18

Franklin Clarke traf am folgenden Nachmittag um drei Uhr bei uns ein und äußerte sich, ohne lange um den heißen Brei herumzureden, entschlossen zur Sache.

«Monsieur Poirot, ich bin nicht zufrieden.»

«Nein, Mr. Clarke?»

«Ich zweifle nicht daran, dass Crome ein fähiger Beamter ist, aber er bringt mich offen gestanden zur Raserei. Diese überhebliche Besserwisserei! Ich habe Ihrem Freund hier seinerzeit in Churston angedeutet, was mir vorschwebte, aber da ich alle geschäftlichen Dinge für meinen verstorbenen Bruder erledigen musste, hatte ich bis heute einfach noch keine freie Stunde. Meine Idee geht dahin, Monsieur Poirot, dass wir erstens kein Gras über die Sache wachsen lassen dürfen…»

«Genau das sagt Hastings mir auch immer!»

«… sondern unbeirrt vorgehen sollten. Wir müssen uns auf das nächste Verbrechen vorbereiten.»

«Sie glauben also, dass es ein nächstes Verbrechen geben wird?»

«Sie nicht?»

«Doch.»

«Also! Ich möchte, dass wir uns organisieren.»

«Bitte, erklären Sie mir Ihre Vorstellung etwas ausführlicher.»

«Ich möchte vorschlagen, dass wir eine Art Sonderbrigade bilden – bestehend aus den Verwandten und Freunden der drei Toten –, die unter Ihrem Oberbefehl stehen soll.»

«Ausgezeichnete Idee!»

«Ich freue mich, dass Sie mir zustimmen. Wenn wir unsere Kräfte vereinigen, könnten wir doch zu greifbaren Resultaten gelangen, so scheint mir wenigstens. Wenn wir alle auf Pikett stehen, sobald die nächste Warnung erfolgt, dann wäre es doch möglich, dass jemand von uns jemanden erkennt, der bereits an einem der früheren Tatorte auftauchte. Ich sage nicht, dass dies wahrscheinlich sei, aber es wäre immerhin möglich.»

«Ich verstehe sehr genau, wie Sie es meinen. Aber Sie dürfen nicht vergessen, Mr. Franklin, dass Freunde und Verwandte der anderen Opfer keineswegs Menschen aus Ihren Kreisen sind. Es sind ausnahmslos Angestellte, und selbst wenn man ihnen einen kurzen Urlaub zubilligen würde…»

«Darüber wollte ich eben sprechen», unterbrach Franklin Clarke ihn. «Nicht dass ich selber besonders begütert wäre, aber mein Bruder starb als reicher Mann, und es ist möglich, dass ich einst sein Haupterbe sein werde. Deshalb schlage ich, wie gesagt, die Bildung dieser Spezialgruppe vor, deren Mitglieder für ihre Dienste bezahlt werden sollen, und zwar entsprechend ihren sonstigen Einnahmen, wozu selbstverständlich die Begleichung ihrer Extraausgaben käme.»

«Und wer soll in diese Gruppe aufgenommen werden?»

«Auch darüber habe ich bereits eingehend nachgedacht. Ich habe nämlich mit Miss Megan Barnard korrespondiert, und mein Vorschlag ist auf eine Anregung zurückzuführen, die sie machte. Also: Unserer Vereinigung würden angehören – ich selber, Miss Barnard, Mr. Donald Fraser, der mit dem ermordeten Mädchen verlobt war, und eine Nichte der Frau aus Andover – Miss Barnard kennt ihre Adresse. Der Mann dieser Mrs. Ascher würde vermutlich keine große Hilfe bedeuten, da er, wie man mir sagte, fast immer betrunken ist. Ebenso glaube ich, dass die Eltern Barnard schon zu alt sind für einen wirklichen Feldzug.»

«Und sonst niemand?»

«Nun – äh – doch. Miss Grey.»

Er errötete leicht, als er den Namen aussprach.

«Aha! Miss Grey!»

Kein Mensch auf der ganzen Welt konnte eine so delikate Nuance feiner Ironie in drei Worte legen wie Hercule Poirot! Plötzlich schienen fünfunddreißig Jahre von Franklin Clarke abzufallen. Er sah aus wie ein verlegener kleiner Schuljunge.

«J-ja. Sehen Sie, Miss Grey war zwei Jahre lang bei meinem Bruder. Sie kennt die Gegend, die Leute und alles. Ich selber war über ein Jahr verreist, fast eineinhalb Jahre…»

Poirot erbarmte sich seiner und wechselte das Thema.

«Sie waren in Ostasien, nicht wahr? In China?»

«Ja. Ich war quasi für meinen Bruder unterwegs, um Sachen für ihn einzukaufen.»

«Das muss ja ungemein interessant gewesen sein… Nun, Mr. Clarke, ich stimme Ihrem Vorschlag voll und ganz zu. Erst gestern habe ich Hastings auseinandergesetzt, dass eine Fühlungnahme zwischen den Betroffenen unbedingt notwendig sei. Erinnerungen müssen aufgefrischt, Entdeckungen ausgetauscht, die Begebenheiten gründlich besprochen – wieder und wieder besprochen – und erörtert werden. Ein ganz harmloser Satz könnte plötzlich die Erleuchtung bringen.»

Wenige Tage später traf sich die neu gebildete Sonderbrigade in Poirots Zimmer.

Als alle rund um den Tisch saßen und Poirot – der wie ein Vorsitzender im Unterhaus auf seinem Platz thronte – ergeben ansahen, betrachtete ich jedes einzelne der Gesichter, um die ersten Eindrücke, die ich von ihnen bekommen hatte, bestätigt zu sehen oder einer Korrektur zu unterziehen.

Die drei Mädchen sahen jedes auf seine Weise anziehend aus. Die außerordentlich blonde Schönheit Thora Greys – die dunkle Intensität Megan Barnards mit ihrem undurchdringlichen Gesicht, das mich an das eines Indianers gemahnte – Mary Drower, in ordentliches Schwarz gekleidet, mit dem hübschen, intelligenten Gesicht… Die beiden Männer, der sonnenverbrannte, große und redselige Franklin Clarke und der beherrschte, ruhige Donald Fraser, bildeten einen denkbar großen Gegensatz.

Poirot konnte – natürlich! – der Verlockung nicht widerstehen, eine kleine Rede zu halten.

«Mesdames, Messieurs! Sie wissen, weshalb wir uns hier versammelt haben. Die Polizei tut alles Menschenmögliche, um diesen Verbrecher zu fassen. Das tue auch ich, auf meine Weise. Aber ich glaube, dass einem Zusammenschluss aller, die ein persönliches Interesse an der Sache haben – und außerdem die Opfer persönlich sehr gut kannten –, Erfolge beschieden sein könnten, die eine rein sachliche und äußerliche Untersuchung niemals zu zeitigen vermag.

Wir stehen also drei Morden gegenüber – dem an einer alten Frau, dem an einem jungen Mädchen und dem an einem älteren Herrn. Nur eines verbindet diese drei Personen: die Tatsache, dass sie von ein und derselben Hand getötet wurden. Das heißt: dass ein Mensch an drei verschiedenen Schauplätzen anwesend gewesen sein muss und demzufolge unweigerlich von vielen Leuten gesehen worden ist. Dass dieser Mensch ein Wahnsinniger ist, brauche ich wohl nicht zu betonen. Dass seine Erscheinung und sein Benehmen das nicht vermuten lassen, ist ebenfalls einleuchtend. Dieser Mensch – und wenn ich von ihm dauernd per ‹er› spreche, so heißt das keineswegs, dass es sich nicht um eine Frau handeln könnte – besitzt die teuflische Schlauheit des Geistesgestörten. Bis jetzt ist es ihm gelungen, seine Spuren restlos zu verwischen. Die Polizei verfolgt wohl verschiedene Hinweise, aber eine wirkliche Basis, gegen den Täter vorzugehen, hat auch sie noch nicht gefunden.

Nichtsdestoweniger muss es Anhaltspunkte geben, die nicht vage, sondern sehr greifbar sind. Zum Beispiel: Der Mörder kann unmöglich um Mitternacht in Bexhill angekommen sein und am Strand, wie gewünscht, eine junge Dame, deren Name mit B begann, angetroffen haben…»

«Müssen wir darüber sprechen?»

Es war Donald Fraser, der diese Frage stellte – aus dem diese Worte, wie einer inneren Angst abgerungen, hervorbrachen.

«Wir müssen notwendigerweise über alles sprechen, Monsieur», antwortete Poirot ihm. «Sie sind nicht hier, um klaren Gedankengängen auszuweichen, wenn sie Ihr Gefühl verletzen, sondern um jede kleinste Einzelheit noch und noch zu erörtern, die uns der Lösung aller Fragen näher bringen kann. Wie ich also vorhin sagte: Es kann nicht ausschließlich Glück gewesen sein, dass ABC Betty Barnard traf. Diesem ‹Zufall› muss klare Planung und damit Vorbedacht nachgeholfen haben. Das heißt: ABC muss sein Jagdgefilde vorher ausgekundschaftet haben. Über gewisse Gegebenheiten – die günstigste Stunde für den Mord in Andover, das Zusammentreffen mit dem Opfer in Bexhill und die täglichen Gewohnheiten Sir Carmichael Clarkes in Churston – muss ABC sich vorher unterrichtet haben. Ich für meine Person lehne es ab, daran zu glauben, dass keinerlei Hinweis, nicht die leiseste Spur vorhanden sein sollten, die uns helfen könnten, die Identität dieses Fremden festzustellen.

Ich behaupte, dass niemand von Ihnen – oder vielleicht jeder einzelne – etwas weiß, von dem er nicht weiß, dass er es weiß! Früher oder später wird irgendeine Kleinigkeit ans Tageslicht kommen, die durch einen unablässigen Gedankenaustausch plötzlich eine Bedeutung erhält, von der wir alle nicht zu träumen wagten. Das ist wie bei einem Puzzle: Vielleicht hält jeder von Ihnen ein Stückchen in der Hand, das vollkommen sinnlos und nirgends passend scheint, das aber, vereint mit anderen, das Bild erst klar hervortreten lässt.»

«Leere Worte!», sagte Megan Barnard.

«Eh?» Poirot sah sie fragend an.

«Was Sie eben sagten, sind leere Worte, die gar keinen Sinn ergeben.»

Das äußerte sie mit jener entschlossenen, finsteren Intensität, die sich für mich bereits unlöslich mit ihrer Person verbunden hatte.

«Worte, Mademoiselle, sind lediglich die äußere Umhüllung von Gedanken.»

«Ich halte diese Worte gar nicht für sinnlos, Miss», warf Mary Drower hier ein. «Bestimmt nicht. Es ist doch oft so, dass man etwas besprechen muss, bevor man seinen Weg klar sieht. Miteinander reden bringt vielleicht doch etwas Licht in die Sache.»

«Dann wollen wir uns also hier an das Gegenteil von ‹Schweigen ist Gold› halten», bemerkte Clarke.

«Was sagen Sie dazu, Mr. Fraser?»

«Ich zweifle am praktischen Wert Ihres Vorschlags, Monsieur Poirot.»

«Und Sie, Thora?», fragte Franklin Clarke.

«Ich finde die Anregung zu gegenseitiger Aussprache sehr vernünftig.»

«Dann schlage ich vor», übernahm Poirot wieder die Führung des Gesprächs, «dass Sie sich alle an die Zeit unmittelbar vor den Morden zu erinnern versuchen. Vielleicht fangen Sie an, Mr. Clarke.»

«Warten Sie. Am Morgen des Tages, an dem Car ermordet wurde, ging ich segeln. Fing acht Makrelen. Wunderschön in der Bucht draußen. Mittags aß ich zu Hause. Irish-Stew, daran erinnere ich mich noch genau. Schlief dann in der Hängematte. Tee. Schrieb einige Briefe, verpasste den Postboten und fuhr nach Paignton, um sie aufzugeben. Abendessen und nachher – ich schäme mich dieses Eingeständnisses nicht! – las ich mal wieder ein Buch von E. Nesbit, das ich schon als Kind gern gelesen hatte. Dann, als das Telefon klingelte…»

«Das genügt. Nun denken Sie bitte nach, Mr. Clarke, ob Sie auf Ihrem Weg zur See hinunter jemanden getroffen haben.»

«Eine ganze Menge Leute.»

«Können Sie sich an irgendetwas im Zusammenhang mit ihnen erinnern?»

«Nein, an überhaupt nichts.»

«Sind Sie ganz sicher?»

«Moment… Nun, ich erinnere mich an eine auffällig dicke Frau – sie trug ein gestreiftes Seidenkleid, und ich fragte mich, warum sie das tat –, sie hatte zwei Kinder bei sich… Dann waren zwei junge Männer am Strand, die mit einem Foxterrier spielten. Ja, richtig! Ein Mädchen mit hellblonden Haaren, das quietschte, als es ins Wasser stieg… Merkwürdig, was einem alles einfällt, wenn man so zurückdenkt… wie eine fotografische Platte, die man langsam entwickelt…»

«Sie sind ein wundervolles Versuchsobjekt! Nun, und später, im Garten, auf dem Weg zur Post?»

«Der Gärtner spritzte die Blumenbeete… Auf dem Weg zur Post?… Ja, da rannte ich beinahe eine Radfahrerin um, eine dumme Frau, die hin und her wackelte, während sie einer Freundin etwas zurief… Das ist alles – leider.»

«Und Sie, Miss Grey?»

Thora Grey antwortete klar und entschlossen.

«Ich erledigte morgens mit Sir Carmichael die Post. Sonst sah ich nur die Haushälterin. Nachmittags schrieb ich Briefe und stickte ein wenig. Ich glaube wenigstens. Es ist schwer, sich zu erinnern. Es war ein ganz normaler Tag. Ich ging früh zu Bett.»

Zu meiner Überraschung stellte Poirot keine weiteren Fragen an sie.

«Miss Barnard. – können Sie sich an das letzte Mal erinnern, da Sie Ihre Schwester sahen?»

«Das war ungefähr vierzehn Tage vor ihrem Tod. Ich war übers Wochenende zu Hause. Es war strahlend schönes Wetter. Wir gingen zusammen ins Schwimmbad nach Hastings.»

«Worüber unterhielten Sie sich hauptsächlich?»

«Ich sagte ihr meine Meinung.»

«Und sonst? Wovon sprach sie?»

Das Mädchen runzelte nachdenklich die Stirn.

«Sie redete davon, dass sie knapp bei Kasse sei – von einem Hut und zwei Sommerkleidern, die sie eben gekauft habe. Und ein wenig von Don… Sie bemerkte auch, dass sie Milly Higley nicht riechen könne – das ist das Mädchen aus dem Café –, und dann machten wir uns eine Weile über die Merrion lustig, die Geschäftsführerin des Cafés… mehr fällt mir nicht ein…»

«Sie erwähnte nicht vielleicht einen Mann – entschuldigen Sie, Mr. Fraser! –, den sie treffen wollte?»

«Mir gegenüber ganz bestimmt nicht», bemerkte Megan trocken. Poirot wandte sich dem jungen, rothaarigen Mann mit der eckigen Wangenlinie zu.

«Mr. Fraser, auch Sie bitte ich, ihre Gedanken zurückschweifen zu lassen. Sie gingen also laut Ihrer Aussage am fraglichen Abend zum Café. Ihre Absicht war ursprünglich, zu warten, bis Betty Barnard herauskommen würde. Können Sie sich an irgendjemanden erinnern, der Ihnen aufgefallen wäre, während Sie dort warteten?»

«Es gingen so viele Menschen vor dem Café auf und ab… Mir ist niemand Bestimmtes aufgefallen.»

«Verzeihen Sie, Mr. Fraser, aber haben Sie sich wirklich bemüht, sich an etwas zu erinnern? Mag der Geist noch so sehr beschäftigt sein – die Augen nehmen ganz mechanisch manches wahr, gedankenlos vielleicht, aber scharf…»

Der junge Mann wiederholte steif: «Ich erinnere mich an niemanden.»

Poirot seufzte und wandte sich Mary Drower zu. «Ich nehme an, dass Sie Briefe von Ihrer Tante bekommen haben.»

«O ja, Sir.»

«Wann kam der letzte?»

Mary dachte kurz nach. «Zwei Tage vor ihrem Tod, Sir.»

«Und was schrieb sie Ihnen?»

«Dass der alte Teufel wieder bei ihr gewesen sei und dass sie ihm wieder einmal die Läuse heruntergemacht habe – entschuldigen Sie den Ausdruck, Sir – und dass sie mich am Mittwoch erwarte – das war mein freier Tag, wissen Sie – und dass wir dann ins Kino gehen wollten. Es war nämlich gerade mein Geburtstag, Sir.»

Die Erinnerung an das geplante kleine Fest ließ Mary die Tränen in die Augen schießen. Sie schluckte ein Aufweinen hinunter. Dann entschuldigte sie sich dafür.

«Verzeihung, Sir. Ich will nicht dumm sein. Weinen hilft nichts. Ich musste nur eben daran denken, dass sie und ich uns auf meinen Geburtstag freuten…»

«Das kann ich Ihnen sehr gut nachfühlen», sagte Franklin Clarke. «Es sind doch meist die kleinen Dinge, die einen rühren, und ganz besonders natürlich die Freundlichkeiten – ein Geschenk, eine Einladung –, etwas Liebevolles und manchmal auch etwas ganz Alltägliches. Ich war einmal Zeuge, als eine Frau überfahren wurde. Sie hatte eben Schuhe gekauft. Ich sah sie daliegen, daneben das zerrissene Paket, aus dem die lächerlichen kleinen Schuhe mit den hohen Absätzen hervorschauten – das hat mich gepackt… Es sah so unendlich rührend aus.»

Megan schien sich plötzlich zu erwärmen.

«Ja, das stimmt, das ist wirklich wahr. Genau das gleiche ist nach Bettys Tod passiert. Mutter hatte Strümpfe für sie gekauft, um sie ihr zu schenken. Am Tag – an dem es geschah, hatte sie diese Strümpfe gekauft. Arme Mutter, sie war so außer sich! Ich hörte, wie sie weinte und immer vor sich hin sagte: ‹Ich habe sie für Betty gekauft – ich habe sie doch für Betty gekauft, und jetzt hat sie sie nicht einmal gesehen.›»

Nun schwankte auch ihre Stimme ein wenig. Sie beugte sich vor und sah Franklin Clarke fest ins Gesicht. Zwischen den beiden Menschen sprang plötzlich ein Funke von Sympathie über – eine Verbrüderung im Schmerz.

«Ja, gerade solche Dinge sind die traurigsten Erinnerungen», stimmte er ihr bei.

Donald Fraser rutschte unbehaglich hin und her.

Thora Grey lenkte das Gespräch in sachlichere Bahnen.

«Wollten wir nicht irgendwelche Pläne für die Zukunft machen?», fragte sie.

«Doch, sicherlich.» Franklin Clarke schüttelte die weiche Stimmung ab. «Ich denke, dass wir, sobald der vierte Brief eintrifft, unsere Kräfte vereinigen sollten. Bis dahin muss jeder von uns auf eigene Faust sein Glück versuchen. Ich weiß nicht, ob Monsieur Poirot besondere Punkte im Auge hat, die noch einer Klärung bedürfen?»

«In dieser Hinsicht kann ich einige Vorschläge machen», sagte Poirot.

«Gut. Ich werde sie notieren.» Clarke zog ein Notizbuch hervor. «Also bitte, Monsieur Poirot. Ad A…?»

«Ich vermute, dass die Kellnerin Milly Higley einiges weiß, was uns nützlich sein könnte.»

«A: Milly Higley», schrieb Franklin Clarke auf.

«Dafür möchte ich zwei Methoden der Annäherung vorschlagen. Sie, Miss Barnard, könnten die aggressive Methode übernehmen.»

«Sie denken, das entspräche meinem Naturell, nicht wahr?»

«Fangen Sie einen Streit mit dem Mädchen an. Sagen Sie ihr, Sie wüssten genau, dass sie Ihre Schwester nie habe leiden können und dass Ihre Schwester Ihnen alles über sie gesagt habe. Wenn ich nicht sehr irre, wird das eine Flut von Anschuldigungen zur Folge haben. Sie wird Ihnen ihre wirkliche Meinung über Ihre Schwester an den Kopf werfen, und dabei könnte etwas Aufschlussreiches ans Tageslicht kommen.»

«Und die zweite Methode?»

«Darf ich vorschlagen, dass Sie, Mr. Fraser, sich angeblich für Miss Higley zu interessieren beginnen?»

«Ist das nötig?»

«Nein, nötig ist es nicht. Aber es ist eine mögliche Linie, Miss Higley auszuhorchen.»

«Soll ich das vielleicht versuchen?», fragte Franklin. «Ich habe eine – hm – ziemlich ausgedehnte Erfahrung, Monsieur Poirot. Möglicherweise würde ich mit der jungen Dame ganz gut zu Rande kommen.»

«Sie haben mit der Erledigung Ihrer eigenen Geschäfte momentan genug zu tun», warf Thora Grey scharf ein.

Franklins Gesicht sah plötzlich verschlossen aus.

«Ja, da haben Sie Recht.»

«Tout de même – viel gibt es doch wahrscheinlich gerade jetzt dort nicht für Sie zu tun. Mademoiselle Grey ist bestimmt bedeutend tüchtiger und so gut eingearbeitet, dass…»

Thora Grey unterbrach ihn.

«Ich bin nicht mehr in Devon, Monsieur Poirot.»

«Ach? Das wusste ich nicht.»

«Miss Grey war so liebenswürdig, mir bei der Sichtung und beim Ordnen des Nachlasses behilflich zu sein. Aber natürlich sagt ihr eine Stellung in London weit mehr zu.»

Poirot sah sehr aufmerksam von einem zum anderen.

«Wie geht es Lady Clarke?», fragte er.

Ich war so entzückt über das Aufflammen einer zarten Röte in Thora Greys blassem Gesicht, dass ich Clarkes Antwort fast überhörte.

«Sehr schlecht. Übrigens, Monsieur Poirot, wollte ich Sie fragen, ob Sie es möglich machen könnten, ihr einen Besuch abzustatten? Sie äußerte den Wunsch, Sie zu sehen, bevor ich wegfuhr. Manchmal kann sie zwar tagelang keinen Menschen empfangen, aber wenn Sie dieses Risiko auf sich nehmen wollten – auf meine Kosten selbstverständlich…»

«Gewiss, Mr. Clarke. Vielleicht übermorgen?»

«Gut. Ich werde die Krankenschwester sofort verständigen, damit sie die Spritzen entsprechend einteilt.»

«Ihnen, mein Kind», wandte sich Poirot an Mary Drower, «möchte ich die Arbeit in Andover zuteilen. Versuchen Sie vor allem, die Kinder auszuhorchen.»

«Die Kinder?»

«Ja. Kinder sprechen nicht gern mit Unbekannten. Aber Sie sind ja in der Straße, wo Ihre Tante lebte, keine Fremde. Und die vielen Kinder, die dort immer spielen, könnten doch bemerkt haben, wer im Geschäft Ihrer Tante ein und aus ging.»

«Und was sollen Miss Grey und ich selber tun?», fragte Clarke. «Das heißt, falls Sie mich nicht doch nach Bexhill schicken wollen.»

«Monsieur Poirot, wie lautete der Poststempel auf dem dritten Brief?», fragte Thora Grey.

«Putney – Mademoiselle.»

«S. W. 15, Putney, das stimmt, nicht wahr?»

«Ja, wundersamerweise haben die Zeitungen das einmal richtig gedruckt.»

«Das weist daraufhin, dass ABC ein Londoner sein muss.»

«Auf den ersten Blick schon, gewiss.»

«Es müsste doch festzustellen sein», murmelte Clarke nachdenklich. «Monsieur Poirot, wie wäre es, wenn ich ein Inserat aufgäbe… ungefähr des Inhalts: ‹ABC. Dringend! H. P. auf Ihrer Spur! Ein Hunderter für mein Schweigen! XYZ.› Nicht ganz so marktschreierisch – aber Sie verstehen, was ich meine? Das könnte ihn vielleicht aufscheuchen.»

«Das wäre eine Möglichkeit – ja.»

«Es könnte ihn dazu verführen, mich ausfindig machen zu wollen.»

«Ich halte diesen Vorschlag für gefährlich und dumm», fuhr Thora Grey auf. «Was sagen Sie dazu, Monsieur Poirot?»

«Es kann nicht schaden, es zu versuchen. Ich persönlich glaube, dass ABC zu schlau ist, darauf zu antworten.»

Poirot lächelte verstohlen. «Ich bemerke, Mr. Clarke, dass Sie im Grunde Ihres Herzens noch immer ein kleiner Junge geblieben sind – wenn ich das sagen darf, ohne Sie zu verletzen.»

Franklin Clarke sah ein wenig beschämt vor sich hin. «Also, dann wollen wir anfangen», sagte er und las aus seinem Notizbuch vor:


«A – Miss Barnard und Miss Higley.

B – Mr. Fraser und Miss Higley.

C – Miss Drewer und die Kinder in Andover.

D – ein Inserat aufgeben.


Ich glaube zwar nicht, dass diese Unternehmen von Erfolg gekrönt sein werden, aber sie werden uns die Wartezeit etwas verkürzen.»

Er stand auf, und wenige Minuten später hatte sich die Versammlung in alle Winde zerstreut.

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