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Es war immer der gleiche Alptraum, und obwohl sich Vivian vollkommen bewußt war, daß sie träumte, den gleichen, absurden Traum wie in der vergangenen Nacht und der davor und der davor, konnte sie sich der Angst und dem Schrecken, die dieser Traum mit sich brachte, nicht entziehen. Das Bewußtsein, nichts von alledem wirklich zu erleben, machte es eher noch schlimmer:

Es war ein Fehler gewesen, das Mädchen zu töten, zumindest das wußte sie nun. Aber die Erkenntnis kam zu spät. Das Mädchen war für ihr Vorhaben wie geschaffen gewesen, das perfekte Opfer, zumal ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Wie eine Anfängerin hatte sie den ihr hingeworfenen Köder geschluckt, doch ihre Verfolger hatten sie aufgespürt, noch bevor sie die Beschwörung beenden konnte.

Immer härtere Schläge brachten das Holz der Tür zum Erbeben. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis es dem Ansturm der fanatischen Meute nachgeben würde.

Gehetzt schaute sie sich in dem kleinen Apartment des Mädchens um. Es gab keinen weiteren Ausgang, die perfekte Falle. Die einzigen Türen, die von dem Wohnraum abzweigten, führten ins Bad, ins Schlafzimmer und auf einen winzigen Balkon hinaus, aber um von dort zu fliehen, müßte sie schon fliegen können.

Krachend brach die Tür aus den Angeln. Fünf junge Männer kamen hereingestürmt, halbe Kinder noch, aber dennoch fanatisch genug, sich auf einem Kreuzzug zu wähnen, der die Welt vom Bösen befreien sollte. Drei von ihnen trugen Fackeln in den Händen, der vierte einen alten Revolver, der noch aus der Zeit des Bürgerkriegs zu stammen schien, und der fünfte hielt mit beiden Händen ein armlanges Kreuz umklammert, das er ihr entgegenstreckte.

Sie wich zurück. Das Kreuz schreckte sie nicht, es war nicht mehr als ein albernes, nutzloses Symbol, dessen Magie sich darauf beschränkte, dem Narren, der es trug, ein trügerisches Gefühl von Sicherheit und Macht vorzugaukeln. Anders jedoch sah es mit den Fackeln aus, und angesichts des schlechten Zustandes, in dem sie sich befand, mochte ihr sogar der Revolver gefährlich werden.

»Das ist dein Ende, Hexe!« zischte einer der Männer. Seine Stimme bebte vor Haß.

Sie wich ein paar Schritte zurück und bemühte sich, alle Kräfte zu sammeln, die sie noch aufbringen konnte. Sie spürte, daß es zuwenig war, um die Männer ausreichend beeinflussen zu können, dafür war ihr Körper schon zu alt und ausgezehrt, und auch die begonnene Beschwörung hatte sie bereits viel Kraft gekostet. Dennoch versuchte sie es, griff mit aller ihr noch verbliebenen geistigen Macht nach dem Willen der Männer.

Es war, als schlüge sie mit bloßen Fäusten gegen eine Felswand. Ihre schwache Magie verpuffte wirkungslos.

Und im gleichen Moment begannen die Gestalten der Männer vor ihren Augen zu zerfließen, wurden zu milchigen, wabernden Schemen, um dann ihr wahres Aussehen anzunehmen. Sie schrie auf, als sie erkannte, mit wem sie es wirklich zu tun hatte. Ihre Gegner waren nicht die närrischen Hexenjäger, für die sie sie gehalten hatte. Sie waren nicht einmal Menschen.

Vor ihr standen fünf gedrungene, echsenhafte Alptraumkreaturen mit messerscharfen Klauen und einer geschuppten Panzerhaut aus grünlich schimmerndem Horn. Ihre krokodilartigen Schädel verzogen sich höhnisch zu einer schreckenerregenden Karikatur eines Lächelns und gaben dabei dolchartige Reißzähne frei. Langsam, fast gemächlich traten die Gestalten näher.

Sie wich weiter zurück, bis sie die Wand im Rücken spürte und taumelte dann von panischer Angst erfüllt durch die Balkontür ins Freie. Der Balkon war ein von einer niedrigen Brüstung umgebenes Rechteck, unter dem ein zwanzig Stockwerke tiefer Abgrund gähnte.

Eines der Ungeheuer folgte ihr auf den Balkon, drängte sie bis in die äußerte Ecke zurück und musterte sie einige Momente lang ausdruckslos mit seinen kalten Reptilienaugen. Wieder begann sie zu schreien. Sie schrie immer noch, als die Klauen der Kreatur blitzartig vorschossen und ihr einen Stoß versetzten, der sie über die Brüstung schleuderte und haltlos ins Nichts stürzen ließ. Die Welt verwandelte sich in ein irres Kaleidoskop durcheinanderhuschender Farben und Formen. Himmel und Erde führten einen rasenden Tanz um sie herum auf, und der Wind schlug mit eisigen Krallen nach ihr, während sie in immer rasenderer Geschwindigkeit fiel, tiefer und tiefer, bis ...

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