ZWEITES KAPITEL

Marc Rodin knipste sein Transistorradio aus und erhob sich vom Tisch, auf dem das Frühstück fast unberührt geblieben war. Er ging zum Fenster hinüber, zündete sich eine weitere Zigarette an und starrte auf die Landschaft hinaus. Der spät einsetzende Frühling hatte die Schneedecke noch nicht aufzutauen vermocht.

«Hunde. «Er stieß das Wort leise und voller Haß aus. Rodin war in jeder Weise das völlige Gegenteil seines Vorgängers. Hochgewachsen und mager, mit einem vom Haß ausgezehrten, totenähnlichen Gesicht, pflegte er seine Gefühlsregungen für gewöhnlich hinter der Maske einer ganz ungallischen Kälte zu verbergen. Ihm hatten die Tore der Ecole Polytechnique, deren Absolvierung seiner Beförderung dienlich gewesen wäre, nicht offengestanden. Der Sohn eines Schusters war noch keine zwanzig gewesen, als er in den Tagen, da die Deutschen Frankreich überrannten, in einem Fischerboot nach England entkam, um sich dort als einfacher Soldat freiwillig zum Dienst unter dem Zeichen des Lothringer Kreuzes zu melden. Die Beförderung zum Sergeanten und später zum Feldwebelleutnant hatte er sich in den blutigen Schlachten von Nordafrika unter Koenig und in der Normandie unter Leclerc verdient. Die Offizierslitzen, die er nach Herkunft und Erziehung nie erhalten hätte, verdankte er seiner im Kampf um Paris bewiesenen Tapferkeit vor dem Feind, und nach dem Krieg hatte er vor der Wahl gestanden, in das Zivilleben zurückzukehren oder in der Armee zu verbleiben.

Aber auf welchen Beruf hätte er zurückgreifen sollen? Er verstand sich auf nichts anderes als das Schusterhandwerk, das er von seinem Vater erlernt hatte; zudem erkannte er, daß die werktätige Klasse seines Landes von den Kommunisten, die bereits die Resistance und die innerfranzösische Bewegung des Freien Frankreich kontrollierten, weitgehend beherrscht wurde. Er blieb daher in der Armee, um in den folgenden Jahren als aus dem Mannschaftsstand hervorgegangener Offizier eine neue Generation gebildeter Jungen die Kriegsschulen absolvieren und sich die gleichen Offizierstressen beim theoretischen Unterricht im Klassenzimmer verdienen zu sehen, für die er hatte Blut und Wasser schwitzen müssen. Daß sie rascher als er befördert und ihm auch sonst vorgezogen wurden, verbitterte ihn.

Ihm blieb nur übrig, sich in ein Kolonialregiment versetzen zu lassen, zu den Haudegen und Rabauken, die das Kriegführen besorgten, während die aus Wehrpflichtigen rekrutierten Einheiten auf den Exerzierplätzen paradierten.

Innerhalb eines Jahres nach seiner Abkommandierung zur kolonialen Fallschirmtruppe in Indochina war er Kompanieführer geworden; er lebte unter Männern, die so dachten und sprachen wie er. Auch dem Sohn eines Schusters konnten Beförderungen winken — nach Fronteinsatz und abermaligem Fronteinsatz. Als der Krieg in Indochina zu Ende ging, war er Major, und nach einem unglücklichen und enttäuschenden Jahr in Frankreich wurde er nach Algerien geschickt.

Der französische Rückzug aus Indochina und das in Frankreich verbrachte Jahr hatten seine latente Bitterkeit in einen verzehrenden Haß auf alle Politiker und Kommunisten — was für ihn ein und dasselbe war — verwandelt. Nur ein Frankreich, das von Soldaten geführt wurde, konnte für immer aus dem Würgegriff der Verräter und Speichellecker, die das öffentliche Leben beherrschten, befreit werden. Und nur in der Armee hatte diese Brut nichts zu melden. Wie die meisten Frontoffiziere, die ihre Männer hatten sterben sehen und gelegentlich auch die schaurig zugerichteten Leichen derjenigen hatten begraben müssen, die lebend in die Hand des Feindes geraten waren, sah er im Typus des Soldaten das wahre Salz der Erde, den Mann, der sein Blut opferte, damit die Bourgeoisie daheim ein behagliches Leben führen konnte. Nach acht im indochinesischen Dschungel verbrachten Jahren des Kämpfens erkennen zu müssen, daß den meisten Zivilisten im Mutterland das Soldatentum und seine Tugenden vollkommen gleichgültig waren; die von Linksintellektuellen verfaßten Schmähungen des Militärs zu lesen, die auf Lappalien wie dem Erhalt lebenswichtiger Informationen dienenden Folterungen von Kriegsgefangenen basierten — dies alles hatte Marc Rodin zu einem blinden Eiferer gemacht.

Er war nach wie vor überzeugt, daß die Armee, sofern sie nur von seiten der Kolonialverwaltung, der Regierung in Paris und der Bevölkerung des Mutterlandes genügend unterstützt worden wäre, den VietMinh geschlagen hätte. Die Preisgabe Indochinas war ein ungeheuerlicher Verrat an den Tausenden jungen Männern gewesen, die dort hatten fallen müssen — umsonst, wie sich jetzt erwies.

Einen Treubruch wie diesen, das schwor sich Rodin, konnte und durfte es nie wieder geben. Algerien würde das beweisen.

Als er sich im Frühjahr 1956 in Marseille nach Algerien einschiffte, war er nahezu ein glücklicher Mann, glücklicher jedenfalls, als er es je zuvor gewesen war und je wieder sein sollte.

In den darauffolgenden zwei Jahren zäher, erbitterter Kämpfe geschah nur wenig, was ihn an seiner Überzeugung hätte irre werden lassen können. Zugegeben, mit den Rebellen fertig zu werden war nicht so leicht, wie er anfangs geglaubt hatte. Wie viele Fellachen er und seine Männer auch immer erschossen, wie viele Dörfer auch immer sie dem Erdboden gleichmachten, wie viele FLN-Terroristen auch immer sie zu Tode folterten — der Aufstand breitete sich aus, bis er das ganze Land erfaßt hatte und auch auf die Städte übergriff.

Was not tat, war mehr und wirksamere Unterstützung aus Paris. Schließlich handelte es sich hier ja nicht um einen Krieg in irgendwelchen entlegenen Gegenden des Kolonialreiches. Algerien, das war Frankreich — ein von drei Millionen Franzosen bevölkerter Landesteil, um den man kämpfte, wie man um die Normandie, die Bretagne oder die Seealpen kämpfen würde.

Als Rodin zum Oberstleutnant befördert wurde, verlagerte sich sein militärischer Aufgabenbereich von den Stützpunkten draußen auf dem Lande in die Städte, zunächst nach Böne, dann nach Constantine. Von den Stützpunkten aus hatte er die ALN bekämpft — eine irreguläre Truppe zwar, aber doch eine Kampftruppe. Sein Haß auf sie verblaßte gegen die kalte Mordlust, die ihn der gemeine, hinterhältige Krieg in den Städten lehrte, ein Krieg, der mit Plastikbomben geführt wurde, die das Reinigungspersonal und andere algerische Bedienstete in von Franzosen bevorzugten Cafes, Supermarkets und Parks legten. Die Maßnahmen, die Rodin ergriff, um Constantine von dem aufständischen Gesindel zu säubern, das sich nicht scheute, diese Bomben mitten unter französische Zivilpersonen zu werfen, brachten ihm in der Kasbah den ehrenvollen Beinamen» Der Schlächter «ein.

Um die FLN und ihre Armee, die ALN, endgültig zu vernichten, fehlte es einzig und allein an wirksamerer Hilfe aus Paris. Wie die meisten Fanatiker machte der verbohrte Glaube nach Rodin blind gegen offenkundige Tatsachen. Die steigenden Kosten der Kriegführung, die kritische Lage der von der Bürde eines zusehends aussichtsloser werdenden Krieges schwer belasteten französischen Wirtschaft, die Demoralisation der Wehrpflichtigen — in Rodins Augen waren das lediglich Bagatellen.

Im Juni 1958 kehrte General de Gaulle als Ministerpräsident an die Macht zurück. Souverän liquidierte er die korrupte und zerrüttete Vierte Republik und gründete die Fünfte. Als er dann seinerseits jenes von den Generälen im Munde geführte Wort vom» französischen Algerien «aufnahm, das ihn ins Matignon zurück und im Januar 1959 in den Elysee-Palast bringen sollte, ging Rodin auf sein Zimmer und weinte. Und als de Gaulle Algerien besuchte, war es Rodin, als habe sich Zeus persönlich aus dem Olymp herabbemüht. Die neue Politik, dessen war er gewiß, würde nicht lange auf sich warten lassen. Die Kommunisten würden aus ihren Ämtern entfernt, Jean-Paul Sartre und seine Gesinnungsfreunde ohne Zweifel wegen Verrats erschossen, die Gewerkschaften zur Räson gebracht. Das Mutterland würde endlich zum Schutz seiner Bürger in Algerien wie auch zur Unterstützung seiner die Grenzen der französischen Zivilisation sichernden Armee wirksame Maßnahmen beschließen.

Rodin war dessen so sicher wie der Tatsache, daß die Sonne allmorgendlich im Osten aufgeht. Als de Gaulle indes die ersten Schritte einleitete, um Frankreich seinen eigenen Vorstellungen gemäß zu reformieren, führte er dies zunächst auf gewisse, anfänglich nicht zu vermeidende Fehler zurück. Man mußte dem großen alten Mann schon ein wenig Zeit lassen. Den ersten Gerüchten über vorbereitende Gespräche mit Ben Bella und der FLN vermochte er keinen Glauben zu schenken, Obschon er mit dem vom großen Jo Ortiz angeführten Siedleraufstand von 1960 sympathisierte, war er noch immer der Meinung, daß die mangelnden Fortschritte, die bei der endgültigen Vernichtung der Fellachen zu verzeichnen waren, nichts anderes als ein taktisches Manöver de Gaulies darstellten. Le Vieux würde, da gab es gar keinen Zweifel, schon wissen, was er tat. Hatte er sie nicht ausgesprochen, die goldenen Worte vom» französischen Algerien«? Als dann schließlich der unwiderlegbare Beweis erbracht war, daß Charles de Gaulles Konzept von einem erneuerten Frankreich ein französisches Algerien nicht vorsah, zersprang Rodins Weltbild wie eine zu Boden geschmetterte Vase. Rodin führte sein Bataillon — von ein paar Duckmäusern abgesehen, die hinter den Ohren noch nicht trocken waren — geschlossen in den Putsch von 1961.

Der Putsch mißlang. Mit einem einzigen, beängstigend schlauen Trick wurde er, noch ehe er an Boden gewonnen hatte, von de Gaulle vereitelt. Als in den Wochen, die den angekündigten Gesprächen mit der FLN vorausgingen, Tausende von simplenTransistorradios an die Truppe ausgegeben wurden, hatte dem keiner der Offiziere sonderliche Bedeutung beigemessen. Die Radioapparate wurden als harmlose Zerstreuung für die Soldaten angesehen, und viele der Offiziere billigten die Idee sogar ausdrücklich. Die von Hitze, Flöhen und Langeweile geplagten Jungen empfanden die über Ätherwellen aus Frankreich kommende Rock 'n' Roll-und Schlagermusik als willkommene Ablenkung.

Die Wirkung der Stimme de Gaulles war weniger harmlos. Als dann die Loyalität der Armee auf die entscheidende Probe gestellt wurde, schalteten in den Kasernen ganz Algeriens Zehntausende zwangsrekrutierter junger Soldaten ihre Radios ein, um die Nachrichten zu hören. Anschließend vernahmen sie dieselbe Stimme, der Rodin im Juni 1940 gelauscht hatte.

Auch die Botschaft war nahezu gleichlautend:»Ihr steht vor einer Gewissensentscheidung. Frankreich, das bin ich, das Werkzeug seines Schicksals. Hört auf mich. Gehorcht mir. «Manche Bataillonskommandeure fanden anderntags nur noch eine Handvoll Offiziere und die meisten ihrer Sergeanten vor. Die Meuterei war niedergeworfen — per Rundfunk.

Rodin hatte mehr Glück als manche seiner Kameraden. Hundertzwanzig seiner Offiziere hielten zu ihm. Das war darauf zurückzuführen, daß die von ihm befehligte Einheit einen höheren Prozentsatz in Indochina und Algerien bewährter altgedienter Soldaten aufwies als die Mehrzahl sonstiger Formationen. Gemeinsam mit den anderen Putschisten gründeten sie die geheime Armeeorganisation, die sich verschworen hatte, den Judas im Elysee-Palast zu beseitigen.

Auf verlorenem Posten zwischen der triumphierenden FLN einerseits und der loyalen französischen Armee andererseits, versäumte die OAS keine Gelegenheit, wahre Orgien der Zerstörung zu veranstalten. Während der letzten sieben Wochen, in denen die französischen Siedler ihren in lebenslanger Arbeit erworbenen Besitz für ein Ei und ein Butterbrot verkauften und die vom Krieg heimgesuchte Küste flohen, ließ sich die geheime Armeeorganisation an dem, was sie nicht hatten mitnehmen können, in einem letzten, absurden Racheakt ihre Zerstörungswut aus. Als auch das vorüber war, blieb den OAS-Führern, deren Namen der Regierung bekannt waren, nur die Flucht ins Exil übrig.

Im Winter 1961 wurde Rodin zum Stellvertreter Antoine Argouds, des Stabschefs der exilierten OAS, ernannt. Das Flair, die strategische Begabung und der Einfallsreichtum, von denen die nunmehr in die Städte des Mutterlandes getragenen OAS-Aktionen zeugten, gingen auf das Konto Argouds; die glänzende Organisation, die taktische Geschicklichkeit und die listenreiche Schläue auf das Rodins.

Wäre er nichts weiter als ein hartgesottener Fanatiker gewesen, hätte man Rodin einen zwar gefährlichen, aber doch berechenbaren Mann nennen können. Es gab eine Menge anderer Männer dieses Kalibers, die in den frühen sechziger Jahren bereit gewesen waren, sich für die OAS zu schlagen. Aber Rodin war mehr als das. Der alte Schuhmacher hatte einen Sohn großgezogen, der präzise denken konnte, wenngleich diese Fähigkeit weder durch eine entsprechende Schulbildung noch durch den Dienst in der Armee jemals gefördert worden war. Rodin hatte sich selbst fortgebildet, und das auf seine eigene Weise.

Solange es um Frankreich und die Ehre der Armee ging, zeigte er sich als ebenso blinder Eiferer wie jeder andere OAS-Führer. Wenn er sich jedoch einem rein taktischen Problem gegenübersah, konnte er dem mit konzentriertem logisch-pragmatischem Denken zu Leibe rücken, das wirksamer war als alle fanatische Begeisterung und sinnlose Gewalttätigkeit. Eben diese Fähigkeit war es, die er auf das Problem, mit dem er sich am Vormittag jenes 11. März befaßte, methodisch ansetzte: das Problem, wie man Charles de Gaulle umbringen konnte. Er war nicht so töricht zu meinen, daß es leicht zu lösen sei. Im Gegenteil, das Debakel von Petit-Clamart und der mißlungene Anschlag in der Ecole Militaire hatten das Problem ungemein erschwert. Einen Killer anzuwerben war jederzeit möglich. Die Schwierigkeit lag darin, einen Mann oder einen Plan zu haben, welcher einen einzigen durchschlagenden Faktor aufwies, der so wenig vorherzusehen war, daß er alle den Präsidenten seit den jüngsten Vorkommnissen konzentrisch umgebenden Sicherheitsmechanismen ausschalten konnte.

Seit Petit-Clamart hatte sich die Lage grundlegend geändert. Die Unterwanderung der höheren Chargen und Kader der OAS durch Agenten des Aktionsdienstes hatte alarmierende Ausmaße erreicht. Die kürzlich erfolgte Entführung von Rodins eigenem Vorgesetzten Argoud machte deutlich, zu welchen Anstrengungen der Aktionsdienst entschlossen war, um die Führer der OAS in Gewahrsam zu nehmen und zu verhören. Dafür war man sogar bereit,scharfe Demarchen der deutschen Regierung in Kauf zu nehmen. Zwei Wochen, nachdem der seither endlosen Verhören unterzogene Oberst Argoud dingfest gemacht worden war, wurde es auch für die letzten OAS-Führer Zeit, sich abzusetzen oder unterzutauchen. Bidault fand an Publicity und öffentlicher Selbstdarstellung auf einmal keinen Geschmack mehr. Andere Mitglieder des Nationalen Widerstandsrates (CNR) flohen, von Panik ergriffen, nach Spanien, Amerika und Belgien. Urplötzlich setzte eine rasch steigende Nachfrage nach falschen Papieren und Flugtickets zu entlegenen Orten ein.

Das alles hatte sich auf die Moral des Fußvolks der OAS verheerend ausgewirkt. In Frankreich legten jetzt Männer, die bisher bereit gewesen waren zu helfen, steckbrieflich gesuchte Kameraden zu beherbergen, Waffenkisten zu schleppen, Meldungen weiterzugeben und Informationen zu übermitteln, mit einer gemurmelten Ausrede den Telephonhörer auf. Nach dem Fehlschlag von Petit-Clamart und den Verhören der Festgenommenen mußten drei ganze reseaux schleunigst stillgelegt werden. Mit genauen Informationen versorgt, durchsuchte die französische Polizei ein Haus nach dem anderen, hob ein Waffenlager nach dem anderen aus und deckte zwei weitere auf die Beseitigung Charles de Gaulles abzielende Konspirationen auf: als die Verschwörer zu ihrer zweiten Besprechung zusammentraten, wurden sie von einem Riesenaufgebot an Polizei gestellt.

Knapp bei Kasse, im Begriff, sowohl die nationale und internationale Unterstützung als auch ihre Mitglieder — und damit ihre Glaubwürdigkeit — zu verlieren, drohte die OAS von den massierten Aktionen des französischen Geheimdienstes und der Polizei zermalmt zu werden. Die Exekution Bastien-Thirys konnte die Moral nur noch weiter untergraben. Es würde schwer sein, Männer zu finden, die in dieser Phase des Kampfes bereit waren, sich für die Sache einzusetzen. Und die Gesichter derjenigen, welche auch jetzt noch weitermachen wollten, hatten sich jedem französischen Polizisten ins Gedächtnis gegraben — und einigen Millionen Staatsbürgern ebenfalls. Jeder neue Plan würde, weil er zu diesem Zeitpunkt eine Vielzahl von Vorbereitungen wie auch die Koordination verschiedener Gruppen erforderte,»auffliegen«, noch bevor der Attentäter auch nur näher als hundert Kilometer an de Gaulle herangekommen wäre.

Am Ende seines stummen Zwiegesprächs mit sich selbst murmelte Rodin:»Ein Mann, den keiner kennt…«Er überflog die Liste derjenigen, von denen er wußte, daß sie nicht davor zurückschrecken würden, einen Präsidenten zu ermorden. Über jeden einzelnen von ihnen existierte im französischen Polizeiministerium eine Akte, die so dick war wie die Bibel. Weshalb würde er, Marc Rodin, sich sonst in einem obskuren österreichischen Gebirgsdorf versteckt halten?

Gegen Mittag hatte er dann plötzlich die Lösung gefunden. Er verwarf sie zunächst, kam aber doch immer wieder auf sie zurück. Wenn sich ein solcher Mann finden ließe — sofern es ihn überhaupt gab… Mit verbissener Geduld begann er, einen neuen, auf diesen Mann zugeschnittenen Plan auszuarbeiten, den er dann einer scharfen, alle nur denkbaren Hindernisse und Einwände berücksichtigenden Prüfung unterzog. Der Plan bestand sie und erwies sich, selbst was das Problem der Sicherheit betraf, als hieb- und stichfest.

Kurz bevor die Mittagsstunde schlug, zog sich Rodin den Wintermantel über und ging hinunter. Vor der Haustür traf ihn der Wind, der die Straße entlangfegte, mit voller Wucht. Er ließ Rodin zusammenfahren, befreite ihn jedoch augenblicklich von den dumpfen Kopfschmerzen, die ihm die zahllosen in dem überhitzten Zimmer gerauchten Zigaretten verursacht hatten. Er wandte sich nach links und stapfte durch den knirschenden Schnee zum Postamt in der Adlerstraße. Dort gab er eine Reihe kurzgefaßter Telegramme auf, in denen er seine sich unter Decknamen in Süddeutschland, Österreich, Italien und Spanien verbergenden Gesinnungsfreunde davon unterrichtete, daß er sich in den folgenden Wochen auf eine geheime Mission begeben und daher für sie vorübergehend nicht erreichbar sein würde.

Auf dem beschwerlichen Rückweg zu seiner bescheidenen Unterkunft wurde ihm klar, daß manche seiner Kameraden jetzt glauben mochten, auch er wolle sich nur verdrücken und vor der drohenden Entführung oder Ermordung durch den Aktionsdienst in Sicherheit bringen. Er zuckte mit den Achseln. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Zu langatmigen Erklärungen war jetzt keine Zeit mehr.

Obschon die im indochinesischen Dschungel und in der algerischen Wildnis verbrachten Jahre seinen Geschmack nicht gerade kultiviert hatten, fiel es ihm schwer, das Tagesgericht der Pension — Eisbein mit Nudeln — hinunterzubringen. Am frühen Nachmittag hatte er Koffer und Aktentasche gepackt, die Rechnung bezahlt und das Haus verlassen. Er war bereit, sich in einsamer Mission auf die Suche nach einem bestimmten Mann — genauer: dem ganz bestimmten Typ eines Mannes — zu begeben, von dem er nicht einmal wußte, ob es ihn überhaupt gab.

Als Rodin den Zug bestieg, schwebte eine Comet 4 B in die auf Landebahn null-vier des Londoner Airport zuführende Flugschneise ein. Die Maschine kam aus Beirut. Unter den Passagieren befand sich ein hochgewachsener, blonder Engländer. Sein Gesicht wies eine von der Sonne des Nahen Ostens herrührende Bräune auf. Nach den zwei Wochen, in denen er die unbestreitbaren Freuden des Libanon genossen und das für ihn sogar noch erfreulichere Vergnügen gehabt hatte, die Transferierung eines ansehnlichen Geldbetrags von einer Bank in Beirut auf eine andere in der Schweiz bestätigt zu erhalten, fühlte er sich ungemein fit und entspannt.

Weit, weit hinter ihm im sandigen Boden Ägyptens und lange schon begraben von der ebenso empörten wie ratlosen ägyptischen Polizei, lagen die Leichen zweier deutscher Raketeningenieure, beide mit einem sauberen Einschußloch im Genick. Ihr Hinscheiden hatte die Entwicklung der Al-Zafira-Rakete Nassers um einige Jahre zurückgeworfen und einem zionistischen Millionär in New York zu der angenehmen Gewißheit verhelfen, sein Geld nicht umsonst ausgegeben zu haben.

Nachdem der Engländer die Zollkontrolle rasch passiert hatte, nahm er sich ein Taxi und fuhr nach Mayfair in seine Wohnung.

Rodins Suche endete erst nach neunzig Tagen, und alles, was er vorzuweisen hatte, waren drei schmale Dossiers, jedes in einem der Schnellhefter steckend, die er ständig in der Aktentasche mit sich führte.

Es war Mitte Juni, als er nach Österreich zurückkehrte und sich in Wien in der Pension Kleist, Brucknerallee, ein Zimmer mietete.

Auf der Wiener Hauptpost hatte er zwei kurze Telegramme aufgegeben, eines nach Bozen, das andere nach Rom, um seine beiden engsten Mitarbeiter zu einer dringenden Besprechung zu zitieren. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden waren die beiden Männer in Wien. Rene Montclair war mit einem gemieteten Wagen aus Bozen gekommen, Andre Casson per Flugzeug aus Rom. Beide reisten unter falschem Namen und mit gefälschten Papieren, denn sowohl in Italien als auch in Österreich führten die dort residenten Agenten des SDECE Montclair und Casson als dringend gesuchte O AS- Anhänger in ihren Akten und gaben eine Menge Geld aus, um an Grenzübergängen und auf Flughäfen Agenten und Informanten anzuwerben.

Andre Casson traf als erster in der Pension Kleist ein, sieben Minuten vor Beginn der auf elf Uhr angesetzten Besprechung. Er ließ das Taxi an der Ecke Brucknerallee halten und verwandte ein paar Minuten darauf, sich vor dem Schaufenster eines Blumenladens die Krawatte zu richten, bevor er sich mit raschen Schritten in die Pension begab.

Rodin hatte sich wie immer unter einem von zwanzig nur seinen engsten Mitarbeitern bekannten falschen Namen eingeschrieben. Jeder der beiden Herbeigerufenen hatte am Tag zuvor ein mit» Schulze «unterzeichnetes Telegramm erhalten. Rodins Codenamen wechselten vereinbarungsgemäß in zwanzigtägigem Rhythmus.

Casson blickte den jungen Mann hinter dem Empfangstisch fragend an.»Herr Schulze, bitte?«

«Zimmer vierundsechzig. Werden Sie erwartet, mein Herr?«»Allerdings, ja«, entgegnete Casson und stieg rasch die Treppe hinauf. Im ersten Stock ging er den Korridor entlang bis zum Zimmer Nummer vierundsechzig. Als er die Hand hob, um an die Tür zu klopfen, wurde sie von hinten beim Gelenk gepackt. Er wandte sich um und starrte in ein blauwangiges Gesicht über ihm. Unter den zu einem Gestrüpp schwarzer Haare zusammengewachsenen Brauen blickten Augen auf ihn herab, die keinerlei Gefühlsregung, geschweige denn Neugier verrieten.

Der Mann war ihm gefolgt, als er an einem vier Meter entfernten Alkoven vorüberkam, und obwohl der Veloursteppich abgetreten war, hatte Casson keinen Laut gehört.

«Vous desirez?« sagte der Riese in einem Tonfall, als könne ihm nichts gleichgültiger sein als die Beantwortung seiner Frage. Aber der Griff, mit dem er Cassons Handgelenk gepackt hielt, lockerte sich nicht.

Einen Augenblick lang drehte sich Casson der Magen um, weil er an Argouds Verschleppung aus dem Eden-Wolff-Hotel in München denken mußte. Aber dann erkannte er in dem Hünen einen polnischen Fremdenlegionär aus Rodins Kompanie in Indochina und Algerien. Er erinnerte sich, daß Rodin Viktor Kowalsky gelegentlich zu Spezialaufgaben heranzog.

«Ich habe eine Verabredung mit Oberst Rodin, Viktor«, entgegnete er leise.

Die Nennung seines eigenen wie auch des Namens seines Herrn bewirkte, daß Kowalskys Brauen sich zu einem noch dichteren Dickicht runzelten.

«Ich bin Andre Casson«, fügte er hinzu.

Kowalsky schien nicht beeindruckt zu sein. Er langte mit der Linken um Casson herum und pochte an die Tür von Zimmer vierundsechzig.

Drinnen antwortete eine Stimme: »Oui?«

Kowalsky trat nahe an die hölzerne Türfüllung heran.»Ich habe da einen Besucher«, knurrte er, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Rodin blinzelte hindurch und machte sie dann ganz auf.»Mein lieber Andre! Tut mir leid, das. «Er nickte Kowalsky zu.»Schon gut, Corporal. Ich habe diesen Mann erwartet. «Casson rieb sich das rechte Handgelenk, das der Pole endlich losgelassen hatte, und trat in das Zimmer. Rodin wechselte auf der Schwelle noch ein paar Worte mit Kowalsky und schloß dann die Türe wieder. Der Pole ging zum Alkoven zurück, wo er erneut Posten bezog.

Rodin schüttelte Casson die Hand und führte ihn zu den beiden Sesseln, die vor der Gasheizung standen. Obschon es Mitte Juni war, herrschte regnerisches, kühles Wetter, und beide Männer waren an das heiße Klima Nordafrikas gewöhnt. Rodin hatte die Gasheizung voll aufgedreht. Casson zog seinen Mantel aus und setzte sich.

«Solche Vorsichtsmaßnahmen haben Sie doch sonst nie getroffen, Marc«, bemerkte er.

«Es ist nicht meinetwegen«, entgegnete Rodin.»Wenn irgend etwas passieren sollte, werde ich schon allein klarkommen. Aber ich muß ein bißchen Zeit gewinnen, um diese Papiere da loszuwerden. «Er deutete auf den Schreibtisch am Fenster, auf dessen Platte ein dicker Heftordner neben seiner Aktentasche lag.»Deswegen habe ich Viktor mitgebracht. Was auch immer los sein mag, er wird mir die sechzig Sekunden verschaffen, die ich brauche, um die Papiere zu vernichten.«

«Sie müssen ziemlich wichtig sein.«

«Schon möglich. «Rodins Tonfall war dennoch eine gewisse Befriedigung anzumerken.»Aber warten Sie ab, bis Rene da ist. Ich habe ihn wissen lassen, daß er um elf Uhr 15 kommen soll, damit Sie beide nicht zugleich eintreffen und mir Viktor aus der Ruhe bringen. Er wird nervös, wenn er zu viele Gesichter um sich hat, die er nicht kennt.«

Bei dem Gedanken an das, was zu erwarten stand, wenn Viktor mit dem schweren Colt unter der linken Achselhöhle nervös werden würde, gestattete sich Rodin — was nur selten geschah — ein schmales Lächeln.

Es klopfte. Rodin durchquerte das Zimmer und brachte seinen Mund nahe an die Türfüllung:

«Oui?«

Diesmal war es Rene Montclairs Stimme. Sie klang nervös und gepreßt:

«Marc, um Himmels willen…«

Rodin riß die Tür auf. Zwergenhaft im Vergleich zu dem polnischen Hünen hinter ihm, die Arme in dessen eisernem Griff, stand Montclair da.

«Qa va, Viktor«, murmelte Rodin. Kowalsky ließ Montclair los, der erleichtert das Zimmer betrat und eine Grimasse zog, als er Casson sah, der ihn aus dem Sessel neben der Gasheizung angrinste. Rodin schloß die Tür, bat Montclair wegen der ungewohnten Art des Empfangs um Entschuldigung, trat auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. Montclair zog den Mantel aus, unter dem er einen verknitterten, schlechtgeschnittenen dunkelgrauen Anzug trug. Wie so viele ehemalige Militärs nur an Uniformen gewöhnt, wirkten sowohl Montclair als auch Rodin in Zivil alles andere als elegant.

Als Gastgeber bestand Rodin darauf, daß die zwei Männer es sich in den beiden einzigen Sesseln des Zimmers bequem machten. Er selbst würde auf dem Stuhl hinter dem einfachen Tisch, an dem er zu arbeiten pflegte, Platz nehmen. Zuvor holte er aus dem Ankleideschrank eine Flasche französischen Cognac und hielt sie, indem er seine Besucher fragend anblickte, in die Höhe. Beide Gäste nickten. Rodin goß ein großzügig bemessenes Quantum in jedes der drei Gläser und reichte Montclair und Casson je eines hinüber. Sie tranken stumm, und die beiden Besucher spürten, wie die angenehme Wärme des Alkohols das innerliche Kältegefühl, das sie in diesen Breiten nur selten verließ, zu verdrängen begann.Rene Montclair, ein untersetzter, kleiner Mann, der sich, den Nacken auf das Kopfende des Bettes gestützt, im Sessel zurücklehnte, war wie Rodin aktiver Armeeoffizier gewesen. Aber im Unterschied zu diesem hatte er nie ein Frontkommando innegehabt. Den größeren Teil seines Lebens hatte er in verschiedenen Armeeverwaltungen verbracht und die letzten zehn Jahre in der Buchhaltungs- und Besoldungsabteilung der Fremdenlegion. Seit dem Frühjahr 1963 war er Schatzmeister der OAS.

Der einzige Zivilist unter ihnen war Andre Casson. Feingliedrig und von kleinem Wuchs, kleidete er sich korrekt, wie er es als Bankdirektor in Algerien gewohnt gewesen war. Er fungierte als Koordinator der OAS und des CNR in den Großstädten des französischen Mutterlandes.

Beide Männer galten wie auch Rodin selbst innerhalb der OAS als» Falken«, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Montclair hatte einen Sohn gehabt, einen neunzehnjährigen Jungen, der vor drei Jahren seinen Militärdienst in Algerien ableistete, während sein Vater die Besoldungsstelle der außerhalb Marseilles stationierten Stamm- und Ersatzabteilung der Fremdenlegion leitete. Den Leichnam seines Sohnes bekam Major Montclair nie zu sehen; er war von der Legionärspatrouille, die das Dorf einnahm, in welchem die Guerillas den jungen Soldaten gefangengehalten hatten, im Steppensand begraben worden. Aber später erfuhr Montclair die Einzelheiten dessen, was man dem Jungen angetan hatte. Auf längere Dauer bleibt in der Fremdenlegion nichts geheim. Die Leute reden.

In Algerien geboren, war Andre Casson in noch stärkerem Maß als Montclair in die Geschehnisse verstrickt. Sein ganzes Leben hatte um sein Geschäft, sein Haus und seine Familie gekreist. Die Hauptgeschäftsstelle der Bank, für die er arbeitete, befand sich in Paris, so daß er auch nach der Räumung Algeriens nicht stellungslos gewesen wäre. Als es jedoch 1960 zum Aufstand der Siedler kam, nahm er als einer ihrer Führer in seinem Geburtsort Constantine aktiv daran teil. Seine Stellung hatte er dennoch behalten können; als aber ein Bankkonto nach dem anderen geschlossen wurde und die Geschäftsleute mit dem Ausverkauf ihrer Lagervorräte begannen, erkannte er, daß die Tage der französischen Herrschaft in Algerien gezählt waren. Kurz nach dem Militäraufstand, der sich an der Empörung über die neue gaullistische Politik und das Elend der kleinen Siedler und Händler entzündet hatte, die als ruinierte Leute in ein jenseits des Meeres gelegenes Land fliehen mußten, das viele von ihnen nie gesehen hatten, leistete Casson einer OAS-Einheit dabei Vorschub, seine eigene Bank um 30 Millionen alter Francs zu berauben. Seine Mittäterschaft wurde von einem jüngeren Kassierer entdeckt und gemeldet, und damit war seine Laufbahn als

Bankangestellter beendet. Er schickte seine Frau und seine beiden Kinder zu Verwandten nach Perpignan und trat in die OAS ein. Seine persönliche Kenntnis einiger tausend OAS-Sympathisanten, die jetzt in Frankreich lebten, war für die Organisation besonders wertvoll. Marc Rodin nahm hinter seinem Tisch Platz und sah seine beiden Besucher nachdenklich an. Gespannt erwiderten sie seinen Blick, ohne jedoch Fragen zu stellen.

Mit analytischer Sorgfalt begann Rodin die Lage zu referieren und kam zunächst auf die wachsende Zahl der Fehlschläge und Niederlagen zu sprechen, welche die OAS in den letzten Monaten erlitten hatte. Seine Gäste starrten bedrückt in ihre Gläser.

«Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken. In den vergangenen vier Monaten haben wir drei schwere Schläge eingesteckt. Der mißlungene Versuch in der Ecole Militaire, Frankreich von dem Diktator zu befreien, ist nur das letzte in einer langen Kette derartiger Unternehmen, von denen nicht einmal gesagt werden kann, daß es gelang, sie auch nur richtig ins Rollen zu bringen. Die einzigen beiden Versuche, bei denen es unseren Leuten tatsächlich glückte, nahe genug an ihn heranzukommen, sind an elementaren Fehlern in Planung und Ausführung gescheitert. Ich brauche hier nicht in die Einzelheiten zu gehen, die Sie ja ebenso gut kennen wie ich. Die Verschleppung Antoine Argouds hat uns eines unserer fähigsten Führer beraubt. Ungeachtet seiner Loyalität der gemeinsamen Sache gegenüber, kann angesichts der vermutlich auch die Verwendung von Drogen einschließenden modernen Technik, die bei seinen Verhören benutzt werden dürfte, kein Zweifel bestehen, daß die gesamte Organisation in punkto Sicherheit aufs äußerste gefährdet ist. Antoine wußte alles, was es zu wissen gab, und wir müssen jetzt wieder ganz von vorn anfangen. Das ist auch der Grund, weswegen wir hier in einer obskuren Pension sitzen und nicht in unserem Hauptquartier in München. Noch vor einem Jahr wäre es nicht derart katastrophal gewesen, wenn wir wieder von vorn hätten anfangen müssen. Damals konnten wir noch auf die enthusiastische Hilfe von Tausenden patriotisch gesinnter Freiwilliger zählen. Jetzt ist das keineswegs mehr so sicher. Der Mord an Jean-Marie Bastien-Thiry erschwert die Dinge noch weiter. Ich kann es unseren Sympathisanten nicht verdenken. Wir haben ihnen Resultate versprochen und keine geliefert. Sie haben ein Recht darauf, Resultate zu erwarten und nicht Worte.«

«Schon gut, schon gut. Worauf wollen Sie hinaus?«fragte Montclair. Beide Zuhörer waren sich völlig darüber im klaren, daß Rodin recht hatte. Niemand wußte besser als Montclair, daß die durch Banküberfälle in ganz Algerien beschafften Geldreserven zur Deckung der laufenden Unkosten benötigt wurden und die Geldspenden rechtsorientierter Industrieller spärlicher zu fließen begannen. Seit kurzem begegnete man ihm, sobald er diesbezüglich vorstellig wurde, nicht selten mit schlecht verhehlter Geringschätzung. Casson seinerseits war sich bewußt, daß seine Drähte zum Untergrund in Frankreich mit jeder Woche rarer, daß bisher als sicher geltende Häuser laufend durchsucht wurden und seit der Gefangennahme Argouds viele Franzosen ihre Unterstützung der OAS eingestellt hatten. Bastien-Thirys Exekution konnte diese Entwicklung nur beschleunigen. Die zusammenfassende Darstellung, die Rodin gegeben hatte, entsprach der Wahrheit, die zu hören darum doch um keinen Deut angenehmer wurde.

Rodin fuhr unbeirrt fort, als sei er nicht unterbrochen worden.»Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem das vordringlichste Ziel unserer der Befreiung Frankreichs dienenden gemeinsamen Sache, die Beseitigung des Tyrannen, ohne die alle unsere sonstigen Pläne vergeblich bleiben müssen, mit traditionellen Mitteln praktisch unerreichbar geworden ist. Meine Herren, ich zögere, noch weiter patriotisch gesinnte junge Männer auf Unternehmen anzusetzen, die kaum eine Chance haben, der französischen Gestapo länger als ein paar Tage verborgen zu bleiben. Kurz, es gibt in unseren Reihen zu viele >Sänger<, zu viele unsichere Kantonisten, zu viele Spitzel.

Die Geheimpolizei hat diesen Umstand für sich zu nutzen gewußt und die Bewegung so vollständig infiltriert, daß selbst die Beschlüsse unserer höchsten Gremien nicht geheim bleiben. Sie scheint innerhalb von wenigen Tagen, nachdem eine Entscheidung getroffen ist, genauestens über das, was wir vorhaben, wie wir es durchführen wollen und mit welchen Leuten, im Bild zu sein. Es ist zweifellos unangenehm, diesen Tatsachen ins Auge zu sehen, aber ich bin überzeugt, daß wir einen verhängnisvollen Irrtum begehen würden, wenn wir es unterließen. Meiner Auffassung nach bleibt uns zur Lösung unserer vordringlichsten Aufgabe, der Beseitigung des Diktators, nur ein Weg, der das ganze Netzwerk von Spionen, Agenten und Spitzeln umgeht und die Geheimpolizei auf diese Weise ihrer Vorteile beraubt, um sie in eine Situation zu bringen, von der sie nicht nur nichts ahnt, sondern die sie, selbst wenn sie von ihr wüßte, ihrerseits nicht kontrollieren, geschweige denn verhindern könnte.«

Montclair und Casson blickten auf. In dem Pensionszimmer herrschte Totenstille, die nur von dem Prasseln an die Fensterscheibe schlagender Regentropfen unterbrochen wurde.

«Wenn Sie mit mir in der Beurteilung der Lage, so wie ich sie geschildert habe, übereinstimmen«, fuhr Rodin fort,»dann werden Sie einräumen müssen, daß alle diejenigen, von denen wir wissen, daß sie fähig und willens wären, den Großen Hexenmeister umzulegen, auch der Geheimpolizei keine Unbekannten mehr sein dürften. Sie alle wären Freiwild, sobald sie französischen Boden beträten, gehetzt nicht nur von der regulären Polizei, sondern auch verraten von den Barbouzes und den Spitzeln. Meine Herren, ich glaube, daß die einzige Alternative, die uns bleibt, darin besteht, einen Außenseiter zu verpflichten.«

Montclair und Casson, die ihn zunächst verständnislos angestarrt hatten, begannen zu begreifen.

«Was für einen Außenseiter?«fragte Casson schließlich.»Bei dem Mann unserer Wahl — wer immer das auch sein mag — müßte es sich um einen Ausländer handeln«, sagte Rodin.»Er wäre kein Mitglied der OAS oder des CNR. Kein Polizeibeamter in Frankreich würde ihn kennen und sein Name wäre auf keiner Fahndungsliste und in keiner Kartei verzeichnet. Die Schwäche aller Diktaturen besteht darin, daß sie von einem gewaltigen bürokratischen Apparat abhängig sind. Was nicht in den Akten steht, existiert nicht. Der Attentäter wäre in diesem Fall eine unbekannte und daher nichtexistente Größe. Er würde mit einem ausländischen Paß reisen, den Auftrag erledigen und in sein eigenes Land zurückkehren, während das französische Volk sich erhebt, um die Reste des verräterischen de Gaulleschen Pöbels davonzujagen. Ob es unserem Mann gelänge, der Polizei zu entgehen, wäre dabei nicht unbedingt von entscheidender Bedeutung, da wir ihn ohnehin sofort nach Übernahme der Macht befreien würden. Einzig und allein ausschlaggebend ist vielmehr, daß er unerkannt und ohne Verdacht zu erregen, einreisen kann. Das ist etwas, das zur Zeit keinem von uns möglich sein dürfte.«

Seine beiden Zuhörer schwiegen nachdenklich eine Weile, während sich die Umrisse von Rodins Plan in ihrer Vorstellung deutlicher abzuzeichnen begannen. Montclair stieß einen leisen Pfiff aus.»Ein professioneller Killer also.«

«Genau das«, erwiderte Rodin.»Es wäre töricht anzunehmen, daß sich ein Außenseiter bereit fände, einen solchen Auftrag etwa uns zuliebe oder gar aus reinem Patriotismus ohne Gegenleistung auszuführen. Nur ein echter Profi verfügt über das Höchstmaß an Erfahrung und Kaltblütigkeit, das für eine Spezialaufgabe wie diese erforderlich ist. Und ein solcher Mann arbeitet nur gegen Geld — viel Geld«, fügte er mit einem raschen Blick auf Montclair hinzu.

«Aber woher wissen wir, ob wir so einen Mann überhaupt finden?«fragte Casson.

Rodin hob die Hände.»Eins nach dem anderen, meine Herren. Daß es eine Fülle von Einzelheiten auszuarbeiten gilt, bedarf keiner Diskussion. Was ich zuvor von Ihnen wissen will, ist, ob Sie dieser Idee grundsätzlich zustimmen oder nicht.«

Montclair und Casson blickten einander an, wandten die Köpfe dann wieder Rodin zu und nickten.

«Bien.« Rodin lehnte sich so weit zurück, wie ihm dies die steile Rückenlehne seines Stuhls gestattete.»Damit wäre Punkt eins geklärt — und Übereinstimmung im Grundsätzlichen erzielt. Punkt zwei betrifft die Sicherheit, von der das Gelingen des Vorhabens weitgehend abhängt. Meiner Auffassung nach ist die Zahl derjenigen, die über jeden Verdacht erhaben sind, verschwindend klein und nimmt ständig weiter ab. Womit nicht etwa gesagt sein soll, daß ich irgendeinen unserer Kameraden in der OAS oder im CNR für einen potentiellen Verräter der gemeinsamen Sache hielte. Aber die alte Binsenweisheit, daß die Bewahrung eines Geheimnisses um so gefährdeter ist, je mehr Eingeweihte es gibt, hat sich bekanntlich oft genug bestätigt. Und absolute Geheimhaltung ist das A und O dieses Plans. Je weniger davon wissen, desto besser. Selbst in den Reihen der OAS sitzen Agenten, die verantwortliche Posten innehaben und der Geheimpolizei laufend unsere Pläne verraten. Mit diesen Männern wird eines Tages abgerechnet werden, im Augenblick aber sind sie noch ungemein gefährlich. Unter den Politikern des CNR gibt es einige, die zu zimperlich oder zu feige sind, um sich das Ausmaß und die Konsequenzen der Sache, der sie sich angeblich auf Gedeih und Verderben verschworen haben, ganz klarzumachen. Ich könnte es nicht gutheißen, wenn das Leben eines Mannes — wer auch immer er sein mag — dadurch, daß man diese Leute ohne zwingenden Grund über seine Existenz informiert, in gänzlich überflüssiger Weise gefährdet würde.

Ich habe Sie, Rene, und Sie, Andre, herbeigerufen, weil ich von Ihrer absoluten Loyalität unserer Sache gegenüber überzeugt bin und weiß, daß Sie schweigen können. Zudem, Rene, ist Ihre Mitarbeit als Schatz- und Zahlmeister bei dem Vorhaben, an das ich denke, schon wegen des Honorars, das jeder professionelle Killer ohne Zweifel verlangen wird, unerläßlich. Ihre Mitarbeit, Andre, wird dagegen nötig sein, um dem betreffenden Mann die Unterstützung einer Handvoll absolut zuverlässiger Männer in Frankreich für den Fall zu sichern, daß er auf sie zurückgreifen muß. Aber ich sehe keinen Grund, warum die Kenntnis der Einzelheiten des Plans irgend jemandem außer uns dreien zugänglich gemacht werden sollte. Ich schlage daher vor, daß wir einen dreiköpfigen Ausschuß bilden und die gesamte Verantwortung für das Vorhaben, seine Planung, Ausführung und Finanzierung selbst übernehmen.«

Wieder herrschte Schweigen. Schließlich fragte Montclair:»Sie meinen, wir sollten weder den Rat der OAS konsultieren noch den CNR verständigen? Das werden die nicht mögen.«»Erstens werden sie nichts davon erfahren«, entgegnete Rodin gelassen.»Wenn wir die Idee allen vortragen wollten, wäre eine Plenarsitzung erforderlich. Das allein würde schon Aufmerksamkeit erregen und die Barbouzes zu verstärkter Tätigkeit veranlassen, um herauszubekommen, aus welchem Grund die Plenarsitzung einberufen wurde. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, daß womöglich irgendein Mitglied eines der beiden Räte nicht dichthält. Wenn wir andererseits jedes Mitglied einzeln aufsuchen wollten, würde es Wochen dauern, bis wir auch nur die grundsätzliche Zustimmung aller eingeholt hätten. Dann würden sie Einzelheiten wissen und über jede neue Planungsphase genauestens orientiert werden wollen. Sie wissen doch, wie diese verdammten Politiker und Komiteemitglieder sind. Sie wollen immer alles erfahren, bloß um mitreden zu können. Sie selbst tun überhaupt nichts, aber jeder einzelne von ihnen kann die gesamte Operation durch ein einziges Wort, das ihm in der Trunkenheit oder aus Unbedachtsamkeit entschlüpft, aufs schwerste gefährden.

Zweitens wären wir, falls der Plan die Billigung des gesamten Rats der OAS wie auch des CNR fände, darum in der Sache doch um keinen Schritt vorangekommen, aber nahezu dreißig Leute wüßten von ihr. Dagegen ständen wir, falls wir uns entschlössen, die Verantwortung selbst zu tragen, und die Sache ginge schief, deswegen doch nicht schlechter da als heute. Selbstverständlich hätten wir Beschuldigungen und Vorwürfe zu gewärtigen, aber mehr doch nicht. Gelingt der Plan jedoch, dann sind wir an der Macht, und niemand wird uns zu dem Zeitpunkt noch zur Rechenschaft ziehen wollen. Die Frage nach der genauen Art und Weise der Beseitigung des Diktators dürfte dann eine rein akademische geworden sein und nur noch die Historiker interessieren. Kurzum, sind Sie bereit, mir als einzige Mitarbeiter bei der Planung, Organisation und Ausführung des Unternehmens, das ich Ihnen soeben erläutert habe, zur Seite zu stehen?«

Wiederum blickten Casson und Montclair einander an, wandten die Köpfe dann Rodin zu und nickten. Es war das erste Mal, daß sie seit der drei Monate zuvor erfolgten Verschleppung Argouds mit ihm zusammentrafen. Als Argoud Stabschef war, hatte sich Rodin stets im Hintergrund gehalten. Jetzt erwies er sich seinerseits als nicht weniger profilierter Führer. Der Chef der Untergrundbewegung und der Schatzmeister waren beeindruckt.

Rodin blickte beide an, stieß langsam den Rauch seiner Zigarette aus und lächelte.

«Gut«, sagte er,»dann können wir uns jetzt den Einzelheiten zuwenden. Die Idee, einen professionellen Killer zu engagieren, kam mir an dem Tag, an dem ich über das Radio die Nachricht von dem Mord an dem armen Bastien-Thiry hörte. Seither habe ich nach dem Mann gesucht, den wir brauchen. Daß solche Leute schwer zu finden sind, versteht sich; sie machen keine Werbung, ich bin seit Mitte März auf der Suche gewesen, und das Ergebnis liegt hier vor.«

Er hielt drei Hefter hoch, die auf dem Tisch gelegen hatten. Neuerlich hoben Montclair und Casson die Brauen, wechselten einen Blick und schwiegen.

Rodin fuhr fort.»Ich halte es für das beste, wenn Sie die Dossiers jetzt lesen und wir dann anschließend unsere erste Wahl treffen könnten. Ich persönlich habe mir alle drei nach vorrangiger Eignung für den Fall notiert, daß der an erster Stelle Angeführte den Auftrag entweder nicht übernehmen kann oder nicht übernehmen will. Von jedem Dossier existiert nur ein Exemplar, so daß Sie sich in der Lektüre abwechseln müssen. «Er griff in den Ordner und entnahm ihm drei dünnere Akten, von denen er eine Montclair und eine Casson überreichte. Die dritte behielt er in der Hand, warf aber keinen Blick darauf, da er alle drei Akten genau kannte. Es gab wenig genug zu lesen, und wenn Rodin die Dossiers» kurz «genannt hatte, so war das eine deprimierend akkurate Bezeichnung gewesen. Casson hatte das ihm ausgehändigte Papier als erster durchgelesen, sah Rodin an und schnitt eine Grimasse.»Ist das alles?«

«Männer wie diese machen es einem nicht leicht, Einzelheiten über sie in Erfahrung zu bringen«, entgegnete Rodin.»Sehen Sie sich einmal den hier an. «Er reichte Casson das Dossier, das er in der Hand hielt.

Kurz darauf hatte auch Montclair seine Lektüre beendet und reichte das Dossier Rodin zurück, der ihm seinerseits dasjenige gab, welches Casson gerade gelesen hatte. Beide Männer vertieften sich neuerlich in das Studium der Papiere. Diesmal war es Montclair, der zuerst aufblickte. Er sah Rodin an und zuckte mit den Achseln.

«Nun — allzuviel läßt sich daraus nicht ersehen, aber von solchen Burschen haben wir bestimmt fünfzig auf Lager. Pistolenhelden kommen im Dutzend billiger…«Casson unterbrach ihn.

«Einen Augenblick. Warten Sie, bis Sie das hier gelesen haben. «Er schlug die letzte Seite auf und überflog die restlichen Sätze. Als er fertig war, schloß er den Ordner und blickte zu Rodin auf. Der OAS-Chef verriet mit keiner Miene, welche Wahl er selbst getroffen hatte. Er nahm das von Casson gelesene Dossier und reichte es Montclair weiter. Dann gab er Casson den dritten Hefter. Vier Minuten später hatten beide Männer die Lektüre beendet.

Rodin sammelte die Dossiers ein und legte sie auf den Tisch zurück. Er nahm den Stuhl mit der geraden Rückenlehne, drehte ihn herum, rückte ihn an die Gasheizung heran und setzte sich, die Arme auf der Lehne, rittlings darauf. In dieser Haltung wandte er sich an seine beiden Besucher.

«Nun, ich sagte Ihnen ja, daß der Markt klein ist. Es mag mehr Männer geben, die diese Art von Arbeit verrichten, aber ohne Zugang zu den Akten eines gut funktionierenden Geheimdienstes lassen sie sich verflucht schwer aufspüren. Und vermutlich dürften die besten ohnehin in keinerlei Akten zu finden sein. Sie haben alle drei Dossiers gelesen. Bezeichnen wir sie für den Augenblick lediglich als den Deutschen, den Südafrikaner und den Engländer. Andre?«

Casson zuckte mit den Achseln.»Für mich ist es keine Frage. Seinem Dossier zufolge — sofern es der Wahrheit entspricht — ist der Engländer den anderen haushoch überlegen.«»Rene?«

«Ich bin der gleichen Ansicht. Der Deutsche ist schon ein bißchen alt für eine solche Sache. Abgesehen von ein paar Jobs, die er gegen die Israelis im Auftrag der von ihnen gejagten Nazis erledigt hat, scheint er auf politischem Gebiet nicht allzu viele einschlägige Erfahrungen gesammelt zu haben. Zudem dürften seine Motive gegen die Juden persönlicher Art sein und daher nicht wirklich professionell. Der Südafrikaner mag sich darauf verstehen, Niggerpolitiker wie Lumumba abzuschlachten, aber das qualifiziert ihn noch lange nicht dazu, dem Präsidenten der Französischen Republik eine Kugel in den Leib zu schießen. Außerdem spricht der Engländer fließend Französisch.«

Rodin nickte nachdrücklich.»Ich hatte auch nicht angenommen, daß sich noch irgendwelche Zweifel ergeben würden. Noch bevor ich mit der Zusammenstellung der Dossiers fertig war, schien mir das Ergebnis der Wahl schon eindeutig festzustehen.«»Sind Sie sich, was diesen Engländer betrifft, auch ganz sicher?«fragte Casson.»Hat er diese Aufträge tatsächlich ausgeführt?«

«Ich war selbst überrascht«, sagte Rodin,»und habe deswegen zusätzliche Zeit auf ihn verwendet. Falls Sie absolute Beweise wollen — die gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, wäre das ein schlechtes Zeichen. Es würde bedeuten, daß er überall als unerwünschter Ausländer gelten müßte. Tatsächlich aber liegt nichts gegen ihn vor, was man ihm nachweisen könnte.

Es gibt nur Gerüchte; im übrigen ist seine Weste weiß wie Schnee. Selbst wenn die Briten ihn auf der Liste haben sollten, können sie hinter seinen Namen nur ein Fragezeichen setzen. Das genügt aber nicht, um ihn in die Akten der Interpol aufzunehmen. Und die Wahrscheinlichkeit, daß die englischen Behörden den SDECE auf einen solchen Mann aufmerksam machen würden, wäre selbst dann, wenn eine offizielle Anfrage vorläge, nur gering. Sie wissen, wie sehr die beiden Geheimdienste einander hassen. Selbst Bidaults Londoner Aufenthalt im letzten Januar erwähnten die Briten mit keiner Silbe. Nein, für einen Auftrag dieser Art bringt der Engländer alle Voraussetzungen und Vorzüge mit — mit Ausnahme eines einzigen.«»Und der wäre?«fragte Montclair rasch.»Ganz einfach. Er wird nicht billig sein. Ein Mann wie der kann viel Geld verlangen. Wie steht es um die Finanzen, Rene?«Montclair hob die Schultern.»Nicht allzu gut. Die Ausgaben sind ein bißchen zurückgegangen. Seit der Argoud-Affäre haben sich die CNR-Helden in billige Hotels verkrochen. Sie scheinen an Fünf-Sterne-Hotels und Fernsehinterviews keinen Gefallen mehr zu finden. Andererseits sind unsere Einnahmen äußerst spärlich geworden. Wie Sie bereits sagten, müssen wir etwas unternehmen, wenn wir nicht schon sehr bald wegen mangelnder Mittel am Ende sein wollen.«

Rodin nickte grimmig.»Das dachte ich mir. Wir müssen von irgendwoher Geld auftreiben. Andererseits wäre es sinnlos, wenn wir uns auf eine solche Aktion einließen, bevor wir wissen, wieviel wir dazu brauchen werden…«

«Woraus folgt«, schaltete sich Casson ein,»daß der nächste Schritt sein wird, den Kontakt mit dem Engländer aufzunehmen und ihn zu fragen, ob er den Job übernehmen wird und zu welchem Preis.«

«Allerdings. Sind wir uns darin einig?«Rodin sah nacheinander beide Männer an. Sie nickten. Rodin warf einen Blick auf seine Uhr.»Es ist kurz nach eins. Ich habe einen Agenten in London, dem ich jetzt telephonisch Weisung geben werde, den Mann zu kontaktieren und ihn zu fragen, ob er herkommen kann. Wenn er sich bereit erklärt, die Abendmaschine nach Wien zu nehmen, könnten wir nach dem Essen hier mit ihm zusammentreffen. In jedem Fall werden wir Bescheid wissen, sobald mein Agent zurückruft. Ich habe mir erlaubt, für Sie beide in diesem Stockwerk benachbarte Zimmer reservieren zu lassen. Ich halte es für sicherer, von Viktor beschützt zusammenzubleiben, als ohne Schutz getrennt zu wohnen. Nur für den Fall der Fälle, versteht sich.«

«Sie waren Ihrer Sache ziemlich sicher, stimmt's?«fragte Casson ein wenig pikiert darüber, daß seine Meinung sich als vorhersehbar erwiesen hatte.

Rodin zuckte mit den Achseln.»Es war langwierig und um-ständlich genug, diese Information zu beschaffen. Je weniger Zeit von jetzt ab verschwendet wird, um so besser. Wenn wir die Dinge vorantreiben wollen, sollten wir auch Dampf dahinter machen.«

Er stand auf, und die anderen beiden erhoben sich ebenfalls. Rodin rief Viktor und befahl ihm, in die Halle hinunterzugehen und sich die Schlüssel für die Zimmer fünfundsechszig und Sechsundsechzig geben zu lassen. Während er auf Viktors Rückkehr wartete, sagte er zu Montclair und Casson:

«Ich muß vom Hauptpostamt aus telephonieren und nehme Viktor mit. Ich darf Sie bitten, gemeinsam in einem Zimmer zu verbleiben, solange ich fort bin, und die Tür abzuschließen. Öffnen Sie nur auf mein Zeichen hin; ich werde dreimal pochen, eine Pause machen und dann noch zweimal pochen.«

Das Zeichen entsprach dem vertrauten Kampfruf» Algerie Fran9aise«, nach dessen Rhythmus Pariser Autofahrer in den vergangenen Jahren auf die Hupe gedrückt hatten, um ihrer Mißbilligung der gaullistischen Politik Ausdruck zu geben.»Übrigens«, fuhr Rodin fort,»hat einer von Ihnen eine Pistole?«

Beide Männer schüttelten den Kopf. Rodin ging an den Schreibtisch und holte eine MAB 9 mm hervor, die er zum persönlichen Gebrauch mit sich zu führen pflegte. Er überprüfte das Magazin, ließ es zurückschnappen und lud durch. Er reichte sie Montclair.

«Kennen Sie sich mit dem Ding aus?«fragte er.

Montclair nickte.»Das will ich meinen«, sagte er und nahm die Pistole an sich.

Viktor erschien mit den Schlüsseln und eskortierte die beiden Männer auf Montclairs Zimmer. Als er zurückkehrte, knöpfte sich Rodin gerade den Mantel zu.

«Kommen Sie, Corporal«, sagte er.»Gehen wir.«

Als sich an jenem Abend die Dämmerung zu nächtlicher Dunkelheit verfärbte, näherte sich die aus London kommende BEA-Vanguard dem Wiener Flughafen Schwechat. Der blonde Engländer im Heck des Flugzeugs lehnte sich in seinem Fenstersitz zurück und blickte auf die unter der rasch an Höhe verlierenden Maschine hinweghuschenden Einflugfeuer hinaus. Es bereitete ihm immer wieder Vergnügen, sie näher und näher kommen zu sehen, bis es fast gewiß erschien, daß das Flugzeug auf dem Gras des Vorfeldes aufsetzen würde. Im allerletzten Augenblick wurden der nur undeutlich erkennbare, schwach beleuchtete Grasboden, die numerierten Tafeln zu beiden Seiten der Piste und schließlich die Platzbefeuerung selbst weggewischt, um von dem ölig geschwärzten Beton der Landebahn abgelöst zu werden. Dann erst setzten die Räder auf. Die Exaktheit des Landemanövers befriedigte ihn. Er schätzte Präzision.

Nervös blickte ihn der neben ihm sitzende junge Franzose aus dem französischen Reisebüro am Piccadilly Square von der Seite her an. Seit dem Telephonanruf, der in der Mittagspause gekommen war, befand er sich in einem Zustand gelinder Erregung. Vor nahezu einem Jahr hatte er, auf Urlaub in Paris, der OAS seine Dienste angetragen, aber lediglich den Bescheid erhalten, an seinem Schreibtisch in London zu verbleiben. Briefliche oder telephonische Weisungen, die ihn unter seinem korrekten Namen erreichten, jedoch mit den Worten» Lieber Pierre «begannen, seien unverzüglich genauestens auszuführen. Bis zum heutigen Tag, dem 15. Juni, war nichts geschehen.

Die Dame in der Telephonvermittlung des französischen Reisebüros hatte ihm gesagt, sie habe» Vienne «für ihn in der Leitung, und dann, um einer Verwechslung mit der gleichnamigen französischen Stadt vorzubeugen, hinzugefügt: »Vienne en Autriche.«Verwundert hatte er den Anruf entgegengenommen, um eine Stimme zu hören, die ihn» Mein lieber Pierre «nannte. Es hatte ein paar Sekunden gedauert, ehe er sich seines eigenen Codenamens erinnerte. Nach der Mittagspause hatte er Kopfschmerzen vorgeschützt, die angegebene Wohnung in einer kleinen Nebenstraße der South Audley Street aufgesucht und dem Engländer, der ihm die Tür öffnete, die Botschaft überbracht. Über das Ansinnen, innerhalb von drei Stunden nach Wien zu fliegen, war diesem keinerlei Erstaunen anzumerken gewesen. Er hatte gelassen einen leichten Koffer gepackt, und die beiden waren im Taxi zum Flugplatz Heathrow hinausgefahren. Wortlos hatte der Engländer ein Bündel Banknoten gezückt, um zwei Retourtickets in bar zu zahlen, nachdem der Franzose hatte eingestehen müssen, daß er nicht daran gedacht habe, Bargeld mitzunehmen, und nur Paß und Scheckbuch bei sich trüge.

Seitdem hatten sie kaum ein Wort gewechselt. Der Engländer hatte weder danach gefragt, wohin sie in Wien gehen noch wen sie dort treffen und warum sie dies tun sollten — es wäre auch vergebens gewesen, denn der Franzose wußte es ebensowenig. Seine Anweisungen schrieben ihm lediglich vor, vom Londoner Flughafen aus zurückzurufen und seine Ankunft mit der BEA-Maschine auf dem Wiener Flughafen Schwechat zu bestätigen. Dort, so war ihm bei dem Anruf gesagt worden, sollte er sich umgehend am Informationsschalter melden. Alles das machte ihn nervös, und die souveräne Gelassenheit des Engländers neben ihm war nicht geeignet, ihn ruhiger zu stimmen.

Am Informationsschalter in der Haupthalle reichte ihm das hübsche österreichische Mädchen, nachdem er seinen Namen genannt und es in die Fächer des Regals geschaut hatte, einen Notizzettel, auf dem lediglich vermerkt war:»Rufen Sie die Nummer 614403 an. Verlangen Sie Schulze.«

Er wandte sich um und ging auf die Reihe öffentlicher Telephonzellen an der gegenüberliegenden Wand zu. Der Engländer tippte ihm auf die Schulter und deutete auf den Kiosk, der die Aufschrift» Wechselstube «trug.

«Sie werden ein paar Münzen brauchen«, sagte er in fließendem Französisch,»flicht einmal die Österreicher sind derart großzügig-«

Der Franzose bekam einen roten Kopf und marschierte zur Wechselstube, während der Engländer es sich auf einer der gepolsterten Bänke an der Wand bequem machte und sich eine weitere englische King-Size-Filterzigarette ansteckte. Kurz darauf kehrte sein Reisebegleiter mit einigen österreichischen Banknoten und einer Handvoll Kleingeld zurück. Der Franzose trat in eine leere Zelle und wählte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Herr Schulze und gab ihm knappe, präzise Anweisungen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte er eingehängt.

Der junge Franzose ging zu der Sitzbank zurück, und der Engländer blickte ihn fragend an. »On y va?« fragte er.

«Ony va. « Als der Franzose sich zum Gehen wandte, zerknüllte er den Zettel mit der Telephonnummer und warf ihn auf den Boden. Der Engländer hob ihn auf, strich ihn glatt und hielt ihn in die Flamme seines Feuerzeugs. Sie flackerte einen Augenblick lang auf, und der Zettel zerfiel in schwarze Flocken, die unter der Sohle des eleganten Wildlederstiefels verschwanden.

Schweigend verließen sie das Flughafengebäude und bestiegen ein Taxi.

Im Zentrum der Stadt waren die Straßen vom Neonlicht gleißend hell erleuchtet und vom Automobilverkehr so gründlich verstopft, daß das Taxi erst nach vierzig Minuten vor der Pension Kleist hielt.

«Hier trennen wir uns. Ich habe Anweisung, Sie herzubringen und dann mit dem Taxi weiterzufahren. Sie sollen gleich zum Zimmer Nummer vierundsechzig hinaufgehen. Dort werden Sie erwartet.«

Der Engländer nickte und stieg aus. Der Taxifahrer drehte sich fragend zu dem Franzosen um.»Fahren Sie weiter.«

Während das Taxi die Straße hinunterfuhr und in der Dunkelheit verschwand, wanderte der Blick des Engländers von der altertümlichen Frakturschrift auf dem Straßenschild zu den großen römischen Ziffern der Hausnummer über dem Eingang der Pension Kleist hinauf. Schließlich warf er seine halbgerauchte Zigarette fort und betrat die Pension.

Der diensttuende Portier stand mit dem Rücken zu ihm hinter dem Empfangstisch, aber die Tür knarrte. Der Engländer machte keine Anstalten, an die Portiersloge heranzutreten, sondern ging sogleich auf die Treppe zu. Der Portier war im Begriff, den Besucher zu fragen, wen er zu sprechen wünsche, als der Engländer in seine Richtung blickte, ihm wie einem beliebigen Hotelbediensteten flüchtig zunickte und» Guten Abend!«sagte.

«Guten Abend, mein Herr«, erwiderte der Portier automatisch, und im nächsten Augenblick war der blonde Mann, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, ohne dabei den Eindruck sonderlicher Eile zu erwecken, bereits die Treppe hinaufgegangen. Oben angelangt, blieb er einen Moment lang stehen und blickte den Korridor entlang. Am anderen Ende befand sich Zimmer Nummer achtundsechzig. Rückwärts zählend, rechnete er sich aus, wo Nummer vierundsechzig sein müßte.

Die Entfernung zwischen ihm und der Tür von Zimmer vierundsechzig betrug etwa sechseinhalb Meter; zur Rechten wurde die Korridorwand von zwei Türen unterbrochen, zur Linken von einem schmalen, zum Teil mit einem Vorhang aus rotem Velours verhängten Alkoven. Er unterzog den Alkoven einer eingehenden Betrachtung. Unter dem bis auf etwa zehn Zentimeter über dem Fußboden herabhängenden Vorhang war die Spitze eines einzelnen schwarzen Schuhs sichtbar.

Der Engländer drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Portiersloge zurück.»Geben Sie mir Zimmer vierundsechzig, bitte«, sagte er. Der Portier sah ihn einen Augenblick unschlüssig fragend an, gehorchte dann aber. Nach wenigen Sekunden trat er von dem kleinen Klappenschrank zurück, nahm den Hörer des Telephons auf dem Tresen ab und reichte ihn dem Engländer.

«Wenn der Gorilla im Alkoven nicht innerhalb von fünfzehn Sekunden verschwunden ist, fliege ich sofort zurück«, sagte der blonde Mann und legte auf. Dann stieg er wieder die Treppe hinauf.

Oben angekommen, wartete er, bis sich die Tür von Nummer vierundsechzig öffnete und Oberst Rodin erschien. Er starrte einen Moment zu dem Engländer hinüber und rief dann leise:»Viktor.«

Der hünenhafte Pole trat aus dem Alkoven heraus und blieb, vom einen zum anderen blickend, abwartend stehen. Rodin sagte:»Es ist in Ordnung. Er wird erwartet.«

Kowalsky ließ den Engländer, der jetzt auf den Oberst zuging, nicht aus den Augen.

Rodin führte den Besucher in das Zimmer. Das Mobiliar war umgestellt worden, und der Raum wirkte jetzt wie die Schreibstube einer Musterungskommission. Von Papieren übersät, diente der Schreibtisch als Tisch des Vorsitzenden. Dahinter stand der Stuhl mit der hohen Lehne, den jetzt zwei weitere, aus den angrenzenden Zimmern herbeigebrachte Stühle flankierten. Montclair und Casson, die auf ihnen Platz genommen hatten, blickten dem Engländer neugierig entgegen. Vor dem Tisch stand kein Stuhl.

Der Engländer sah sich in dem Raum um, entschied sich für einen der beiden Sessel und drehte ihn so, daß er dem Tisch gegenüber stand. Als Rodin Viktor mit neuen Instruktionen versehen und endlich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, saß der Engländer bereits bequem zurückgelehnt in dem Sessel und starrte seinerseits unverwandt Casson und Montclair an. Rodin nahm auf seinem Stuhl hinter dem Tisch Platz. Sekundenlang fixierte er den Mann aus London. Was er sah, mißfiel ihm keineswegs, und er war ein Experte in der Beurteilung von Männern. Der Besucher war etwa einsachtzig groß, Anfang Dreißig und von schlankem athletischem Wuchs. Er sah fit aus, seine regelmäßigen, aber nicht sonderlich auffallenden Gesichtszüge waren gebräunt, und seine Hände lagen ruhig auf den Armlehnen des Sessels. Auf Rodin machte er den Eindruck eines Mannes, der auch in kritischen Situationen die Kontrolle über sich selbst nicht verlor. Was ihn störte, waren einzig die Augen des Engländers. Sie erwiderten ungerührt den kritischen Blick, mit dem man ihn musterte,und wirkten offen und klar, sofern man von dem fleckigen Grau der Iris absah, das einen unwillkürlich an den nebligen Frost eines frühen Wintermorgens denken ließ. Rodin brauchte ein paar Sekunden, um zu entdecken, daß sie bar jeden Ausdrucks waren. Was auch immer sich in diesem Menschen abspielen mochte, das Grau seiner Augen blieb undurchdringlich wie eine Rauchwand und verriet nichts. Rodin beschlich ein Gefühl des Unbehagens. Wie jedem von Systemen und vorgeschriebenen Prozeduren geprägten Menschen mißfiel ihm alles Unberechenbare und daher Unkontrollierbare.

«Wir wissen, wer Sie sind«, begann er ohne Übergang.»Es ist daher an der Zeit, daß ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin Oberst Marc Rodin — «

«Ich weiß«, sagte der Engländer.»Sie sind der Stabschef der OAS. Sie sind Major Rene Montclair, Schatzmeister, und Sie Monsieur Andre Casson, Chef der Untergrundbewegung in der Metropole. «Während er sprach, blickte er die drei Männer der Reihe nach an und griff nach einer Zigarette.

«Sie scheinen ja schon eine ganze Menge zu wissen«, warf Casson ein.

Der Engländer steckte sich die Zigarette an, lehnte sich zurück und stieß einen dichten Strahl von blauem Rauch aus.»Meine Herren, sprechen wir doch offen miteinander. Ich weiß, wer Sie sind, und Sie wissen, was ich bin. Unsere beiderseitige Tätigkeit — sowohl Ihre als auch meine — ist keine ganz alltägliche. Sie werden gejagt, während ich ohne Überwachung reisen kann, wohin ich will. Ich arbeite gegen Geld, Sie tun es aus Idealismus. Aber wenn es um konkrete Einzelheiten geht, sind wir allesamt Praktiker, Profis der gleichen Branche. Wir brauchen einander also nichts vorzumachen. Sie haben Erkundigungen über mich eingezogen. Es ist schlechthin nicht möglich, derartige Nachforschungen anzustellen, ohne daß dies demjenigen, dem sie gelten, zu Ohren kommt. Selbstverständlich habe ich wissen wollen, wer sich so angelegentlich für mich interessiert. Es hätte jemand sein können, der sich an mir rächen, oder auch jemand, der mich engagieren will. Es war wichtig für mich, das herauszubekommen. Als ich erfuhr, welche Organisation es war, die ein solches Interesse an mir bekundete,genügten zwei Tage, die ich in der französischen Abteilung des Zeitungsarchivs im Britischen Museum verbrachte, um mich über Sie und Ihre Organisation ausreichend ins Bild zu setzen. Der Besuch Ihres kleinen Laufjungen am heutigen Nachmittag war daher für mich keine allzu große Überraschung mehr. Bon. Ich weiß, wer Sie sind und wen Sie repräsentieren. Was ich gern wüßte, ist, was Sie wollen.«

Minutenlang herrschte Schweigen. Casson und Montclair sahen Rodin fragend an. Der Fallschirmjäger-Oberst und der Killer fixierten einander unverwandt. Rodin kannte sich mit gewalttätigen Männern zu gut aus, um nicht schon jetzt zu wissen, daß der, welcher ihm gegenübersaß, der gesuchte Mann war. Von diesem Augenblick an waren Montclair und Casson nur noch Randfiguren.

«Da Sie über uns schon so gründlich unterrichtet sind, will ich Sie nicht mit einer Darlegung der Motive und Ziele unserer Organisation, die Sie zutreffend als idealistisch bezeichnen, langweilen. Wir meinen, daß Frankreich derzeit von einem Diktator regiert wird, der das Land zugrunde richtet und seine Ehre besudelt. Wir meinen, daß sein Regime nur gestürzt und Frankreich den Franzosen wiedergeschenkt werden kann, wenn diesem Mann zuvor das Leben genommen wird. Von den sechs Versuchen, die unsere Anhänger unternommen haben, um ihn zu beseitigen, wurden drei bereits in der frühen Planungsphase aufgedeckt, einer am Vortag des Anschlags verraten und zwei ausgeführt, die jedoch mißlangen.

Wir erwägen — wohlgemerkt: erwägen! — gegenwärtig, die Dienste eines Profis in Anspruch zu nehmen, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Wir wollen jedoch nicht unser Geld verschwenden. Als erstes müßten wir wissen, ob Sie einen solchen Auftrag für ausführbar halten.«

Rodin hatte seine Karten geschickt ausgespielt. Die im letzten Satz enthaltene Frage, auf die er die Antwort bereits wußte, ließ in den grauen Augen erstmals so etwas wie einen Anflug von Ausdruck erkennbar werden.

«Es gibt auf der ganzen Welt keinen einzigen Mann, der gegen die Kugeln eines Mörders gefeit wäre«, sagte der Engländer.»De Gaulles Exponierungsquote ist sehr hoch. Selbstverständlich ist es möglich, ihn zu töten. Die Schwierigkeit liegt darin, daß der Mörder kaum eine Chance hat, mit heiler Haut davonzukommen.

Ein Fanatiker, der bereit ist, bei dem Mordanschlag selbst drauf — zugehen, bietet noch immer die sicherste Gewähr für das Gelingen eines Attentats auf einen Diktator, der sich der Öffentlichkeit aussetzt. Ich stelle fest«, fügte er nicht ohne Bosheit hinzu,»daß es Ihnen ungeachtet Ihres Idealismus bislang nicht gelungen ist, einen solchen Mann aus Ihren Reihen zu rekrutieren. Sowohl Pont-de-Seine als auch Petit-Clamart mußten fehlschlagen, weil sich niemand fand, der bereit gewesen wäre, sein eigenes Leben zu riskieren, um einen Mißerfolg auszuschließen.«

«Selbst jetzt gibt es noch genügend französische Patrioten, die _«, protestierte Casson erregt, aber Rodin winkte ab. Der Engländer hatte Casson nicht einmal eines Blickes gewürdigt.

«Und wie beurteilen Sie die Chancen für einen Profi?«wollte Rodin wissen.

«Ein Profi handelt nicht aus Leidenschaft, ist also ruhiger und läuft folglich weniger Gefahr, elementare Fehler zu begehen. Da er kein Idealist ist, wird er schwerlich dazu neigen, sich im letzten Augenblick Gedanken darüber zu machen, ob durch die Explosion — oder welchen Effekt die von ihm verwendete Technik auch immer haben mag — außer dem Opfer noch andere Personen zu Schaden kommen könnten. Und als Profi, der er ist, wird er die Risiken bis ins letzte kalkuliert haben. Die Aussichten auf pünktlichen Erfolg sind deswegen bei ihm weit sicherer als bei jedem anderen, aber er wird nicht daran denken, auch nur in irgendeiner Weise aktiv zu werden, ehe er nicht einen Plan entwickelt hat, der es ihm nicht nur ermöglicht, den Auftrag zu erfüllen, sondern auch ungeschoren davonzukommen.«

«Halten Sie es für denkbar, daß ein solcher Plan, der einem Profi die Möglichkeit gäbe, Charles de Gaulle zu töten und sich in Sicherheit zu bringen, ausgearbeitet werden könnte?«Der Engländer zog ohne Hast an seiner Zigarette und sah minutenlang aus dem Fenster.»Im Prinzip ja«, sagte er schließlich.»Im Prinzip ist dergleichen immer möglich, sofern es nur von langer Hand geplant und mit genügender Sorgfalt vorbereitet wird. Aber in diesem Fall wäre es doch außerordentlich schwierig. Weit schwieriger als bei anderen Zielen.«

«Warum das?«

«Weil de Gaulle vorgewarnt ist — nicht in bezug auf den einzelnen Versuch als solchen, wohl aber im Hinblick auf die Absicht im allgemeinen. Alle großen Männer lassen sich von Leibwächtern und Sicherheitsbeamten beschützen; wenn jedoch im Verlauf von ein paar Jahren kein ernst zu nehmender Anschlag auf das Leben des großen Mannes stattfindet, läßt die Wachsamkeit nach, werden die Überprüfungen zur reinen Formsache, die Sicherheitsvorkehrungen zu bloßer Routine. Das eine Geschoß, das sein Ziel erwischt und erledigt, kommt völlig unerwartet und löst daher eine Panik aus, die dem Täter die Flucht ermöglicht. In unserem Fall wird von reduzierter Wachsamkeit und zur Routineangelegenheit gewordenen Sicherheitsmaßnahmen keine Rede sein können, und wenn die Kugel ins Ziel trifft, wird es viele geben, die nicht in Panik geraten, sondern die Verfolgung des Täters aufnehmen werden. Es ließe sich schaffen, aber es wäre bestimmt einer der schwierigsten Jobs, die es gegenwärtig auf dieser Welt gibt. Denn Ihre Versuche, meine Herren, sind nicht nur fehlgeschlagen, sie haben die Aufgabe auch für jeden anderen ungemein erschwert.«»Falls wir uns entschlössen, einen professionellen Killer zu engagieren, der diesen Job für uns übernimmt — «, begann Rodin.

«Sie müssen einen Profi engagieren«, unterbrach der Engländer gelassen.

«Und warum, bitte? Es gibt noch immer genug Männer, die willens wären, diese Arbeit aus rein patriotischen Gründen zu verrichten.«

«Ja, Watin und Curutchet gibt es immer noch«, entgegnete der Blonde.»Und zweifellos müssen irgendwo auch noch weitere Degueldres und Bastien-Thirys existieren. Aber Sie drei haben mich weder zu einem unverbindlichen Schwätzchen über die Theorie des politischen

Mordes hergerufen, noch auch, weil etwa die Killer bei Ihnen plötzlich rar geworden wären. Sie haben mich hergerufen, weil Sie sich reichlich spät darüber klargeworden sind, daß Ihre Organisation von der französischen Geheimpolizei so weitgehend unterwandert ist, daß kaum eine Ihrer Entscheidungen längere Zeit geheim bleibt, und auch deswegen, weil das Gesicht jedes einzelnen von Ihnen jedem Polizisten in Frankreich bekannt ist. Deswegen brauchen Sie Außenseiter. Und damit haben Sie recht. Wenn der Job ausgeführt werden soll, muß ein Außenseiter damit beauftragt werden. Bleibt nur die Frage, wer und für wieviel. Nun, meine Herren, ich finde, Sie haben sich die Ware jetzt lange genug angeschaut, meinen Sie nicht?«Rodin sah Montclair von der Seite her an. Montclair nickte.

Casson ebenfalls. Der Engländer schaute gelangweilt zum Fenster hinaus.

«Werden Sie de Gaulle umlegen?«fragte Rodin schließlich. Seine Stimme war ruhig, aber die Frage schien in dem Raum nachzubauen. Wie aus weiter Ferne kommend, richtete sich der Blick des Engländers auf ihn, und wieder ließen seine Augen jeglichen Ausdruck vermissen.»Ja, aber es wird Sie eine Menge Geld kosten.«

«Wieviel?«fragte Montclair.

«Sie müssen begreifen, daß dies ein Job ist, wie man ihn nur einmal in seinem Leben übernehmen kann. Der Mann, der sich darauf einläßt, wird nie wieder arbeiten können. Die Aussichten, nicht nur nicht gefaßt zu werden, sondern auch unentdeckt zu bleiben, sind außerordentlich gering. Es muß demnach bei diesem einen Job für den Täter so viel herausspringen, daß er für den Rest seiner Tage ein angenehmes Leben führen und sich darüber hinaus gegen zu erwartende Racheakte von Seiten der Gaullisten schützen kann.«

«Sobald wir die Macht übernommen haben«, sagte Casson,»werden uns auch die nötigen Mittel zur Verfügung stehen…«

«Es kommt nur Barzahlung in Frage«, erklärte der Engländer.»Die Hälfte des Betrages ist als Vorschuß fällig, die andere bei Erledigung des Jobs.«

«Wieviel?«fragte Rodin.

«Eine halbe Million.«

Rodin sah Montclair an, der eine Grimasse schnitt.»Das ist viel Geld — eine halbe Million Neuer Franc…«

«Dollar«, korrigierte der Engländer.

«Eine halbe Million Dollar?«schrie Montclair und sprang von seinem Stuhl auf.»Sind Sie verrückt geworden?«

«Nein«, sagte der Engländer ruhig,»aber ich bin der beste Mann und daher auch der teuerste.«

«Ich bin ganz sicher, daß wir weit günstigere Angebote einholen könnten«, bemerkte Casson erregt.

«Gewiß«, bestätigte der Blonde gleichmütig.»Sie werden einen billigeren Mann bekommen und dann feststellen, daß er sich mit Ihrer Anzahlung von fünfzig Prozent aus dem Staube gemacht hat oder sich darauf hinausredet, daß es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war, den Auftrag auszuführen. Wenn Sie den besten Mann engagieren wollen, müssen Sie zahlen. Eine halbe MillionDollar, das ist der Preis. Wenn man bedenkt, daß Sie dafür Frankreich zu gewinnen hoffen, schätzen Sie den Wert Ihres Vaterlandes sehr niedrig ein. «Rodin, der sich an dem Wortwechsel nicht beteiligt hatte, gab sich geschlagen.

«Touche«, sagte er.»Die Sache ist nur, wir haben keine halbe Million Dollar in bar, Monsieur.«

«Das ist mir klar«, antwortete der Engländer.»Wenn Sie die Arbeit getan haben wollen, werden Sie die Summe irgendwo auftreiben müssen. Ich brauche den Job nicht, verstehen Sie. An meinem letzten Auftrag habe ich genug verdient, um ein paar Jahre lang gut leben zu können. Aber die Vorstellung, so viel zu haben, daß man sich gänzlich aus dem Geschäft zurückziehen und zur Ruhe setzen kann, reizt mich. Deswegen wäre ich bereit, gegen diesen Preis eine Reihe ungewöhnlich hoher Risiken in Kauf zu nehmen. Ihre Freunde hier verlangen ihrerseits einen weit höheren Preis — nämlich Frankreich. Und doch lehnen Sie den Gedanken, daß sich gewisse Risiken dabei kaum werden vermeiden lassen, empört ab. Tut mir leid, aber wenn Sie die von mir genannte Summe nicht auftreiben können, werden Sie wieder damit anfangen müssen, Ihre eigenen Pläne zu entwickeln und zuzusehen, wie sie einer nach dem anderen von der Polizei durchkreuzt werden.«

Er drückte seine Zigarette aus und erhob sich halb aus dem Sessel. Rodin stand gleichfalls auf.

«Bitte setzen Sie sich, Monsieur. Wir werden das Geld beschaffen.«

Beide nahmen wieder Platz.

«Gut«, sagte der Engländer.»Aber da wären noch einige Bedingungen.«

«Ja?«

«Der Grund, weshalb Sie auf die Dienste eines Außenseiters angewiesen sind, ist die notorische Durchlässigkeit Ihrer Organisation für Informationen aller Art, die der französischen Geheimpolizei auf diesem Wege zur Kenntnis gelangen. Wie viele Ihrer Mitglieder sind über die Idee, daß man überhaupt einen Außenseiter — von mir ganz zu schweigen — für diesen Job engagieren sollte, unterrichtet?«

«Nur wir drei in diesem Zimmer hier. Ich habe die Idee am Tag nach Bastien-Thirys Hinrichtung ausgearbeitet und seither alle Ermittlungen auf eigene Faust und ohne Mitwirkung anderer durchgeführt. Es gibt keine weiteren Mitwisser.«

«Dann muß es so bleiben«, sagte der Engländer.»Sämtliche Protokolle, Akten und sonstigen schriftlichen Unterlagen müssen vernichtet werden. Außerhalb Ihrer drei Köpfe darf nichts zu finden sein. In Anbetracht dessen, was im Februar mit Argoud geschehen ist, behalte ich mir vor, die Sache abzublasen, falls einer von Ihnen dreien festgenommen wird. Bis der Auftrag ausgeführt ist, sollten Sie sich daher an irgendeinem möglichst sicheren, gut bewachten Ort aufhalten. Einverstanden?«

«D'accord. Sonst noch etwas?«

«Wie die Aktion selbst, so bleibt auch die Planung ausschließlich mir überlassen. Die Einzelheiten werden niemandem mitgeteilt, auch Ihnen nicht. Kurz, ich verschwinde von der Bildfläche. Sie werden nichts mehr von mir hören. Sie haben meine Londoner Adresse und Telephonnummer, aber ich werde beide aufgeben, sobald ich meine Abreise in die Wege geleitet habe. Im übrigen werden Sie mich dort ohnehin nur im dringendsten Notfall kontaktieren. Darüber hinaus wird es keinerlei Kontakt geben. Ich lasse Ihnen den Namen meiner Schweizer Bank da. Wenn ich von ihr erfahre, daß die ersten 250000 Dollar eingezahlt worden sind, und sobald ich meinerseits alle erforderlichen Vorbereitungen abgeschlossen habe, nehme ich meine Tätigkeit auf — und zwar zum jeweils späteren der beiden Termine. Ich werde mich weder über das von mir als notwendig erachtete Maß hinaus unter Zeitdruck setzen lassen noch irgendwelche Einmischungen dulden. Ist das klar?«

«D'accord. Aber unsere Leute im französischen Untergrund können Sie mit wichtigen Informationen versorgen, die für Sie von beträchtlichem Wert sein dürften. Einige von ihnen sitzen in sehr hohen Stellungen.«

Der Engländer überlegte kurz.»Gut. Wenn Sie soweit sind, schicken Sie mir per Post eine einzelne Telephonnummer, möglichst eine Nummer in Paris, damit ich sie von überall in Frankreich aus direkt anrufen kann. Ich werde niemandem meinen Aufenthaltsort angeben, sondern die Nummer nur anrufen, um die jeweils letzten Informationen über die Sicherheitsverhältnisse in der Umgebung des Präsidenten zu erhalten. Aber der Mann am anderen Ende der Leitung sollte nicht wissen, weswegen ich in Frankreich bin. Sagen Sie ihm nur, daß ich in Ihrem Auftrag reise undseine Unterstützung benötige. Je weniger er erfährt, desto besser. Lassen Sie ihn lediglich als Nachrichtenauswertungsstelle fungieren. Seine

Quellen sollten sich ausschließlich auf solche Informanten beschränken, die aufgrund ihrer Stellung in der Lage sind, wichtige Interna zu melden und kein überflüssiges Zeug, das ich in jeder Zeitung nachlesen kann. Abgemacht?«

«Selbstverständlich. Sie wollen gänzlich allein und auf sich selbst gestellt operieren, ohne Freunde und ohne Zufluchtsort. Wie Sie wünschen. Wie steht es mit falschen Papieren? Wir haben da zwei ausgezeichnete Fälscher an der Hand.«

«Danke, die beschaffe ich mir selbst.«

Casson schaltete sich ein.»Nach dem Muster der Resistance unter der deutschen Besatzung habe ich in Frankreich eine Organisation aufgezogen, die völlig intakt ist. Zu Ihrer Unterstützung könnte ich Ihnen das gesamte Netz uneingeschränkt zur Verfügung stellen.«»Nein, danke. Ich ziehe es vor, auf meine vollständige Anonymität zu bauen. Sie ist die beste Waffe, die ich habe.«

«Aber angenommen, es geht etwas schief und Sie müssen untertauchen…«

«Nichts wird schiefgehen, es sei denn durch Ihre Schuld. Ich werde operieren, ohne mit Ihrer Organisation Kontakt aufzunehmen und ohne meinerseits von ihr kontaktiert zu werden — und das aus dem gleichen Grund, aus dem Sie mich kommen lassen mußten: Weil es in Ihrer Organisation von Agenten und Spitzeln nur so wimmelt, Monsieur Casson.«

Casson sah aus, als würde er gleich explodieren. Montclair starrte blicklos auf das Fenster und versuchte sich darüber klarzuwerden, wie er rasch eine halbe Million Dollar auftreiben könnte. Rodin blickte den ihm gegenübersitzenden Engländer nachdenklich an.

«Beruhigen Sie sich, Andre. Monsieur wünscht allein zu arbeiten. Soll er doch, wenn er das unbedingt will. Jedenfalls werden wir die halbe Million nicht einem Mann zahlen, der genauso gehätschelt und gepäppelt werden muß wie unsere eigenen Scharfschützen.«

«Was ich wissen möchte«, murmelte Montclair,»das ist, wie wir soviel Geld so schnell aufbringen sollen.«

«Bedienen Sie sich Ihrer Organisation, um ein paar Banken auszurauben«, schlug der Engländer leichthin vor.

«Das ist ausschließlich unser Problem«, sagte Rodin.»Gibt es noch irgendwelche Punkte, die zu klären wären, bevor unser Besucher nach London zurückfliegt?«

«Was hindert Sie, die erste Viertelmillion einzukassieren und sich nie wieder blicken zu lassen?«fragte Casson.

«Ich sagte Ihnen bereits, messieurs, daß ich mich zur Ruhe setzen will. Ich lege keinen Wert darauf, von einer ganzen Armee ehemaliger Fallschirmjäger aufgespürt und um den halben Erdball gejagt zu werden. Um mich vor ihnen zu schützen, müßte ich mehr Geld ausgeben, als mir die Sache eingebracht hätte. Es wäre bald alle.«

«Und was«, insistierte Casson,»hindert uns zu warten, bis der Auftrag ausgeführt ist, und Ihnen dann die Auszahlung der zweiten Viertelmillion zu verweigern?«

«Der gleiche Grund«, antwortete der Engländer ungerührt.»In dem Fall würde ich mich auf eigene Rechnung an die Arbeit machen. Und das Ziel wären dann Sie, meine Herren. Ich glaube jedoch nicht, daß dergleichen nötig sein wird. Was meinen Sie?«

Rodin unterbrach den Wortwechsel.»Nun, wenn das alles ist, sollten wir unseren Gast nicht länger aufhalten. Oh, da wäre noch eine Kleinigkeit. Ihr Name. Wenn Sie anonym bleiben wollen, sollten Sie sich einen Decknamen zulegen. Haben Sie diesbezüglich schon irgendwelche Ideen?«

Der Engländer überlegte einen Augenblick.»Da wir von der Jagd gesprochen haben — was hielten Sie von der Bezeichnung >Der Schakal

Rodin nickte.»Ja, das wäre ausgezeichnet. Tatsächlich gefällt mir der Name sogar ausnehmend gut.«

Er geleitete den Engländer zur Tür und öffnete sie. Viktor trat aus seinem Alkoven und trat näher. Rodin lächelte erstmals und reichte dem Mörder die Hand.»Wir werden in vereinbarter Weise das Weitere veranlassen, sobald wir können. Würden Sie Ihrerseits inzwischen schon einmal mit den allgemeinen Vorausplanungen beginnen, damit nicht allzu viel Zeit verlorengeht? Gut. Dann also bon soir, Monsieur Schakal!«

Viktor blickte dem Besucher nach, der so leise davonging, wie er gekommen war. Der Engländer verbrachte die Nacht im Flughafenhotel und flog mit der ersten Morgenmaschine nach London zurück.

In der Pension Kleist sah sich Rodin ganzen Salven von Vorwürfen und verspäteten Einwänden von seilen Cassons und Montclairs ausgesetzt, die beide von den zwischen 21 Uhr und Mitternacht vergangenen Stunden sichtlich mitgenommen waren.

«Eine halbe Million Dollar«, wiederholte Montclair unermüdlich,»wie, zum Teufel, sollen wir eine halbe Million Dollar auftreiben?«

«Möglicherweise werden wir die Anregung des Engländers aufgreifen und ein paar Banken ausrauben müssen«, entgegnete Rodin.

«Ich mag den Mann nicht«, sagte Casson.»Er arbeitet allein, ohne Helfer. Solche Männer sind gefährlich. Man hat sie nicht unter Kontrolle.«

Rodin beendete die Diskussion.»Hören Sie, wir haben einen Plan entwickelt, uns auf einen von mir gemachten Vorschlag geeinigt und einen Mann gesucht, der fähig und bereit ist, den Präsidenten der Republik Frankreich gegen Geld zu ermorden. Ich verstehe ein bißchen was von solchen Männern. Wenn es irgend jemand schafft, dann er. Wir haben die Weichen gestellt. Tun wir weiter unsere Arbeit, und lassen wir ihn seine verrichten.«

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