Samstag abend und am frühen Sonntagmorgen packte ich zwei Taschen — den neuen Koffer aus England und eine handlichere Reisetasche, erstanden in Toronto.
In den Koffer steckte ich den Anzug des reichen jungen Besitzers, den Kaschmirpullover und soundsoviel schicke Hemden, in die Tasche die neuen, jugendlicheren Kleider für den dienstfreien Tommy, Jeans, Sweatshirts, Strickmütze und Turnschuhe. Ich packte auch den Norwegerpullover, den ich in Woodbine getragen hatte, für alle Fälle in den Koffer, da man sich an ihn hätte erinnern können, und zog eine dunkle Hose, ein Hemd mit offenem Kragen und einen marineblauen Blouson mit Reißverschluß und hellblauen Streifen an Taille und Handgelenken an.
Des reichen jungen Besitzers teure braune Schuhe kamen weg. Tommy hatte, den Anweisungen der Uniformabteilung entsprechend, funkelnagelneue schwarze, mit schwarzen Socken dazu.
In Tommys Tasche kamen die Fernglaskamera und der Frisierstab (man konnte nie wissen), und die Feuerzeugkamera steckte ich wie immer ein. Tommy hatte auch den Rasierapparat und die Zahnbürste des reichen jungen Besitzers, ebenso seine Unterwäsche, Schlafanzüge und einen Vorrat an neuen Filmen. An dem Koffer, der meinen Paß enthielt, war ein Gepäckanhänger mit der Anschrift des Four Seasons in Vancouver; die Reisetasche war überhaupt nicht gekennzeichnet. Als alles fertig war, rief ich Brigadier Catto an und berichtete ihm von Daffodil Quentin und der rührenden kleinen Szene auf dem Absattelplatz für den Sieger.
«Verdammt!«sagte er.»Warum passiert das bloß immer? Absolut die Falsche, die da gewonnen hat.«
«Die breite Öffentlichkeit hat es offenbar nicht gestört. Das Pferd war dritter Favorit, ziemlich gut gesetzt. Daffodil Quentin scheint für die anderen Besitzer akzeptabel zu sein, die allerdings wohl nichts von ihren drei toten Pferden wissen. Filmer wird bei ihnen auch ankommen, Sie wissen ja, wie höflich und kultiviert er wirken kann, und ich glaube nicht, daß der Prozeß hier viel Beachtung gefunden hat, da er fast gescheitert ist, bevor er anfing. Jedenfalls haben Filmer und Daffodil den Rennplatz gemeinsam verlassen, und zwar in einem Wagen mit Chauffeur, der aussah, als ob er ihr gehörte.«
«Schade, daß Sie ihnen nicht folgen konnten.«
«Doch, bin ich sogar, in einem Mietwagen. Sie fuhren zu dem Hotel, in dem Filmer und die anderen Besitzer aus dem Zug wohnen, und gingen in der Bar etwas trinken. Danach fuhr Daffodil in ihrem Rolls weg, und Filmer ging nach oben. Nichts Besonderes. Er sah entspannt aus.«
Der Brigadier sagte:»Sind Sie sicher, daß er Sie in dem Hotel nicht bemerkt hat?«
«Ganz sicher. Die Eingangshalle des Hotels war allein schon so groß wie ein Bahnhof. Dutzende von Leuten saßen da und warteten auf andere. Es war einfach.«
Es war sogar einfach gewesen, ihnen von der Rennbahn aus zu folgen, denn als ich zum Standplatz meines Fahrers hinausging, konnte ich von weitem genau sehen, wie Daffodil von Filmer und ihrem Chauffeur in einen königsblauen Rolls-Royce verladen wurde. Mein Fahrer erklärte sich — mit hochgezogenen Brauen zwar, aber ohne Fragen zu stellen — bereit, den Rolls solange wie möglich im Blick zu behalten, und das tat er problemlos bis in die Innenstadt. Am Hotel zahlte ich ihm den Fahrpreis plus einen Zuschlag auf die Hand, schickte ihn weiter und sah Filmers Rückansicht gerade noch in eine dunkle Bar entschwinden, als ich die große Haupthalle betrat.
Es war eine Übung ohne sonderlichen Ertrag gewesen, aber so ging es mir an vielen Tagen, und nur im Vergleich mit dem Normalen erkannte man das Unnormale, wenn es geschah.
«Könnten Sie mir vielleicht sagen«, bat ich zögernd den Brigadier,»ob Filmer definitiv gedroht hat, diesen Zug lahmzulegen?«
Schweigen folgte, dann:»Wieso fragen Sie?«
«Bill Baudelaire hat da so etwas angedeutet.«
Nach einer Pause antwortete er:»Filmer kochte vor Wut. Er sagte, die Rennsportbehörden der Welt könnten ihn drangsalieren, wie sie wollten, er werde ihnen doch dafür einen Knüppel zwischen die Beine werfen, und sie würden es bereuen.«
«Wann hat er das gesagt?«fragte ich.»Und weshalb… und zu wem?«
«Nun, ehm…«Er zögerte und seufzte.»Manchmal geht eben was schief. Nach dem Freispruch rief die
Disziplinarkommission des Jockey Club Filmer zum Portland Square, um ihn im Hinblick auf sein künftiges Verhalten zu ermahnen, und Filmer sagte, sie könnten ihm nichts anhaben, und war überhaupt unerträglich arrogant. Daher verlor einer aus der Kommission die Geduld und sagte Filmer, er sei der letzte Dreck und niemand im Rennsport werde ruhig schlafen, bevor er Rennbahnverbot habe, das sei das vordringlichste Anliegen der Rennsportbehörden der Welt.«
«Das ist wohl leicht übertrieben«, bemerkte ich, meinerseits seufzend.»Ich nehme an, Sie waren dabei?«
«Ja. Man hätte den Zorn auf beiden Seiten mit dem Messer schneiden können. Abscheulich, das Ganze.«
«Demnach«, sagte ich bedauernd,»könnte Filmer den Zug tatsächlich als Zielscheibe betrachten.«
«Könnte er.«
Die Mühe und die Kosten, die er auf sich genommen hatte, um in den Zug zu kommen, dachte ich, erschienen immer unheilvoller.
«Da ist noch etwas, das Sie vielleicht wissen sollten«, sagte der Brigadier.»John sah gestern in Newmarket Ivor Horfitz’ Sohn Jason vor dem Waageraum herumlungern und hat ein Wörtchen mit ihm geredet.«
Wenn Millington ein Wörtchen mit Leuten redete, konnte es Wochen dauern, bis sie sich davon erholten. Auf seine Weise konnte er ebenso furchteinflößend sein wie Derry Welfram oder Filmer selbst.
«Was geschah?«fragte ich.
«John setzte ihm auseinander, wie unklug es sei, auf Rennbahnen Botengänge für seinen gesperrten Vater zu erledigen, und sagte ihm, wenn er irgendwelche Informationen habe, solle er sie an ihn, John Millington, weitergeben. Worauf Jason Horfitz anscheinend sagte, er gebe die Informationen, die er habe, an überhaupt niemand weiter, da er nicht in einem Straßengraben enden wolle.«
«Was?« sagte ich.
«John Millington stürzte sich darauf, kriegte aber kein Wort mehr aus dem verdammten Jason raus. Der bekam Fracksausen und ist buchstäblich davongeflattert, sagt John.«
«Weiß Jason wirklich«, sagte ich langsam,»was Paul Shacklebury wußte? Hat er Paul Shacklebury das gesagt, was er wußte? Oder war es nur eine Redensart?«
«Gott weiß. John arbeitet daran.«
«Hat er Jason gefragt, was in dem Aktenkoffer war?«
«Ja, aber entweder weiß Jason das nicht, oder er hatte zuviel Angst, um zu reden. John sagt, er war schon entsetzt, daß wir überhaupt von der Tasche wußten. Er konnte es nicht fassen.«
«Ob er es seinem Vater sagt?«
«Nicht, wenn er vernünftig ist.«
Er war nicht vernünftig, dachte ich, aber er hatte Angst, und die war als Lebensretter fast genauso gut.
«Wenn ich wieder etwas höre«, sagte der Brigadier,»hinterlasse ich eine Nachricht bei…«seine Stimme mißbilligte es immer noch,»… bei Mrs. Baudelaire senior. Davon abgesehen. viel Glück.«
Ich dankte ihm, hängte ein und setzte mich ziemlich guter Dinge mit meinen beiden Taschen in ein Taxi zur Union Station.
Das Zugpersonal sammelte sich bereits im Umkleideraum, als ich dort eintraf und mich als Tommy der Schauspieler vorstellte.
Sie lächelten und waren großzügig. Sie hätten immer Spaß an den Krimi-Reisen, sagten sie, und hätten schon mal mit einem Darsteller in ihren Reihen gearbeitet. Alles werde gutgehen, ich würde schon sehen.
Der Oberkellner, Obersteward, Servicechef, wie immer er sich nun nannte, war ein adretter kleiner Franzose namens Emil. Ende Dreißig vielleicht, dachte ich, mit dunklen, leuchtenden Augen.
«Sprechen Sie Französisch?«fragte er als erstes, als er mir die Hand gab.»Alle VIA-Angestellten müssen Französisch sprechen können. Das ist Vorschrift.«
«Ich kann ein bißchen«, sagte ich.
«Dann ist es gut. Der letzte Schauspieler konnte nämlich keins. Diesmal ist der Küchenmeister aus Montreal, und es kann sein, daß wir in der Küche französisch sprechen.«
Ich nickte und sagte ihm nicht, daß, von der Schulzeit abgesehen, mein Umgangsfranzösisch aus Ställen, nicht aus Küchen stammte und wahrscheinlich sowieso eingerostet war. Aber ich hatte auf meinen Reisen mehrere Sprachen halbwegs gelernt, und irgendwie schienen sie mir gleich wieder geläufig, sobald ich einen Fuß auf den entsprechenden Boden setzte. Im zweisprachigen Kanada war alles auf englisch wie auf französisch geschrieben, und mir kam zum Bewußtsein, daß ich seit meiner Ankunft das Französische mühelos gelesen hatte.
«Haben Sie schon mal in einem Restaurant gearbeitet?«fragte Emil.
«Nein.«
Er zuckte gutmütig die Achseln.»Ich werde Ihnen zeigen, wie man die Gedecke auflegt, und heute morgen werden Sie vielleicht erst mal nur Wasser servieren. Wenn Sie etwas einschenken, während der Zug fährt, gießen Sie es nach und nach in kleinen Mengen ein und halten die Tasse oder das Glas dicht an sich. Verstehen Sie? Man muß immer aufpassen, mit kleinen Bewegungen arbeiten.«
«Ich verstehe«, sagte ich, und so war es auch.
Er drückte mir einen Fahrplan in die Hand:»Sie müssen wissen, wo wir anhalten. Die Fahrgäste fragen ständig danach.«
«Okay. Danke.«
Er nickte wohlwollend.
Ich zog mir Tommys Uniform an und lernte ein paar andere vom Personal kennen: Oliver, der wie ich Kellner im Sonderspeisewagen war, und mehrere von den Schlafwagenstewards, einer pro Wagen, über die ganze Länge des Zuges. Dann war da noch ein lächelnder chinesischer Herr, der im vorderen Speisewagen kochte, wo unter anderem die Stallangestellten essen würden, und ein nicht lächelnder Kanadier, der im mittleren, dem Hauptspeisewagen für die Masse der Rennbahnbesucher und das Personal selbst kochen würde. Der französische Küchenchef aus Montreal war, wie ich bald erfuhr, eine Sie und deshalb wohl nur im Damenumkleideraum zu finden.
Jeder legte die ganze Uniform einschließlich des grauen Regenmantels an, und auch ich zog meinen Regenmantel über; ich packte Tommys Reservekleidung und meine eigenen Sachen in die Reisetasche und war fertig.
Nell hatte gesagt, sie werde sich an diesem Sonntagmorgen im Cafe in der Großen Halle mit mir treffen, und mir erklärt, daß das Personal dort oft bis zur Ankunft der Züge wartete. Also ging ich, begleitet von Emil und einigen anderen, mit meinem Gepäck in das Cafe, wo alle sich unverzüglich riesige Stücke Karottenkuchen bestellten, die Spezialität des Hauses, als befürchteten sie eine Hungersnot.
Nell war nicht da, aber Zak und noch ein paar andere Schauspieler; sie saßen zu je vier an einem Tisch, tranken dünnen Orangensaft und aßen keinen Karottenkuchen wegen der Kalorien.
Zak sagte, Nell sei bei den Passagieren im Empfangsbereich, und er wolle gleich mal nachsehen, wie die Sache sich dort anließ.
«Sie sagte was von einem Koffer, den Sie im Gepäckwagen nach Vancouver mitnehmen möchten«, setzte er im Aufstehen hinzu.
«Ja, den hier.«
«Gut. Sie sollen ihn mit rüber zu den Passagieren bringen. Ich zeige es Ihnen.«
Ich nickte, sagte Emil, ich käme wieder, und folgte Zak durch die Große Halle um ein, zwei Ecken und gelangte zu einer Ansammlung von durcheinanderschwatzenden Leuten in einem Bereich ähnlich der Abflughalle eines Flughafens.
Ein riesiges, auf Latten gezogenes Spruchband ließ niemanden im unklaren. Über eine Breite von gut vier Metern stand dort Rot auf Weiß DER GROSSE TRANSKONTINENTALE ERLEBNIS- UND RENNEXPRESS und darunter, in wesentlich kleinerer blauer Schrift, DER ONTARIO JOCKEY CLUB, MERRY & CO UND VIA RAIL VERANSTALTEN EIN FESTIVAL FÜR DEN KANADISCHEN RENN-SPORT.
Die rund vierzig Passagiere, die schon in freudiger Erwartung versammelt waren, hatten Namensschilder und Nelken anstecken und hielten gutgelaunt Gläser mit Orangensaft in den Händen.
«Eigentlich sollte Sekt in dem Orangensaft sein«, sagte Zak trocken.»Ist aber nicht. Hängt mit dem Sonntagsschankgesetz zusammen. «Er suchte von unserem Standort, etwa zwanzig Schritte entfernt im Bahnhofsinneren, die Menge mit den Augen ab.»Da geht Ben ans Werk, sehen Sie? Er bittet Raoul, ihm Geld zu borgen.«
Ich konnte es tatsächlich sehen. Es wirkte unglaublich echt. Die Umstehenden sahen empört und peinlich berührt aus.
Zak nickte neben mir mit seinem Wuschelkopf und hatte angefangen, ziemlich rasch mit den Fingern zu schnippen. Ich spürte förmlich, wie die Energie ihn durchlief, jetzt wo das Spiel zum Leben erwachte, und ich sah, daß er sich angemalt hatte; nicht mit Fettschminke oder sonst was Grellem, nur die Augenbrauen waren dunkler und dichter gezeichnet und dunkler auch der Mund; man konnte eher von Betonung als von Maske sprechen. Ein Schauspieler in der Kulisse, dachte ich, der seine Kräfte sammelte.
Ich entdeckte Mavis und Walter Bricknell, nervös und unruhig wie geplant, und sah und hörte Angelica fragen, ob jemand Steve gesehen hatte.
«Wer ist Steve?«fragte ich Zak.»Ich hab’s vergessen.«
«Ihr Liebhaber. Er verpaßt den Zug.«
Pierre und Donna fingen mit ihrem Streit an, was eine andere Gruppe von Fahrgästen in Verlegenheit brachte. Zak lachte.
«Gut«, sagte er,»das läuft prima.«
Giles-der-Mörder, der im Cafe gewesen war, schlenderte jetzt in das Gedränge hinein und benahm sich furchtbar nett gegenüber ein paar alten Damen. Zak schnippte noch schneller mit den Fingern und begann zu summen.
Die Menge teilte und verlagerte sich ein wenig, und durch die Lücke sah ich Julius Apollo Filmer, einen weiteren Mörder, der furchtbar nett zu einer nicht so alten Dame, nämlich Daffodil Quentin, war.
Fast ehrfürchtig, fast zitternd atmete ich durch. Jetzt, wo es richtig losging, wo ich nah bei ihm sein würde, fühlte ich mich ebenso erregt und mit Tatkraft erfüllt wie Zak, und sicher quälte uns beide der Gedanke, daß nichts schiefgehen durfte.
Daffodil tätschelte Filmer neckisch die Hand.
Igitt, dachte ich.
Ben der Schauspieler erschien neben ihnen und zog seine Nummer ab, und ich sah, wie Filmer sich kühl zu ihm umdrehte, sah, wie sein Mund die unmißverständlichen Worte formte:»Gehen Sie weg.«
Ben zog sich zurück. Sehr klug, dachte ich. Die Reihen schlossen sich wieder, verbargen Filmer und seine Narzisse, und erst als die Verkrampfung in meinen Muskeln nachließ, wurde mir bewußt, daß ich sie überhaupt angespannt hatte. Da mußt du aufpassen, dachte ich.
Die Lorrimores waren eingetroffen, jeder mit dem Gesichtsausdruck von gestern: freundlich, distanziert,hochnäsig, schmollend. Mercer war mit dem Herzen dabei, Bambi auch, aber etwas unterkühlt. Sheridan sah aus, als wähnte er sich zu Besuch in den Slums. Die junge Tochter Xanthe hätte recht hübsch sein können, wenn sie gelächelt hätte.
James Winterbourne der Schauspieler hatte seinen roten Filzhut daheimgelassen, den Stoppelbart abrasiert und wanderte gastfreundlich plaudernd umher in seiner Rolle als Mitglied des Jockey Club. Und auch der echte Jockey Club, sah ich, war vertreten in der Person Bill Baudelaires, der sich mit einem oder zwei Besitzern, die ihn kannten, unterhielt. Ich fragte mich, ob er sich ärgern würde, wenn er mich nicht unter den Fahrgästen sah, und hoffte, er trug es mit Fassung.
Nell tauchte aus dem Lärm der Menge auf und kam, ein Klemmbrett an die Brust gedrückt, mit strahlenden Augen zu uns herüber. Sie trug wieder ein strenges Kostüm, grau diesmal, über einer weißen Bluse, hatte aber, vielleicht dem Anlaß zu Ehren, eine lange, gewundene Schnur mir Korallen, Perlen und Kristallen hinzugefügt.»Es passiert wirklich«, sagte sie.»Kaum zu glauben nach all den Monaten. Ich werde euch beiden keinen Kuß geben, da ich euch offiziell noch gar nicht kenne, aber betrachtet euch als geküßt. Alles läuft gut. Pierre und Donna fetzen sich traumhaft. Wie schafft sie das nur, zu heulen, wann immer sie will? Ist das der Koffer nach Vancouver? Stellen Sie ihn da drüben zu den anderen, die in den Gepäckwagen kommen. Mercer Lorrimore ist nett, was mich sehr beruhigt. Bis jetzt ist kein Unglück geschehen, aber das kommt sicher noch. Ich bin so in Stimmung, und dabei ist gar kein Sekt in dem Orangensaft.«
Sie hielt ein, schöpfte Atem, lachte, und ich sagte:»Nell, wenn Bill Baudelaire Sie fragt, ob ich hier bin, bejahen Sie es nur, sagen Sie nicht, wo.«
Sie war verwirrt, hatte aber keine Zeit zu diskutieren.»Na ja… okay.«
«Danke.«
Sie nickte und wollte sich wieder den Fahrgästen widmen, doch der James-Winterbourne-Darsteller kam herüber, um mit ihr und Zak zu reden.
«Also wirklich«, beklagte er sich.»Jetzt ist der echte Präsident des Ontario Jockey Club aufgetaucht und übernimmt die Bonvoyage-Kiste selber. Ich bin arbeitslos.«
«Wir haben ihn zuerst gefragt«, sagte Nell.»Wir hatten es gleich zu Anfang vorgeschlagen, ehe das Ganze so groß wurde. Er hat offenbar entschieden, daß er doch dabeisein sollte.«»Ja, aber… was ist mit meiner Gage?«
«Die bekommen Sie«, sagte Zak resigniert.»Gehen Sie halt wieder hin, lassen Sie die Sonne scheinen und sagen Sie allen, was für eine tolle Reise sie erwartet.«
«Hab ich doch schon gemacht«, brummte er, kehrte aber gehorsam zu seiner Arbeit zurück.
«Wenn mich nicht alles täuscht«, sagte Nell stirnrunzelnd,»bin ich die Tage benachrichtigt worden, daß der Präsident kommt, aber ich wußte nicht, daß er gemeint war. Ich wußte nicht, um wen es ging. Die Nachricht wurde mir hinterlassen, als ich außer Haus war: >Der Oberst kommt. < Ich kannte keinen Obersten. Ist der Präsident ein Oberst?«
«Ja«, sagte ich.
«Na, ist ja nichts passiert. Ich schau besser mal, ob er was braucht. «Gelassen ging sie davon.
Zak seufzte.»Die Gage hätte ich mir sparen können.«
«Wie meinen Sie das?«
«Oh, Merry & Co gibt mir einen Pauschalbetrag für die KrimiAufführung. Ich engagiere die Schauspieler und bezahle sie, und was am Ende übrig bleibt, gehört mir. Nicht viel manchmal.«
Stimmen erhoben sich plötzlich in der Menge drüben; die Leute liefen auseinander, räumten die Mitte des Platzes und verstummten. Zak und ich gingen unwillkürlich näher heran, er vor mir, ich in seinem Schatten.
Ausgestreckt am Boden lag der Schauspieler Raoul, während Donna und Pierre sich bückten, um ihm aufzuhelfen. Raoul fuhr sich über die Nase, und alle konnten den scharlachroten Streifen auf seinem Handrücken sehen.
Mavis Bricknell sagte laut und entrüstet:»Er hat ihn geschlagen. Er hat ihn geschlagen. Der junge Mann da hat unseren Trainer ins Gesicht gehauen. Er hatte kein Recht, ihn niederzuschlagen.«
Sie wies auf Sheridan Lorrimore, der der Szene den Rücken gekehrt hatte.
Ich blickte Aufklärung heischend Zak an.
«Das«, sagte er verdutzt,»stand nicht im Manuskript.«
Nell bügelte es aus.
Sheridan Lorrimore war nicht zu überhören, als er wütend zu seinem Vater sagte:»Wie zum Teufel sollte ich wissen, daß die geschauspielert haben? Der Kerl war lästig. Da hab ich ihm paar geknallt. Er hat’s verdient. Das Mädchen war am Heulen, und er hat mich bedrängt, mich angerempelt. Das hat mir nicht gepaßt.«
Sein Vater murmelte etwas.
«Entschuldigen?«sagte Sheridan mit hoher Stimme.»Entsch — ach, na schön. Ich entschuldige mich. Reicht das?«
Mercer zog ihn mit sich in eine Ecke, und langsam, zögernd kehrte die allgemeine gute Laune zurück. Pierre, Donna und Raoul ernteten ironisches Lob für die Kraft und Wirksamkeit ihrer Schauspielerei, und Raoul warb um Mitgefühl, gab sich großmütig verzeihend, hielt sich ein Taschentuch an die Nase und untersuchte es auf Blut, aber viel schien nicht dran zu sein.
Zak fluchte und sagte, eigentlich hätte Pierre zu einem etwas späteren Zeitpunkt Raoul zu Boden schlagen sollen, und das müßten sie jetzt ändern. Ich ließ ihn mit seinen Problemen allein, da die Zeit nahte, wo das Personal in den Zug steigen sollte, und Emil hatte mich gebeten, früh genug wieder im Cafe zu sein.
Von den Karottenkuchen waren nur noch Krümel übrig, und die Kaffeetassen waren leer. Die Busladung Pferdepfleger war eingetroffen und saß in einer Gruppe für sich, alle mit Rennexpreß-T-Shirts über den Jeans. Emil sah auf seine Armbanduhr, und jemand anders vom Zugpersonal erschien und sagte, der Computer im Dienstraum unten zeige an, daß der
Sonderzug soeben in den Bahnhof eingefahren sei — Sperre 6, Gleis 7, wie erwartet.
«Bon«, sagte Emil lächelnd.»Tommy, damit beginnen Ihre Pflichten.«
Alles griff zu den Reisetaschen und trottete eher in loser Folge denn als Gruppe hinaus zum Sammelplatz der Passagiere. Als wir näher kamen, hörten wir, wie der echte Präsident des Ontario Jockey Club alle zu dem Abenteuer willkommen hieß, und sahen, wie Zak und die anderen Schauspieler darauf warteten, daß er fertig wurde, damit der Krimi weitergehen konnte.
Jimmy der Schauspieler trug eine rotbraune Bahnhofsuniform der VIA Rail, Zak war konzentriert, und Ricky, jeden Moment reif für Ruhm und Ehre, prüfte in einem kleinen Handspiegel, ob aus der Wunde an seinem Kopf genügend» Blut «austrat.
Zak warf einen Blick auf das Zugpersonal, bemerkte mich und reckte den Daumen. Der Präsident schloß unter Beifall. Zak tippte Ricky an, der den Spiegel weggesteckt hatte, und Ricky zog sehr überzeugend seine» Man hat mich überfallen«-Nummer ab.
Emil, das Personal und ich vergeudeten keine Zeit mit Zuschauen. Wir gingen weiter und kamen zu Sperre 6, im wesentliehen eine Treppe, die hinaus zum Bahnsteig führte. Obwohl es heller Morgen war, war das Licht hier trüb und künstlich, da die hohe, gewölbte Überdachung das kanadische Wetter aussperrte.
Der große Zug stand da, schwach zischend, silbern, unerhört wuchtig, erstreckte sich nach beiden Seiten, so weit man in dem Halbdunkel nur blicken konnte. Im Büro von Merry & Co hatte ich erfahren, daß jeder Wagen (gebaut aus starkem, unlackiertem, waagerecht gewelltem Aluminium) sechsundzwanzig Meter lang war, und mit den Pferden, dem Gepäck und den Lorrimores waren es insgesamt fünfzehn
Wagen. Nahm man Lok und Maschinenwagen hinzu, dann kam dieser Zug im Stehen auf über vierhundert Meter.
Zwei Achtelmeilen, dachte ich respektlos, auf Rennmaß gebracht. Die Strecke dreimal um den Zug war länger als das Derby.
Ein weiteres breites Spruchband, Duplikat desjenigen im Bahnhofsgebäude, war an der Seite des Zuges befestigt und sagte den Reisenden, worauf sie sich einließen, falls daran immer noch Zweifel bestanden. Das Personal verteilte sich nach rechts und links, entsprechend dem jeweiligen Arbeitsplatz, und ich stieg hinter Emil nicht in den Speisewagen, sondern in einen der Schlafwagen ein.
Emil sah kurz in ein Notizbuch, hievte seine Reisetasche auf die Gepäckablage eines kleinen Schlafraums und wies mich an, meine Tasche im Nachbarabteil unterzubringen. Er sagte, ich solle meinen Regenmantel und meine Jacke ausziehen und beides auf die dafür vorgesehenen Bügel hängen. Als das getan war, schloß er beide Türen, und wir stiegen wieder aus.
«Solange wir auf dem Bahnhof sind, läuft sich’s draußen leichter«, erklärte er. Er nahm alles sehr genau. Wir gingen neben den Rädern her, bis das Zugende in Sicht kam, passierten schließlich den Speisewagen und schwangen uns durch seine hintere Tür hinauf ins Einsatzzentrum.
Der Sonderspeisewagen wurde seinem Namen gerecht durch einen blau-rot gemusterten Teppichboden, große blaue Ledersitze, poliertes, im Licht schimmerndes Holz und Glaspaneele mit eingravierten Vögeln. Zu beiden Seiten waren blaue, gemusterte Vorhänge an den Fenstern, und darüber, hinter den durchgehenden Blendleisten, standen Grünpflanzen. Gut drei Meter breit, enthielt der lange Wagen je sechs rechteckige Tische für vier Personen beiderseits des breiten Mittelgangs: achtundvierzig Plätze, wie versprochen. Alles war ruhig, alles leer. Alles wartete.
«Kommen Sie«, sagte Emil und ging mir durch die Pracht voran,»ich zeige Ihnen die Küche.«
In der länglichen, silberglänzenden Ganzmetallküche hielten sich bereits zwei Gestalten in weißen Hosen und Jacken sowie hohen weißen Papiermützen auf: die zierliche Küchenmeisterin aus Montreal und ein großer, gertenschlanker junger Mann, der sich als Angus vorstellte, Spezialkoch im Dienst des erstklassigen Gastronomielieferanten, von dem das bei der Bahn sonst nicht übliche Essen für diese Reise kam.
Ich hatte den amüsanten Eindruck, daß die beiden Küchenmeister sich unfreundlich belauerten, als gelte es, ihr Territorium abzustecken, da sie normalerweise beide gewohnt waren, der Boß zu sein.
Emil, der die gleichen Signale empfangen haben mußte, sprach mit der Entschiedenheit eines wahren Führers.»In dieser Küche«, sagte er zu mir,»hat diese Woche Angus zu bestimmen. Simone wird assistieren. «Angus sah erleichtert aus, Simone verärgert.
«Wir halten das so«, sagte Emil, als wäre die Sache damit endgültig geregelt,»weil Angus und seine Firma die Speisekarte entworfen und das Essen geliefert haben.«
Der Fall war, wie jeder einsehen mußte, erledigt. Emil erklärte mir, daß auch Tafelleinen, Besteck und Gläser für diese Reise vom Gastronomielieferanten kamen, und ohne weitere Umstände zeigte er mir erstens, wo alles zu finden war und zweitens, wie man einen Tisch deckte.
Er sah zu, wie ich den zweiten Tisch nach seinem Vorbild ausstaffierte.»Sie lernen schnell«, sagte er beifällig.»Wenn Sie üben, wird niemand merken, daß Sie kein Kellner sind.«
Ich übte an etwa der Hälfte der übrigen Tische, während die beiden anderen Speisewagenkellner, das echte Stammpersonal, Oliver und Cathy, den Rest besorgten. Lächelnd brachten sie in Ordnung, was ich falsch machte, und ich übernahm ihr System und ihren Arbeitsrhythmus, so gut ich konnte. Emil prüfte den fertigen Speisewagen mit kritischem Blick und meinte, nach einer Woche wäre ich wahrscheinlich in der Lage, eine Serviette ordentlich zu falten. Alle lächelten: Anscheinend waren meine Servietten jetzt schon okay, und das freute mich ganz ungemein, und beruhigend war es auch.
Vor den Fenstern zog die rote Mütze eines karrenschiebenden Gepäckträgers vorbei, die Lorrimores im Gefolge.
«Sie steigen ein«, sagte Emil.»Wenn der Zug abfährt, kommen alle unsere Fahrgäste zum Champagnertrinken her. «Er hantierte mit Sektgläsern und Eis und zeigte mir, wie man eine Serviette um einen Flaschenhals legte und einschenkte, ohne einen Tropfen zu verlieren. Offenbar hatte er vergessen, daß er mich nur auf Wasser loslassen wollte.
Draußen ertönten Stimmen, als der Zug zum Leben erwachte. Ich steckte meinen Kopf aus der hinteren Tür des Speisewagens und sah, als ich nach vorn schaute, sämtliche Passagiere in die Schlafwagen einsteigen, worauf Träger ihnen ihr Gepäck nachbrachten. Mehrere Leute stiegen auch in den Wagen, der sich hinter dem Speisewagen befand und in einen großen Gesellschaftsraum, drei Schlafräume, Bar und ein verglastes Obergeschoß unterteilt war — Aussichtswagen nannte sich das Ganze.
Vorn an der Sperre, durch die sich die Passagiere drängten, legte Nell ihren Verband um Rickys überzeugend blutende Wunde. Als die kleine Szene beendet war, kam sie nach hinten, wobei sie suchend durch die Fenster in den Zug schaute, und wie sich herausstellte, suchte sie mich.
«Ich wollte Ihnen sagen«, sagte sie,»daß der Zugführer weiß, daß Sie so was wie unser Sicherheitsbeamter sind, und er als Kapitän des Kreuzers hat sich bereit erklärt, Ihnen in jeder Weise behilflich zu sein. Sie dürfen auch ohne zu fragen überall im Zug ein und aus gehen, selbst in der Lok, sofern der
Lokführer und sein Beimann es zulassen, aber er meint, das werden sie schon, sobald er mit ihnen gesprochen hat. Sagen Sie, Sie sind Tommy, wenn Sie ihn sehen.«
Ich schaute sie bewundernd an.»Sie sind fabelhaft«, sagte ich.
«Ja, nicht?«Sie lächelte.»Bill Baudelaire hat nach Ihnen gefragt. Ich sagte ihm, Sie seien hier und schon vor der Zeit an Bord gegangen. Das genügte ihm anscheinend. Jetzt muß ich die ganzen Leute umquartieren, die unbedingt die falschen Abteile nehmen wollen…«Sie war fort, ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, stieg in den Schlafwagen vor der Küche ein und verschwand außer Sicht.
Filmers Abteil war in diesem Wagen.
Es war leicht zu bewerkstelligen gewesen, daß ich nun doch nicht in dem Abteil neben seinem schlief; durch meine Versetzung zum Personal hatte sich das von selbst ergeben. So sehr ich ihn auch im Auge behalten wollte, für meine Anonymität schien es mir kaum der beste Weg zu sein, wenn ich ihm mehrmals täglich zufällig auf dem Gang begegnete.
Die ersten Leute kamen in den Speisewagen und setzten sich an die Tische, obwohl wir noch auf dem Bahnhof waren.
«Wo können wir Platz nehmen?«fragte eine nett aussehende Frau Emil, und er sagte:»Wo Sie möchten, Madam. «Ihr Begleiter verlangte einen doppelten Scotch on the rocks, und Emil erklärte ihm, daß Alkohol erst nach der Abfahrt zu bekommen sei. Emil war höflich und hilfsbereit. Ich hörte zu und lernte.
Mercer Lorrimore betrat den Speisewagen, gefolgt von seiner Frau, die verstimmt aussah.
«Wo können wir Platz nehmen?«sagte Lorrimore zu mir, und ich erwiderte in bester Emil-Manier:»Wo Sie möchten, Sir«, was mir ein rasches beifälliges Grinsen von Emil selbst eintrug.
Mercer und Bambi wählten einen mittleren Tisch und erhielten bald Gesellschaft von ihrem alles andere als zufriedenen Nachwuchs. Sheridan sagte vernehmlich:»Ich sehe nicht ein, daß wir hier sitzen müssen, wo wir doch unsern Privatwagen haben.«
Mutter und Tochter sahen beide aus, als ob sie seiner Meinung wären, doch Mercer, der an zusammengebissenen Backenzähnen vorbei lächelte, sagte mit überraschender Bitterkeit:»Du tust, was ich verlange, oder trägst die Konsequenzen. «Und Sheridan blickte wütend, aber auch ängstlich drein.
Sie hatten gesprochen, als wäre ich nicht da, und in gewisser Weise war ich das auch nicht, da andere Fahrgäste mich umdrängten und alle die gleichen Fragen stellten.»Wo Sie möchten, Madam. Wo Sie möchten, Sir«, sagte ich, und:»Vor der Abfahrt dürfen wir leider keinen Alkohol ausschenken.«
Die Abfahrt kam von einem Augenblick zum nächsten, ohne Trillerpfeifen, Getute oder sonstiges Tamtam. Eben noch standen wir, dann glitten wir sanft vorwärts; der Übergang einer Viertelmeile Metall von Ruhe zu Bewegung vollzog sich wie auf Seide.
Wir kamen aus dem Halbdunkel des Bahnhofs heraus in die helle Mittagssonne, und Daffodil Quentin erschien unter ihrer blendenden Lockenfülle vom Aussichtswagen her, wobei sie um sich blickte, als wäre sie es gewohnt, daß man aufsprang und sich um sie bemühte.
«Wo können wir Platz nehmen?«fragte sie, ohne mich richtig anzusehen, und ich sagte:»Wo Sie möchten, Madam. Suchen Sie es sich aus.«
Sie fand zwei freie Plätze nicht weit von den Lorrimores, und als sie sich auf dem einen Sitz niederließ und ihre Handtasche auf den anderen legte, sagte sie aufgeräumt zu dem älteren Ehepaar, das bereits am Tisch saß:»Ich bin Daffodil Quentin. Ist es nicht toll hier?«Sie stimmten ihr herzlich zu. Sie wußten, wer sie war: Sie war die Siegerin von gestern. Schon unterhielten sie sich angeregt, wie nahezu alle anderen im Wagen. Hier gab es keine kühle Anlaufphase, in der man darauf wartete, daß das Eis brach. Was nach dem gestrigen Renntag noch an Eis geblieben war, hatten die Szenen auf dem Bahnhof endgültig geschmolzen, und die Party stand, sie war in vollem Gang.
Emil winkte mich zur Küche, und ich ging in den kleinen Vorraum dort mit dem Büfett, einen Bereich, der den notwendigen Abstand schuf zwischen der heißen, glitzernden» Kombüse «und dem eigentlichen Speiseraum. Der Vorraum führte links zur Küche und rechts auf den Durchgang zum übrigen Zug, wo noch vereinzelte Gäste auftauchten, leicht schwankend jetzt in der zunehmenden Fahrgeschwindigkeit.
Hinter der Theke war Emil dabei, Flaschen mit Pol Roger zu öffnen. Oliver und Cathy holten noch Gläser aus einem Pappkarton und arrangierten sie auf kleinen Tabletts.
«Würden Sie vielleicht ein paar von diesen angelaufenen Gläsern polieren?«sagte Emil zu mir und wies auf ein Tablettvoll.
«Es wäre eine große Hilfe.«
«Befehlen Sie’s mir doch«, sagte ich.
«Putzen Sie sie«, sagte er.
«Na also.«
Alle lachten. Ich schnappte mir ein Handtuch und begann die hohen Flöten zu polieren, und Filmer kam aus dem Durchgang und steuerte den Speiseraum an, ohne in unsere Richtung zu blicken.
Ich beobachtete, wie er zu Daffodil ging, die ihm heftig winkte, und den Platz einnahm, den sie mit ihrer Handtasche freigehalten hatte. Er drehte mir den Rücken zu, wofür ich dankbar war. Obwohl auf seine Nähe vorbereitet, war ich doch nicht ganz gewappnet, und mir stockte immer noch der Atem. So ging es nicht, dachte ich. Ein bißchen Mumm war gefragt. Die Knie konnten später schlottern.
Der Speisewagen füllte sich Platz für Platz, und immer noch kamen Leute. Als Nell eintraf, nahm sie es leicht.»War abzusehen. Die ganzen Schauspieler sind hier. Geben Sie allen Champagner. «Sie ging weiter durch den Wagen, Klemmbrett an die Brust gedrückt, beantwortete Fragen, nickte und lächelte, hielt Ordnung in der Klasse.
Emil gab mir ein Tablett mit Gläsern.»Setzen Sie vier auf jeden Tisch. Oliver folgt Ihnen und gießt ein. Fangen Sie am hinteren Ende an und arbeiten Sie sich vor.«
«Okay.«
Ein Tablett mit Gläsern hätte sich leichter tragen lassen, wenn der Boden stillgestanden hätte, doch ich geriet bis zum hinteren Ende nur ein-, zweimal ins Wanken und erledigte den Auftrag wie gewünscht. Drei oder vier Leute ohne Sitzplatz standen bei der Tür zum Aussichtswagen, darunter die Schauspielerin Angelica. Ich bot auch ihnen Gläser an, und Angelica nahm eins, um gleich wieder alle ringsumher damit zu nerven, daß Steve sie hatte sitzenlassen und daß sie dem Schuft nie hätte trauen sollen, und es ehrte ihr Spiel, wenn die geschürzten Lippen derer, die es satt hatten, davon zu hören, schmal und schmäler wurden.
Oliver, auf meinen Fersen, spendete ihnen Trost durch Pol Rogers perlendes Gold.
Ich kam mit hellwachen Sinnen zu dem Tisch, an dem Filmer mit Daffodil saß, achtete darauf, sie beide nicht direkt anzuschauen, und stellte meine letzten vier Gläser nacheinander auf das Tischtuch.
Augenblicklich sagte Filmer:»Wo habe ich Sie schon mal gesehen?«