KAPITEL ZEHN

New Orleans, August 1857

Nachdem Adrienne und Alain mit dem Dampfer Cotton Queen, der die Strecke nach Baton Rouge und Bayou Sara befuhr, abgereist waren, beschloß Damon Julian, auf dem Uferdeich zu einem französischen Kaffeehaus zu spazieren, das er kannte. Sour Billy Tipton ging nervös neben ihm her und musterte jeden, dem sie begegneten, mit argwöhnischen Blicken. Der Rest von Julians Gesellschaft folgte; Kurt und Cynthia gingen nebeneinander, während Armand den Schluß bildete, verstohlen und unruhig, bereits vom Durst gepeinigt. Michelle war im Haus geblieben.

Die anderen waren nicht mehr da, hatten sich zerstreut, waren auf Julians Befehl mit dem einen oder anderen Dampfer flußaufwärts oder ‐abwärts unterwegs auf der Suche nach Geld, Sicherheit, einem neuen Versammlungsort. Damon Julian hatte endlich gehandelt.

Das Mondlicht lag weich und hell auf dem Fluß wie Butter. Die Sterne funkelten. Entlang des Uferdeichs drängten sich die Raddampfer neben den Segelschiffen mit ihren hohen, stolzen Masten und zusammengerollten Leinensegeln. Neger schleppten Baumwolle und Zucker und Mehl von einem Schiff auf das andere. Die Luft war feucht und duftete süßlich, in den Straßen herrschte dichtes Gedränge.

Sie fanden einen Tisch, von dem aus sie eine gute Aussicht auf das Getriebe hatten, und bestellten Milchkaffee und fritiertes Zuckergebäck, für das das Café berühmt war. Sour Billy biß in sein Gebäck und streute sich Puderzucker über die Weste und die Jackenärmel. Er fluchte laut.

Damon Julian lachte, und sein Lachen war so sanft und geschmeidig wie das Licht des Mondes. »O Billy. Wie amüsant du bist!«

Ausgelacht zu werden, haßte Sour Billy mehr als alles andere, aber er blickt auf in Julians Augen und zwang sich zu einem Grinsen. »Ja, Sir«, meinte er mit einem matten Kopfschütteln.

Julian verzehrte sein Gebäck mit mehr Geschick, so daß kein Zuckerstäubchen weiße Spuren auf dem dunklen Grau seines Anzugs oder auf dem seidigen Glanz seiner scharlachroten Krawatte hinterließ. Nachdem er das letzte Stück vertilgt hatte, trank er von seinem Kaffee, während sein Blick über den Uferdeich huschte und zwischen den Passanten auf der Straße umherstreifte. »Dort«, sagte er knapp, »die Frau unter der Zypresse.« Die anderen folgten seinem Blick. »Ist sie nicht atemberaubend?«

Es war eine Kreolin, die von zwei gefährlich aussehenden Gentlemen begleitet wurde. Damon Julian starrte sie an wie ein verliebter Schuljunge, sein blasses Gesicht faltenlos und heiter, sein Haar ein Wust feiner dunkler Locken, seine Augen groß und melancholisch. Doch sogar quer über den Tisch konnte Sour Billy die Hitze in den Augen spüren, und er fürchtete sich.

»Sie ist einzigartig«, pflichtete Cynthia ihm bei.

»Sie hat Valeries Haar«, fügte Armand hinzu.

Kurt lächelte. »Wirst du sie nehmen, Damon?«

Die Frau und ihre Begleiter entfernten sich und gingen nun an einem prachtvollen schmiedeeisernen Gitter entlang. Damon Julian beobachtete sie nachdenklich. »Nein«, sagte er schließlich, wandte sich wieder seinem Tisch zu und trank von seinem Milchkaffee. »Die Nacht ist noch zu jung, auf den Straßen herrscht zuviel Betrieb, und ich bin müde. Wir wollen noch etwas sitzenbleiben.«

Armand sah niedergeschlagen und unruhig aus. Julian lächelte ihn kurz an, dann beugte er sich vor und legte eine Hand auf Armands Ärmel. »Wir werden trinken, ehe der Morgen anbricht«, versprach er. »Ich gebe dir mein Wort.«

»Ich kenne ein Etablissement«, erklärte Sour Billy in verschwörerischem Ton, »ein richtig elegantes Haus mit einer Bar, roten Samtsesseln, guten Drinks. Die Mädchen sind allesamt bildhübsch, Sie werden sehen. Man kann für ein Zwanzig‐Dollar‐Goldstück die ganze Nacht da bleiben. Bis zum Morgen, wirklich.« Er kicherte. »Aber wenn sie bemerken, was passiert ist, sind wir längst über alle Berge, und außerdem ist es billiger, als schöne Mädchen zu kaufen. Jawohl, Sir.«

Damon Julians schwarze Augen funkelten belustigt. »Billy macht mich noch zum Geizhals«, sagte er zu den anderen, »aber was würden wir ohne ihn tun?« Er schaute sich wieder gelangweilt um. »Ich sollte öfter in die Stadt gehen. Wenn man richtig satt ist, verliert man den Blick für andere Vergnügungen.« Er seufzte. »Kannst du es fühlen? Die Luft ist voll davon, Billy!«

»Wovon?« fragte Sour Billy.

»Leben, Billy.« Julians Lächeln verspottete ihn, aber Billy zwang sich, ebenfalls zu lächeln. »Leben und Liebe und Lust, gutes Essen und guter Wein, erfüllte Träume und Hoffnung, Billy. All das umgibt uns. Möglichkeiten.« Seine Augen funkelten. »Warum soll ich die Schönheit verfolgen, die eben an uns vorbeiging, wenn es so viele andere gibt, so viele andere Möglichkeiten? Kannst du mir das beantworten?«

»Ich — Mister Julian, ich kann nicht …«

»Nein, Billy, du kannst es nicht, habe ich recht?« Julian lachte. »Meine Launen bedeuten für dieses Vieh Leben oder Tod, Billy. Wenn du jemals einer von uns werden willst, dann mußt du dir darüber im klaren sein. Ich bin die Lust, Billy. Ich bin die Macht. Und die Essenz von allem, das ich bin, von Lust und Macht, steckt in der Möglichkeit. Meine eigenen Möglichkeiten sind unendlich und kennen keine Beschränkung, genauso wie unsere Jahre nicht begrenzt sind. Aber ich bin die Beschränkung für dieses Vieh, ich bin das Ende all ihrer Hoffnungen, all ihrer Möglichkeiten. Fängst du allmählich an zu begreifen? Den roten Durst zu stillen, ist nichts, dazu reicht irgendein alter Nigger auf seinem Totenbett. Doch um wieviel schöner und angenehmer ist es, von den Jungen zu trinken, den Reichen, den Schönen, von denen, deren Leben sich vor ihnen noch ausbreitet, deren Tage und Nächte vor Verheißung funkeln! Blut ist nichts als Blut, jedes Tier kann davon trinken, wirklich jedes!« Er vollführte eine lässige Geste und wies auf die Dampfschiffer auf dem Uferdeich, auf die Neger, die sich mit ihren Fässern abschleppten, und auf das prachtvoll gekleidete Volk des Vieux Carré. »Es ist nicht das Blut, das einen adelt, das aus einem einen Meister macht. Es ist das Leben, Billy. Trinke von ihrem Leben, und deines wird länger sein. Iß von ihrem Fleisch, und das deine wird erstarken. Genieße ihre Schönheit, und werde selbst viel schöner.«

Sour Billy Tipton hörte begierig zu; er hatte Julian selten in einer so gesprächigen Stimmung erlebt. In der Dunkelheit der Bibliothek sitzend, war Julian meistens kurz angebunden und furchteinflößend. Außerhalb, wieder draußen in der Welt, da erstrahlte er und erinnerte Sour Billy mit seinem Auftreten daran, wie er zum erstenmal mit Charles Garoux auf der Plantage erschien, wo Billy als Aufseher arbeitete. Er sprach aus, was in seinem Kopf vorging.

Julian nickte. »Ja«, meinte er, »die Plantage ist ein sicherer Ort, aber in der Sicherheit und der Sattheit liegt auch Gefahr.« Seine Zähne schimmerten weiß, als er lächelte. »Charles Garoux«, murmelte er versonnen. »Ah, die grenzenlosen Möglichkeiten der Jugend! Er war auf seine Art schön, stark, gesund. Ein unruhiger Geist, von allen Damen geliebt, von Männern bewundert. Er hätte ein großartiges Leben führen können! Seine Natur war so offen, so zugänglich, es war so einfach, sich mit ihm anzufreunden, sein unendliches Vertrauen zu erwerben, indem man ihn vor unserem armen Kurt beschützte.« Julian lachte auf. »Dann, nachdem man mich erst einmal in sein Haus eingeladen hatte, war es noch einfacher, jede Nacht zu ihm zu kommen und ihn nach und nach auszusaugen, so daß es schien, als wäre er krank und müßte sterben. Einmal erwachte er, als ich schon in seinem Zimmer war, und dachte, ich sei gekommen, um ihn zu trösten. Ich beugte mich über sein Bett, und er streckte die Arme aus und drückte mich an sich, und ich trank. Ah, die Süße meines Charles, all diese Kraft und Schönheit!«

»Der alte Mann war ganz schön durcheinander, als er sich aufbäumte und starb«, warf Sour Billy ein. Insgeheim hatte er sich gefreut. Charles Garoux hatte seinem Vater dauernd in den Ohren gelegen, daß Billy mit den Niggern zu grob umsprang, und alles versucht, um ihn zu entlassen. Als könnte man einen Nigger ans Arbeiten bringen, wenn man ihn mit Nachsicht behandelte.

»Ja, Garoux war fassungslos«, sagte Julian. »Wie froh er war, daß ich ihm in seiner tiefen Trauer Trost spendete. Ich, der beste Freund seines Sohnes. Wie oft gestand er mir später in seinen Stunden der Trauer, daß ich für ihn so etwas wie ein vierter Sohn geworden war.«

Sour Billy erinnerte sich noch gut daran. Julian hatte alles sorgfältig eingefädelt. Die jüngeren Söhne hatte ihren Vater enttäuscht und im Stich gelassen; Jean‐Pierre war ein Trinker und Philip ein Schwächling, der bei der Beerdigung seines Bruders geweint hatte wie ein altes Weib, während Damon Julian erschien wie ein Monument mannhafter Stärke. Sie hatten Charles auf der Plantage beerdigt, auf dem Familienfriedhof. Da der Untergrund in dieser Gegend so naß war, hatte man ihn in einem riesigen Marmormausoleum mit der Statue einer geflügelten Viktoria, der Siegesgöttin, über dem Eingang zur letzten Ruhe gebettet. Dort war es immer angenehm kühl, sogar bei der Augusthitze. Sour Billy war in den Jahren danach oft zu dem Grabmal gegangen, um zu trinken und sich auf Charles Sarg zu entleeren. Einmal hatte er ein Negermädchen mitgeschleppt, hatte sie ein wenig verprügelt und es dann drei‐, viermal mit ihr getrieben, damit der Geist des alten Charles sich ansehen konnte, wie man Nigger richtig behandelte.

Charles war nur der Anfang gewesen, erinnerte sich Sour Billy. Sechs Monate später ritt Jean‐Pierre davon, um in der Stadt herumzuhuren und sein Glück am Spieltisch zu versuchen; er kam nie zurück, und nicht lange danach wurde der arme ängstliche Philip im Wald aufgefunden, wo ein wildes Tier ihn angefallen und zerfetzt haben mußte. Der alte Garoux war fast wahnsinnig vor Leid, aber Damon Julian stand ihm zur Seite und half ihm, so gut es ging. Schließlich adoptierte Garoux ihn und setzte ein neues Testament auf, in dem er ihm seinen gesamten Besitz hinterließ.

Nicht viel später kam es eines Nachts zu einer Szene, die Sour Billy niemals vergessen würde, als Damon Julian demonstrierte, wie gründlich René Garoux sich in seiner Macht befand. Es geschah oben im Schlafzimmer des alten Mannes. Valerie war dort und auch Adrienne und Alain, sie alle wohnten in dem großen Haus, da jeder Freund Julians beim alten Garoux willkommen war. Sie schauten zusammen mit Sour Billy zu, während Damon Julian neben dem großen Baldachinbett stand und den alten Mann mit seinen schwarzen Augen und einem leisen Lächeln zu durchbohren schien und ihm die Wahrheit erzählte, die ganze Wahrheit über das, was mit Charles und Jean‐Pierre und Philip geschehen war. Julian trug Charles’ Siegelring, und Valerie hatte den gleichen Ring an einer Kette um den Hals hängen. Ihrer hatte früher einmal dem vermißten Jean‐Pierre gehört. Sie hatte ihn nicht tragen wollen, aber der Durst hatte sie gepackt, und sie wollte mit dem alten Garoux so schnell wie möglich und ohne viel Worte fertig werden. Damon Julian hatte ihren Protest mit sanften Worten und kalten Augen erstickt, deshalb trug sie den Ring und stand unterwürfig da und hörte zu.

Nachdem Julian seine Geschichte beendet hatte, fing Garoux an zu zittern, und seine Augen waren voller Tränen und Schmerz und Haß. Und dann, es war schier unglaublich, hatte Damon Julian Sour Billy aufgefordert, dem alten Mann sein Messer zu reichen. »Er ist noch nicht tot, Mister Julian«, hatte Billy protestiert. »Er schlitzt Ihnen den Bauch auf!«

Aber Julian sah ihn nur an und lächelte, daher griff Sour Billy nach hinten, holte das Messer hervor und legte es in Garouxs welke, leberfleckige Hand. Die Finger zitterten so stark, daß Billy Angst gehabt hatte, daß er das verdammte Ding fallen lassen würde, aber irgendwie hatte er es festgehalten. Damon Julian saß auf dem Bettrand. »René‹, sagte er, »meine Freunde sind durstig.« Seine Stimme klang ruhig, einschmeichelnd.

Das war alles, was er sagen mußte. Alain kam mit einem Glas aus feinstem Kristall, in das das Familienwappen eingraviert war, und der alte René Garoux ritzte sich vorsichtig die Vene an seinem Handgelenk auf und füllte das Glas mit seinem eigenen dampfenden Blut, wobei er in einem fort weinte und zitterte. Valerie und Alain und Adrienne reichten das Glas von Hand zu Hand, aber es war an Damon Julian, es vollständig zu leeren, während Garoux in seinem Bett verblutete.

»Garoux schenkte uns ein paar schöne Jahre«, sagte Kurt. Seine Worte rissen Sour Billy aus seinen Erinnerungen. »Reich und in Sicherheit, ganz für uns und die Stadt in der Nähe, wann immer wir sie besuchen wollten. Essen und Trinken und Nigger, die uns bedienten, jeden Monat ein schönes Mädchen.«

»Und doch ist es zu Ende«, sagte Julian mit einem Unterton des Bedauerns. »Alles geht einmal zu Ende, Kurt. Tut es dir leid?«

»Die Dinge sind nicht mehr so, wie sie einmal waren«, gab Kurt zu. »Überall Staub, das Haus verfällt, Ratten. Ich hab’ es nicht so eilig, weiterzuziehen, Damon. Draußen in der Welt sind wir niemals sicher. Nach einer Jagd kommt immer die Angst, das Verstecken, das Weglaufen. Das möchte ich nicht mehr durchmachen müssen.«

Julian lächelte bösartig. »Unbequem, stimmt schon, aber nicht ohne Reiz. Du bist jung, Kurt. Aber bedenke, so sehr sie dich auch jagen mögen, du bist der Meister. Du wirst sie sterben sehen, und ihre Kinder und ihre Kindeskinder. Das Garoux‐Haus wird verfallen. Es ist nichts. Alle Dinge, die das Vieh schafft, verfallen irgendwann. Ich habe miterlebt, wie Rom zu Staub wurde. Nur wir überdauern.« Er zuckte die Achseln. »Und vielleicht finden wir auch einen zweiten René Garoux.«

»So lange wir mit dir zusammen sind«, sagte Cynthia ängstlich. Sie war eine zierliche hübsche Frau mit braunen Augen, und sie war Julians Favoritin, seitdem er Valerie hatte ziehen lassen, doch selbst Sour Billy konnte erkennen, daß sie sich ihrer Position nicht sicher war. »Es ist schlimmer, wenn wir allein sind.«

»Demnach hast du nicht den Wunsch, mich zu verlassen?« fragte Damon Julian sie lächelnd.

»Nein«, antwortete sie. »Bitte.« Kurt und Armand schauten ihn ebenfalls hilfesuchend an. Julian hatte vor einem Monat ziemlich überraschend begonnen, sich von seinen Gefährten zu trennen. Valerie wurde als erste weggeschickt, wie sie es gewünscht hatte, obwohl er sie flußaufwärts hatte ziehen lassen, und zwar nicht mit dem lästigen Jean zusammen, sondern mit dem dunklen und attraktiven Raymond, der grausam und stark war und — angeblich — Julians eigener Sohn. Raymond würde schon darauf achten, daß ihr nichts geschähe, sagte Julian spöttisch, als Valerie in jener Nacht vor ihm kniete. Jean durfte in der darauffolgenden Nacht von dannen ziehen, und er machte sich allein auf den Weg, und Sour Billy dachte, daß damit alles erledigt wäre. Er irrte sich. Damon Julian verfolgte einen neuen Plan, und so wurde Jorge eine Woche später weggeschickt und dann Cara und Vincent und dann die anderen, allein oder paarweise. Und die, die zurückblieben, wußten nun, daß dieses Schicksal auch sie treffen könnte.

»Ah«, sagte Julian mit einem amüsierten Grinsen zu Cynthia. »Nun, wir sind nur noch zu fünft. Wenn wir uns in acht nehmen und immer nur wenig trinken und jedes Mädchen ein, zwei Monate lang reicht — nun, dann werden wir es wohl bis zum Winter schaffen. Bis dahin wird sich vielleicht einer der anderen gemeldet haben. Wir werden sehen. Bis dahin darfst du bleiben, Liebling. Und Michelle ebenfalls und auch Kurt.«

Armand machte ein verzweifeltes Gesicht. »Und ich?« stieß er hervor. »Damon, bitte.«

»Ist es der Durst, Armand? Zitterst du deshalb? Nimm dich zusammen. Wirst du wieder reißen und zerfetzen, wenn wir Billys Freunde treffen? Du weißt genau, wie sehr ich das verabscheue.« Seine Augen verengten sich. »Ich mache mir noch immer Gedanken über dich, Armand.«

Armand senkte den Blick und starrte in sein leeres Glas.

»Ich bleibe«, erklärte Sour Billy.

»Ah«, meinte Damon Julian. »Natürlich. Ja, Billy, was würden wir ohne dich anfangen?« Sour Billy Tipton gefiel es gar nicht, wie Julian in diesem Moment lächelte, aber es gab nichts, das er hätte tun können.

Kurz darauf brachen sie zu dem Etablissement auf, das Billy ihnen hatte zeigen wollen. Das Haus stand außerhalb des Vieux Carré, im amerikanischen Teil von New Orleans, war aber noch zu Fuß zu erreichen. Damon Julian ging voraus und spazierte mit Cynthia Arm in Arm durch die engen, von Gaslampen erleuchteten Straßen. Ein ganz eigenes Lächeln spielte um seine Lippen, als er die Eisenbalkone betrachtete, die Tore, die sich zu Höfen mit ihren Fackeln und Brunnen öffneten und die Gaslampen auf ihren Eisenpfählen. Sour Billy wies ihm den Weg. Bald gelangten sie in den dunkleren, primitiveren Teil der Stadt, wo die Gebäude aus Holz oder aus bröckeligen Mörtelziegeln bestanden, die sich aus zermahlenen Muschelschalen und Sand zusammensetzten. Selbst die Gasleitungen waren nicht bis hierher vorgedrungen, obgleich die Stadt schon seit über zwanzig Jahren über eine umfangreiche Gasversorgung verfügte. An den Straßenecken baumelten Öllampen an schweren Eisenketten, die quer über die Straßen gespannt waren und von Haken gehalten wurden, die in den Seitenwänden der Gebäude steckten. Sie verströmten ein sinnliches, rauchiges Licht. Julian und Cynthia wechselten auf ihrem Weg von Lichtfleck in Schatten und wieder zurück in Lichtfleck, dann wieder in Schatten. Sour Billy und die anderen folgten.

Eine Gruppe von drei Männern trat aus einer Gasse heraus und kreuzten ihren Weg. Julian beachtete sie nicht, aber einer der Männer gewahrte Sour Billy, als er in den Lichtkegel einer Straßenlampe geriet. »Sie!« stieß er hervor.

Sour Billy wandte sich zu ihnen um und sagte nichts. Es waren junge Kreolen, halb betrunken und deshalb gefährlich. »Ich kenne Sie, Monsieur«, sagte der Mann. Er näherte sich Sour Billy, und sein Gesicht war von Alkohol und Wut gerötet. »Haben Sie mich vergessen? Ich war dabei, als Sie Georges Montreuil in der Französischen Börse beleidigten.«

Sour Billy erkannte ihn wieder. »Schön, und?« fragte er.

»Monsieur Montreuil verschwand in einer Nacht im Juni, nachdem er in St. Louis den Abend am Spieltisch verbracht hatte«, sagte der Mann steif.

»Das tut mir aufrichtig leid«, erwiderte Sour Billy. »Ich schätze, er hat zuviel gewonnen und wurde ausgeraubt.«

»Er hat verloren, Monsieur. Er hatte schon seit einigen Wochen nur noch verloren. Er besaß nichts mehr von Wert, was man ihm hätte stehlen können. Nein, ich glaube nicht, daß er beraubt wurde. Ich glaube eher, daß Sie damit zu tun haben, Mister Tipton. Er hat sich nach Ihnen erkundigt. Er wollte mit Ihnen so verfahren, wie man es mit Abschaum von Ihrer Sorte zu tun pflegt. Sie sind kein Gentleman, Monsieur, sonst würde ich Sie zum Duell fordern. Sollten Sie es jedoch wagen, sich noch einmal im Vieux Carré zu zeigen, dann verspreche ich Ihnen, daß ich Sie durch die Straßen peitschen werde wie einen Nigger. Haben Sie verstanden?«

»Ich hab’s gehört«, sagte Sour Billy. Er spuckte dem Mann auf einen Stiefel.

Der Kreole stieß einen Fluch aus, und sein Gesicht wurde vor Wut blaß. Er machte einen Schritt nach vorn und streckte die Hände nach Sour Billy aus, aber Damon Julian schob sich zwischen sie und hinderte den Mann, indem er ihm eine Hand auf die Brust legte. »Monsieur«, mit einer Stimme wie Wein und Honig. Der Mann hielt etwas verwirrt inne. »Ich kann Ihnen versichern, daß Mister Tipton Ihrem Freund nichts getan hat, Sir.«

»Wer sind Sie?« Obwohl halbbetrunken, erkannte der Kreole sofort, daß Julian eine ganz andere Persönlichkeit war als Sour Billy; seine feine Kleidung, seine aristokratischen Züge, die kultivierte Stimme, all das wies ihn als Gentleman aus. Julians Augen funkelten gefährlich im Lampenschein.

»Ich bin Mister Tiptons Arbeitgeber«, sagte Julian. »Können wir die Angelegenheit nicht an einem anderen Ort als auf dieser öffentlichen Straße besprechen. Ich kenne ein Etablissement nicht weit von hier, wo wir unter freiem Himmel sitzen und etwas trinken können, während wir uns unterhalten. Darf ich Sie und Ihre Freunde zu einer Erfrischung einladen?«

Einer der anderen Kreolen trat neben seinen Freund. »Hören wir uns an, was er zu sagen hat, Richard.«

Widerstrebend erklärte der Mann sich einverstanden. »Billy«, sagte Damon Julian, »zeig uns den Weg.« Sour Billy Tipton unterdrückte ein Lächeln, nickte und ging voraus. Einen Block weiter bogen sie in eine Gasse ein und folgten ihr bis in einen finsteren Hinterhof. Sour Billy hockte sich an den Rand eines mit Unrat bedeckten Teichs. Das Wasser drang durch den Stoff seiner Hose, aber das war ihm gleichgültig.

»Was sollen wir hier?« wollte Montreuils Freund wissen. »Das ist kein Wirtshaus.«

»Nein so was«, sagte Sour Billy Tipton. »Nun, dann muß ich mich geirrt haben und falsch abgebogen sein.« Die anderen Kreolen hatten den Hof betreten, gefolgt von den restlichen Begleitern Julians. Kurt und Cynthia standen in der Mündung der Gasse. Armand näherte sich dem Brunnen.

»Das gefällt mir nicht«, sagte einer der Männer.

»Was hat das zu bedeuten?«

»Was das zu bedeuten hat?« wiederholte Damon Julian die Frage. »Nun ja. Ein dunkler Hof, das Mondlicht, ein Teich. Ihr Freund Montreuil ist an einem solchen Ort gestorben, Monsieur. Nicht hier, aber er hat diesem hier sehr ähnlich gesehen. Nein, schauen Sie nicht Billy an. Ihn trifft keine Schuld. Wenn Sie einen Streit anfangen wollen, dann gefälligst mit mir.«

»Mit Ihnen?« fragte Montreuils Freund. »Wie Sie wünschen. Gestatten Sie mir, mich für einen kurzen Moment zurückzuziehen. Meine Gefährten werden als Sekundanten fungieren.«

»Natürlich«, sagte Julian. Der Mann entfernte sich, beriet sich kurz mit seinen beiden Freunden. Einer von ihnen trat vor. Sour Billy erhob sich vom Teichrand und ging ihm entgegen.

»Ich bin Mister Julians Sekundant«, sagte Sour Billy. »Wollen Sie die Bedingungen aushandeln?«

»Sie sind kein angemessener Sekundant«, begann der Mann. Er hatte ein längliches, hübsches Gesicht und dunkelbraune Haare. »Bedingungen«, wiederholte Sour Billy. Seine Hand griff nach hinten in seinen Nacken. »Was mich betrifft, so ziehe ich Messer vor.«

Der Mann stieß einen kurzen Grunzlaut aus, stolperte rückwärts. Er starrte entsetzt nach unten. Sour Billys Messer steckte bis zum Heft in seinem Bauch, und ein roter Fleck breitete sich auf seiner Weste aus. »O Gott«, wimmerte der Mann.

»Das war nur ich«, fuhr Sour Billy fort. »Und ich bin kein Gentleman, nein, Sir, und auch kein ernstzunehmender Sekundant.« Der Mann sackte auf die Knie, und seine Freunde bemerkten es plötzlich und eilten aufgeregt zu ihm hin. »Mister Julian hier, er denkt da ganz anders. Seine Waffen sind« — Billy lächelte — »Zähne.«

Julian stürzte sich auf Montreuils Freund, auf den mit dem Name Richard. Die anderen wollten sich umdrehen und weglaufen. Cynthia umarmte einen von ihnen in der Gasse und gab ihm einen langen, feuchten Kuß. Er warf sich hin und her, bäumte sich auf, aber er konnte sich nicht aus der Umarmung befreien. Ihre blassen Hände strichen über seinen Nacken, und lange Fingernägel, scharf und dünn wie Rasiermesser, schlitzten seine Venen auf. Ihr Mund verschluckte seinen Schrei.

Sour Billy zog sein Messer heraus, während Armand sich zu seinem wimmernden Opfer hinabbeugte. Im Mondlicht sah das Blut auf der Klinge fast schwarz aus. Billy schickte sich an, sie im Teich zu säubern, dann zögerte er. Er näherte das Messer seinen Lippen und leckte über die Klinge. Dann verzog er das Gesicht. Es schmeckte widerlich, überhaupt nicht so, wie er es sich immer ausgemalt hatte. Trotzdem, er wußte, das würde sich ändern, wenn Julian ihn verwandelte.

Sour Billy spülte sein Messer ab und schob es wieder in die Scheide. Damon Julian hatte Richard an Kurt weitergereicht und stand alleine und blickte zum Mond hinauf. Sour Billy trat zu ihm. »Auf diese Weise haben wir eine Menge Geld gespart«, sagte er.

Julian lächelte.

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