Wie man sich gewiß vorstellen kann, hatte die gesamte Bewohnerschaft der Missionsstation beim ersten Anzeichen des Auftauchens der Masai im Innern des Steinwalles Zuflucht gesucht. Nun standen sie alle - Männer, Frauen und zahllose Kinder - dicht zusammengedrängt in kleinen Gruppen beieinander, sprachen in ehrfürchtigem Ton von den grausamen Sitten und Bräuchen der Masai und beklagten schon im voraus das schreckliche Los, das ihrer harrte, wenn es diesen blutrünstigen Wilden gelänge, die Mauer zu überwinden.
Unmittelbar nachdem wir uns auf den Plan, den Umslopogaas vorgeschlagen hatte, geeinigt hatten, schickte Mr. Mackenzie nach vier aufgeweckten Burschen zwischen zwölf und fünfzehn Jahren und beauftragte sie, von verschiedenen Stellen aus das Lager der Masai zu beobachten und in regelmäßigen Abständen zu melden, was sich dort tat. Weitere Jungen, ja sogar Frauen, wurden längs der Mauer in bestimmten Abständen postiert, um uns im Falle eines Überraschungsangriffes frühzeitig warnen zu können.
Nachdem diese Maßnahmen in die Wege geleitet worden waren, trommelte unser Gastgeber die zwanzig Mann, die seine ganze Streitmacht darstellten, auf dem Innenhof zusammen und hielt eine ernste Ansprache. Es war in der Tat eine beeindruckende Szene - keiner der Anwesenden wird sie so leicht vergessen können. Direkt neben dem mächtigen Stamm des Baumes stand der Missionar, den eckigen Körper mit einem Arm gegen den Stamm gelehnt; den anderen Arm hielt er ausgestreckt empor, während er sprach. Er stand barhäuptig da, und sein offenes, freundliches Gesicht spiegelte deutlich die Seelenqual wider, die er litt. Neben ihm auf einem Stuhl saß seine arme Frau, das Gesicht in den Händen vergraben. Daneben stand Alphonse, überaus kummervoll dreinblickend, und hinter ihm standen wir drei. Im Hintergrund war Umslopogaas riesige Gestalt zu sehen, wie üblich auf den Stiel seiner Axt gestützt. Im Vordergrund, die Gesichter uns zugewandt, standen und hockten die wehrfähigen Männer - einige mit Gewehren in der Hand, andere mit Speeren und Schilden bewaffnet. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten sie jedem Wort, das über die Lippen des Sprechers kam. Das weiße Licht des Mondes, das durch die Äste des großen Baumes fiel, tauchte die Szene in einen fremdartigen, wilden Glanz, und das melancholische Seufzen des Nachtwindes, der durch die Nadeln des Baumes über uns strich, verstärkte nur das Gefühl tiefer Traurigkeit, dessen die ohnehin tragische Situation auch so nicht entbehrte.
»Männer!« sprach Mr. Mackenzie, nachdem er alle Umstände des Falles klar und offen vor ihnen dargelegt und ihnen den Plan, der unsere letzte Hoffnung war, in allen Einzelheiten erklärt hatte - »Männer! Seit vielen Jahren bin ich wie ein guter Freund zu euch! Ich habe euch Schutz und Obdach geboten, ich bin euch Lehrer und Beschützer gewesen, ich habe euch und die euren vor Schaden bewahrt, und zusammen sind wir glücklich und wohlhabend geworden. Ihr selber habt verfolgen können, wie meine kleine Tochter - die Wasserrose, wie ihr sie nennt -aufwuchs, wie sie Jahr für Jahr größer wurde: vom zarten Säugling zum fröhlichen Kinde, und vom Kinde zum Mädchen. Sie war die Spielgefährtin eurer Kinder, und wenn ihr krank wart, so half sie euch gesundpflegen. Und darum habt ihr sie immer geliebt.«
»So war es und so ist es«, sagte eine tiefe Stimme. »Und wir werden unser Leben einsetzen, sie zu retten!«
»Ich danke euch von ganzem Herzen - ich danke euch. Ich bin von der tiefen Gewißheit erfüllt, daß ihr in dieser Stunde der Bedrängnis, da ihr Leben an einem seidenen Faden hängt, den wilde und grausame Menschen - die fürwahr >nicht wissen, was sie tun< -abschneiden wollen, daß ihr in dieser Stunde höchster Not alles, was in euren Kräften steht, tun werdet, um sie zu retten, und um mich und ihre Mutter vor dem gebrochenen Herzen zu bewahren. Denkt auch an eure eigenen Frauen und Kinder. Wenn sie stirbt, wird nach ihrem Tode ein Angriff auf uns hier erfolgen, und im günstigsten Falle können wir unsere eigene Haut retten; aber eure Häuser und Gärten werden zerstört werden, und ihr werdet all eure Habe und euer Vieh verlieren. Ich bin, wie ihr wißt, ein Mann des Friedens. Niemals in all diesen vielen Jahren habe ich meine Hand gegen einen Menschen erhoben, um sein Blut zu vergießen. Doch nun sage ich euch: kämpft! Im Namen des Herrn, der uns hieß, unser Leben und unser Haus zu verteidigen, sage ich euch, kämpft! Schwört mir«, rief er mit doppelter Leidenschaft in der Stimme, »schwört mir, daß ihr bis zum letzten Mann, bis zum letzten Blutstropfen Seite an Seite mit mir und diesen tapferen weißen Männern euer Letztes geben werdet, um meine Tochter vor einem grausamen Tode zu bewahren!«
»Sprich nicht weiter, mein Vater«, sagte wieder die tiefe Stimme, die einem der Ältesten der Missionsstation gehörte, einem kräftigen, entschlossenen Mann; »wir schwören es. Wer diesen Eid bricht, soll wie ein räudiger Hund sterben, und seine Knochen sollen den Schakalen zum Fraß vorgeworfen werden! Es ist ein gewaltiges Wagnis, mein Vater, mit so wenigen so viele anzugreifen, aber wir werden es tun, auch wenn wir dabei untergehen. Wir schwören es!«
»Ja, wir schwören es«, stimmten die anderen ein.
»Ja, wir schwören es«, sagte ich.
»Es ist gut«, sagte Mr. Mackenzie. »Ihr seid brave Männer, auf die man in der Not bauen kann, und die sich nicht wie ein Schilfrohr dem Winde beugen. Und nun, liebe Freunde, laßt uns gemeinsam - Schwarze wie Weiße - niederknien und in Demut zu Seinem mächtigen Thron aufschauen. Lasset uns beten, daß Er, in dessen Hand unser aller Leben liegt, der Herr ist über Leben und Tod, uns armen Sündern gnädig sei, daß er uns stark mache, auf daß wir in der Schlacht, die uns im ersten Lichte des Morgens bevorsteht, mit seiner Hilfe obsiegen.«
Mit diesen Worten fiel er auf die Knie, und wir alle folgten seinem Beispiel, bis auf Umslopogaas, der noch immer im Hintergrund stand, grimmig auf seine Axt gelehnt. Der wilde alte Zulu hatte keine Götter, und es gab nichts, was er verehrte, es sei denn, seine Streitaxt Inkosi-kaas.
»O Gott aller Götter«, begann der Geistliche, und seine tiefe Stimme, die vor Bewegung zitterte, hallte durch die Stille und brach sich trotz der Zweige an dem grünen Dach des Baumes, das sich hoch über uns wölbte; »Beschützer der Elenden und Geknechteten, Zuflucht der Bedrohten, Bewahrer der Hilflosen, erhöre unser Flehen! Allmächtiger Vater, zu dir kommen wir in Bescheidenheit und Demut. Erhöre unser Gebet! Ein einziges Kind gabst du uns - ein unschuldiges Kind, erzogen im Glauben an Dich -, und nun schwebt über ihm der drohende Schatten des Todesschwertes, und es ist in der Hand wilder Menschen, in der Erwartung eines furchtbaren Todes. Stehe ihm bei, o Gott, und gib ihm in dieser Stunde deinen Trost. Errette es, o himmlischer Vater! O du Gott der Schlacht, in dessen Hände das Schicksal aller Menschen liegt, sei mit uns in der Stunde des Haders. Wenn wir in den Schatten des Todes treten, mache uns stark. Lasse deinen göttlichen Atem in die Reihen unseres Feindes fahren, auf daß er in alle Winde verstreut werde. Verwandle seinen Stolz in Nichts und seine Kraft in Wasser. Gib uns deinen Schutz und führe uns sicher durch die Schlacht. Wirf über uns den Schild deiner unendlichen Macht. Vergiß uns nicht in der Stunde unserer höchsten Not. Hilf uns zu verhindern, daß der Grausame unsere Kinder vor die Felsen schmettert. Erhöre unser Flehen! Und für die von uns, die jetzt noch stark und gesund vor dir auf der Erde knien und vielleicht bei Sonnenaufgang schon vor deinem Thron stehen, erhöre unser Gebet! Mache sie rein, o Herr! Befreie sie von ihren Sünden gegen das Blut des Lammes! Und wenn ihr Geist sie verläßt, so empfange ihn im Himmel der Gerechten! Schreite voran, o Herr, schreite voran, wenn wir uns in die Schlacht stürzen, so wie du es beim Volke Israel getan hast. O Gott des Kampfes, erhöre unser Flehen!«
Er hielt inne, und nach einem Augenblick des Schweigens erhoben wir uns. Wir mußten nun mit aller Sorgfalt unsere Vorbereitungen treffen. Es war jetzt - wie Umslopogaas treffend bemerkte - an der Zeit, mit dem >Schwätzen< aufzuhören und zu handeln. Die Männer, die die einzelnen Gruppen bilden sollten, wurden sorgfältig ausgesucht und mit noch größerer Sorgfalt und Akribie auf ihre Aufgaben vorbereitet. Sie erhielten präzise Instruktionen, was sie in welchem Moment zu tun hatten. Nach langer Überlegung kamen wir zu der Überzeugung, daß die zehn Männer, die von Good angeführt werden sollten, und die die Aufgabe hatten, das Lager zu stürmen, nicht mit Feuerwaffen ausgerüstet werden sollten; das heißt, mit Ausnahme von Good, der sowohl einen Revolver als auch ein kurzes Schwert hatte - das Masaischwert, das ich aus dem Körper des armen Kerls, der in dem Kanu ermordet worden war, herausgezogen hatte. Wir befürchteten nämlich, daß, wenn sie Feuerwaffen trügen und die Masai von drei Seiten zugleich unter Kreuzfeuer genommen würden, auch ein paar von unseren eigenen Leuten getroffen werden könnten. Außerdem schien es uns allen, daß die Aufgabe, die sie zu erfüllen hatten, am besten mit dem kalten Stahl erledigt werden konnte - besonders trat natürlich Umslopogaas dafür ein, der, wie man sich leicht denken kann, ein leidenschaftlicher Verfechter des kalten Stahls war.
Wir verfügten über vier Winchester-Repetierge-wehre sowie ein halbes Dutzend Martinis. Ich selbst nahm eines der Repetiergewehre - mein eigenes; eine ausgezeichnete Waffe für diesen Zweck, wo es auf möglichst schnelles Feuern ankam. Anstelle des schwerfälligen Mechanismus, mit dem sie im allgemeinen ausgerüstet sind, hatte es ordentliche Klappenvisiere. Mr. Mackenzie nahm ebenfalls eins, und die restlichen beiden gingen an zwei von seinen Männern, die sie bedienen konnten und als gute Schützen bekannt waren. Die Martinis und ein paar andere Gewehre aus dem Besitz von Mr. Mackenzie wurden zusammen mit einem ausreichenden Vorrat an Munition an die übrigen Eingeborenen verteilt, die die beiden Gruppen bilden sollten, deren Aufgabe es war, das Feuer von beiden Seiten des Kraals auf die schlafenden Masai zu eröffnen. Zum Glück waren mehr oder weniger alle ausreichend mit der Bedienung eines Gewehres vertraut.
Was Umslopogaas anbetrifft; er war - wie wir wissen - mit seiner Axt bewaffnet. Um es hier noch einmal in Erinnerung zu rufen: Er, Sir Henry und der stärkste der Askari hatten die Aufgabe, den dornenbewehrten Eingang des Kraals gegen den voraussichtlichen Ansturm der Ausbrechenden zu verteidigen. Dazu waren natürlich Gewehre ungeeignet. Also machten Sir Henry und der Askari sich daran, sich auf die gleiche Weise wie der Zulu zu bewaffnen. Zufällig verfügte Mr. Mackenzie in seinem kleinen Lagerhaus über eine Auswahl von Axteisen mit Hammerrücken aus bestem englischen Stahl. Sir Henry suchte sich eines davon aus; es wog etwa zweieinhalb Pfund und hatte eine sehr breite Schneide. Der Askari wählte ein etwas kleineres. Nachdem Umslopogaas die beiden Axteisen mit einer zusätzlichen Schneide versehen hatte, befestigten wir sie an dreieinhalb Fuß lange Stiele, von denen Mr. Mackenzie glücklicherweise noch ein paar auf Vorrat hatte. Sie waren aus einem leichten, aber außergewöhnlich harten, bruchsicheren Holz eines einheimischen Baumes. Es ähnelt dem Holz der englischen Esche, ist jedoch elastischer. Nachdem wir zwei passende Stiele mit großer Sorgfalt ausgewählt hatten und ihre Enden mit Kerben versehen hatten, um ein Abgleiten der Hand zu verhindern, steckten wir die Axteisen so fest wie eben möglich auf das andere Ende der Stiele und tauchten die Waffen eine halbe Stunde lang in einen Eimer Wasser, damit das Holz aufquoll und sich so stark in dem Steckloch des Eisens ausdehnte, daß höchstens das Verbrennen des Stieles das Eisen wieder freigegeben hätte. Nachdem Umslopogaas diese wichtige Prozedur eigenhändig durchgeführt hatte, begab ich mich in mein Zimmer und öffnete eine kleine, metallbeschlagene Holzkiste, die ich seit unserer Abfahrt aus England noch nicht aufgemacht hatte. Sie enthielt - nun, was glaubt Ihr wohl? - nicht mehr und nicht weniger als vier Panzerhemden.
Auf einer früheren Reise, die wir drei in einen anderen Teil Afrikas gemacht hatten, verdankten wir einmal unser Leben Panzerhemden, die die Eingeborenen hergestellt hatten. Und da ich mich daran noch erinnern konnte, hatte ich, bevor wir uns auf unsere jetzige abenteuerliche Expedition begeben hatten, angeregt, daß wir uns wieder passende Hemden aus Eisengewebe anfertigen lassen sollten. Das war gar nicht so einfach, denn die Kunst des Herstellens von Rüstungen ist derweil ausgestorben. Aber wenn man den Handwerkern in Birmingham nur lange genug auf die Nerven fällt und auch anständig bezahlt, dann sind sie auch fähig, aus Stahl so ziemlich alles zu machen. Schließlich befanden wir uns jedenfalls in dem Besitz der herrlichsten Panzerhemden aus Stahl, die man sich vorstellen kann. Es waren Meisterstücke handwerklichen Könnens. Das Gewebe war zusammengesetzt aus Tausenden und Abertausenden winziger, aber fester Ringe aus bestem Stahl. Diese Hemden (eigentlich waren es eine Art Jerseys mit stählernen Ärmeln) waren mit luftdurchlässigem Waschleder gefüttert; sie hatten nicht den typisch metallischen Glanz von Stahl, sondern die bräunliche Farbe eines Gewehrlaufes. Meines wog genau sieben Pfund; es schmiegte sich so sanft an den Körper an, daß ich das Gefühl hatte, es tagelang wie eine zweite Haut tragen zu können, ohne mich daran wundzuscheuern. Sir Henry besaß gleich zwei; ein normales -nämlich einen Jersey mit herunterhängenden Klappen, die auch der oberen Partie der Oberschenkel noch einen gewissen Schutz boten - und dazu ein zweites, das er selbst entworfen hatte. Es war nach dem Muster der Kleider geschnitten, die man als Hemdhosen oder »Kombination« feilbietet, und wog zwölf Pfund. Diese kombinierte Hemdhose, deren Gesäßteil aus Waschleder bestand, schützte zwar den gesamten Körper bis hinunter zu den Knien, aber es war doch ein wenig hinderlich, weil man es längs des Rückens schnüren mußte. Außerdem beeinträchtigte es mit seinen zwölf Pfund Gewicht doch ziemlich die Bewegungsfreiheit. Zu diesen Hemden gehörten noch Kopfbedeckungen, die wie aus vier Einzelteilen bestehende braunwollene Reisekappen aussahen. Dazu hatten sie noch Ohrenklappen. Diese Kappen waren ebenfalls mit Stahlgewebe überzogen, so daß sie einen ausgezeichneten Schutz für den Kopf darstellten.
Es mutet fast ein bißchen lächerlich an, wenn man heutzutage von Kettenhemden als einem Schutz spricht - heute, wo nicht mehr Pfeile durch die Luft fliegen, sondern Kugeln, gegen die diese Hemden natürlich völlig machtlos sind. Aber da, wo man es mit Wilden zu tun hat, die mit Äxten oder ähnlichen Waffen ausgerüstet sind, stellen diese Hemden in der Tat einen trefflichen Schutz dar. Und wenn sie gut gearbeitet sind und gut passen, machen sie den Träger gegen primitive Waffen fast unverwundbar. Oft ist mir der Gedanke durch den Kopf gegangen, daß, wenn die englische Regierung während der Kolonialkriege, besonders dem gegen die Zulus, doch nur auf die Idee gekommen wäre, ihre Männer mit solchen Panzerhemden auszustatten, manch ein Mann heute noch leben könnte, der längst tot und vergessen ist.
Angesichts der Situation, in der wir steckten, beglückwünschten wir uns für unsere weise Voraussicht, die Hemden mitgenommen zu haben, und für das Glück, das wir gehabt hatten, daß nicht auch sie von unseren schurkischen Trägern gestohlen worden waren, als sie uns mit fast allen unseren Ausrüstungsgegenständen davongelaufen waren. Da Curtis zwei besaß und sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen hatte, die Kombination anzuziehen - das zusätzliche Gewicht von drei oder vier Pfund war für einen Mann von seiner Körperkraft keine wesentliche Beeinträchtigung, ganz abgesehen davon, daß der fast vollkommene Schutz, den die Kombination bot, für einen Mann, der ohne jeglichen Schild kämpfte, von enormer Wichtigkeit war -, machte ich den Vorschlag, daß er das andere Hemd Umslopogaas lieh, der ja auf ebenso gefährlichem wie ruhmvollem Posten kämpfen sollte. Curtis war sofort einverstanden, und er rief den Zulu zu sich. Umslopogaas brachte Curtis' Axt mit, die er inzwischen fertig hatte und die seiner kritischen Prüfung standgehalten hatte. Als wir ihm das stählerne Hemd zeigten und ihm eröffneten, daß er es tragen solle, stand er diesem Plan zuerst ablehnend gegenüber. Dreißig Jahre lang habe er in seiner eigenen Haut gekämpft, und nun wolle er nicht auf seine alten Tage noch in einer Haut aus Eisen kämpfen. Daraufhin nahm ich einen schweren Speer, breitete das Hemd auf dem Boden aus und hieb den Speer mit aller Kraft darauf. Mit lautem Klirren federte die Waffe von dem Hemd zurück, ohne auch nur einen Kratzer auf dem Gewebe aus gehärtetem Stahl zu hinterlassen. Diese Demonstration schaffte es schon fast, ihn umzustimmen. Und als ich ihm dann noch eindringlich klarmachte, daß er in einer Situation, in der jeder Mann zehnfach zählte, nicht einfach aufgrund altmodischer Vorurteile einen so hervorragenden Schutz für Leib und Leben in den Wind schlagen durfte, und daß er außerdem, wenn er ein solches Hemd trug, auf einen Schild verzichten und mit beiden Händen kämpfen konnte, gab er schließlich nach und streifte sich die »Eisenhaut« über. Und in der Tat - obwohl das Hemd ja für Sir Henry angefertigt worden war, paßte es dem riesigen Zulu wie eine zweite Haut. Die beiden Männer waren fast gleichgroß. Und obwohl Curtis den größeren Eindruck machte, bin ich fast geneigt zu sagen, daß der Unterschied eher der Einbildung zuzuschreiben ist als der Realität. In Wirklichkeit, würde ich sagen, war er vielleicht ein wenig stämmiger, aber eigentlich nicht größer. Vielleicht hatte er etwas muskulösere Arme. Umslopogaas hatte vergleichsweise dünne Arme, diese aber hatten die Stärke von Drahtseilen. Jedenfalls, wie sie nun beide so dastanden, die Axt in der Hand, in braune Kettenhemden gehüllt, die wie eine zweite Haut ihre mächtigen Oberkörper umschmiegten, dabei jeden Muskel und jede Kontur nachzeichneten, gaben sie in der Tat das Bild eines Paars ab, vor dem sich wohl selbst noch eine Gruppe von zehn starken Männern gefürchtet hätte.
Es war nun fast ein Uhr morgens. Wie die Späher berichteten, schickten sich die Masai allmählich an, schlafenzugehen, nachdem sie das Blut der Ochsen getrunken und gewaltige Mengen Fleisch verzehrt hatten. An den beiden Eingängen des Kraals hatten sie Posten aufgestellt. Flossie, so sagten die Späher, befand sich nicht weit von der auf der westlichen Seite gelegenen Mauer des Kraals entfernt, etwa in der Mitte. Bei ihr befanden sich das Kindermädchen und der weiße Esel, den man an einen Holzpflock gebunden hatte. Ihre Füße hatte man zusammengebunden, und um sie herum lagen Masaikrieger.
Da wir im Augenblick absolut nichts tun konnten als warten, aßen wir etwas und gingen uns für ein paar Stunden schlafen legen. Der gute alte Umslopo-gaas war einfach bewundernswert: So als mache der bevorstehende Kampf nicht den geringsten Eindruck auf ihn, legte er sich einfach auf die Erde und war in Sekundenschnelle in tiefen Schlaf gesunken. Ich weiß nicht, wie es den anderen erging; ich für mein Teil fand jedenfalls keinen Schlaf. Ich muß zu meinem Leidwesen gestehen, daß ich, wie immer bei solchen Ereignissen, Angst verspürte. Nun, da mein anfängli-cher Enthusiasmus über Umslopogaas vortrefflichen Plan schon ein wenig verflogen war, muß ich der Wahrheit halber zugeben, daß mir die Situation alles andere als behagte. Wir waren alles in allem dreißig Mann; viele davon verfügten zweifellos über nur sehr ungenügende Kampferfahrung, und mit diesen dreißig Mann wollten wir zweihundertundfünfzig Masai angreifen! Zweihundertundfünfzig Masai, die zu den heißblütigsten, todesmutigsten, schrecklichsten Wilden Afrikas gerechnet werden, und die zu allem Überfluß auch noch durch eine Steinmauer geschützt waren! Es war in der Tat ein Unternehmen, das schon an Wahnsinn grenzte. Und was das Ganze noch hirnverbrannter machte, war die Wahrscheinlichkeit, daß die Wachtposten uns bemerken und Alarm schlagen würden, wenn wir versuchten, unsere Posten einzunehmen. Eines war sonnenklar: wenn das geschehen sollte; nämlich, daß die Wachtposten uns entdeckten - und jedes kleinste Geräusch, und sei es bloß das Knacken eines Astes, konnte das schon bewirken, dann war es um uns geschehen, denn das ganze Lager würde in Sekundenschnelle in Aufruhr geraten. Unsere einzige, wiewohl geringe Chance lag in einem Überraschungsangriff.
Das Bett, in dem ich lag, während mir diese wenig tröstlichen Gedanken durch den Kopf gingen, stand dicht bei einem offenen Fenster, das auf die Veranda hinausging. Plötzlich hörte ich, wie von draußen ein seltsames Geräusch hereindrang - eine Art Stöhnen, gepaart mit Weinen. Eine Weile hörte ich gespannt zu, konnte mir jedoch keinen Reim darauf machen. Schließlich stand ich auf und ging ans Fenster. Ich lehnte mich hinaus und starrte ins Dunkel. Da sah ich die Umrisse einer menschlichen Gestalt, die am Ende der Veranda kniete und sich unablässig mit den Händen vor die Brust schlug. Es war niemand anders als Alphonse! Da ich sein französisches Gemurmel nicht verstehen konnte und wissen wollte, was er da überhaupt trieb, rief ich ihn an und fragte ihn, was er da mache.
»Ah, Monsieur«, sagte er mit einem tiefen Seufzer, »isch mache Gebet für die Seelen von denen, die isch 'eute nacht töten werde.«
»Könnten Sie das nicht ein bißchen leiser machen?«
Alphonse machte sich davon, und ich war von seinem Gestöhne befreit.
Langsam ging die Zeit herum, bis schließlich nach einer wahren Unendlichkeit Mr. Mackenzie den Kopf zum Fenster hereinsteckte und flüsterte - denn von nun an mußte natürlich alles in absoluter Stille geschehen: »Drei Uhr. Wir müssen um halb vier los.«
Ich bat ihn, hereinzukommen, und er kam in mein Zimmer. Und ich muß sagen, wäre die Situation eine andere, weniger traurige gewesen, dann wäre ich bei seinem Anblick in schallendes Gelächter ausgebrochen, so wie er sich für die bevorstehende Schlacht ausstaffiert hatte: er trug den schwarzen Schwalbenschwanz eines Geistlichen, dazu einen schwarzen, breitkrempigen Hut. Beides hatte er, wie er mir erklärte, aufgrund des vorzüglichen Tarneffekts angezogen. In der Hand hielt er das Winchester-Repetiergewehr, das wir ihm geliehen hatten. Und in einem elastischen Crickettgürtel von der Art, wie englische Schuljungen ihn tragen, steckten ein riesiges Schnitzmesser mit dazugehörigem Stichblatt und ein langläufiger Colt.
»Ah, mein Freund«, sagte er, als er mich auf seinen Gürtel starren sah, »Sie fragen sich sicher, was ich mit meinem Schnitzmesser will. Ich dachte mir, es kann mir noch ganz nützlich werden, wenn es zum Nahkampf kommen sollte. Es ist aus hervorragendem Stahl, und ich habe schon manches Schwein damit geschlachtet.«
Mittlerweile waren alle aufgestanden und zogen sich an. Ich zog eine leichte Norfolk-Jacke über mein Panzerhemd, damit ich eine Tasche für meine Patronen hatte, und schnallte meinen Revolver um. Good folgte meinem Beispiel. Sir Henry hingegen zog außer seinem Kettenhemd, der Stahlkappe und einem Paar >Veldtschoonen<, das sind weiche Lederschuhe, nichts weiter an. Vom Knie abwärts waren seine Beine nackt. Seinen Revolver schnallte er über das Hemd und die Taille.
In der Zwischenzeit inspizierte Umslopogaas die Männer, die sich im Innenhof unter dem großen Baum versammelt hatten. Er ging von einem zum anderen und achtete sorgfältig darauf, daß jeder richtig bewaffnet und gekleidet war. Im letzten Augenblick nahmen wir noch eine Änderung vor. Da zwei der Männer, die eigentlich zu den beiden mit Gewehren ausgestatteten Gruppen gehörten, nur wenig bzw. überhaupt nicht mit dem Umgang von Schußwaffen vertraut waren, sich aber als außerordentlich geschickt mit dem Speer herausstellten, legten wir ihre Gewehre wieder fort, gaben ihnen Schilde und lange Speere von der Art, wie auch die Masai sie hatten, und teilten sie der Gruppe von Curtis, Ums-lopogaas und dem Askari zu, damit sie ihnen dabei helfen konnten, den großen Eingang zu halten. Es war uns nämlich inzwischen klar geworden, daß drei Männer, und waren sie noch so mutig und stark, für diese Aufgabe einfach zu wenig waren.