Kapitel 6
Das Handy am Ohr und die Beine auf dem Tisch, kippelte Simon mit dem Stuhl hin und her. Diese Kunst hatten sie in ihrer Troika derart perfektioniert, dass es in ihren Wettbewerben irgendwann nur noch darum gegangen war, wer von den drei Freunden am längsten durchhielt.
»Der Amerikaner wollte also nichts sagen?«, fragte er leise. Er sah keinen Grund, die anderen im Morddezernat an seinen privaten Angelegenheiten teilhaben zu lassen. Außerdem telefonierte er mit seiner Frau immer leise und zärtlich, als lägen sie engumschlungen im Bett.
»Schon«, sagte Else. »Aber noch nicht. Er will sich erst die ganzen Tests und auch die Bilder anschauen. Morgen kriege ich Bescheid.«
»Okay. Und wie fühlst du dich?«
»Gut.«
»Wie gut?«
Sie lachte. »Mach dir nicht so viele Gedanken, Liebling. Wir sehen uns zum Essen.«
»In Ordnung. Und deine Schwester? Ist sie noch …?«
»Ja, sie ist noch hier. Sie fährt mich nach Hause. Jetzt leg schon auf, du musst doch arbeiten.«
Widerstrebend beendete er das Gespräch und dachte an den Traum, in dem er ihr sein Augenlicht geschenkt hatte.
»Hauptkommissar Kefas?«
Er sah auf. Und legte den Kopf noch weiter in den Nacken. Die Frau, die vor seinem Tisch stand, war groß. Sehr groß. Und hager. Dünne Beine ragten unter dem Business-Rock hervor.
»Mein Name ist Kari Adel. Man hat mir gesagt, dass ich Ihnen helfen soll. Ich wollte Sie schon am Tatort ansprechen, aber Sie waren plötzlich weg.«
Die Frau sah mehr nach ambitionierter Bankerin denn nach Polizistin aus. Simon kippte den Stuhl noch weiter nach hinten. »Welchem Tatort?«
»Kuba.«
»Und woher wissen Sie, dass es sich um einen Tatort handelt?«
Er konnte sehen, wie sie ihr Gewicht verlagerte. Einen Ausweg suchte. Es gab keinen.
»Möglicher Tatort«, sagte sie.
»Und wer hat gesagt, dass ich Hilfe brauche?«
Sie zeigte mit dem Daumen nach oben, um anzudeuten, von wo der Befehl kam.
»Eigentlich bin ich es, die Hilfe braucht. Ich bin neu.«
»Frisch von der Polizeihochschule?«
»Anderthalb Jahre im Drogendezernat.«
»So neu und dann schon im Morddezernat? Gratuliere, Adel. Entweder haben Sie Glück gehabt, oder Sie haben gute Verbindungen oder Sie sind …« Er hängte sich fast waagerecht in den Stuhl und fischte die Snusdose aus der Hosentasche.
»Eine Frau«, schlug sie vor.
»Ich wollte eigentlich gut sagen.«
Sie wurde rot, und er entdeckte einen Anflug von Verärgerung in ihren Augen.
»Sind Sie gut?«, fragte Simon und schob sich ein Päckchen Snus unter die Oberlippe.
»Die Zweitbeste an der Hochschule.«
»Und wie lange wollen Sie im Morddezernat bleiben?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn es Ihnen im Drogendezernat nicht gefallen hat, warum sollte es Ihnen dann hier gefallen?«
Sie verlagerte erneut ihr Gewicht. Simon war sich sicher, dass er einen Treffer gelandet hatte. Sie war eine von denen, die nur ein kurzes Gastspiel gaben, um sich dann in die höheren Ränge zu verabschieden. Gut. Vermutlich würde sie irgendwann der Polizei ganz den Rücken kehren. Wie es all die smarten Typen aus dem Dezernat für Wirtschaftskriminalität gemacht hatten. Ihr Know-how hatten sie mitgenommen und Simon im Stich gelassen. Man blieb nicht bei der Polizei, wenn man klug und ambitioniert war und ein Leben wollte.
»Ich bin gegangen, weil der Tatort nichts mehr hergab«, sagte Simon. »Aber sagen Sie mir doch mal, wo Sie jetzt ansetzen würden.«
»Ich würde mit seinen Angehörigen reden«, sagte Kari Adel und hielt nach einem Stuhl Ausschau. »Seine Wege nachzeichnen, bevor er im Fluss landete.«
Die Art, wie sie sprach, deutete darauf hin, dass sie aus der östlichen Hälfte der Weststadt kam. Eine Gegend, in der man alles daransetzte, nicht auf der falschen Seite des Flusses eingeordnet zu werden.
»Gut, Adel, und seine Angehörigen …?«
»Zuallererst seine Frau. Bald Exfrau. Sie hatte ihn gerade vor die Tür gesetzt. Ich habe mit ihr gesprochen. Gewohnt hat er im Hospiz, in Ila. Gibt es hier eigentlich irgendwo noch einen Stuhl …?«
Gut. Wirklich gut.
»Den brauchen Sie jetzt nicht«, sagte Simon, stand auf und stellte fest, dass sie mindestens fünfzehn Zentimeter größer war als er. Trotzdem musste sie wegen ihres engen Rocks zwei Schritte für einen von seinen machen. Gut so, aber diese Klamotten würde sie sicher bald wieder in den Schrank hängen. Morde wurden in Jeans aufgeklärt.
»Sie haben hier keinen Zutritt.«
Martha stand vor der Eingangstür des Ila-Hospizes und betrachtete die beiden. Die Frau kam ihr bekannt vor. Ein derart großer, hagerer Körper blieb einem in Erinnerung. War sie beim Drogendezernat? Sie hatte blonde, leblose Haare, war nahezu ungeschminkt und hatte den etwas leidenden Gesichtsausdruck, den so viele verwöhnte Töchter aus gutem Hause hatten.
Der Mann war das komplette Gegenteil. Etwa eins siebzig groß und Anfang sechzig. Tiefe Falten im Gesicht. Darunter aber auch Lachfalten. Er hatte graue, lichte Haare, und seine Augen signalisierten »Freundlichkeit«, »Humor«, aber auch »Hartnäckigkeit«. Dieser Musterung unterzog sie gewohnheitsmäßig jeden, der zum obligatorischen Aufnahmegespräch zu ihr kam, schließlich musste sie wissen, was auf sie zukam. Natürlich irrte sie sich manchmal, in der Regel lag sie aber richtig.
»Wir wollen auch gar nicht hereinkommen«, sagte der Mann, der sich als Hauptkommissar Kefas vorgestellt hatte. »Wir sind vom Morddezernat. Es geht um Per Vollan. Der wohnte doch hier …«
»Wohnte?«
»Ja, er ist tot.«
Martha schnappte nach Luft. Das war immer ihre erste Reaktion, wenn sie erfuhr, dass wieder jemand gestorben war. Sie fragte sich, ob sie so sicherstellte, dass sie selbst noch lebte. Dann kam die Überraschung: Vollans Tod war keine Überraschung. Per war kein Junkie, hatte nicht gemeinsam mit den anderen im Wartezimmer des Todes gesessen. Oder doch? Sie hatte da etwas gespürt, unbewusst verstanden. War auf das routinemäßige Luftschnappen deshalb der ebenso routinemäßige, mentale Kommentar »Hm, klar« gefolgt? Nein, so war es nicht, es war diese andere Sache.
»Er wurde im Akerselva gefunden.« Der Mann hatte wieder das Wort ergriffen. Auf der Stirn der Frau stand »Ich lerne noch«.
»Aha«, sagte Martha.
»Sie hören sich nicht überrascht an.«
»Nein, vielleicht nicht. Es ist immer ein Schock, aber …«
»Man gewöhnt sich in unserem Job daran, nicht wahr?« Der Mann nickte in Richtung der benachbarten Fenster. »Ich wusste nicht, dass das Tranen dichtgemacht hat.«
»Da soll jetzt eine schnieke Konditorei rein«, sagte Martha und verschränkte die Arme vor der Brust, als fröre sie. »Für die Lattemacchiato-Mamas.«
»Haben die sich auch hier breitgemacht? Tja …« Simon nickte einem alten Mann mit dem charakteristischen schleppenden Gang eines Junkies zu, der sich an ihnen vorbeidrückte. Er erwiderte den Gruß. »Viele bekannte Gesichter. Vollan war aber Gefängnispastor. Der Obduktionsbericht liegt noch nicht vor, aber wir haben an ihm keine Einstichstellen gefunden.«
»Er wohnte hier nicht als Abhängiger. Er hat uns immer mal wieder geholfen, wenn wir Probleme mit früheren Straftätern hatten. Sie haben ihm vertraut. Deshalb haben wir ihm vorübergehend ein Zimmer gegeben, als er zu Hause ausziehen musste.«
»Ich weiß. Was ich mich frage, ist, warum Sie nicht überrascht sind, wenn Sie wussten, dass er keine Drogen nahm. Es hätte doch ein Unfall sein können.«
»War es das?«
Simon sah zu der großen, hageren Frau. Sie zögerte, bis er ihr zunickte.
»Wir haben keine Anzeichen für eine Gewalttat gefunden, aber die Gegend am Fluss ist ja bekannt für ihre kriminelle Seite.«
Was für eine Aussprache, dachte Martha, bestimmt hat ihre Mutter sie am Esstisch immer wieder zurechtgewiesen und gesagt, dass sie nie einen anständigen Mann finden würde, wenn sie wie ein Bauarbeiter redet.
Hauptkommissar Kefas neigte den Kopf zur Seite. »Was denken Sie, Martha?«
Ihn mochte sie. Er sah aus, als wollte er sich wirklich um den Fall kümmern.
»Ich glaube, er wusste, dass er sterben würde.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Warum das?«
»Wegen dem Brief, den ich von ihm bekommen habe.«
Martha ging mit ihnen nach oben in den Besprechungsraum im ersten Stock, der vis-à-vis der Rezeption lag. Es war der mit Abstand schönste Raum des Hauses, komplett im gotischen Stil gehalten. Wobei die Konkurrenz nicht gerade groß war. Sie schenkte dem Hauptkommissar, der sich bereits über den Brief beugte, Kaffee ein. Seine Partnerin saß neben ihm, weit vorne auf der Kante des Stuhls, und tippte eine SMS in ihr Handy. Sie hatte höflich abgelehnt, als sie ihr Kaffee, Tee oder Wasser angeboten hatte. Als fürchtete sie, das Wasser könnte hier drinnen kontaminiert sein.
Kefas schob den Brief zu seiner Kollegin hinüber. »Darin steht, dass er seinen ganzen Besitz dem Hospiz vermacht.«
Die Kollegin schickte die SMS ab und räusperte sich.
Der Hauptkommissar wandte sich ihr zu. »Ja, Frau Adel?«
»Man sagt nicht mehr Hospiz, das heißt jetzt Wohnheim.«
Kefas sah sie aufrichtig überrascht an. »Warum das denn?«
»Weil wir auch Sozialarbeiter haben und weil hier auch ein Krankenzimmer ist«, sagte Martha. »Deshalb sind wir angeblich mehr als ein Hospiz. In Wahrheit geht es natürlich um den Begriff ›Hospiz‹, der ist hier bei uns ja ein bisschen belegt. Das klingt nach Tod, Alkohol, Randale und schlechten Wohnverhältnissen. Da greift man dann gern zum dicken Pinsel, malt die Fassade neu und vergibt andere Namen.«
»Und trotzdem …«, sagte der Polizist. »Wollte er euch wirklich alles vermachen?«
Martha zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dass er viel hatte. Aber haben Sie das Datum der Unterschrift gesehen?«
»Er hat das gestern geschrieben. Meinen Sie, er wusste, dass er bald sterben würde? Wollen Sie damit andeuten, dass er sich das Leben genommen hat?«
Martha horchte in sich hinein. »Ich weiß es nicht.«
Die große, hagere Frau räusperte sich. »Eine Ehekrise ist bei Männern über vierzig nicht selten der Grund für einen Selbstmordversuch.«
Martha hatte das Gefühl, dass die wortkarge Frau die exakten Zahlen im Kopf hatte.
»Wirkte er deprimiert?«, fragte Simon.
»Eher niedergeschlagen als deprimiert.«
»Es ist nicht ungewöhnlich, dass selbstmordgefährdete Menschen ihrem Leben ein Ende setzen, wenn sie auf dem Weg aus einer Depression sind«, sagte die Frau und klang so, als zitierte sie aus einem Buch. Die beiden anderen sahen sie an. »Die eigentliche Depression äußert sich häufig durch Apathie, während man für einen Selbstmord eine gewisse Energie braucht.« Ein leiser Klingelton signalisierte, dass sie eine SMS erhalten hatte.
Kefas wandte sich an Martha. »Ein älterer Mann, der zu Hause rausfliegt und eine Art Abschiedsbrief an Sie schreibt. Warum kein Selbstmord?«
»Ich habe nicht gesagt, dass es kein Selbstmord war.«
»Aber.«
»Er schien Angst zu haben.«
»Angst wovor?«
Martha zuckte mit den Schultern und fragte sich, ob sie sich gerade unnötig in Schwierigkeiten brachte.
»Per war ein Mann mit dunklen Seiten. Er war ziemlich offen, was das anging. Er hat mal gesagt, dass er Pastor geworden ist, weil er mehr Vergebung als die meisten anderen bräuchte.«
»Sie meinen, dass er Dinge gemacht hat, die ihm nicht jeder verzeihen würde?«
»Die ihm niemand verzeihen würde.«
»Aha, reden wir von der Art von Sünde, bei denen Pastoren generell überrepräsentiert sind?«
Martha antwortete nicht.
»Ist er deshalb auch zu Hause rausgeflogen?«
Martha zögerte. Dieser Mann war taffer als viele seiner Kollegen. Aber konnte sie ihm trauen?
»Bei meiner Arbeit lernt man, das Unverzeihliche zu verzeihen, Herr Kommissar. Es kann natürlich sein, dass Per das nicht möglich war und er deshalb diesen Weg gegangen ist. Es ist aber auch möglich …«
»… dass andere, zum Beispiel der Vater eines Kindes, das Opfer eines Übergriffs geworden ist, es nicht auf eine Anklage ankommen lassen wollte, damit sein Kind nicht auch noch stigmatisiert wird. Außerdem führt ein Prozess ja nicht automatisch zu einer Verurteilung, und wenn, dann zu einer lächerlichen Strafe. Vielleicht hat der Betreffende sein eigenes Urteil gefällt und die Strafe gleich vollstreckt.«
Martha nickte. »Wenn es um das eigene Kind geht, wäre das menschlich nachvollziehbar, denke ich. Kommt es nicht auch vor, dass Sie bei Ihrer täglichen Arbeit strafen, wenn das Gesetz nicht greift?«
Simon Kefas schüttelte den Kopf. »Nein. Würden wir als Polizisten dieser Art von Versuchung erliegen, hätten Gesetze keine Bedeutung mehr. Und ich glaube wirklich an unsere Gesetze und daran, dass Justitia blind sein muss. Haben Sie jemand Konkreten in Verdacht?«
»Nein.«
»Drogenschulden?«, fragte Kari Adel.
Martha schüttelte den Kopf. »Wenn er Drogen genommen hätte, wüsste ich das.«
»Ich frage das, weil ich einen der Drogenfahnder per SMS nach Per Vollan gefragt habe. Und er hat mir geantwortet …« Sie zog das Handy aus ihrer engen Jackentasche, wobei auch eine Murmel herausrutschte, auf den Boden fiel und gen Osten rollte.
»Hab ihn ein paarmal im Gespräch mit Medels Dealer gesehen«, las sie vor und stand auf, um die noch rollende Murmel aufzuheben. »Er hat Quads gekriegt, aber nie dafür bezahlt.« Kari Adel steckte das Telefon zurück in die Tasche und fischte die Murmel vom Boden, bevor sie die Wand erreichte.
»Und was schließen Sie daraus?«, fragte Simon.
»Dass das Haus in Richtung Alexander Kiellands plass abfällt. Vermutlich ist auf der Seite mehr Lehm und Ton als Granit.«
Martha lachte laut.
Die große, hagere Frau lächelte kurz. »Und dass Vollan Schulden hatte. Ein Briefchen Heroin kostet dreihundert Kronen, und das ist noch nicht mal ein Quad, sondern bloß null Komma zwei. Zwei Briefchen am Tag …«
»Nicht so schnell«, sagte Simon. »Drogenabhängige kriegen keinen Kredit, oder?«
»In der Regel nicht, vielleicht hat er irgendwelche Dienste übernommen und sich in Heroin bezahlen lassen?«
Martha hob die Hand. »Er hat keine Drogen genommen, das habe ich Ihnen doch schon gesagt! Mein Job besteht zu großen Teilen darin zu sehen, ob jemand unter Drogen steht oder clean ist, verstanden?«
»Sie haben natürlich recht, Fräulein Lian«, sagte Simon und rieb sich das Kinn. »Vielleicht war das Heroin ja nicht für ihn selbst.«
Er stand auf. »Wie auch immer. Wir müssen abwarten, was die Obduktion ergibt.«
»Gute Idee, diesem Drogenfahnder zu simsen«, sagte Simon, während er über die Uelands gate in Richtung Zentrum fuhr.
»Danke«, sagte Kari.
»Hübsche Frau, diese Martha Lian. Hatten Sie früher schon mit ihr zu tun?«
»Nein, aber ich hätte sie nicht von der Bettkante gestoßen.«
»Was?«
»Tut mir leid, ein blöder Witz. Nur weil Sie fragten, ob ich schon mit ihr zu tun gehabt hätte. Bloß am Rande. Sie ist wirklich attraktiv, ich habe mich immer gefragt, warum sie im Hospiz arbeitet.«
»Weil sie schön ist?«
»Gutes Aussehen verschafft Menschen mit ansonsten passabler Intelligenz und einigermaßen gutem Auftreten einen klaren Vorteil im Arbeitsleben. Und der Job im Ila ist wohl nicht gerade ein Sprungbrett für Höheres, um das mal so zu sagen.«
»Vielleicht denkt sie ganz einfach, dass diese Arbeit ihren Einsatz wert ist.«
»Wert. Wissen Sie, was Sie da verdient …?«
»Wert, gemacht zu werden. Unsere Arbeit bei der Polizei wird auch nicht gut bezahlt.«
»Stimmt.«
»Aber es ist ein guter Ort, um seine Karriere zu beginnen, wenn man noch ein Jurastudium dranhängt«, sagte Simon. »Wann sind Sie fertig mit dem zweiten Studium?«
Er sah den Anflug von Rot an Karis Hals und wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
»Na ja«, sagte Simon. »Schön, Sie vorübergehend ausleihen zu dürfen. Dann sind Sie bestimmt bald meine Chefin, nicht wahr? Oder zieht es Sie eher in den privaten Sektor, da soll man mit unserer Kompetenz ja anderthalbmal so viel verdienen?«
»Möglich«, sagte Kari. »Ich werde aber wohl kaum Ihre Chefin werden, schließlich sind Sie im März nächsten Jahres pensioniert.«
Simon wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er bog nach links in den Grønlandsleiret ein und fuhr zum Präsidium.
»Anderthalbfacher Lohn ist nicht schlecht, wenn man renovieren muss, Wohnung oder Haus?«
»Haus«, sagte Kari. »Wir wollen zwei Kinder, und ich brauche Platz. Bei dem Quadratmeterpreis im Zentrum von Oslo muss man ziemlich baufällige Häuser kaufen, wenn man nicht gerade geerbt hat. Und sowohl meinen als auch Sams Eltern geht es noch sehr gut. Außerdem sind wir beide der Meinung, dass Subventionen korrumpieren.«
»Korrumpieren? So schlimm?«
»Ja.«
Simon sah zu den pakistanischen Händlern hinüber, die bei der Sommerwärme ihre Läden verlassen hatten und auf der Straße diskutierten. Sie rauchten und sahen den Autos nach, die sich langsam vorbeischoben. »Sie wundern sich nicht einmal, wie ich darauf gekommen bin, dass Sie auf der Suche nach einem alten Haus sind?«
»Wegen der Murmel«, sagte Kari. »Erwachsene Menschen ohne Kinder haben so etwas nur dann in der Tasche, wenn sie zu Haus- oder Wohnungsbesichtigungen gehen und überprüfen wollen, ob die Böden abfallen und korrigiert werden müssen.«
Klug.
»Vergessen Sie aber eins nicht«, sagte Simon. »Wenn so ein Haus schon hundertzwanzig Jahre steht, müssen die Böden nicht notwendigerweise korrigiert werden.«
»Kann schon sein«, sagte Kari, beugte sich vor und musterte den Turm der Grønland-Kirche. »Aber ich mag ebene Böden.«
Jetzt lachte Simon. Diese Frau war wirklich nicht verkehrt. Vielleicht konnte er sich tatsächlich an sie gewöhnen. Auch er mochte ebene Böden.