Raymond und Armand stützten Damon Julian zwischen sich, als Sour Billy vom Radkasten heruntersprang. Julian sah aus wie ein angestochenes Schwein; seine Kleider waren blutdurchtränkt. »Du hast ihn entkommen lassen, Billy«, sagte er kalt. Der Klang seiner Stimme machte Sour Billy nervös.
»Mit ihm ist es aus«, beteuerte Billy. »Die Schaufeln saugen ihn an und zerschmettern ihn, oder er ertrinkt. Sie hätten sehen sollen, mit welcher Wucht er auf dem Wasser aufschlug, mit seinem fetten Bauch zuerst. Jetzt wird er sich seine Warzen nicht mehr im Spiegel ansehen können.« Während er redete, schaute Sour Billy sich um, und ihm gefiel nicht, was er sah, überhaupt nicht; Julian über und über mit Blut besudelt, eine feuchtglänzende rote Spur über das Sturmdeck und die Stufen zum Texasdeck hinter sich herziehend, und dieser Dandy von einem Zahlmeister am Ende der Texasveranda über dem Geländer hängend, während ihm immer mehr Blut aus dem Mund sickerte.
»Wenn du versagt hast, Billy, dann wirst du niemals so werden wie wir«, versprach Julian. »Ich hoffe um deinetwillen, daß er tot ist. Verstehst du?«
»Ja«, sagte Billy. »Mister Julian, was ist denn geschehen?«
»Sie haben mich angegriffen, Billy. Sie haben uns angegriffen. Laut dem guten Kapitän haben sie Jean getötet. Haben seinen gottverdammten Schädel zu Brei geschlagen, so drückten sie es aus, glaube ich.« Er lächelte. »Marsh und dieser Jämmerling von einem Zahlmeister und jemand namens Mike waren daran beteiligt.«
»Hairy Mike Dunne«, sagte Raymond Ortega. »Er ist der Maat der Fiebertraum, Damon. Groß, dumm und ungehobelt. Es ist seine Aufgabe, die Schwarzen anzubrüllen und zu verprügeln.«
»Aha«, sagte Julian. »Laßt mich los!« sagte er dann zu Raymond und Armand. »Ich fühle mich jetzt kräftiger. Ich kann allein stehen.«
Die Dämmerung war tiefer geworden. Sie standen im Dunkeln. »Damon«, warnte Vincent, »nach dem Abendessen wechselt die Wache. Männer aus der Mannschaft suchen ihre Kabinen auf. Wir müssen etwas tun. Wir sollten schnellstens vom Dampfer verschwinden, ehe sie uns entdecken.« Er schaute auf das Blut, auf die Leiche.
»Nein«, entschied Julian, »Billy wird aufräumen und saubermachen. Das tust du doch, oder nicht, Billy?«
»Ja«, sagte Sour Billy, »ich werfe den Zahlmeister einfach hinter seinem Cap’n her.«
»Dann tu das, Billy, anstatt es mir zu erzählen.« Julians Lächeln war voller Kälte. »Und dann komm in Yorks Kabine. Wir ziehen uns dorthin zurück. Ich brauche frische Kleider.«
Sour Billy brauchte fast zwanzig Minuten, um alle Spuren des Todes auf dem Texasdeck zu entfernen. Er arbeitete voller Hast und war sich bewußt, daß jederzeit jemand aus seiner Kabine treten oder die Treppe heraufkommen konnte. Mittlerweile war es fast vollständig dunkel geworden, was ihm etwas half. Er schleifte Jeffers’ Leiche über das Deck, wuchtete sie mit einiger Mühe auf den Radkasten — der Zahlmeister war schwerer, als Billy auf den ersten Blick vermutet hatte — und schob sie über den Rand. Die Nacht und der Fluß verschlangen den Körper, und das Klatschen beim Eintauchen ins Wasser war nicht annähernd so laut wie das von Marshs Sturz. Es ging in dem Rauschen der Schaufelräder beinahe völlig unter. Sour Billy hatte soeben sein Hemd ausgezogen und begann gerade das Blut aufzuwischen, als er seinem Glück danken konnte: Das Unwetter, das sich schon während des Nachmittags angekündigt hatte, brach schließlich los. Donner dröhnte ihm in den Ohren, Blitze schlugen in den Fluß ein, und es begann zu regnen. Eine saubere, kalte, prasselnde Flut stürzte vom Himmel, spülte über das Deck, durchnäßte Billy bis auf die Knochen und wusch sämtliches Blut weg.
Sour Billy war triefnaß, als er schließlich Joshua Yorks Kabine betrat und sein einstmals so elegantes Hemd als nasses Lappenbündel in der Hand hielt. »Es ist erledigt«, meldete er.
Damon Julian saß in einem hohen Ledersessel. Er hatte frische Kleider angezogen, hielt ein Glas mit einem Getränk in der Hand und sah so kräftig und gesund aus wie eh und je. Raymond stand neben ihm, Armand besetzte den anderen Sessel, Kurt hatte im Schreibtischsessel Platz gefunden. Und Joshua York hockte auf seinem Bett, starrte auf seine Füße, ließ den Kopf hängen, und seine Haut war kreidebleich. Er sieht aus wie ein geprügelter Hund, dachte Sour Billy.
»Ach, Billy«, meinte Julian, »was täten wir ohne dich?«
Sour Billy nickte. »Ich hab’ nachgedacht, während ich draußen gearbeitet habe, Mister Julian«, sagte er. »So wie ich es sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Dieser Dampfer verfügt über eine Jolle, um Untiefen zu suchen und zum Loten und so weiter. Die könnten wir nehmen und von hier verschwinden. Oder jetzt, während das Unwetter tobt, können wir auch warten, bis der Lotse das Schiff irgendwo festmacht, und dann an Land gehen. Wir sind nicht weit vom Bayou Sara entfernt, vielleicht legen wir dort sogar an.«
»Ich habe gar kein Interesse am Bayou Sara, Billy. Ich habe auch keine Lust, dieses wunderbare Dampfschiff zu verlassen. Die Fiebertraum gehört jetzt uns. Ist das nicht so, Joshua?«
Joshua York hob den Kopf. »Ja«, sagte er. Seine Stimme klang so schwach, daß sie kaum zu hören war.
»Es ist zu gefährlich«, beharrte Sour Billy. »Der Kapitän und der Zahlmeister beide verschwunden, was sollen die Leute denken? Man wird sie vermissen; es werden Fragen gestellt. Und das schon sehr bald.«
»Er hat recht, Damon«, ergriff Raymond das Wort. »Ich bin seit Natchez auf diesem Dampfer. Mag sein, daß die Passagiere kommen und gehen, aber da ist immer noch die Mannschaft — wir sind hier in Gefahr. Wir sind nämlich die Fremden, die Verdächtigen, die Unbekannten. Wenn Marsh und Jeffers vermißt werden, dann werden sie sich zuerst für uns interessieren.«
»Und dann ist da noch dieser Maat«, fügte Billy hinzu. »Wenn er Marsh geholfen hat, dann weiß er alles, Mister Julian.«
»Töte ihn, Billy!«
Sour Billy Tipton schluckte krampfartig. »Angenommen, ich töte ihn tatsächlich, Mister Julian? Das nützt doch auch nicht viel. Er wird ebenfalls vermißt, und nach ihm kommen andere, eine ganze verdammte Armee von Niggern und blöden Deutschen und riesigen Schweden. Wir sind weniger als zwanzig. Und am Tag bin sowieso nur ich da. Wir müssen von diesem Dampfer verschwinden, und zwar schnellstens. Wir können uns gegen die Mannschaft nicht wehren, und selbst wenn wir es schafften, dann kann ich es auf keinen Fall allein mit allen aufnehmen. Wir müssen weg.«
»Wir bleiben. Sie sind es, die sich fürchten müssen, Billy. Wie kannst du jemals ein Meister werden, wenn du immer noch denkst wie ein Sklave? Wir bleiben.«
»Was tun wir, wenn herauskommt, daß Marsh und Jeffers verschwunden sind?« fragte Vincent.
»Und was geschieht mit dem Maat? Er ist eine Gefahr für uns«, warf Kurt ein.
Damon Julian blickte Sour Billy an und lächelte. »Ah«, sagte er. Er nahm einen Schluck von seinem Drink. »Nun, wir überlassen es Billy, dieses kleine Problem für uns zu lösen. Billy wird uns zeigen, wie tüchtig er ist, nicht wahr, Billy?«
»Ich?« Sour Billy Tipton stand mit offenem Mund ratlos da. »Ich weiß nicht …«
»Nicht wahr, Billy?«
»Ja«, antwortete Billy hastig. »Ja, ja.«
»Ich kann das auch ohne Blutvergießen regeln«, meldete Joshua York sich mit einem Anflug seiner alten Kraft in der Stimme. »Ich bin noch immer Kapitän dieses Dampfers. Laßt mich Mister Dunne und jeden anderen entlassen, vor dem ihr euch fürchten zu müssen glaubt. Wir können sie ohne Aufhebens von der Fiebertraum wegschicken. Es hat genug Tod gegeben.«
»Hat es?« fragte Julian.
»Sie zu feuern, wird nicht viel nützen«, sagte Sour Billy zu York. »Sie werden sich nur fragen, warum sie gehen sollen, und sich nach Cap’n Marsh erkundigen.«
»Ja«, pflichtete Raymond ihm bei, »sie gehorchen York nicht«, fügte er hinzu, indem er sich an Julian wandte. »Sie trauen ihm nicht. Er mußte sich bei hellichtem Tag herauswagen, ehe einer von ihnen bereit war, mit ihm den Bayou hinunterzufahren. Nun, da Marsh nicht mehr da ist und Jeffers ebenfalls nicht, wird er sie niemals unter Kontrolle bekommen.«
Sour Billy Tipton blickte Joshua York verblüfft und mit einem Ausdruck von Respekt an. »Das haben Sie getan?« platzte er heraus. »Sie sind bei Tag herausgekommen?« Die anderen wagten es manchmal, schon bei Einbruch der Dämmerung aufzustehen, oder sie erlebten die ersten Minuten nach Sonnenaufgang, doch er hatte niemals einen von ihnen herauskommen gesehen, wenn die Sonne richtig aufgegangen war. Noch nicht einmal Julian.
Joshua York starrte ihn kalt an und gab dazu keinen Kommentar.
»Unser lieber Joshua liebt es, die Rolle des Viehs zu spielen«, meinte Julian amüsiert. »Vielleicht hat er gehofft, seine Haut würde sich braun färben und zu Leder werden.«
Die anderen lachten höflich.
Während die anderen amüsiert kicherten, hatte Sour Billy eine Idee. Er kratzte sich am Kopf und gestattete sich ein Lächeln. »Wir werden sie nicht hinauswerfen«, meinte er plötzlich zu Julian. »Ich weiß, wie es klappt. Wir sorgen dafür, daß sie von sich aus weglaufen. Und ich weiß auch schon, wie wir das schaffen.«
»Gut, Billy. Wirklich, was täten wir ohne dich?«
»Können Sie ihn dazu bringen, daß er tut, was ich von ihm verlange?« fragte Billy und wies mit einem Daumen in Yorks Richtung.
»Ich werde tun, was ich kann und tun muß, um meine Leute zu schützen«, sagte Joshua York, »und ich schütze auch meine Mannschaft. Es besteht kein Grund für Gewalt.«
»Schön, schön«, sagte Sour Billy. »Das ist schön.« Es wäre ja noch einfacher, als er es sich vorstellte. Julian würde sich wundern. »Ich muß mir erst mal ein frisches Hemd besorgen. Und Sie ziehen sich ebenfalls an, Mister Cap’n York, und dann werden wir mal sehen, was wir alles schützen können.«
»Ja«, sagte Julian leise, »und Kurt wird Sie begleiten.« Er prostete York mit seinem Glas zu. »Nur für alle Fälle.«
Eine halbe Stunde später ging Sour Billy mit Joshua York und Kurt hinunter aufs Kesseldeck. Der Regen hatte etwas nachgelassen, und die Fiebertraum hatte im Bayou Sara angelegt und lag neben einem Dutzend kleinerer Dampfer. Im Hauptsalon war das Abendessen serviert worden. Julian und seine Gefährten saßen dort mit den anderen Passagieren und speisten unbehelligt und ohne aufzufallen. Allerdings blieb der Platz des Kapitäns leer, und irgendwann würde jemand darüber eine Bemerkung fallen lassen. Glücklicherweise war Hairy Mike Dunne unten auf dem Hauptdeck und brüllte mit den Schauerleuten herum, die Fracht und einige Klafter Holz einluden. Sour Billy hatte ihn einige Zeit lang aufmerksam von oben beobachtet, ehe er daran ging, seinen Plan in die Tat umzusetzen; Dunne war der gefährlichste von allen.
»Zuerst die Leiche«, sagte Sour Billy und führte sie auf direktem Weg zur Außentür der Kabine, in der Jean Ardent sein Ende gefunden hatte. Kurt brach das Schloß mit einem einzigen Hieb mit der Hand auf. In der Kabine zündete Billy die Lampe an, und sie betrachteten das Ding auf dem Bett. Sour Billy stieß einen Pfiff aus. »Donnerwetter«, sagte er, »Ihre Freunde haben den guten alten Jean aber gründlich zugerichtet. Das halbe Gehirn liegt ja auf den Laken, und der Rest klebt an der Wand.«
Yorks graue Augen waren voller Abscheu. »Machen Sie schon voran«, sagte er. »Ich nehme an, Sie wollen, daß wir die Leiche in den Fluß werfen.«
»Teufel, nein!« sagte Sour Billy. »Nun, wir werden diese Leiche verbrennen. Und zwar unten in einem der Öfen, Cap’n. Und wir bringen ihn auch nicht heimlich runter. Wir gehen mit ihm mitten durch den Salon und über die Haupttreppe hinunter.«
»Warum, Billy?« fragte York kühl.
»Tun Sie nur, was ich verlange!« schnappte Sour Billy. »Und für Sie bin ich immer noch Mister Tipton, Captain!«
Sie wickelten Jeans Leiche in ein Laken, damit nichts davon zu sehen war. York wollte Kurt helfen, ihn hochzuheben, aber Sour Billy drängte ihn weg und packte selbst das andere Ende.
»Sähe ein bißchen seltsam aus, wenn der Miteigner und Kapitän einen Toten trägt. Sie gehen einfach neben uns her und machen einen besorgten Eindruck.«
Es bereitete York keine Mühe, ein besorgtes Gesicht zu machen. Sie öffneten die Tür zum großen Salon und traten hinaus, Jeans in Laken gehüllte Leiche zwischen Billy und Kurt. Die Abendtafel war noch halb besetzt. Jemand sog zischend die Luft ein, und alle Gespräche erstarben jäh.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Cap’n York?« fragte ein kleiner Mann mit weißem Schnurrbart und Ölflecken auf der Weste. »Was ist passiert? Ist jemand gestorben?«
»Bleiben Sie weg, Mann!« brüllte Sour Billy, als der Mann einen Schritt vorwärts und auf sie zu tat.
»Tun Sie, was er sagt, Whitey!« meinte York.
Der Mann verharrte. »Klar, sicher, aber …«
»Es ist nur ein Toter«, sagte Sour Billy. »Er ist in seiner Kabine gestorben. Mister Jeffers hat ihn gefunden. Er ist in New Orleans zugestiegen und muß ziemlich krank gewesen sein. Er hatte rasendes Fieber, als Jeffers ihn stöhnen hörte.«
Jeder der am Tisch Sitzenden blickte besorgt drein. Ein Mann wurde totenblaß und suchte eilends seine Kabine auf. Sour Billy gab sich Mühe, nicht zu grinsen.
»Wo ist Mister Jeffers?« fragte Albright, der drahtige kleine Lotse.
»Der ist in seiner Kabine«, sagte Billy schnell. »Er fühlt sich nicht besonders wohl. Marsh ist bei ihm. Mister Jeffers war ein bißchen gelb um die Nase, schätze, miterleben zu müssen, wie ein Mann stirbt, ist ihm nicht allzugut bekommen.« Seine Worte hatten genau die Wirkung, die er sich vorgestellt und gewünscht hatte, vor allem als Armand sich über den Tisch zu Vincent hinüberlehnte und in lautem Flüsterton — wie Billy es ihm erklärt hatte — sagte: »Der ›Braune John‹.« Dann standen die beiden auf und ließen ihre halbvollen Teller stehen und entfernten sich.
»Es ist nicht der ›Braune John‹!« sagte Billy laut. Er mußte es laut sagen, denn plötzlich versuchte jeder am Tisch etwas zu sagen, und die Hälfte der Anwesenden stand bereits auf. »Wir müssen diese Leiche verbrennen, kommt jetzt!« fügte er hinzu, und er und Kurt schlurften weiter in Richtung der breiten Treppe. Joshua York blieb etwas zurück, hatte die Hände erhoben und versuchte hundert ängstliche Fragen abzuwehren. Passagiere wie Mannschaftsmitglieder gingen Kurt und Billy mit ihrer Last eiligst aus dem Weg.
Zwei heruntergekommen aussehende Fremde, die eine Deckspassage gelöst hatten, waren die einzigen Anwesenden unten auf dem Hauptdeck neben den Schauerleuten, die Kisten und Feuerholz heraufschleppten. Die Öfen waren geschlossen worden, aber es war noch immer Glut darin, und Sour Billy verbrannte sich die Finger, als er und Kurt die in Laken gehüllte Leiche in die nächste Feueröffnung stopften. Er fluchte noch immer und wedelte mit der Hand in der Luft herum, als Joshua York nach unten kam und ihn fand. »Sie steigen aus«, bemerkte York, und sein bleiches Gesicht hatte einen verwirrten Ausdruck. »Fast alle Passagiere sind dabei, ihre Koffer zu packen, und die Hälfte der Mannschaft ist zu mir gekommen und hat mich um den Lohn gebeten. Heizer, Zimmermädchen, Kellner, sogar Jack Ely, der zweite Ingenieur. Das verstehe ich nicht.«
»Der ›Braune John‹ ist auf Ihrem Dampfer unterwegs flußaufwärts«, sagte Sour Billy Tipton. »Zumindest glauben sie das.«
Joshua York legte die Stirn in Falten. »Der ›Braune John‹?«
Sour Billy lächelte. »Das Gelbfieber, Cap’n. Ich sehe schon, daß Sie noch nie in New Orleans waren, wenn der ›Braune John‹ dort seinen Besuch machte. Auf diesem Schiff wird keiner länger bleiben als unbedingt nötig, und niemand wird sich die Leiche ansehen oder mit Jeffers oder Marsh reden wollen. Ich lasse sie in dem Glauben, daß auf diesem Schiff das Fieber wütet, verstehen Sie? Und dieses Fieber ist verdammt ansteckend. Und es geht schnell. Sie laufen gelb an, würgen schwarzes Zeug hervor und brennen wie die Hölle, und dann sterben Sie. Und wir verbrennen auch noch den alten Jean, damit alle meinen, wir nähmen das Ganze verdammt ernst.«
Sie brauchten zehn Minuten, um das Feuer im Ofen wieder richtig anzufachen, und sie mußten schließlich einen massigen schwedischen Heizer rufen, damit er ihnen half, aber das war schon in Ordnung. Sour Billy beobachtete seine Augen, als er die Leiche erspähte, die eingeklemmt zwischen dem Holz lag, und er mußte insgeheim grinsen, wie schnell der Schwede sich aus dem Staub machte. Schon bald stand Jean in hellen Flammen. Sour Billy schaute zu, wie er zusammenschrumpfte, dann wandte er sich gelangweilt ab. Er bemerkte die Fässer mit Talg, die in Reichweite standen. »Die benutzen Sie für Wettfahrten, nicht wahr?« fragte er Joshua York.
York nickte.
Sour Billy spuckte aus. »Hier unten, wenn ein Cap’n ein Rennen veranstaltet und mehr Dampf braucht, dann schmeißt er einfach einen hübschen fetten Nigger ins Feuer. Talg ist viel zu teuer. Wie Sie sehen, kenne ich mich bei Dampfern auch ein bißchen aus. Eigentlich schade, daß wir Jean nicht für ein Rennen aufsparen konnten.«
Kurt lachte darüber, aber Joshua York starrte ihn nur stumm und drohend an. Sour Billy gefiel der Blick nicht, aber kein bißchen, doch ehe er ein Wort sagen konnte, hörte er die Stimme, auf die er gewartet hatte.
»HE, SIE!«
Hairy Mike Dunne kam vom Vorderdeck herbei, ein Meter achtzig geballte Kraft. Regen troff von der breiten Krempe seines schwarzen Filzhutes herab, Feuchtigkeit verklebte die schwarzen Bartspitzen, und die Kleider klebten ihm am Körper. Seine Augen waren harte kleine grüne Murmeln; er hatte seinen Eisenknüppel in der Hand und ließ ihn bedrohlich in die andere Handfläche klatschen. Hinter ihm stand ein Dutzend Deckshelfer, Heizer und Schauerleute. Der große Schwede war dabei und ein sogar noch massiger aussehender Neger mit nur einem Ohr und ein hagerer Mulatte mit einer Holzlatte und zwei Kerle mit Messern. Der Maat kam näher, und die anderen folgten ihm. »Wen verbrennen Sie da, mein Junge?« brüllte er. »Was soll dieser Quatsch mit dem Gelbfieber? Auf diesem Schiff gibt es kein Fieber.«
»Tun Sie, was ich Ihnen befohlen habe«, sagte Sour Billy mit leiser drängender Stimme zu York. Er trat von dem Ofen zurück, als der Maat auf ihn zukam.
Joshua York schob sich zwischen sie und hob die Hände. »Stop«, sagte er. »Mister Dunne, hiermit entbinde ich Sie von Ihren Pflichten. Sie sind nicht mehr länger Maat auf der Fiebertraum.«
Dunne betrachtete ihn argwöhnisch. »Bin ich das nicht?« fragte er. Dann verzog er das Gesicht. »Zur Hölle, Sie werfen mich nicht raus!«
»Ich bin hier der Chef und Kapitän.«
»Sind Sie das? Schön, aber ich nehme meine Befehle nur von Cap’n Marsh entgegen. Wenn der mir sagt, verschwinde!, dann gehe ich. Bis dahin bleibe ich hier. Und erzählen Sie mir keine Lügen von wegen, Sie hätten ihn ausgekauft. Diesen Quatsch habe ich heute morgen schon gehört.« Er tat einen weiteren Schritt vorwärts. »Und jetzt aus dem Weg, Cap’n! Ich werde mir mal ein paar Antworten von unserem Mister Sour Billy holen.«
»Mister Dunne, auf diesem Schiff ist eine schwere Krankheit ausgebrochen. Ich entlasse Sie um Ihrer eigenen Sicherheit willen.« Joshua York kann wirklich überzeugend lügen, dachte Sour Billy. »Mister Tipton ist der neue Maat. Er hat die Krankheit bereits gehabt und kann nicht mehr angesteckt werden.«
»Er?« Der Eisenknüppel schlug knallend in die flache Hand des Maats. »Der ist doch gar kein Dampfschiffer.«
»Aber ich war Aufseher«, sagte Billy. »Ich komme mit Niggern gut zurecht.« Er tat ebenfalls einen Schritt vorwärts.
Hairy Mike Dunne lachte.
Sour Billy spürte einen eisigen Schauer am ganzen Körper. Wenn es eine Sache gab, die er überhaupt nicht ertragen konnte, dann war das, wenn man über ihn lachte. In diesem Moment entschied er, Dunne nicht abzuschrecken und vom Schiff zu vertreiben. Ihn zu töten, wäre weitaus schöner. »Du hast dir deine Nigger und deinen weißen Abschaum gleich mitgebracht«, sagte er zu dem Maat. »Mir scheint, du hast Angst, es allein mit mir aufzunehmen.«
Dunnes grüne Augen verengten sich drohend, und er schlug sich noch härter mit dem Eisenknüppel in die flache Hand. Er tat zwei schnelle Schritte, trat dabei in den Feuerschein aus dem Ofen, stand da, umflossen vom Licht der wabernden Flammen, und starrte auf die brennende Leiche. Schließlich drehte er sich wieder zu Sour Billy um. »Der ist es nur«, stellte er fest. »Da hast du Glück gehabt. Wenn es der Cap’n oder Jeffers gewesen wäre, dann hätte ich dir jeden Knochen gebrochen, ehe ich dich endgültig getötet hätte. Nun fährst du ohne Aufenthalt direkt in die Hölle.«
»Nein«, sagte Joshua York erneut. Er stellte sich wieder vor den Maat. »Verschwinden Sie von meinem Schiff!« befahl er. »Sie sind entlassen!«
Hairy Mike Dunne wischte ihn lässig aus dem Weg. »Halten Sie sich da raus, Cap’n! Ein fairer Kampf, nur ich und er. Wenn er mich schafft, dann ist er Maat. Aber wenn ich ihm den Schädel einschlage, dann werden Sie und ich zu Cap’n Marsh gehen und klären, wer dieses Schiff wirklich führt.«
Sour Billy griff an die Nackenscheide und holte sein Messer hervor.
Joshua York blickte verzweifelt von einem zum anderen. Die übrigen Männer waren zurückgewichen und feuerten Hairy Mike mit lauten Rufen an. Kurt machte ein paar geschmeidige Schritte in den Ring und zog Joshua York aus dem Weg, damit er sich nicht einmischte.
Ins Licht des Ofens getaucht, sah Hairy Mike Dunne aus wie ein Wesen direkt aus der Hölle, umwallt vom Rauch, die Haut glühend und rot leuchtend, das Wasser in den Haaren, den Knüppel drohend erhoben, als er sich seinem Gegner näherte. Er lächelte. »Ich hab’ schon oft gegen Jungs mit Messern gekämpft«, sagte er und unterstrich jedes seiner Worte mit einem klatschenden Schlag in die offene Hand. »Eine ganze Menge miese kleine schmutzige Jungs.« Klatsch. »Und ich hab’ auch schon mal ein Messer zwischen die Rippen gekriegt.« Klatsch. »So ein Schnitt heilt schnell, Sour Billy.« Klatsch. »Aber ein eingeschlagener Schädel, das ist schon was anderes.« Klatsch. Klatsch. Klatsch.
Billy war dauernd zurückgewichen, bis er mit dem Rücken gegen einen Kistenstapel stieß. Das Messer lag ihm locker in der Hand. Hairy Mike sah, daß er ihn in die Enge getrieben hatte, und grinste, holte mit dem Eisenknüppel aus. Und stürmte mit einem lauten Schrei los.
Und Sour Billy Tipton drehte das Messer in der Hand und schickte es mit einer schnellen Bewegung auf die Reise. Es erwischte Hairy Mike genau unterm Kinn, bohrte sich durch den Schnurrbart und grub sich in seinen Kopf. Der Maat sank auf die Knie, Blut strömte ihm aus dem Mund, dann fiel er nach vorn auf das Deck.
»Na ja«, sagte Sour Billy und schlenderte zu der Leiche hinüber. Er trat ihr gegen den Kopf. Er lächelte überheblich wegen der Nigger und der Fremden und wegen Kurt, aber hauptsächlich wegen Joshua York. »Na ja«, wiederholte er, »ich denke, damit bin ich der neue Maat.«