KAPITEL ZWEI

New Orleans, Mai 1857

Sour Billy Tipton betrat um kurz nach zehn Uhr die Französische Börse und schaute zu, als vier Fässer Wein, sieben Kisten Stoff und eine ganze Ladung Möbel versteigert wurden, ehe sie die Sklaven hereinbrachten. Er stand schweigend da, die Ellbogen auf die Marmorbar gestützt, die sich halb um die Rundhalle erstreckte, trank einen Absinth, während er verfolgte, wie die encanteurs ihre Waren zweisprachig anpriesen. Sour Billy war ein düsterer, leichenhaft blasser Mann, dessen längliches Pferdegesicht seit seiner Jugend von Pockennarben gezeichnet war, die Haare dünn und braun und voller Schuppen. Er lächelte nur selten, und er hatte furchterregende eisblaue Augen.

Diese Augen, diese kalten und gefährlichen Augen, waren Sour Billys Schutz. Die Französische Börse war ein imposanter Ort, für seinen Geschmack zu prachtvoll, und im Grunde hielt er sich dort überhaupt nicht so gerne auf. Die Warenbörse befand sich im Rundbau des St. Louis Hotels unter einer riesigen Glaskuppel, durch die Tageslicht sich auf den Auktionsblock und auf die Kaufinteressenten ergoß. Die Kuppel hatte einen Durchmesser von mindestens achtzig Fuß. Hohe Säulen standen im Rund der Halle, Galerien verliefen an der Innenwand der Kuppel, die Decke war kunstvoll gearbeitet und reich geschmückt, die Wände waren mit Malereien bedeckt, die Bar bestand aus Marmor, der Fußboden war Marmor, und die Pulte der encanteurs bestanden ebenfalls aus Marmor. Die Kunden waren mindestens ebenso erlesen wie die Einrichtung; reiche Pflanzer vom Oberlauf des Flusses und junge kreolische Dandies aus der alten City. Sour Billy verabscheute die Kreolen mit ihren feinen Kleidern und ihrer hochnäsigen Art und den dunklen verächtlich blickenden Augen. Er mischte sich nicht gerne unter sie. Sie waren heißblütig und streitsüchtig, waren schnell zu einem Duell bereit, und manchmal fühlte einer der Jungen sich durch Sour Billy beleidigt, durch die Art und Weise, wie er ihre Sprache verstümmelte und ihre Frauen anstarrte, durch ihr ehrloses aggressives anmaßendes amerikanisches Auftreten. Doch dann traf sie der Blick seiner Augen, blaß und starrend und bedrohlich — und oft genug wandten sie sich ab und gingen ihm aus dem Weg.

Dennoch, wenn es nach ihm ginge, würde er lieber seine Negereinkäufe drüben in der Amerikanischen Börse im St. Charles tätigen, wo die Sitten noch nicht so verfeinert waren, wo Englisch anstelle von Französisch gesprochen wurde und wo er sich nicht ganz so fehl am Platze fühlte. Die Pracht der Rundhalle im St. Louis beeindruckte ihn überhaupt nicht, allenfalls die Qualität der Drinks, die man dort servierte.

Nichtsdestoweniger mußte er einmal im Monat hingehen, weil ihm keine andere Wahl blieb. Die Amerikanische Börse war der geeignete Ort, um einen Feldsklaven oder eine Köchin zu kaufen, so dunkelhäutig, wie man es wünscht, aber für ein hübsches Mädchen, eine der jungen, graziösen Oktaronenschönheiten, die Julian bevorzugte, mußte man die Französische Börse aufsuchen. Julian wollte Schönheit, er bestand darauf.

Sour Billy tat alles, was Damon Julian ihm befahl.

Es war etwa elf Uhr, als der letzte Rest Wein seinen Käufer fand und die Händler damit begannen, ihre Ware aus den Sklavenställen in der Moreau, der Esplanade und der Common Street hereinzuschaffen; Männer und Frauen, alt und jung, und auch Kinder; eine vergleichsweise große Anzahl von ihnen mit hellerer Haut und hellen Gesichtern. Dazu noch intelligent, wie Sour Billy wußte, wahrscheinlich auch der französischen Sprache mächtig. Sie wurden auf einer Seite der Halle aufgestellt, um begutachtet werden zu können, und einige junge kreolische Männer schlenderten an der Reihe entlang und unterhielten sich gutgelaunt, während sie sich das Angebot dieses Tages ansahen. Sour Billy blieb an der Bar und bestellte einen weiteren Absinth. Er hatte sich gestern in den meisten Ställen umgeschaut und sich über das Angebot informiert. Er wußte, was er wollte.

Einer der Auktionatoren ließ einen Holzhammer auf sein Marmorpult knallen, und augenblicklich unterbrachen die Kunden ihre Gespräche und wandten sich zu ihm um. Er gab ein Zeichen, und eine junge Frau um die zwanzig kletterte unsicher auf eine in geringer Entfernung aufgestellte Kiste. Sie war eine zierliche Terzeronin mit großen Augen, auf ihre Art durchaus hübsch. Sie trug ein Kalikokleid und hatte sich grüne Bänder ins Haar geflochten, und der Auktionator begann ihre Vorzüge mit farbigen Worten laut aufzuzählen. Sour Billy schaute desinteressiert zu, während zwei junge Kreolen sich gegenseitig hochboten. Am Ende wurde sie für 1400 $ verkauft.

Als nächste wurde eine ältere Frau, laut Beschreibung eine gute Köchin, versteigert, dann kam eine Mutter mit zwei Kindern, die gemeinsam einen Interessenten fanden. Sour Billy verfolgte eine Reihe weiterer Verkäufe. Es war etwa Viertel nach zwölf, und die Französische Börse war vollgestopft mit Bietenden und Schaulustigen, als die Ware, die er für sich ausgesucht hatte, vorgestellt wurde.

Ihr Name laute Emily, erklärte der encanteur den Umstehenden. »Schaut sie euch an, Sirs«, plappert er auf französisch, »seht sie euch nur an. Welch eine Vollkommenheit! Es ist Jahre her, daß ein solches Prachtstück angeboten wurde, Jahre, und es wird wieder Jahre dauern, daß etwas annähernd Vergleichbares zum Verkauf stehen wird.« Sour Billy war durchaus bereit, dem zuzustimmen. Nach seiner Schätzung war Emily sechzehn oder siebzehn, aber schon ausgesprochen fraulich. Sie wirkte oben auf dem Auktionsblock etwas verängstigt, aber die dunkle Schlichtheit ihres Kleides zeigte ihre Figur besonders vorteilhaft, und außerdem hatte sie ein schönes Gesicht — große, sanft blickende Augen und eine milchkaffeefarbene Haut. Die wird Julian sicher gefallen.

Das Bieten verlief lebhaft. Die Plantagenbesitzer waren an solch einem hübschen Mädchen nicht interessiert, doch sechs oder sieben Kreolen waren ganz heiß darauf, sie zu erwerben. Zweifellos hatten die anderen Sklaven Emily eine kleine Vorstellung davon vermittelt, wie ihre Zukunft sich entwickeln könnte. Sie war hübsch genug, um, beizeiten, ihre Freiheit geschenkt zu bekommen und von einem dieser feinen kreolischen Dandies in einem kleinen Haus in der Ramparts Street ausgehalten zu werden, zumindest bis er heiratete. Sie würde die Terzeronenbälle im Orleans Ballroom besuchen, seidene Kleider und bunte Bänder tragen und die Ursache für mehr als nur ein Duell sein. Ihre Töchter hätten eine noch hellere Haut und würden in das gleiche angenehme Leben hineinwachsen. Vielleicht, wenn sie älter wäre, könnte sie lernen, Haare zu frisieren oder eine Pension zu führen. Sour Billy nippte an seinem Drink, sein Gesicht eine eisige Maske.

Die Gebote stiegen stetig an. Bei 2000 $ waren bis auf drei alle Bieter ausgeschieden. In diesem Moment forderte einer der drei, ein vierschrötiger glatzköpfiger Mann, daß sie entkleidet werden solle. Der encanteur stieß einen kurzen Befehl hervor, und Emily öffnete geschmeidig ihr Kleid und schlüpfte heraus. Jemand grölte ein obszönes Kompliment, das bei den Schaulustigen brüllendes Gelächter auslöste. Das Mädchen reagierte mit einem müden Lächeln, während der Auktionator grinste und mit einer passenden Bemerkung antwortete. Dann ging das Bieten weiter.

Bei 2500 $ stieg der Kahlköpfige aus, nachdem er zu sehen bekommen hatte, was er hatte sehen wollen. Übrig blieben zwei Bieter, beide Kreolen. Dreimal überboten sie sich gegenseitig und trieben den Preis bis auf 3200 $. Dann kam ein Augenblick des Zögerns. Der Auktionator lockte dem jüngeren der beiden Männer ein letztes Gebot heraus: 3300 $.

»Dreitausendvierhundert«, meinte sein Konkurrent gelassen. Sour Billy erkannte ihn. Er war ein junger schlanker Kreole namens Montreuil, ein notorischer Spieler und Duellant.

Der andere Mann schüttelte den Kopf; die Versteigerung war beendet. Montreuil musterte Emily mit erwartungsvollen Blicken. Sour Billy wartete drei Herzschläge lang, bis der Hammer im Begriff war, auf das Pult zu schlagen. Dann stellte er sein Absinthglas auf die Bar und sagte mit lauter, klarer Stimme: »Dreitausendsiebenhundert.«

Encanteur und Mädchen blickten überrascht in seine Richtung. Montreuil und einige seiner Freunde fixierten Billy mit düsteren, drohenden Blicken. »Dreitausendachthundert«, sagte Montreuil.

»Viertausend«, rief Sour Billy.

Es war ein hoher Preis, selbst für eine solche Schönheit. Montreuil sagte etwas zu den beiden Männern, die bei ihm standen, und die drei machten abrupt auf dem Absatz kehrt und verließen ohne ein weiteres Wort die Kuppelhalle, wobei ihre Schritte wütend auf dem Marmor widerhallten.

»Es sieht so aus, als hätte ich die Auktion gewonnen«, stellte Sour Billy fest. »Zieht sie an und macht sie zurecht, damit wir gehen können.« Die Umstehenden starrten ihn an.

»Aber natürlich!« stotterte der encanteur. Ein anderer Auktionator erhob sich hinter seinem Pult und machte die Menge der Interessenten mit einem Schlag seines Hammers auf ein weiteres hübsches Mädchen aufmerksam, und bald setzte in der Französischen Börse der übliche hektische Verkaufslärm wieder ein.

Sour Billy Tipton führte Emily den langen Arkadengang von der Kuppelhalle zur St. Louis Street hinunter, vorbei an all den Modegeschäften, wo Spaziergänger und wohlhabende Durchreisende ihnen neugierig nachschauten. Als er ins Tageslicht hinaustrat und im grellen Sonnenschein blinzelnd die Augen zukniff, tauchte Montreuil neben ihm auf. »Monsieur«, sprach er ihn an.

»Reden Sie Englisch, wenn Sie etwas von mir wollen«, entgegnete Sour Billy schneidend. »Hier draußen heißt es Mister Tipton, Montreuil.« Seine langen Finger zuckten, und er fixierte sein Gegenüber mit seinen kalten Eisaugen.

»Mister Tipton«, sagte Montreuil in flachem, akzentfreiem Englisch. Sein Gesicht war leicht gerötet. Hinter ihm standen reglos und angespannt seine beiden Begleiter. »Ich habe schon des öfteren auf Mädchen verzichten müssen«, sagte der Kreole. »Sie ist auffallend schön, aber es macht mir nichts aus, sie zu verlieren. Jedoch empfinde ich Ihre Art des Bietens als eine Beleidigung, Mister Tipton. Sie haben mich dort drinnen zum Gespött gemacht, haben mir den Sieg weggeschnappt und mich wie einen Narren behandelt.«

»Nun, nun«, sagte Sour Billy. »Immer sachte.«

»Sie treiben ein gefährliches Spiel«, warnte Montreuil. »Wissen Sie, wer ich bin? Wenn Sie ein Gentleman wären, dann würde ich Satisfaktion von Ihnen fordern, Sir.«

»Duelle sind verboten, Montreuil«, erwiderte Sour Billy. »Haben Sie das noch nicht gehört? Und überdies bin ich kein Gentleman.« Er wandte sich zu dem Terzeronenmädchen um, das vor der Hotelmauer stand und ihren Disput verfolgte. »Komm«, forderte er sie auf. Er ging den Gehsteig hinunter, und sie folgte ihm.

»Dafür werden Sie noch büßen, Monsieur!« rief Montreuil ihm nach.

Sour Billy kümmerte sich nicht darum und bog um eine Ecke. Er ging eilig, und sein Schritt wurde zu einem Stolzieren, wie man es in der Französischen Börse nicht hatte beobachten können. Es waren die Straßen, wo Sour Billy sich zu Hause fühlte; dort war er aufgewachsen, dort hatte er es gelernt zu überleben. Das Sklavenmädchen hastete, so gut es ging, hinter ihm her, wobei ihre nackten Füße auf die Ziegel des Gehsteigs klatschten. Die Straßen des Vieux Carré waren mit Ziegel‐ und Stuckhäusern gesäumt, jedes mit einem kunstvollen schmiedeeisernen Balkon versehen, der den Gehsteig überschattete und den Eindruck von Eleganz vermittelte. Aber die Straßen selbst waren ungepflastert, und die letzten Regengüsse hatten sie in einen einzigen großen Schlammsee verwandelt. Entlang der Gehsteige verliefen offene Abflüsse, tiefe Gräben zwischen den Zypressen, in denen das Wasser stand und nach Moder und Abfall stank.

Sie eilten an schmucken kleinen Läden und Sklavenställen mit massiven Gittern vor den Fenstern vorbei, an eleganten Hotels und verrauchten Kneipen, die von selbstbewußten freien Negern bevölkert wurden, vorbei an engen, feuchten Gassen und großzügigen Höfen mit ihren Brunnen und Wasserspielen, passierten hochmütige Kreolenladies mit ihren Begleitern und Anstandsdamen und eine Gruppe von geflüchteten und wieder eingefangenen Sklaven in Halseisen und Ketten, die die Abflüsse unter dem wachsamen Blick eines Weißen mit harten Augen und einer Peitsche am Gürtel säuberten. Kurz darauf ließen sie das Französische Viertel ganz hinter sich und gelangten in den primitiveren, neueren amerikanischen Teil von New Orleans. Sour Billy hatte sein Pferd dort vor einer Kneipe angebunden. Er schwang sich in den Sattel und befahl dem Mädchen, neben ihm herzulaufen. Sie verließen die Stadt in südlicher Richtung und bogen schon bald von den Hauptstraßen ab, legten nur einmal eine kurze Rast ein, so daß Sour Billy seinem Pferd etwas Ruhe gönnen und selbst etwas von dem trockenen harten Brot und Käse in seiner Satteltasche essen konnte. Er ließ Emily Wasser aus einem Bach trinken.

»Sind Sie mein neuer Massa, Sir?« fragte sie ihn dann in bemerkenswert gutem Englisch.

»Aufseher«, antwortete Sour Billy. »Du wirst Julian heute abend kennenlernen, Mädchen. Wenn es Nacht ist.« Er lächelte. »Er wird Gefallen an dir haben.« Dann hieß er sie, zu schweigen.

Da das Mädchen zu Fuß war, kamen sie nur langsam voran, und die Abenddämmerung senkte sich schon herab, als sie die Julian‐Plantage erreichten. Die Straße folgte dem Lauf des Bayou, eines versumpften Flußarms, und wand sich durch ein Wäldchen mit dicht zusammen stehenden Bäumen, deren Äste sich unter dem Gewicht des Spanischen Mooses bogen. Sie umgingen eine hohe, kahle Eiche und gelangten hinaus ins freie Feld, das vom Licht der untergehenden Sonne in rötlichen Schein getaucht war. Die Felder erstreckten sich vom Flußufer bis hin zum Haus und lagen brach oder waren von Unkraut überwuchert. Es gab ein altes, vermodertes Anlegefloß und einen Holzplatz am Flußufer für vorbeifahrende Dampfboote und hinter dem Haus eine Reihe Sklavenbaracken. Aber es gab keine Sklaven, und auf den Feldern war schon seit einigen Jahren nicht mehr gearbeitet worden. Das Haus war weder so groß, wie Plantagenhäuser gewöhnlich sind, noch war es besonders prächtig; es war ein schlichter kantiger Bau aus von der Witterung grauem Holz, von dem überall die Farbe abblätterte, und das einzige Auffällige daran war ein hoher Turm mit einer Witwengalerie.

»Wir sind zu Hause«, sagte Sour Billy.

Das Mädchen fragte, ob die Plantage einen Namen habe.

»Früher mal«, meinte Sour Billy, »vor einigen Jahren, als sie noch Garroux gehörte. Aber er wurde krank und starb, er und seine guten Söhne, und jetzt hat sie keinen Namen mehr. Aber halt lieber den Mund und spute dich.«

Er führte sie um das Haus herum nach hinten, zu seinem eigenen Eingang und öffnete das Vorhängeschloß mit einem Schlüssel, der an einer Kette um seinen Hals hing. Er hatte drei Zimmer für sich alleine im Bedienstetentrakt des Hauses. Er zerrte Emily ins Schlafzimmer. »Steig aus den Kleidern«, zischte Sour Billy.

Das Mädchen schickte sich an zu gehorchen, beobachtete ihn jedoch mit angsterfüllten Augen.

»Schau mich nicht so an«, sagte er. »Du gehörst Julian, ich werd’ mich an dir nicht vergreifen. Ich sorge für heißes Wasser. In der Küche steht eine Badewanne. Du wäscht dir den Schmutz vom Leibe und ziehst dich dann an.« Er öffnete einen Kleiderschrank aus reich geschnitztem Holz und zog ein dunkles Brokatkleid heraus. »Da, das dürfte passen.«

Sie atmete zischend ein. »So etwas kann ich nicht tragen. Das ist nur etwas für eine weiße Lady.«

»Halt den Mund und tu, was ich dir befehle«, meinte Sour Billy. »Julian möchte, daß du schön aussiehst, Mädchen.« Dann verließ er sie und ging in den Hauptteil des Hauses.

Er fand Julian in der Bibliothek, wo er in der Dunkelheit in einem hohen Ledersessel lehnte, ein Brandyglas in der Hand. Um ihn herum und mit Staub bedeckt standen die Bücher, die einmal dem alten Rene Garroux und seinen Söhnen gehört hatten. Keines war in den Jahren angefaßt worden. Damon Julian war keiner von denen, die viel lesen.

Sour Billy trat ein und hielt sich in respektvoller Entfernung und schwieg, bis Julian das Wort ergriff.

»Nun?« fragte endlich die Stimme aus der Dunkelheit. »Viertausend«, sagte Sour Billy, »aber sie wird Ihnen gefallen. Sie ist jung, hübsch und zart, schön, wirklich bildschön.«

»Die anderen werden bald hier sein. Alain und Jean sind bereits da, diese Narren. Der Durst quält sie. Bring sie in den Ballsaal, wenn sie soweit ist.«

»Ja«, sagte Sour Billy hastig. »Es gab Ärger bei der Auktion, Mister Julian.«

»Ärger?«

»Ein kreolischer Angeber namens Montreuil. Er war auch scharf auf sie, es gefiel ihm gar nicht, überboten worden zu sein. Ich dachte mir, daß er vielleicht mißtrauisch wird. Er ist ein Spieler und treibt sich viel in den Spielsalons herum. Soll ich mich irgendwann einmal abends eingehender mit ihm befassen?«

»Erzähl mir von ihm«, befahl Julian. Seine Stimme war wohltönend, weich und tief und ausdrucksvoll, so vollmundig wie alter Cognac.

»Jung, dunkel. Schwarze Augen, schwarzes Haar. Hochgewachsen. Ein Duellant, wie erzählt wird. Ein harter Mann. Stark und gewandt, aber er hat ein hübsches Gesicht, wie man es bei vielen von der Sorte finden kann.«

»Ich werde mich um ihn kümmern«, sagte Damon Julian.

»Ja, Sir«, sagte Sour Billy Tipton. Er wandte sich um und kehrte auf seine Zimmer zurück.

Emily war wie verwandelt, als sie in das Brokatkleid schlüpfte. Sklavin und Kind verschwanden; gewaschen und entsprechend angezogen, war sie eine Frau von dunkler, nahezu ätherischer Schönheit. Sour Billy betrachtete sie eingehend. »So ist es gut«, meinte er. »Komm, du gehst auf einen Ball.«

Der Ballsaal war der größte und prachtvollste Raum des Hauses, erleuchtet von drei riesigen Kandelabern aus geschliffenem Glas, an denen jeweils hundert Kerzen brannten. Flußlandschaften, mit kräftigen Ölfarben gemalt, hingen an den Wänden, und der Fußboden bestand aus herrlichem polierten Holz. An einem Ende des Raums öffneten sich breite Doppeltüren zu einer geräumigen Vorhalle; am anderen Ende schwang eine breite Treppe sich nach oben und zur Seite, deren Geländer im Kerzenschein glänzte.

Sie warteten schon, als Sour Billy sie hereinführte.

Neun von ihnen waren anwesend, Julian selbst eingeschlossen; sechs Männer, drei Frauen, die Männer in dunklen Anzügen von europäischem Schnitt, die Frauen in hellen Seidenkleidern. Außer Julian warteten sie auf der Treppe, reglos und schweigend, respektvoll. Sour Billy kannte sie alle: die blassen Frauen, die sich selbst Adrienne und Cynthia und Valerie nannten, der dunkle hübsche Raymond mit dem jungenhaften Gesicht, Kurt, dessen Augen wie glühende Kohlen brannten, all die anderen. Einer von ihnen, Jean, zitterte unmerklich, während er wartete, die Lippen gespannt, so daß sie seine langen weißen Zähne freigaben, die Hände fahrig und zuckend. Der Durst hatte ihn schlimm gepackt, aber er unternahm nichts. Er wartete auf Damon Julian. Sie alle warteten auf Damon Julian.

Julian schritt durch den Ballsaal auf das Sklavenmädchen Emily zu. Er bewegte sich dabei mit der kraftvollen Grazie einer Katze. Er bewegte sich wie ein Lord, wie ein König. Er bewegte sich wie fließende Dunkelheit, stetig und unausweichlich. Er war ein düsterer Mann, irgendwie und unerklärlich, obgleich seine Haut sehr blaß war; sein Haar war schwarz und gelockt, seine Kleidung dunkel, seine Augen wie glitzernder Feuerstein.

Er blieb vor ihr stehen und lächelte. Julian zeigte ein charmantes, wohlgesetztes Lächeln. »Exquisit«, sagte er einfach.

Emily errötete und geriet ins Stottern. »Schweig«, schnappte Sour Billy. »Du hast nur zu reden, wenn Mister Julian es dir gestattet.«

Julian fuhr mit einem Finger über eine weiche, dunkle Wange, und das Mädchen zitterte und versuchte, still zu stehen. Er streichelte ihr übers Haar, dann hob er ihr Gesicht und ließ seine Blicke in ihre Augen tauchen. In diesem Augenblick wich Emily zurück und stieß einen ängstlichen Schrei aus, aber Julian hielt ihr Gesicht mit beiden Händen fest und ließ nicht zu, daß sie wegschaute. »Reizend«, sagte er. »Du bist schön, Kind: Wir wissen Schönheit zu schätzen, wir alle hier.« Er gab ihr Gesicht frei, legte eine ihrer zierlichen Hände in seine eigene, hob sie hoch, dann drehte er sie um und beugte sich vor, um einen Kuß auf die Innenseite ihres Handgelenks zu hauchen.

Das Sklavenmädchen zitterte noch immer, aber sie wehrte sich nicht. Julian drehte sie sacht und reichte Sour Billy Tipton ihren Arm. »Würdest du die Honneurs machen, Billy?«

Sour Billy griff nach hinten und zog das Messer aus der Scheide, die er im Nacken trug. Emilys Augen weiteten sich und quollen angstvoll hervor, und sie versuchte, zurückzuweichen, sich loszureißen, aber er hatte sie fest im Griff, und er war schnell, sehr schnell. Die Klinge war kaum zu sehen gewesen, und plötzlich war sie naß; ein einziger schneller Schnitt quer über die Innenseite ihres Handgelenks, wo Julian sie mit seinen Lippen berührt hatte. Blut quoll aus der Wunde und begann auf den Fußboden zu tropfen, das Klatschen überlaut in der Stille des Ballsaals.

Das Mädchen wimmerte kurz auf, aber ehe sie wußte, was überhaupt mit ihr geschah, hatte Sour Billy sein Messer schon wieder in die Scheide geschoben, und Julian hatte wieder ihre Hand ergriffen. Er hob ihren schlanken Arm noch einmal hoch, dann preßte er seine Lippen auf ihr Handgelenk und begann zu saugen.

Sour Billy zog sich zur Tür zurück. Die anderen verließen die Treppe und kamen näher, wobei das Rascheln der Kleider der Frauen wie ein leises Flüstern klang. Sie standen hungrig im Kreis um Julian und seine Beute herum, die Augen dunkel und gierig glühend. Als Emily das Bewußtsein verlor, trat Sour Billy schnell vor und fing sie in seinen Armen auf und stützte sie. Sie wog fast nichts.

»Was für eine Schönheit«, murmelte Julian, als er sich von ihr löste, die Lippen naß, die Augen verhangen und satt. Er lächelte.

»Bitte, Damon«, flehte derjenige, der den Namen Jean trug und dabei zitterte, als hätte er hohes Fieber.

Blut rann langsam und dunkel an Emilys Arm herab, während Julian Jean mit einem kalten, mißbilligenden Blick bedachte. »Valerie«, sagte er, »die Reihe ist an dir.« Die blasse junge Frau mit den violetten Augen und dem gelben Kleid trat vor, kniete sich anmutig nieder und begann das aufzulecken, was herausgeflossen war. Erst als sie den Arm völlig sauber geleckt hatte, drückte sie ihren Mund auf die offene Wunde.

Raymond kam als nächster, als Julian ihn gewähren ließ, dann Adrienne, dann Jorge. Schließlich, als auch die anderen an der Reihe gewesen waren, wandte Julian sich mit einem Lächeln und einer Geste zu Jean um. Er stürzte sich mit einem erstickten Schluchzen auf sie, entriß sie Sour Billys Armen und begann das weiche Fleisch von ihrem Hals zu fetzen. Damon Julian verzog angewidert das Gesicht. »Wenn er fertig ist«, meinte er zu Sour Billy, »dann mach alles sauber.«

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