Freitag, 25. Mai 1945

Wieder früh aufgestanden, durch den klaren Morgen zum Werk marschiert. Frauen kamen von allen Seiten. Heute hatten die meisten Essentöpfe mitgebracht. Auch mir baumelte ein Soldaten-Kochgeschirr am Gürtel. Wir stellten uns auf, laut Befehl zuerst in Dreierreihen, dann zu vieren, wurden endlos abgezählt, sortiert, registriert. Unser Wiener, der uns von der Arbeit an den Loren hierher gefolgt ist - er soll ein Musiker sein - , brauchte fast eine Stunde, bis er uns alle in seinen Listen drin hatte. Manche Frau ist neu hinzugekommen. »Arbeiten müssen wir doch«, hörte ich eine sagen. »Und hier haben wir wenigstens unser Essen.«

Wirklich begann dieser Arbeitstag mit einer dicken Graupensuppe. Über den Bahndamm schlenderten wir dann zu den Hallen. Am Damm schufteten deutsche Gefangene, Grauköpfe in armseligstem Zeug, wohl Volkssturm. Ächzend luden sie schwere Radkränze auf Waggons. Sie schauten uns so eindringlich an, drückten sich herum. Ich begriff nicht, wieso. Andere Frauen begriffen und steckten den Männern verstohlen Brotstücke zu. Das ist verboten. Doch der russische Posten blickte eisern in eine andere Richtung. Die Männer waren unrasiert und abgezehrt, hatten einen elenden Hundeblick. Mir war, als sähen sie gar nicht deutsch aus. Sie glichen den Russengefangenen, wie man sie während des Krieges schon einmal auf Trümmerstellen aufräumen sah. Auch das ist eine Umkehrung, deren Logik überzeugt.

Wieder in der Halle. Wir schleppten zu zweit und zu dritt unhandliche Eisenbarren, reichten dann Platten und Stangen durch die Händekette zum Waggon hinaus. Ein Russe tauchte in der Halle auf, musterte die Frauenreihe und winkte dann zweien, einer dritten, mitzukommen. Die dritte war ich. Wir trabten hinter ihm drein. Wohin? Eine von uns mutmaßte: »Vielleicht zum Kartoffelschälen?« Dazu haben sie nämlich schon ein Dutzend Frauen hinüber zum Bahndamm geholt, wo die sinnig mit Gardinen gezierten russischen Wohnwagen stehen.

Nein, er führte uns anders herum, zu einer Baracke, einen düsteren Gang entlang, in immer dickeren Kotgeruch. Die eine Frau büxte aus, sie rannte einfach zurück, quer übers Gelände. Worauf der Russe uns zwei übriggebliebene vorangehen ließ. Er führte uns in einen Raum mit Steinboden. Man sah einen Waschkessel, Wannen, Waschbretter, Eimer. Darauf wies er hin und machte die Gebärde des Wäschewaschens.

Na, bitte. Aber nicht hier drinnen in diesem Kabuff! Zusammen mit meiner Zufallsgefährtin, einer Kleinen mit frechen Augen, schleppte ich die größte der Waschbütten hinaus ins Freie, vor die überdachte Barackentür auf eine Art Veranda. Dort fühlten wir uns sicherer, und es stank nicht so. Dem Russen war das recht. Er brachte uns zwei Stücke Kernseife und eine Anzahl ehemals weißer Kittelschürzen, Hemden und Handtücher und befahl uns mit Gebärden, dies Zeug zu säubern. Er sprach kurz angebunden, doch nicht unfreundlich, und betatschte uns in keiner Weise, nicht mal mit den Augen.

Meine Mitwaschfrau gibt sich als Danzigerin zu erkennen und wechselt mit dem Russen etliche Brocken Polnisch. Um so besser! Da brauche ich nicht zu reden, kann mein Russisch verstecken. Ich mag nicht als Waschfrau mit ihnen palavern.

Dauernd kommen sie in Gruppen daher, lümmeln sich um die Bütte herum und quatschen über uns. Zum Beispiel stritten sich zweie, wie alt wir wohl seien. Mir gaben sie nach langem Hin und Her 24 Jahre. Nicht schlecht!

Die Stunden schlichen. Wir seiften, rieben, schleppten Wasser heran, warmes aus dem Truppenkessel, kaltes vom Hydranten an der Straße. Hab mir die Finger wund gerieben an dem verdreckten Zeug. Die Handtücher starrten von Fett. Es waren durchweg deutsche Familientücher mit Monogramm, Beute. Ich bürstete die Sachen mit einer Haarbürste und quälte mich sehr damit ab. Derweil immerfort Russen um uns herum, sie kniffen uns, wo sie uns zu fassen kriegten. Ich schlug aus wie ein Pferd und spritzte sie mit meiner Haarbürste naß, sagte aber keinen Ton. Manchmal kam unser Auftraggeber und jagte die Knutscher weg. Dann brachte er uns einen Stapel Unterhosen; sie haben keine Knöpfe daran, alles ist mit Bändelchen zugebunden.

Monoton erzählte mir derweil die Danzigerin, wie etliche Iwans ihre alte Mutter zwischengehabt hätten. Die Mutter, schon Großmutter, hat in ihrem Danziger Polnisch gefragt, ob sich die Burschen nicht schämten, eine so alte Frau zu vergewaltigen.

Worauf sie in Deutsch die klassische Antwort bekam: »Du alt, du gesund.«

Ich dachte schon, daß ich an der Waschbütte zusammen-klappen würde, als unser Chef erschien und die Mittagspause verkündete. Er brachte jeder von uns beiden ein Kochgeschirr voll fetter Suppe, mit Fleischstücken, Gurken und Lorbeer darin, dazu einen Blechteller voll Erbsenbrei mit ausgelassenem Speck. Es scheint, daß unser Chef Koch ist, und ein guter obendrein. Das Essen schmeckte prächtig. Ich spürte ordentlich, wie mir neue Kräfte zuwuchsen.

Wir wuschen weiter, endlos. Zwei Uhr nachmittags, drei Uhr, vier Uhr, fünf Uhr, sechs Uhr. Wir wuschen pausenlos, waren pausenlos unter Aufsicht. Wir seiften, wrangen, schleppten Wasser. Die Füße schmerzten, längst waren die Handknöchel durchgerieben. Die Russen ringsum glaubten, daß sie uns mit dieser Wäscherei einen großen Tort antun. Sie rieben sich schadenfroh die Hände:

»Hihi, waschen müßt ihr für uns, das geschieht euch recht!« Die Danzigerin griente bloß. Ich markierte taubstumm, lächelte nach allen Seiten und wusch, wusch. Die Kerle wunderten sich. Ich hörte, wie einer zum anderen sagte: »Die arbeiten gut. Und immer lustig.«

Wir zogen die letzten Handtücher bis 18 Uhr hin, säuberten unsere Waschbütten und wanderten hinüber zur Kantine, wo es einen Schlag Grütze für alle gab. Hernach, als wir mit den anderen Frauen heimgehen wollten, jagte man uns am Tor zurück: »Rabotta!« Die Frauen schrien durcheinander, drängten zum Tor, meuterten. Aber für Besiegte gibt es keinen Achtstun-dentag. Ein Soldat stieß uns mit erhobenem Gewehr zurück, rief drohend: »Frau! Rabotta!« Ein Russenwort, das jede gelernt hat.

Wir mußten alle zurück in die Halle, weiter Eisenteile aufladen. Stumm und stumpf reichten wir einander die Platten und Stangen zu. Es tut schrecklich weh, kaltes Eisen mit aufgewaschenen Händen anzufassen.

Endlich, gegen 20 Uhr, rief unser Aufseher, daß der Waggon voll sei. Ja, er war übervoll, er ächzte förmlich, als die Lok ihn aus der Halle schleppte. Vielleicht bricht bis Moskau der Boden durch. Ein alter Arbeiter sprang vom fahrenden Zug und meinte, eigentlich hätten sie ihn gleich drauflassen und mit nach drüben verfrachten sollen, denn »wat sollen wir noch hier?« Und er wies in die verödete, ausgeräumte Halle. Und die Frauen fragten: »Wo sollen unsere Männer jetzt arbeiten?«

Eine Stunde später war ich zu Hause, todmüde diesmal, mit steifen Händen, die mir das Schreiben heute sauer werden lassen. Dabei immer noch leicht berauscht von dem fetten, reichlichen Mittagessen. Morgen wird weitergewaschen. Unser Chef hat uns schon neue Arbeit angekündigt.

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