackenzies Karawane war inzwischen von der Küste zurückgekehrt, und somit war die Missionsstation wieder weitgehend vollzählig.

Unter diesen Umständen waren wir zu dem Entschluß gekommen, so herzlich und drängend man uns auch zum Bleiben einlud, weiterzuziehen; zuerst zum Mount Kenia, und von dort aus weiter ins Un-bekannte, wo wir die geheimnisvolle weiße Rasse zu entdecken hofften, die es uns so sehr angetan hatte. Dieses Mal wollten wir mit Hilfe des anspruchslosen, aber nichtsdestoweniger äußerst nützlichen Esels vorwärtskommen. Wir hatten uns nicht weniger als ein Dutzend Tiere besorgt, die unser Hab und Gut und, wenn nötig, auch uns selbst tragen sollten. Uns waren nur noch zwei Wakwafi als Diener geblieben, und es stellte sich alsbald heraus, daß es so gut wie unmöglich war, weitere Eingeborene zu bekommen, die sich gemeinsam mit uns in das unbekannte Gebiet wagen würden, das wir erforschen wollten. Wir machten keinem einen Vorwurf daraus. Schließlich war es in der Tat, wie Mr. Mackenzie bemerkte, schon mehr als ungewöhnlich, daß drei Männer, von denen jeder viele der Dinge besaß, die das Leben lebenswert machen sollen - Gesundheit, gesicherte Existenz, gesellschaftliches Ansehen etc., zu ihrem eigenen Vergnügen in so ein Abenteuer ziehen wollten, von dem sie höchstwahrscheinlich nie wieder zurückkehren würden - zumindest war die Chance nicht sehr groß. Aber so ist der Engländer nun einmal - ein Abenteurer bis ins Mark. Und unsere gesamte prächtige Stammrolle von Kolonien, von denen jede einst eine große Nation sein wird, legt Zeugnis ab von dem außergewöhnlichen Wert des Abenteurergeistes, der auf den ersten Blick manchmal wie eine gelinde Form des Irrsinns erscheint. »Abenteurer« - das ist der, der hinausgeht, um zu meistern, was auch immer ihm begegnet. Nun, das tun wir alle auf der Welt auf diese oder jene Weise, und was mich betrifft, so bin ich stolz auf diese Bezeichnung, steht sie doch auch für ein tapferes Herz und für ein tiefes Vertrauen in die Vorsehung. Und wenn manch ein berühmter Krösus, dem heute das Volk zu Füßen liegt, und manch ein heuchlerischer, konjunkturreitender, wortklaubender Politiker längst der Vergessenheit anheimgefallen sein wird, dann werden die Namen jener mutigen, weltoffenen alten Abenteurer, die England zu dem gemacht haben, was es heute ist, weiterleben in den Gedanken des Volkes, und mit Liebe und mit Stolz wird man von ihnen den Kindern erzählen, deren ungeformte Seelen noch im Schoße ferner Jahrhunderte schlummern. Nicht, daß wir drei erwarten können, einst in einem Atemzug mit jenen genannt zu werden; aber dennoch haben wir etwas vollbracht -genug vielleicht, um einen Mantel über die Nacktheit unserer Dummheit zu werfen.

Als wir an jenem Abend auf der Veranda saßen, um vor dem Schlafengehen noch eine Pfeife zu rauchen, klopfte es plötzlich an der Tür, und vor uns stand niemand anderes als Alphonse, der mit einer tiefen Verbeugung ankündigte, daß er um eine Unterredung mit uns bitten wollte. Als wir ihn höflich, aber bestimmt aufforderten, >sich davonzumachen<, eröff-nete er uns mit weitschweifigen Worten, daß er darauf brenne, sich unserer Expedition anzuschließen. Ich war darüber nicht schlecht erstaunt, wußte ich doch, was für ein Feigling der kleine Mann war. Seine Gründe blieben uns jedoch nicht lange verborgen: Mr. Mackenzie wollte zur Küste hinunter und von dort aus weiter nach England. Und nun war Alphonse überzeugt, daß man ihn, sobald er an der Küste auftauchte, ergreifen und nach Frankreich ausweisen würde, wo er ins Zuchthaus käme. Dieser Gedanke suchte ihn hartnäckig heim, genauso wie der Kopf von König Charles Mr. Dick heimsuchte, und er hatte solange darüber nachgebrütet, bis sich die Gefahr in seiner Phantasie verzehnfacht hatte. In Wirklichkeit war sein Verstoß gegen die Gesetze seines Landes aller Wahrscheinlichkeit nach längst vergessen, und außer in Frankreich hätte er sich wohl überall auf der Welt unbehelligt bewegen können. Aber wir kriegten ihn beim besten Willen nicht dazu, das einzusehen. Als der geborene Feigling der er nun einmal war, zog der kleine Franzose es hundertmal eher vor, die Risiken, Gefahren und Strapazen, die eine solche Expedition mit sich brachte, auf sich zu nehmen, als sich -ungeachtet seiner großen Sehnsucht nach seinem Heimatland - den möglichen Verhören eines Polizeibeamten auszusetzen, was am Ende nur ein weiteres Beispiel für die Richtigkeit der Behauptung ist, daß für die Mehrzahl der Menschen eine weit entfernte Gefahr, so verschwommen und unrealistisch sie auch sein mag, ein weit stärkeres Angstgefühl auslöst als der ernsteste momentane Notstand. Nachdem wir Alphonse zu Ende angehört hatten, beratschlagten wir, was wir tun sollten, und schließlich erklärten wir uns damit einverstanden, mit Mr. Mackenzies Zustimmung, das Angebot des kleinen Franzosen anzunehmen. Der Entschluß fiel uns nicht leicht; aber zum einen brauchten wir dringend noch einen Mann, und Alphonse war ein quicklebendiger, flinker Bursche, der ein Händchen für viele Dinge besaß, insbesondere fürs Kochen - ah, und wie er das konnte! Ich bin überzeugt, er hätte sogar noch aus den Gamaschen seines heroischen Großvaters, über die er so gerne sprach, eine schmackhafte Mahlzeit gezaubert. Zum anderen war er stets gutgelaunt, immer zu Späßen aufgelegt und nicht zuletzt eine gutmütige Seele, und sein pompöses, prahlerisches Gerede war uns eine Quelle ununterbrochenen Spaßes. Und was noch viel wichtiger ist: er war nie hinterhältig oder boshaft. Natürlich war die Tatsache, daß er so ein ausgesprochener Feigling war, ein großer Minuspunkt für ihn, aber da wir diese Schwäche bei ihm ja nun zur Genüge kannten, konnten wir uns mehr oder weniger darauf einstellen. Nachdem wir ihn also noch einmal eindringlich auf die möglichen Gefahren hingewiesen hatten, denen er sich aussetzte, wenn er mit uns ging, erklärten wir ihm, daß wir sein Angebot unter der Bedingung annehmen wollten, wenn er verspreche, allen unseren Anweisungen strikt Folge zu leisten. Wir versprachen ihm außerdem, ihn für seine Dienste mit zehn Pfund pro Monat zu entlohnen, falls er je wieder in zivilisierte Gegenden kommen würde, um sie noch empfangen zu können. Erfreut stimmte er allen unseren Vorschlägen und Bedingungen zu. Dann zog er sich zurück, um seiner Annette einen Brief zu schreiben. Mr. Mackenzie hatte ihm versprochen, den Brief zu besorgen, sobald er die Küste erreicht hätte. Als er mit dem Brief fertig war, las er ihn uns vor. Sir Henry übersetzte ihn uns. Es war eine wundervolle Komposition. Ich bin sicher, die Tiefe seiner Zuneigung, seine glühende Verehrung und die Schilderungen seiner Leiden in der barbarischen Fremde - »weit, so weit von dir, o Annette, welche zu erringen ich solche Pein auf mich nehme ...« - hätten auch das Herz des hartherzigsten Mädchens zum Schmelzen gebracht.

Der Morgen unserer Abreise kam, und gegen sieben Uhr waren alle Esel bepackt. Nun war es an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Es war eine traurige Angelegenheit, insbesondere der Abschied von der kleinen Flossie. Sie und ich waren dicke Freunde geworden, und unsere zahlreichen Gespräche waren uns eine liebe Gewohnheit gewesen. Aber ihre Nerven hatten sich nie von dem Schock erholt, den sie in jener Nacht erlitten hatte, als sie, im sicheren Gefühl des Todes, hilflos den blutrünstigen Masai ausgeliefert war.

»Oh, Mr. Quatermain!« rief sie mit tränenerstickter Stimme und schlang ihre Arme um meinen Hals. »Es ist so schrecklich, daß ich Ihnen Lebewohl sagen muß! Ob wir uns wohl einmal wiedersehen?«

»Ich weiß nicht, mein liebes kleines Mädchen«, gab ich zur Antwort. »Ich bin am einen Ende des Lebens, und du bist am anderen. Ich habe nur noch eine kurze Zeit vor mir, wenn ich Glück habe, und das meiste liegt schon in der Vergangenheit. Aber ich hoffe, daß vor dir noch viele lange, glückliche Jahre liegen. Du hast deine Zukunft noch vor dir. Mit der Zeit wirst du zu einer wunderschönen Frau heranwachsen, Flossie, und dieses wilde Leben hier wird dir nur noch wie ein längst vergangener, weit entfernter Traum vorkommen. Aber ich hoffe, daß du, auch wenn wir uns niemals wiedersehen sollten, manchmal an deinen alten Freund zurückdenken und dich seiner Worte erinnern wirst. Bemühe dich immer, gut zu sein, mein liebes Kind, und strebe stets danach, das zu tun, was richtig ist, und nicht nur das, was dir angenehm erscheint; denn am Ende wird sich zeigen, daß das Gute auch immer das ist, was dich wirklich glücklich macht, auch wenn manch einer spöttisch darüber lächeln mag. Sei uneigennützig und hilf, wann immer du kannst, deinem Nächsten - die Welt ist voll von Leid; es zu lindern, ist unser nobelstes Ziel. Wenn du das tust, dann wirst du eine gütige und gottesfürchtige Frau werden, und du wirst ein wenig Licht in das Leben vieler Menschen bringen, und am Ende wirst du nicht, wie so viele andere, umsonst gelebt haben. Nun habe ich dir eine Menge altmodischer Ratschläge mit auf den Weg gegeben, aber ich will dir auch etwas geben, womit du sie dir ein wenig versüßen kannst. Du siehst dieses kleine Blatt Papier; man nennt so etwas einen Scheck. Wenn wir fort sind, gib ihn deinem Vater zusammen mit diesem Brief - aber erst, wenn wir fort sind, hörst du! Du wirst eines Tages heiraten, meine liebe kleine Flossie, und mit diesem Scheck sollst du dir ein Hochzeitsgeschenk kaufen, das du immer bei dir tragen sollst, und nach dir deine Tochter, wenn du eine haben solltest - zur Erinnerung an den alten Jäger Quatermain.«

Die arme, kleine Flossie weinte ganz schrecklich und schenkte mir eine Locke von ihrem hellglänzenden Haar, die ich noch heute bei mir trage. Der Scheck, den ich ihr gab, belief sich über tausend Pfund (die ich nun, da es mir finanziell gut geht und ich keine Verpflichtungen als solche karitativer Natur habe, leicht verschmerzen kann). In dem Brief wies ich ihren Vater an, diese Summe in Regierungspapieren anzulegen und ihr, sobald sie heiratete oder in heiratsfähiges Alter kam, das beste Diamantenkollier zu kaufen, das er für das Geld und die daraus erwachsenen Zinsen bekommen konnte. Ich wählte Diamanten aus dem Grund, weil ich glaube, daß nun, da die Minen des Königs Salomo der Welt für immer verlorengegangen sind, der Preis für Diamanten nie-mals wieder unter den jetzigen sinken wird, so daß Flossie, sollte sie später einmal in finanzielle Schwierigkeiten geraten, keine Probleme haben dürfte, die Steine zu Geld zu machen.

Nach vielem Händeschütteln, Hüteschwenken und auch überschwenglichen Abschiedsgrüßen seitens der Eingeborenen brachen wir schließlich auf. Alphonse vergoß wahre Bäche von Tränen (er ist ein warmherziger Mann), als er sich von den Mackenzies verabschiedete. Ich selbst brachte die Sache so schnell wie möglich hinter mich; ich hasse Abschiedsszenen. Was mich vielleicht am meisten rührte, war der offensichtliche Kummer, den Umslopogaas die Trennung von der kleinen Flossie bereitete. Der grimmige alte Krieger hatte eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Mädchen entwickelt. Er sagte ihr immer wieder, daß sie so schön anzuschauen sei wie der einzige Stern an einem dunklen Nachthimmel, und er wurde nicht müde, sich laut zu beglückwünschen, daß er den Lygonani getötet hatte, der damit gedroht hatte, das Mädchen zu ermorden. Und das war das letzte, was wir von dem schönen Missionshaus - einer wahren Oase in der Wüste - und der europäischen Zivilisation überhaupt sahen. Aber oft noch denke ich zurück an die Mackenzies und frage mich, ob sie es geschafft haben, zur Küste zu kommen, und ob sie wohl nun sicher und wohlbehalten in England sind und jemals diese Zeilen lesen können. Arme kleine Flossie! Ich frage mich, wie sie wohl zurechtkommt in Gefilden, in denen es keine schwarzen Diener gibt, die ihren gebieterischen Wünschen auf der Stelle nachkommen, und keinen himmelhohen, schneebedeckten Mount Kenia, den sie betrachten kann, wenn sie des Morgens aufsteht. Leb wohl, kleine Flossie!



Nachdem die Missionsstation unseren Blicken entschwunden war, zogen wir unbehelligt am Fuße des Mount Kenia vorüber, den die Masai >Donyo Egere< nennen, was soviel heißt wie >der gesprenkelte Berg<; und zwar bezeichnen sie ihn so wegen der zahlreichen schwarzen Punkte, die auf seiner mächtigen Kuppe erscheinen. Das sind die Stellen, an denen die Abhänge so steil sind, daß der Schnee nicht darauf liegenbleibt, so daß der nackte Fels zum Vorschein kommt. Danach zogen wir weiter, vorbei an dem einsam gelegenen Baringosee. Hier trat einer unserer beiden übriggebliebenen Askari unglücklicherweise auf eine Puffotter und starb kotz all unserer Rettungsversuche an dem Biß dieser überaus giftigen Schlange. Von da aus marschierten wir weiter, bis wir nach etwa hundertfünfzig Meilen einen anderen großartigen, ebenfalls schneebedeckten Berg erreichten, den Leka-kisera. Soweit ich weiß, waren noch nie Europäer bis hierher gelangt. Es war ein grandioser Berg, doch leider kann ich mich nun nicht mit seiner Beschreibung aufhalten. Vierzehn Tage verweilten wir dort, und dann brachen wir auf in den dichten und unbewohnten Wald des riesigen Gebietes, das Elgumi genannt wird. Allein in diesem Wald gab es mehr Elefanten, als ich jemals zuvor gesehen hatte. Diese riesigen Säugetiere tauchen dort buchstäblich in Schwärmen auf, da sie dort vom Menschen völlig in Ruhe gelassen werden; ihrer Vermehrung wird nur Einhalt geboten durch jenes Gesetz der Natur, das dafür sorgt, daß kein Lebewesen die Zahl übersteigt, die das Gebiet, das es bewohnt, verkraften kann. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß wir nur wenige von ih-nen abschossen. Zum einen, weil wir es uns nicht leisten konnten, unsere kostbare Munition zu vergeuden, die ohnehin gefährlich knapp geworden war (der Esel, den wir mit ihr beladen hatten, war beim Durchwaten eines überfluteten Flusses von der Strömung fortgerissen worden); zum anderen, weil wir keine Möglichkeit hatten, das Elfenbein fortzuschaffen. Und einfach um des Tötens willen zu schießen lehnten wir selbstverständlich ab. Also ließen wir die riesigen Tiere in Frieden; nur zweimal sahen wir uns gezwungen, eines zu erschießen, weil es uns angriff. In dieser Gegend, in der die nichtsahnenden Elefanten dem Jäger auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert sind, kann man sich ihnen auf offenem Felde unbekümmert bis auf etwa zwanzig Yards nähern. Dann standen sie da, die großen Ohren gespitzt wie ein verwirrter Riesenhund, und starrten auf dieses neue, außergewöhnliche Phänomen - den Menschen. Gelegentlich, wenn die Musterung nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfiel, endete das Anstarren mit einem lauten Trompeten und einem Angriff; dies passierte jedoch nur selten. Und wenn es doch einmal geschah, dann griffen wir zu unseren Gewehren.

Die Elefanten waren indessen nicht die einzigen wilden Tiere, die den riesigen Wald von Elgumi bevölkerten. Da gab es alle Arten von Wild im Überfluß, nicht zuletzt auch Löwen - zum Teufel mit ihnen! Seit mich einmal einer ins Bein gebissen und mich für mein ganzes Leben zu einem hinkenden Krüppel gemacht hatte, haßte ich den Anblick dieses Tieres. Was ebenfalls in riesigen Mengen herumschwirrte, war die verfluchte Tsetsefliege; ihr Stich ist für Haustiere tödlich. Man sagt, daß sich Esel - ebenso wie der Mensch -einer besonderen Immunität gegenüber ihren Attacken erfreuen; ich kann dazu nichts weiter sagen, als daß unsere - sei es aufgrund ihrer erbärmlichen Allgemeinverfassung, sei es, weil die Tsetsefliege in jener Gegend giftiger als anderswo ist, oder aus welchen Gründen auch immer - unter ihrem Angriff zusammenbrachen. Das geschah glücklicherweise jedoch erst zwei Monate nachdem sie von der Fliege gebissen worden waren; plötzlich - es hatte zwei Tage lang heftig geregnet -starben sie alle gleichzeitig. Ich zog mehreren von ihnen die Haut ab und entdeckte bei allen übereinstimmend die langen, gelben Streifen auf dem Fleisch, die als charakteristisches Zeichen für den Tod durch den Biß der Tsetsefliege genau an der Stelle auftreten, an der das Insekt seinen Rüssel in die Haut hineinsticht.

Sobald wir den Wald von Elgumi durchquert hatten und wieder in relativ freies Gebiet gekommen waren, schlugen wir, nachdem wir Richtung Norden marschiert waren - gemäß den Informationen, die Mr. Mackenzie von dem unglücklichen Wanderer, der sich zu ihm durchschlug, um dann so tragisch zu enden, erhalten hatte -, genau zum rechten Zeitpunkt den Weg zu dem großen See ein, den die Eingeborenen Laga nennen. Er sollte - nach dem Bericht des Wanderers - ungefähr fünfzig Meilen lang und etwa zwanzig Meilen breit sein. Von dort aus durchquerten wir in einem Marsch, der fast einen Monat in Anspruch nahm, ein gewaltiges, wellenförmiges Hochland; es ähnelte ein wenig der Landschaft, die mir von Transvaal her bekannt war; im Gegensatz zu jener war sie jedoch hie und da mit Flecken von Buschland durchsetzt, die die Einöde ein wenig auflockerten.

Die ganze Zeit über befanden wir uns in einem kontinuierlichen Anstieg von etwa hundert Fuß pro zehn Meilen. Das Land machte in der Tat eine Steigung, die in der Ferne in einer Kette schneebedeckter Berge zu enden schien. Diese Bergkette steuerten wir nun an; dort sollten wir auch erfahren, wo der zweite See, von dem der Wanderer als einem >See ohne Grund< gesprochen hatte, gelegen war.

Endlich erreichten wir die Stelle, und als wir uns versichert hatten, daß oben in den Bergen tatsächlich ein See existierte, stiegen wir weiter, bis wir in etwa dreitausend Fuß Höhe an einen steilen Felsabsturz kamen. Etwa fünfzehnhundert Fuß unter uns erstreckte sich ein See von ungefähr zwanzig Quadratmeilen Oberfläche, der offensichtlich einen erloschenen Krater von riesigen Ausmaßen füllte. Da wir am Ufer dieses Sees Dörfer erkennen konnten, wagten wir den gefährlichen Abstieg, der uns durch Nadelwälder führte, die nun die steilen Innenabhänge des Kraters bedeckten. Unten wurden wir freundlich empfangen. Die Bevölkerung, einfache, unkriegerische Leute, die noch nie etwas von Weißen gehört, geschweige denn gesehen hatten, behandelten uns mit großer Ehrfurcht und Zuvorkommenheit und versorgten uns mit soviel Nahrung und Milch, wie wir essen und trinken konnten. Dieser großartige, wunderschöne See lag nach Auskunft unseres Aneroidbarometers nicht weniger als 11 450 Fuß über dem Meeresspiegel; das Klima hier oben war ziemlich kühl, fast so wie in England. Und in der Tat - in den ersten drei Tagen unserer Anwesenheit sahen wir nur wenig oder so gut wie gar nichts von der Landschaft, weil ein dichter, typisch schottischer Nebel alles einhüllte. Und hier fiel auch der Regen, der das Gift der Tsetsefliegen in den Körpern unserer restlichen Esel zur Wirkung brachte, worauf sie alle tot umfielen.

Dieses Unglück brachte uns in eine arge Klemme, hatten wir doch nun keinerlei Transportmittel mehr. Zum Glück gab es aber auch nicht mehr soviel zu transportieren. Auch unsere Munition war äußerst knapp geworden; wir verfügten lediglich noch über hundertfünfzig Schuß Gewehrmunition und zirka fünfzig Schrotpatronen.

Wir wußten nicht, wie wir weiterkommen sollten; es sah in der Tat ganz so aus, als wären wir mit unserem Latein am Ende. Selbst wenn wir den Entschluß gefaßt hätten, das Ziel unserer Reise aufzugeben (woran, sosehr es auch im Dunkeln lag, keiner von uns auch nur im Traum dachte), so schien es lächerlich, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, in unserem gegenwärtigen Zustand die Reise von siebenhundert Meilen zurück zur Küste zu wagen. Sosehr wir nachdachten; es gab nur eine Entscheidung: erst einmal da zu bleiben, wo wir waren; die Eingeborenen waren uns wohlgesonnen, und zu essen gab es in Hülle und Fülle. Im Augenblick gab es nichts anderes zu tun, als zu warten, der Dinge zu harren, die da kämen, und soviel wie möglich Informationen über die angrenzenden Gebiete zu sammeln.

Wir kauften also ein großes Holzkanu, das Platz genug für uns alle und unser Gepäck bot, von dem Häuptling des Dorfes, in dem wir untergekommen waren (als Zahlungsmittel dienten uns drei leere, kaltgezogene Patronenhülsen aus Messing, über die er höchst erfreut war), und begaben uns auf eine Rundfahrt am Ufer des Sees entlang, um einen möglichst günstigen Lagerplatz für uns zu suchen. Da wir nicht wußten, ob wir noch einmal in das Dorf zurückkehren würden, packten wir unsere gesamte Habe in das Kanu, dazu einen halben gekochten Wasserbüffel (der, wenn er noch jung ist, eine wahre Köstlichkeit darstellt) und ließen das Kanu zu Wasser. Mehrere Eingeborene waren schon in leichten Booten vorausgefahren, um den Bewohnern der anderen Dörfer unser Nahen anzukündigen.

Wie wir so gemächlich dahinpaddelten, machte uns Good auf das außerordentlich tiefe Blau des Wassers aufmerksam und sagte, er habe von den Eingeborenen, die erfahrene Fischer waren - Fisch bildete das Hauptnahrungsmittel der hiesigen Bevölkerung -, gehört, daß der See ungeheuer tief sei und auf dem Grunde ein Loch habe, durch das das Wasser abfließe und sich weit unten über ein tosendes Feuer ergieße.

Ich wies darauf hin, daß das, was er da gehört hatte, sicherlich auf einer uralten Legende beruhte, die man sich seit Generationen unter der Bevölkerung erzählte. Wahrscheinlich wäre diese Legende auf die Zeit zurückzuführen, in der noch einer der erloschenen parasitären Vulkanschlote aktiv war. Wir sahen mehrere von ihnen rund um das Ufer des Sees, von denen ohne Zweifel mindestens einer noch zu einer Zeit aktiv gewesen war, als der Hauptvulkan, der jetzt das Becken des Sees selbst bildete, schon längst erloschen gewesen sein mußte. Als auch dieser schließlich erlosch, waren die Leute wahrscheinlich in dem Glauben gewesen, das Wasser des Sees sei hinuntergeflossen und habe das große Feuer unten gelöscht, insbesondere weil der See, obwohl er ständig von dem Wasser gespeist wurde, das von den schneebedeckten Gipfeln ringsum herabfloß, keinen sichtbaren Abfluß hatte.

Als wir uns dem anderen Ufer des Sees näherten, stellten wir fest, daß es aus einer riesigen, senkrecht hochragenden Felswand bestand und nicht, wie an den anderen Ufern, aus einem allmählich ansteigenden Strand. Wir paddelten also parallel zu dieser Wand weiter am Ufer entlang, in einem Abstand von etwa hundert Schritt, und steuerten das Ende des Sees an, wo - wie wir wußten - ein Dorf lag.

Nach einer Weile tauchte vor uns im Wasser eine beträchtliche Ansammlung von treibenden Binsen, Unkraut, abgerissenen Baumästen und ähnlichem Zeug auf. Irgendeine Strömung, die Good im höchsten Maße erstaunte, und für die er keine Erklärung fand, mußte das Zeug hierhergetrieben haben. Während wir noch daran herumrätselten, machte uns Sir Henry auf einen Schwarm großer weißer Schwäne aufmerksam, die kurz vor uns in der Strömung trieben und nach Nahrung suchten. Ich hatte schon mehrfach Schwäne vom Ufer aus über den See fliegen sehen, und da ich noch nie zuvor welchen in Afrika begegnet war, war ich natürlich äußerst begierig darauf, ein Exemplar davon zu erwischen. Ich hatte die Eingeborenen nach der Herkunft der Tiere gefragt, und dabei hatte ich erfahren, daß sie von jenseits der Berge kamen, und zwar immer zu bestimmten Jahreszeiten und immer morgens in der Frühe, wenn man sie leicht fangen konnte, weil sie völlig erschöpft waren. Als ich sie fragte, aus welchem Lande die Schwäne kamen, zuckten sie die Achseln und sagten, oben auf dem großen schwarzen Felsen sei steiniges, unbewohnbares Land, und dahinter befänden sich schneebedeckte Gebirge, wo keine Menschenseele wohne, und die von wilden Tieren bevölkert sei, und hinter dem Gebirge sei auf Hunderten von Meilen dichter Dornenwald, der so dick sei daß sogar die Elefanten ihn nicht durchdringen könnten, geschweige denn der Mensch. Auf die Frage, ob sie schon einmal etwas von einem weißen Volk gehört hätten, das hinter dem Gebirge und dem Dornenwald lebe, antworteten sie mit lautem Gelächter. Aber später kam dann eine uralte Frau zu mir und sagte, ihr Großvater habe ihr, als sie noch ein ganz kleines Mädchen gewesen sei erzählt, sein Großvater habe ihm erzählt, daß, als er klein war, sein Großvater die Wüste und das Gebirge durchwandert hätte, durch den dichten Dornenwald hindurchgedrungen wäre und ein weißes Volk gesehen hätte, welches jenseits des Waldes in steinernen Kraalen lebte.

Diese Information, die ihren Ursprung in einem Ereignis hatte, das schon etwa zweihunderfünfzig Jahre zurücklag, war natürlich äußerst vage. Aber immerhin; einen Anhaltspunkt zumindest gab es, und als ich mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen ließ, gelangte ich immer mehr zu der Überzeugung, daß an diesem Gerücht irgend etwas Wahres sein mußte. Und je mehr ich dessen gewiß wurde, desto fester war ich entschlossen, dieses Geheimnis zu lüften. Wenn ich geahnt hätte, auf welch wundersame Weise mein Wunsch bald in Erfüllung gehen sollte!

Nun, jedenfalls pirschten wir uns langsam an die Schwäne heran, die, während sie fraßen, immer näher an die Felswand herantrieben. Schließlich, als wir nur noch vierzig Yards von ihnen entfernt waren, lenkten wir das Kanu hinter einem Haufen Treibgut in Dek-kung. Sir Henry hielt das Schrotgewehr im Anschlag und wartete auf eine günstige Schußposition. Schließlich hatte er gleich zwei auf einmal im Schußfeld; er hielt auf ihre Hälse und traf beide mit einem Schuß. Sofort erhob sich der Rest - es waren mehr als dreißig - unter lautem Geplatsche und Flügelschlagen aus dem Wasser. Sofort schickte Sir Henry die Ladung aus dem zweiten Lauf hinterher. Ein Bursche trudelte mit gebrochenem Flügel herunter, und bei einem anderen sah ich, wie er kurz zusammenzuckte, und wie sich ein paar Rückenfedern lösten und herabsegelten; aber er flog mit kräftigem Flügelschlag weiter. Höher und höher stiegen die Schwäne, immer im Kreis, bis sie nur noch als Punkte, etwa auf gleicher Höhe mit dem oberen Rand der finsteren Felswand, zu erkennen waren; dann bildeten sie einen Schwarm in Form eines Dreiecks und verschwanden nach Nordwesten, in das unbekannte Gebiet. Mittlerweile hatten wir die beiden toten Schwäne aufgelesen - es waren prächtige Tiere; jedes von ihnen wog sicherlich mehr als dreißig Pfund - und die Verfolgung des dritten, der am Flügel verletzt war, aufgenommen. Er krabbelte über einen Berg von Treibgut und ließ sich in das freie Wasser dahinter plumpsen. Da es relativ schwierig war, sich mit dem Kanu einen Weg durch das treibende Geäst zu bahnen, das uns mittlerweile wie ein Ring umschloß, befahl ich unserem einzigen übriggebliebenen Wakwafi, ins Wasser zu springen, unter dem Treibgut hinwegzutauchen und den Schwan zu fangen. Er war, wie sich schon einige Male gezeigt hatte, ein ausgezeichneter Schwimmer, und da sich in dem See keine Krokodile befanden, wußte ich, daß ihm nichts geschehen konnte. Der Mann, dem die Sache augenscheinlich selbst Spaß zu machen schien, zögerte nicht lange, und bald glitt er mit kräftigen Zügen hinter dem angeschossenen Schwan her. Dabei näherte er sich immer mehr der Felswand, an die nun schon die Wellen schlugen, die er beim Schwimmen verursachte.

Urplötzlich jedoch ließ er von der Verfolgung des Vogels ab und schrie laut zu uns herüber, etwas zöge ihn unwiderstehlich fort. Und tatsächlich - obwohl er versuchte, mit aller Kraft zum Kanu zurückzuschwimmen, sahen wir, daß er ganz langsam auf die Felswand zutrieb. Mit ein paar verzweifelten Paddelschlägen zwangen wir das Kanu durch den Wall aus Treibgut und ruderten mit aller Kraft auf den Mann zu. Jedoch - so schnell wir auch vorwärtskamen - er wurde immer schneller auf die Felswand zugetrieben. Auf einmal sah ich vor uns in der Felswand eine Öffnung; sie verlief bogenförmig etwa achtzehn Zoll über dem Wasserspiegel und sah aus wie die obere Rundung eines überschwemmten Kellergewölbes oder Eisenbahntunnels. Aus der Wasserlinie, die deutlich auf dem Felsen zu erkennen war, und die mehrere Fuß oberhalb der äußersten Krümmung der Öffnung verlief, war einwandfrei ersichtlich, daß die Öffnung normalerweise unter der Wasseroberfläche liegen mußte; aber es hatte eine lange Trockenheit geherrscht, und bedingt durch die außergewöhnliche Kälte, war von den Bergen nicht soviel Schmelzwasser wie gewöhnlich in den See geflossen, so daß der Wasserstand sehr niedrig; war und die Wölbung an der Oberfläche des Sees hervortrat. Diese Öffnung saugte nun unseren armen Diener mit beängstigender Geschwindigkeit an. Er war nunmehr höchstens noch zehn Klafter von ihr entfernt; wir etwa zwanzig. Ohne daß wir noch stark zu rudern brauchten, schoß das Kanu nun blitzschnell hinter ihm her.

Er wehrte sich tapfer gegen die Strömung, und ich dachte schon, wir hätten es geschafft, als ich plötzlich einen Ausdruck panischen Entsetzens auf sein Gesicht treten sah. Und vor unseren Augen wurde er in den grausamen, wirbelnden Schlund hinabgezogen und war in Sekundenschnelle verschwunden. Im selben Moment hatte ich das Gefühl, als hätte eine mächtige Faust unser Kanu gepackt; und schon riß uns eine unwiderstehliche Kraft auf die Wand zu.

Augenblicklich erkannten wir die Gefahr, in der wir schwebten, und ruderten, oder besser gesagt, paddelten, was das Zeug hielt, um wieder aus dem Sog herauszukommen. Vergeblich! Im nächsten Moment flogen wir schon wie ein Pfeil geradewegs auf die Öffnung zu, und ich glaubte, nun wäre das Ende gekommen. Zum Glück war ich noch geistesgegenwärtig genug, laut zu schreien: »Runter mit euch -runter!« Ich warf mich auf den Boden des Kanus. Die anderen reagierten blitzschnell und folgten meinem Beispiel. Im gleichen Augenblick ertönte ein Knirschen, und das Boot wurde so tief heruntergedrückt, daß Wasser über den Rand ins Innere schwappte. Nun glaubte ich endgültig, wir seien verloren.

Doch dann hörte ganz plötzlich das Knirschen wieder auf, und ich fühlte, daß das Kanu wieder ungehindert dahinschoß. Ich drehte meinen Kopf ein wenig - ihn zu heben wagte ich nicht - und blickte nach oben. In dem schwachen Licht, das noch immer von der Öffnung her zu uns drang, erkannte ich dicht über unseren Köpfen die Wölbung eines Felsentunnels. Das war alles, was ich sehen konnte. Eine Minute später konnte ich nicht einmal diese mehr erkennen; denn das schwach hereindringende Licht war inzwischen von völliger Finsternis verschluckt worden.

Eine Stunde - vielleicht länger - hatten wir nun schon auf diese Weise liegend im Boot verbracht. Wir wagten nicht, die Köpfe zu heben, aus Angst, sie würden gegen die Felsen schmettern. Wir waren kaum in der Lage, uns zu verständigen, denn das mächtige Rauschen des dahinschießenden Wassers erstickte unsere Stimmen. Uns war überdies auch nicht sehr nach reden zumute; die Aussichtslosigkeit unserer Lage und die lähmende Angst vor einem raschen Tod zogen uns völlig in den Bann. Wir konnten entweder ganz plötzlich gegen den Rand der Tunnelwölbung geschmettert werden, oder gegen einen Felsen, oder wir konnten hinabgezogen werden in die tosende Flut; vielleicht würde uns auch allmählicher Sauerstoffmangel ein qualvolles Ende bereiten. Diese und viele andere Todesarten geisterten durch meine Phantasie, während ich auf dem Boden des Kanus lag und bang dem Brausen des dahinschießenden Wassers lauschte, das uns mit sich ins Unbekannte fortriß. Es gab nur noch ein einziges anderes Geräusch, das ich vernehmen konnte: das Schreckensgeheul von Alphonse, das aus der Mitte des Kanus zu mir drang; aber selbst das schien unendlich fern und unwirklich. Das Ganze wurde in der Tat langsam zuviel für mein gemartertes Hirn, und ich glaubte allmählich, ich wäre das Opfer eines quälenden, bösen Alptraums.

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