Dann hören Sie zu, Abner, aber zuerst meine Bedingungen. Ich wünsche keine Unterbrechungen. Ich wünsche keine empörten Ausbrüche, keine Urteile, keine Fragen. Jedenfalls nicht, bevor ich meinen Bericht beendet habe. Vieles von dem, was ich zu berichten habe, werden Sie schlimm und grauenvoll finden, davor warne ich Sie, aber wenn Sie mir in Ruhe vom Anfang bis zum Ende zuhören, dann verstehen Sie vielleicht. Sie haben mich einen Mörder, einen Vampir genannt, und in gewissem Sinn bin ich das auch. Aber auch Sie haben getötet, Sie haben es selbst zugegeben. Sie glauben, daß Ihre Taten durch die Umstände gerechtfertigt sind. Ich tue es auch. Wenn schon nicht gerechtfertigt, so gelten doch in jedem Fall mildernde Umstände. Hören Sie sich alles an, was ich zu sagen habe, ehe Sie mich und meine Rasse verdammen.
Lassen Sie mich mit mir selbst beginnen, mit meinem eigenen Leben, und dann erzähle ich Ihnen den Rest, wie ich ihn habe in Erfahrung bringen können.
Sie haben nach meinem Alter gefragt. Ich bin jung, Abner, nach den Maßstäben meiner Rasse habe ich die Schwelle zum Erwachsensein gerade erst überschritten. Ich wurde im Jahr 1785 in der französischen Provinz geboren. Meine Mutter habe ich nie gesehen, aus Gründen, auf die ich später noch eingehen will. Mein Vater war von niederem Adel. Das heißt, er versah sich selbst mit einem Titel, als er sich in der französischen Gesellschaft bewegte. Er hielt sich schon seit einigen Generationen in Frankreich auf, daher erfreute er sich eines hohen Ansehens, obgleich er betonte, daß er aus Osteuropa stammte. Er war wohlhabend und verfügte über etwas Landbesitz. Er erklärte seine Langlebigkeit durch einen Trick um 1760, indem er als sein eigener Sohn auftrat und sein eigener Nachfolger wurde.
Sie sehen also, daß ich etwa 72 Jahre alt bin, und ich hatte tatsächlich das Vergnügen, Lord Byron persönlich kennenzulernen. Das geschah jedoch einige Zeit später.
Mein Vater war genauso wie ich. Desgleichen zwei unserer Bediensteten, zwei, die nicht im eigentlichen Sinn Diener waren, sondern eher Gefährten. Die drei Erwachsenen meiner Rasse lehrten mich Sprachen, Manieren, die Geheimnisse der Welt … und Vorsicht. Ich schlief bei Tag, ging nur nachts hinaus, lernte es, mich vor der Dämmerung in acht zu nehmen, so wie die Kinder Ihrer Rasse die Vorsicht vor dem Feuer lernen, nachdem sie sich daran verbrannt haben. Ich sei anders als die anderen, wurde mir erklärt, ich sei überlegen und habe nichts mit ihnen gemein, ich sei ein Herr, ein Meister. Ich dürfe jedoch nicht über diese Unterschiede reden, sonst weckte ich beim Vieh Angst und würde getötet. Ich müsse so tun, als wäre meine Tageseinteilung von mir willkürlich gewählt, weil es mir so lieber sei. Ich mußte die Ausdrucksformen des Katholizismus erlernen und genau beachten, und ich mußte sogar bei bestimmten Mitternachtsmessen in unserer Privatkapelle die Kommunion empfangen. Ich mußte — nun, ich will es dabei bewenden lassen. Sie müssen sich bewußt machen, Abner, daß ich nur ein Kind war. Sicherlich hätte ich im Laufe der Zeit noch mehr lernen können, vielleicht hätte ich sogar angefangen, die mir Nahestehenden und das Leben, das wir führten, zu verstehen, wenn alles so weitergegangen wäre. Sicherlich wäre ich dann ein ganz anderer geworden.
Im Jahr 1789 jedoch veränderten die Feuer der Revolution mein Leben von Grund auf. Als das Schreckensregiment ausbrach, wurden wir gefangengenommen. Trotz all seiner Vorsichtsmaßnahmen, seiner Kapellen und Spiegel hatte mein Vater Verdacht erregt durch seine nächtlichen Gewohnheiten, sein Alleinsein, seinen geheimnisvollen Reichtum. Unsere Diener — unsere menschlichen Diener wohlgemerkt — denunzierten ihn als Hexenmeister, als Satanisten, als einen Anhänger des Marquis de Sade. Und außerdem bezeichnete er sich selbst als Aristokraten, was sowieso das schlimmste Vergehen war.
Seine beiden Gefährten, die von der Umwelt nur als Hauspersonal betrachtet wurden, konnten entweichen, aber mein Vater und ich wurden eingekerkert.
So jung ich auch damals war, so habe ich doch eine sehr lebendige Erinnerung an die Zelle, in der wir eingesperrt waren. Sie war kalt und feucht, alles nur rauhes Gestein, mit einer mächtigen Tür aus Eisen, so dick und so schwer verankert und verriegelt, daß nicht einmal die Kraft meines Vaters etwas dagegen ausrichten konnte. In der Zelle stank es nach Urin, und wir schliefen ohne Decken auf dreckigem Stroh, das auf den Fußboden gestreut war. Es gab nur ein Fenster, aber das befand sich hoch über uns und war nicht mehr als eine kleine Öffnung in einer mindestens zehn Fuß dicken Mauer. Es war sehr klein und außen vergittert. Wir befanden uns praktisch unterhalb der Erdoberfläche, glaube ich, in einer Art Keller. Nur sehr wenig Licht drang zu uns nach unten, aber das hatte natürlich für uns auch wieder gewisse Vorteile.
Als wir allein waren, erklärte mein Vater mir, was ich tun müsse. Er konnte das Fenster noch nicht einmal erreichen, da die Öffnung im Gestein einfach zu eng war, aber ich konnte es; ich war ja noch klein. Und ich verfügte auch über die Kraft, um die Gitterstäbe zu überwinden. Er befahl mir, ihn zu verlassen. Er gab mir auch noch einen anderen Rat. Nämlich mich in Lumpen zu kleiden und keine Aufmerksamkeit zu erregen. Mich bei Tag zu verstecken und mir bei Nacht etwas zu essen zu suchen. Niemals jemandem zu erzählen, daß ich anders sei. Mir ein Kreuz zu suchen und es um den Hals zu tragen. Ich verstand nicht die Hälfte von dem, was er sagte, und ich vergaß schon bald einiges davon, aber ich gelobte, ihm zu gehorchen. Er meinte, ich solle Frankreich verlassen und die Bediensteten suchen, die hatten fliehen können. Ich solle nicht versuchen, ihn zu rächen, sagte er. Ich würde irgendwann meine Rache schon auskosten können, denn all diese Menschen würden sterben, während ich weiterleben dürfe. Dann sagte er etwas, das ich niemals vergessen habe. »Sie können sich nicht selbst helfen. Der rote Durst hat diese Nation überkommen, und nur Blut wird ihn stillen. Das ist unser aller Fluch.« Ich fragte ihn, was der rote Durst sei. »Du wirst ihn noch früh genug kennenlernen«, antwortete er. »Ein Irrtum ist unmöglich.« Dann hieß er mich zu gehen. Ich zwängte mich durch den schmalen Gang bis zur Fensteröffnung. Die Gitterstäbe waren alt und durchgerostet. Da es unmöglich gewesen war, an sie heranzukommen, hatte sich niemand darum gekümmert, sie zu ersetzen. Sie zerfielen in meinen Händen.
Ich sah meinen Vater nie wieder, aber später, nach der Restauration, die auf Napoleon folgte, stellte ich Nachforschungen an. Mein Verschwinden hatte sein Schicksal besiegelt. Er war eindeutig sowohl ein Zauberer als auch ein Adliger. Er wurde verurteilt und hingerichtet. Sein Kopf fiel auf einer Guillotine in der Provinz. Anschließend verbrannten sie seinen Körper auf Grund des Vergehens, ein Zauberer zu sein.
Aber damals hatte ich von alledem keine Ahnung. Ich floh aus dem Gefängnis, verließ die Gegend und wanderte nach Paris, wo wegen der chaotischen Lage in jenen Tagen das Überleben recht einfach war. Bei Tag suchte ich Zuflucht in Kellern, je dunkler, desto besser. Bei Nacht kam ich heraus und stahl Lebensmittel. Vorwiegend Fleisch. Für Gemüse oder Obst hatte ich nicht allzuviel übrig. Ich wurde ein gewandter Dieb. Ich war schnell, leise und furchtbar stark. Meine Nägel schienen jeden Tag schärfer und härter zu werden. Ich konnte mich durch Holz hindurchkratzen, wenn ich es wollte. Niemand bemerkte mich oder belästigte mich mit Fragen. Ich sprach ein gutes, kultiviertes Französisch, einigermaßen Englisch und ein paar Brocken einfaches Deutsch. In Paris erlernte ich auch den Jargon der Gosse. Ich suchte nach unseren verschwundenen Dienern, den einzigen anderen Angehörigen meiner Rasse, die ich je kennengelernt hatte, aber ich hatte keinen Hinweis, wo ich sie hätte suchen sollen, und meine Bemühungen führten zu nichts.
So wuchs ich inmitten Ihres Volkes auf. Inmitten des Viehs, des Volkes des Tages. Ich war klug und beobachtete genau. So ähnlich ich denen, die mich umgaben, im Aussehen auch war, so anders war ich im Kern, wie ich schnell erkannte. Und zwar besser, wie man mir erklärt hatte. Stärker, schneller und — ich glaubte es damals schon — auch langlebiger. Das Tageslicht war mein einziger Schwachpunkt. Ich bewahrte mein Geheimnis perfekt.
Das Leben jedoch, das ich in Paris führte, war schlecht, verdorben und langweilig. Ich wollte mehr. Ich begann neben den Lebensmitteln auch Geld zu stehlen. Ich fand jemanden, der mir das Lesen beibrachte, und danach stahl ich Bücher, wann immer es möglich war. Ein‐ oder zweimal wurde ich beinahe erwischt, aber ich konnte immer rechtzeitig verschwinden. Ich konnte mich im Schatten so gut wie unsichtbar machen, konnte blitzschnell Wände hochklettern und mich so leise bewegen wie eine Katze. Wahrscheinlich haben die, die mich gelegentlich verfolgten, geglaubt, ich könnte mich auch in blauen Dunst verwandeln. Manchmal muß es ihnen so erschienen sein.
Als die Napoleonischen Kriege ausbrachen, war ich darauf bedacht, die Armee zu meiden, da ich wußte, daß ich dort gezwungen sein würde, mich dem Tageslicht auszusetzen. Aber ich folgte den Soldaten bei ihren Kriegszügen. Auf diese Art und Weise zog ich durch Europa und sah viel Brandschatzen und Töten. Und wo der Kaiser gewesen war, dort gab es für mich reiche Beute.
1805 in Österreich sah ich meine große Chance. Nachts auf der Straße begegnete ich einem reichen Wiener Kaufmann, der vor den französischen Armeen auf der Flucht war. Er hatte sein gesamtes Geld bei sich, umgewechselt in Gold und Silber, eine phantastisch hohe Summe. Ich folgte ihm zu dem Gasthaus, in dem er die Nacht verbrachte, und als ich sicher war, daß er schlief, brach ich ein, um mein Glück zu machen. Er schlief jedoch nicht. Der Krieg hatte ihn ängstlich gemacht. Er erwartete mich bereits, und er war bewaffnet. Er zog eine Pistole unter der Decke hervor und schoß auf mich.
Schock und Schmerz überwältigten mich. Der Aufprall der Kugel warf mich um. Sie hatte mich im Bauch getroffen, und ich blutete heftig. Aber dann verebbte der Blutstrom plötzlich und der Schmerz ließ nach. Ich stand auf. Ich mußte einen furchtbaren Anblick geboten haben, mit fahlem Gesicht und mit Blut besudelt. Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, ein Gefühl, das ich noch nie zuvor gespürt hatte. Der Mond schien durch das Fenster, und der Kaufmann brüllte, und bevor ich wußte, was ich tat, hatte ich mich schon auf ihn gestürzt. Ich wollte ihn zum Schweigen bringen, wollte meine Hand auf seinen Mund pressen, aber … irgend etwas ergriff Besitz von mir. Meine Hände berührten ihn, meine Fingernägel — sie sind sehr scharf und hart. Ich schlitzte ihm den Hals auf. Er erstickte in seinem eigenen Blut.
Ich stand da, zitternd, und sah zu, wie das dicke schwarze Blut aus ihm herauspulste, sein Körper warf sich auf dem Bett im fahlen Mondlicht hin und her. Er lag im Sterben. Ich hatte schon früher, in Paris und im Krieg, Menschen sterben gesehen. Dies war jedoch anders. Ich hatte ihn getötet. Eine große Leidenschaft schien mich zu erfüllen, und ich verspürte … Begierde. Ich hatte schon oft in den Büchern, die ich stahl, von Begierde gelesen, von Lust und den fleischlichen Gelüsten, denen der Mensch unterliegt. Ich hatte bisher nie etwas davon gespürt. Ich hatte unbekleidete Frauen betrachtet, unbekleidete Männer, Paare, die sich sexuell vereinigten, und nichts davon hatte mich irgendwie angerührt. Ich konnte diesen ganzen Unsinn, von dem ich las, nicht verstehen, die unbeherrschbaren Leidenschaften, diese Lustgefühle, die einen wie Feuer verschlangen. Doch nun kannte ich sie. Das fließende Blut, dieser fette reiche Mann, der durch meine Hand in den Tod geschickt worden war, die Laute, die er von sich gab, das Trommeln seiner Füße auf dem Bett. Das alles schien irgendein wildes Raubtier tief in mir zu wecken. Das Blut benetzte meine Hände. Es war so dunkel, so heiß. Es dampfte, als es aus seiner Kehle quoll. Daher beugte ich mich vor und kostete es. Der Geschmack machte mich wahnsinnig, rasend. Plötzlich vergrub ich das Gesicht in seinem Hals, biß mit den Zähnen zu, zerrte, fetzte, saugte das Blut auf, schluckte. Er hörte auf, sich herumzuwälzen. Ich speiste. Und dann sprang die Tür auf, und da waren Männer mit Messern und Gewehren. Ich blickte auf, erschrocken. Wie muß ich sie damals entsetzt haben. Ehe sie reagieren konnten, war ich durch das Fenster gesprungen und in der Nacht verschwunden. Ich war noch gerade geistesgegenwärtig genug, den Geldgürtel mitzunehmen, als ich mich davonmachte. Damit hatte ich nur einen winzigen Teil des Vermögens dieses Mannes erwischt, aber es war genug.
Ich rannte in dieser Nacht noch lange und weit und verbrachte den nächsten Tag im Keller eines Bauernhauses, das verbrannt und verlassen worden war.
Ich war zwanzig Jahre alt. Im Volk der Nacht noch ein Kind, das aber nun erwachsen wurde. Als ich an jenem Abend in dem Keller erwachte, bedeckt mit getrocknetem Blut und den Geldgürtel umklammernd, erinnerte ich mich an die Worte meines Vaters. Endlich wußte ich, was der rote Durst war. Und nur Blut wird ihn stillen, hatte er gesagt. Ich war gesättigt. Ich fühlte mich stärker und gesünder als je zuvor in meinem Leben. Dennoch war mir schlecht, und ich war entsetzt. Ich war inmitten Ihres Volkes aufgewachsen, wissen Sie, und ich dachte genauso wie Sie. Ich war kein Tier, kein Monstrum. An diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt beschloß ich, meine Lebensweise gründlich zu ändern, damit so etwas nie wieder geschah. Ich wusch mich und stahl Kleider, die feinsten, die ich finden konnte. Ich zog in Richtung Westen und entfernte mich vom Zentrum der Kämpfe. Dann nach Norden. Tagsüber nahm ich mir Zimmer in Gasthäusern und mietete mir Kutschen, um bei Nacht von Stadt zu Stadt zu fahren. Schließlich, unter den durch den Krieg entstandenen Schwierigkeiten, fand ich den Weg nach England. Ich nahm einen neuen Namen an und beschloß, das Leben eines Gentleman zu führen. Das Geld dazu hatte ich. Den Rest konnte ich erlernen.
Meine Reisen hatten etwa einen Monat gedauert. In meiner dritten Nacht in London fühlte ich mich seltsam, schlecht. Ich war noch nie in meinem Leben krank gewesen. Die nächste Nacht war noch schlimmer. In der Nacht danach erkannte ich dieses Gefühl schließlich als das, was es in Wirklichkeit war. Der rote Durst hatte mich gepackt. Ich schrie und raste. Ich bestellte mir eine umfangreiche Mahlzeit, ein großes und dickes Stück rotes Fleisch, von dem ich hoffte, daß es meine Gier dämpfen würde. Ich verspeiste es und zwang mich dazu, ganz ruhig zu bleiben. Es war nutzlos. Schon nach einer Stunde war ich draußen auf der Straße. Ich fand eine Gasse, wartete. Eine junge Frau war das erste Wesen, das vorbeikam. Etwas in mir bewunderte ihre Schönheit; dieser Teil meiner Persönlichkeit brannte wie Feuer. Ein anderer Teil hatte ganz einfach Hunger. Ich riß ihr fast den Kopf ab, aber wenigstens war es schnell vorüber. Anschließend weinte ich.
Monatelang lebte ich in tiefer Verzweifelung. Aus den Büchern wußte ich, was ich sein mußte. Ich hatte diese Worte beim Lesen erfahren und sie mir eingeprägt. Zwanzig Jahre lang hatte ich mich für überlegen gehalten. Nun stellte ich fest, daß ich etwas Unnatürliches war, eine Bestie, ein seelenloses Monstrum. Ich konnte nicht entscheiden, ob ich ein Vampir oder ein Werwolf war, was mich in Verwirrung stürzte. Weder ich noch mein Vater hatten die Fähigkeit gehabt, uns in irgend etwas zu verwandeln, aber der rote Durst überkam mich monatlich mit einer Regelmäßigkeit, die dem Mondzyklus zu entsprechen schien — obwohl der Höhepunkt des Durstes nicht immer genau mit dem Vollmond zusammenfiel. Das war das Charakteristikum des Werwolfs, las ich. Ich informierte mich damals recht umfassend über dieses Thema, las eine Menge und versuchte, mich selbst zu verstehen. Wie der legendäre Werwolf riß ich meinen Opfern oft die Kehle auf und vertilgte eine kleine Menge Fleisch, vor allem dann, wenn der Durst besonders quälend war. Und wenn der Durst nicht in mir wütete, schien ich eine völlig normale Person zu sein, was ebenfalls zu den Erzählungen vom Werwolf paßte. Andererseits machte Silber mir nichts aus und auch nicht der Gelbe Eisenhut, ich veränderte auch nicht meine Gestalt, und mir wuchs kein Fell. Wie der Vampir konnte ich nur nachts unterwegs sein. Und dann kam es mir so vor, als wäre es im Grunde nur das Blut, dem meine Gier galt, und nicht das Fleisch. Aber ich schlief im Bett und nicht im Sarg, und ich hatte ohne Schwierigkeiten bei Hunderten von Gelegenheiten fließendes Wasser überquert. Ich war ganz bestimmt nicht tot, und religiöse Gegenstände übten keine nachteilige Wirkung auf mich aus. Einmal, um ganz sicher zu gehen, nahm ich den Körper eines Opfers mit und war gespannt, ob er als Werwolf oder als Vampir wieder auferstehen würde. Er blieb eine Leiche. Nach einer Weile begann er zu riechen, und ich begrub ihn.
Sicherlich können Sie sich mein Grauen vorstellen. Ich war kein Mensch, aber ich war auch keine dieser legendären Kreaturen. Ich entschied, daß meine Bücher für mich nutzlos waren. Ich war allein auf mich gestellt.
Monat für Monat überkam mich der rote Durst. Jene Nächte waren voll eines schrecklichen Triumphierens, Abner. Indem ich Leben raubte, lebte ich so intensiv wie noch nie zuvor. Aber es kam immer die Zeit nachher, und dann wurde ich von Abscheu über das geschüttelt, was ich geworden war. Ich mordete die Jungen, die Unschuldigen, die Schönen, sie vor allen anderen. Sie schienen eine Art inneres Leuchten zu besitzen, das den Durst in mir entfachte, wie alte und kranke Menschen es nicht schafften. Und bei anderen Gelegenheiten liebte ich genau die Qualitäten, die zu töten ich getrieben wurde.
Verzweifelt versuchte ich mich zu ändern. Mein Wille, der normalerweise so stark war, zerfloß zu nichts, wenn der rote Durst mich überkam. Ich wandte mich voller Hoffnung der Religion zu. Als ich die ersten Vorzeichen des nahenden Fiebers spürte, suchte ich eine Kirche auf und beichtete dem Priester, der auf mein Klopfen öffnete, alles, was ich getan hatte. Er glaubte mir nicht, aber er erklärte sich bereit, mit mir gemeinsam zu beten. Ich trug ein Kreuz um den Hals, kniete vor dem Altar, betete inständig, die Kerzen und Heiligenbilder um mich herum, sicher im Hause Gottes mit einem seiner Geistlichen an meiner Seite. Nach drei Stunden stürzte ich mich auf ihn und tötete ihn dort in der Kirche. Es war eine kleine Sensation, als die Leiche am nächsten Tag gefunden wurde.
Dann versuchte ich es mit Logik. Wenn die Religion keine Antworten lieferte, dann konnte das, was mich trieb, nicht übernatürlichen Ursprungs sein. Ich schlug Tiere anstatt Menschen. Ich stahl Menschenblut aus der Praxis eines Arztes. Ich brach bei Begräbnisunternehmen ein, wenn ich wußte, daß ein soeben Verstorbener in den Räumen aufgebahrt war. All das half, mein Durst wurde etwas gemildert, aber ganz zum Verschwinden ließ er sich damit nicht bringen. Die beste dieser Hilfsmaßnahmen bestand darin, ein lebendiges Tier zu töten und das noch körperwarme Blut zu trinken. Es war das Leben, sehen Sie, das Leben genauso wie das Blut selbst.
Bei alledem achtete ich auch auf meinen Schutz. Ich zog einige Male in England um, damit der Tod und das Verschwinden meiner Opfer sich nicht an einem Ort auffällig häuften. Ich begrub so viele Körper wie möglich. Und schließlich setzte ich bei der Jagd auch mehr und mehr meinen Intellekt ein. Ich brauchte Geld, daher suchte ich mir stets wohlhabende Beute aus. Ich wurde reich und reicher. Geld führt zu mehr Geld, und sobald ich erst einmal einiges zusammen hatte, fiel mir immer mehr — rechtschaffen und sauber — in den Schoß. Mittlerweile beherrschte ich das Englische recht fließend. Ich änderte erneut meinen Namen, putzte mich zum Gentleman heraus, kaufte mir ein einsames Haus im schottischen Moor, wo mein Verhalten nur wenig Aufsehen erregte, und stellte einige verschwiegene Diener ein. Jeden Monat war ich einmal in Geschäften unterwegs und blieb stets die Nacht über fort. Keines meiner Opfer lebte in meiner Nähe. Die Diener ahnten nichts von allem.
Am Ende hatte ich eine Idee, von der ich glaubte, daß sie die Lösung meiner Probleme lieferte. Eine meiner Dienerinnen, ein hübsches junges Mädchen, war mir immer vertrauter geworden. Sie schien mich gern zu haben, und nicht einfach nur als ihren Arbeitgeber. Ich erwiderte ihre Zuneigung. Sie war ehrlich, freundlich und recht intelligent, wenn auch etwas ungebildet. Ich begann sie als meine Freundin zu betrachten und sah in ihr einen Ausweg. Oft hatte ich über die Möglichkeit nachgedacht, mich selbst in Ketten zu legen oder mich sonstwie einzusperren, bis der rote Durst vergangen war, aber ich hatte nie einen richtigen Plan entwickeln können, der wirklich funktioniert hätte. Wenn ich den Schlüssel irgendwo in Reichweite plazierte, dann würde ich ihn auch benutzen, wenn der rote Durst mich wirklich ergriffen hatte. Wenn ich ihn wegwarf, wie hätte ich mich dann wieder aus den Ketten befreien können? Nein, ich brauchte die Hilfe einer anderen Person, aber ich hatte immer noch die Warnung meines Vaters im Ohr gehabt, niemandem von Ihrer Rasse mein Geheimnis anzuvertrauen.
Nun beschloß ich, ein Wagnis einzugehen. Ich entließ meine anderen Bediensteten und schickte sie fort und stellte niemand Neues ein. Ich ließ einen Raum in meinem Haus bauen. Ein kleines fensterloses Zimmer mit dicken Steinwänden und einer Eisentür so dick wie in der Zelle, die ich mit meinem Vater geteilt hatte. Sie konnte von außen mit drei mächtigen Eisenriegeln versperrt werden. Ich würde nicht herauskommen können. Als der Raum fertiggestellt war, rief ich meine hübsche kleine Zofe herein und gab ihr Anweisungen. Ich vertraute ihr noch nicht genug, um ihr die volle Wahrheit zu offenbaren. Ich hatte Angst davor, Abner, daß sie, wenn sie tatsächlich wußte, wer ich in Wirklichkeit war, mich denunzieren oder sofort weglaufen würde, und damit wäre die so greifbare Lösung meines Problems ebenfalls zerronnen, zusammen mit meinem Haus und meinem Besitz und dem Leben, das ich mir aufgebaut hatte. So erzählte ich ihr, daß ich jeden Monat einen kurzen Anfall von Raserei hätte, ein Zustand, wie man ihn auch nach Epilepsieanfällen gelegentlich beobachten könnte. Während dieser Anfälle würde ich mich in meinen Spezialraum zurückziehen, und sie müsse mich dort einriegeln und mich ganze drei Tage dort festhalten. Ich würde Lebensmittel und Wasser mitnehmen, außerdem ein paar lebende Hühner, um den Durst wenigstens etwas zu mildern.
Sie war schockiert, besorgt und sehr verwirrt, aber am Ende erklärte sie sich bereit zu tun, um was ich sie bat. Ich glaube, sie liebte mich auf ihre Art und war bereit, so gut wie alles für mich zu tun. So betrat ich den Raum, und sie verriegelte die Tür hinter mir.
Und der Durst stellte sich ein. Es war beängstigend. Obwohl keine Fenster vorhanden waren, fühlte ich das Kommen und Gehen des Tages. Ich schlief bei Tag — wie immer —, aber die Nächte waren ein einziger Horror. Gleich in der ersten Nacht tötete ich alle Hühner und sättigte mich an ihnen. Ich verlangte, herausgelassen zu werden, und meine treue Zofe verweigerte es mir. Ich beschimpfte sie. Dann schrie ich nur noch und stieß unzusammenhängende Laute wie ein Tier aus. Ich warf mich gegen die Wände, trommelte gegen die Tür, bis meine Fäuste blutig waren, dann hockte ich mich hin, um gierig mein eigenes Blut aufzusaugen. Ich versuchte auch, mich durch das weiche Gestein hindurchzukratzen. Aber ich konnte nicht heraus.
Am dritten Tag beruhigte ich mich und begann wieder nachzudenken. Es war so, als wäre mein Fieberwahn gebrochen. Ich befand mich wieder auf dem Weg der Besserung und fand zu meinem alten Selbst zurück. Ich spürte, wie der Durst nachließ und verging. Ich rief meine Zofe an die Tür und erklärte ihr, es sei vorbei, sie könne mich wieder herauslassen. Sie weigerte sich und meinte, ich hätte ihr aufgetragen, mich drei ganze Nächte lang eingesperrt zu halten, wie ich es auch wirklich getan hatte. Ich lachte und gab zu, daß das stimmte, sagte aber auch, daß der Anfall gekommen und wieder vergangen wäre und daß ich wüßte, daß es erst wieder in einem Monat so weit wäre. Auch dann wollte sie die Tür nicht öffnen. Ich beschimpfte sie nicht. Ich meinte statt dessen, daß ich sie verstünde, und ich lobte sie dafür, daß sie ihre Befehle so genau befolgte. Ich bat sie, zu bleiben und mit mir zu reden, da ich mich in meinem Gefängnis ziemlich einsam fühle. Sie war einverstanden, und wir unterhielten uns fast eine ganze Stunde lang. Ich war ruhig und zuvorkommen, sogar charmant und geduldig in mein Schicksal ergeben, das noch eine weitere Nacht in dieser Kammer für mich bereit hatte. Wir unterhielten uns so gründlich und ausgeglichen, daß sie am Ende zugab, daß ich so klang, als wäre alles wieder in Ordnung. Ich erklärte, was für ein gutes Mädchen sie doch sei, wenn sie so genau auf meine Stimme und meine Worte hörte. Ich äußerte mich über ihre Verdienste und meine Zuneigung zu ihr. Schließlich bat ich sie sogar, mich zu heiraten, sobald ich wieder frei sei.
Sie öffnete die Tür. Sie sah so glücklich aus, Abner. So unsagbar glücklich und vor Leben sprühend. Sie war so lebendig. Sie kam mir entgegen, um mich zu küssen, und ich umschlang sie mit den Armen und zog sie an mich. Wir küßten uns mehrmals. Dann glitten meine Lippen an ihrem Hals herab und ich fand die Arterie und öffnete sie. Ich … trank … so lange. Ich war furchtbar durstig, und ihr Lebenssaft war so süß. Aber als ich sie losließ und sie vor mir zurückwich, lebte sie noch, nur wenig, nahezu ausgeblutet und sterbend, aber noch immer bei Bewußtsein. Der Ausdruck ihrer Augen, Abner! Der Ausdruck ihrer Augen!
Von all den Dingen, die ich je getan hatte, war dies die schrecklichste Tat. Sie wird mir immer im Bewußtsein bleiben. Immer sehe ich ihre Augen, die mich anschauen.
Danach war meine Verzweiflung grenzenlos. Ich versuchte mich selbst zu töten. Ich kaufte ein silbernes Messer, dessen Griff wie ein Kreuz geformt war — der Aberglaube hatte noch immer viel Macht über mich. Und ich schlitzte mir die Schlagadern auf und legte mich in eine Badewanne mit warmem Wasser, um zu sterben. Ich erholte mich jedoch. Ich stürzte mich in mein Schwert, wie es im Rom des Altertums Sitte gewesen war. Ich blieb am Leben. Jeden Tag lernte ich bei mir neue Fähigkeiten kennen. Meine Wunden heilten schnell, und die Phase der Schmerzen dauerte stets nur kurze Zeit. Mein Blut gerann praktisch augenblicklich, ganz gleich wie groß die Wunde war, die ich mir beigebracht hatte. Was immer ich sein mochte, ein lebendiges Wunder war ich ganz sicher.
Schließlich fand ich einen Weg. Draußen an meinem Haus brachte ich zwei schwere Eisenketten an der Mauer an. Bei Nacht schloß ich mich in die Handschellen ein und warf den Schlüssel so weit weg, wie ich es vermochte. Das war ein beträchtliches Stück. Ich wartete auf die Dämmerung. Die Sonne war noch schlimmer, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie verbrannte und blendete mich. Alles verschwamm, flimmerte. Meine Haut stand in Flammen. Ich glaube, ich fing sogar an zu schreien. Ich weiß, daß ich die Augen schloß. Stundenlang war ich dort draußen und kam dem Tod immer näher. In mir war nichts als das Gefühl einer großen Schuld.
Und dann, irgendwie, im Fieber meines Todes, beschloß ich am Leben zu bleiben. Wie und warum kann ich Ihnen nicht sagen. Aber mir schien es, als hätte ich immer das Leben geliebt, bei mir und bei anderen. Das war auch der Grund, warum Gesundheit und Schönheit und Jugend mich so sehr angezogen hatten. Ich verabscheute mich selbst, weil ich der Welt den Tod gab, und dennoch war ich wieder im Begriff zu töten, auch wenn diesmal das Opfer ich selbst war. Ich dachte, ich könnte meine Sünden nicht mit noch mehr Blut abwaschen, mit noch einem Tod. Um Buße zu tun, mußte ich leben, mußte ich Leben und Schönheit und Hoffnung in die Welt zurückbringen, damit diese den Platz all dessen einnahmen, was ich der Welt gestohlen hatte. In diesem Moment erinnerte ich mich an die verschwundenen Bediensteten meines Vaters. Es gab in dieser Welt noch andere Vertreter meiner Rasse. Vampire, Werwölfe, Hexenmeister, was immer sie waren, sie trieben sich dort draußen in der Nacht herum. Wie kamen sie wohl mit dem roten Durst zurecht? fragte ich mich. Wenn ich sie doch finden könnte. Wenn ich schon den Menschen nicht trauen konnte, dann wenigstens meiner eigenen Art. Wir könnten uns gegenseitig helfen, das Böse in Schach zu halten, von dem wir besessen waren. Und ich könnte von ihnen viel lernen.
Ich beschloß also, nicht zu sterben.
Die Ketten waren sehr solide. Ich hatte sorgfältig darauf geachtet in der Angst, daß ich mich vielleicht doch den Schmerzen und dem Tod würde entziehen wollen. Doch nun fand ich in meinem Entschluß mehr Kraft als in allem, was ich je erlebt hatte, sogar im Zustand des roten Durstes, wenn er mich peinigte und zu grauenvollen Taten trieb. Ich versuchte, die Ketten zu sprengen, sie aus den Mauern zu reißen, in denen ich sie verankert hatte. Ich zog und zerrte und riß. Sie gaben nicht nach. Es waren starke Ketten. Ich hatte mich seit Stunden in der Sonne aufgehalten. Was mich bei Bewußtsein hielt, kann ich nicht sagen. Meine Haut war schwarz und verbrannt. Der Schmerz war so übermächtig geworden, daß ich ihn bewußt kaum noch spürte. Und ich mühte mich immer noch mit den Ketten ab.
Endlich brach eine davon aus der Halterung. Die linke. Der Ring, der in die Wand eingelassen war, kam zusammen mit zerbröckeltem Mauerwerk heraus. Ich war zur Hälfte frei. Aber ich war schwach, als würde ich jeden Moment sterben, und ich hatte seltsame Visionen. Ich wußte, daß ich bald das Bewußtsein verlieren würde, und wenn ich erst einmal auf dem Erdboden lag, dann gäbe es für mich kein Hochkommen mehr. Und die rechte Kette schien noch genauso fest und solide zu sein wie zu Beginn meiner Bemühungen, was schon eine kleine Ewigkeit her war.
Die Kette gab nicht nach, Abner. Dennoch gewann ich die Freiheit und suchte die Sicherheit meines kühlen dunklen Kellers auf, wo ich länger als eine Woche lag und träumte und brannte und mich vor Schmerzen wand, wobei ich jedoch stetig genas. Ich hatte mich sozusagen selbst geopfert. Ich nagte mein eigenes Handgelenk durch und ließ meine rechte Hand zurück, während ich den Stumpf durch die Handschelle zog.
Als ich, etwa eine Woche später, das Bewußtsein wiedererlangte, hatte ich meine Hand wieder. Sie war weich und klein, nur halb ausgeformt, und sie tat weh. Sie tat schrecklich weh. Aber nach einiger Zeit wurde die Haut fester. Dann schwoll die Hand an, und die Haut knackte und riß, und eine dickliche blasse Flüssigkeit trat heraus. Als sie getrocknet und abgezogen war, sah man darunter festeres und gesünderes Fleisch. Dreimal geschah dies. Der Prozeß dauerte mehr als drei Wochen, aber als er abgeschlossen war, wären Sie niemals auf die Idee gekommen, daß mit meiner Hand überhaupt etwas passiert war. Ich war verblüfft.
Das geschah im Jahr 1812 und bedeutete einen Wendepunkt in meinem Leben.
Als ich meine Kräfte wiederhergestellt hatte, stellte ich fest, daß ich mit einem großen Entschluß aus den Strapazen hervorgegangen war: mein Leben und das meines Volkes zu ändern, uns von dem zu befreien, was mein Vater den ›roten Durst‹ genannt hat, und uns in die Lage zu versetzen, das Leben und die Schönheit wiederherzustellen, die wir der Welt geraubt hatten. Um dies zu tun, mußte ich erst andere Angehörige meiner Rasse zusammensuchen, und die einzigen anderen, die ich kannte, waren die verschwundenen Bediensteten meines Vaters. Doch eine Suche war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht möglich. England führte mit dem Französischen Reich Krieg, und es gab zwischen den beiden Nationen keinen Handel. Die erzwungene Verzögerung machte mir nichts aus. Ich wußte, daß ich alle Jahre zur Verfügung hatte, die ich brauchte.
Während ich abwartete, nahm ich das Studium der Medizin auf. Natürlich war über mein Volk nichts bekannt. Sogar unsere Existenz gehörte ins Reich der Legende. Aber es gab über Ihre Rasse soviel zu lernen, die der unseren so ähnlich und zugleich doch so verschieden davon war. Ich freundete mich mit einer Reihe Ärzte, einem führenden Chirurgen der damaligen Zeit, einigen Lehrern einer bekannten medizinischen Fakultät an. Ich las medizinische Texte, alte und neue. Ich arbeitete mich in die Chemie, Biologie, Anatomie, sogar in die Alchemie ein und suchte nach Erkenntnissen. Für bestimmte Experimente baute ich mir ein eigenes Labor in dem Raum ein, den ich als mein schicksalhaftes Gefängnis benutzt hatte. Nun, wenn ich ein Leben raubte — was ich jeden Monat tat —, nahm ich die Leiche mit, wann immer es möglich war, um sie zu untersuchen, sie zu sezieren. Wie sehr ich mir eine Leiche eines Mitglieds meiner eigenen Rasse wünschte, Abner, damit ich die Unterschiede aufspüren konnte!
Im zweiten Jahr meiner Studien schnitt ich mir einen Finger von der linken Hand ab. Ich wußte ja, daß er wieder nachwachsen würde. Ich wollte eine Probe meines Fleisches, um es zu untersuchen und zu analysieren.
Ein abgetrennter Finger reichte nicht aus, um ein Hundertstel meiner Fragen zu beantworten, aber der Schmerz lohnte sich dank dessen, was ich erfahren konnte, auf jeden Fall. Knochen, Fleisch und Blut wiesen deutliche Unterschiede zum Menschen auf. Das Blut war heller, ebenso das Fleisch, und ihm fehlten einige Bestandteile, die man im menschlichen Blut fand. Die Knochen enthielten hingegen mehr Elemente als ihre menschlichen Entsprechungen. Sie waren kräftiger und biegsamer als menschliche Knochen, Sauerstoff, dieses Wundergas von Priestley und Lavoisier, war im Blut und im Muskelgewebe in weit höherem Grad vorhanden als in entsprechenden Proben von Körpern Ihrer Rasse.
Ich hatte keine Ahnung, welche Schlüsse sich daraus ergeben mochten, jedoch entwickelte ich einige verrückte Theorien. Mir schien es, als stünde der Mangel in meinem Blut in einer Beziehung zu meinem Drang, das Blut anderer Wesen zu trinken. In diesem Monat, als der Durst gekommen und wieder verflogen war und ich mir mein Opfer geholt hatte, fügte ich mir selbst eine Wunde zu und untersuchte die Blutprobe. Die Zusammensetzung meines Blutes hatte sich verändert! Irgendwie hatte ich das Blut meines Opfers in mein eigenes verwandelt, hatte es dickflüssiger gemacht, es angereichert, zumindest für eine gewisse Zeit. Danach nahm ich täglich Blutproben von mir selbst. Meine Untersuchungen ergaben, daß mein Blut von Tag zu Tag dünner wurde. Vielleicht verhielt es sich so, daß der rote Durst sich einstellte, wenn das Verhältnis einen bestimmten kritischen Punkt erreichte, vermutete ich.
Meine Annahme ließ jedoch viele Fragen unbeantwortet. War Tierblut ungeeignet, um den Durst zu stillen? Oder gar Menschenblut, das aus einer Leiche stammte? Verlor es im Tode von seinem Gehalt? Warum hatte der Durst mich nicht schon vor meinem zwanzigsten Geburtstag überkommen? Was war in all den Jahren vorher gewesen? Ich kannte keine einzige Antwort, wußte auch nicht, wo ich sie zu suchen hatte, doch nun hatte ich wenigstens eine Hoffnung, einen Anfang. Ich begann, Mixturen herzustellen.
Was soll ich Ihnen davon erzählen? Es dauerte Jahre, endlose Experimente, langwierige Studien. Ich verwendete menschliches und tierisches Blut, Metalle und Chemikalien aller möglichen Arten. Ich kochte Blut, trocknete es, trank es roh, mischte es mit Wermut, Brandy, mit übelriechenden medizinischen Konservierungsmitteln, mit Kräutern, Salzen, Eisen. Ich trank tausend Mixturen ohne jeden Erfolg. Zweimal wurde mir davon todschlecht, so daß mein Magen revoltierte und sich verkrampfte, bis ich die Mischung herauswürgte, die ich verschluckt hatte. Es war immer fruchtlos. Ich konnte Mixturen und Gläser voller Blut und Drogen hundertfach konsumieren, doch immer noch trieb der rote Durst mich hinaus auf meine nächtliche Jagd. Ich tötete nun ohne Schuldgefühle, wußte ich doch, daß ich eine Antwort suchte, daß ich irgendwann meine tierische Natur unter Kontrolle hätte. Ich verzweifelte nicht, Abner.
Und schließlich und endlich, im Jahr 1815, fand ich die Antwort.
Einige meiner Mixturen hatten eine bessere Wirkung als andere, und mit denen hatte ich weitergearbeitet, hatte sie verbessert, die eine oder andere Änderung damit vorgenommen, geduldig, immer eine nach der anderen ausprobiert und gleichzeitig ständig nach neuen Wegen gesucht. Die Kombination, die ich am Ende schuf, enthielt als Basis Schafsblut in großen Mengen, gemischt mit einer reichlichen Portion Alkohol, der dazu diente, die Stoffe zu konservieren, glaube ich. Doch diese Beschreibung vereinfacht das Ganze bei weitem. Auch ein reichlicher Anteil Laudanum gehörte dazu, zur Beruhigung und Erzeugung schöner Visionen, plus Pottasche und Eisen und Wermut und verschiedene Kräuter und längst vergessen geglaubte alchemistische Zubereitungen. Drei Jahre lang hatte ich danach gesucht, und eines Nachts im Sommer 1815 trank ich die Mixtur, wie ich es mit anderen Mischungen schon so häufig getan hatte. In dieser Nacht überfiel mich der rote Durst nicht.
In der folgenden Nacht spürte ich die beginnende hitzige Ruhelosigkeit, die das Herannahen des Durstes anzeigt, und schenkte mir ein Glas von meinem Drink ein und leerte es voller Angst, daß mein Triumph, nur ein Traum, eine Einbildung war. Aber das Gefühl verflog. Auch in dieser Nacht litt ich nicht unter dem Durst und zog nicht hinaus, um zu jagen und zu töten.
Ich machte mich sofort ans Werk und produzierte die Substanz in größeren Mengen. Es ist nicht immer leicht, sie genau hinzubekomnen, und wenn die Mischung nicht exakt stimmt, dann hat sie keine Wirkung. Ich arbeitete jedoch äußerst gewissenhaft. Und das Ergebnis haben Sie ja selbst gesehen, Abner. Mein Spezialgetränk. Es befindet sich immer in meiner Reichweite, Abner, ich hatte etwas erreicht, was noch nie zuvor ein Angehöriger meiner Rasse versucht hatte, obgleich ich es damals in meiner Begeisterung noch gar nicht erkannte. Ich hatte den Beginn einer neuen Epoche ebenso für mein Volk wie auch für das Ihre ermöglicht. Dunkelheit, die keine Angst mehr erzeugt, ein Ende für den Jäger und die Beute, kein Verstecken mehr und keine Verzweifelung. Keine Nacht mehr, in der Blut floß und denkende Wesen sich in Tiere verwandelten. Abner, ich hatte die Beherrschung des roten Durstes erlangt!
Jetzt weiß ich, daß ich außerordentlich viel Glück gehabt hatte. Mein Verständnis war nur oberflächlich und ziemlich begrenzt. Ich dachte, daß die Unterschiede zwischen unseren Rassen allein im Blut zu suchen waren. Später erst erfuhr ich, wie sehr ich mich geirrt hatte. Ich glaubte, daß der Überschuß an Sauerstoff irgendwie für die Art und Weise verantwortlich war, in der der rote Durst durch meine Adern raste. Heute denke ich jedoch, daß der Sauerstoff meiner Rasse die Kraft verleiht und uns hilft, von schweren Verletzungen und Wunden zu genesen. Vieles von dem, was ich 1815 für wesentliche Erkenntnisse hielt, ist nach meinem heutigen Wissen reiner Unsinn. Aber das ist nicht so wichtig, denn meine Lösung des Problems war kein Unsinn.
Ich habe seitdem auch wieder getötet, Abner, das will ich gar nicht leugnen. Aber in der Weise, wie Menschen töten, aus menschlichen Gründen. Und seit jener Nacht in Schottland im Jahr 1815 habe ich kein Blut mehr zu mir genommen oder die Qualen des roten Durstes verspürt.
Ich hörte nicht auf zu lernen, bis heute nicht. Wissen hat für mich Schönheit, und ich genieße alle Arten von Schönheit, und es gab noch so viel über mich und mein Volk zu erfahren. Aber mit meiner großen Entdeckung änderte sich das Ziel meiner Sucher und ich begann nach weiteren Angehörigen meiner Rasse Ausschau zu halten. Anfangs setzte ich dazu Agenten ein und schrieb Briefe. Später, als wieder Frieden herrschte, reiste ich selbst über den Kontinent. So erfuhr ich auch, wie mein Vater umgekommen war. Wichtiger noch, in alten Aufzeichnungen fand ich Hinweise darauf, woher er stammte — oder zumindest woher zu stammen er behauptet hatte. Ich folgte der Spur durch das Rheinland, durch Preußen und Polen. Für die Polen war er ein dunkel in Erinnerung gebliebener, vielgefürchteter Einsiedler, von dem Urgroßeltern nur flüsternd gesprochen hatten. Einige meinten, er wäre ein teutonischer Ritter gewesen. Andere schickten mich noch weiter nach Osten bis hin zum Ural. Es machte keinen Unterschied; die teutonischen Ritter waren seit Jahrhunderten tot, und der Ural war ein riesiges Gebirge, zu weitläufig und unwegsam, als daß es einen Sinn gehabt hätte, wäre ich dort blindlings auf die Suche gegangen.
Zu guter Letzt beschloß ich, ein Wagnis einzugehen. Einen auffälligen Silberring und ein Kreuz um den Hals tragend, die, wie ich hoffte, ausreichen würden, irgendwelches Gerede oder Mißtrauen gar nicht erst aufkommen zu lassen, begann ich mich ganz offen nach Vampiren und Werwölfen und anderen solcher Legenden zu erkundigen. Einige lachten mich aus und verspotteten mich, ein paar bekreuzigten sich und liefen davon, aber die meisten waren nur zu bereit, dem einfältigen Engländer als Gegenleistung für einen Drink oder eine Mahlzeit die Geschichten zu erzählen, die er so gerne hören wollte. Aus ihren Geschichten gewann ich meine Hinweise. Es war nicht einfach. Die Jahre vergingen während meiner Suche. Ich erlernte die polnische und die bulgarische Sprache und etwas Russisch. Ich las Zeitungen in einem Dutzend fremder Sprachen, suchte nach Todesfällen, zu denen es möglicherweise durch Auswirkungen des roten Durstes gekommen war. Zweimal war ich gezwungen, nach England zurückzukehren und mehr von meinem Getränk zusammenzubrauen und mich um meine persönlichen Angelegenheiten zu kümmern.
Und schließlich fanden sie mich.
Ich befand mich in den Karpaten, in einem primitiven Landgasthaus. Ich hatte einige Fragen gestellt, und die Nachricht von meinen Nachforschungen hatte schnell die Runde gemacht. Müde und niedergeschlagen und die ersten Anzeichen des Durstes spürend, hatte ich mich schon früh, noch lange vor Anbruch der Dämmerung, auf mein Zimmer zurückgezogen. Ich saß vor einem knisternden Feuer, sprach meinem Getränk zu, als ich ein Klappern hörte, von dem ich anfangs annahm, das es durch den Sturm ausgelöst wurde, der die reifbedeckten Fenster in ihren Rahmen erzittern ließ. Ich wandte mich um — im Raum war es bis auf den Schein des Feuers vollkommen dunkel —, und das Fenster wurde von außen geöffnet, und dort, als Silhouette vor dem schwarzen Himmel, vor dem Schnee und den funkelnden Sternen, stand ein Mann auf dem Sims. Er kam so geschmeidig herein wie eine Katze, verursachte kein Geräusch, als er auf den Fußboden heruntersprang, umgeben vom kalten Hauch des Winters; der draußen sein stürmisches Regiment führte. Er war düster, aber seine Augen glühten, Abner, sie glühten. »Sie wollen etwas über Vampire erfahren, Engländer«, flüsterte er in passablem Englisch, während er das Fenster leise hinter sich schloß.
Es war ein beängstigender Augenblick, Abner. Vielleicht war es die Kälte von draußen, die den Raum füllte und mich zittern ließ, aber das glaube ich nicht. Ich betrachtete diesen Fremden, wie so viele Angehörige Ihrer Rasse mich gesehen hatten, ehe ich mich auf sie stürzte und mich an ihrem Blut labte; dunkel und mit glühenden Augen und furchterregend, ein Schatten mit Zähnen, der sich katzenhaft bewegte und sich in einem unheimlichen Flüstern verständigte. Als ich mich anschickte, mich aus meinem Sessel zu erheben, trat er vor ins Licht. Ich sah seine Fingernägel. Es waren Klauen, fünf Zoll lang, die Enden schwarz und messerscharf. Dann sah ich auf und in sein Gesicht. Es war ein Gesicht, das ich in meiner Kindheit gekannt hatte, und während ich es weiterhin anschaute, fiel mir auch der dazugehörige Name ein. »Simon«, sagte ich.
Er hielt inne. Unsere Blicke trafen sich.
Sie haben schon mal in meine Augen geschaut, Abner. Ich glaube, Sie haben die Kraft darin gesehen, und vielleicht auch andere, dunkle Dinge. So ist es bei allen Angehörigen unserer Rasse. Mesmer schrieb einmal vom animalischen Magnetismus, von einer seltsamen Kraft, die sich in allen lebendigen Dingen befindet, in einigen stärker als in anderen. Ich habe diese Kraft auch bei Menschen gesehen. Im Krieg können zwei Offiziere ihre Männer in einer geradezu selbstmörderische Mission schicken. Einer von ihnen wird für seinen Befehl von seinen eigenen Männern getötet. Während der andere, der in der gleichen Situation vielleicht die gleichen Worte benutzt, seine Männer dazu bringen kann, ihm bereitwillig in den sicheren Tod zu folgen. Bonaparte verfügte in hohem Maße über diese Kraft, wie ich annehme. Aber unsere Rasse besitzt diese Kraft am ausgeprägtesten. Sie schwingt in unseren Stimmen mit und ist vor allem in unseren Augen zu erkennen. Wir sind Jäger, und mit unseren Augen können wir unsere natürliche Beute einfangen und ruhig halten, können sie unserem Willen unterwerfen und sie manchmal sogar dazu bewegen, uns bei ihrer eigenen Tötung behilflich zu sein.
Damals wußte ich davon noch nichts. Alles, was ich erkannte, waren Simons Augen, die Hitze darin, die Wut und das Mißtrauen. Ich konnte spüren, wie in ihm der Durst brannte, und dieser Anblick weckte in mir die tief verschüttete Blutlust wie eine Stimme, die mich rief, bis ich Angst bekam. Ich konnte den Blick nicht abwenden. Er konnte es auch nicht. Wir schauten uns stumm an, umkreisten uns lauernd, die Blick ineinander getaucht. Mein Glas rutschte mir aus der Hand und zerschellte am Fußboden.
Wieviel Zeit verstrich, kann ich nicht sagen. Aber schließlich schaute Simon zu Boden, und es war vorbei. Dann tat er etwas Seltsames und zugleich für mich Erschreckendes. Er kniete vor mir nieder und biß sich die eigene Pulsader auf, so daß das Blut herausströmte, und hielt mir die Hand entgegen, damit ich mich bedienen konnte. »Blutmeister«, flüsterte er dazu auf französisch.
Das fließende Blut, in direkter Reichweite vor mir, ließ mir die Kehle trocken werden. Ich ergriff die Hand, zitternd, und begann mich hinabzubeugen. Und dann besann ich mich. Ich schlug ihn und wich zurück, und die Flasche stand auf dem Tisch vor dem Kamin. Ich schenkte zwei Gläser voll, leerte das eine und hielt ihm das andere hin, das er verständnislos anstarrte. »Trink«, befahl ich ihm, und er gehorchte. Ich war der Blutmeister, und mein Wort war Gesetz. Das war der Anfang, damals, 1826 in den Karpaten. Wie ich wußte, war Simon einer der beiden Gefährten meines Vaters gewesen. Mein Vater war Blutmeister gewesen. Nach seinem Tod hatte Simon, der stärker war als der andere, die Führung übernommen. Er führte mich in der darauffolgenden Nacht dorthin, wo er lebte, eine gemütliche Kammer, tief verschüttet in den Ruinen einer alten Bergfeste. Dort traf ich die anderen; eine Frau, die ich als die andere Hausangestellte aus meiner Kindheit erkannte, und zwei weitere Angehörige meines Volkes, die Sie Smith und Brown nennen. Simon war ihr Meister gewesen. Nun war ich es. Mehr noch, ich brachte ihnen auch die Freiheit vom roten Durst.
So tranken wir und verbrachten viele Nächte gemeinsam, und von ihnen erfuhr ich die Geschichte und die Gewohnheiten des Volkes der Nacht.
Wir sind ein altes Volk, Abner. Lange bevor Ihre Rasse im heißen Süden die ersten Städte erbaute, waren meine Vorfahren in den düsteren Wintern in Nordeuropa unterwegs und jagten. Unsere Überlieferungen besagen, daß wir aus dem Ural stammen oder auch aus den Steppen, und daß wir uns im Laufe der Jahrhunderte nach Westen und Süden ausgebreitet haben. Wir lebten in Polen, lange bevor es die ersten Polen gab, wir durchstreiften die deutschen Wälder vor dem Auftauchen der ersten germanischen Barbaren, wir herrschten schon vor den Tartaren über Rußland, vor Nowgorod dem Großen. Wenn ich sage alt, dann meine ich nicht Hunderte von Jahren, sondern Tausende. Jahrtausende verstrichen in der Kälte und Düsternis. Wir waren Wilde, erzählen die Geschichten, raffinierte nackte Tiere, eins mit der Nacht, schnell und tödlich und völlig frei. Von größerer Langlebigkeit als alle anderen Tierwesen, unmöglich zu töten, die Meister und Herren der Schöpfung. So lauten unsere Geschichten. Alles, was zwei oder vier Beine hatte, lief ängstlich vor uns davon. Bei Tag schliefen wir in Höhlen, als Rudel, Familien. Nachts herrschten wir über die Erde.
Dann betrat von Süden her Ihre Rasse unsere Welt. Das Tagesvolk, uns so ähnlich und doch wieder ganz anders. Ihr wart schwach. Wir töteten euch so leicht und fanden Vergnügen daran, denn für uns wart ihr schön, und mein Volk fühlte sich schon immer von Schönheit angezogen. Vielleicht war es eure Ähnlichkeit mit uns, die uns so sehr fesselte. Jahrhundertelang wart ihr nichts anderes als unsere Beute.
Aber im Laufe der Zeit fanden gewisse Veränderungen statt. Meine Rasse war sehr langlebig, doch nur gering an der Zahl. Der Paarungsdrang ist seltsamerweise bei uns nicht vorhanden, während er euch Menschen mindestens genauso beherrscht wie uns der rote Durst. Simon erzählte mir, als ich ihn nach meiner Mutter fragte, daß die männlichen Vertreter meiner Rasse nur dann Begierde verspüren, wenn ein weibliches Wesen in Hitze ist, und das geschieht sehr selten — am häufigsten, wenn Mann und Frau gemeinsam getötet haben. Und selbst dann sind die Frauen nur selten fruchtbar, und dafür sind sie dankbar, denn eine Empfängnis bedeutet für unsere Frauen gewöhnlich den Tod. Ich tötete meine Mutter, wie Simon mir berichtete, indem ich mich aus ihrem Leib herauswühlte und in ihr soviel Schaden anrichtete, daß selbst unsere Heilkräfte nicht mehr viel ausrichten konnten. So ist es meistens, wenn Angehörige meiner Rasse das Licht der Welt erblicken. Wir beginnen unser Leben mit Blut und Tod, genauso wie wir später unser Dasein fristen.
Darin liegt ein gewisses Gleichgewicht, eine Ausgewogenheit. Gott, wenn Sie an ihn glauben, oder die Natur, wenn nicht, gibt und nimmt. Möglicherweise existieren wir noch tausend oder mehr Jahre.
Wären wir so fruchtbar wie Ihre Rasse, würden wir schon bald die Welt füllen. Ihre Rasse vermehrt sich ständig, schwärmt herum wie ein unendlicher Fliegenschwarm, aber sie stirbt auch wie die Fliegen, an kleinen Wunden und Krankheiten, die meine Leute einfach abschütteln.
Es ist kein Wunder, daß wir anfangs so gering von euch dachten. Aber ihr vermehrtet euch, ihr bautet Städte, und ihr habt gelernt. Wir hatten einen ebenbürtigen Verstand, aber wir brauchten unseren nie anzustrengen, weil wir so stark und mächtig waren. Ihre Rasse brachte Feuer auf die Welt, Armeen, Pfeil und Bogen, Kleidung, Kunst und Literatur und Sprache, Zivilisation, Abner. Und, zivilisiert, war sie kein Jagdwild mehr. Sie machte Jagd auf uns, tötete uns mit Feuer und Holzpflock, sie drang bei Tag in unsere Höhlen ein. Unsere Zahl, noch nie besonders groß, schrumpfte immer mehr. Wir kämpften gegen euch und starben, oder wir flohen vor euch, aber wohin wir uns auch wendeten, dorthin folgtet ihr uns schon bald. Schließlich taten wir, wozu wir letztendlich gezwungen waren. Wir lernten von euch.
Kleidung und Feuer, Waffen und Sprache, alles. Wir hatten nie etwas eigenes, wissen Sie. Wir liehen uns alles von den Ihren aus. Wir organisierten uns genauso, begannen nachzudenken und zu planen, und schließlich verschmolzen wir total mit ihnen, lebten in den Schatten der Welt, die Ihre Rasse gebaut hatte, und taten so, als wären wir von derselben Art; wir stahlen uns bei Nacht hinaus, um unseren Durst mit dem Blut Ihresgleichen zu stillen, und versteckten uns bei Tag aus Angst vor ihnen und ihrer Rache. Dies war die Geschichte meiner Rasse, des Volkes der Nacht, und zwar fast die ganzen Jahrtausende hindurch.
Ich erfuhr alles von Simon, wie er es Jahre zuvor von denen erfahren hatte, die schon lange tot und vergangen waren. Simon war der älteste der Gruppe, die ich gefunden hatte, und behauptete, fast sechshundert Jahre alt zu sein.
Ich hörte auch von anderen Dingen, die noch vor unserer mündlich überlieferten Geschichte lagen, in den ersten Dämmerstunden der Zeit überhaupt. Selbst dort erkannte ich den Einfluß Ihres Volkes, denn unsere Mythen stammten aus Ihrer christlichen Bibel. Brown, der einmal als Prediger aufgetreten war, las mir Passagen aus der Schöpfungsgeschichte über Adam und Eva und ihre Kinder, Kain und Abel, vor, über die ersten Menschen, die einzigen Menschen. Aber als Kain Abel erschlagen hatte, ging er in die Verbannung und nahm sich eine Frau aus dem Lande Nod. Wo sie herkam, wenn die anderen das einzige Volk der Erde waren, das erklärte die Geschichte nicht. Das machte dafür Brown: Nod sei das Land der Nacht und der Dunkelheit, sagte er, und diese Frau sei die Urmutter unserer Rasse. Von ihr und Kain stammen wir ab, und so sind wir die Kinder Kains, nicht die Schwarzen, wie einige von Ihrer Rasse es annehmen. Kain erschlug seinen Bruder und versteckte sich, und so kommt es, daß wir unsere fernen Vettern töten und uns verbergen müssen, wenn die Sonne aufgeht, da die Sonne das Gesicht Gottes ist. Wir sind sehr langlebig, wie es alle Menschen in den ersten Tagen waren, die in Ihrer Bibel beschrieben werden, aber unser Leben ist verflucht und muß in Angst und Dunkelheit gefristet werden. Viele von meiner Rasse waren gläubig gewesen, erfuhr ich. Andere hielten sich an andere Mythen, einige glaubten sogar die Vampirgeschichten, die sie gehört hatten, und betrachteten sich selbst als die unsterblichen Avataras des Bösen.
Ich lauschte den Geschichten von längst verschwundenen Vorfahren, von Kämpfen und Verfolgungen, von unseren Wanderungen. Smith erzählte mir von einer großen Schlacht in den einsamen Gebieten des Baltikums vor tausend Jahren, als ein paar hundert Vertreter meiner Rasse sich bei Nacht auf eine Horde von Tausenden stürzten, so daß die Sonne über einer Walstatt voller Blut und Leichen aufging. Ich wurde an Byrons ›Sennacherib‹ erinnert. Simon sprach vom strahlenden alten Byzanz, wo viele Angehörige unserer Rasse gelebt und sich im Laufe der Jahrhunderte gut entwickelt hatten, unsichtbar in der riesigen, belebten Stadt, bis die Kreuzzüge begannen, plünderten und vernichteten und viele von uns auf den Scheiterhaufen warfen. Sie trugen das Kreuz, diese Invasoren, und ich fragte mich, ob vielleicht das die wahre Legende ist, daß meine Rasse dieses christliche Symbol fürchtet und verabscheut. Von allen erfuhr ich die Legende von einer Stadt, die wir gebaut hatten, einer riesigen Stadt der Nacht, erbaut aus Eisen und schwarzem Marmor in riesigen Höhlen im Herzen Asiens, an den Ufern eines unterirdischen Flusses und Sees, den nie das Licht der Sonne berührt hatte. Lange vor Rom oder sogar Ur war unsere Stadt schon groß gewesen, wie alle beschworen, in klarem Widerspruch zu der Geschichte, die sie mir vorher erzählt hatten und nach der wir nackt durch mondbeschienene Winterwälder gelaufen sein sollen. Dem Mythos nach waren wir wegen irgendeines Vergehens aus unserer Stadt vertrieben worden, waren Tausende von Jahren lang sinn‐ und ziellos umhergewandert. Aber die Stadt war immer noch da, und eines Tages würde unserem Volk ein König geboren, ein Blutmeister, größer als jeder, der vorher existiert hatte, einer, der unsere verstreut lebende Rasse sammeln und uns in die Stadt der Nacht am Ufer des sonnenlosen Sees zurückführen würde.
Abner, von allem, was ich hörte und lernte, übte diese Geschichte die nachhaltigste Wirkung auf mich aus. Ich bezweifle, daß eine so riesige unterirdische Stadt existiert, bezweifle, daß sie je existiert hat, aber allein das Vorhandensein einer solchen Geschichte bewies mir, daß mein Volk nicht die bösen und leeren Vampire der Schauermärchen sein konnte. Wir hatten keine eigene Kunst, keine Literatur, noch nicht einmal eine Sprache — aber die Geschichte zeigte, daß wir die Fähigkeit zu träumen, zur Phantasie besaßen. Wir hatten nie etwas gebaut, nie etwas geschaffen, wir haben unsere Kleidung stets gestohlen und haben in euren Städten gelebt und uns an eurem Leben gütlich getan, an eurer Lebendigkeit, an eurem Blut — aber auch wir könnten etwas schaffen, wenn wir die Gelegenheit bekämen, es steckt in uns, uns Geschichten von unseren eigenen Städten zu erzählen. Der rote Durst ist ein Fluch gewesen, hat unsere beiden Rassen zu Feinden gemacht, hat mein Volk aller edlen Absichten beraubt. Richtig, das Zeichen Kains.
Wir hatten auch unsere großen Führer, Abner, echte und eingebildete Blutmeister in den vergangenen Jahrhunderten. Wir hatten unsere Caesars, unsere Salomons, unsere Täufer. Aber wir warten auf unseren Erlöser, wissen Sie, wir warten auf unseren Jesus Christus. Zusammengedrängt in den Ruinen der verfallenen Burg und dem Heulen des Windes draußen lauschend, tranken Simon und die anderen mein Gebräu und musterten mich mit ernsten, fiebrigen Augen, und ich begriff, was sie denken mußten. Jeder von ihnen war Hunderte von Jahren älter als ich, aber ich war der stärkere, ich war der Blutmeister. Ich brachte ihnen ein Elixier, das den roten Durst bannte. Ich schien zur Hälfte menschlich zu sein. Abner, sie betrachteten mich als den legendären Erlöser, den verheißenen König der Vampire. Und ich konnte es nicht leugnen. Es war meine Bestimmung, damals erkannte ich es, meine Rasse aus der Finsternis herauszuführen.
Es gibt so viele Dinge, die ich tun möchte, Abner, so viele Dinge. Ihre eigenen Leute sind so ängstlich und abergläubisch und voller Haß, daher muß meine Rasse sich vorerst versteckt halten. Ich habe gesehen, wie Ihre Leute sich gegenseitig bekämpften, habe von Vlad Tepes gelesen — übrigens, der war keiner von uns —, von ihm und Gaius Caligula und anderen Königen, ich habe gesehen, wie Ihre Rasse alte Frauen verbrannt hat auf Grund des Verdachtes, daß sie zu uns gehörten, und hier in New Orleans habe ich miterlebt, wie Ihre Rasse ihresgleichen versklavt, sie auspeitscht und wie Vieh verkauft, nur weil ihre Haut dunkler ist. Die farbigen Menschen stehen Ihnen allen viel näher, als meine Rasse es je zu schaffen vermag. Sie könnte sogar mit ihren Frauen Kinder bekommen, während zwischen den Völkern des Tages und der Nacht eine solche Kreuzung nicht möglich ist. Nein, wir müssen uns vor Ihrem Volk verstecken, und zwar wegen unserer Sicherheit. Aber, vom roten Durst befreit, hoffe ich, daß wir uns irgendwann den Weitsichtigen unter Ihnen offenbaren können, den Männern der Wissenschaft und des Wissens, Ihren Anführern. Wir können uns gegenseitig in so vielen Dingen helfen, Abner! Wir können Sie Ihre eigene Geschichte lehren, und von uns könnten Sie vielleicht lernen, wie man sich selbst heilen und dadurch länger leben kann. Was uns betrifft, so haben wir gerade erst angefangen. Ich habe den roten Durst besiegt, und ich träume davon, daß es mir mit fremder Hilfe eines Tages gelingt, auch die Sonne zu überwinden, damit wir bei Tag umherreisen können. Ihre Ärzte und Medizinkundigen könnten unseren Frauen bei der Kindesgeburt behilflich sein, so daß die Vermehrung nicht gleichzeitig auch den Tod bedeutet.
Dem, was meine Rasse schaffen und erreichen kann, ist keine Grenze gesetzt. Als ich Simon zuhörte, erkannte ich, daß ich uns zu einem der bedeutendsten Völker der Erde machen könnte. Aber zuerst mußte ich meine Rasse finden, ehe ich damit beginnen konnte.
Die Aufgabe war nicht einfach. Simon erzählte, daß es in seiner Jugend fast tausend von uns gegeben hatte, verstreut über ganz Europa vom Ural bis nach Britannien. Legenden erzählten, daß einige von uns in den Süden nach Afrika oder nach Osten in die Mongolei und nach Kathai gezogen sind, aber niemand hatte einen Beweis für diese Trecks. Von den tausend, die in Europa gelebt hatten, waren die meisten in Kriegen oder Hexenprozessen umgekommen, oder sie waren gejagt und zur Strecke gebracht worden, nachdem sie sich unvorsichtig verhalten hatten. Etwa einhundert von uns seien noch übrig, schätzte Simon, vielleicht weniger. Geburten hatte es nur wenige gegeben. Und diejenigen, die überlebt hatten, waren verstreut und versteckten sich.
So begannen wir eine Suche, die etwa zehn Jahre in Anspruch nahm. Ich will Sie nicht mit allen Einzelheiten langweilen. In einer Kirche in Rußland fanden wir die Bücher, die Sie in meiner Kabine bereits gesehen haben, die einzige bekannte Literatur aus der Hand eines Angehörigen meiner Rasse. Ich übersetzte sie nach und nach und las die traurige Geschichte von einer Gemeinschaft von fünfzig Angehörigen unseres Blutes, von ihrem Leid, ihren Wanderungen, ihren Schlachten, ihrem Tod. Sie waren alle verschwunden, die letzten drei waren Jahrhunderte vor meiner Geburt gekreuzigt und verbrannt worden. In Transsylvanien fanden wir die ausgebrannte Hülle eine Bergfestung und in den Höhlen darunter die Knochenreste von zwei Angehörigen meiner Rasse. Vermoderte Holzpfähle ragten aus ihren Brustkörben heraus, ihre Schädel steckten auf Stangen. Ich erfuhr eine ganze Menge bei der Untersuchung dieser Knochen, aber wir hatten keine Überlebenden. In Triest fanden wir eine Familie, die niemals bei Tag ausging und über die man sich zuraunte, daß alle Mitglieder seltsam bleich wären. Das waren sie auch. Albinos. In Budapest stießen wir auf eine reiche Frau, eine schrecklich verdorbene und schlechte Frau, die ihre Mägde auspeitschte und ihnen mit Zangen und Messern blutende Wunden zufügte und sich selbst das Blut in die Haut massierte, um ihre Schönheit zu erhalten. Sie war jedoch eine von Ihnen. Ich gestehe, daß ich sie mit meinen eigenen Händen tötete, so furchtbar war mir zumute angesichts der Dinge, die sie verbrochen hatte. Sie stand überhaupt nicht unter dem Einfluß des Durstes; nur ihre böse Natur trieb sie zu dem, was sie getan hatte, und das erregte meine Wut. Am Ende, nachdem wir nichts gefunden hatten, kehrten wir in mein Zuhause in Schottland zurück.
Jahre verstrichen. Die Frau in unserer Gruppe, Simons Gefährtin und die Dienerin meiner Kindheit, starb 1840 aus Gründen, die ich niemals genau in Erfahrung bringen konnte. Sie war weniger als fünfhundert Jahre alt. Ich sezierte sie und lernte auf diesem Weg, wie verschieden, wie unmenschlich, wir sind. Sie besaß mindestens drei Organe, die ich noch nie bei menschlichen Leichen gesehen hatte. Ich habe von ihrer Funktion nur eine unklare Vorstellung. Ihr Herz war etwa anderthalb mal so groß wie das eines Menschen, aber ihre Eingeweide hatten nur einen Bruchteil der menschlichen Länge, und sie hatte einen zweiten Magen — ich nehme an, ausschließlich zur Verdauung von Blut. Und noch mehr, aber das ist jetzt unwichtig.
Ich las viel, erlernte andere Sprachen, schrieb ein paar Gedichte, versuchte mich in Politik. Wir nahmen an allen bedeutenden gesellschaftlichen Zusammenkünften teil, zumindest Simon und ich. Smith und Brown, wie Sie sie nennen, hatten nie viel Interesse am Englischen und hielten sich weitgehend für sich. Zweimal reisten Simon und ich auf den Kontinent, um weitere Suchexpeditionen durchzuführen. Einmal schickte ich ihn für drei Jahre nach Indien, allein.
Schließlich, kaum zwei Jahre ist es her, fanden wir Katherine, die in London wohnte, praktisch direkt vor unserer Nase. Sie gehörte natürlich zu unserer Rasse. Aber noch wichtiger war die Geschichte, die sie erzählte.
Sie berichtete, daß sich um 1750 eine umfangreichere Gruppe unseres Volkes über Frankreich und Bayern und Österreich und sogar Italien verstreut hatte. Sie nannte einige Namen; Simon erkannte sie. Wir hatten seit Jahren erfolglos nach diesen Leuten gesucht. Katherine erzählte uns, daß einer von ihnen um 1753 von der Polizei in München verfolgt und erschossen worden war und daß die anderen seitdem zunehmend Angst hätten. Ihr Blutmeister entschied, daß Europa zu dicht bevölkert und zu sehr durchorganisiert sei, um ihnen noch Sicherheit bieten zu können. Wir lebten in den Nischen und Schatten, und die wurden, wie es schien, immer weniger. Daher hatte er ein Schiff gechartert, und sie alle waren von Lissabon aus in See gestochen, mit dem Ziel New York, wo die Unzivilisiertheit und die endlosen Wälder und harten Kolonialbedingungen leichte Beute und Sicherheit versprachen. Warum mein Vater und seine Gruppe an der Reise nicht teilgenommen hatten, konnte sie nicht sagen.
Sie hatte mitziehen sollen, aber Regen und Sturm und ein gebrochenes Wagenrad behinderten ihre Fahrt nach Lissabon, und als sie dort eintraf, waren die anderen bereits unterwegs.
Natürlich ging ich sofort nach Lissabon und sah in allen möglichen Schiffsunterlagen nach, die die Portugiesen aufbewahrt hatten. Nach einiger Zeit fand ich das Gesuchte. Das Schiff war von seiner Fahrt nie zurückgekehrt, wie ich bereits vermutet hatte. Während der langen Zeit auf See hatten sie sicherlich keine andere Wahl gehabt, als sich von der Mannschaft, einer nach dem anderen, zu ernähren. Die Frage war nur, war das Schiff je in der Neuen Welt eingetroffen? Darüber konnte ich keine Aufzeichnung finden. Aber ich fand den Zielhafen: New Orleans. Von dort aus hätte ihnen über den Mississippi der gesamte Kontinent offengestanden.
Der Rest dürfte wohl klar sein. Wir kamen nach. Ich war überzeugt, alle finden zu können. Ich war der Ansicht, daß ich auf einem Dampfschiff den gleichen Luxus würde genießen können, an den ich mich gewöhnt hatte, sowie die Beweglichkeit und die Freiheit, die ich für meine Suche brauchte. Der Fluß war voller Exzentriker. Ein paar mehr würden gar nicht auffallen. Und wenn Geschichten von unserem prächtigen Boot und seinem seltsamen Kapitän, der nur nachts aus seiner Kabine herauskam, am Fluß die Runde machten, um so besser. Die Geschichten konnten so auch an die richtigen Ohren gelangen, und meine Leute würden zu mir kommen, wie Simon es vor vielen Jahren getan hat. Daher stellte ich Nachforschungen an, und wir trafen uns eines Nachts in St. Louis.
Ich glaube, den Rest kennen Sie oder Sie können ihn sich zusammenreimen. Eines will ich aber noch sagen. Als Sie mir in New Albany unseren Raddampfer zeigten, war meine Zufriedenheit nicht gespielt. Die Fiebertraum ist wunderschön, Abner, und das sollte sie auch sein. Zum erstenmal ist etwas Schönes durch uns in diese Welt gekommen. Es ist ein neuer Anfang. Der Name machte mir etwas Angst — Fieber war in meinem Volk ein anderes Wort für den roten Durst. Aber Simon machte mich darauf aufmerksam, daß ein solcher Name wahrscheinlich jeden Angehörigen unserer Rasse anlocken würde, der den Namen hört.
Das wäre meine Geschichte, jedenfalls fast. Die Wahrheit, auf der Sie bestanden haben. Sie waren auf Ihre Art ehrlich zu mir, und ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, daß Sie nicht abergläubisch sind. Wenn meine Träume wahr werden sollen, dann muß irgendwann eine Zeit kommen, in der Tag und Nacht sich über dem Zwielicht der Angst, die zwischen uns liegt, die Hand reichen. Es muß eine Zeit des Wagnisses anbrechen. Das alles soll jetzt bei Ihnen liegen. Meine Träume und Ihre, unser Dampfschiff, die Zukunft meines Volkes und des Ihren, Vampire und Vieh — ich überantworte sie Ihrem Urteil, Abner. Wie wird es ausfallen? Vertrauen oder Furcht? Blut oder edler Wein? Freunde oder Feinde?«