25 DIE MAUER

»Wenn das so ist, Alec«, sagte sie schließlich, »was hatte dann ich dabei zu tun?« Ihre Stimme war ganz ruhig, fast sachlich.

»Das kann ich nur erraten, Liz, aus dem, was ich selbst weiß, und dem, was Mundt mir erzählt hat, bevor wir abfuhren: Fiedler hatte Mundt wohl schon gleich nach dessen Rückkehr aus England in Verdacht, doppeltes Spiel zu treiben. Er haßte ihn natürlich - warum sollte er nicht -, und überdies hatte er auch noch recht. Mundt hatte sich an London verkauft. Fiedler war zu mächtig, als dass Mundt ihn ohne Hilfe hätte beseitigen können, deshalb entschloß man sich in London, es für ihn zu tun. Ich kann sie mir gut bei der Ausarbeitung vorstellen. Sie sind so verdammt akademisch: ich sehe sie um ein Kaminfeuer herumsitzen, in einem ihrer eleganten, verfluchten Klubs. Sie wußten, dass Fiedlers Beseitigung allein nicht genug war. Er hatte seinen Verdacht vielleicht schon Freunden erzählt oder öffentlich irgendwelche Vorwürfe gegen Mundt erhoben. Deshalb mußte zusammen mit Fiedler auch jeder Verdacht gegen Mundt aus der Welt geschafft werden. Eine öffentliche Rehabilitierung, das war's, was sie für Mundt organisiert haben.«

Er zog in die Überholspur hinüber, um an einem Laster mit Anhänger vorbeizufahren. Im gleichen Augenblick schwenkte auch der Lastwagen herüber, so dass Leamas auf der holprigen Straße heftig bremsen mußte, um nicht in das Schutzgitter auf der linken Seite gedrückt zu werden.

»Ich sollte Mundt verleumden«, sagte er. »Sie sagten mir, er müsse liquidiert werden, und ich war bereit. Es sollte mein letzter Auftrag sein. Zu diesem Zweck habe ich meine Arbeit immer mehr vernachlässigt und schließlich schlug ich den Kaufmann nieder. Du weißt das alles.«

»Und dass du mit mir ein Verhältnis hattest?« fragte sie ruhig. Leamas schüttelte den Kopf.

»Das ist ja gerade der springende Punkt, verstehst du?« fuhr er fort. »Mundt wußte von all dem, er kannte den Plan, er veranlaßte mit Fiedler zusammen, dass ich von Ashe aufgelesen werde. Von da an überließ er mich freilich Fiedler. Er wußte, dass sich Fiedler am Ende selbst hängen würde. Meine Aufgabe bestand nur darin, dass ich ihn auf die Wahrheit führte, nämlich zu der Überzeugung, dass Mundt ein britischer Spion sei.« Er zögerte. »Deine Aufgabe war es, meine Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Fiedler ist erschossen worden, während Mundt vor einem faschistischen Komplott gnädig errettet werden konnte. Die alte Geschichte von den Schattenseiten der Liebe.«

»Aber wie konnten sie von mir wissen, wie konnten sie wissen, dass wir zusammenkommen würden?« rief Liz. »Mein Gott, Alec, können sie sogar schon voraussagen, ob sich Menschen verlieben werden?«

»Davon hing es nicht ab. Sie wählten dich, weil du jung warst, hübsch und in der Partei, und weil sie wußten, dass du mit einer richtig aufgetakelten Einladung leicht nach Deutschland zu holen warst. Dass ich in der Bibliothek arbeiten würde, das wußten sie, denn sie hatten auf dem Arbeitsamt diesen Pitt, und er schickte mich hin. Er war während des Krieges beim Geheimdienst, ich nehme an, dass sie ihm etwas zahlten. Es genügte für ihre Zwecke ja, dass sie uns irgendwie in Kontakt miteinander brachten, und wenn es nur für einen Tag war, das spielte keine Rolle. Hinterher konnten sie dich dann aufsuchen, dir Geld schicken, damit es wie eine Liebesaffäre aussah, selbst wenn es keine gewesen wäre, verstehst du? Es genügte schon, wenn sie es wie eine Verliebtheit aussehen ließen. Entscheidend war nur, dass es so wirkte, als schickten sie dir auf meinen Wunsch und meine Veranlassung hin das Geld - und so konnte man es auslegen, nachdem wir einmal in Kontakt gebracht worden waren. Wie es lief, haben wir es ihnen sehr leicht gemacht …«

»Ja, das haben wir.« Dann fügte sie hinzu: »Ich fühle mich schmutzig, Alec, als wäre ich als Zuchtstute benützt worden.«

Leamas sagte nichts.

»War es für das Gewissen deiner Dienststelle leichter, dass sie jemanden von der Partei mißbraucht haben und nicht nur irgendwen?« fuhr Liz fort.

Leamas sagte: »Vielleicht. Sie denken ja nicht wirklich in solchen Begriffen. Es war eben für die Unternehmung nützlich.«

»Ich hätte in diesem Gefängnis bleiben sollen, nicht wahr? Das wollte doch Mundt, oder nicht? Er hat keinen Grund gesehen, weshalb er das Risiko eingehen sollte - ich habe schon zuviel gehört und hätte noch mehr vermuten können. Schließlich war Fiedler unschuldig, nicht wahr? - Aber er ist ja nur ein Jude«, fügte sie erregt hinzu, »deshalb macht es nichts weiter, nicht wahr?«

»Aber so hör doch auf!« rief Leamas.

»Trotz allem ist es merkwürdig, dass Mundt mich gehen läßt - auch wenn es mit dir so abgemacht ist«, grübelte sie. »Ich stelle doch jetzt ein Risiko dar. Wenn wir nach England zurückkommen, meine ich. Ein Parteimitglied mit all dem Wissen … Es kommt mir unlogisch vor, dass er mich gehen ließ.«

»Ich nehme an«, erwiderte Leamas, »dass er durch unsere Flucht dem Präsidium demonstrieren möchte, dass noch mehr Fiedlers in seinem Amt sitzen und gestellt werden müssen.«

»Und noch mehr Juden?«

»Es gibt ihm die Chance, seine Stellung zu sichern«, antwortete Leamas kurz angebunden.

»Dadurch, dass er noch mehr Unschuldige umbringt? Es scheint dich nicht weiter zu berühren.«

»Freilich berührt es mich. Es macht mich krank vor Scham und Ärger und … Aber ich bin anders erzogen worden, Liz! Ich kann es nicht nur in Schwarz und Weiß sehen. Menschen, die in diesem Spiel mitmachen, nehmen Risiken auf sich. Fiedler verlor, und Mundt gewann. London gewann, das ist der springende Punkt! Es war ein sehr schmutziges Unternehmen. Aber es hat sich gelohnt. Und hier gilt nur das.« Als er sprach, hob sich seine Stimme, bis er schließlich fast schrie.

»Du versuchst ja, dich selbst zu überzeugen«, rief Liz. »Sie haben abscheulich gehandelt. Wie kannst du Fiedler umbringen - er war gut, Alec. Ich weiß, dass er gut war. Und Mundt …«

»Worüber, zum Teufel, beschwerst du dich?« wollte Leamas wissen. »Deine Partei ist immer im Kampf, nicht wahr? Und opfert das Individuum für die Masse. Das sagt deine Partei selbst. Sozialistische Wirklichkeit: Tag und Nacht kämpfen - den gnadenlosen Kampf -, so sagen sie doch, nicht wahr? Wenigstens hast du überlebt. Ich habe nie gehört, dass die Kommunisten die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens gepredigt hätten. Nun, vielleicht habe ich es falsch verstanden«, fügte er sarkastisch hinzu. »Ich gebe zu, ja, ich gebe zu, dass du vielleicht dabei hättest umkommen können. Die Möglichkeit bestand. Mundt ist ein gemeines Schwein. Er sah keinen Sinn darin, dich überleben zu lassen. Sein Versprechen - ich nehme an, er gab ein Versprechen, für dich sein Bestes zu tun - ist nicht viel wert. Deshalb wärest du in einem Gefängnis des Arbeiterparadieses gestorben - heute, nächstes Jahr, in zwanzig Jahren. Vielleicht auch ich. Aber ich erinnere mich, dass die Partei auf die Vernichtung einer ganzen Klasse abzielt. Oder habe ich das falsch verstanden?«

Er zog eine Packung Zigaretten aus seiner Jacke, und zusammen mit einer Schachtel Streichhölzer gab er ihr zwei. Ihre Finger zitterten beim Anzünden und als sie Leamas eine zurückgab.

»Du hast diese Probleme alle gelöst, nicht wahr?« fragte sie.

»Wir paßten zufällig gut in die Form«, beharrte Leamas, »und ich bedauere es. Ich bedauere auch die anderen, die in die Form passen. Aber beklage dich nicht über die Bedingungen, Liz! Es sind Parteibedingungen. Ein kleiner Preis für einen großen Gewinn. Einer geopfert für viele. Ich weiß, es ist nicht angenehm, darüber zu entscheiden, wer den Gedanken in der Praxis zu verwirklichen hat.«

Sie hörte ihm zu, und in der Dunkelheit war ihr für einen Augenblick nichts anderes bewußt, als die vor ihnen zurückweichende Straße und das dumpfe Entsetzen in ihrem Inneren.

»Aber sie ließen mich dich lieben«, sagte sie schließlich. »Und du ließest mich an dich glauben und dich lieben.«

»Sie haben uns benützt«, antwortete Leamas erbarmungslos. »Sie betrogen uns beide, weil es nötig war. Es war der einzige Weg. Fiedler war schon verdammt nahe dem Ziel, begreifst du das nicht? Mundt war nahe daran, gefaßt zu werden, kannst du das nicht verstehen?«

»Wie kannst du die ganze Welt verdrehen?« schrie Liz plötzlich. »Fiedler war gütig und anständig. Er tat nur seine Pflicht. Und jetzt habt ihr ihn umgebracht. Mundt ist ein Spion und Verräter, und ihr beschützt ihn. Mundt ist ein Nazi, weißt du das? Er haßt die Juden … Auf welcher Seite stehst du? Wie kannst du …«

»In dem ganzen Spiel gibt es nur eine Regel«, antwortete Leamas. »Mundt ist ihr Mann, er gibt ihnen, was sie brauchen. Das ist leicht genug zu verstehen, oder nicht? Leninismus - die Zweckmäßigkeit zeitlich begrenzter Bündnisse. Was glaubst du, dass Spione seien: Priester, Heilige, Märtyrer? Sie sind eine schmutzige Prozession von hohlen Narren und Verrätern. Ja, auch von Schwulen, Sadisten und Trinkern. Von Leuten, die Räuber und Gendarm spielen, um ihrem erbärmlichen Leben etwas Reiz zu geben. Glaubst du, sie sitzen wie Mönche in London und wägen Recht gegen Unrecht ab? Ich würde Mundt getötet haben, wenn ich gekonnt hätte, ich hasse seinen Charakter. Aber nicht jetzt, da man ihn gerade braucht. Man braucht ihn, damit die große, dumme Masse, die du bewunderst, nachts ruhig in ihren Betten schlafen kann. Man braucht ihn für die Sicherheit gewöhnlicher, unscheinbarer Leute wie du und ich.«

»Aber was ist mit Fiedler - empfindest du gar nichts für ihn?«

»Dies ist ein Krieg«, antwortete Leamas. »Es wird besonders deutlich, wie unerfreulich er ist, weil er im kleinen Maßstab aus großer Nähe ausgetragen wird. Manchmal wird dabei unschuldiges Leben vergeudet, das gebe ich zu. Aber er ist nichts, überhaupt nichts, im Vergleich zu anderen Kriegen - dem letzten oder dem nächsten.«

»O Gott«, sagte Liz schwach. »Du verstehst nicht. Du willst nicht verstehen. Du versuchst, dich selbst zu überzeugen. Was sie tun, ist doch viel schlimmer: sie spüren die menschlichen Gefühle in den Leuten auf - in mir und allen anderen, die sie benützen wollen - und verwandeln sie in ihren Händen zu Waffen, um damit zu verletzen und zu töten …«

»Großer Gott«, rief Leamas. »Was sonst haben die Menschen getan, seit die Welt besteht? Ich glaube an nichts, verstehst du? Nicht einmal an Zerstörung oder Anarchie. Ich habe genug vom Töten, übergenug, aber ich sehe nicht, welche andere Möglichkeit sie hätten. Sie versuchen nicht, zu bekehren, sie stehen nicht auf Kanzeln oder Parteitribünen, um zum Kampf für Frieden oder für Gott oder für was auch immer aufzurufen. Sie sind die armen Hunde, die die Prediger daran zu hindern versuchen, einander in die Luft zu jagen.«

»Du hast nicht recht«, erklärte Liz hoffnungslos. »Sie sind schlechter als wir alle.«

»Weil ich mit dir ein Verhältnis hatte, als du glaubtest, ich sei ein Vagabund?« fragte Leamas wütend.

»Weil sie alles verachten«, antwortete Liz. »Weil sie alles verachten, was wahr und gut ist: die Liebe, die …«

»Ja«, stimmte Leamas plötzlich erschöpft zu. »Das ist der Preis, den sie zahlen: Gott und Karl Marx im selben Satz zu verachten. Wenn du das meinst.«

»Du bist nicht anders«, fuhr Liz fort, »nicht anders als Mundt und der ganze Rest. Ich muß es ja wissen, ich bin diejenige gewesen, die herumgestoßen wurde, oder nicht? Von den anderen und von dir, von dir, weil es dir egal ist. Nur von Fiedler nicht … Aber ihr anderen alle habt mich behandelt, als ob ich nichts wäre … nur Währung, mit der man bezahlen kann. Ihr seid alle gleich, Alec.«

»O Liz«, sagte er verzweifelt. »Glaube mir um Gottes willen. Ich hasse das alles, ich bin es leid. Aber es ist die Welt, es ist die Menschheit, die verrückt geworden ist. Wir wären doch nur ein kleiner Preis. Aber es ist überall das gleiche, Menschen, betrogen und irregeführt, ganze Leben weggeworfen, Menschen erschossen und im Gefängnis, ganze Gruppen und Klassen abgeschrieben - für nichts. Und deine Partei: Gott weiß, dass sie auf den Leibern gewöhnlicher Leute errichtet worden ist. Du hast nicht wie ich Menschen sterben gesehen, Liz …«

Während er sprach, erinnerte sich Liz wieder des schäbigen Gefängnishofes und der Wärterin, die sagte: »Es ist ein Gefängnis für die, die den Aufbau verzögern … Für die, die ein Recht auf Irrtum zu haben glauben.«

Leamas schaute plötzlich angespannt durch die Windschutzscheibe. Im Scheinwerferlicht des Wagens sah Liz einen Mann auf der Straße stehen. In der Hand hielt er eine kleine Lampe, die er an- und ausknipste, als sich der Wagen näherte. »Das ist er«, murmelte Leamas. Er schaltete die Scheinwerfer und den Motor ab, und ließ den Wagen lautlos weiterrollen. Als sie den Mann erreicht hatten, lehnte sich Leamas zurück und öffnete die hintere Tür. Liz drehte sich nicht um und sah ihn nicht an, als er einstieg. Sie starrte bewegungslos geradeaus die Straße hinunter in den fallenden Regen.

»Fahren Sie mit dreißig Stundenkilometern«, sagte der Mann. Seine Stimme klang heiser und ängstlich. »Ich werde Ihnen den Weg zeigen. Wenn wir die Stelle erreichen, müssen Sie aussteigen und zur Mauer laufen. Der Scheinwerfer wird die Stelle anstrahlen, wo Sie hochklettern müssen. Stellen Sie sich in Richtung des Lichtstrahls. Beginnen Sie hochzuklettern, sobald der Strahl weiterschwenkt. Sie werden neunzig Sekunden haben, um hinüberzukommen. Sie gehen zuerst«, sagte er zu Leamas, »und das Mädchen folgt. Es sind Eisensprossen im unteren Teil - hernach müssen Sie sich hochziehen, so gut Sie können. Sie werden sich oben setzen und das Mädchen hochziehen müssen. Haben Sie verstanden?«

»Wir haben verstanden«, sagte Leamas. »Wie lange ist es noch?«

»Wenn Sie mit dreißig Stundenkilometern fahren, werden wir in ungefähr neun Minuten dort sein. Der Scheinwerfer wird genau fünf nach eins auf die Mauer gerichtet. Man kann Ihnen neunzig Sekunden geben. Nicht mehr.«

»Was geschieht nach neunzig Sekunden?« fragte Leamas.

»Man kann Ihnen nur neunzig Sekunden geben«, wiederholte der Mann. »Sonst ist es zu gefährlich. Es ist nur eine Streife instruiert worden. Die Männer glauben, dass Sie nach Westberlin eingeschleust werden. Sie haben den Befehl erhalten, es nicht zu leicht zu machen. Neunzig Sekunden genügen.«

»Das will ich sehr hoffen«, sagte Leamas trocken. »Wie spät haben Sie?«

»Ich habe meine Uhr mit der des Streifenführers verglichen«, antwortete der Mann. Auf dem Rücksitz des Wagens zuckte kurz ein Licht auf. »Es ist zwölf Uhr achtundvierzig. Fünf vor eins müssen wir weiter. Noch sieben Minuten zu warten.«

Sie saßen in völliger Stille, bis auf das Geräusch des Regens, der auf das Wagendach trommelte. Das Pflaster der vor ihnen liegenden Straße wurde alle hundert Meter von schwachen Straßenlaternen beleuchtet. Es war niemand zu sehen. Der Himmel über ihnen schimmerte düster im unnatürlichen Schein entfernter Bogenlampen. Gelegentlich strich der Strahl des Scheinwerfers über sie hinweg. Weit links erblickte Leamas dicht über dem Horizont ein Licht, das wie der Widerschein eines Feuers laufend seine Stärke wechselte.

»Was ist das?« fragte er, indem er darauf deutete.

»Der Informationsdienst«, antwortete der Mann. »Eine Tafel aus vielen Lampen, mit der in Leuchtschrift Nachrichtenschlagzeilen nach Ostberlin herübergestrahlt werden.«

»Natürlich«, murmelte Leamas. Sie waren dem Ende der Straße sehr nahe.

»Es gibt kein Umkehren«, fuhr der Mann fort. »Hat er Ihnen das gesagt? Es gibt keine zweite Chance.«

»Ich weiß«, erwiderte Leamas.

»Wenn irgend etwas schiefgeht - wenn Sie fallen oder sich verletzen, kehren Sie nicht um. Innerhalb des Streifens an der Mauer wird sofort geschossen. Sie müssen hinüberkommen.«

»Wir wissen Bescheid«, wiederholte Leamas. »Er hat es mir gesagt.«

»Sobald Sie aus dem Wagen gestiegen sind, befinden Sie sich im Grenzstreifen.«

»Wir wissen es. Nun seien Sie ruhig«, sagte Leamas.

Dann fügte er hinzu: »Bringen Sie den Wagen zurück?«

»Sobald Sie ausgestiegen sind, fahre ich weg. Auch für mich ist es gefährlich.«

»Was Sie nicht sagen.«

Wieder war Stille. Dann fragte Leamas: »Haben Sie einen Revolver?«

»Ja«, sagte der Mann. »Aber ich kann ihn nicht hergeben. Er sagte, ich dürfe ihn Ihnen nicht geben … Sie würden sicher danach fragen.«

Leamas lachte spöttisch. »Das dachte ich mir«, sagte er.

Leamas startete den Motor. Mit einem Lärm, der die ganze Straße auszufüllen schien, fuhr der Wagen langsam vorwärts. Sie waren ungefähr hundert Meter gefahren, als der Mann aufgeregt flüsterte: »Hier rechts, dann links.« Sie bogen in eine enge Nebenstraße ein. Zu beiden Seiten waren leere Marktstände, so dass der Wagen kaum hindurchkam.

»Hier links, jetzt.«

Leamas zog den Wagen schnell herum, diesmal zwischen zwei hohe Gebäude in eine Straße hinein, die wie eine Sackgasse aussah. Es hing Wäsche über der Straße, und Liz war nicht sicher, ob sie darunter hindurchkommen würden.

Als sie sich dem Ende der Sackgasse näherten, sagte der Mann: »Links, fahren Sie auf den Fußweg.«

Leamas fuhr den Bordstein hinauf und über den Bürgersteig in einen breiten Fußweg, der links von einem verfallenen Geländer und rechts von einem hohen, fensterlosen Gebäude eingesäumt war. Irgendwo über ihnen hörten sie eine Frauenstimme rufen. »Halt den Mund«, murmelte Leamas, während er ungeschickt eine rechtwinkelige Biegung des Weges nahm, der fast gleich darauf in eine breitere Straße mündete.

»Wohin?« fragte er.

»Geradeaus drüber - an der Apotheke vorbei - zwischen der Apotheke und dem Postamt - da!« Der Mann beugte sich so weit nach vorn, dass sein Gesicht fast zwischen ihren Köpfen war. Über die Schulter von Leamas hinweg zeigte er jetzt die Richtung an, wobei er seine Fingerspitze gegen die Windschutzscheibe preßte.

»Setzen Sie sich zurück«, zischte Leamas. »Nehmen Sie Ihre Hand weg. Wie, zum Teufel, soll ich etwas sehen, wenn Sie mit Ihrer Hand so herumfuchteln?« Er drückte den Schalthebel in den ersten Gang und überquerte schnell die breite Straße. Als er dabei nach links schaute, bemerkte er erstaunt nur hundert Meter entfernt die gedrungene Silhouette des Brandenburger Tores und an dessen Fuß die unheimlich wirkende Ansammlung von Militärfahrzeugen.

»Wohin fahren wir?« fragte Leamas plötzlich.

»Wir sind fast da. Fahren Sie langsam jetzt. Links, links, fahren Sie nach links!« schrie er, und Leamas riß das Steuer gerade noch rechtzeitig herum. Sie fuhren durch einen engen Torbogen in einen Hof. Die Fensterscheiben in dem Gebäude fehlten zur Hälfte, teils waren die Öffnungen mit Brettern verschlagen; die leeren Eingänge gähnten sie an. Am anderen Ende des Hofes war ein offenes Tor. »Da durch«, kam der geflüsterte Befehl, »dann scharf rechts. Sie werden rechts eine Straßenlaterne sehen, die nächste dahinter ist kaputt. Wenn Sie an die zweite Laterne kommen, stellen Sie den Motor ab und rollen Sie weiter, bis Sie einen Hydranten sehen. Das ist es.«

»Warum, zum Teufel, sind Sie nicht selbst gefahren?«

»Er sagte, Sie sollten fahren. Er meinte, es wäre sicherer.«

Sie passierten das Tor und bogen scharf nach rechts. Sie waren in einer engen Straße. Es war stockfinster.

»Licht aus.«

Leamas schaltete das Wagenlicht aus und fuhr langsam auf die erste Laterne zu. Weiter vorn war gerade noch die zweite zu sehen. Sie brannte nicht. Er stellte den Motor ab, und sie rollten lautlos weiter, bis sie acht Meter vor sich den schwachen Umriß des Hydranten wahrnahmen. Leamas bremste, der Wagen hielt.

»Wo sind wir?« flüsterte Leamas. »Haben wir nicht die Leninallee überquert?«

»Greifswalder Straße. Dann nordwärts. Wir sind nördlich der Bernauerstraße.«

»Pankow?«

»So ungefähr. Sehen Sie«, der Mann zeigte in eine Seitenstraße hinein. An ihrem Ende sahen sie ein kurzes Stück der Mauer. Es schimmerte graubraun im müden Licht der Bogenlampen. Oben waren drei Reihen Stacheldraht gespannt.

»Wie soll das Mädchen über den Draht kommen?«

»Er ist schon durchschnitten, wo Sie hinübersteigen. Es ist ein schmales Loch. Sie haben eine Minute, um die Mauer zu erreichen. Leben Sie wohl.«

Sie hatten den Wagen verlassen, alle drei. Leamas nahm Liz am Arm, und sie wich zurück, als hätte er sie verletzt.

»Leben Sie wohl«, sagte der Deutsche.

Leamas flüsterte nur: »Lassen Sie den Motor nicht an, bis wir hinüber sind.«

Liz blickte den Deutschen einen Moment an. In dem schwachen Licht hatte sie den flüchtigen Eindruck eines ängstlichen, jungen Gesichtes: das Gesicht eines Knaben, der tapfer zu sein versuchte.

»Leben Sie wohl«, sagte Liz.

Sie löste ihren Arm und folgte Leamas in die enge Straße, die zur Mauer führte.

Als sie die Straße betraten, hörten sie den Wagen hinter sich starten, wenden und schnell in der Richtung, aus der sie gekommen waren, davonfahren.

»Bring dich nur in Sicherheit, du Saukerl«, murmelte Leamas und blickte dem Wagen nach.

Liz hörte ihn kaum.

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