Sir Henry Rider Haggard (22.6.1856 Bradenham Hall/Norfolk - 14.5.1925 London) ist einer jener Autoren von Abenteuerromanen, weder literarisch völlig unangefochten noch gänzlich zur Trivialliteratur zu rechnen, an denen die englischsprachige Literatur so reich ist. Er ist vor allem ein Geschichtenerzähler von schier unerschöpflicher Phantasie, ohne allzu große literarische Ambitionen. Zu Lebzeiten war Haggard einer der erfolgreichsten Autoren der Welt (in England verkaufte sich nur Kipling noch besser), und wenn seine Popularität nach seinem Tode auch rapid absank, so wird er doch nach wie vor gelesen. In den Jahrzehnten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als der Imperialismus seinem Höhepunkt zustrebte, hat Haggard sozusagen jene Gegenden Afrikas, deren letzte Reste die europäischen Mächte eben unter sich aufteilten, auch literarisch in Besitz genommen; in Romanen, in denen sich malerische Abenteuer mit Elementen des Okkulten, aber auch mit einem Schuß des Entwurfes idealer Wesen vermischen, die den sogenannten Wilden zuweilen sogar jene Gerechtigkeit zumindest literarisch zuteil werden lassen, die ihnen die weißen Herren politisch sooft verweigerten.
Henry Rider Haggard wurde am 22. Juni 1856 als achtes von zehn Kindern eines eigensinnigen englischen Landedelmannes geboren. Sein Vater hatte ein polterndes, prosaisches Wesen, während die Mutter eine sanfte, zurückhaltende Frau war. Die Haggards führten ein aktives Leben, das von den Notwendigkeiten des täglichen Daseins bestimmt war, nicht von geistigen Dingen, obwohl der Vater ein gebildeter Mensch war und die Mutter sogar selbst Gedichte schrieb.
Der junge Henry Rider Haggard las nicht viel, seine Lieblingsbücher waren der Robinson Crusoe, Tausendundeine Nacht und Die drei Musketiere, aber er zog es zeitlebens vor, Erfahrungen lieber im Leben zu sammeln, als sie aus Büchern zu beziehen. Er war ein schwieriges Kind, und die Familie hielt ihn für dumm; er lernte nicht leicht, merkte sich nur, was ihn interessierte, und dazu gehörte keinesfalls die Mathematik. Als einziger von den Söhnen hatte er keine höhere Schulbildung, sondern besuchte nur die Grammar School und wurde eine Zeitlang auch privat unterrichtet. Er hatte das Glück, in dem Geistlichen H. J. Graham einen verständnisvollen Lehrer zu finden, so daß diese Jahre zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens gehören.
In der Gegend gab es einen jungen Bauern namens William Quatermain, mit dem Haggard gut Freund wurde. Den Namen Quatermain verewigte er später in der Gestalt seines wohl berühmtesten Helden Allan Quatermain, der in insgesamt 18 Büchern in Erscheinung trat. Noch ein anderer berühmter Name in seinen Büchern geht auf seine Jugendtage zurück: She-Who-Must-Be-Obeyed. Das war eine besonders scheußliche Puppe mit böse grinsendem Gesicht, die ein Kindermädchen, das die Furcht Haggards vor dieser Puppe rasch erkannte hatte, dazu benützte, sich durch seine Angst Gehorsam zu erzwingen. Sie ist bekanntlich Haggards berühmte Frauengestalt Ayesha aus der Tetralogie She. A History of Adventure (1887), Ayesha: The Return of She (1905), She and Allan (1921) und Wisdom's Daughter: The Life and Love Story of She-Who-Must-Be-Obeyed (1923).
Die starke Phantasie des Knaben zeigte sich schon damals, nicht zuletzt in seinen Schulaufsätzen; er war auch damals schon ein guter Schütze. Diese Erziehung dauerte bis zum Alter von 17 Jahren; dann setzte sich sein Vater in den Kopf, den Sohn die diplomatische Laufbahn einschlagen zu lassen und ihn für die Aufnahmeprüfung in den auswärtigen Dienst vorzubereiten. Damals kam Haggard auch mit spiritistischen Zirkeln in Berührung, ein Einfluß, der ihn zeit seines Lebens nicht mehr losließ. Er nahm auch an Seancen teil, fragte sich aber, ob alles bloß Illusion oder Wirklichkeit gewesen sei. Haggard glaubte indes fest an die Kommunikation der individuellen, noch auf Erden weilenden Seele mit den Seelen der Verstorbenen, und Reinkarnation und Metempsycho-se bilden einen Zug vieler seiner Erzählungen.
Aus der diplomatischen Laufbahn indessen wurde nichts, denn in einem plötzlichen Sinneswandel schickte ihn der Vater, als er hörte, daß einer seiner Freunde zum Gouverneur von Natal ernannt worden war, mit diesem nach Südafrika. Als Privatsekretär dieses Mannes und später als Gerichtsbeamter in Pretoria hatte Haggard Gelegenheit, entscheidende Ereignisse in der Geschichte Südafrikas unmittelbar kennenzulernen. Im Kampf mit den eingeborenen Ba-sutos und Zulus und ständigem Rückzug vor der Ausbreitung der englischen Macht waren die Buren entschlossen, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren und den englischen Vorstellungen von Recht und Ordnung auszuweichen. 1877 wurde der burische Transvaal annektiert, ohne daß dadurch eine Beruhigung der gespannten Lage eingetreten wäre. Einerseits drohten ständig Aufstände der mit der englischen Herrschaft unzufriedenen Buren, andererseits konnten die Zuluarmeen Cetywayos jederzeit losschlagen, denn es war Sitte, daß die jungen ZuluKrieger erst heiraten durften, nachdem sie ihre Speere in das Blut ihrer Feinde getaucht hatten. Nach einem englischen Ultimatum an die Zulus, das unbeantwortet blieb, wurden Truppen ins Zululand geschickt, und im Januar wurde eine über 1000 Mann starke britische Streitmacht bei Isandhlwana völlig aufgerieben. Die Engländer blieben schließlich siegreich, aber der Eindruck der Niederlage blieb unauslöschlich, auch wenn die Buren zu lange zögerten, um die angestrebte Unabhängigkeit wiederzugewinnen. Haggard, der sich in der Krise ausgezeichnet hatte, hätte eine glänzende Laufbahn vor sich gehabt. Statt dessen gab er seinen Regierungsposten plötzlich auf, verließ Pretoria und ließ sich im Natal als Straußen-farmer nieder. Ein Grund dafür mochte eine unglückliche Liebesgeschichte mit einer englischen Schönheit sein, die er schon vor seiner Abreise nach Afrika kennengelernt hatte und heiraten wollte. Als Haggards Vater erfuhr, daß sein Sohn von seinem Posten nach Europa zurückkehren wollte, um sie zu heiraten, verbot er es ihm in einem heftigen Brief. Haggard blieb, obwohl er sein Gepäck bereits aufgegeben hatte, und bald darauf gab ihm die Dame den Laufpaß. Diese schwächliche Entscheidung bereute der Autor sein Leben lang und diese Enttäuschung mag mit ein Grund sein, warum er so oft von wahrer Liebe schreibt, sogar über die Jahrhunderte hinweg.
Haggard begab sich aber nicht gleich zu seiner Farm, sondern kehrte zunächst nach England zurück, wo er bald, gegen den Widerstand ihres Vormundes, eine reiche Erbin aus einer Offiziersfamilie heiratete: eine brave, ein wenig phantasielose Frau, die sich für seine Bücher überhaupt nicht interessierte. In der Zwischenzeit hielten die Unruhen unter den Buren an, die schließlich offen zu den Waffen griffen und mehrere Gefechte gegen die Engländer gewannen. Bei Majuba Hill fielen viele von Haggards engsten Freunden in Südafrika. Ungeachtet der Kämpfe gingen die Verhandlungen weiter, und 1881 wurde den Buren unter Krüger die Autonomie gewährt. Haggard, der die britischen Konzessionen für einen politischen Fehler hielt, erkannte, daß er in Südafrika keine Zukunft mehr hatte, und kehrte nach England zurück, wo das Ehepaar zunächst vom Vermögen der Frau lebte, während Haggard Jurisprudenz studierte.
Die Ereignisse in Südafrika waren zweifellos die entscheidenden Erlebnisse in Haggards Leben; dort mußte er sich bewähren, dort gewann er innere Sicherheit und dort lernte er die Verhältnisse aus eigener Anschauung kennen. Er lauschte den Erzählungen der weißen Jäger und der Zulus und lernte die Zulus und ihre kriegerische Kultur zu bewundern, während die Halsstarrigkeit und Ungehobeltheit der Buren, ihre Mißachtung der Eingeborenen, seinen Abscheu erregten. Schon damals schrieb er kleine Skizzen über die Gebräuche und Sitten der Zulus für englische Zeitungen, z.B. eine lebendige Reportage über einen Kriegstanz der Zulus. Sein erstes Buch überhaupt, erschienen zu einer Zeit, als ganz England das lästige Burenvolk vergessen wollte, ist eine datenreiche und weitgehende objektive Darstellung der jüngsten Geschichte Transvaals und Natals, Cetywayo and His White Neighhours (1882). Zwei unmittelbar darauf folgende, unmäßig komplizierte und nichtphantastische Melodramen Dawn (1884) und The Witch's Head (1885) erregten wenig Aufmerksamkeit und scheinen von Haggard nur aus Langeweile verfaßt worden zu sein. Der Durchbruch kam erst mit King Solomon's Mines (1885), einem der berühmtesten Abenteuerromane des 19. Jahrhunderts. Dieses ungewöhnlich erfolgreiche Buch entsprang einer Wette mit einem von Haggards Brüdern, der behauptet hatte, Henry Rider könne nichts schreiben, was auch nur halb so gut sei wie Stevensons Schatzinsel, die damals Tagesgespräch in England war. Haggard nahm ihn beim Wort und schrieb in sechs Wochen King Solomon's Mines. Dieses Buch begründete auch Haggards eigenen Reichtum, was dem Ratschlag eines anonymen Schreibers im Vorzimmer seines Verlegers zu verdanken ist. Vor die Wahl zwischen einer Pauschale von hundert Pfund (damals ein achtbarer Betrag) oder Tantiemen gestellt, hatte sich Haggard bereits für die sichere Pauschale entschieden, als er, dem Rat des Vorzimmerschreibers folgend, seine Meinung änderte. Der Verleger war zwar verärgert, holte aber den neuen Vertrag. Das Buch wurde über Nacht ein Bestseller und war seit dem Erscheinen nie vergriffen. Der Roman ist die Geschichte einer aufregenden Schatzsuche in Afrika, ein farbiger und abenteuerlicher Expeditionsbericht, in dem Haggard seine Talente bei der Schilderung primitiver Volks-stämme und pittoresker Eingeborener voll entfaltete, im besonderen der Kukuanas, eines Zulustammes, der von dem einäugigen Riesen Twala regiert wird. Zu den bemerkenswertesten Charakteren des Buches gehört die verschrumpelte alte Hexe Gagool und ein riesiger Eingeborener namens Umbopas, der die Schatzsucher auf ihrer Expedition nach dem legendären Schatz des Königs Salomon ohne Bezahlung begleitet, und von dem sich herausstellt, daß er der legitime König der Kukuanas ist. Die Schlacht zwischen dem Usurpator Twala und den Anhängern Umbopas ist eines jener episch geschilderten Gemetzel, wie sie bei Haggard in fast jedem Buch vorkommen. Im Allan Quatermain etwa gibt es den Kampf gegen die Massai bei der Missionsstation, bei der Quatermain, Sir Henry Curtis, Umslopogaas und Gefährten an die 200 Gegner erschlagen, und natürlich die Entscheidungsschlacht zwischen den beiden Königinnen und das letzte Gefecht um den Palast, bei dem Allan Quatermain tödlich verwundet wird. (Aber als Erzähler erst stirbt, nachdem er, wie es sich gehört, die Geschichte abgeschlossen und das Manuskript einem Boten mitgegeben hat.) In King Solomon's Mines führt Haggards bereits die Charaktere ein, auf die er später oftmals zurückgriff: den alten, skeptischen Elefantenjäger Allan Quatermain, Sir Henry Curtis, einen großgewachsenen, blonden Gentlemanabenteurer, und Sir John Good, die Karikatur des eitlen und pedantisch auf die Etikette der Kleidung bedachten pensionierten Seeoffiziers, der selbst im dichtesten Dschungel seine Paradeuniform im Koffer hat. Zu den eindringlichsten Bildern von King Solomon's Mines gehört sicher jener riesige Felsendom, in dem die durch Kieselsäure zu Tropfsteinen erstarrten toten Zulu-Könige sitzen; als die Abenteurer eintreffen, ist Twala schon an seinem Platz, den Kopf zwischen den Füßen. King Solomon's Mines war von Anfang an ein ungeheurer Erfolg und wurde möglicherweise nur von She. A History of Adventure (1887) übertroffen. Zu den Bewunderern des Buches zählt Graham Greene, der in seiner Autobiographie Eine Art Leben schrieb: »Mein Lieblingsroman war natürlich King Solomon's Mines, doch was Quatermain später an Abenteuern erlebte, fand ich langweilig. Ich verliebte mich heftig in Nada, die Lilie, und bewunderte Chaka, den großen Zulukönig, wegen seiner Grausamkeit.«
Zu den größten Bewunderern von Sie (She) wiederum gehört Henry Miller, der in Books in My Life überschwenglich behauptete, verglichen mit Ayesha sei die schöne Helena nichts als ein bleicher Mond; und der Psychologe C. G. Jung hat sie als klassisches Beispiel für die anima, das Ewig Weibliche, interpretiert; sie vereinigt in sich unübertroffene Schönheit, ewige Jugend und uralte Weisheit. Sie ist die Traumfrau, die zugrundegehen muß, wenn sie mit der harten Wirklichkeit in Berührung kommt. Ayesha oder Sie haust als unsterbliche weibliche Göttin über ein Volk von Schwarzen in der Felsenstadt Kor. Im Ägypten des Altertums hatte Ayesha einst Kallikra-tes, einen eidbrüchigen Priester der Isis, geliebt und getötet, der mit der Prinzessin Amenartas aus seinem Lande geflohen war. Amenartas jedoch war ihr entkommen und hatte einen Sohn geboren, und von ihm stammt Leo Vincey, der Held der Geschichte, ein moderner Engländer, ab. Zusammen mit Leo Holly, dem Freund seines Vaters, bricht Vincey nach Afrika auf, wo sich das Drama verschmähter Liebe nach zweitausend Jahren wiederholt, wenn auch abgewandelt. Eine Reinkarnation der Amenartas, eine Eingeborene, die sich in Vincey verliebt hatte, wird von Ayesha getötet; denn Ayesha hatte die ganze Zeit auf die Wiederkehr des Kallikrates gewartet, und Leo Vincey ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Leo Vincey verfällt dem Zauber Ayeshas, die ihren Geliebten ebenfalls unsterblich machen will. Er zögert jedoch vor der lebensspendenden Flammensäule; um ihn zu beruhigen, geht Ayesha voran, aber bei der neuerlichen Berührung der Flamme schrumpft sie zu einem verrunzelten Knochenskelett zusammen und zerfällt schließlich zu Asche.
18 Jahre später, 1905, kehrt Ayesha in Ayesha: The Return of She in einer neuerlichen Inkarnation zurück, diesmal irgendwo in der Gegend von Tibet, und Amenartas ist zu der schönen Atene geworden; und wiederum rivalisieren die beiden um die Liebe Vin-ceys. Die Flamme, die ihren vorherigen Körper vernichtet hat, hat Ayeshas neuen Körper verunstaltet; als sie jedoch, von Atene herausgefordert, ihren häßlichen Körper vor Vincey enthüllt, erlangt sie durch dieses Opfer ihre übernatürliche Schönheit. Und wiederum kommt es zum Drama, denn sie ist übermenschlich, und Vincey stirbt in ihrer Umarmung. Irdisches Glück finden Haggards Helden nur im Kampf, aber nicht in der Liebe, und seine Gestalten sind dazu verurteilt, in immer neuen Inkarnationen einem platonischen Ideal vergebens nachzujagen. Erfüllung gibt es nur im Jenseits.
In She and Allan (1921), einer weiteren afrikanischen Abenteuergeschichte, treffen Haggards bekannteste Abenteurergestalten zusammen, und Sie verrät einiges über ihre Abstammung. Quatermain und seine Gefährten halten Ayesha für eine Hexe und sind nicht so von ihr beeindruckt wie Leo Vincey oder Henry Miller.
In Wisdom's Daughter (1923), dem letzten Roman des Quartetts, erzählt Ayesha schließlich die Geschichte ihrer ersten Inkarnation: sie ist die Tochter der Isis und verkörpert wie sie das weibliche Prinzip in der Natur. Unzweifelhaft ist Ayesha ein mächtiges Symbol, und darin liegt die frappierende Wirkung und Faszination der Gestalt; als menschliche Persönlichkeit aber ist sie höchst uninteressant, und je mehr sie von sich kundtut, desto uninteressanter wird sie.
Neben King Salomon's Mines und She ist Allan Quatermain (1887) Haggards vielleicht bekanntestes und bestes Buch und in gewisser Hinsicht sein folgenschwerstes. Es ist erneut eine Erzählung von unerhörten Entdeckungen in Afrika, enthält aber überhaupt keine übernatürlichen Elemente, sondern gehört zu einer Untergattung der Fantasy bzw. Science Fiction, die im englischen Sprachraum als >lost race< bezeichnet wird: eine Geschichte von einer im Verborgenen blühenden, von der Umwelt abgeschnittenen menschlichen Gemeinschaft. In Allan Quatermain leben in einem ausgedehnten, von Felsen umschlossenen Hochtal im Herzen Afrikas Nachfahren der alten Perser. Die Abenteurer gelangen dorthin nach einer alptraumhaften Bootsfahrt durch einen unterirdischen Flußlauf. Zu den bemerkenswertesten Ereignissen gehört eine aus dem Boden schießende Flammensäule aus Erdgas, ähnlich der in Sie (aber ohne okkulte Auswirkungen). In einer Felsenstadt mit gran-dioser Architektur und in den Landstrichen der Umgebung lebt ein hellhäutiges, kriegerisches Volk mit einer mächtigen Priesterkaste, regiert von zwei Königinnen, der blonden Nylephta und ihrer Schwester, der dunkelhaarigen Sorais. Beide verlieben sich in Sir Henry Curtis, was zu Intrigen und kriegerischen Auseinandersetzungen führt, zumal die Abenteurer unklugerweise gleich bei ihrer Ankunft eine Demonstration der Stärke veranstalten, indem sie einige harmlose Flußpferde erschießen - was die Priesterkaste gegen sie aufbringt, denn diese Tiere sind heilig. Ein solcher Konflikt ist ein beliebtes Motiv vieler phantastischer Romane. Das alles führt unweigerlich zu einer Entscheidungsschlacht, bei der der alte ZuluHaudegen Umslopogaas den Tod findet und Allan Quatermain schon im zweiten Roman des Zyklus tödlich verwundet wird; die späteren Bücher, in der diese Gestalt auftritt, haben sodann seine Lebensgeschichte mit Abenteuern ausgefüllt, ohne daß es eine widerspruchsfreie Chronologie gäbe.
Die meisten von Haggards Büchern spielen in Afrika, das er am besten kannte, und einige glorifizieren die Zulus und ihre Kriegsorganisation. Sie sind voll vom Geschrei anstürmender Impis und erbitterten, blutigen Schlachten. Das beste der Bücher über die Zulus, wenn auch eines der blutigsten und grausamsten, ist unzweifelhaft Nada the Lily (1912). Es ist ein Buch von kriegerischer Grandiosität, das sich zuweilen zu mythischer Erhabenheit aufschwingt. Es erzählt die Geschichte Umslopogaas, des >Schlächters<, wie er in seiner Jugend mit den Wölfen (eigentlich Hyänen) jagte - Szenen, die Kipling stark beeinflußt haben -, wie er zum Häuptling des Stammes der Axt aufstieg, wie er von seiner eigenen Frau verraten wurde, wie er sich rächte und zum Flüchtling wurde. Und diese dramatische Geschichte entfaltet sich vor dem historischen Hintergrund des Aufstiegs und Falles des Zulu-Napoleon Chaka, der zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Militärmacht der Zulus erschuf und der in seiner kurzen, aber stürmischen Karriere den Tod von mehr als einer Million Menschen verursacht haben soll. Er führte den Assegai als einheitliche Waffe ein, gliederte seine Armee in straff geführte und fanatisch gehorchende Regimenter und machte aus ihr ein Präzisionsinstrument der Vernichtung, das für letztlich sinnlose Eroberungen und Vernichtungsorgien eingesetzt wurde. Einmal hat er ein ganzes Regiment in eine Schlucht springen lassen, nur um den Gehorsam seiner Soldaten zu erproben. Cha-ka war ein genialer Stratege, aber ein völlig skrupelloser und krankhaft mißtrauischer Mensch, der schließlich von seinem Bruder Dingaan ermordet wurde - und Dingaan selbst wurde wiederum von Panda mit Hilfe einer Burenarmee gestürzt.
Man hat Haggard zuweilen Rassismus vorgeworfen, was kaum zutrifft. Er war natürlich ein typischer englischer Imperialist, das heißt, es war für ihn gar keine Frage, daß es die göttliche Bestimmung Englands sei, den afrikanischen Völkern die Segnungen seiner Regierung zu bringen, aber sein Werk ist frei von Verachtung oder Herablassung gegenüber den >Wilden<. Er interessierte sich für ihre Kultur und verherrlichte selbst die grausamen Seiten ihrer Gebräuche. In Nada the Lily hat er einen Roman geschrieben, den man als die Nibelungensage der Zulus bezeichnen könnte und der die gleiche Überzeugungskraft und Würde hat wie ein genuiner Mythos. Und Umslopogaas, in dem das Blut Chakas fließt, ist mindestens eine so interessante Gestalt wie Allan Quatermain selbst; mit seiner unfehlbar geschwungenen Streitaxt Inkosi-kaas ist er die Verkörperung des heldischen Zulus, der seine höchste Erfüllung im Kampf um des Kampfes willen findet.
Haggards Vorbild sind viele Autoren gefolgt, man denke nur an die fantastischen Romane Abraham Merritts oder die Tarzan-Bücher des Edgar Rice Burroughs, in denen ständig in Afrika neue verborgene Zivilisationen entdeckt werden. Diese Autoren schreiben aber alle viel primitiver. Einzig Talbot Mundy (1879-1940) verfaßte Abenteuerromane mit okkultem Einschlag, die denen Haggards nahekommen und sie in gewisser Hinsicht zuweilen sogar übertreffen.
Insgesamt schrieb Haggard 58 Romane und Erzählungsbände; daneben einige Bücher über die Landwirtschaft und ähnliches, wofür er sich interessierte. Er arbeitete an verschiedenen Kommissionen mit, und seine Sachbücher erhielten die Anerkennung der Fachleute. Doch das, woran ihm am meisten lag, eine anerkannte Position im öffentlichen Leben, wurde ihm nicht zuteil, während er durch seine Romane, die ihm selbst nicht besonders wichtig waren, berühmt wurde. Seine Bücher sind deshalb auch keine Meisterwerke der Prosa, sein Stil ist oft nachlässig, und die Fabeln wiederholen sich; aber er ist fast immer ein fabelhafter Geschichtenerzähler, der den Leser in seinen Bann zieht, ob er jetzt von Afrika schreibt oder von anderen exotischen Gegenden und fernen Zeiten: dem Mexiko zur Zeit des Cortes (Mon-tezuma's Daughter, 1893), dem 10. Jahrhundert der Wikinger (Eric Brighteyes, 1891), dem alten Ägypten (Cleopatra, 1889) oder von Byzanz und dem Ägypten Harun-al-Raschids (The Wanderer's Necklace, 1914). In den meisten seiner Geschichten gibt es übernatürliche Elemente, und Haggard war der Überzeugung nach Spiritualist. Doch sind seine okkulten Einschübe gerade dann am langweiligsten, wenn er sie zu systematisieren suchte. Haggard war kaum ein philosophischer Kopf, der Glaube an ein Fortleben nach dem Tode und das spiritualistische Universum sind in seinem Werk sicher nicht zentral und die erzählerischen Einzelheiten seiner Romane, die Ereignisse selbst, sind zumeist weit interessanter als die Gesamtbedeutung der Bücher. Die romantischen Liebesaffären verblassen gegenüber den Schlachtszenen und Abenteuern, und seine verliebten Frauengestalten, ob jetzt Königinnen oder gewöhnliche Sterbliche, reden zumeist sehr papieren. Das Übernatürliche ist weniger eine Überzeugung als ein Element, das sich zwanglos aus den Vorstellungen und Ansichten der Wilden ergibt, die Haggard mit so viel Einfühlungsvermögen und Anteilnahme schildert. Es verleiht den Abenteuern zusätzlich eine mythische Dimension und steigert das Wunderbare und Erstaunliche.
Merkwürdigerweise hat Henry Rider Haggard in Deutschland nie ein sonderliches Echo gefunden, nicht einmal bei jugendlichen Lesern. Von King Solomon's Mines gibt es immerhin drei deutsche Ausgaben, die vor einigen Jahren im Diogenes-Verlag erschienene Neuausgabe eingerechnet. Die erste Übersetzung erschien schon wenige Jahre nach der englischen Ausgabe, nämlich 1888 (König Salomo's Schatzkammer, München: Th. Stroofer). Eine Neuausgabe erschien 1910 im selben Verlag unter dem Titel Diamantminen von Afrika. Dreimal herausgekommen ist auch She, zuerst als Sie (Jena: H. Costenoble, 1911), dann erneut als Die Herrin des Todes (Berlin: Verlag Die Brücke, 1926); jetzt gibt es ein Diogenes Taschenbuch (Sie, 1976). Drei Ausgaben sind für so erfolgreiche Bücher recht wenig. Abgesehen von vier nichtphantastischen Romanen, nämlich Eine neue Judith (1887; loss), Oberst Quaritch (1891; Colonel Quaritch), Beatrice (1892; Beatrice), Die schöne Margarete (1912; Fair Margaret), erschienen noch folgende phantastische Bücher in deutscher Übersetzung, die alle sehr selten sind: The Ivory Child (Das Elfenbeinkind, Berlin: Safari-Verlag, 1925; Berlin: J. Singer, 1927), Cleopatra (zuerst unter dem Titel Kleopatra, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt; erneut 1897 als Harmachis, der letzte göttliche Pharao als Verräter seines Volkes, Leipzig: Buchhandlung Gebr. Fändrich, 1925), The Holy Flower (Die heilige Blume, Berlin: Safari-Verlag, 1925; Berlin: J. Singer, 1927), The Heart of the World (Das Herz der Welt, Berlin: Vita-Verlag, 1898), Heu-Heu; or the Monster (Heu-Heu, Wien, Leipzig, Lübeck: Stein Verlag, 1925), Allan's Wife (Der Zauberer im Sululande, Freiburg i. Br.: Fehsenfeld, 1897; Berlin: Ullstein, 1930) und schließlich Allan Quatermain (Das unerforschte Land, Freiburg i. Breisgau: Fehsenfeld, 1896, 1912 und 1927). Es ist zu hoffen, daß vorliegende Neuausgabe von Allan Qua-termain das Interesse an Henry Rider Haggard beleben wird.
Franz Rottensteiner