12 Die königlichen Schwestern

Das große Ruderboot glitt nun in die künstliche Bucht hinein, die fast bis zum Fuß der riesigen Treppe reichte, und legte an einem Steg an, von dem ein paar Stufen zum Landeplatz führten. Hier stieg der alte Mann vom Schiff und bedeutete uns mit einer Geste, es ihm gleichzutun, was wir, da wir gar keine andere Möglichkeit hatten und außerdem schon bald dem Hungertode nahe waren, auch ohne zu zögern taten -nicht ohne jedoch unsere Gewehre mitzunehmen. Jedesmal, wenn einer von uns auf den Landesteg trat, legte unser Führer zum Gruße Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand über die Lippen und machte eine tiefe Verbeugung. Gleichzeitig gemahnte er die Masse, die sich schon versammelt hatte, um uns anzustarren, zurückzutreten. Als letzte verließ das Mädchen, das wir aus dem Wasser gefischt hatten, das Kanu. Ihr Gefährte erwartete sie schon. Bevor sie ging, küßte sie meine Hand, vermutlich als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit, daß ich sie in letzter Sekunde vor dem wütend zuschnappenden Maul des Flußpferdes gerettet hatte. Die Angst, die sie möglicherweise vor uns gehabt hatte, schien sie inzwischen überwunden zu haben, und keineswegs wild darauf zu sein, allzu eilig zu ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzukehren. Jedenfalls schickte sie sich gerade an, auch noch Goods Hand zu küssen, als der junge Mann einschritt und sie davonführte.

Kaum waren wir an Land, als sich auch schon ein paar von den Männern, die das große Boot gerudert hatten, unserer Sachen bemächtigten und sie flink die riesige Treppe hinauftrugen. Unser Führer deutete uns sogleich mit einer Geste an, daß die Sachen in sicherer Obhut seien. Dann wandte er sich nach rechts und schritt zu einem kleinen Haus, das, wie ich bald herausfand, ein Gasthof war. Wir wurden in einen großen Raum geführt, in dem schon ein hölzerner Tisch gedeckt war, vermutlich für uns. Unser Führer gab uns ein Zeichen, daß wir uns auf die Bank setzen sollten, die längs des Tisches stand. Es bedurfte fürwahr keiner zweiten Einladung, sofort fielen wir heißhungrig über die Köstlichkeiten her, die man uns da auf hölzernen Tabletts serviert hatte. Es war kaltes Ziegenfleisch, eingewickelt in würzige Blätter, die ihm einen delikaten Geschmack verliehen; dazu gab es einen grünen Salat, ähnlich unserem Kopfsalat, dunkles Brot und Rotwein, der aus einem Schlauch in Hornbecher geschenkt wurde. Dieser Wein war mild und hervorragend; er ähnelte im Geschmack ein wenig dem Burgunder. Nach zwanzig Minuten erhoben wir uns von jener gastlichen Tafel und fühlten uns wie neugeboren. Nach allem, was wir durchgemacht hatten, brauchten wir vor allem zwei Dinge: Nahrung und Ruhe. Die Nahrung allein war für uns schon eine herrliche Wohltat. Zwei Mädchen, die den gleichen Liebreiz in ihren Gesichtszügen hatten wie die Frau, die wir als erste gesehen hatten, bedienten uns während des Essens; sie machten es auf eine sehr angenehme Weise. Auch sie waren auf die gleiche Art gekleidet, wie wir es schon bei den anderen gesehen hatten: ein weißer Leinenunterrock, der bis zum Knie reichte, und darüber das togaähnliche Gewand aus braunem Tuch, das die rechte Brust und den rechten Arm unbedeckt ließ. Später erfuhr ich, daß es sich hierbei um die nationale Tracht handelte. Sie richtete sich nach strengen Regeln, variierte jedoch in einem gewissen Rahmen. Wenn zum Beispiel der Unterrock weiß war, bedeutete das, daß die Trägerin unverheiratet war. War er weiß mit einem purpurfarbenen Streifen längs des Saumes, dann war sie verheiratet und war erste oder gesetzliche Frau. War er weiß mit einem wellenförmigen Purpurstreifen, dann war sie zweite oder Nebenfrau. War der Streifen schwarz, dann bedeutete das, daß es sich um eine Witwe handelte. Auch die Toga, oder der >Kaf<, wie sie es nennen, kam in zahlreichen Farben vor; je nach dem sozialen Rang gingen die Farbschattierungen vom reinsten Weiß bis zum tiefsten Braun; die Enden waren auf die verschiedensten Arten mit Stickereien geschmückt. Das gleiche traf auch auf die >Hemden< oder besser, Kittel zu, die die Männer trugen; sie variierten in Material und Farbe. Die Röcke jedoch waren immer die gleichen; sie unterschieden sich höchstens in der Qualität voneinander. Eines jedoch trug jeder im Lande, gleich ob Mann oder Frau, gewissermaßen als nationales Signum: das dicke Goldband um den rechten Oberarm und den linken Unterschenkel. Leute von sehr hohem Rang trugen auch noch einen goldenen Ring um den Hals. Unser Führer zum Beispiel gehörte zu dieser Gruppe.

Als wir das Mahl beendet hatten, verbeugte sich unser ehrwürdiger Begleiter, der die ganze Zeit neben uns gestanden und uns neugierig betrachtet hatte, insbesondere unsere Gewehre, die er mit kaum verhohlener Furcht bestaunte, soweit das sein Stolz eben zuließ, vor Good, den er aufgrund seiner prächtigen Staffage offensichtlich für den Anführer unserer Gruppe hielt, und dann geleitete er uns wieder zur Tür hinaus und führte uns zum Fuß der großen Treppe. Dort verweilten wir einen Augenblick, um die beiden gewaltigen, jeweils aus einem einzigen Block reinen schwarzen Marmors gehauenen Löwen zu bewundern, die hoch aufgerichtet am Ende der beiden Balustraden des Treppenaufgangs standen. Diese Löwen waren von hervorragender Ausführung. Auch sie waren das Werk von Rademas, dem berühmten Prinzen, der die Treppe erbaut hatte, und der zweifelsohne, den zahlreichen wunderschönen Zeugnissen seiner Kunst nach zu urteilen, die wir später noch sehen sollten, einer der hervorragendsten Bildhauer war, die jemals auf dieser Erde gelebt haben.

Danach stiegen wir mit einem fast ehrfürchtigen Gefühl die gewaltige Treppe hinauf, jenes Meisterwerk, das, für die Unendlichkeit gebaut, ohne Zweifel noch in Tausenden von Jahren von den nachfolgenden Generationen bewundert werden wird, wenn es nicht vorher einem Erdbeben zum Opfer fallen sollte. Selbst Umslopogaas, dem es in der Regel gegen die Ehre ging, unverhüllt Verblüffung und Erstaunen zu zeigen (er fand, das sei eines Kriegers nicht würdig), war buchstäblich hingerissen und fragte mich, ob die Brücke >das Werk von Menschen oder von Teufeln< sei, womit er auf seine Weise auf alles ihm übernatürlich Erscheinende anzuspielen pflegte. Einzig Alphonse schien völlig unbeeindruckt. Die wuchtige Pracht des Bauwerks schien den kleinen Franzosen eher unangenehm zu berühren. Er gestand zwar, daß alles >tres magnifique< sei, fand aber gleichzeitig, daß es >triste, tres triste< wirkte und daß das Bauwerk weit eleganter und schöner wäre, wenn man die Balustraden vergoldete.

Bald hatten wir die hundertfünfundzwanzig Stufen der ersten Flucht hinter uns gebracht und erreichten erschöpft die breite Plattform, die sie mit der zweiten Flucht verband. Hier hielten wir für einen Augenblick an, um aus luftiger Höhe den herrlichen Anblick zu genießen, den einer der schönsten Landstriche, den diese Welt wohl besitzt, dem Auge des Betrachters darbot. Das Ganze war eingerahmt von dem herrlich blauen Wasser des Sees. Alsdann begaben wir uns zum Anstieg auf die zweite Treppenflucht, und schließlich erreichten wir die Spitze, wo wir eine große Fläche vorfanden, zu der es drei Zugänge gab, die alle recht klein waren. Zwei davon führten auf schmale Galerien oder Fahrwege, die man in die Vorderseite des Felsens gehauen hatte. Sie verliefen längs der Palastmauern und mündeten in die Hauptverkehrswege der Stadt. Sie wurden von den Bewohnern benutzt, die zwischen den Hafenanlagen und dem Palast verkehrten. Sie waren mit großen Toren aus Bronze gesichert; darüber hinaus war es, so erfuhren wir später, möglich, ganze Abschnitte der Fahrwege selbst hinunterzulassen, indem man bestimmte Riegel und Schließhaken löste. Auf diese Weise konnte man etwaigen Angreifern den Zugang versperren. Der dritte Zugang bestand aus einer Treppenflucht aus zehn halbkreisförmigen schwarzen Marmorstufen, die zu einer Pforte in der Palastmauer führten. Die Mauer war für sich genommen schon ein Kunstwerk; sie bestand aus riesigen, an die vierzig Fuß hohen Granitblöcken und war so gebaut, daß die Außenseite eine Konkavwölbung aufweist, was ein Erklimmen der Mauer unmöglich macht.



Unser Führer geleitete uns nun zu dieser Pforte. Die Tür aus massivem Holz, die zusätzlich noch durch ein Außentor aus Bronze geschützt wurde, war geschlossen. Als wir uns ihr jedoch näherten, wurde sie von innen geöffnet. Es erscholl der Anruf eines Wachtpostens. Gleichzeitig stellte dieser sich uns in den Weg, und wir hatten die Gelegenheit, ihn uns näher zu betrachten. Er war bewaffnet mit einem schweren Speer, dessen Spitze, ähnlich wie ein Bajonett, die Form eines Dreikants hatte, und mit einem kurzen Schwert. Brust und Rücken waren mit Platten aus sorgfältig präpariertem Flußpferdleder geschützt. Ein kleiner runder Schild aus demselben Material vervollständigte seine Ausrüstung. Das Schwert erregte auf der Stelle unsere Aufmerksamkeit; es war praktisch identisch mit dem, das sich im Besitz von Mr. Mackenzie befand, jener Waffe also, die der unglückliche Wanderer bei sich gehabt hatte. Das Schwert des Wachtpostens war mit den gleichen unverwechselbaren, mit Gold ausgelegten Durchbrüchen versehen. Also hatte der Wanderer doch die Wahrheit gesprochen.

Unser Führer gab das Losungswort, woraufhin der Wachtposten den Eisenschaft seines Speers zum Salut mit einem klirrenden Geräusch auf das Pflaster stieß; wir durften passieren. Durch die dicke Mauer marschierten wir in den Hof des Palastes. Dieser maß etwa vierzig Yards im Quadrat und war ganz mit Blumenbeeten und Sträuchern angelegt. Viele der Pflanzen waren mir völlig unbekannt. Mitten durch diesen parkähnlichen Palasthof verlief ein breiter Pfad, den man anstelle von Kies mit zerriebenen Muscheln bestreut hatte. Die Muscheln stammten wahrscheinlich aus dem See. Wir schritten den Pfad entlang und kamen an einen zweiten Eingang, über dem sich ein schwerer Torbogen wölbte. Anstelle einer Tür befanden sich vor diesem Eingang schwere Vorhänge. Dahinter folgte ein kurzer Korridor, und dann standen wir in der großen Halle des Palastes. Und wieder waren wir überwältigt von dem schlichten und doch so eindrucksvollen Glanz der Architektur dieses Volkes.

Die Halle war - das erfuhren wir später - hundertfünfzig Fuß lang und achtzig Fuß breit. Sie hatte eine wunderschön gewölbte Decke aus reichlich mit Schnitzwerk versehenem Holz. Auf beiden Längsseiten der Halle waren in einem Abstand von zwanzig Fuß von der Wand in langer Reihe schlanke Säulen aus schwarzem Marmor angeordnet, die bis zur Decke reichten, sehr schön kanneliert und mit reich verzierten Kapi-tälen. An dem einen Ende dieser großen Säulenhalle befand sich die Skulptur, die ich schon erwähnt habe: jene Gruppe, die Rademas zur Erinnerung an den erfolgreichen Bau der Brücke schuf. Die Schönheit dieses Werkes raubte uns fast den Atem; in sprachloser Bewunderung standen wir vor ihm. Die Gruppe, deren Figuren weiß waren (der Rest der Statue war aus schwarzem Marmor), hatte ungefähr anderthalbfache Lebensgröße. Eine der Figuren stellte einen jungen Mann mit edlen Gesichtszügen und vollendeter Gestalt dar, der schwermütig auf einem Bette liegt. Ein Arm hing nachlässig über den Rand des Bettes, während er den Kopf auf den anderen stützte, wobei die herabwallenden Locken ihn halb verdeckten. Über ihn gebeugt stand eine weibliche Gestalt mit einem reich drapierten Gewand. Ihre Hand ruhte leicht auf seiner Stirn. Diese Frau war von einer solch strahlend weißen Schönheit, daß der Betrachter unwillkürlich den Atem anhielt. Und erst der stille Zauber, der auf ihrem vollendeten Antlitz ruhte - es fehlen mir die Worte, ihn zu beschreiben! Er ruhte auf ihren Zügen wie das Lächeln eines Engels; Macht, Liebe, Göttlichkeit - all dies schien aus ihrem Blick zu sprechen. Sie schaute den schlummernden Jüngling an, und das vielleicht Außergewöhnlichste an diesem Meisterwerk war die frappierende Naturtreue, in der es dem Künstler gelungen war, auf dem erschöpften, sorgen-umwölkten Gesicht des Schlafenden den Ausdruck der plötzlich aufkeimenden Hoffnung wiederzugeben, die in dem Augenblick eintritt, da der Zauber in seinem Geiste zu wirken beginnt. Es hatte fast den Anschein, als bräche eine Inspiration in die Dunkelheit seiner Seele, wie die Morgendämmerung über die Dunkelheit der Nacht. Es war in der Tat ein großartiges Meisterwerk der Bildhauerkunst, wie es nur ein wahrer Genius vollendet haben kann.

Zwischen den schwarzen Marmorsäulen waren ebenfalls Statuen gruppiert; einige von ihnen stellten allegorische Motive dar, andere verstorbene Monarchen und ihre Frauen oder berühmte Männer. Keine dieser Statuen jedoch kam unserer Meinung nach auch nur annähernd jenem großartigen Kunstwerk gleich, das ich hier beschrieben habe, obwohl verschiedene darunter ebenfalls von der Hand des großen Bildhauers und Architekten, König Rademas, sind.

Im Mittelpunkt der Halle befand sich ein massiver Klotz aus schwarzem Marmor. Er hatte etwa die Größe eines Babystuhls und ähnelte ihm auch ein wenig in der Form. Dieser Marmorblock war, wie wir später noch erfuhren, der heilige Stein dieses bemerkenswerten Volkes. Auf ihn legten die Monarchen nach der Krönungszeremonie ihre Hand und schworen bei der Sonne, das Reich mit allen Mitteln zu schützen und zu verteidigen und seine Gebräuche, Traditionen und Gesetze zu befolgen und zu bewahren. Dieser Stein war allem Anschein nach uralt, und längs seiner Seiten waren lange Linien eingekerbt, was, wie Sir Henry mir erklärte, der Beweis dafür war, daß er einmal vor Urzeiten in der eisernen Umklammerung eines Gletschers gewesen sein mußte. Um diesen Marmorblock, der dem Volksglauben nach von der Sonne gefallen war, rankte sich eine merkwürdige Prophezeiung; nämlich daß, wenn er einst in Stücke zerspränge, ein König, der einer fremden Rasse entstammte, die Herrschaft über das Reich antreten würde. Der Stein sah indessen so bemerkenswert solide aus, daß die angestammten Prinzen wohl eine gute Chance hatten, ihre Herrschaft noch für einige Jahrhunderte zu behalten.

Am Ende der Halle befand sich ein Podium, welches mit dicken, reich verzierten Teppichen ausgelegt war. Auf diesem Podium standen nebeneinander zwei Thronsessel. Diese Thronsessel, die die Form großer Stühle hatten, bestanden aus massivem Gold. Die Sitzflächen waren dick ausgepolstert, die Rük-kenlehnen hingegen waren nackt. Auf jeder der beiden Rückenlehnen befand sich ein großes Sonnenemblem, das seine feurigen Strahlen in alle Richtungen aussandte. Als Fußstützen dienten zwei liegende Löwen aus purem Golde, deren Augen aus gelb schimmernden Topasen bestanden.

Ihr Licht bekam die Halle aus zahlreichen schmalen Fenstern, die ziemlich weit oben in die Wand gebrochen waren. Sie erinnerten ein wenig an Schießscharten, wie man sie in alten Schlössern sieht. Glas hatten sie keines; diesen Werkstoff kannte man hier offensichtlich nicht.

So also sah die großartige Halle aus, in der wir uns befanden. Die recht ausführliche Beschreibung gründet sich natürlich auf die etwas eingehendere Betrachtung, zu der wir bei späteren Besuchen noch Gelegenheit haben sollten. Im Augenblick jedenfalls hatten wir nur wenig Zeit, uns alles genauer anzusehen, denn als wir die Halle betraten, sahen wir, daß sich eine große Anzahl von Männern vor den zwei Thronsesseln versammelt hatten, die indes noch unbesetzt waren. Einige von ihnen, offenbar ihre Anführer, saßen auf reichlich mit Schnitzwerk geschmückten Holzstühlen, die links und rechts von den Thronsesseln aufgereiht waren, jedoch nicht davor. Sie trugen weiße Kittel mit mannigfachen Stickereien und Säumen von verschiedenen Farben und waren mit den üblichen durchbrochenen und mit Gold besetzten Schwertern bewaffnet. Der Würde ihrer Erscheinung nach zu urteilen, schienen es allesamt Persönlichkeiten von höchstem Range zu sein. Hinter jedem dieser Männer drängte sich eine kleine Gruppe von Gefolgsleuten und Dienern.

Etwas abseits davon, zur Linken der beiden Thronsessel, saß eine Gruppe von Männern ganz anderen Gepräges. Statt des üblichen Rockes trugen sie lange Roben aus weißem Leinenstoff. Ihre Brust zierte das mit Goldfäden eingewebte Sonnenemblem, das auch die Rückenlehnen der Thronsessel zierte. Dieses Gewand wurde über der Hüfte zusammengehalten von einer einfachen goldenen Kette, die etwa die Stärke einer Kandare hatte. Von diesem Kettengürtel hingen lange, elliptische Platten, ebenfalls aus Gold, herab. Sie waren gestaltet wie die Schuppen eines großen Fisches und klirrten und reflektierten das Licht, sobald sich ihre Träger bewegten. Es waren durchwegs Männer reiferen Alters mit ernsten und eindrucksvollen Gesichtern, die durch ihre langen Bärte noch beeindruckender wirkten.

Einer von diesen Männern fiel uns ganz besonders auf. Er schien unter den anderen Männern der Gruppe eine Sonderstellung einzunehmen. Er war von sehr hohem Alter - mindestens achtzig - und von imponierender Größe. Sein langer, schneeweißer Bart fiel ihm über die Brust bis zum Gürtel hinab. Sein Gesicht erinnerte an einen Adler; die Züge schienen wie gemeißelt, und seine grauen Augen hatten einen kalten Ausdruck. Die Häupter der anderen waren unbedeckt; dieser Mann hingegen trug eine runde, goldbestickte Kappe. Wir schlossen daraus, daß er eine Persönlichkeit von höchstem Range war; und tatsächlich - wie sich später herausstellte - handelte es sich bei diesem Mann um Agon, den höchsten Priester des Landes. Als wir uns näherten, erhoben sich alle diese Männer, einschließlich der Priester, und verbeugten sich tief vor uns, wobei sie gleichzeitig die zwei Finger zum Gruße über die Lippen legten. Dann traten mit lautlosem Schritt Diener zwischen den Säulen hervor und stellten eine Reihe von drei Stühlen vor den Thronsesseln auf. Wir drei setzten uns darauf, Umslopogaas und Alphonse stellten sich hinter uns. Kaum hatten wir Platz genommen, als eine Fanfare von irgendeinem Gang zur Rechten erscholl. Unmittelbar danach erklang eine ganz ähnliche Fanfare von der linken Seite her. Als nächstes trat ein Mann mit einem langen weißen Elfenbeinstab direkt vor den Thronsessel zur Rechten und rief mit lauter Stimme etwas aus, das mit dem Wort Nylephta endete. Dieses Wort wiederholte er dreimal. Ein anderer Mann, der genauso gekleidet war und ebenfalls einen Elfenbeinstab trug, trat vor den anderen Thron und rief einen ähnlichen Satz aus, welcher jedoch mit dem Wort Sorais endete. Auch er wiederholte das letzte Wort dreimal. Von den beiden Seiteneingängen erscholl jetzt der Marschtritt bewaffneter Männer, und herein kamen etwa zwanzig besonders ausgesuchte, prachtvoll ausstaffierte Leibwächter, die sich zu beiden Seiten der Thronsessel aufstellten. Mit metallischem Gerassel stießen sie alle gleichzeitig ihre mit eisernen Stielen versehenen Speere auf den schwarzen Marmorboden. Erneut ertönte schmetternd ein doppelter Fanfarenstoß, und dann schritten gleichzeitig von jeder Seite die beiden Königinnen von Zu-Vendis, jede begleitet von sechs Jungfern, in die Halle. Augenblicklich erhob sich jeder in der Halle Anwesende von seinem Platz, um ihnen seinen Gruß zu entbieten.

Ich habe in meinem Leben manch eine schöne Frau gesehen und bin durch den Anblick eines hübschen Gesichts nicht mehr so leicht aus der Fassung zu bringen, aber die Sprache versagt mir den Dienst, wenn ich versuche, auch nur eine annähernde Vorstellung von dem ungeheuren Glanz von Schönheit und Liebreiz zu geben, der in jenem Moment in Gestalt dieser beiden königlichen Schwestern über uns hereinbrach. Beide waren jung - vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt -, beide waren großgewachsen und von vollendeter Figur; hier jedoch hörte schon die Gemeinsamkeit auf. Die eine, Nylephta, war eine Frau von blendender, strahlender Blondheit und Hellhäutigkeit; ihre rechte Brust und ihr rechter Arm, die nach dem Brauch ihres Volkes unverhüllt waren, hoben sich in ihrer schneeweißen Reinheit sogar noch deutlich gegen ihre weiße, goldbestickte Toga ab. Und was ihr Gesicht anbetrifft - ich kann nur eines dazu sagen: Es war von solcher Schönheit, daß wohl kaum ein Mann auf der Welt, der es einmal gesehen hat, es je wieder vergessen kann. Ihr Haar, eine wahre Krone leuchtenden Goldes, umkräuselte in kurzen Ringellocken ihren wohlgeformten Kopf und verbarg zur Hälfte ihre elfenbeinerne Stirn, unter der zwei Augen von tiefem, prachtvollen Grau in majestätischer Sanftheit schimmerten. Ich will gar nicht erst versuchen, ihre übrigen Gesichtszüge zu beschreiben, möchte jedoch noch einige Worte ihrem Mund widmen. Er war süß, dabei von hinreißender Form; er war geschwungen wie Cupidos Bogen. Über ihrer ganzen Erscheinung lag eine unbeschreibliche Aura liebevoller Zärtlichkeit, erhellt noch von einem Hauch sanften Humors, der auf ihren Zügen lag wie ein leiser Anflug von Silber auf einer rosa Wolke.

Sie trug keine Edelsteine, doch um ihren schwanengleichen Hals, ihren alabasternen Arm und ihren weiß schimmernden Unterschenkel hatte sie die üblichen Ringe aus Gold, welche in ihrem Falle in der Form einer Schlange gearbeitet waren. Ihr Kleid aus feinstem weißen Linnen war verschwenderisch mit goldenen Stickereien versehen, von denen einige das schon beschriebene Sonnenemblem darstellten.

Ihre Zwillingsschwester Sorais verkörperte den anderen, dunklen Typ von Schönheit. Ihr Haar war gelockt wie das von Nylephta, jedoch von pechschwarzer Farbe. Es fiel ihr dicht und schwer über die Schultern. Ihre Gesichtsfarbe ging ins Oliv, und ihre großen, dunklen Augen hatten einen tiefen, geheimnisvollen Glanz. Ihre vollen, üppigen Lippen hatten einen - wie mir schien - grausamen Ausdruck. Auf eine hintergründige Weise ging von ihren Zügen, so ruhig, ja kalt sie auch schienen, eine Ausstrahlung tief im Verborgenen schlummernder Leidenschaft aus; unwillkürlich fragte ich mich, wie es wohl aussehen würde, wenn irgend etwas geschähe, was diese gebändigte Leidenschaft erweckte. Ihr Gesicht erinnerte mich an die tiefe See, die selbst unter blauestem Himmel niemals das sichtbare Gepräge ihrer Macht und Stärke verliert, und die auch in ihrem leise murmelnden Schlaf erfüllt ist vom Geiste des Sturmes. Ihre Figur war wie die ihrer Schwester von absoluter Vollendung, vielleicht ein wenig runder, und ihr Kleid war dem ihrer Schwester völlig gleich.

Als dieses liebreizende Paar seinem Thronsessel zustrebte, herrschte in der Halle absolute Stille. Ich war geneigt, mir einzugestehen, daß sie in der Tat genau meine Vorstellung wahrer Königswürde verkörperten. Und wahrhaft königlich waren sie in jeder Hinsicht - in ihrer Gestalt, in ihrer Anmut und in ihrer königlichen Erhabenheit und dem barbarischen Glanze des sie umgebenden Pompes. Mir schien es, als hätte es keiner Leibwache und keines Goldes bedurft, ihre Macht zur Schau zu stellen und die Loyalität widerspenstiger und eigensinniger Männer zu gewinnen. Ein Blick aus jenen strahlenden Augen oder ein Lächeln jener süßen Lippen, und solange das rote Blut in den Adern der Jugend fließt, wird es solchen Frauen niemals an Untertanen ermangeln, die bereit sind, ihre Wünsche selbst auf die Gefahr des Todes hin zu erfüllen.

Aber schließlich waren sie doch in erster Linie Frauen, und erst dann Königinnen, und somit auch nicht gegen weibliche Neugier gefeit. Als sie zu ihren Thronsesseln schritten, sah ich, daß sie beide ganz schnell und verstohlen in unsere Richtung blickten. Ich sah auch, daß mich ihr Blick nur streifte, da es doch an der Person eines unscheinbaren, ergrauten alten Mannes nichts gab, das ihn hätte fesseln können. Mit unverhohlenem Staunen hingegen blieb er an der Gestalt des grimmigen Riesen Umslopogaas haften, der zum Gruße seine Axt herhob. Dann wurde ihr Blick von dem prächtigen Gewand Goods angezogen, und eine Sekunde lang hing er auf ihm wie eine Biene über dem Kelch einer Blüte, bevor er wie ein Blitz dahin schoß, wo Sir Henry Curtis stand. Das Sonnenlicht, das durch ein Fenster hereindrang, spielte auf seinen hellblonden Haaren und auf seinem Spitzbart und zeichnete die Umrisse seines kräftigen, großgewachsenen Körpers gegen das Zwielicht der irgendwie düster wirkenden Halle. Er hob die Augen, und voll traf sein Blick den Nylephtas. Dieses war das erste Mal, daß sich der schönste Mann und die schönste Frau, die je zu sehen mir vergönnt war, einander in die Augen schauten. Und ich weiß nicht warum, aber ich sah, daß das Blut Nylephta ins Gesicht schoß, wie das rote Licht der Morgensonne den Himmel überflutet. Ein sanftes Rot trat auf ihren alabasternen Busen und auf ihren wohlgeformten Arm, und auch ihr schwanengleicher Hals errötete heftig; ihre sanft geschwungenen Wangen bekamen die Farbe einer Rosenblüte, und dann versank die rote Flut wieder so, wie sie gekommen war und ließ sie bleich und zitternd zurück.

Ich warf einen verstohlenen Blick auf Sir Henry. Auch er war heftig errötet.

Lieber Himmel! dachte ich, die Ladys sind auf den Plan getreten, und jetzt brauchen wir nur noch abzuwarten, wie sich das Intrigenspiel ganz von selbst entwickelt. Und mit einem Seufzen schüttelte ich den Kopf; denn ich wußte, daß die Schönheit einer Frau wie die Schönheit eines Blitzes ist - zerstörerisch und nur allzuoft die Ursache von Kummer und Gram. Ich war noch tief in solcherlei Gedanken versunken, als sich die beiden Königinnen schon auf ihren Thronsesseln niedergelassen hatten; all dies, wovon ich soeben berichtet habe, hatte kaum mehr als zehn Sekunden gedauert. Erneut erschollen die unsichtbaren Fanfaren, und dann nahm der ganze Hof wieder auf den Stühlen Platz, und Königin Sorais bedeutete uns mit einer Geste, uns ebenfalls hinzusetzen.

Als nächstes trat unser Führer, jener alte Mann, der uns in den Hafen geschleppt hatte, aus der Menge, in die er sich zurückgezogen hatte, hervor; an der Hand hielt er das Mädchen, dem wir ganz zuerst begegnet waren, und das wir später vor dem Flußpferd gerettet hatten. Er machte eine tiefe Verbeugung und sprach dann zu den beiden Königinnen. Offensichtlich beschrieb er ihnen, wie und wo wir entdeckt worden waren. Es war höchst amüsant zu beobachten, wie sich die Verblüffung, vermengt mit Furcht, auf ihren Gesichtern widerspiegelte, während sie seinem Bericht gespannt lauschten. Es war ihnen natürlich ein absolutes Rätsel, wie wir den See erreicht hatten, und wahrscheinlich schrieben sie unsere Anwesenheit übernatürlichen Kräften zu. Nun kam, wie ich aus der Häufigkeit schloß, mit der unser Führer auf das Mädchen deutete, der Bericht auf den Punkt zu sprechen, wo wir die Flußpferde erschossen hatten, und sogleich fiel uns auf, daß es mit diesen Flußpferden irgend etwas Besonderes auf sich gehabt haben mußte; denn nun wurde der Bericht häufig durch zornige Ausrufe aus den Reihen der Priester unterbrochen, und auch aus den Reihen der Höflinge ertönte hier und da ein Ruf der Entrüstung. Die beiden Königinnen hingegen hörten mit vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen zu, besonders, als der alte Mann auf unsere Gewehre zeigte. An dieser Stelle möchte ich, um die Sache gleich klarzustellen, erklären, was es mit den Flußpferden auf sich hatte. Die Bewohner von Zu-Vendis sind Sonnenanbeter, und aus irgendeinem Grund gilt das Flußpferd bei ihnen als heiliges Tier. Nicht, daß sie es nicht töteten - im Gegenteil; in einer bestimmten Jahreszeit schlachten sie die Tiere, die eigens zu diesem Zwecke in großen Seen im Hochland gehalten werden, gleich zu Tausenden ab und benutzen ihre Häute zur Herstellung von Panzern für die Soldaten - aber dies hält sie nicht davon ab, dieses Tier als ein der Sonne geweihtes Wesen anzusehen[10]. Und wie es das Pech nun einmal gewollt hatte, gehörten die Flußpferde, die wir erlegt hatten, zu einer Familie von zahmen Tieren, die in der Hafenmündung gehalten und tagtäglich von Priestern gefüttert wurden, deren einzige Aufgabe darin bestand, für eben diese Tiere, die wir nun erschossen hatten, zu sorgen. Schon als wir die Tiere erschossen hatten, war mir aufgefallen, wie eigenartig zahm sie waren. Der Grund dafür war nun natürlich völlig klar. So hatten wir also das genaue Gegenteil dessen bewirkt, was wir eigentlich erreichen wollten: statt einen imponierenden Eindruck zu hinterlassen, hatten wir ein unverzeihliches Sakrileg begangen.



Als unser Führer mit seinem Bericht fertig war, erhob sich der Greis mit dem langen Bart und der runden Kappe, den ich bereits beschrieben habe, und der, wie ich ebenfalls bereits sagte, der oberste Priester des Landes war, Agon mit Namen, von seinem Platze und hielt eine leidenschaftliche Rede. Der Ausdruck seiner kalten, grauen Augen, deren Blicke uns zwischendurch fixierten, gefiel mir überhaupt nicht. Er hätte mir noch viel weniger gefallen, hätte ich gewußt, daß er gerade dabei war, im Namen der schändlichst beleidigten Ehre seines Gottes mit bewegten Worten zu fordern, daß wir alle fünf geopfert werden sollten, indem man uns bei lebendigem Leib verbrannte.

Als er seine Anklagerede beendet hatte, sprach die Königin Sorais mit sanfter und melodischer Stimme zu ihm. Seinen ablehnenden Gesten nach zu urteilen, schien sie ihm die andere Seite der Frage darzulegen. Dann sprach Nylephta in sanft fließendem Ton. Später sollten wir erfahren, daß sie in jenem Augenblick dafür plädierte, daß wir am Leben blieben. Schließlich wandte sie sich um und sprach zu einem großen, soldatisch wirkenden Mann mittleren Alters, der einen schwarzen Bart hatte und ein langes, schmuckloses Schwert trug. Er hieß, wie wir später erfuhren, Nasta, und er war der mächtigste Fürst des Landes. Offensichtlich wollte Nylephta ihn um Unterstützung bitten. Nun war mir jedoch nicht entgangen, daß dieser Mann deutlich bemerkt hatte, daß Nylephta beim Anblick von Sir Henry heftig errötet war, und -schlimmer noch - dieser Vorfall schien ihm äußerst unangenehm gewesen zu sein, denn ich sah, wie er sich auf die Lippen biß und mit der Rechten den Griff seines Schwertes heftig umklammerte. Später erfuhren wir, daß er der aussichtsreichste Kandidat für die Hand dieser Königin war; das erklärte natürlich seine Reaktion. Nylephta hätte sich in diesem Moment mit ihrem Ansinnen an keine ungeeignetere Person wenden können; mit schleppender, schwerer Stimme schien er all das nur noch zu bestätigen und zu untermauern, was der Hohepriester Agon gegen uns vorgebracht hatte. Während er noch sprach, stützte Sorais ihren Ellenbogen auf das Knie, legte ihr Kinn auf die Handfläche und betrachtete ihn mit einem unterdrückten Lächeln auf den Lippen, so als durchschaue sie den Mann voll und ganz. Sie schien entschlossen, ihm Paroli zu bieten. Nylephta hingegen wurde sehr wütend; das Blut schoß ihr in die Wangen, ihre Augen blitzten wild auf, und sie sah einfach hinreißend aus. Schließlich wandte sie sich Agon zu und schien wohl eine Art eingeschränkter oder bedingter Zustimmung zu geben; denn er verbeugte sich bei ihren Worten. Und während sie sprach, unterstrich sie ihre Worte mit lebhaften Gesten, während Sorais die ganze Zeit über mit aufgestütztem Kinn dasaß und lächelte. Dann gab Nylephta plötzlich ein Zeichen, die Fanfaren erschollen wieder, und alle erhoben sich, um die Halle zu verlassen, außer uns und der Leibwache, die sie zu bleiben aufforderte.



Als alle fort waren, beugte sie sich zu uns vor, lächelte uns zu und versuchte, uns teils mit Hilfe von Gesten, teils mit Ausrufen, zu erklären, daß sie neugierig darauf war, zu erfahren, wo wir herkamen. Die Schwierigkeit war nur: wie sollten wir es ihr bloß erklären? Schließlich hatte ich eine Idee: Ich hatte ja mein großes Notizbuch und einen Bleistift in der Tasche. Ich holte beides hervor, machte eine kleine Skizze von dem See, und dann malte ich, so gut ich konnte, den unterirdischen Fluß und den See am anderen Ende des Flusses auf das Blatt. Als ich die Zeichnung fertig hatte, machte ich ein paar Schritte zu den Stufen des Throns hin und überreichte ihr das Notizbuch. Sie begriff sofort, was die Zeichnung darstellte, und klatschte verzückt in die Hände. Dann stieg sie von ihrem Thron und zeigte es ihrer Schwester Sorais, die es ebenfalls sofort verstand. Dann nahm sie selbst den Bleistift, betrachtete ihn einen Augenblick lang neugierig und machte dann selbst eine Reihe allerliebster kleiner Zeichnungen. Die erste stellte sie selbst dar, wie sie beide Hände zum Willkommensgruß ausstreckte. Der Mann, der ihr dabei auf der Zeichnung gegenüberstand, hatte eine verteufelte Ähnlichkeit mit Sir Henry. Als nächstes zeichnete sie ein hübsches kleines Bild, auf dem ein Flußpferd abgebildet war, das sich sterbend im Wasser herumwälzte. Am Ufer stand ein Mann, in dem wir ohne Mühe Agon, den Hohepriester, wiederer kannten, der mit einem Ausdruck des Entsetzens die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Dann folgte die höchst beängstigende Darstellung eines brennenden Scheiterhaufens, in den uns dieselbe Person vom vorherigen Bild, nämlich Agon, mit einem an der Spitze gegabelten, langen Spieß hineinstieß.











Dieses Bild erfüllte mich mit Schrecken; ich war jedoch wieder ein wenig beruhigt, als sie freundlich nickte und sich anschickte, ein viertes Bild zu zeichnen. Es zeigte einen Mann, der wieder Sir Henry verteufelt ähnlich sah, und zwei Frauen, in denen ich Sorais und sie selbst erkannte, die beide je einen Arm um ihn gelegt hatten und mit dem anderen schützend ein Schwert über ihn hielten. Zu allen diesen Bildern gab Sorais, die, wie ich bemerkte, uns sorgfältig in Augenschein nahm - insbesondere Curtis, ihre Zustimmung, indem sie jedesmal ausdrücklich nickte.

Schließlich zeichnete Nylephta noch eine letzte Skizze, auf der eine aufgehende Sonne zu sehen war; das sollte bedeuten, daß sie nun gehen mußte, und daß wir uns am darauffolgenden Morgen wiedersehen würden. Als Curtis dieses Bild sah, machte er ein so bekümmertes Gesicht, daß es der blonden Königin nicht entging. Sie reichte ihm ihre Hand zum Kusse -ich vermute, um ihn zu trösten -, und er nahm sie und küßte sie feurig und galant. Zugleich belohnte Sorais Good, der während der ganzen Indaba (Unterredung) nicht eine Sekunde lang den Blick von ihr gewandt hatte, ebenfalls, indem sie ihm ihre Hand zum Kusse darbot. Ich bemerkte jedoch, daß sie, während Good ihr die Hand küßte, unablässig Sir Henry anschaute. Ich war ganz froh, nicht in dieses Spielchen mit einbezogen zu sein; mir jedenfalls bot keine der beiden ihre Hand zum Kusse dar.



Danach wandte sich Nylephta um und sprach mit dem Mann, der dem Anschein nach das Kommando über die Leibwache innehatte; ihrer Gestik und ihrer festen Stimme nach zu urteilen, sowie der Tatsache, daß er sich zwischendurch mehrere Male leicht vor ihr verbeugte, schien sie ihm klare und eindeutige Anweisungen zu geben. Nachdem sie dies getan hatte, verließ sie, gefolgt von Sorais und dem größten Teil der Leibwache, mit einem koketten Lächeln auf den Lippen die Halle.

Als die Königinnen fort waren, trat der Offizier, mit dem Nylephta gesprochen hatte, auf uns zu und führte uns aus der Halle hinaus und durch zahlreiche Flure und Gänge in einen Teil des Palastes, der aus mehreren verschwenderisch ausgestatteten Gemächern bestand, die alle von einem großen, zentralen Saal aus zugänglich waren, der von Messinglampen, die von der Decke hingen, erleuchtet (inzwischen hatte es schon zu dämmern begonnen) und mit dik-ken Teppichen und Diwanen ausgestattet war. Wäh-rend des ganzen Weges dorthin bekundete uns der Offizier immer wieder mit Gesten seine Ehrerbietung.

Auf dem Tisch in der Mitte des Saales befanden sich Speisen und Früchte im Überfluß; darüber hinaus war er mit Blumen geschmückt. Außerdem gab es köstlichen Wein aus alten, tönernen Krügen und dazu wunderschön ziselierte Becher aus goldgefaßtem Elfenbein. Eine Anzahl von Dienern und Dienerinnen stand bereit, unsere Wünsche zu erfüllen, und während wir speisten, ertönte von irgendwoher der silberne Klang einer Laute, umrahmt von den stolzen, herrischen Tönen einer Fanfare, und wir waren nahe daran, uns wie in einem Paradies auf Erden zu fühlen. Der einzige bittere Tropfen im Becher unseres Wohlgefühls war der Gedanke, daß uns dieser abscheuliche Hohepriester den Flammen überantworten wollte. Aber nach all den Anstrengungen der vergangenen Tage waren wir so müde, daß wir schon fast während des köstlichen Mahles einschlummerten, und als wir es schließlich beendet hatten, äußerten wir sofort den Wunsch, schlafen zu gehen.

Die Diener führten uns in unsere Schlafgemächer, jeden in ein eigenes, jedoch gaben wir ihnen zu verstehen, daß wir zu zweit in je einem Raum schlafen wollten. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme ließen wir Umslopogaas mit seiner Axt in dem Hauptgemach schlafen, welches nahe bei den mit Vorhängen versehenen Eingängen unserer Gemächer lag. Good und ich belegten zusammen eines davon, das andere nahmen Sir Henry und Alphonse. Wir zogen uns aus bis auf unsere Kettenhemden, die wir der Sicherheit halber anlassen wollten, und warfen uns todmüde auf die niedrigen, luxuriösen Betten. Kaum hatte ich die seidenbestickte Decke über mich gezogen, als ich auch schon in tiefen Schlaf sank. Goods Stimme weckte mich sogleich wieder auf.

»Quatermain, hast du jemals zuvor solche Augen gesehen?«

»Augen!« knurrte ich mürrisch. »Was für Augen?«

»Die der Königin natürlich! Ich meine Sorais - so ist doch, glaube ich, ihr Name.«

»Ach, ich weiß nicht«, erwiderte ich gähnend, »ich habe nicht sonderlich darauf geachtet. Ich glaube, sie hat recht hübsche Augen.« Und sogleich schlief ich wieder ein.

Fünf Minuten waren vielleicht verstrichen, als ich wieder aufwachte.

»Du, Quatermain!« meldete sich Goods Stimme.

»Was ist denn nun schon wieder los?«

»Hast du ihre schlanken Fesseln gesehen? Ihre Form ... «

Das war zuviel für mich. Neben meinem Bett standen die >Veldtschoonen<, die ich getragen hatte. Außer mir vor Wut beugte ich mich über den Bettrand und angelte nach ihnen. Als ich sie erwischt hatte, warf ich sie Good an den Kopf - und traf!

Bald schlief ich den Schlaf der Gerechten. Er war tief und fest. Ich weiß nicht, ob Good auch endlich schlief, oder ob er sich noch den Rest der Nacht damit um die Ohren schlug, indem er sich in seiner Vorstellung sämtliche Vorzüge Sorais' vor Augen führte. Ich muß gestehen, verehrter Leser, das war mir damals völlig egal.

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