VIERTES KAPITEL

Weshalb sich ein Mann von so unbestreitbaren Gaben wie Paul Goossens in mittleren Jahren eine derart schwerwiegende Verfehlung hatte zuschulden kommen lassen können, war nicht nur seinen wenigen Freunden, sondern auch seinen um einiges zahlreicheren Kunden und nicht zuletzt der belgischen Polizei ein Rätsel geblieben. In den dreißig Jahren, in denen er als hochgeschätzte Fachkraft in der Fabrique Nationale in Liege arbeitete, hatte er sich auf einem technischen Spezialgebiet, auf dem Exaktheit absolut unerläßlich ist, den Ruf unfehlbarer Präzision erworben. Und was die Aufrichtigkeit seines Charakters betraf, so hatte es niemals auch nur den Schatten eines Zweifels gegeben. Darüber hinaus war er in jenen dreißig Jahren zum hervorragendsten Experten der Firma für alle Waffenarten und — typen geworden, die sie produziert und die von der winzigsten Damen-Automatic bis zum schwersten Maschinengewehr reichen.

Auch in den Kriegsjahren war sein Verhalten vorbildlich gewesen. Zwar hatte er nach der Besetzung in der dann von den Deutschen geleiteten Waffenfabrik für die Rüstung der Nazis weitergearbeitet, aber eine spätere eingehende Überprüfung seiner beruflichen Laufbahn ergab zweifelsfrei, daß er im Untergrund für die Resistance gearbeitet, sich privat an der

Gewährung sicheren Unterschlupfs für abgeschossene alliierte Flieger beteiligt und in der Fabrik einen Sabotagering geleitet hatte, der dafür sorgte, daß ein beträchtlicher Prozentsatz der hergestellten Waffen entweder nicht zielgenau feuerte oder beim fünfzigsten Schuß explodierte und die deutschen Schützen tötete.

Goossens war ein so bescheidener und zurückhaltender Mann, daß seine Verteidiger alles das später mühsam aus ihm herausholen mußten, um es in der Verhandlung triumphierend zu seiner Entlastung vorzubringen. Es trug wesentlich zur Milderung seines Strafmaßes bei, und die Geschworenen waren von seinem zögernden Eingeständnis beeindruckt, daß er sich über seine Tätigkeit während des Krieges deswegen ausgeschwiegen habe, weil ihm nachträglich erwiesene Ehrungen und verliehene Orden nur in Verlegenheit gebracht hätten.

Zu dem Zeitpunkt, als in den fünfziger Jahren ein ausländischer Kunde bei der Abwicklung eines einträglichen Waffengeschäfts um eine beträchtliche Summe Geldes geprellt worden und der Verdacht auf ihn gefallen war, hatte er die Stellung eines Abteilungsleiters bekleidet, und seine eigenen Vorgesetzten waren diejenigen gewesen, welche die von der Polizei hinsichtlich des hochgeschätzten Monsieurs Goossens geäußerten Mutmaßungen am entschiedensten zurückgewiesen hatten.Sogar vor Gericht hatte sich sein Generaldirektor für ihn eingesetzt. Aber der Vorsitzende war der Auffassung, daß der Mißbrauch einer Vertrauensstellung ein besonders strafwürdiges Vergehen sei, und verurteilte ihn zu zehn Jahren Gefängnis. In der Berufung wurde die Strafe auf fünf Jahre herabgesetzt. Wegen guter Führung war er nach dreieinhalb Jahren entlassen worden.

Seine Frau hatte sich von ihm scheiden lassen und die Kinder mit sich genommen. Mit dem Leben, das er früher als Vorortsbewohner in einem schmucken, von Blumenbeeten umgebenen Einzelhaus in einem der reizvolleren Außenbezirke von Liege (davon gibt es nicht viele) verbracht hatte, war es vorbei. Mit seiner Karriere bei der F. N. ebenfalls. Er bezog eine kleine Wohnung in Brüssel und später, als sein blühendes Geschäft, das die Unterwelt halb Westeuropas mit illegalen Waffen versorgte, steigende Einnahmen abwarf, ein Haus außerhalb der Stadt.

Seit den frühen sechziger Jahren war er in einschlägigen Kreisen als »L'Armurier«-»Der Büchsenmacher«- bekannt. Jeder belgische Staatsbürger kann sich in jedem Sport- oder Waffengeschäft gegen Vorlage einer Identitätskarte, die seine belgische Staatsangehörigkeit ausweist, eine tödliche Waffe — sei es einen Revolver, eine Automatic oder ein Gewehr — besorgen. Goossens benutzte nie seine eigene Karte, da jeder Waffen- und anschließende Munitionskauf vom Waffenhändler gebucht und der Name des Käufers sowie die Nummer seiner Identitätskarte eingetragen werden muß. Goossens benutzte die Identitätskarten anderer Leute, entweder gestohlene oder gefälschte.

Er stand in engen Geschäftsbeziehungen zu einem der erfolgreichsten Taschendiebe der Stadt, der, sofern er nicht gerade auf Staatskosten im Gefängnis gastierte, mühelos jede Brieftasche aus jeder beliebigen Reise-, Einkaufs-, Hand- oder Anzugtasche entwenden konnte. Goossens kaufte die Brieftaschen gegen Barzahlung direkt bei dem Dieb. Er hatte darüber hinaus einen Meisterfälscher an der Hand, der sich, nachdem er in den späten vierziger Jahren durch die Produktion großer Mengen französischer Francs in Schwierigkeiten geraten war, auf denen er versehentlich das» u «der» Banque de France «ausgelassen hatte (er war noch sehr jung gewesen damals), mit weitaus größerem Erfolg auf das Fälschen von Pässen verlegt hatte. Übrigens war es niemals Goossens selbst, der sich, wenn er für einen Kunden eine Feuerwaffe beschaffen mußte, dem Waffenhändler gegenüber mit einer säuberlich gefälschten Identitätskarte auswies, sondern stets irgendein arbeitsloser kleiner Gauner oder ein Schauspieler ohne Engagement.

Von seinen» Mitarbeitern «kannten nur der Taschendieb und der Fälscher seine wahre Identität. Desgleichen wußten einige seiner Kunden von ihr, vornehmlich die Bosse der belgischen Unterwelt, die ihn nicht nur ungestört seinen Geschäften nachgehen ließen, sondern ihm auch, weil er für sie nützlich war, einen gewissen Schutz gewährten, indem sie, wenn sie gefaßt wurden, hartnäckig jede Auskunft darüber verweigerten, woher sie ihre illegalen Waffen bezogen hatten. Das hinderte die belgische Polizei zwar nicht, sich über einen Teil seiner Tätigkeit durchaus im klaren zu sein, aber es hinderte sie, ihn jemals mit den in seinem Besitz befindlichen Waren zu erwischen oder sich Zeugenaussagen zu sichern, die vor Gericht aufrechterhalten worden wären und zu seiner Verurteilung geführt hätten. Die Polizei kannte die kleine, aber vorzüglich ausgerüstete Werkstatt, die er sich in seiner umgebauten Garage eingerichtet hatte, sehr wohl, wiederholte Razzien hatten jedoch nichts weiter zutage gefördert als gußeiserne Medaillons und Souvenirs, die Brüsseler Denkmälern nachgebildet waren. Bei ihrem letzten Besuch hatte Goossens dem Oberinspektor als Zeichen seiner Hochschätzung für die Hüter von Gesetz und Ordnung feierlich eine Nachbildung des Maeneken pis überreicht.

Er hatte keinerlei ungute oder sonstwie geartete Vorgefühle, als er am späten Vormittag des 21. Juli 1963 auf den Besuch eines Engländers wartete, für den sich einer seiner besten Kunden telephonisch verbürgt hatte — ein ehemaliger Söldner im Dienste Katangas, der inzwischen zum Boß einer Unterweltorganisation aufgestiegen war, deren Beschützerdienste sich die Freudenhäuser der belgischen Hauptstadt etwas kosten ließen.

Der Besucher erschien, wie vereinbart, um 12 Uhr, und Monsieur Goossens führte ihn in sein kleines Büro neben der Werkstatt.»Würden Sie bitte die Brille abnehmen?«fragte er, nachdem sein Besucher Platz genommen hatte, und fügte, als der Engländer zögerte, hinzu:»Sehen Sie, ich halte es für wichtig, daß wir einander für die Dauer unserer Geschäftsverbindung so weitgehend wie nur möglich vertrauen. Trinken Sie etwas?«

Der Mann nahm die dunkle Brille ab und starrte den kleinen Büchsenmacher, der zwei Gläser einschenkte, fragend an. Goossens nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, trank einen Schluck Bier und fragte:»Womit kann ich Ihnen dienen, Monsieur?«

«Ich nehme an, Louis hat Ihnen meinen Besuch avisiert?«

«Gewiß«, nickte Goossens.»Sonst wären Sie nicht hier.«

«Hat er Ihnen von meiner Tätigkeit erzählt?«

«Nein. Nur, daß er Sie von Katanga her kennt, daß er sich für Sie verbürgt, daß Sie eine Feuerwaffe benötigen und daß Sie bereit sind, in bar zu zahlen — Sterling.«

Der Engländer nickte bedächtig.»Nun ja, da mir bekannt ist, was für ein Geschäft Sie betreiben, sehe ich keinen Grund, warum Sie nicht auch über meines Bescheid wissen sollten — um so mehr, als die Waffe, die ich brauche, mit gewissen Zubehörteilen versehen werden müßte, die einigermaßen unüblich sein dürften. Ich bin auf die — ah — Beseitigung von Männern spezialisiert, die mächtige und reiche Gegner haben. Daß solche Männer zumeist selbst reich und mächtig sind, liegt auf der Hand. Es ist nicht immer so ganz leicht. Sie haben die nötigen Mittel, um sich von Spezialisten beschützen zu lassen. Ein solcher Job erfordert sorgfältige Planung und vor allem die richtige Waffe. Ich habe gerade einen derartigen Job übernommen. Ich brauche ein Gewehr.«

Goossens trank einen Schluck Bier und nickte seinem Gast wohlwollend zu.

«Ausgezeichnet, ich verstehe. Ein Spezialist, wie auch ich einer bin. Ich habe das Gefühl, das wird eine wirklich interessante Aufgabe. An welche Art von Gewehr denken Sie?«

«Wichtig ist nicht so sehr der Typ des Gewehrs. Worum es geht, das sind vielmehr die Beschränkungen, die durch die Art des Jobs bedingt sind, und die Frage, woher man ein Gewehr nimmt, das unter diesen Beschränkungen zufriedenstellend funktioniert.«

Monsieur Goossens Augen leuchteten vor Vergnügen.

«Eine Waffe also«, meinte er verklärt,»die für einen ganz bestimmten Mann und eine ganz bestimmte Aufgabe unter ganz bestimmten, unwiederholbaren Umständen nach Maß angefertigt werden müßte. Sie sind bei mir an die richtige Adresse geraten, Monsieur. Doch, doch, das würde mich schon reizen. Ich bin froh, daß Sie gekommen sind.«

Der Engländer mußte über den professionellen Enthusiasmus des Belgiers lächeln.»Ich auch, Monsieur«, sagte er.

«Nun, dann erzählen Sie mir zunächst einmal, welcher Art diese Beschränkungen sind.«

«Die Beschränkungen betreffen hauptsächlich die Maße, nicht die der Länge, sondern die des Umfangs der beweglichen Teile. Kammer und Verschluß dürfen nicht dicker sein als das… «Er hob die rechte Hand, deren Mittelfinger die Daumenkuppe mit dem Endglied berührte und so ein» o «bildete, dessen Durchmesser keine sechseinhalb Zentimeter betrug.

«Das bedeutet meiner Ansicht nach, daß es kein Mehrladegewehr sein kann, weil eine Gaskammer zu groß wäre. Aus dem gleichen Grund kommt auch ein Federmechanismus nicht in Frage«, sagte der Engländer.»Mir scheint, es wird sich nur um ein Bolzengewehr handeln können.«

Goossens sah zur Decke hinauf, während er sich im Geiste das Bild von einem Gewehr zu machen versuchte, dessen Verschlußteile sich, wie es sein Besucher wünschte, durch außerordentliche Schlankheit auszeichneten.»Gut, weiter.«

«Andererseits darf es keinen Bolzen mit einem Riegel haben, der wie bei der Mauser 7.92 oder der Lee Enfield.303 seitlich herausragt. Der Bolzen muß sich zum Einlegen des Geschosses in die Kammer mit Daumen und Zeigefinger fassen und spielend leicht auf der Kammerbahn zur Schulter hin zurückschieben lassen. Ebensowenig darf es einen Abzugbügel geben, und der Abzug selbst muß abnehmbar sein, damit er erst unmittelbar vor dem Feuern aufgesetzt zu werden braucht.«»Warum das?«fragte der Belgier.

«Weil der ganze Mechanismus in einem röhrenförmigen Behälter untergebracht und transportiert werden muß und der Behälter nicht auffallen soll. Zu diesem Zweck darf sein Durchmesser aus Gründen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, nicht größer sein, als ich eben angegeben habe. Ist es möglich, einen abnehmbaren Abzug herzustellen?«

«Gewiß, möglich ist fast alles. Natürlich könnte man ein Einzelladegewehr entwerfen, das zum Laden wie eine Schrotflinte aufgeklappt wird. Das würde den Bolzen gänzlich überflüssig machen, aber ein Gelenk erfordern und wäre insofern wohl nicht unbedingt von Vorteil. Außerdem müßte ein solches Gewehr von Grund auf neu entworfen, angefertigt und dabei das für Kammer und Schloß benötigte Metallstück gewalzt werden. Keine ganz leichte Aufgabe in einer so kleinen Werkstatt, aber doch zu schaffen.«

«Wie lange würden Sie dazu brauchen?«fragte der Engländer.Der Belgier zuckte mit den Achseln und hob die Hände.»Ein paar Monate schon, fürchte ich.«»So viel Zeit habe ich nicht.«

«In dem Fall wird es nötig sein, sich ein im Handel erhältliches Gewehr zu beschaffen und daran die entsprechenden Änderungen vorzunehmen. Bitte, fahren Sie fort.«

«Gut. Die Büchse muß außerdem leicht sein. Sie braucht kein schweres Kaliber zu haben, das Geschoß wird schon seine Wirkung tun. Der Lauf muß kurz sein, nach Möglichkeit nicht länger als dreißig Zentimeter…«

«Aus welcher Entfernung werden Sie feuern müssen?«» Das steht noch nicht fest, aber vermutlich werden es nicht mehr als hundertdreißig Meter sein.«

«Wollen Sie einen Kopf- oder einen Brustschuß abfeuern?«»Es wird wahrscheinlich ein Kopfschuß sein müssen. Möglicherweise bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die Brust zu zielen, aber der Kopf ist sicherer.«

«Mit größerer Sicherheit tödlich, ja, wenn Sie treffen«, sagte der Belgier.»Aber sicherer zu treffen ist die Brust. Zumindest, wenn man eine leichte Waffe mit kurzem Lauf über eine Entfernung von hundertdreißig Meter benutzt — und das womöglich unter hinderlichen Umständen. Aus Ihrer Unbestimmtheit, was diesen einen Punkt betrifft — ob Kopf- oder Brustschuß —, schließe ich, daß irgend jemand dazwischentreten könnte?«»Ja, das könnte schon sein.«

«Glauben Sie, daß Sie die Chance haben werden, einen zweiten Schuß abzugeben — wo Sie doch einige Sekunden benötigen, um die leere Patronenhülse herauszunehmen, eine zweite einzulegen, den Verschluß zu betätigen und neuerlich zu zielen?«

«Das halte ich für so gut wie ausgeschlossen, es sei denn, ich hätte einen Schalldämpfer aufgesetzt und das Ziel mit dem ersten Schuß so weit verfehlt, daß von keinem Umstehenden etwas bemerkt worden wäre. Aber auch wenn ich gleich mit dem ersten Schuß die Stirn treffe, brauche ich den Schalldämpfer, um mir die Flucht zu sichern. Es müssen ein paar Minuten verstreichen, bevor irgend jemand aus der näheren Umgebung des Getroffenen auch nur annähernd begreift, aus welcher Richtung der Schuß gekommen ist.«

Der Belgier, der jetzt nicht mehr zur Zimmerdecke hinauf, sondern auf den Schreibblock vor sich starrte, nickte mehrmals.

«In diesem Fall wird es besser sein, wenn Sie Explosivgeschosse verwenden. Ich kann Ihnen eine Handvoll davon zusammen mit dem Gewehr zurechtmachen. Sie wissen, was ich meine?«Der Engländer nickte.»Glyzerin oder Quecksilber?«»Oh, Quecksilber, würde ich meinen. Das ist hübscher und sauberer. Gibt es noch weitere Punkte zu besprechen, die das Gewehr betreffen?«

«Ich fürchte, ja. Um die Waffe möglichst schlank zu halten, sollte nicht nur der Schaft, sondern auch der Kolben entfernt werden. Zum Feuern müßte es eine Schulterstütze erhalten, deren drei Teile sich wie beim Sten-Gewehr auseinanderschrauben lassen. Und schließlich muß es sowohl mit einem hundertprozentig funktionierenden Schalldämpfer als auch mit einem Zielfernrohr ausgestattet sein. Beides muß sich zur Lagerung und zum Transport abschrauben lassen.«

Der Belgier dachte sehr lange nach und trank gemächlich schluckend sein Bier aus. Der Engländer wurde ungeduldig.»Also, wie ist es — werden Sie es schaffen?«Goossens schien aus seinen Träumereien zu erwachen. Er lächelte, um Entschuldigung bittend.

«Verzeihen Sie. Es ist ein recht komplexer Auftrag. Aber ja, selbstverständlich schaffe ich das. Schließlich habe ich bislang noch jeden gewünschten Artikel produzieren können. Was Sie da beschrieben haben, ist recht eigentlich eine Jagdexpedition, bei der die Ausrüstung gewisse Kontrollen passieren muß, ohne Mißtrauen zu erwecken. Auf einer Jagdexpedition braucht man ein Jagdgewehr, und das ist es, was Sie bekommen werden. Kein.22er-Kaliber-Gewehr, denn das ist für Hasen und Kaninchen gedacht, aber auch keine.300er-Kanone wie die Remington, weil die sich niemals auf die von Ihnen gewünschten Größenmaße reduzieren ließe.

Ich glaube, das Gewehr, an das ich denke, wäre schon richtig für Ihre Zwecke. Ein erstklassiges Präzisionsgewehr, das hier in Brüssel in einigen Sportgeschäften zu haben ist. Außerordentlich zielgenau gearbeitet, dabei leicht und schlank. Wird viel für die Gamsjagd und zum Erlegen von anderem Kleinwild benutzt, dürfte aber mit Explosivgeschossen für lohnendere Ziele genau das Richtige sein. Sagen Sie, wird der — hm — Gentleman sich rasch, langsam oder überhaupt nicht bewegen?«»Letzteres.«»Dann ist es kein Problem. Die Anfertigung einer aus drei getrennten Stahlstreben bestehenden Schulterstütze sowie eines abschraubbaren Abzugshahns ist bloßes Handwerk. Die Befestigung des Schalldämpfers am Ende des Laufs wie auch dessen Kürzung um zwanzig Zentimeter kann ich selbst vornehmen. Man verliert an Zielgenauigkeit, wenn man den Lauf verkürzt. Schade, schade. Sind Sie Scharfschütze?«

Der Engländer nickte.

«Dann werden Sie auf hundertdreißig Meter Entfernung mit einem Zielfernrohr bei unbewegtem menschlichem Ziel kaum Schwierigkeiten haben. Was den Schalldämpfer betrifft, so werde ich den selbst bauen. Schalldämpfer sind alles andere als kompliziert, aber im Handel schwer zu bekommen, besonders die langen für Gewehre, weil die zur Jagd nicht gebraucht werden. Nun, Monsieur, Sie sprachen vorhin von zylindrischen Behältern, in denen Sie das zerlegte Gewehr transportieren wollen. Woran hatten Sie gedacht?«

Der Engländer stand auf und ging zum Schreibtisch hinüber. Über den kleinen Belgier gebeugt, ließ er seine Hand in die Innentasche seiner Jacke gleiten, und eine Sekunde lang schien in den Augen des kleinen Mannes Furcht aufzuflackern. Zum erstenmal bemerkte der

Belgier, daß die Augen des Engländers von dem Ausdruck, den sein Gesicht zeigte, gänzlich unberührt blieben und von grauen, streifigen Flecken wie von Rauchschleiern durchzogen waren, die jede Regung, welche sich dort verraten mochte, undurchdringlich verbargen. Aber der Engländer holte nur einen silbernen Kugelschreiber hervor.

Er drehte Goossens Schreibblock zu sich herum und fertigte mit raschen Strichen eine Skizze an.

«Können Sie das erkennen?«fragte er dann und schob den Block wieder dem Büchsenmacher zu.

«Aber natürlich«, erklärte der Belgier, nachdem er einen Blick auf die präzis gezeichnete Skizze geworfen hatte.

«Gut. Also, das Ganze besteht aus einer Anzahl hohler Aluminiumröhren, die zusammengeschraubt sind. Dieses Rohrstück hier«- er deutete mit der Spitze des Kugelschreibers auf eine Stelle des Diagramms —»enthält eine Strebe des Gewehrkolbens und das da die andere. Beide sind in den Röhren verborgen, die zusammen diesen Teil ergeben. Das dort ist die Schulterstütze des Gewehrs und also der einzige Teil, der einen doppelten Zweck erfüllt, ohne im geringsten verändert zu werden. Und hier«- er tippte mit der Spitze des Kugelschreibers auf einen anderen Punkt der Skizze, während sich die Augen des Belgiers vor Überraschung weiteten —,»an der dicksten Stelle, wird die Röhre mit dem größten Durchmesser montiert, die die Kammer mit dem darin befindlichen Bolzen aufnimmt. Von hier ab verjüngt sie sich zum Lauf hin ohne Unterbrechung. Da das Zielfernrohr die Visiereinrichtung überflüssig macht, gleitet das Ganze aus diesem Teil heraus, wenn die Röhre aufgeschraubt wird. Die letzten beiden Abschnitte — hier und hier — enthalten das Fernrohr und den Schalldämpfer. Und dann die Geschosse — die sollten in dem kleinen Stumpf dort unten verwahrt werden. Wenn das ganze Ding zusammengesetzt ist, muß man es für genau das halten, wonach es aussieht. Sobald man es in seine sieben Abschnitte zerlegt, können die Geschosse, der Schalldämpfer, das Zielfernrohr, das Gewehr und die drei Streben, welche die Schulterstütze bilden, herausgenommen und zu einem voll funktionsfähigen Gewehr zusammengesetzt werden. O.K.?«

Der kleine Belgier blickte noch einige Sekunden länger unverwandt auf das Diagramm. Dann stand er langsam auf und streckte dem Engländer die Hand hin.

«Monsieur«, sagte er bewundernd,»das ist eine geniale Konzeption. Absolut unerkennbar und doch ganz einfach. Genauso werde ich es Ihnen machen.«

Der Engländer zeigte sich weder erfreut noch verstimmt.»Gut«, sagte er.»Dann kommen wir jetzt zur Frage des Termins. Ich werde die Waffe in etwa vierzehn Tagen brauchen. Läßt sich das einrichten?«

«Ja. Ich kann das Gewehr innerhalb von drei Tagen besorgen. Die notwendigen Änderungen müßten in einer Woche zu machen sein. Der Kauf des Teleskops ist kein Problem.

Hinsichtlich der Wahl des Fabrikats können Sie sich ganz auf mich verlassen, ich weiß, was bei einer Distanz über hundertdreißig Meter, von der Sie sprachen, gebraucht wird. Das Kalibrieren und die Festlegung der Nulleinstellung des optischen Geräts bleibt besser Ihrem eigenen Belieben überlassen. Die Anfertigung des Schalldämpfers, das Aufladen der Geschosse und die Konstruktion des äußeren Behälters — ja, das ist in der vorgesehenen Zeit zu schaffen, wenn ich alles andere zurückstelle. Dennoch wäre es besser, wenn Sie, für den Fall, daß in letzter Minute noch irgendwelche Einzelheiten zu be-sprechen sein sollten, um einen oder zwei Tage früher kämen. Könnten Sie in zwölf Tagen wieder hier sein?«

«Ja, ab nächster Woche, von heute an gerechnet, kann ich in den darauffolgenden sieben Tagen jederzeit kommen. Aber vierzehn Tage sind der äußerste Termin. Ich muß am 4.

August wieder in London sein.«

«Sie werden die bis ins letzte Detail Ihren Wünschen entsprechend angefertigte Waffe am 4. August vormittags in Empfang nehmen können, sofern es Ihnen möglich sein wird, am 1. August zu abschließender Diskussion und Abholung hier einzutreffen, Monsieur.«

«Gut. Bliebe noch die Frage Ihres Honorars und Ihrer Auslagen zu klären. Haben Sie eine Ahnung, wie hoch sie sich belaufen werden?«

Der Belgier überlegte eine Weile.»Für einen Job solcher Art und die Arbeiten, die damit verbunden sind, für den Gebrauch der Werkzeuge und für meine eigenen Spezialkenntnisse muß ich ein Honorar von eintausend englischen Pfund fordern. Ich gebe zu, das ist mehr als der übliche Preis für ein einfaches Gewehr, aber dies ist kein einfaches Gewehr. Es muß ein Kunstwerk werden. Ich glaube der einzige Mann in Europa zu sein, der in der Lage ist, Ihnen genau das zu liefern, was Sie benötigen, eine wirklich perfekte Arbeit. So wie Sie auf Ihrem Gebiet, Monsieur, bin ich auf meinem der Beste. Für das Beste muß man zahlen. Dazu kämen dann noch die Anschaffungskosten der Waffe, der Geschosse, des Fernrohrs und der Rohmaterialien — sagen wir, alles in allem weitere zweihundert Pfund.«

«Gemacht«, sagte der Engländer. Er langte wiederum in seine Brusttasche und holte ein Bündel Fünfpfundnoten hervor. Sie waren in Päckchen zu je zwanzig Scheinen sortiert. Er zählte fünf Päckchen ab.

«Ich würde vorschlagen«, fuhr er fort,»daß ich, um meinen guten Glauben zu demonstrieren, eine Anzahlung in Höhe von fünfhundert Pfund als Vorschuß und zur Deckung der Unkosten leiste. Die restlichen siebenhundert Pfund werde ich mitbringen, wenn ich in elf Tagen wiederkomme. Sind Sie damit einverstanden?«

«Monsieur«, sagte der Belgier und steckte das Geld sorgsam in seine Brieftasche,»es ist ein Vergnügen, mit jemandem ein Geschäft abzuschließen, der ein Profi und ein Gentleman zugleich ist.«

«Und noch etwas«, fuhr der Engländer fort, als sei er nicht unterbrochen worden.»Sie werden Ihrerseits keinen weiteren Versuch machen, Louis zu kontaktieren. Sie werden weder ihn noch sonst jemanden fragen, wer ich bin und was es mit meiner wahren Identität auf sich hat. Auch werden Sie nicht herauszufinden suchen, für wen ich arbeite und ebensowenig gegen wen. Falls Sie dergleichen dennoch versuchen sollten, bekomme ich todsicher Wind davon. In diesem Fall werden Sie sterben. Sollte sich bei meiner Rückkehr nach hier herausstellen, daß irgendein Versuch unternommen worden ist, die Polizei zu informieren oder mir eine Falle zu stellen, werden Sie ebenfalls sterben. Ist das klar?«

Goossens war schmerzlich berührt. Im Gang stehend, blickte er zu dem Engländer hinauf, während sich in seinen Eingeweiden kalte Furcht zu regen begann. Er war vielen skrupellosen Männern der belgischen Unterwelt begegnet, die ihn aufgesucht hatten, um spezielle oder unübliche Waffen in Auftrag zu geben oder auch einfach einen regulären, stumpfnasigen Colt Special. Das waren harte Männer. Aber der Besucher von jenseits des Kanals, der einen bedeutenden und sorgsam bewachten Mann zu töten beabsichtigte — keinen Gangsterboß, sondern einen großen Mann, möglicherweise einen Politiker —, hatte etwas Unnahbares und zugleich Unerbittliches an sich.

Der Belgier dachte einen Moment lang daran, sich gegen die Unterstellung zu verwahren, besann sich dann jedoch eines Besseren.

«Monsieur«, sagte er leise, aber deswegen doch nicht weniger eindringlich,»ich will gar nichts über Sie wissen, überhaupt nichts. Das Gewehr, das Sie erhalten, wird keine Seriennummer tragen. Sehen Sie, für mich ist es wichtiger, sicherzustellen, daß von dem, was Sie tun, nicht etwa eine Spur zu mir führt, als meinerseits zu versuchen, mehr über Sie in Erfahrung zu bringen. Bonjour, monsieur. «

Der Schakal trat in den strahlenden Sonnenschein hinaus und winkte zwei Straßenecken weiter ein leeres Taxi heran, das ihn in die Stadt zurück und zum Hotel Amigo fuhr.

Er vermute te zwar, daß Goossens, um Gewehre erwerben zu können, einen Fälscher beschäftigte, zog es jedoch vor, sich einen Mann seiner Wahl zu suchen. Wieder war ihm

Louis, sein Kumpan aus den alten Tag in Katanga, dabei behilflich. Nicht, daß es sonderlich schwierig gewesen wäre. Brüssel hat eine lange Tradition als Zentrum der IdentitätskartenFälscherindustrie, und nicht wenige Ausländer wissen die Leichtigkeit, mit der man sich dort auf diesem Gebiet helfen lassen kann, zu schätzen. In den frühen sechziger Jahren hatte sich Brüssel darüber hinaus zur Operationsbasis der Söldner entwickelt, denn damals waren die französischen und südafrikanischen bzw. englischen Einheiten, die später in diesem Gewerbe dominieren sollten, noch nicht im Kongo aufgetaucht. Seit dem Verlust Katangas trieben sich mehr als dreihundert arbeitslose» Militärberater «des alten Tschombe-Regimes, von denen viele im Besitz mehrerer falscher Ausweise waren, in den Bars und Kneipen des Bordellviertels herum.

Der Schakal traf seinen Mann in einer Bar hinter der rue Neuve, nachdem Louis die Zusammenkunft vereinbart hatte. Er stellte sich vor, und die beiden zogen sich in einen Eckalkoven zurück. Der Schakal zog seinen Führerschein hervor, der auf seinen eigenen Namen lautete, vor zwei Jahren vom London County Council ausgestellt und noch zwei Monate gültig war.

«Der gehörte einem Mann, der nicht mehr am Leben ist«, erklärte er dem Belgier.»Da ich in Großbritannien Fahrverbot habe, brauche ich eine neue Vorderseite mit meinem eigenen Namen darauf.«

Dann legte er dem Fälscher den auf den Namen Duggan ausgestellten Paß vor. Der Mann warf einen Blick darauf, sah, daß er erst vor drei Tagen ausgestellt worden war, und lächelte den Engländer durchtrieben an.

«En effet«, murmelte er und sah sich den aufgeschlagenen kleinen roten Führerschein genauer an. Nach ein paar Minuten blickte er auf.

«Keine Schwierigkeit, Monsieur. Die britischen Beamten sind Gentlemen. Scheinen nicht für möglich zu halten, daß amtliche Ausweise gefälscht werden können, und treffen daher keine nennenswerten Vorsichtsmaßnahmen. Dieser Fetzen«- er wies auf das kleine Papier, das auf die erste Seite des Ausweises geklebt war und die Nummer der Lizenz und den vollen Namen des Inhabers trug —»könnte mit einem Spielzeug-Setzkasten angefertigt werden. Das Wasserzeichen ist leicht nachzumachen. Das Ganze ist überhaupt kein Problem. War das alles, was Sie von mir wollten?«

«Nein. Da wären noch zwei weitere Ausweise.«

«Ah. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es kam mir merkwürdig vor, daß Sie mich wegen einer so simplen Sache kontaktiert haben sollten. Es muß bei Ihnen in London genügend Männer geben, die dergleichen in zwei Stunden für Sie erledigen. Diese beiden anderen Ausweise — was sind das für welche?«

Der Schakal beschrieb sie ihm bis in die letzten Einzelheiten. Die Augen des Belgiers verengten sich, während er scharf nachdachte. Er holte eine Schachtel» Bastos «heraus, bot dem Engländer, der ablehnte, eine Zigarette an und entzündete sich selbst eine.

«Das ist nicht so einfach. Mit der französischen Identitätskarte ginge es schon. Es gibt genügend davon, nach denen man arbeiten kann. Sie verstehen, man muß nach einem Original arbeiten, um die besten Resultate zu bekommen. Aber die andere. Also, von der Sorte habe ich in meinem Leben noch keine gesehen, glaube ich. Das ist eine ganz ungewöhnliche Aufgabe.«

Er schwieg, während der Schakal einen vorbeikommenden Kellner beauftragte, ihre Gläser nachzufüllen. Als der Kellner gegangen war, fuhr er fort.

«Und dann das Photo. Das wird nicht leicht sein. Es muß einen Unterschied im Alter, in der Haarfarbe und — länge zeigen, sagen Sie. Wer falsche Papiere braucht, will meist sein eigenes Bild darauf haben und eine geänderte Personenbeschreibung dazu. Aber ein neues Photo zu machen, das Ihnen, so wie Sie heute aussehen, noch nicht einmal ähnlich sein soll, das kompliziert die Dinge.«

Er trank sein Bier, während er den Engländer unverwandt anstarrte, zur Hälfte aus.»Um das zu schaffen, ist es nötig, einen Mann zu finden, der annähernd das Alter des Inhabers der Karten und zudem eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen hat, jedenfalls soweit es Kopf und Gesicht betrifft, und ihm das Haar in der Länge zu schneiden, die Sie verlangen. Als nächstes muß dann eine Photographie dieses Mannes auf die Karte praktiziert werden. Und von da ab läge es bei Ihnen, Ihre Maske dem Äußeren dieses Mannes anzupassen und nicht andersherum. Können Sie mir folgen?«

«Ja«, sagte der Schakal.

«Das wird ein bißchen dauern. Wie lange bleiben Sie in Brüssel?«

«Nicht lange«, sagte der Schakal.»Ich muß ziemlich bald abreisen, aber ich könnte am 1.August wiederkommen. Von da ab könnte ich drei Tage bleiben. Am Vierten muß ich nach London zurück. «Der Belgier dachte eine Weile nach und starrte dabei unverwandt auf das Photo in dem vor ihm liegenden Paß. Schließlich klappte er ihn zu, und nachdem er sich auf einem Stück Papier, das er aus seiner Tasche holte, den Namen Alexander James Quentin Duggan notiert hatte, reichte er ihn dem Engländer zurück. Den Führerschein und das Stück Papier steckte er ein.

«Geht in Ordnung. Aber ich muß zwei gute Porträtphotos von Ihnen haben, die Sie im Profil und en face zeigen, wie Sie jetzt aussehen. Das braucht seine Zeit. Und Geld. Es sind Extrakosten damit verbunden… Es kann möglich sein, daß ich mit einem Kollegen, der sich auf Taschendiebstahl versteht, nach Frankreich gehen muß, um die zweite dieser beiden Karten, von denen Sie sprechen, zu besorgen. Selbstverständlich werde ich es zunächst in und um Brüssel herum versuchen, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß eine solche Reise unumgänglich wird…«

«Wieviel?«unterbrach ihn der Engländer.»Zwanzigtausend Belgische Francs.«

Der Schakal überlegte einen Augenblick.»Etwa hundertzwanzig Pfund Sterling. Gut. Ich werde Ihnen hundert Pfund anzahlen, und den Rest bekommen Sie bei Lieferung.«

Der Belgier erhob sich.»Dann machen wir jetzt am besten die Porträtphotos. Ich habe ein eigenes Studio.«

Sie fuhren im Taxi zu einer etwa drei Kilometer entfernten kleinen Kellerwohnung, die sich als das verschmutzte, schäbige Atelier eines Photographen erwies, der laut Firmenschild darauf spezialisiert war, Paßphotos aufzunehmen, auf deren Entwicklung der Kunde warten konnte. Im Schaufenster prangten die unvermeidlichen Photos von jener Art, die der Passant für die Höhepunkte der bisherigen Arbeit des Inhabers halten mußte — zwei gräßlich retuschierte Porträts geziert lächelnder Mädchen, das Hochzeitsbild eines Paars, das unsympathisch genug aussah, um die Einrichtung der Ehe schlechthin in Frage zu stellen, und zwei Babyphotos. Der Belgier ging die Treppe hinunter zur Ladentür voran, schloß sie auf und führte seinen Gast hinein.

Die Sitzung dauerte zwei Stunden, in denen der Belgier eine Geschicklichkeit im Umgang mit der Kamera bewies, wie sie der Schöpfer der im Fenster ausgestellten Photos unmöglich besitzen konnte. Eine große Kiste in der Ecke, die er mit seinem eigenen Schlüssel aufschloß, enthielt eine Anzahl teurer Kameras und Blitzlichtgeräte sowie Unmengen maskenbildnerischer Artikel einschließlich diverser Haarfärbe- und Bleichmittel, Toupets und Perücken, ferner Brillen in großer Auswahl sowie einen Schminkkasten.

Mitten in der Sitzung kam dem Belgier eine Idee, welche die Suche nach einem Ersatzmann, der für das endgültige Photo posierte, überflüssig machte. Während er die Wirkung der auf das Make-up des Schakals verwandten halbstündigen Arbeit studierte, begann er plötzlich in der Kiste zu kramen und holte eine Perücke hervor.

«Was halten Sie hiervon?«fragte er. Die Perücke war eisengrau und en brosse geschnitten.»Meinen Sie, daß Ihr eigenes Haar, in dieser Länge geschnitten und in diesem Ton gefärbt, so aussehen könnte?«

Der Schakal nahm die Perücke und sah sie sich näher an.»Wir können es ja versuchen und dann sehen, wie es auf dem Photo wirkt«, schlug er vor.

Und es klappte. Nachdem er sechs Aufnahmen von seinem Kunden gemacht hatte, kam der Belgier mit einer Anzahl feuchter Abzüge aus der Dunkelkammer. Gemeinsam beugten sie sich über den Tisch, auf dem ihnen das Gesicht eines alten, erschöpften Mannes entgegenstarrte. Seine Haut war aschgrau, und die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten von Müdigkeit und Schmerz. Der Mann war bartlos, aber das graue Haupthaar ließ darauf schließen, daß er ein Fünfziger sein mußte, und noch dazu kein sonderlich robuster Fünfziger.»Ich glaube, es wird gehen«, meinte der Belgier.»Das Dumme ist nur, daß Sie eine halbe Stunde lang mit allen möglichen Kosmetika an mir herumarbeiten mußten, um diesen Effekt zu erzielen. Dazu kam dann noch die Perücke. Ich kann das unmöglich alles selbst schaffen. Dabei haben wir hier künstliches Licht, während ich die Papiere, die ich benötige, bei Tageslicht vorweisen muß.«

«Aber genau das ist nicht der Punkt, um den es sich dreht«, erwiderte der Belgier rasch.»Es geht weniger darum, daß Sie nicht der genaue Abklatsch des Photos sind, sondern vielmehr darum, daß das Photo nicht der genaue Abklatsch von Ihnen ist. Das Gehirn eines Mannes, der Ausweise kontrolliert, arbeitet folgendermaßen: Zuerst sieht er dem Inhaber des Ausweises ins Gesicht, dann verlangt er die Papiere. Und dann schaut er sich das Photo an. Der erste Eindruck von dem Gesicht des vor ihm stehendenMannes hat sich ihm schon eingeprägt. Das beeinflußt sein Urteil. Er achtet auf übereinstimmende, nicht auf abweichende Details.

Zweitens mißt dieser Abzug hier zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter, während das Photo auf der Identitätskarte nicht größer als drei mal vier sein wird. Drittens sollte eine allzu genaue Ähnlichkeit vermieden werden. Wenn die Karte schon vor einigen Jahren ausgestellt wurde, ist es ganz ausgeschlossen, daß der Mann sich inzwischen kein bißchen verändert haben sollte. Auf dem Photo hier haben wir Sie in einem offenen gestreiften Hemd mit festem Kragen. Vermeiden Sie es zum Beispiel, dieses Hemd oder überhaupt Hemden mit offenem Kragen anzuziehen. Tragen Sie eine Krawatte, ein Halstuch oder einen Sweater mit Rollkragen.

Und schließlich ist keine der Veränderungen, die ich an Ihnen vorgenommen habe, schwer zu simulieren. Die Hauptsache ist selbstverständlich das Haar. Es muß einen Bürstenschnitt bekommen und grau gefärbt werden — vielleicht sogar noch grauer als auf dem Photo, aber jedenfalls nicht weniger grau —, bevor Sie das Photo vorweisen. Lassen Sie sich, um den Eindruck von Alter und Hinfälligkeit zu verstärken, einen drei Tage alten Stoppelbart stehen. Rasieren Sie sich dann mit einem Klapprasiermesser, aber schlecht, und schneiden Sie sich an ein paar Stellen. Alte Männer tun das häufig. Und was die Haut betrifft — also die ist sehr wichtig. Um Mitleid zu erregen, muß sie grau und schlaff wirken, möglichst wächsern und kränklich aussehen. Können Sie sich ein paar Stückchen Kordit besorgen?«

Der Schakal hatte den Ausführungen des Fälschers voller Bewunderung gelauscht, wenngleich sein Gesicht davon nichts verriet. Zum zweitenmal an ein und demselben Tag war er einem Profi begegnet, der sich auf seinem Gebiet wirklich auskannte. Er beschloß, sich Louis in angemessener Form erkenntlich zu zeigen — nachdem der Job erledigt war.

«Das müßte sich schon machen lassen«, sagte er zurückhaltend.

«Zwei oder drei Körnchen Kordit, zerkaut hinuntergeschluckt, erzeugen innerhalb einer halben Stunde ein Gefühl leichter Übelkeit, das unbehaglich, aber nicht weiter schlimm ist.

Sie bewirken außerdem, daß die Gesichtshaut grau und schweißig wird. Wir haben diesen Trick in der Armee angewandt, wenn wir uns vor Extradienst oder Gewaltmärschen drücken wollten.«

«Herzlichen Dank für die Information. Und was das andere betrifft — glauben Sie, daß Sie die Papiere rechtzeitig liefern können?«

«Rein technisch gesehen, dürfte es kein Problem darstellen. Die einzige Schwierigkeit, die noch verbleibt, ist die Beschaffung eines Originals des zweiten französischen Dokuments. Da wird die Zeit vielleicht ein wenig knapp werden. Aber wenn Sie in den ersten Augusttagen zurückkommen, kann ich sie, glaube ich, allesamt für Sie fertig haben. Sie — äh — sprachen von einer Anzahlung zur Deckung der Unkosten…«

Der Schakal griff in die Innentasche seiner Jacke und zog ein einzelnes Bündel von zwanzig Fünfpfundnoten hervor, das er dem Belgier überreichte.

«Wie setze ich mich mit Ihnen wieder in Verbindung?«fragte er.

«Auf die gleiche Weise wie heute würde ich vorschlagen.«

«Das ist mir zu unsicher. Womöglich ist mein Kontaktmann unerreichbar oder gerade nicht in der Stadt. Ich hätte dann keine Möglichkeit, Sie zu finden.«

Der Belgier überlegte kurz und sagte dann:»Ich werde an jedem der drei ersten Augusttage von 18 bis 19 Uhr in der Bar, in der wir uns heute getroffen haben, auf Sie warten. Wenn Sie nicht kommen, ist die Sache, was mich betrifft, abgeblasen.«

Der Engländer hatte die Perücke abgenommen und sich mit einem in eine Abschminkflüssigkeit getauchten Handtuch das Gesicht abgewischt. Schweigend band er sich die Krawatte und schlüpfte in seine Jacke. Dann wandte er sich an den Belgier.

«Es gibt da ein paar Dinge, über die zwischen uns keine Mißverständnisse aufkommen sollten«, sagte er. Seine Stimme, aus der alle Freundlichkeit gewichen war, klang jetzt kalt, und das Grau seiner auf den Belgier gerichteten Augen hatte den farblos-bleichen Ton undurchsichtiger Nebelschwaden.»Wenn Sie alles besorgt und erledigt haben, werden Sie sich, wie vereinbart, in der Bar einfinden. Sie werden mir den neuen Führerschein liefern und die aus dem alten entfernte Seite zurückgeben, desgleichen mir alle Negative und Abzüge der Photos, die Sie eben aufgenommen haben, aushändigen. Sie werden den Namen Duggan wie auch den des ursprünglichen Eigentümers dieses Führerscheins vergessen. Den Namen auf den beiden französischen Ausweisen, die Sie anfertigen werden, können Sie nach eigenem Gutdünken aussuchen, vorausgesetzt, daß er einfach und in Frankreich gebräuchlich ist.Nachdem Sie mir die beiden Ausweise ausgehändigt haben, werden Sie auch diesen Namen vergessen. Sie werden mit niemandem über diesen Auftrag sprechen. Falls Sie gegen irgendeine dieser Bedingungen verstoßen, werden Sie sterben. Haben wir uns verstanden?«Der Belgier starrte ihn ein paar Sekunden lang wortlos an. In den vergangenen drei Stunden war er zu der Auffassung gelangt, daß es sich bei dem Engländer um einen nicht sonderlich bedeutenden Kunden handelte, der nichts weiter vorhatte, als in Großbritannien einen Wagen zu fahren und sich in Frankreich aus irgendwelchen persönlichen Gründen als älterer Mann zu verkleiden. Vielleicht ein Schmuggler, der Rauschgift oder Diamanten von einem einsamen bretonischen Fischerdorf nach England transferierte. Aber eigentlich doch ein recht sympathischer Typ. Jetzt änderte er seine Meinung.

«Voll und ganz, Monsieur«, sagte er.

Wenige Sekunden später war der Engländer in die Dunkelheit der Nacht hinausgetreten. Erst fünf Querstraßen weiter nahm er ein Taxi, das ihn zum Amigo zurückbrachte. Es war Mitternacht, als er dort ankam. Er ließ sich eine Flasche Mosel und ein kaltes Brathähnchen aufs Zimmer bringen, badete ausgiebig, um die letzten Spuren des Make-up zu beseitigen, und ging schlafen.

Am anderen Morgen zahlte er die Hotelrechnung und bestieg den Brabant-Expreß nach Paris. Es war der 22. Juli.

Um die gleiche Zeit saß der Chef des Aktionsdienstes des SDECE an seinem Schreibtisch und blickte auf die beiden Schriftstücke, die vor ihm lagen. Es handelte sich um Kopien zweier von Agenten oder anderen Dienststellen übermittelter Routineberichte. Beide trugen oben auf der Seite eine Verteilerliste mit den Namen der zu ihrer Lektüre autorisierten Abteilungschefs. Sie enthielten auch seinen eigenen Namen, der mit einem Kreuzchen versehen war. Beide

Berichte waren an diesem Morgen eingetroffen, und normalerweise würde Oberst Rolland sie überflogen, ihren Inhalt irgendwo in seinem unglaublichen Gedächtnis gespeichert und die Berichte dann unter verschiedenen Stichwörtern abgelegt haben. Aber es hatte da einen Namen gegeben, der in beiden Berichten aufgetaucht war, einen Namen, der seine Aufmerksamkeit erregte. Bei dem Bericht, der zuerst eingetroffen war, handelte es sich um ein abteilungsinternes Memorandum von R 3 (Westeuropa), das die Zusammenfassung einer Meldung ihres ständigen Büros in Rom enthielt. Sie besagte, daß Rodin, Montclair und Casson noch immer in ihrer Zimmerflucht im obersten Stockwerk des römischen Hotels hockten, wo sie sich nach wie vor von acht Fremdenlegionären bewachen ließen. Sie hatten das Gebäude, seit sie am 18. Juni eingezogen waren, nicht ein einziges Mal verlassen. Aus Paris waren zusätzliche Beamte der Abteilung R 3 nach Rom beordert worden, um die dortigen Agenten bei der Tag und Nacht aufrechterhaltenen Überwachung des Hotels zu unterstützen. Die Anweisungen aus Paris lauteten unverändert dahingehend, daß nichts unternommen, die Beobachtung jedoch fortgesetzt werden solle. Drei Wochen zuvor hatten die Männer im Hotel ein bestimmtes Schema festgelegt, nach welchem sie die Verbindung mit der Außenwelt aufrechtzuerhalten pflegten (siehe R 3 / Rom-Bericht vom 30. Juni), und es seither beibehalten. Der Kurier war stets Viktor Kowalsky. Ende der Mitteilung.

Oberst Rolland nahm den ledernen Aktenordner zur Hand, der neben der abgesägten 10,5-cm-Granatenhülse lag, die ihm als Aschenbecher diente und schon jetzt von» Disque Bleue«-Stummeln halb gefüllt war, und schlug ihn auf. Sein Blick glitt rasch über die Zeilen des R 3 / Rom-Berichts vom 30. Juni, bis er den Absatz fand, den er gesucht hatte.

Täglich, so hieß es da, verließ einer der Wachtposten das Hotel und ging aufs Hauptpostamt. Dort war ein offenes Poste Restante-Fach auf den Namen eines gewissen Poitiers reserviert. Die OAS hatte, offenbar aus Furcht, es könnte ausgeraubt werden, kein mit einem Schlüssel versehenes Postfach genommen. Die gesamte für die Männer an der Spitze der OAS bestimmte Post war an Poitiers adressiert und wurde vom diensttuenden Beamten am Poste Besfante-Schalter verwahrt. Ein Versuch, den Mann durch Bestechung dazu zu bewegen, die Post einem Agenten von R 3 auszuhändigen, schlug fehl. Der Beamte hatte seinen Vorgesetzten das ihm gestellte Ansinnen gemeldet und war durch einen dienstälteren Kollegen ersetzt worden. Möglich, daß die Post für Poitiers jetzt von der italienischen Sicherheitspolizei kontrolliert wurde, aber R 3 war angewiesen, sich nicht mit der Bitte um Zusammenarbeit an die Italiener zu wenden. Der Versuch, den Beamten zu bestechen, war zwar fehlgeschlagen, aber man hatte geglaubt, die Initiative ergreifen zu müssen. Jeden Tag wurde die über Nacht im Postamt eingetroffene Post dem Leibwächter ausgehändigt, der als ein Viktor Kowalsky, ehemaliger Korporal der Fremdenlegion und Angehöriger der von Rodin in Indochina geführten Kompanie, identifiziert war. Kowalsky mußte offenbar über entsprechende falsche Papiere, die ihn gegenüber dem Postamt als Poitiers.; auswiesen, oder über eine Vollmacht verfügen, die vom Postamt akzeptiert wurde. Wenn Kowalsky Briefe aufzugeben hatte, pflegte er neben dem Briefkasten in der Haupthalle des Gebäudes bis fünf Minuten vor der Entleerung auszuharren, die Briefe durch den Schlitz zu werfen und dann wiederum abzuwarten, bis der Kasten geleert und sein Inhalt zum Sortieren in die hinteren Räume des Gebäudes gebracht wurde. Jedweder Versuch, in den Prozeß der Absendung oder des Empfangs von OAS-Post einzugreifen, würde notwendig mit einem Grad an Gewalttätigkeit verbunden sein, wie er von Paris ausdrücklich untersagt worden war.

Zuweilen führte Kowalsky von der für Überseegespräche vorgesehenen Zelle aus Ferngespräche, aber auch hier waren alle Versuche, die angerufene Nummer in Erfahrung zu bringen oder das Gespräch abzuhören, fehlgeschlagen. Ende der Mitteilung.

Oberst Rolland klappte den Lederdeckel des Aktenordners zu und nahm sich auch den zweiten der beiden an diesem Morgen eingetroffenen Berichte nochmals vor. Es war ein Polizeibericht der Police Judiciaire in Metz, aus dem hervorging, daß bei der routinemäßig durchgeführten Razzia einer Bar ein Mann vernommen worden sei, der dabei zwei Polizisten angeschossen habe. Auf der Polizeiwache sei besagter Mann aufgrund seiner Fingerabdrücke als der fahnenflüchtige Fremdenlegionär Sandor Kovacs, ein 1956 aus Budapest geflohener gebürtiger Ungar, identifiziert worden. Kovacs, das besagte eine von der PJ Paris am Schluß des Berichts aus Metz angefügte Notiz, sei ein berüchtigter OAS-Bandit, der wegen seiner Mittäterschaft an einer Serie terroristischer Morde an staatsloyalen Beamten der algerischen Distrikte Bone und Constantine seit 1961 gesucht werde. Zu jener Zeit habe er vorwiegend gemeinsam mit einem anderen bis heute nicht gefaßten OAS-Killer opiert, einem ehemaligen Korporal der Fremdenlegion namens Viktor Kowalsky. Ende der Mitteilung.

Rolland sann nochmals über die zwischen den beiden Männern bestehende Verbindung nach, wie er dies schon in der vergangenen Stunde getan hatte. Schließlich drückte er einen Knopf des Sprechgeräts und antwortete auf das aus dem Apparat dringende »Oui, mon colonel?«: »Bringen Sie mir die Personalakte Kowalsky, Viktor, sofort. «Innerhalb von zehn Minuten lag ihm die aus dem Archiv herbeigeholte Akte Kowalsky vor, und er verbrachte eine weitere Stunde mit deren Lektüre. Mehrmals kehrte sein Blick zu einem ganz bestimmten Satz zurück. Während andere, in weniger aufreibenden Berufen beschäftigte Pariser unten auf den Trottoirs den Bistros und Cafeterias entgegenstrebten, in denen sie ihr Mittagsmahl einzunehmen pflegten, beraumte Oberst Rolland eine dienstliche Besprechung an, bei der außer ihm selbst sein persönlicher Sekretär, ein Schriftsachverständiger der drei Stockwerke tiefer untergebrachten Dokumentationsabteilung sowie zwei Gorillas seiner privaten Prätorianergarde anwesend waren.

«Meine Herren«, sagte er,»mit unfreiwilliger, aber unerläßlicher Unterstützung eines hier nicht Anwesenden werden wir jetzt einen Brief entwerfen, schreiben und abschicken.«

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