14 BRIEF AN EINEN KUNDEN

Am nächsten Morgen war Leamas noch im Bett, als ihm Fiedler die Briefe zur Unterschrift brachte. Der eine war auf dem dünnen blauen Schreibpapier des Seiler-Hotels Alpenblick, Spiezersee, Schweiz, geschrieben, der andere auf Papier mit dem Briefkopf des Palace-Hotels in Gstaad. Leamas las den ersten Brief:

An die Königlich-Skandinavische Bank GmbH Kopenhagen

Sehr geehrte Herren, ich bin seit einigen Wochen auf Reisen und habe keine Post aus England erhalten. Infolgedessen habe ich Ihre Antwort auf meinen Brief vom 3. März nicht bekommen, in dem ich um die laufende Abrechnung für das Depositenkonto bat, das ich gemeinsam mit Herrn Karlsdorf habe. Um weitere Verzögerungen zu vermeiden, möchte ich Sie bitten, mir eine doppelt ausgestellte Abrechnung an die folgende Adresse zu schicken. Dort werde ich mich ab 21. April zwei Wochen aufhalten:

Per Adresse Madame Y. de Sanglot 13, Avenue des Colombes Paris 12e France Entschuldigen Sie bitte die Mühe, die ich Ihnen damit verursache.

Ihr sehr ergebener Robert Lang

»Was soll diese Bemerkung von einem Brief vom 3. März?« fragte er. »Ich habe doch keinen Brief geschrieben.«

»Nein, das haben Sie nicht. Und soviel wir wissen, hat das niemand. Das wird die Bank stutzig machen. Wenn zwischen unserem Brief hier und Briefen, die sie vielleicht vom Chef bekommen haben, innere Widersprüche vorhanden sind, werden sie aber annehmen, dass die Lösung dafür in dem fehlenden Brief vom 3. März zu finden ist. Die Reaktion darauf wird sein, dass man Ihnen, wie gewünscht, die Abrechnung zusammen mit einem Begleitschreiben schicken wird, in dem man bedauernd mitteilt, dass Ihr Brief vom 3. März nicht angekommen sei.«

Der zweite Brief lautete wie der erste, nur die Namen waren geändert. Die Adresse in Paris war die gleiche. Leamas nahm ein leeres Blatt Papier und seinen Füllfederhalter und schrieb ein halbes dutzendmal mit flüssiger Schrift »Robert Lang«. Dann unterschrieb er den ersten Brief. Dann übte er mit schräggehaltener Feder die zweite Unterschrift, bis er damit zufrieden war, und schrieb »Stephen Bennett« unter den zweiten Brief.

»Ausgezeichnet«, bemerkte Fiedler, »ganz ausgezeichnet.«

»Was machen wir jetzt?«

»Die Briefe werden morgen in der Schweiz aufgegeben, in Interlaken und Gstaad. Unsere Leute in Paris werden mir den Text der Antwortschreiben sofort nach ihrem Eintreffen telegrafieren. In einer Woche haben wir sie.«

»Und bis dahin?«

»Wir werden uns gegenseitig Gesellschaft leisten. Ich weiß, dass Ihnen das zuwider ist, und ich entschuldige mich dafür. Ich dachte, wir könnten vielleicht Spaziergänge machen, etwas in der Gegend herumfahren, eben irgendwie die Zeit totschlagen. Ich möchte, dass Sie sich entspannen und erzählen, über London, über das Rondell, die Arbeit in Ihrer Abteilung. Erzählen Sie mir den Klatsch, sprechen Sie über die Bezahlung, den Urlaub, die Büroräume und die Menschen. Über die Nadeln und Klammern, sozusagen, Ich möchte all die kleinen Dinge erfahren, die keine Rolle spielen. Übrigens …« - Fiedler hatte den Tonfall geändert.

»Ja?«

»Wir haben hier Möglichkeiten für Leute, die … für Leute, die einige Zeit bei uns zubringen. Möglichkeiten der Zerstreuung und so weiter.«

»Bieten Sie mir eine Frau an?« fragte er.

»Ja.«

»Nein, danke. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich nicht das Stadium erreicht, wo ich einen Kuppler brauchte.«

Die Antwort schien Fiedler nicht zu berühren. Er fuhr schnell fort: »Aber Sie hatten eine Freundin in England, nicht wahr? Das Mädchen aus der Bibliothek?«

Leamas fuhr herum. Er hielt die Hände geöffnet in Höhe der Hüften, so als wolle er sich auf Fiedler stürzen.

»Eines sage ich Ihnen!« brüllte er. »Nur dies eine: über diese Sache will ich nichts mehr hören, nicht im Scherz, nicht als Drohung. Nicht einmal als Druckmittel, Fiedler, weil das keinen Erfolg hätte. Niemals. Ich würde kein Wort mehr sagen, verstehen Sie? Sie würden von mir nie mehr auch nur ein Wort bekommen, solange ich lebe. Sagen Sie das den Leuten, Fiedler, sagen Sie es Mundt und Stammberger, oder welche Ratte sonst Ihnen befohlen hat, davon zu reden - bestellen Sie ihnen, was ich gesagt habe.«

»Ich werde es ausrichten«, antwortete Fiedler. »Ich werde es ausrichten. Es ist vielleicht schon zu spät.«

Nachmittags gingen sie noch einmal spazieren. Der Himmel war dunkel und schwer, es war warm.

»Ich bin nur einmal in England gewesen«, bemerkte Fiedler beiläufig. »Das war mit meinen Eltern, auf dem Weg nach Kanada, vor dem Krieg. Ich war noch ein Kind. Wir waren zwei Tage dort.«

Leamas nickte.

»Ich kann Ihnen jetzt verraten«, fuhr Fiedler fort, »dass ich vor einigen Jahren beinahe wieder hingekommen wäre. Ich sollte Mundt in der Stahlmission ablösen - wußten Sie, dass er einmal in London war?«

»Ich wußte es«, erwiderte Leamas vielsagend.

»Ich habe mich immer gefragt, wie diese Tätigkeit gewesen wäre.«

»Das übliche, meistens Umgang mit den anderen Ostblockmissionen, nehme ich an. Dazu gewisse Kontakte zur britischen Geschäftswelt, allerdings nicht sehr viel davon.« Leamas schien gelangweilt zu sein.

»Aber Mundt kam ganz schön herum: er fand es nicht schwer.«

»Das habe ich gehört«, sagte Leamas. »Er schaffte es sogar, ein paar Leute umzulegen.«

»Auch davon haben Sie also gehört?«

»Durch Peter Guillam. Er arbeitete mit George Smiley an dem Fall. Mundt hätte George fast auch noch umgebracht.«

»Der Fennan-Fall«, sagte Fiedler nachdenklich. »Eigentlich erstaunlich, dass Mundt überhaupt davonkam, nicht wahr?«

»Das finde ich auch.«

»Man sollte nicht glauben, dass ein Mann, der als Mitglied einer ausländischen Mission mit Fotografie und Personenbeschreibung in den Akten des Auswärtigen Amtes geführt wird, gegen den ganzen britischen Sicherheitsdienst eine Chance haben würde.«

»Soviel ich gehört habe«, sagte Leamas, »war man gar nicht scharf darauf, ihn zu fassen.«

Fiedler blieb plötzlich stehen.

»Was sagen Sie da?«

»Ich sage nichts weiter, als dass Peter Guillam mir gegenüber bezweifelt hat, dass man Mundt wirklich fassen wollte. Wir waren damals anders organisiert: anstelle des Chefs der Operationen saß dort eine Art Berater - der Mann hieß Maston. Guillam erzählte mir, Maston habe aus dem Fall Fennan von Anfang an ein fürchterliches Durcheinander gemacht. Peter meinte, wenn Mundt gefaßt worden wäre, hätte das eine unglaubliche Schweinerei gegeben. Er wäre wohl verurteilt und wahrscheinlich gehenkt worden. Der ganze Schmutz, den dieser Prozeß ans Licht gebracht hätte, wäre das sichere Ende von Mastons Karriere gewesen. Peter konnte nicht genau sagen, was geschehen war, aber er war ganz sicher, dass es keine ernstgemeinte Fahndung nach Mundt gegeben hatte.«

»Sind Sie sich dessen sicher? Sind Sie sicher, dass Guillam Ihnen das mit diesen Worten gesagt hat? Keine ernstgemeinte Fahndung?«

»Da bin ich absolut sicher.«

»Guillam hat nie auf eine andere Möglichkeit angespielt, weshalb man Mundt wohl hätte laufenlassen?«

»Was meinen Sie?«

Fiedler schüttelte den Kopf, und sie gingen weiter.

»Die Stahlmission wurde nach dem Fennan-Fall aufgelöst«, bemerkte Fiedler nach einiger Zeit. »Deshalb kam ich dann doch nicht nach London.«

»Mundt muß verrückt gewesen sein. Man kann vielleicht auf dem Balkan - oder hier - trotz Mord ungeschoren davonkommen, aber nicht in London!«

»Er ist aber davongekommen, oder?« warf Fiedler schnell ein. »Und er hat gute Arbeit geleistet.«

»Wie zum Beispiel die Anwerbung von Kiever und Ashe? dass ich nicht lache.«

»Die beiden haben Mrs. Fennan lange genug für sich arbeiten lassen.«

Leamas zuckte die Achseln.

»Sagen Sie mir noch etwas anderes, über Karl Riemeck«, begann Fiedler von neuem. »Ist er nicht einmal mit dem Chef direkt zusammengekommen?«

»Ja, in Berlin. Ungefähr vor einem Jahr, vielleicht auch etwas früher.«

»Wo kamen sie zusammen?«

»Wir trafen uns alle in meiner Wohnung.«

»Warum?«

»Der Chef hat es gern, bei Erfolgen in Erscheinung zu treten. Wir hatten von Karl eine große Menge gutes Material bekommen. Ich nehme an, dass man in London davon beeindruckt war. Der Chef kam zu einem kurzen Besuch nach Berlin und bat mich, ein Treffen mit Karl zu arrangieren.«

»War Ihnen das recht?«

»Warum nicht?«

»Karl war Ihr Agent. Sie haben es vielleicht nicht gern gesehen, wenn er sich mit anderen Agentenführern traf.«

»Der Chef ist kein Agentenführer. Er ist der Leiter der Dienststelle. Karl wußte das und fühlte sich sehr geschmeichelt.«

»Waren Sie während der Begegnung die ganze Zeit dabei?«

»Ja. Nein, nicht ganz. Ich ließ sie eine Viertelstunde oder so allein - nicht länger. Der Chef hatte mich darum gebeten. Er wollte einige Minuten mit Karl allein sein, Gott weiß, warum. Ich verließ deshalb unter irgendeinem Vorwand die Wohnung, ich kann nicht mehr sagen, weshalb. Oh, doch, ich weiß: Ich behauptete, wir hätten keinen Scotch mehr. Ich bin wirklich zu de Jong gegangen und habe eine Flasche geholt.«

»Wissen Sie, was sich zwischen den beiden abspielte, während Sie weg waren?«

»Woher sollte ich? Außerdem war ich gar nicht sehr interessiert daran.«

»Und Karl hat es Ihnen auch später nicht erzählt?«

»Ich habe ihn nie danach gefragt. Karl war in mancher Hinsicht ein unverschämter Kerl. Er benahm sich immer so, als ob er einem durch irgend etwas überlegen wäre. Ich mochte auch die Art nicht, wie er sich über den Chef lustig machte. Allerdings war er völlig im Recht, wenn er über ihn lachte - das Ganze war eine höchst lächerliche Veranstaltung. Wir haben ja auch tatsächlich zusammen einige Zeit darüber gelacht. Außerdem hätte es keinen Sinn gehabt, Karls Eitelkeit zu verletzen. Sinn des ganzen Treffens war es ja, Karl ein bißchen aufzumöbeln.«

»War er denn niedergeschlagen?«

»Nein, weit davon entfernt. Er war schon verdorben. Er wurde zu gut bezahlt, zu sehr geliebt, zuviel ins Vertrauen gezogen. Es war zum Teil mein, zum Teil Londons Fehler. Hätten wir ihn nicht verdorben, so würde er dieser Frau nichts über sein Netz erzählt haben.«

»Elvira?«

»Ja.« Sie gingen eine Weile schweigend weiter, bis Fiedler seine Träumerei mit der Bemerkung unterbrach:

»Ich beginne, Sie gern zu haben, Leamas. Aber eine Sache macht mir zu schaffen. Es ist merkwürdig - ehe ich mit Ihnen zusammenkam, hat es mir überhaupt keine Sorgen gemacht.«

»Was ist es?«

»Weshalb Sie eigentlich hierhergekommen sind. Warum haben Sie Verrat begangen?«

Leamas wollte gerade etwas sagen, als Fiedler lachte.

»Ich fürchte, das war eben nicht sehr taktvoll, wie?« sagte er.

Sie verbrachten die Woche mit Spaziergängen in den Hügeln. Gegen Abend kehrten sie immer zum Jagdhaus zurück, spülten das lieblos zubereitete Abendessen mit einer Flasche billigen Weißweins hinunter und saßen dann endlos bei einem Steinhäger vor dem Feuer. Das Feuer schien Fiedlers Idee zu sein - am Anfang hatte es das nicht gegeben. Eines Tages hörte Leamas, wie Fiedler zu einem der Posten sagte, er solle Holzscheite bringen. Von da an hatte Leamas gegen die Abende nichts mehr einzuwenden. Nach einem ganzen Tag an der frischen Luft bei scharfem Alkohol am Kaminfeuer sitzend, brauchte Leamas keine Aufforderung, um zu reden und von seiner Arbeit zu erzählen. Es wurde auf Tonband aufgenommen, wie Leamas annahm, aber das war ihm gleichgültig.

Als auf diese Weise ein Tag nach dem anderen verging, bemerkte Leamas an seinem Begleiter eine steigende Gespanntheit. An einem Spätnachmittag nahmen sie den DKW und fuhren ziemlich weit, bis sie zu einer Telefonzelle kamen. Fiedler ließ den Zündschlüssel stecken, obwohl Leamas im Wagen blieb, und führte ein langes Gespräch.

Als er zurückkam, fragte Leamas: »Weshalb haben Sie nicht das Telefon im Haus benützt?« Aber Fiedler schüttelte nur den Kopf.

»Wir müssen vorsichtig sein«, antwortete er. »Auch Sie!«

»Warum? Was geht vor?«

»Das Geld, das von Ihnen bei der Kopenhagener Bank eingezahlt worden war - wir schrieben deswegen, erinnern Sie sich?«

»Natürlich erinnere ich mich.«

Fiedler sagte nichts weiter, sondern fuhr schweigend zu den Hügeln zurück. Dort hielt er. Sie konnten durch das geisterhafte Astgewirr großer Kiefernbäume auf eine Stelle hinuntersehen, wo zwei große Täler ineinandermündeten. Die steilen bewaldeten Hügel zu beiden Seiten verloren in der aufkommenden Dunkelheit allmählich ihre Farbe, bis sie grau und still in der Dämmerung lagen.

»Was auch geschehen mag«, sagte Fiedler, »machen Sie sich keine Gedanken, es wird alles gut werden, verstehen Sie?«

Seine Stimme war schwer und nachdrücklich, seine schlanke Hand ruhte auf Leamas' Arm. »Es kann sein, dass Sie sich etwas um sich selbst kümmern müssen, aber es wird nicht lange dauern. Verstehen Sie?« fragte er wieder.

»Nein. Und da Sie es nicht erklären wollen, werde ich es abwarten müssen. Um meine Haut brauchen Sie sich nicht allzuviel Sorgen zu machen, Fiedler.« Er bewegte seinen Arm, aber Fiedlers Hand hielt ihn fest. Leamas haßte es, wenn er angefaßt wurde.

»Kennen Sie Mundt?« fragte Fiedler. »Wissen Sie über ihn Bescheid?«

»Wir haben über Mundt gesprochen.«

»Ja«, wiederholte Fiedler, »wir haben über ihn gesprochen. Er schießt erst, und stellt die Fragen hinterher. Das Prinzip der Abschreckung. Für einen Beruf, in dem die Fragen stets wichtiger als das Schießen sind, ist dies Verhalten seltsam.«

Leamas wußte, was ihm Fiedler erzählen wollte.

»Es ist ein seltsames System - außer, man fürchtet die Antwort«, fuhr Fiedler leise sprechend fort.

Leamas wartete.

Einen Augenblick später sagte Fiedler: »Früher hat er nie Verhöre durchgeführt. Das überließ er stets mir. Er sagte immer: ›Du verhörst sie, Jens, denn das kann keiner so gut wie du. Ich fange sie, und du läßt sie singen.‹ Er verglich Menschen, die sich mit der Abwehr befassen, immer mit Malern: beide müssen hinter sich stets einen Mann mit einem Hammer haben, der zuschlägt, sobald die Arbeit beendet ist. Andernfalls würden sie das Ziel ihrer Arbeit vergessen. Er sagte immer zu mir: ›Ich werde dein Hammer sein.‹ Zuerst war es ein Scherz zwischen uns. Aber dann, als er zu töten begann, und zwar zu töten, noch ehe die Leute gesungen hatten, wurde es ernst. Hier wurde einer erschossen, dort ein anderer ermordet. Ich habe ihn so oft gefragt: ›Warum läßt du sie nicht einfangen? Warum überläßt du sie nicht mir für ein oder zwei Monate? Was nützen sie dir, wenn sie tot sind?‹ - Aber er schüttelte nur den Kopf und sagte, man müsse Disteln ausrotten, ehe sie blühen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich die Antwort schon zurechtgelegt hatte, noch ehe ich die Frage stellen konnte. Er ist großartig in der praktischen Arbeit. Er hat mit der ›Abteilung‹ Wunder bewirkt, Sie wissen das. Er hat sich darüber viele Gedanken gemacht, oft habe ich bis spät in die Nacht hinein mit ihm gesprochen. Er trinkt Kaffee - nichts anderes als immer nur Kaffee.

Nach seiner Meinung denken die Deutschen zuviel über sich selbst nach, als dass sie gute Agenten sein könnten. Das zeigte sich deutlich an den Arbeitsergebnissen der Abwehr. Er sagte, Abwehrleute in Deutschland seien wie Wölfe, die dauernd an trockenen Knochen herumnagen. Man müßte sie ihnen wegnehmen, damit sie sich auf die Suche nach neuen Quellen machen. Ich sehe das alles ein, ich weiß, was er meint. Aber er ist zu weit gegangen. Warum brachte er Viereck um? Warum nahm er ihn mir weg? Viereck war frisches Futter, wir hatten noch nicht einmal das Fleisch vom Knochen genagt, verstehen Sie?« Seine Hand hielt den Arm von Leamas fest gepackt. In der völligen Dunkelheit des Wagens spürte Leamas die erschreckende Intensität der Erregung Fiedlers besonders deutlich.

»Ich habe Tag und Nacht darüber nachgedacht. Seit Viereck erschossen wurde, habe ich dauernd nach dem Grund gesucht. Ich sah nur ein vernünftiges Motiv, aber zuerst schien es mir allzu unglaublich zu sein. Ich sagte mir, dass ich wohl eifersüchtig sei, dass meine Nerven von dieser Arbeit schon angegriffen waren, wenn ich hinter jedem Baum Verrat witterte. Man wird so, wenn man in dieser Art Welt lebt. Aber ich konnte mir nicht helfen, Leamas, ich mußte einfach versuchen, es herauszubekommen. Es hatte vorher ja auch schon andere Sachen gegeben. Er fürchtete sich. Ja, er fürchtete, dass wir einmal jemanden fassen könnten, der zuviel redete!«

»Was reden Sie da? Sie sind ja verrückt!« sagte Leamas, und in seiner Stimme war eine Spur von Furcht.

»Es paßt alles zusammen, sehen Sie. Mundt entkam so leicht aus England; Sie haben es ja selbst gesagt. Und was erzählte Ihnen Guillam? Er sagte, man habe Mundt gar nicht fassen wollen! Warum nicht? Ich will es Ihnen sagen: er war ihr Mann. Sie hatten ihn schon umgedreht. Sehen Sie nicht den Zusammenhang? Man hatte Mundt schon gefaßt, und mit seiner Freilassung kaufte man sich seine Mitarbeit - mit der Freilassung und dem Geld, das er bekam.«

»Ich sage Ihnen, Sie sind verrückt!« stieß Leamas hervor. »Sollte er je den Verdacht haben, dass Sie solche Geschichten in die Welt setzen, bringt er Sie um. Das ist doch Blödsinn, Fiedler. Seien Sie ruhig und fahren Sie uns nach Hause.«

Schließlich lockerte sich der harte Griff um Leamas' Arm.

»Hier haben Sie unrecht. Sie selbst haben die Antwort gebracht, Leamas. Deshalb sind wir auch aufeinander angewiesen.«

»Das ist nicht wahr!« brüllte Leamas. »Ich habe Ihnen immer wieder gesagt, dass das Rondell niemanden ohne mein Wissen in der Zone hätte ansetzen können. Das war schon verwaltungstechnisch nicht möglich. Sie wollen mir einreden, dass der Chef persönlich und ohne Wissen der Berliner Organisation den stellvertretenden Leiter der ›Abteilung‹ dirigiert. - Sie sind verrückt, Fiedler. Sie sind total verrückt!« Plötzlich begann er leise zu lachen. »Sie möchten vielleicht diese Stellung gern haben, Sie armes Schwein - so was soll's ja schon gegeben haben -, aber so etwas hat noch nie anders als mit Krach geendet.« Einen Augenblick schwiegen beide.

Schließlich sagte Fiedler: »Dieses Geld in Kopenhagen: die Bank hat Ihren Brief beantwortet. Der Direktor ist sehr in Sorge, dass ein Fehler unterlaufen ist. Denn das Geld ist von Ihrem Kontoteilhaber genau eine Woche nach der Einzahlung wieder abgehoben worden. Das Datum der Auszahlung fällt genau in die zwei Tage des Februar, die Mundt in Dänemark verbrachte, um unter falschem Namen einen unserer amerikanischen Agenten zu treffen, der zu einer internationalen Tagung von Wissenschaftlern gekommen war.« Fiedler zögerte, dann setzte er hinzu: »Ich glaube, Sie sollten der Bank schreiben, dass alles in Ordnung ist.«

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