18 Krieg! Blutiger Krieg!

Ich bat Umslopogaas, zu warten, schlüpfte in meine Kleider und ging mit ihm in Sir Henrys Gemach, wo der Zulu seine Geschichte Wort für Wort wiederholte. Sie hätten Curtis' Gesicht sehen müssen, als er Ums-lopogaas zuhörte.

»Großer Gott!« rief er. »Da liege ich hier und schlafe, während zur selben Stunde Nylephta fast ermordet wird - und alles auch noch meinetwegen! Diese Sorais muß ja von Furien besessen sein! Es wäre ihr ganz recht geschehen, wenn Umslopogaas sie dabei erschlagen hätte.«

»Ja«, sagte der alte Zulu. »Keine Angst, ich hätte sie schon rechtzeitig getötet, noch bevor sie hätte zustechen können. Ich habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.«

Ich sagte dazu nichts weiter, aber irgendwie hatte ich die leise Ahnung, daß das Leben vieler tausend Unschuldiger hätte gerettet werden können, wenn der Zulu Sorais das Schicksal hätte zukommen lassen, das sie ihrer Schwester zugedacht hatte. Und, wie die späteren Ereignisse noch beweisen sollten: ich sollte mit meiner Vermutung recht behalten.

Nachdem Umslopogaas seine Geschichte zu Ende erzählt hatte, ging er ungerührt sein Frühstück einnehmen. Sir Henry und ich diskutierten hingegen die Situation.

Er war höchst erbittert über Goods Verhalten und meinte, man dürfe ihm nicht länger vertrauen.

Schließlich habe er in voller Absicht Sorais über eine geheime Treppe entkommen lassen, wo es eigentlich seine Pflicht gewesen wäre, sie festzunehmen und der Justiz zu übergeben. Er war in der Tat maßlos in seiner Bitterkeit und Enttäuschung. Ich ließ ihn sich eine Weile austoben, wobei ich im stillen darüber nachdachte, wie leicht es uns doch fällt, uns über die Fehler und Unzulänglichkeiten anderer zu ereifern, und mit welcher Nachsicht wir uns unsere eigenen Schwächen verzeihen.

»Mein lieber Freund«, sagte ich schließlich, »wenn man dich so reden hört, dann sollte man gar nicht glauben, daß du derselbe Mann bist, der erst gestern noch mit dieser Frau eine lange Unterredung hatte, und der mir hinterher erzählte, wie schwer es ihm gefallen wäre, sich der Faszination dieser Person zu entziehen. Und das, obwohl du eine der schönsten und liebenswertesten Frauen der ganzen Welt liebst! Nun stelle dir doch nur einmal vor, es wäre Nylephta gewesen, die versucht hätte, Sorais zu ermorden, und du hättest sie dabei ertappt, und sie hätte dich angefleht; wärst du dann auch so wild darauf gewesen, sie der öffentlichen Schande und dem Feuertod auszuliefern? Sieh die Sache doch einmal ein paar Minuten durch Goods Monokel, bevor du dich dazu hinreißen läßt, einen guten alten Freund als Schurken zu beschimpfen!«

Er hörte sich meine Standpauke gehorsam an und gab rundheraus zu, zu hart gegenüber Good geurteilt zu haben. Es ist eine von Sir Henrys besten Charaktereigenschaften, daß er stets bereit ist, einen Fehler, den er gemacht hat, zuzugeben.

Wenn ich mich auch mit allem Nachdruck für Good einsetzte, so war ich dennoch nicht blind gegenüber der Tatsache, daß er, so verständlich und natürlich sein Verhalten auch sein mochte, auf dem besten Wege war, sich in eine heikle Klemme hineinzureiten. Immerhin hatte Sorais versucht, ein Attentat auf ihre Schwester zu verüben, und er hatte die Mörderin laufen lassen; damit hatte er ihr unter anderem die Möglichkeit gegeben, ihn voll in der Hand zu haben und jede Art von erpresserischem Druck auf ihn auszuüben. Er war in der Tat auf dem besten Wege, ihr Werkzeug zu werden - und es kann keinem Mann ein schlimmeres Schicksal widerfahren, als das Werkzeug einer skrupellosen Frau zu werden; oder überhaupt einer Frau. So etwas führt schließlich immer zum selben Ende: Wenn er vollends zerbrochen ist, oder wenn er seinen Zweck erfüllt hat, dann wird er fallengelassen wie eine heiße Kartoffel, und dann kann er zusehen, wie er seine verlorene Achtung vor sich selbst wiederfindet. Während ich noch über diesen Vorfall nachgrübelte und überlegte, was man in einem solchen Fall am besten machen sollte - war doch die ganze Situation äußerst prekär -, hörte ich plötzlich von draußen auf dem Hof einen Riesenlärm. Ich erkannte sogleich die Stimmen von Umslopogaas und Alphonse; der erstere fluchte wie ein Berserker, während der letztere ein panisches Gebrüll von sich gab.

Ich rannte sofort nach unten auf den Hof, um zu sehen, was los war. Unten bot sich meinen Augen ein drolliger Anblick: der kleine Franzose rannte wie von Furien gehetzt über den Hof, und Umslopogaas schoß wie ein Windhund hinter ihm her. Gerade in dem Moment, als ich aus der Tür trat, erwischte er Alphonse beim Kragen. Er hob ihn buchstäblich von den Beinen und trug ihn zu einem nahegelegenen Strauch, der in voller Blüte stand. Es war eine Blume, die unserer Gardenie ein wenig ähnelte, jedoch war der ganze Strauch mit kurzen Stacheln bedeckt. Ungerührt vom gellenden Geschrei und Gezappel des Franzosen warf Umslopogaas den armen Kerl mit dem Kopf voran mitten in den Strauch, so daß nur noch seine. Unterschenkel und seine Absätze herausguckten. Dann stellte er sich, zufrieden mit seiner Leistung, mit verschränkten Armen vor den Strauch und betrachtete mit grimmigem Lächeln Alphonses verzweifelt strampelnde Beine und lauschte mit sichtlicher Genugtuung seinen gellenden Schmerzensschreien.

»Was tust du da?« schrie ich wütend und rannte zu ihm hin. »Willst du den Mann umbringen? Zieh ihn sofort aus dem Busch heraus!«

Mit einem wilden Grunzen gehorchte der Zulu und packte den unglückseligen Alphonse beim Fußgelenk. Und mit einem Ruck, mit dem er ihm beinahe den Fuß ausgerenkt hätte, zog er ihn aus dem Gestrüpp heraus. Nie zuvor hatte ich einen bedauernswerteren Anblick gesehen: Alphonses Kleider waren fast völlig zerrissen, und der arme Kerl blutete am ganzen Leib aus den Wunden, die ihm die scharfen Dornen gerissen hatten. Vor Schmerz schreiend wälzte er sich auf der Erde, und es war völlig unmöglich, etwas aus ihm herauszubekommen.

Schließlich rappelte er sich auf, und aus dem sicheren Schutz meines Rückens verfluchte er den alten Umslopogaas bei allen Heiligen, mit denen der Kalender aufzuwarten hat; und bei dem Blute seines heroischen Großvaters schwor er, ihn zu vergiften und sich fürchterlich zu rächen.

Und schließlich bekam ich dann auch heraus, worum es eigentlich ging. Gelegentlich kochte Alphonse Umslopogaas seinen Haferschleim, den der letztere, ganz, wie er es auch daheim in Zululand getan hätte, mit einem Holzlöffel aus einer Kürbisflasche irgendwo in einer Ecke des Hofes aß. Nun hatte Umslopo-gaas, wie übrigens sehr viele Zulu, einen großen Ekel vor Fisch. Er betrachtete dieses Tier als eine Art Wasserschlange. Alphonse, dem ständig der Schalk im Nacken saß, und der darüber hinaus ein vollendeter Koch war, beschloß daher, Umslopogaas einen Streich zu spielen, indem er ihn ohne dessen Wissen Fisch essen lassen wollte. Er zerrieb einen weißen Fisch zu feinem Mehl und mischte dieses unter Umslopogaas' Haferschleim. Dieser aß fast seine ganze Portion auf, ohne zu wissen, was Alphonse damit angestellt hatte. Zu seinem großen Unglück jedoch konnte der Franzose seine diebische Freude darüber nicht verbergen und scharwenzelte immerzu um den Zulu herum, um zu sehen, ob der etwas merkte. Schließlich schöpfte Umslopogaas, der auf seine Weise ein äußerst kluger Bursche war, Verdacht. Er untersuchte sorgfältig die Reste seines Haferschleims und entdeckte schließlich den »Trick der Büffelkuh«. Seinen daraufhin stattfindenden Rachefeldzug habe ich bereits ausführlich beschrieben. Der kleine Mann konnte wirklich von Glück reden, daß er noch so glimpflich davongekommen war. Ebensogut hätte der Zulu ihm nämlich das Genick brechen können. Es wäre eigentlich anzunehmen gewesen, daß er aus der Episode in der Missionsstation, als der Zulu ihm die Vorstellung mit der Axt geliefert hatte, gelernt hätte, daß Umslopogaas eine höchst ungeeignete Zielscheibe für seine Streiche darstellte.

Dieser Zwischenfall war für sich genommen eigentlich ziemlich unwichtig; ich schildere ihn jedoch deswegen, weil er ernsthafte Konsequenzen nach sich zog. Sobald Alphonse die Blutungen aus seinen Kratzwunden gestillt und sich gewaschen hatte, machte er sich, noch immer laut fluchend, davon, um seine Wut verrauchen zu lassen. Wie ich aus Erfahrung wußte, dauerte das immer mehrere Tage. Als er fort war, hielt ich Umslopogaas eine lange Gardinenpredigt und sagte ihm, daß ich mich für sein Verhalten schämte.

»Nun gut, Macumazahn«, erwiderte er. »Du darfst nicht so streng mit mir sein, denn dies ist nicht mein Ort. Ich bin seiner überdrüssig; es langweilt mich zu Tode, immerzu nur zu essen und zu trinken, zu schlafen und von Hochzeiten zu hören. Ich liebe nicht dieses weiche Leben in Steinhäusern, das einem Mann das Herz raubt und seine Kraft zu Wasser macht und sein Fleisch in Fett verwandelt. Ich liebe nicht die weißen Kleider und die eleganten Frauen, den Klang der Fanfaren und die Falkenjagd. Als wir gegen die Masai kämpften, dort, in jenem Kraal, ja, da war es noch wert zu leben; hier jedoch fällt niemals ein Hieb im Zorn, und ich fange schon an zu glauben, daß ich den Weg meiner Väter gehe und niemals mehr Inko-si-kaas erhebe.« Er erhob seine Axt und schaute sie kummervoll an.

»Aha!« gab ich ihm zur Antwort, »das also quält dich, nicht wahr? Du bist wieder einmal vom Blutrausch ergriffen, oder? Der Specht braucht wieder einen Baum, nicht wahr? Und das in deinem Al-ter! Du solltest dich schämen, Umslopogaas!«

»Ja, Macumazahn, mein Geschäft ist ein blutiges, aber dennoch ist es ehrenhafter als manch anderes. Es ist besser, einen Mann im edlen Kampfe zu töten, als ihm das Blut aus dem Herzen zu saugen, indem man kauft und verkauft und ihn durch Wucher zur Strek-ke bringt, wie ihr Weißen es tut. Manch einen Mann tötete ich, und doch gibt es niemand, dem ich nicht mehr in die Augen schauen könnte. Ja, und viele sind da, die einst Freunde waren, und mit denen ich mit größtem Vergnügen eine gemeinsame Prise Schnupftabak nehmen würde. Aber schau! Du gehst deinen Weg, und ich gehe meinen: jeder geht zu seinem eigenen Volk und an seinen eigenen Ort. Der Ochse aus der Hochsteppe stirbt in dem Land, wo es fettes Gras gibt, und so ist es mit mir, Macumazahn. Ich bin rauh und wild, das weiß ich, und wenn mein Blut heiß ist, dann weiß ich nicht, was ich tu; und doch wirst du bekümmert sein, wenn die Nacht mich verschluckt und ich in der tiefsten Schwärze verloren bin, denn tief in deinem Herzen liebst du mich, mein Vater Macumazahn, der alte Fuchs, wiewohl ich nichts bin als ein alter, zerbrochener Zulukrieger - ein Häuptling, für den es keinen Platz gibt in seinem eigenen Kraal, ein Ausgestoßener, ein Wanderer in einem fremden Land; ja, und ich liebe dich, Macumazahn, denn zusammen sind wir ergraut, und zwischen uns ist etwas, das man nicht sehen kann, und doch ist es zu stark, um zu zerbrechen.« Dann nahm er seine Schnupftabaksdose, eine alte Messingpatrone, aus dem Schlitz in seinem Ohr, wo er sie aufzubewahren pflegte, und reichte sie mir mit der Aufforderung, mich zu bedienen.

Mit einem Gefühl der Rührung nahm ich die Prise. Er hatte recht; ich hing sehr an dem alten, blutrünstigen Raufbold. Ich weiß auch nicht, was eigentlich seinen Charme ausmachte; jedenfalls hatte er welchen; vielleicht war es seine leidenschaftliche Aufrichtigkeit und Direktheit; vielleicht war es auch seine schier übermenschliche Geschicklichkeit und Kraft, was ich an ihm so bewunderte; vielleicht war es auch allein die Tatsache, daß er so absolut einzigartig war. Ich muß freimütig bekennen: Obwohl ich während meines Lebens viele Wilde kennengelernt habe; nie habe ich einen Mann kennengelernt, der ihm ähnlich war; er war so weise, und zugleich naiv wie ein Kind. Und - so lächerlich sich das auch anhören mag - er hatte, wie jener Held aus der Yankee-Parodie, »ein weiches Herz«. Nun, jedenfalls mochte ich ihn sehr; ich wäre jedoch nie auf den Gedanken gekommen, ihm das zu sagen.

»Jaja, du alter Wolf«, sagte ich, »deine Liebe ist schon eine sehr seltsame. Du würdest mir schon morgen den Schädel bis zum Kinn spalten, wenn ich dir im Wege stünde.«

»Du sprichst die Wahrheit, Macumazahn. Das würde ich auch tun, wenn die Pflicht es von mir verlangte. Aber dennoch würde ich dich lieben, wenn der Hieb sein Ziel erreicht hätte. Sag, Macumazahn, glaubst du, daß ich bald wieder die Möglichkeit habe, Inkosi-kaas zu schwingen?« fuhr er mit einschmeichelnder Stimme fort. »Mich dünkt, daß das, was ich in der letzten Nacht sah, bedeutet, daß die beiden großen Königinnen Streit miteinander haben. Sonst hätte die >Herrin der Nacht< nicht den Dolch bei sich getragen.«

Ich bestätigte seine Vermutung und erklärte ihm, daß die beiden ziemlichen Ärger miteinander hatten. Dann erzählte ich ihm rundheraus, wie die Dinge standen, und daß sie sich wegen Incubu in die Haare geraten waren.

»Ah! Ist es so?« rief er und machte vor Freude einen Luftsprung. »Wenn es so ist, dann wird Krieg sein, so sicher, wie der Fluß nach einem Regen anschwillt. Ein Krieg bis zum bitteren Ende! Frauen lieben den letzten Schlag genauso wie das letzte Wort, und wenn sie für die Liebe kämpfen, dann sind sie so gnadenlos wie ein verwundeter Büffel. Ich sage dir, Macumazahn: eine Frau schwimmt durch Blut, ohne sich etwas dabei zu denken. Mit meinen eigenen Augen habe ich es einmal gesehen, und noch ein zweites Mal. Oh, Macumazahn, wir werden noch erleben, wie diese schöne Stätte von Häusern in Flammen aufgeht, und wir werden hören, wie die Schlachtrufe durch die Straßen hallen. So bin ich nun doch nicht umsonst gewandert. Kann dieses Volk kämpfen? Was glaubst du?«

In diesem Augenblick trat Sir Henry ein. Kurz darauf kam auch Good, jedoch aus einer anderen Richtung. Er sah blaß und hohläugig aus. Als Umslopo-gaas Good erblickte, hörte er mit seiner blutrünstigen Schwelgerei auf und begrüßte ihn.

»Ah, Bougwan!« rief er. »Sei gegrüßt, o Häuptling! Sicher bist du müde. Hast du in der letzten Nacht zuviel gejagt?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort:

»Höre, Bougwan, ich will dir eine Geschichte erzählen; sie handelt von einer Frau, und du wirst sie sicher hören wollen, ist es nicht so?

Es war ein Mann, und der hatte einen Bruder. Und da war eine Frau, die liebte den Bruder des Mannes und wurde von dem Mann geliebt. Aber der Bruder des Mannes hatte eine andere Frau und liebte die Frau nicht, sondern verspottete sie. Aber die Frau, die sehr verschlagen war und Rache in ihrem Herzen trug, beratschlagte mit sich selbst und sagte zu dem Mann: >Ich liebe dich, und wenn du einen Krieg gegen deinen Bruder machst, dann werde ich deine Frau.< Und er wußte, daß es eine Lüge war, und dennoch, weil er die Frau sehr liebte, lauschte er ihren Worten und machte einen Krieg. Und als schon viele Menschen getötet waren, schickte sein Bruder nach ihm und fragte ihn: >Warum machst du Krieg gegen mich? Was habe ich dir angetan? Habe ich dich nicht von Kindesbeinen an geliebt? Und als du klein warst, habe ich dich da nicht genährt und aufgezogen? Und sind wir nicht zusammen in den Krieg gezogen und haben das Vieh brüderlich geteilt, Frau für Frau, Ochse für Ochse und Kuh für Kuh? Warum willst du mich töten, Bruder, Sohn meiner eigenen Mutter?<

Und das Herz des Mannes war schwer, und er wußte, daß er auf einem bösen Pfade wandelte, und er widerstand der Versuchung der Frau und hörte auf, Krieg gegen seinen eigenen Bruder zu führen. Und sie lebten wieder zusammen in Frieden in ihrem Kraal. Und nach einer Weile kam die Frau zu dem Mann und sprach zu ihm: >Ich habe die Vergangenheit verloren, ich will deine Frau sein.< Und tief in seinem Herzen wußte er, daß es eine Lüge war, und daß sie Böses im Schilde führte, doch da er sie noch immer liebte, nahm er sie zur Frau.

Und noch in derselben Nacht, in der sie gekaut wa-ren, stand die Frau, als der Mann in tiefen Schlaf gesunken war, auf und nahm die Axt aus seiner Hand und schlich in die Hütte seines Bruders und erschlug ihn im Schlaf. Und dann stahl sie sich davon wie eine vollgefressene Löwin und legte die blutrote Axt wieder auf seinen Arm und ging ihres Weges.

Und beim Morgengrauen kamen die Menschen und schrien: >Lousta ist in der Nacht getötet worden!< Und dann gingen sie zu der Hütte des Mannes, und da lag er in tiefem Schlummer, und die blutige Axt lag neben ihm. Und sie erinnerten sich wieder, daß Krieg zwischen den beiden Brüdern gewesen war, und sie sprachen: >Seht her! Gewiß hat er seinen Bruder getötet<, und sie hätten ihn sicherlich ergriffen und getötet, wenn er nicht schnell aufgestanden und geflohen wäre. Und während er floh, sah er die Frau und tötete sie.

Aber auch der Tod konnte nicht die Schuld auslöschen, die sie auf sich geladen hatte, und nun ruhte all ihre Sünde auf seinen Schultern. Und darum ist er ein Geächteter, und sein Name wird in seinem Volke nur mit Verachtung ausgesprochen, denn auf ihm, und nur auf ihm, lastet die Bürde von der, die betrogen und verraten hat. Und darum wandert er in der Ferne umher, ohne eigenen Kraal, ohne einen Ochsen oder eine Frau, und daher wird er in der Ferne sterben wie ein verwundetes Tier, und sein Name wird verflucht sein von Generation zu Generation, und die Menschen werden sagen, daß er es war, der seinen Bruder des Nachts heimtückisch abschlachtete.«

Hier hielt der alte Zulu inne, und ich merkte, daß er selbst tief bewegt war von seiner eigenen Geschichte. Doch sogleich hob er wieder den Kopf, den er auf die Brust hatte sinken lassen, und fuhr fort:

»Dieser Mann war niemand anderes als ich, Boug-wan. Oh, ich war dieser Mann, und nun höre weiter zu! So wie ich war, wirst auch du sein - ein Werkzeug, ein Spielzeug, ein Lastochse, der die bösen Taten eines anderen tragen muß. Höre! Als du hinter der >Herrin der Nacht< einherschlichest, da war ich dicht hinter dir. Und als sie dich mit dem Messer stach in der Schlummerstätte der Weißen Königin, da war ich auch zugegen. Und als du sie entgleiten ließest wie eine Schlange zwischen den Steinen, da sah ich dich, und ich wußte, daß sie dich verhext hatte und daß ein aufrichtiger Mann den Pfad der Wahrheit verlassen hatte, und daß der, der vorher den geraden Weg gegangen war, nun den krummen Pfad beschritten hatte. Vergib mir, mein Vater, wenn meine Worte scharf sind, aber sie kommen aus einem redlichen Herzen. Sieh sie nicht mehr, und du wirst als ehrenhafter Mann ins Grab gehen. Sonst wirst du, so wie ich, wegen der Schönheit einer Frau, die auf dir lastet wie ein Gewand aus Pelz, einhergehen; und vielleicht mit größerer Berechtigung als ich. Ich habe gesprochen.«

Während dieser langen und wortreichen Ansprache hatte Good kein Wort gesagt. Als die Geschichte jedoch immer mehr Gestalt annahm und er merkte, daß sie seiner eigenen verteufelt ähnlich war, errötete er, und als er schließlich auch noch erfuhr, daß Ums-lopogaas alles von Anfang bis Ende mitbekommen hatte, war er zu Tode betrübt. Und als er sich dann schließlich zu dem Vorfall äußerte, tat er dies in einem so niedergeschlagenen Ton, wie man ihn bei ihm gar nicht kannte.

»Ich muß gestehen«, sagte er mit einem bitteren Lächeln, »daß ich wohl niemals auch nur im Traum daran gedacht hätte, mir einmal von einem Zulu die Leviten lesen lassen zu müssen. Aber es zeigt doch einmal wieder, wie schnell man in die Tinte geraten kann. Ich frage mich, ob ihr Burschen mir nachfühlen könnt, wie erniedrigt ich mich fühle. Und was das Ganze um so bitterer macht: ich habe es nicht anders verdient. Natürlich hätte ich Sorais der Wache übergeben müssen, aber ich konnte es einfach nicht, versteht ihr? Ich ließ sie laufen und versprach ihr, Stillschweigen zu bewahren. Mein Gott, wie ich mich schäme! Sie sagte mir, daß sie mich heiraten und zum König dieses Landes machen würde, wenn ich mich auf ihre Seite schlüge. Aber Gott sei Dank brachte ich den Mut auf, ihr zu sagen, daß selbst dann, wenn sie mich heiraten würde, ich nicht meine Freunde verließe. Und nun macht mit mir, was ihr wollt; verdient habe ich es auf jeden Fall. Eines jedoch will ich euch noch sagen: Ich will nur hoffen, daß keiner von euch jemals eine Frau von ganzem Herzen liebt und dann so schamlos von ihr in Versuchung geführt wird.« Darauf wandte er sich um und ging.

»Hör mal, alter Knabe«, rief ihm Sir Henry nach, »warte noch einen Augenblick. Auch ich habe dir eine kleine Geschichte zu erzählen.« Und dann berichtete er Good, was sich tags zuvor zwischen ihm und Sorais abgespielt hatte.

Das war einfach zuviel für den armen Good. Es ist sicher für keinen Mann angenehm, zu hören, daß man ihn lediglich als ein Mittel zum Zweck mißbraucht hat, aber wenn die Umstände gar noch so schlimm sind wie im vorliegenden Fall, dann ist das schon eine verdammt bittere Pille.

»Wißt ihr«, sagte er, »ich glaube, ihr Burschen habt euch untereinander schon irgendein Heilmittel ausgedacht.« Und dann drehte er sich wieder um und ging. Ich für meinen Teil hatte großes Mitleid mit ihm. Ach, wenn doch die Motten besser aufpassen könnten, daß sie nicht zu nah ans Licht kommen; wie wenig verbrannte Flügel würde es dann geben!

Jener Tag war ein sogenannter Hoftag. Die Königinnen pflegten dann im Palast zu sein und Bittschriften entgegenzunehmen, Gesetze zu besprechen, Zuschüsse zu bewilligen usw. Mit einiger Verspätung begaben auch wir uns in die Halle. Unterwegs trafen wir auf Good, der einen äußerst deprimierten Eindruck machte.

Als wir die Halle betraten, saß Nylephta schon, umringt von Beratern, Höflingen, Rechtskundigen und Priestern, wie gewöhnlich auf ihrem Thron und erledigte ihre Geschäfte. Die Leibgarde war jedoch weit stärker als sonst. Es war indessen ganz deutlich zu erkennen, daß keiner der Anwesenden so recht mit den Gedanken bei der Sache war; in den Gesichtern aller Anwesenden zeichnete sich Erregung und Erwartung ab. Es hatte sich nämlich inzwischen im ganzen Lande herumgesprochen, daß ein Bürgerkrieg unmittelbar bevorstand. Wir begrüßten Nylephta und nahmen unsere gewohnten Plätze ein. Und für eine Weile nahm auch alles seinen gewohnten Gang, bis plötzlich von draußen der Klang von Fanfaren erscholl und unmittelbar darauf die Menge, die sich dort in Erwartung eines außergewöhnliches Ereignisses versammelt hatte, laut »Sorais, Sorais« brüllte.

Dann hörte man das Rumpeln von zahlreichen Streitwagen, und gleich darauf teilte sich der große Vorhang am Eingang der Halle, und herein schritt die >Herrin der Nacht< höchstpersönlich. Sie kam jedoch nicht allein. Ihr voran schritt Agon, der Hohepriester, der seine kostbarsten Gewänder trug, und zu ihrer Linken und Rechten befanden sich weitere Priester. Die Gründe für die Anwesenheit der Priester lagen klar auf der Hand - in dem Falle wäre es nämlich ein Sakrileg gewesen, sie zu verhaften. In ihrem Gefolge befand sich eine Artzahl mächtiger Fürsten, und hinter ihnen kamen mehrere sorgsam ausgewählte Wachsoldaten. Ein kurzer Blick auf Sorais genügte schon, um zu wissen, daß sie nicht in friedlicher Absicht gekommen war; denn sie trug nicht wie gewöhnlich ihren goldbestickten »Kaf«, sondern statt dessen ein glitzerndes Gewand aus goldenen Schuppen, und auf ihrem Kopf trug sie einen kleinen goldenen Helm. In der Hand hielt sie einen herrlich gearbeiteten Spielzeugspeer aus reinem Silber. In ihrem Stolz und ihrer Schönheit wirkte sie wie eine Löwin, als sie so erhobenen Hauptes durch die Halle schritt. Als sie näherkam, wichen die Schaulustigen unter tiefen Verbeugungen zurück und machten ihr Platz. Vor dem heiligen Stein hielt sie an, legte ihre Hand darauf und rief laut Nylephta ihren Gruß zu: »Sei gegrüßt, o Königin!«

»Sei gegrüßt, meine königliche Schwester!« rief Nylephta ebenso laut zurück. »Komm näher heran zu mir, ich gebe dir freies Geleit.«

Sorais warf ihr als Antwort einen hochmütigen Blick zu, und dann schritt sie durch die Halle, bis sie vor den Thronsesseln stand.

»Ich muß mit dir sprechen, o Königin!« rief sie.

»Sprich, meine Schwester; was kann ich dir, die die Hälfte unseres Königreiches besitzt, geben?«

»Du kannst mir die Wahrheit sagen - mir und dem Volke von Zu-Vendis. Willst du also - oder willst du es nicht, diesen fremdländischen Wolf ...« - dabei zeigte sie mit ihrem Spielzeugspeer auf Sir Henry -»zum Gemahle nehmen, auf daß er dein Bett und deinen Thron mit dir teile?«

Bei diesen Worten zuckte Sir Henry zusammen. Er wandte sich zu Sorais und sagte leise: »Ich erinnere mich gut daran, o Königin, daß du gestern noch andere Namen als >Wolf< für mich hattest.« Das Blut schoß ihr in den Kopf, und sie biß sich wütend auf die Unterlippe.

Als Nylephta merkte, daß es nun ohnehin nichts mehr nützte, die Affäre geheimzuhalten, entschloß sie sich, die Frage ihrer Schwester auf eine neue und höchst wirkungsvolle Art zu beantworten. Ich bin sicher, daß sie dazu inspiriert worden war aus Koketterie und dem Wunsch, das Gefühl des Triumphes über ihre Rivalin voll auszukosten.

Sie erhob sich von ihrem Thron und rauschte in der ganzen Pracht ihrer königlichen Anmut zu dem Platz, an dem sich ihr Geliebter befand. Sie blieb vor ihm stehen und löste die goldene Schlange von ihrem Arm. Dann bat sie ihn, sich niederzuknien. Als nächstes nahm sie die goldene Schlange in beide Hände und legte ihm das weiche Metall sanft um den Hals. Als es fest saß, küßte sie ihn bedächtig auf die Stirn und nannte ihn ihren »geliebten Herrn«.

»Du siehst«, sagte sie, nachdem das aufgeregte Gemurmel der Zuschauer verebbt war, »ich habe meinen Kragen um den Hals des >Wolfes< gelegt und siehe! Er soll mein Wachhund sein. Das ist meine Antwort für dich, meine Schwester, und für die, welche in deinem Gefolge sind. Fürchte dich nicht«, fuhr sie fort, indem sie ihren Geliebten sanft anlächelte und mit dem Finger auf die goldene Schlange deutete, die sie um seinen starken Hals geschlungen hatte. »Wenn mein Joch auch schwer ist, so ist es doch aus purem Golde, und es soll dich nicht peinigen.«

Dann wandte sie sich der Menge zu und verkündete mit klarer, stolzer Stimme: »Herrin der Nacht, Fürsten, Priester und alle anderen, die ihr hier versammelt seid, höret, was ich euch zu sagen habe: Hiermit, mit diesem Zeichen, nehme ich den Fremden zum Manne, hier, vor euch allen. Ich bin eine Königin; sollte ich nicht frei den Mann wählen dürfen, den ich lieben will? Sollte ich weniger Rechte haben als das einfachste Mädchen aus meinen Provinzen? Nein! Er hat mein Herz gewonnen, und mit ihm meine Hand und meinen Thron und alles, was ich habe. Ja, und wäre er ein Bettler gewesen und nicht der große und schöne Herr, der stärker und schöner ist als jeder von euch, und der mehr Weisheit besitzt und Kenntnisse von fremdartigen Dingen, als jeder einzelne von euch, auch dann hätte ich ihm alles zu Füßen gelegt. Um wieviel lieber jedoch gebe ich ihm erst alles, da er so ist, wie er ist!« Und dann nahm sie seine Hand und blickte ihn voller Stolz an. Und mutig stellte sie sich mit ihm an der Hand vor die Menge. So groß waren der Liebreiz und die Kraft und die Würde, die ihre Person ausstrahlte, und so bezaubernd schön sah sie aus, wie sie da Hand in Hand an der Seite ihres geliebten Mannes stand, seiner und ihrer selbst so sicher, und so bereit, alle Gefahren auf sich zu nehmen und alle Leiden für ihn zu erdulden, daß die meisten von jenen, die Zeuge dieses Anblicks waren - und sicherlich wird keiner von jenen diesen Anblick jemals vergessen -, von dem Feuer, das aus ihren Augen leuchtete und von dem Liebreiz, der auf ihren geröteten Wangen loderte, ergriffen wurden und ihr frenetisch zujubelten. Es war ein kühner Streich, zu dem sie da ausgeholt hatte, und er appellierte stark an das Gefühl; aber die menschliche Natur ist nun einmal so beschaffen (und Zu-Vendis bildet da keine Ausnahme), daß sie die Kühnheit liebt und den, der sich nicht scheut, althergebrachte Regeln zu brechen, und darüber hinaus reagiert sie besonders empfindlich im positiven Sinne, wenn man an den poetischen Bereich ihres Wesens rührt.

Und also jubelten die Menschen, daß der Palast in seinen Grundfesten zu zittern schien.

Und Sorais, die Herrin der Nacht, stand da mit gesenktem Blick, konnte sie es doch nicht ertragen, zusehen zu müssen, wie ihre Schwester in vollen Zügen den Triumph genoß, der sie des Mannes beraubte, den zu erringen sie gehofft hatte. Und in ihrer rasenden Eifersucht und ihrem lodernden Haß zitterte sie wie Espenlaub, und ihr Gesicht wurde weiß wie eine Wand. Ich glaube, ich erwähnte schon einmal, daß sie mich an die See an einem ruhigen Tag erinnerte, an jenen Eindruck schlummernder Gewalt. Und nun war diese Kraft erwacht, und wie das Gesicht des wütenden Ozeans erfüllte sie mich mit Furcht und faszinierte mich zugleich. Eine schöne Frau in heiligem Zorn ist von jeher ein bezaubernder Anblick gewesen, doch solche Wut, gepaart mit solcher Schönheit, hatte ich nie zuvor gesehen, und ich kann nur sagen: die so entstandene Wirkung war in der Tat beider würdig.

Sie hob ihr weißes Gesicht, ihre Zähne waren zusammengebissen, und unter ihren glühenden Augen waren purpurfarbene Ringe. Dreimal hub sie an zu sprechen, und dreimal versagte ihr die Stimme den Dienst; doch schließlich gelang es ihr, wieder Herr ihrer Stimme zu werden. Sie hob ihren silbernen Speer und schüttelte ihn, und das Licht blitzte an ihm und an den goldenen Schuppen ihres Harnisches auf.

»Und glaubst du, Nylephta«, sagte sie mit einer Stimme, die durch die große Halle schmetterte wie ein Fanfarenstoß, »glaubst du, daß ich, Sorais, eine der Königinnen der Zu-Vendi, dulden werde, daß dieser hergelaufene Fremdling auf dem Throne meines Vaters sitzen wird und Mischlinge heranzieht, die eines Tages den Platz einnehmen, der allein den wahren Nachfahren des großen Hauses der Treppe gebührt? Niemals! Niemals! Solange noch Leben in meinem Busen ist, und solange es noch einen Mann gibt, der bereit ist, mir zu folgen, und solange es noch einen Speer gibt, mit dem man zustoßen kann, wird dies nicht geschehen.

Nun übergib mir diesen fremdländischen Wolf und jene, die mit ihm hierherkamen, auf daß sie ein Opfer des Feuers werden, haben sie sich doch tödlich gegen die Sonne versündigt. Tust du es nicht, Nylephta, dann werde ich Krieg gegen dich führen - blutigen Krieg! Wahrlich, ich sage dir: gebrandschatzte Städte werden den Pfad deiner Leidenschaft kennzeichnen, und er wird überströmt sein von dem Blut derer, die an dir haften. Auf deinem Haupte laste der Fluch deiner ruchlosen Tat, und in deinen Ohren halle das Stöhnen der Verwundeten und das Wehklagen der Witwen und jener, die für immer und ewig ohne Vater sein werden.

Ich sage dir, ich werde dich, Nylephta, die Weiße Königin, von deinem Throne schleudern, und ich werde dich von der höchsten Stufe der großen Treppe hinunterstürzen zu ihrem Fuße, auf daß die tiefe Schande, die du über den Namen des Hauses dessen, der sie erbaute, gebracht hast, getilgt werde. Und euch Fremdlingen sage ich - euch allen außer dir, Bougwan, dem ich, weil du mir einen Dienst erwiesest, das Leben schenken werde, so du diese Männer verläßt und mir folgst« (an dieser Stelle schüttelte der arme Good heftig den Kopf und rief auf englisch: »Nichts zu machen«) »daß ich euch in Blätter aus Gold einwickeln lassen werde und euch bei lebendigem Leibe an langen, goldenen Ketten an den vier goldenen Fanfaren der vier Engel aufhängen lasse, die sich im Norden, Süden, Osten und Westen in schwindelnder Höhe über die höchsten Zinnen des Tempels erheben, auf daß ihr auf ewig ein Zeichen und eine Mahnung für das Land seid. Und du, Incu-bu, wirst auf noch andere Weise sterben, die ich dir aber nun noch nicht verraten will.«

Sie hielt inne und rang heftig nach Luft, denn ihre Leidenschaft schüttelte sie wie ein Sturmwind. In der Halle erhob sich ein Raunen, teils aus Schrecken, teils aus Bewunderung. Und dann antwortete Nylephta ruhig und würdevoll:

»Es stünde meinem Range und meiner Würde schlecht an, Schwester, so zu sprechen, wie du gesprochen hast, und so zu drohen, wie du gedroht hast. Wenn du den Krieg willst, so führe ihn gegen mich; doch glaube mir, ich werde alles tun, dir zu widerstehen; und wenn meine Hand auch sanft erscheinen möge, so wirst du doch sehen, daß sie aus Eisen ist, wenn sie deine Armeen an der Kehle packt. Sorais, ich fürchte dich nicht! Ich weine ob des Unglücks, das du über unser Volk und über dich selbst bringen wirst, aber für mich selbst sage ich: Ich fürchte dich nicht. Doch du, die du erst gestern nacht versuchtest, meinen Herrn und Geliebten, den du jetzt einen fremdländischen Wolf< nennst, für dich zu gewinnen, auf daß er dein Geliebter und dein Herr werde (wieder ging ein Raunen durch die Halle), du, die du noch in der vergangenen Nacht, wie ich erst soeben erfahre, wie eine Schlange in mein Schlafgemach krochst - ja, sogar auf einem geheimen Schleichwege - und die du mich, deine eigene Schwester, heimtückisch ermorden wolltest, während ich schlief ...«

»Eine Lüge, eine Lüge!« schrie Agon mit sich überschlagender Stimme; andere Stimmen schlossen sich ihm empört an.

»Es ist keine Lüge!« entgegnete ich, während ich die abgebrochene Dolchklinge hervorholte und sie, für alle Anwesenden sichtbar, hoch in die Luft hielt. »Wo ist der Griff, der zu dieser Spitze gehört, Sorais?«

»Es ist keine Lüge!« rief jetzt auch Good, der sich endgültig dazu durchgerungen hatte, wie ein treugesinnter Mann zu handeln. »Ich überraschte die >Her-rin der Nacht< vor dem Bette der Weißen Königin, und an meiner Brust zerbrach der Dolch.«

»Wer ist auf meiner Seite?« schrie Sorais und schüttelte wie wild ihren silbernen Speer. Sie sah, daß sich die Stimmung in der Menge immer mehr gegen sie wandte. »Und du, Bougwan, du willst mir nicht nachfolgen?« sagte sie mit leiser, gepreßter Stimme zu Good, der dicht neben ihr stand. »Du armseliger Tor; als Lohn dafür sollst du dich auf immer nach mir verzehren, doch dein Begehren, meine Liebe zu erlangen, soll niemals erfüllt werden! Und du hättest mein Gemahl und König sein können! Zumindest dich halte ich an einer Kette, die niemals gesprengt werden kann.

Krieg! Krieg! Krieg!« schrie sie mit gellender Stimme. »Hier, mit dieser meiner Hand, die ich auf den heiligen Stein lege, der - so sagt es die Legende -fortdauern wird, bis die Zu-Vendi ihren Rücken unter ein fremdes Joch beugen müssen, erkläre ich Krieg bis zum bitteren Ende. Wer ist bereit, Sorais, der Herrin der Nacht, auf dem Wege zu Sieg und Ruhm zu folgen?«

Auf der Stelle entstand ein riesiges Wirrwarr in der großen Halle. Viele der Anwesenden beeilten sich, sich auf Sorais' Seite zu schlagen, aber es gab auch einige, die von ihrer Seite zu uns herüberkamen. Unter den ersteren befand sich auch ein Unteroffizier aus Nylephtas persönlicher Leibgarde. Er wandte sich plötzlich um und begann auf den Eingang zuzulaufen, durch den Sorais' Leute sich schon auf den Weg nach draußen machten. Umslopogaas schaltete blitzschnell - er hatte mit bewundernswerter Geistesgegenwart erkannt, daß weitere seinem Beispiel folgen würden, wenn es ihm erst gelänge, zum Ausgang zu kommen. Er schnellte hinter dem Manne her und packte ihn, kurz bevor er die Tür erreicht hatte. Der Soldat zog sein Schwert und hieb damit nach dem Zulu. Dieser sprang mit einem wilden Schrei zurück und wich damit dem Schwerthieb aus. Und schon kreiste seine Axt und fiel mit einem krachenden Geräusch auf den Schädel des Mannes. Sekunden später hatte den Gardisten sein Schicksal ereilt, und tödlich getroffen schlug er mit einem klirrenden Laut auf den Marmorboden.

Dies war das erste Blut, das in diesem Krieg vergossen werden sollte.

»Schließt die Tore!« schrie ich, in der Hoffnung, daß wir vielleicht so Sorais habhaft werden konnten. Sakrileg oder nicht - darauf pfiff ich in diesem Moment. Aber leider kam der Befehl zu spät; ihre Gefolgsleute drängten schon durch die Tore nach draußen, und Sekunden später hallten schon die Straßen von den Hufen ihrer Pferde und dem dröhnenden Poltern ihrer Triumphwagen wider.

Und so stürmte Sorais, fast die Hälfte des Volkes in ihrem Gefolge, wie ein Wirbelwind durch die Straßen der finster blickenden Stadt, um alsbald ihr Hauptquartier in M'Arstuna zu erreichen, einer Festung die etwa hundertdreißig Meilen nördlich von Milosis liegt.

Von da an war die Stadt mit lebhaftem Treiben erfüllt. Regimenter zogen durch die Straßen und sammelten sich, und überall wurden die nötigen Vorbereitungen für den bevorstehenden Krieg getroffen. Und wieder saß der alte Umslopogaas in der Sonne und führte das Schauspiel vor, wie er Inkosi-kaas' rasiermesserscharfe Klinge wetzte.

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