Kapitel 13

Alle überlebten die Nacht, wenn auch einige beim Frühstück offensichtlich einen Kater hatten. Vor den Fenstern draußen war die scheinbar endlose Fels-, Seen- und Tannenlandschaft radikal abgelöst worden von weitgedehntem hügeligem Grasland, nicht mehr gelb vom bereits abgeernteten Getreide, sondern graugrün jetzt in der Ruhe vor dem Winter.

Während des Frühstücks hielten wir kurz in der kleinen Stadt Medicine Hat, die in einem Tal lag und sehr viel gewöhnlicher anmutete als ihr Name, Medizinhut. Die Fahrgäste stellten gehorsam ihre Uhren zurück, als Nell ihnen sagte, wir hätten jetzt Gebirgszeit, wollten aber wissen, wo denn die Berge seien.

«Die kommen heute nachmittag«, antwortete sie und verteilte das Tagesprogramm, das für 11 Uhr 30 Brisante Entwicklungen im Krimi versprach, mit anschließendem frühen Lunch. Wir würden um 12 Uhr 4 °Calgary erreichen, wo der Pferdewaggon ausgekuppelt werden sollte, und um halb zwei weiterfahren in die Rockies, hinauf nach Banff und Lake Louise. Dort würden die Besitzer aussteigen und per Bus zum Chateau gebracht werden, dem riesigen Hotel am Seeufer, inmitten einer Schneelandschaft von atemberaubender Schönheit. Cocktails und Alarmierende Entdeckungen gab es dann um halb sieben in einem Konferenzraum. Genießen Sie den Tag.

Mehrere Leute fragten, ob wir jetzt vor oder hinter dem regulären Canadian seien.

«Wir sind vor ihm«, sagte ich.

«Wenn wir eine Panne haben«, spaßte Mr. Unwin,»kann er uns dann ja rausreißen.«

Xanthe, die neben ihm saß, lachte nicht.»Ich wünschte, wir wären hinter ihm«, sagte sie.»Da würde ich mich sicherer fühlen.«

«Hinter dem Canadian sind Güterzüge«, wandte Mr. Unwin ein,»und vor uns sind Güterzüge. Und aus der Gegenrichtung kommen auch Güterzüge. Wir sind nicht ganz allein auf diesen Schienen.«

«Nein, wahrscheinlich nicht. «Sie schien immer noch Bedenken zu haben und sagte, sie habe vergangene Nacht in ihrem Oberbett wieder viel besser geschlafen, als sie es im Quartier ihrer Familie gekonnt hätte.

Ich brachte ihr den gewünschten französischen Toast und die Würstchen und goß ihr Kaffee ein, und Mr. Unwin, der mir seine Tasse zum Nachschenken hinhielt, fragte, ob ich in Winnipeg auf sein Pferd gesetzt hätte.

«Leider nein«, sagte ich bedauernd. Ich stellte seine Tasse aufs Tablett und schenkte mit kleinen Bewegungen ein.»Aber herzlichen Glückwunsch, Sir.«

«Waren Sie denn beim Pferderennen?«fragte mich Xanthe ohne allzu großes Interesse.

«Ja, MISS«, sagte ich.

Ich füllte Mr. Unwins Tasse und setzte sie vor ihn hin, dann ging ich mit Tablett und Kanne weiter zum nächsten Tisch, wo sich das Gespräch anscheinend eher um Zaks Krimi als direkt um Pferde drehte.

«Ich glaube, der Trainer hat Angelica umgebracht. Und den Pfleger auch.«

«Warum hätte er das tun sollen?«

«Er will Donna wegen ihres Geldes heiraten. Angelica wußte etwas, das die Heirat unmöglich gemacht hätte, deshalb hat er sie umgebracht.«

«Was wußte sie?«

«Vielleicht, daß er schon verheiratet ist.«

«Mit Angelica?«»Nun… warum nicht?«

«Aber wie geht das mit dem toten Pfleger zusammen?«

«Er hat gesehen, wie der Mörder das blutbespritzte Plastikteil verschwinden ließ.«

Sie lachten. Ich füllte ihre Tassen, ging weiter und schenkte Daffodil ein, neben der ein Platz leer war. Daffodil saß, in raschen, tiefen Zügen rauchend, bei den Flokatis und sonst niemand.

Kein Filmer.

Ich blickte durch den ganzen Speisewagen zurück, konnte ihn aber nirgends sehen. Er war nicht hereingekommen, während ich andere Gäste bediente, und er war nicht vorn bei der Küche gewesen, als ich angefangen hatte.

Daffodil sagte zu mir:»Könnten Sie mir einen Wodka bringen? Mit Eis und Zitrone.«

«Ich werde fragen, Madam«, sagte ich und fragte Emil, und er war es, der ihr höflich erklärte, daß der Barmann erst ab elf Dienst hatte und bis dahin alles unter Verschluß war.

Daffodil nahm die schlechte Nachricht schweigend auf, stubste aber mit einigen heftigen Stößen und einem langen abschließenden Daumendruck ihre Zigarette aus. Die Flokatis sahen sie unsicher an und fragten, ob sie etwas für sie tun könnten.

Sie schüttelte den Kopf. Sie schien wütend und den Tränen nahe, hatte sich aber entschieden in der Gewalt.

«Geben Sie mir Kaffee«, sagte sie zu mir, und zu den Flokatis:

«Ich glaube, ich steige in Calgary aus. Ich glaube, ich fahre nach Hause.«

Kleine Bewegungen retteten mich, sonst hätte ich ihr die braune Flüssigkeit glatt über die Hand geschüttet.

«Aber nein!«riefen die Flokatis sofort bekümmert.»Tun Sie doch so was nicht. Ihr Pferd lief gestern ausgezeichnet, auch wenn es nur Fünfter geworden ist. Unseres wurde beinah Letzter… und wir fahren auch weiter. Sie dürfen nicht aufgeben. Außerdem haben Sie doch Laurentide Ice noch, für Vancouver.«

Daffodil schaute sie wie abwesend an.»Es ist nicht wegen gestern«, sagte sie.

«Aber weshalb dann?«

Daffodil sagte es ihnen nicht. Vielleicht wollte sie nicht; vielleicht konnte sie nicht. Sie kniff bloß die Lippen zusammen, schüttelte ihren Lockenkopf und kramte eine neue Zigarette hervor.

Da die Flokatis keinen Kaffee mehr wollten, konnte ich nicht länger bleiben und zuhören. Ich wechselte auf die andere Seite des Gangs und spitzte meine Ohren, doch die Flokatis erfuhren offenbar nichts Näheres von Daffodil, die nur noch entschlossener wiederholte, sie wolle nach Hause.

Nell in ihrem schlichten schwarzen Rock, das Klemmbrett in Bereitschaft, unterhielt sich vorn bei der Küche immer noch mit Fahrgästen. Ich ging mit meiner fast leeren Kaffeekanne durch und winkte unauffällig zum Küchenvorraum hin, den sie bald darauf mit fragend erhobenen Augenbrauen betrat.

«Daffodil Quentin«, sagte ich, in die Kaffeekanne schauend,»ist so aufgebracht, daß sie den Zug verlassen will. Sie hat es den Flokatis gesagt, nicht mir… Sie wissen’s also nicht, okay?«

«Aufgebracht worüber?«Nell war bestürzt.

«Hat sie ihnen nicht erzählt.«

«Danke«, sagte sie.»Ich will sehen, was ich tun kann.«

Erregte Gemüter beruhigen, für lächelnde Gesichter sorgen; all das gehörte zu ihrer täglichen Arbeit. Sie machte sich wie von ungefähr auf den Weg durch den Speisewagen, und ich ging in die Küche, um meine Mission zu beenden. Bis ich mit einer vollen Kanne wieder herauskam, war Nell bei Daffodil angelangt, stand neben ihr und hörte zu. Nell bat die an

Nachbartischen sitzenden Youngs und Unwins um Hilfe, und bald darauf war Daffodil von einer Gruppe von Leuten verdeckt, die sie umzustimmen versuchten.

Ich mußte ziemlich lange warten, bis ich hörte, was da lief, aber schließlich ging die ganze kleine Schar mit Daffodil hinten hinaus zum Aussichtswagen, und Nell kam wieder in den Vorraum. Sie erzählte es mir ratenweise, während ich hin und her tippelte, um die Frühstückstische abzuräumen, und jedesmal kurz bei ihr stehenblieb.

«Cumber und Rose…«Die Youngs, dachte ich.»Cumber und Rose und auch die Unwins sagen, daß gestern abend nichts passiert ist — sie haben sich im Wagen der Lorrimores alle glänzend unterhalten. Schließlich sagte Daffodil, daß sie nach der Party noch eine Meinungsverschiedenheit mit Mr. Filmer gehabt hat. Sie konnte kaum schlafen und weiß nicht genau, was sie tun soll, aber sie hat keine Lust mehr, mit Laurentide Ice nach Vancouver zu fahren, und ihr graut vor der Weiterreise. Die Youngs haben sie überredet, mit ihnen aufs Aussichtsdeck zu gehen, um darüber nachzudenken, aber ich glaube wirklich, sie meint es ernst. Sie ist stocksauer.«

«M-hm. «Ich brachte die letzten Frühstücksreste in die Küche und drückte mich unter Entschuldigungen vor dem Abwasch.

«Wie kann Mr. Filmer Daffodil bloß so aufgeregt haben?«rief Nell aus.»Sie hat sich offensichtlich amüsiert, und er ist so ein netter Mann. Alle dachten, sie kämen blendend miteinander aus. «Sie hielt inne.»Mr. Unwin glaubt, es ist ein Liebesstreit.«

«So?«Ich überlegte.»Ich glaube, ich werde mal den Zug erkunden. Nachsehen, ob sich sonst noch was tut.«

Vielleicht hatte Daffodil Avancen gemacht und war zu schroff abgewiesen worden, dachte ich. Vielleicht auch nicht.

«Mr. Filmer ist nicht zum Frühstück gekommen«, sagte Nell.

«Die ganze Sache ist sehr beunruhigend. Und gestern abend waren alle noch so zufrieden.«

Wenn Daffodils Reiseabbruch das Schlimmste war, was geschah, dachte ich, wären wir noch gut davongekommen. Ich ließ Nell allein, wanderte den Gang hinauf und erreichte schon bald Filmers Abteiltür, die wenig Aufschluß gab, da sie geschlossen war.

Ich wandte mich an den Schlafwagensteward weiter vorn im Wagen, der eben dabei war, die Betten für den Tag hochzuklappen und die Sitze herzurichten.

«Mr. Filmer? Der ist noch in seinem Abteil, soviel ich weiß. Er war ein bißchen grantig zu mir, meinte, ich solle mich beeilen. Sonst ist er nicht so. Er aß irgendwas und hatte da auch eine Thermosflasche stehen. Solche Passagiere haben wir allerdings öfter. Sie halten es nachts nicht aus, ohne die Kühlbox leerzufuttern oder so.«

Ich nickte unverbindlich und ging weiter, dachte aber bei mir, wenn Filmer Essen und eine Thermosflasche zum Frühstück mit an Bord genommen hatte, dann mußte er schon in Winnipeg gewußt haben, daß er das brauchen würde — folglich war der Streit gestern abend geplant und nicht von Daffodil verursacht worden.

George Burley schrieb im Dienstabteil an seinem Bericht.

«Guten Morgen«, sagte er strahlend.

«Was macht der Zug?«

«Die Schlafwagenstewards vorne drohen alles hinzuschmeißen, eh? wegen des Erbrochenen in den Toiletten.«

«Pfui.«

Er lachte leise.»Ich habe in Winnipeg eine Extraladung Desinfektionsmittel kommen lassen«, sagte er.»Die Reisekrankheit macht sie fertig, wissen Sie.«

Ich schüttelte den Kopf über sein genüßliches Grinsen und eilte weiter, hielt wie immer Ausschau nach dem Hageren, wollte vor allem aber zu den Pferden.

Leslie Brown, hohläugig vor Schlafmangel, musterte mich nur halb so angriffslustig wie sonst.

«Kommen Sie rein«, sagte sie und trat von ihrer Tür weg.»Ich könnte ehrlich gesagt etwas Hilfe brauchen.«

Da ich gerade an mehreren bleichen Pflegern vorbeigekommen war, die sich in ihrem Großraumabteil selbst bemitleideten, dachte ich erst, sie meinte tätige Hilfe beim Versorgen der Pferde, aber so war es offenbar nicht.

«Da geht irgend etwas vor, was ich nicht verstehe. «Sie sperrte die Eingangstür hinter mir ab und ging voran zu dem freien Platz, wo ihr Lehnstuhl neben dem unangerührten Wassertank stand.

«Was denn?«fragte ich, ihr folgend.

Sie deutete stumm nach vorn in den Wagen, und ich ging weiter, bis ich zum letzten freien Platz zwischen den Boxen kam, und dort, in einer Art Nest aus Heuballen, hatte sich einer der Pfleger halb sitzend, halb liegend zusammengerollt wie ein Embryo und stöhnte leise vor sich hin.

Ich ging wieder zu Leslie Brown.»Was ist denn mit ihm?«sagte ich.

«Ich weiß nicht. Er war gestern abend blau, aber das waren sie alle, und mir sieht das nicht nach einem normalen Kater aus.«

«Haben Sie die anderen gefragt?«

Sie seufzte.»Die können sich an gestern abend kaum erinnern. Denen ist egal, was er hat.«

«Zu welchem Pferd gehört er?«

«Laurentide Ice.«

Es hätte mich wohl gewundert, wenn sie etwas anderes gesagt hätte.

«Das ist doch das Pferd«, fragte ich,»dessen Trainer numerierte Futterrationen mitgeschickt hat, weil schon mal eins von Mrs. Quentins Pferden an falscher Fütterung gestorben ist, oder?«

Sie nickte.»Ja.«

«Und der Junge war in der Stallung in Winnipeg die ganze Zeit bei dem Pferd?«

«Ja, natürlich. Sie haben die Pferde bewegt und versorgt und sind nach den Rennen gestern alle wieder mit Pferdetransportern zum Zug zurückgekommen, als der noch auf dem Nebengleis stand. Ich kam da auch mit. Den Pferden fehlt nichts, das kann ich Ihnen versichern.«

«Gut«, sagte ich.»Auch Laurentide Ice nicht?«

«Schauen Sie selbst.«

Ich ging umher und sah mir jedes einzelne Pferd an, doch sie machten wirklich alle einen frischen, gesunden Eindruck, selbst Upper Gumtree und Flokati, bei denen verständlich gewesen wäre, wenn sie nach ihrer Kraftanstrengung dünn und erschöpft gewirkt hätten. Die meisten reckten ihre Köpfe über die Stalltüren vor, ein sicheres Anzeichen von Interesse; einige standen halb träumend ein oder zwei Schritte weiter hinten. Laurentide Ice betrachtete mich mit glasklaren Augen, viel besser in Schuß als sein Begleiter.

Ich kehrte zu Leslie Brown zurück und fragte sie nach dem Namen des Pflegers.

«Lenny«, sagte sie. Sie schaute auf einer Liste nach.»Leonard Higgs.«

«Wie alt ist er?«

«Um die Zwanzig, denke ich.«

«Wie ist er denn sonst so?«

«Wie die anderen. Voller unflätiger Ausdrücke und dreckiger Witze. «Sie blickte mißbilligend.»Jedes zweite Wort beginnt mit sch-.«

«Wann ging denn das Verkriechen und das Stöhnen los?«»Er lag die ganze Nacht da. Die andern Jungs sagten, er sei dran mit Hierbleiben, aber das stimmt nicht, er war bloß sturzbetrunken, und sie haben ihn einfach ins Heu gesetzt und sind wieder feiern gegangen. Vor etwa einer Stunde fing er an zu stöhnen, und er antwortet mir einfach nicht. «Sie war seinetwegen beunruhigt und wohl auch besorgt, man könnte sie für sein Verhalten verantwortlich machen.

Zu ihrer gelinden Überraschung zog ich meine gelbe Weste und den gestreiften Schlips aus und drückte ihr beides in die Hand.

Wenn sie sich ein wenig setzen wolle, schlug ich vor, würde ich versuchen, Lenny klarzukriegen.

Fast demütig willigte sie ein. Ich ließ sie mit meinen Amtsabzeichen auf ihren behosten Knien sitzen und kehrte zu dem Totalausfall im Heu zurück.

«Lenny«, sagte ich,»lassen Sie’s mal gut sein.«

Er stöhnte selbstvergessen weiter.

Ich hockte mich neben ihn auf einen der Heuballen und legte den Mund an sein eines sichtbares Ohr.

«Ruhe jetzt!«sagte ich laut.

Er zuckte zusammen und schnappte nach Luft, und nach einer kurzen Pause stöhnte er wieder los, nur daß es mir jetzt künstlich vorkam.

«Wenn Ihnen vom Biertrinken schlecht ist«, sagte ich energisch,»dann hol ich Ihnen was, damit es Ihnen besser geht, auch wenn Sie verdammt noch mal selbst dran schuld sind.«

Er kugelte sich noch fester zusammen und barg seinen Kopf in den Armen, als wollte er ihn gegen einen Schlag abschirmen. Es war eine Bewegung, die man unmöglich mißdeuten konnte; er fühlte sich nicht nur krank vom Alkohol — er hatte Angst.

Angst war die Fährte, die Julius Apollo Filmer hinterließ; die Spur seines Vorübergehens. Der furchtbar verängstigte Lenny war in der Tat ein vertrauter Anblick.

Ich knöpfte die oberen Knöpfe meines Hemdes auf, so daß der Kragen locker saß, und krempelte die Ärmel hoch, um eine zwanglose Atmosphäre zu schaffen, dann rutschte ich vor, bis ich am Boden saß und mein Kopf in Lennys Höhe war.

«Wenn Sie Bammel haben«, sagte ich klar und deutlich,»kann ich auch dagegen was tun.«

Viel passierte nicht. Er stöhnte ein paarmal und wurde still, und nach längerem Warten sagte ich:»Wollen Sie Hilfe haben oder nicht? Das Angebot ist sauber. Wenn Sie es nicht annehmen, wird das, wovor Sie Angst haben, wahrscheinlich eintreten.«

Nach einer sehr langen Stille drehte er den noch immer umschlungen gehaltenen Kopf, bis ich sein Gesicht sehen konnte. Er hatte gerötete Augen, war knochig, unrasiert und sabberte, und was aus seinem schlaff geöffneten Mund kam, war kein Stöhnen, sondern ein Krächzen.

«Wer zum Teufel sind Sie?«Er hatte einen englischen Akzent und eine aus Gewohnheit streitlustige Art zu reden, die sich mit seinem momentanen Zustand schlecht vertrug.

«Ihr Glück im Unglück«, sagte ich ruhig.;

«Hauen Sie ab«, sagte er.

«Gut. «Ich stand auf.»Schade«, sagte ich.»Bemitleiden Sie sich nur weiter und warten Sie ab, was es Ihnen bringt.«

Ich ging von ihm weg, verschwand aus seinem Blickfeld.

«He«, krächzte er und ließ es wie einen Befehl klingen.

Ich blieb, wo ich war.

«Warten Sie«, sagte er mit Nachdruck.

Ich wartete, ging aber nicht zu ihm zurück. Ich hörte es im Heu rascheln und dann ein echtes Stöhnen, als ihn der Kater packte, und schließlich kam er um die Ecke getorkelt, wobei er sich mit beiden Händen an der grünen Außenwand von Flokatis

Box festhielt. Er blieb stehen, als er mich sah. Glotzend, schwankend, das Rennexpreß-T-Shirt zerrissen und schmutzig, wirkte er dümmlich, erbärmlich und rückgratlos.

«Setzen Sie sich wieder hin«, sagte ich neutral.»Ich bringe Ihnen was.«

Er sackte gegen die grün gestrichene Box, drehte sich schließlich aber um und schlurfte dorthin zurück, woher er gekommen war. Ich ging zu Leslie Brown und fragte sie, ob sie Aspirin habe.

«Aspirin nicht, aber das hier«, sagte sie und holte eine Schachtel aus einer Segeltuchtasche.»Die tun’s vielleicht auch.«

Ich dankte ihr, füllte einen Plastikbecher mit Wasser und schaute nach, wie es Lenny ging. Den Kopf in die Hände gestützt, saß er auf dem Heu wie ein Bild des Elends und sah schon viel normaler aus.

«Trinken Sie. «Ich reichte ihm das Wasser.»Und schlucken Sie die dazu.«

«Sie sagten, Sie könnten mir helfen.«

«Ja. Nehmen Sie erst mal die Tabletten.«

Er war im großen ganzen gewohnt, zu tun, was man ihm sagte, und er mußte wohl auch einigermaßen sein Handwerk verstehen, wenn man ihn mit Laurentide Ice quer durch Kanada geschickt hatte. Er schluckte die Tabletten und trank das Wasser, und natürlich war sein körperliches Unbehagen dadurch nicht gleich wie weggeblasen.

«Ich will raus hier«, sagte er in einem Ausbruch von sinnloser Heftigkeit.»Raus aus dem verdammten Zug. Weg von der ganzen bescheuerten Tour. Und ich hab kein Geld. Ich hab’s verspielt. Es ist futsch.«

«In Ordnung«, sagte ich.»Ich kann Sie rausholen.«

«Ehrlich?«Er war überrascht.

«Ehrlich.«»Wann?«

«In Calgary. Zwei Stunden noch. Dann können Sie gehen. Wohin wollen Sie?«

Er machte große Augen.»Sie nehmen mich auf den Arm«, sagte er.

«Nein. Ich sehe zu, daß man sich um Sie kümmert, und lasse Ihnen eine Fahrkarte ausstellen, wohin Sie möchten.«

Verwirrung trübte die aufkommende Hoffnung in seinem Gesicht.

«Was ist mit dem alten Icy?«sagte er.»Wer kümmert sich um den?«

Zum erstenmal hatte er einen Gedanken geäußert, der nicht von nacktem Selbstmitleid geprägt war, und ich empfand den ersten Funken Mitgefühl.

«Wir besorgen einen anderen Pfleger für Icy«, versprach ich.

«Calgary ist voll von Pferdeleuten.«

So ganz stimmte das nicht. Das Calgary, das ich kannte, war eine der sechs größten Städte Kanadas gewesen, halb so groß wie Montreal, mit ebensoviel Einwohnern wie Zentral-Toronto. Die Zahlen hatten sich inzwischen vielleicht etwas geändert, wahrscheinlich aber nicht sehr. Calgary war kein staubiges Viehdorf im alten Westen, sondern eine wolkenkratzerbestückte moderne Großstadt, die wie eine glitzernde Oase am Rand der Prärie aufragte; und die Stampede, an der ich damals im Juli als Bronco-Reiter teilgenommen hatte, war ein straff organisiertes 10-Tage-Rodeo, veranstaltet in einem Stadion mit gleichzeitig laufendem Kunst- und Bühnenprogramm und allem Pomp und Zubehör großangelegter Touristenunterhaltung. Auf jeden Fall gab es in Calgary aber selbst im Oktober genug Pferdeleute, um einen Pfleger für Laurentide Ice aufzutreiben.

Ich beobachtete, wie Lenny sich entschloß, sein Pferd, seinen Job und die unerträgliche Gegenwart über Bord zu werfen. Aus Sorge, ich könnte die ganze Geschichte verpfuschen, da ich diese Art der Aufklärung noch nie praktiziert hatte, rief ich mir die Richtlinien in Erinnerung, die John Millington für den Umgang mit Leuten wie dem Zimmermädchen in Newmarket aufgestellt hatte. Schutz anbieten, jede Zusage machen, die etwas einbringen könnte; ködern, ermutigen, um Mithilfe bitten.

Um Mithilfe bitten.

«Könnten Sie mir sagen, warum Sie nicht bis Vancouver weiterfahren wollen?«

Ich stellte die Frage ganz beiläufig, doch sie versetzte ihn prompt wieder in panischen Schrecken, wenn auch nicht in die Fötushaltung.

«Nein. «Er bebte vor lauter Angst.»Hauen Sie ab. Das geht Sie einen Dreck an.«

Ohne viel Federlesens entfernte ich mich wieder von ihm, ging aber diesmal weiter weg, vorbei an Leslie Brown, bis an die Ausgangstür.

«Bleiben Sie da«, sagte ich im Vorübergehen zu ihr.»Sie reden kein Wort mit ihm, ja?«

Sie schüttelte den Kopf, verschränkte ihre dünnen Arme über meiner Weste und vor ihrer Brust. Der Drachen, dachte ich flüchtig, ließ sein Feuer ruhen.

«He«, rief Lenny hinter mir.»Kommen Sie zurück.«

Ich drehte mich nicht um.

Er schrie verzweifelt aus vollem Hals:»Ich will von dem Zug runter!«

Es war ein ernstgemeinter Hilferuf, dachte ich.

Langsam ging ich zurück. Er stand zwischen Flokatis Box und der von Sparrowgrass, wankte hin und her, beobachtete mich mit wilden Blicken.

Als ich bei ihm war, sagte ich einfach:»Warum?«»Er bringt mich um, wenn ich es Ihnen sage.«

«Das ist doch Quatsch«, gab ich zurück.

«Ist es nicht. «Seine Stimme war schrill.»Er sagte, dann wär's aus mit mir.«

«Wer hat das gesagt?«

«Er. «Lenny zitterte. Die Drohung war jedenfalls so überzeugend gewesen, daß er an sie glaubte.

«Was heißt, er?«fragte ich.»Einer von den Besitzern?«

Er sah mich verständnislos an, als redete ich chinesisch.

«Was heißt, er?«fragte ich nochmals.

«Irgend so ein Typ… ich hatte ihn noch nie gesehen.«

«Kommen Sie«, sagte ich beruhigend,»wir gehen wieder nach hinten, setzen uns aufs Heu, und Sie erzählen mir, weshalb er gesagt hat, er würde Sie umbringen. «Ich deutete über seine Schultern weg auf die Heuballen, und erschöpft stolperte er gehorsam zu ihnen hin und sackte zu einem kläglichen Häufchen zusammen.

«Wie hat er Ihnen Angst gemacht?«sagte ich.

«Er kam… zu den Ställen… hat nach mir gefragt.«

«Namentlich nach Ihnen gefragt?«

Er nickte bedrückt.

«Wann war das?«

«Gestern«, sagte er heiser.»Während der Rennen.«

«Weiter.«

«Er sagte, er wüßte, daß das Futter vom alten Icy in numerierten Säcken ist. «Lenny hörte sich gekränkt an.»Na, das war ja kein Geheimnis, oder?«

«Nein«, sagte ich.

«Er sagte, er wüßte auch, warum… weil das andere Pferd von Mrs. Quentin gestorben ist…«Lenny schwieg und sah aus, als habe sich ein Abgrund vor ihm aufgetan.»Auf einmal fing er an, ich wär's gewesen…«

«Was denn?«

Lenny schwieg.

«Sagte er, Sie hätten das andere Pferd von Mrs. Quentin vergiftet?«tippte ich an.

«Hab ich doch gar nicht. Woher denn?«Er war hocherregt.

«Hab ich wirklich nicht.«

«Aber der Mann sagte, Sie hätten das getan?«

«Er sagte, dafür würde ich ins Gefängnis kommen, und >mit Jungens wie dir machen sie schlimme Sachen im Gefängnis<. «Er fröstelte.»Ich weiß schon, was da läuft. Und er sagte… >Willst du dir vielleicht Aids einfangen? Das kriegst du nämlich im Gefängnis, so ’n hübscher Junge wie du.<«

Hübsch sah er in dem Moment nicht aus.

«Und dann?«half ich nach.

«Na ja, ich… Also, ich…«Er schluckte.»Ich sagte, ich hätte das nicht getan, ich wär's nicht gewesen… und er blieb dabei, daß ich ins Gefängnis kommen und Aids kriegen würde, und hörte gar nicht mehr auf… und da sagte ich ihm… ich sagte ihm.«

«Was sagten Sie ihm?«

«Sie ist nett, die Frau«, jammerte er.»Ich wollte es nicht… er hat mich dazu gezwungen.«

«War es Mrs. Quentin«, fragte ich behutsam,»die ihr Pferd vergiftet hat?«

Er sagte unglücklich:»Ja. Nein. Also… sie gab mir so einen Sack mit Leckereien… es wären Pferdekuchen, sagte sie… und die sollte ich ihrem Pferd geben, wenn keiner hinsah… Ich hab nämlich das Pferd sonst nicht versorgt, das war ein anderer Pfleger. Also gab ich ihrem Pferd die Pferdekuchen irgendwie heimlich, und es kriegte eine Kolik und quoll auf und starb. Na ja, ich hab sie hinterher gefragt. Ich hatte ja solche Angst… aber sie sagte, es wäre einfach furchtbar, sie hätte nicht geahnt, daß ihr geliebtes Pferd davon eine Kolik bekommt. Wir wollen das mal für uns behalten, sagte sie und gab mir hundert Dollar, und ich hielt dicht… ich wollte nicht, daß man mir die Schuld zuschiebt, verstehen Sie?«

Ich verstand.

Ich sagte:»Und wie hat der Mann reagiert, als Sie ihm von den Pferdekuchen erzählt haben?«

Lenny sah niedergeschlagen drein.»Gegrinst hat er, wie ein Haifisch… nichts als Zähne… und er sagte… wenn ich irgendwem auch nur ein Wort von ihm erzähle… sorgt er dafür, daß ich… daß ich…«er beendete den Satz mit einem Flüstern,»Aids bekomme.«

Ich seufzte.»War das die Drohung, wie er Sie umbringen will?«

Er nickte schwach, als wäre er fix und fertig.

«Wie sah er aus?«fragte ich.

«Wie mein Dad. «Er hielt inne.»Ich konnte meinen Dad nicht ausstehen.«

«Hörte er sich auch an wie Ihr Dad?«fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.»Das war kein Brite.«

«Kanadier?«

«Oder Amerikaner.«

«Gut«, sagte ich, da mir die Fragen ausgingen,»ich werde dafür sorgen, daß Sie kein Aids bekommen. «Ich dachte nach.»Bleiben Sie hier im Wagen, bis wir in Calgary sind. Miss Brown läßt Ihnen von einem anderen Pfleger Ihre Tasche bringen. Der Pferdewaggon wird in Calgary abgehängt, und die Pferde werden per Transporter für zwei Tage in einen Stall geschafft. Da fahren alle Pfleger mit, wie Sie sicher wissen. Sie fahren auch mit ihnen. Und keine Sorge. Es wird Sie jemand abholen, und der bringt einen anderen Pfleger für Icy mit. «Ich hielt inne, um zu sehen, ob er verstand, doch es hatte ganz den Anschein.»Wohin wollen Sie von Calgary aus?«

«Ich weiß nicht«, sagte er dumpf.»Muß ich mir überlegen.«

«In Ordnung. Wenn dieser Jemand Sie holen kommt, sagen Sie ihm, was Sie wollen.«

Er sah mich halbwegs verwundert an.»Was kümmert Sie das alles?«fragte er.

«Ich mag keine Angstmacher.«

Er schauderte.»Mein Dad hat den Leuten fürchterlich Angst eingejagt… und mir und Mum… und einer hat ihn niedergestochen, ihn umgebracht… geschah ihm recht. «Er schwieg.»Keiner hat je den Leuten geholfen, die er verängstigt hat. «Er schwieg wieder, rang nach dem ungewohnten Wort und sprach es aus.

«Danke.«

Mit vorschriftsmäßig geordneten Knöpfen und Krawatte kehrte Tommy in den Speisewagen zurück. Zak beendete gerade eine Szene, in welcher Ben, der alte Pfleger, der Raoul auf dem Bahnhof Toronto um Geld angehauen hatte, aus dem Rennbahnbesucherabschnitt des Zuges herbeizitiert worden war, um Raoul durch die (falsche) Aussage zu belasten, er habe die Pferde der Bricknells gedopt — ein Vorwurf, den Raoul, der es fertigbrachte, zugleich rechtschaffen und vielleicht doch schuldig auszusehen, glatt von sich wies. Im großen ganzen fand schließlich Raoul mehr Sympathie, da Ben so gehässig herumquengelte, und Zak teilte allen mit, daß am Abend ein Ungemein Wichtiger Zeuge nach Chateau Lake Louise kommen werde, um Vernichtendes Zeugnis abzulegen. Gegen wen? fragten einige. Ah, meinte Zak geheimnisvoll, als er in Richtung Gang entschwand, das werde allein die Zeit lehren.

Emil, Oliver, Cathy und ich deckten die Mittagstische und servierten die drei Gänge. Filmer kreuzte nicht auf, aber Daffodil kam, noch immer wütend und erschüttert wie beim Frühstück. Ihre Koffer waren offenbar gepackt, und sie bestand darauf, die Gruppe in Calgary zu verlassen. Anscheinend hatte niemand aus ihr herausbekommen können, was eigentlich los war, und die Beziehungskrachtheorie hatte an Boden gewonnen.

Ich servierte vorsichtig Wein und hörte zu, aber die meisten Leute beschäftigten sich eher mit der reizvollen Aussicht auf zwei Tage in den Bergen als mit Daffodils Problemen.

Als Calgary wie spitze weiße Nadeln am Horizont der Prärie auftauchte und alle plötzlich aufgeregt mit dem Finger deuteten, sagte ich Emil, ich würde mich bemühen, zum Geschirrspülen zurückzusein, und trabte durch den Zug zu Georges Büro.

Ob das Kreditkartentelefon in Calgary funktioniere? Ja, sicher. Er winkte mich an den Apparat, als der Zug verlangsamte, und sagte, ich hätte fünfzig Minuten Zeit. Er selbst werde wie üblich draußen sein und Aufsicht führen.

Ich erreichte Mrs. Baudelaire, die unbeschwert und wie sechzehn klang.

«Ihr Foto ist unterwegs«, sagte sie ohne Vorrede.»Aber es wird nicht rechtzeitig in Calgary sein. Am Spätnachmittag fährt jemand von Calgary nach Chateau Lake Louise und bringt es Ihrer Miss Richmond.«

«Großartig«, sagte ich.»Danke.«

«Aber leider gibt es keine Mitteilung von Val Catto wegen Ihrer Zahlen.«

«Läßt sich nicht ändern.«

«Sonst noch was?«fragte sie.

«Ja«, sagte ich.»Ich müßte Bill direkt sprechen.«

«Wie schade. Mir macht das Spaß hier.«

«Oh«, sagte ich.»Bitte… mir doch auch. Nur ist es diesmal mit einer Nachricht oder mit Frage und Antwort nicht getan. Die

Sache ist lang… und verwickelt.«

«Mein lieber junger Mann, entschuldigen Sie sich nicht. Vor zehn Minuten war Bill noch in Winnipeg. Ich rufe ihn sofort an. Haben Sie eine Nummer?«

«Hm, ja. «Ich gab ihr die Nummer des Zugtelefons durch.»Je eher, desto besser, würden Sie ihm das sagen?«

«Bis demnächst«, sagte sie und verschwand.

Unruhig saß ich zehn Minuten ab, bevor das Telefon klingelte.

Bills tiefe Stimme schallte mir ins Ohr.»Wo sind Sie?«

«Im Zug, auf dem Bahnhof Calgary.«

«Meine Mutter sagt, es sei dringend.«

«Ja, aber vor allem, weil dieses Funktelefon im Büro des Zugchefs steht und nur in Städten funktioniert.«

«Verstanden«, sagte er.»Schießen Sie los.«

Ich berichtete ihm von Daffodils Abreise und Lenny Higgs’ Nervenzusammenbruch; von dem, was sie verschwieg und was er gesagt hatte.

Schließlich fragte Bill Baudelaire:»Habe ich Sie richtig verstanden? Dieser Lenny Higgs sagt, Daffodil Quentin hat ihn veranlaßt, ihr Pferd mit etwas zu füttern, wovon das Pferd eine Kolik bekam und starb?«

«Sieht stark nach Ursache und Wirkung aus, aber der Zusammenhang dürfte unbeweisbar sein.«

«Ja. Man hat eine Autopsie vorgenommen und nicht feststellen können, was die Kolik verursacht hat. Es war ihr drittes totes Pferd. Die Versicherungsgesellschaft war sehr mißtrauisch, mußte aber zahlen.«

«Lenny sagt, sie habe ihm erzählt, sie würde ihren lieben Pferden niemals etwas antun, hat ihm aber hundert Dollar zugesteckt, damit er den Mund hält.«

Bill stöhnte.

«Aber«, sagte ich,»der Grund dafür könnte auch gewesen sein, daß sie schon zwei tote Pferde hatte und befürchtete, alle würden genau das denken, was sie ohnehin dachten.«

«Wahrscheinlich«, meinte er.»Wo stehen wir jetzt also?«

«Ausgehend von früheren Erfahrungen«, sagte ich,»und ohne etwas behaupten zu wollen, würde ich annehmen, unser Kandidat hat Daffodil gestern nach Mitternacht wissen lassen, daß ihr Pfleger alles ausgeplaudert hat und auf Bestellung auch in der Öffentlichkeit plaudern wird und daß sie allerwenigstens damit rechnen muß, von der Rennbahn verwiesen zu werden, es sei denn, sie verkauft ihm… oder schenkt ihm… ihren Restanteil an Laurentide Ice.«

Er sagte düster:»Sie kennen ihn ja alle besser als ich, aber ich könnte mir schon denken, daß Sie recht haben. Wenn er vor dem Rennen in Vancouver die Änderung der Teilhaberschaft beantragt, werden wir es genau wissen.«

«M-hm«, stimmte ich zu.»Nun, vielleicht könnten Sie — die Rennsportkommission von Ontario — trotz Zweifels davon ausgehen, daß Daffodil unschuldig ist, was ihre Pferde betrifft. Sie kennen sie natürlich besser als ich, aber mir scheint, sie ist nicht vorsätzlich böse, sondern eher dumm… Ich meine, sie hat etwas Unreifes an sich, auch wenn sie schon fünfzig oder älter ist… und manch einer findet es nicht gar so schlimm, eine Versicherung zu betrügen, das tun auch ganz ehrbare Leute schon mal… und früher oder später wären die drei Pferde ja doch eingeschläfert worden, nicht wahr? Jedenfalls will ich sie nicht entschuldigen, wenn sie es getan hat, sondern nur erklären, wie sie vielleicht darüber denkt…«

«Sie haben sie erstaunlich gut kennengelernt.«

«Ehm… ich habe nur… aufgepaßt.«

«M-hm«, meinte er trocken.»Val Catto sagte mir, daß Ihnen wenig entgeht.«

«Nun… ich, äh, ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen, aber ich dachte, wenn wir Lenny Higgs sozusagen entfernen, so daß er nicht mehr bedroht werden kann und auch für Daffodil keine Bedrohung mehr darstellt, und wenn Sie ihr irgendwie sagen könnten, daß Lenny Higgs verschwunden ist und nichts, aber auch gar nichts ausplaudern wird — falls sich das mit Ihrem Gewissen vereinbaren läßt —, dann braucht sie ihren halben Anteil doch nicht abzutreten, und wir haben zumindest einen der schmutzigen Pläne unseres Kandidaten vereitelt. Und das ist doch mein Auftrag, nicht?«

Er atmete tief aus, mit einem langgezogenen Pfeifen.

Ich blieb am Apparat und wartete.

«Ist Lenny Higgs noch im Zug?«fragte er schließlich.

«Wenn er nicht den Kopf verliert, fährt er mit den anderen Pflegern und den Pferden hier zu den Stallungen. Ich sagte ihm, jemand werde ihn abholen und sich um ihn kümmern und ihm einen Freifahrschein geben, wo immer er hinwill.«

«Nun mal langsam.«

«Es ist das wenigste, was wir tun können. Ich meine aber, wir sollten dranbleiben und definitiv sein endgültiges Reiseziel kennen, ihm dort sogar eine Stelle verschaffen, weil wir unsererseits vielleicht möchten, daß er gegen den Mann, der ihm Angst gemacht hat, aussagt. In dem Fall wollen wir ihn doch nicht weltweit suchen. Wenn Sie also jemand schicken können, der ihm hilft, dann soll der einen Abzug des Fotos mitbringen, das Sie für mich haben entwickeln lassen. Ich bin ziemlich sicher, daß das der Mann ist, der ihn eingeschüchtert hat. Wenn ja, wird Lenny der kalte Schweiß ausbrechen.«

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