Als am nächsten Morgen über New Orleans die Sonne aufging, ein geschwollenes gelbes Auge, das den Dunst über dem Fluß rot färbte und einen glühendheißen Tag ankündigte, wartete Abner Marsh am Liegeplatz.
Er war am Abend vorher weit gelaufen, war wie ein Wahnsinniger durch die von Gaslampen erleuchteten Straßen des Vieux Carré gejagt, war mit Passanten zusammengestoßen, stolpernd und keuchend, war gerannt wie nie zuvor in all den Jahren, bis er schließlich, reichlich verspätet, begriff, daß niemand ihn verfolgte. Dann hatte Marsh eine düstere, verrauchte Schnapsbude gefunden und hatte drei schnelle Whiskeys gekippt, um das Zittern seiner Hände zu beenden. Und am Ende, kurz vor Tagesanbruch, hatte er sich auf den Rückweg zur Fiebertraum gemacht. Noch nie zuvor in seinem Leben war Abner Marsh zorniger gewesen oder hatte er sich mehr geschämt. Sie hatten ihn von seinem eigenen Dampfschiff verjagt, hatten ihm ein Messer an den Hals gehalten, hatten vor seinen Augen ein Baby ermordet, auf seinem eigenen Tisch. Niemand springt auf diese Weise mit Abner Marsh um und kommt so einfach davon, dachte er; kein Weißer, kein Schwarzer, kein Indianer und schon gar kein verdammter Vampir. Damon Julian würde das noch ganz schön leid tun, schwor er sich. Der Tag war angebrochen, und die Jäger würden ihre Beute bekommen.
An der Anlegestelle herrschte bereits lebhafter Betrieb, als Marsh dort ankam. Ein anderer großer Seitenraddampfer hatte neben der Fiebertraum festgemacht und wurde entladen, Straßenhändler verkauften von ihren Karren Obst und Eiscreme, ein oder zwei Hotelkutschen waren zu sehen. Und die Fiebertraum stand unter Dampf, wie Marsh verblüfft und erschrocken zugleich feststellen konnte. Dunkler Qualm wälzte sich aus ihren Schornsteinen, und tief unten war eine Gruppe Schauerleute damit beschäftigt, die letzten Frachtstücke an Bord zu bringen. Er beschleunigte seinen Schritt und sprach einen der Männer an. Er rief: »He, du da! Wart mal!«
Der Arbeiter war ein großer massiger schwarzer Mann mit einem glänzenden kahlen Schädel, dem ein Ohr fehlte. Er wandte sich auf Marshs Ruf hin um, wobei er ein Faß auf der linken Schulter balancierte. »Ja, Sir, Cap’n?«
»Was geht hier vor?« wollte Marsh wissen. »Warum wird aufgeheizt? Ich habe keinen Befehl dazu gegeben.«
Der Schauermann runzelte die Stirn. »Ich lade nur ein, Cap’n. Ich hab’ keine Ahnung von nichts, Suh.«
Marsh zerbiß einen Fluch und schob sich an ihm vorbei. Hairy Mike Dunne kam über den Laufgang geschlendert und wog seinen Eisenknüppel in der Hand. »Mike!« rief Marsh.
Hairy Mike machte ein finsteres Gesicht, und ein Ausdruck angestrengter Konzentration überschattete sein Gesicht. »’n Morgen. Cap’n. Haben Sie dieses Schiff wirklich verkauft?«
»Wie bitte?«
»Cap’n York sagt, Sie hätten es ihm zur Hälfte verkauft, und Sie führen nicht mit uns. Ich kam zwei Stunden nach Mitternacht zurück, ich und ein paar von den Jungs, und York sagt, Sie und er wären sich einig gewesen, daß bei zwei Kapitänen einer zuviel ist und daß er Sie ausgekauft hat. Und dann hat er Whitey den Befehl gegeben, Dampf zu machen, und das hat er getan, und da sind wir nun. Ist das die Wahrheit, Cap’n?«
Marsh verzog wütend das Gesicht. Die Schauerleute drängten sich neugierig heran, daher packte er Hairy Mike am Arm und zog ihn über den Steg auf das Hauptdeck. »Ich habe jetzt keine Zeit für lange Geschichten«, meinte er, als sie beide ausreichend weit von allen anderen entfernt waren. »Also gehen Sie mir jetzt nicht mit irgendwelchen Fragen auf die Nerven, verstanden? Tun Sie nur, was ich Ihnen sage.«
Hairy Mike nickte. »Ärger, Cap’n?« erkundigte er sich und schlug sich mit dem Eisenknüppel klatschend in die mächtige Pranke.
»Wie viele sind zurück?« wollte Marsh wissen.
»Fast die ganze Mannschaft, einige Passagiere. Alle bis auf ein paar.«
»Wir warten nicht auf die anderen«, sagte Marsh. »Je weniger von diesen Leuten an Bord sind, desto besser. Suchen Sie Framm oder Albright, mir ist egal, wen, und schaffen Sie ihn rauf ins Ruderhaus, damit er uns rausbringt. Und zwar auf der Stelle, verstanden? Ich versuch’, Mister Jeffers zu finden. Wenn Sie den Lotsen raufgeschafft haben, dann kommen Sie zu mir ins Büro des Zahlmeisters. Und sagen Sie niemandem, was los ist.«
Unter seinem schwarzen Schnurrbart war ein knappes Grinsen zu erkennen. »Soll das heißen, daß wir uns dieses Dampfschiff ganz billig wieder zurückholen, oder?«
»Nein«, sagte Abner Marsh. »Nein, wir wollen jemandem ans Leben. Und nicht Joshua. Jetzt ziehen Sie schon los! Ich erwarte Sie dann im Zahlmeisterbüro.«
Jonathon Jeffers war jedoch nicht in seinem Büro, daher mußte Marsh die Kabine des Zahlmeisters aufsuchen und laut klopfen, bis der verschlafene Jeffers, immer noch im Nachthemd, öffnete. »Cap’n Marsh«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen. »Cap’n York sagte, Sie hätten verkauft. Das ergab für mich kaum einen Sinn, aber Sie waren nicht da, und ich wußte nicht, was ich von der Sache halten sollte. Kommen Sie herein!«
»Erzählen Sie mal, was gestern abend passiert ist«, forderte Marsh ihn auf, als er sich in der Kabine des Zahlmeisters befand.
Jeffers gähnte erneut. »Pardon, Cap’n«, sagte er. »Ich hatte nicht allzuviel Schlaf.« Er ging zu der Waschschüssel, die auf seiner Schubladenkommode stand, und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht, suchte nach seiner Brille und kam zu Marsh zurück und sah sich nun wieder etwas ähnlicher. »Lassen Sie mich mal einen Moment lang nachdenken. Wir waren im St. Charles, wie ich es auch schon vorher angekündigt hatte. Wir hatten vor, die ganze Nacht dort zu bleiben, so daß Cap’n York und Sie ungestört dinieren konnten.« Seine Augenbrauen verzogen sich leicht spöttisch. »Jack Ely war bei mir und Karl Framm und Whitey und ein paar von seinen Burschen und … Nun, da war eine ganze Menge von uns. Mister Framms Lehrling war auch dabei. Mister Albright aß mit uns, ging jedoch nach dem Essen gleich zu Bett, während wir anderen blieben und tranken und uns unterhielten. Wir hatten Zimmer und alles, was dazugehörte, aber wir lagen kaum in unseren Betten — es muß wohl so um die drei oder vier Uhr morgens gewesen sein —, als Raymond Ortega und Simon und dieser komische Sour Billy Tipton erschienen, um uns auf den Dampfer zurückzuholen. Sie sagten, York brauche uns sofort.« Jeffers zuckte die Achseln. »Also kamen wir mit, und Cap’n York erwartete uns im großen Salon und erklärte, er habe Sie ausgekauft und daß wir schon sehr früh am Morgen ablegen würden. Einige von uns wurden losgeschickt, die restlichen Leute in New Orleans zu suchen und den Passagieren Bescheid zu geben. Der größte Teil der Mannschaft ist jetzt auf dem Schiff, wie ich annehme. Ich habe die Fracht verstauen lassen und wollte noch schnell eine Mütze Schlaf nehmen. Und was ist jetzt wirklich im Gange?«
Marsh schnaubte. »Ich habe keine Zeit für lange Erklärungen, und Sie würden mir sowieso nicht glauben. Haben Sie gestern abend im Salon irgend etwas Ungewöhnliches bemerkt?«
»Nein«, entgegnete Jeffers. Eine Augenbraue hob sich. »Hätte ich das denn tun sollen?«
»Vielleicht«, sagte Marsh.
»Alles war abgedeckt worden nach dem Abendessen«, sagte Jeffers. »Wenn man es sich recht überlegt, war das schon etwas seltsam, denn die Kellner waren alle an Land gegangen.«
»Ich vermute, Sour Billy hat aufgeräumt«, sagte Marsh, »aber das tut nichts zur Sache. War Julian da?«
»Ja, er und noch ein paar andere, die ich noch nie gesehen habe. Cap’n York wies mich an, ihnen Kabinen zu geben. Dieser Damon Julian ist ein ganz Komischer. Er blieb die ganze Zeit dicht bei Cap’n York. Höflich war er ja, trotz allem, und er sieht auch ganz gut aus bis auf die Narbe.«
»Sie haben ihnen Kabinen gegeben, sagen Sie?«
»Ja«, meinte Jeffers, »Cap’n York meinte, Julian solle Ihre Kabine bekommen, aber damit war ich nicht einverstanden, denn es ist ja noch eine ganze Menge von Ihren Sachen drin. Ich bestand darauf, daß er eine der Passagierkabinen am Salon bekommt, bis ich mit Ihnen geredet hätte. Julian meinte, das sei schon in Ordnung, deshalb gab es weiter keine Probleme damit.«
Abner Marsh grinste. »Schön«, sagte er. »Und Sour Billy, wo ist der?«
»Er hat die Kabine gleich neben Julian«, sagte Jeffers, »aber ich bezweifle, daß er sich dort aufhält. Zuletzt sah ich ihn, als er in der Hauptkabine herumschlich und so tat, als gehöre das Schiff ihm, und die ganze Zeit spielte er mit seinem Messer herum. Wir hatten einen kleinen Zusammenstoß. Sie würden nicht glauben, was er getan hat — er stieß sein Messer in eine Ihrer eleganten Säulen, als wäre es ein abgestorbener Baum. Ich riet ihm, damit aufzuhören, sonst würde ich dafür sorgen, daß Hairy Mike ihn über Bord wirft, und er gehorchte, aber er schaute mich dabei recht böse an. Ich denke, mit dem wird es noch Ärger geben.«
»Was meinen Sie, ist er noch in den Hauptkabine?«
»Nun, ich habe geschlafen, aber er war dort, als ich das letzte Mal nachsah, da schlief er in einem Sessel.«
»Ziehen Sie sich an«, bat Abner Marsh ihn, »und zwar dalli! Und dann kommen Sie runter in Ihr Büro, ich erwarte Sie dort.«
»Klar doch, Cap’n«, meinte Jeffers etwas verwirrt.
»Und bringen Sie Ihren Stockdegen mit«, sagte Marsh noch zu ihm, ehe er hinausging und die Tür hinter sich schloß.
Weniger als zehn Minuten später saßen er und Jeffers und Hairy Mike Dunne zusammen im Büro des Zahlmeisters. »Seid mal still und hört zu«, begann Marsh, »was jetzt kommt, klingt ziemlich verrückt, aber ihr beide kennt mich seit Jahren, und ihr wißt, daß ich nicht blöd bin, und ich laufe auch nicht herum und erzähle wilde Geschichten wie Mister Framm. Es ist die gottverdammte Wahrheit, das schwöre ich, und der nächste verfluchte Kessel soll unter meinem Hintern explodieren, wenn ich lüge.«
Abner Marsh holte tief Luft und fing mit seiner Geschichte an. Er erzählte ihnen alles in einem einzigen wilden Redestrom und unterbrach seine Schilderung nur ein einziges Mal, als die Dampfpfeife des Schiffs ihn zum Schweigen brachte und das Deck zu vibrieren begann.
»Wir legen ab«, meldete Hairy Mike. »Wir dampfen flußaufwärts, wie Sie verlangt haben.«
»Gut«, sagte Marsh und fuhr mit seinem Bericht fort, während die Fiebertraum sich von dem New‐Orleans‐Pier löste, die großen Schaufelräder die Laufrichtung änderten und das Schiff sich unter einer heißen klaren Sonne auf den Mississippi hinausschob.
Als Marsh seine Schilderung beendet hatte, machte Jonathon Jeffers ein nachdenkliches Gesicht. »Nun«, meinte er, »faszinierend. Vielleicht hätten wir die Polizei rufen sollen.«
Hairy Mike Dunne schnaubte. »Das glauben Sie doch selbst nicht. Auf dem Fluß regelt man seine Probleme selbst.« Er hob zur Bekräftigung seinen Knüppel.
Abner Marsh pflichtete ihm bei. »Dies hier ist mein Dampfschiff, und ich hole keine Fremden zu Hilfe, Mister Jeffers.« Das war so Sitte auf dem Strom; es machte weniger Probleme, einen Störenfried zusammenzuschlagen und ihn über Bord zu werfen oder ihn den Schaufelrädern zu überlassen, die ihn schon beseitigten. Der alte Fluß bewahrte seine Geheimnisse. »Vor allem habe ich mit der Polizei von New Orleans nichts im Sinn. Die kümmern sich doch nicht um ein schwarzes Sklavenbaby, und außerdem hätten wir nicht mal eine Leiche vorzuweisen. Die sind ja selbst eine Bande von Gaunern, und sie hätten uns kein Wort geglaubt. Und selbst wenn, was dann? Sie kämen auch nur mit ihren Knüppeln und Pistolen, und die sind gegen Julian und seine Bande überhaupt nichts wert.«
»Demnach müssen wir selbst sehen, wie wir zurechtkommen«, sagte Jeffers. »Und wie?«
»Ich rufe die Jungs zusammen, und dann bringen wir sie alle um«, schlug Hairy Mike aufgeräumt vor.
»Nein«, sagte Abner Marsh, »Joshua kann die anderen in Schach halten, glaube ich. Das hat er schon früher getan. Er hat versucht, das Richtige zu tun, zu verhindern, was gestern abend hier passierte, nur war Julian für ihn zu stark. Wir müssen zusehen, daß wir Julian noch vor Einbruch der Dunkelheit loswerden.«
»Das dürfte doch nicht so schwierig sein«, bot Hairy Mike sich an.
Abner Marshs Gesicht verfinsterte sich. »Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte er. »Das hier ist nicht so wie in den Geschichten. Sie sind bei Tag nicht hilflos. Sie schlafen nur. Und wenn man sie weckt, dann sind sie furchtbar stark und furchtbar schnell, und es ist schwierig, sie zu bezwingen. Das Ganze muß richtig geplant werden. Ich glaube, daß wir drei das schaffen können, es hat keinen Sinn, auch noch andere mit hineinzuziehen. Falls irgend etwas schiefgeht, dann schaffen wir jeden vor Einbruch der Dunkelheit von dem Dampfer runter und verziehen uns irgendwohin flußaufwärts, wo niemand uns stört und wo keiner von den Nachtleuten fliehen kann, wenn es dazu kommen sollte, daß wir mehr von ihnen töten müssen als nur Julian. Aber ich denke, das wird nicht nötig sein.« Marsh schaute Jeffers an. »Haben Sie den zweiten Schlüssel von der Kabine, in die Sie Julian gelegt haben?«
»In meinem Safe«, sagte der Zahlmeister und wies mit seinem Stockdegen auf den schwarzen Stahlschrank.
»Gut«, sagte Marsh. »Mike, wie hart können Sie mit diesem Ding dort zuschlagen?«
Hairy Mike lächelte und ließ den Eisenknüppel mit einem Klatschen in die Hand fallen. Es knallte recht laut. »Wie hart soll ich denn zuschlagen, Cap’n?«
»Ich möchte, daß sie ihm den verdammten Schädel zerschmettern«, sagte Marsh. »Und es muß gleich beim ersten Schlag klappen. Zeit für einen zweiten Versuch werden wir nicht haben. Wenn Sie ihm nur die Nase brechen, dann reißt er Ihnen eine Sekunde später die Kehle auf.«
»Ein Schlag«, versprach Hairy Mike. »Nur einer.«
Abner Marsh nickte und vertraute darauf, daß der massige Maat sein Wort hielt. »Dann gibt es nur noch ein weiteres Problem. Sour Billy. Er ist Julians kleiner Wachhund. Vielleicht schläft er in irgendeinem Sessel, aber ich gehe mal davon aus, daß er schnell genug aufwacht, wenn er sieht, daß wir auf Julians Tür zugehen. Deshalb wird er uns gar nicht zu Gesicht bekommen. Die Kabinen auf dem Kesseldeck haben zwei Türen. Wenn Billy sich im Salon aufhält, dann dringen wir vom Promenadendeck aus ein, wenn er sich draußen herumdrückt, dann nehmen wir den Weg durch den Salon. Ehe wir überhaupt irgend etwas tun, vergewissern wir uns, wo Billy sich aufhält. Das ist Ihr Job, Mister Jeffers. Sie müssen Mister Sour Billy Tipton suchen und uns dann mitteilen, wo er ist, und dann müssen Sie dafür sorgen, daß er nicht im Schiff herumwandert. Falls er irgendwelchen Lärm hört oder auf Julians Kabine zusteuert, dann will ich, daß Sie ihm Ihren Stockdegen durch den miesen kleinen Wanst jagen, verstanden?«
»Alles klar«, sagte der Zahlmeister grimmig. Er rückte die Brille zurecht.
Abner Marsh hielt einen Moment lang inne und betrachtete seine beiden Verbündeten aufmerksam: den schlanken Dandy von einem Zahlmeister mit der goldgeränderten Brille und den Knopfgamaschen, dem schmalen Mund, dem ordentlich zurückgekämmten glatten Haar und neben ihm den massigen Maat mit seinen derben Kleidern, dem groben Gesicht, der ungehobelten Art und den grünen harten Augen, der immer zu einem Kampf aufgelegt war. Sie waren ein seltsames Paar, aber ein schreckliches dazu, dachte Abner Marsh. Er schnaubte zufrieden. »Nun, worauf warten wir?« fragte er. »Mister Jeffers, schauen Sie erst mal nach, wo Sour Billy ist.«
Der Zahlmeister erhob sich und empfahl sich. »Natürlich«, sagte er.
Er war schon nach knapp fünf Minuten wieder zurück. »Er hält sich in der Hauptkabine auf und frühstückt. Die Pfeife muß ihn geweckt haben. Er ißt Rührei und Fleischpastete und trinkt jede Menge Kaffee, und er sitzt so, daß er die Tür von Julians Kabine sehen kann.«
»Gut«, sagte Marsh. »Mister Jeffers, warum gehen Sie nicht auch frühstücken?«
Jeffers lächelte. »Ich glaube, ich bekomme plötzlich einen Bärenhunger.«
»Aber zuerst die Schlüssel, bitte!«
Jeffers nickte und bückte sich zu seinem Safe hinunter. Mit den Schlüsseln in der Hand ließ Marsh dem Zahlmeister gut zehn Minuten Zeit, um in den großen Salon zurückzukehren, ehe er sich erhob und tief Luft holte. Das Herz schlug ihm heftig. »Kommen Sie!« sagte er zu Hairy Mike Dunne und öffnete die Tür zur Welt draußen.
Der Tag war sonnenhell und heiß, was Marsh als gutes Omen ansah. Die Fiebertraum ritt mühelos flußaufwärts und zog eine Doppellinie weißgefleckten Schaums hinter sich her. Sie mußte eine Fahrt von achtzehn Meilen pro Stunde machen, schätzte Marsh, und verhielt sich dabei genauso glatt und geschmeidig, wie ein Kreole Manieren hat. Er ertappte sich dabei, wie er sich fragte, in welcher Zeit sie es wohl bis Natchez schaffen mochte, und plötzlich hatte er den Wunsch, oben im Ruderhaus zu sein und auf den Fluß hinauszublicken, den er sosehr liebte. Abner Marsh schluckte, hielt mit Mühe blinzelnd eine Träne zurück und fühlte sich reichlich unwohl und unmännlich.
»Cap’n?« fragte Hairy Mike unsicher.
Abner Marsh schüttelte ungehalten den Kopf. »Es ist nichts«, stieß er heftig hervor. »Es ist nur … Gottverdammter Mist das alles … Kommen Sie schon!« Er stapfte davon, wobei er den Schlüssel zu Damon Julians Kabine mit seiner mächtigen roten Hand krampfhaft umklammerte. Dabei färbten sich seine Knöchel weiß.
Vor der Kabine blieb Marsh stehen, um sich sichernd umzuschauen. Die Promenade war fast menschenleer. Eine Lady stand ein gutes Stück von ihnen entfernt nach achtern am Geländer, und etwa ein Dutzend Türen weiter nach vorn saß ein Mann in weißem Hemd und mit zurückgeschobenem Hut auf dem Kopf und hatte seinen Stuhl nach hinten gegen eine Kabinentür gekippt, aber keiner der beiden schien sich für Marsh und Hairy Mike zu interessieren. Marsh schob behutsam den Schlüssel ins Schloß. »Sie denken daran, was ich Ihnen gesagt habe«, flüsterte er dem Maat zu. »Schnell und leise. Ein Schlag.«
Hairy Mike nickte, und Marsh drehte den Schlüssel herum. Die Tür öffnete sich mit einem Klicken, und Marsh drückte dagegen. Es war eng und dunkel in der Kabine, alles war mit Vorhängen verdunkelt und mit Fensterläden verschlossen, so wie das Nachtvolk seine Zimmer am liebsten hatte, aber sie sahen eine blasse Gestalt unter einem Laken im Licht, das durch die offene Tür hereindrang. Sie huschten weiter und bewegten sich so leise, wie zwei große, an sich recht laut auftretende Männer es vermochten, und dann schloß Marsh die Tür hinter ihnen, und Hairy Mike Dunne trat vor, hob seinen knapp einen Meter langen schwarzen Eisenknüppel hoch über den Kopf, und Marsh sah undeutlich, wie das Ding im Bett sich rührte, sich zu dem fremden Geräusch umdrehte, zum Licht, und Hairy Mike war mit zwei langen schnellen Schritten zur Stelle, blitzartig, und der Eisenknüppel beschrieb am Ende des massigen Arms einen Bogen und raste auf den bleichen Schädel zu und schien dafür eine halbe Ewigkeit zu brauchen.
Dann fiel die Kabinentür ganz zu, der letzte Lichtschimmer riß ab, und in der pechschwarzen Finsternis hörte Abner Marsh ein Geräusch, als würde ein Stück Fleisch auf eine Metzgertheke geklatscht, und begleitet wurde dieses Geräusch von einem anderen Laut, so als zerbräche eine Eierschale, und Marsh hielt die Luft an.
In der Kabine herrschte tiefe Stille, und Marsh konnte überhaupt nichts erkennen. Aus der Dunkelheit drang ein leises kehliges Kichern zu ihm herüber. Kalter Schweiß bedeckte plötzlich Marshs Körper. »Mike«, flüsterte er. Er suchte krampfhaft nach einem Streichholz.
»Ja, Sir, Cap’n«, erklang die Stimme des Maats. »Ein Schlag, das reicht.« Er kicherte wieder.
Abner Marsh riß das Streichholz an der Wand an und blinzelte. Hairy Mike beugte sich über das Bett und hielt sein Eisen in der Hand. Das eine Ende war blutverschmiert und naß. Das Ding unter dem Laken hatte eine eingedrückte blutige Ruine als Gesicht. Die Hälfte der Schädelplatte war ebenfalls weggeschlagen worden, und ein dünner Blutstrom versickerte in den Laken. Haarbüschel und andere dunkle Partikel waren auf die Wand und auf das Kissen und auch auf Hairy Mikes Kleider gespritzt. »Ist er tot?« fragte Marsh und hatte plötzlich den wilden Verdacht, daß der eingedrückte Schädel sich von selbst wiederherstellen und die bleiche Leiche sich am Ende erheben und sie anlächeln würde.
»Ich habe nie jemanden gesehen, der toter ist«, sagte Hairy Mike.
»Schauen Sie nach!« befahl Abner Marsh. »Gehen Sie auf Nummer Sicher, verdammt noch mal!«
Hairy Mike Dunne reagierte mit einem betonten trägen Schulterzucken, hob das blutige Stück Eisen noch einmal und hieb damit erneut auf Schädel und Kissen ein. Ein zweites, ein drittes, ein viertes Mal. Als es vorüber war, konnte man kaum behaupten, daß das Ding überhaupt noch einen Kopf hatte. Hairy Mike Dunne war ein furchtbar starker Mann.
Das Streichholz verbrannte Marshs Finger. Er blies es aus. »Gehen wir«, sagte er heiser.
»Was tun wir mit ihm?« fragte Hairy Mike.
Marsh zog die Kabinentür auf. Die Sonne und der Fluß lagen vor ihm, eine ersehnte Wohltat. »Wir lassen ihn hier«, antwortete er. »In der Dunkelheit. Wenn es Nacht ist, werfen wir ihn in den Fluß.« Der Maat folgte Marsh nach draußen, und er schloß die Tür hinter ihm ab. Übelkeit quälte ihn. Er lehnte den massigen Körper gegen die Kesseldeckreling und konnte nur mühsam einen Brechreiz unterdrücken. Blutsauger oder nicht, was sie mit Damon Julian getan hatten, war in jedem Fall furchtbar.
»Brauchen Sie Hilfe, Cap’n?«
»Nein«, sagte Marsh. Er straffte sich. Der Morgen war bereits brütend heiß, denn die gelbe Sonne am Himmel schickte mit ihren Strahlen die ganze sengende Kraft auf den Fluß hinunter. Marsh war bereits in Schweiß gebadet. »Ich hatte nicht viel Schlaf«, meinte er. Er stieß ein krampfhaftes Lachen hervor. »Ehrlich gesagt, habe ich kein Auge zugetan. Und dann macht es sicherlich auch den stärksten Mann fertig, was wir gerade getan haben.«
Hairy Mike hob die Schultern. Es schien, als hätte es ihn nicht sehr mitgenommen. »Gehen Sie schlafen«, schlug er vor.
»Nein«, erwiderte Marsh. »Kann nicht. Ich muß zu Joshua. Und ihm erzählen, was wir getan haben. Er muß Bescheid wissen, damit er für die anderen bereit ist.« Plötzlich ertappte Abner Marsh sich bei der bangen Frage, wie Joshua York wohl auf den brutalen Mord an einem Angehörigen seines Volkes reagieren werde. Nach dem vorhergehenden Abend konnte er sich nicht vorstellen, daß Joshua davon tiefer berührt würde, aber ganz sicher konnte er sich nicht sein — er kannte dieses Nachtvolk so gut wie gar nicht und wußte nichts von seiner Denkweise, und wenn Julian ein Kindermörder und ein Blutsauger war, nun, die anderen hatten ähnlich schlimme Dinge getan, sogar Joshua. Und Damon Julian war auch Joshuas Blutmeister gewesen, der König der Vampire. Wenn man den König eines Mannes tötet — selbst wenn er diesen König haßt —, ist er dann nicht verpflichtet, darauf zu reagieren? Abner Marsh erinnerte sich an die kalte Gewalt von Joshuas Wut, und im Angesicht dieser Erinnerung hatte er nicht allzuviel Lust, zur Kapitänskabine auf dem Texasdeck hinaufzueilen, vor allem nicht in diesem Augenblick, wenn Joshua nach dem Gewecktwerden schlechtester Laune wäre. »Vielleicht kann ich damit auch noch etwas warten«, hörte Marsh sich sagen. »Und vorher etwas schlafen.«
Hairy Mike nickte.
»Aber ich muß trotzdem zuerst zu Joshua«, sagte Marsh. Ihm war jetzt richtig übel, begriff er: benommen, schlapp, fiebrig. Er mußte sich ein paar Stunden hinlegen. »Ich darf ihn nicht im ungewissen lassen.« Er befeuchtete sich die Lippen, die trocken waren wie Pergamentpapier. »Reden Sie mit Jeffers, erzählen Sie ihm, wie es gelaufen ist, und dann soll einer von euch mich vor Sonnenuntergang wecken. Aber wirklich vorher, verstanden? Damit ich mindestens eine Stunde Zeit habe, hinaufzusteigen und mit Joshua zu reden. Ich wecke ihn auf und berichte ihm alles, und wenn es dann dunkel wird, dann weiß er, wie er mit den anderen Nachtleuten verfahren muß. Und Sie … Lassen Sie einen Ihrer Jungs ein wachsames Auge auf Sour Billy werfen … Mit dem müssen wir uns auch noch etwas einfallen lassen.«
Hairy Mike lächelte. »Soll der Fluß sich doch mit ihm beschäftigen.«
»Das wäre eine Idee«, gab Marsh zu. »Vielleicht. Ich lege mich jetzt erst mal hin, aber sorgen Sie auf jeden Fall dafür, daß ich rechtzeitig wieder auf den Beinen bin. Auf keinen Fall darf ich bis in den Abend hinein schlafen, haben Sie verstanden?«
»Klar.«
So stieg Abner Marsh müde zum Texasdeck hinauf und fühlte sich mit jedem Schritt schlechter und erschöpfter. Als er vor der Tür der eigenen Kabine stand, durchzuckte ihn eine plötzliche Furcht: Was wäre, wenn einer von denen trotz allem dort auf ihn lauerte, trotz allem, was Mister Jeffers gesagt hatte? Aber als er die Tür aufstieß und das Licht in den Raum fluten ließ, da war er leer. Marsh stolperte hinein, zog die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster, um so viel Licht und frische Luft hereinzulassen wie nur möglich, dann schloß er die Tür ab und sank schwer auf das Bett, um die verschwitzte Kleidung auszuziehen. Er verzichtete sogar auf ein Nachthemd. Die Luft in der Kabine war drückend und schwül, aber Marsh war zu erschöpft, um es richtig wahrzunehmen. Der Schlaf übermannte ihn augenblicklich.