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I ch will nicht leugnen, daß ich eine Spur nervös war, als ich Maxie die enge Kellertreppe hinabfolgte, obwohl schon der Anblick Spiders, der in spaßhaftem Salut die Mütze vor uns zog, seine Augen blitzend von redlicher walisischer Durchtriebenheit, mich freier atmen ließ. Und ich atmete vollends auf, als ich mich, statt wie erwartet auf unbekanntem Terrain, in einer Miniausgabe des Chatroom wiederfand. Hinter einer unauffälligen Eisentür nicht unähnlich ihrem Pendant in Whitehall führte ein rußgeschwärzter Gang, an dessen Decke sich Kabelstränge entlangrankten, zu einem zum Tonstudio umfunktionierten Heizungskeller. Gut, ausstattungsmäßig waren wir Welten entfernt von Mr. Andersons Hightech-Wunderland, aber mit etwas grüner Farbe und zweien oder dreien seiner berühmten Mahnsprüche an der Wand hätte ich mich leicht in unseren heimatlichen Katakomben in der Northumberland Avenue wähnen können, vor deren Kellerfenstern die schattenhafte Prozession unindoktrinierter Füße dahinzog.

Gespannt beobachtet von Maxie und Spider, nahm ich die Aufbauten in Augenschein, die leicht vorsintflutlich anmuteten. Die Kabel aus dem Gang mündeten in ein Lochschienenregal, an das zwei Reihen von Kassettenrecordern angeschlossen waren, jeweils sechs Recorder, jeder davon numeriert und mit entsprechendem Etikett versehen.

»K.G. Skipper?« fragte ich.

»Königliche Gemächer.«

»Und G.S.?«

»Gästesuite.«

Ich besah mir die ganze Bandbreite: K.G./Salon, K.G./ Z im mer 1, K.G./Zi mm er 2, K. G./ Bibliot he k, K .G./ Flur, K.G/Bad & WC, G.S./Wohnzimmer, G.S./Schlafzimmer, G.S./Bad, Veranda West, Veranda Ost, Steintreppe oben, Steintreppe unten, Bogengang, Kieswege 1, 2 und 3, Pavillon, Terrasse, Wintergarten.

»Na, was sagen Sie, Brian?« drängte Spider, außerstande, sich noch länger zurückzuhalten. »Es muß nicht alles auf der Welt digital sein, sonst wären wir nicht verschieden geboren, oder? Außer wir wollen partout, daß diese ganzen ausländischen Fischer ihre dreckigen Nasen in unsere Angelegenheiten stecken.«

Zu sagen, daß ich bestürzt war, wäre eine Übertreibung. Auf nicht recht greifbare Weise hatte ich etwas Derartiges schon erwartet. Also war es wohl Lampenfieber, was mir das Rückgrat hinabschauderte, und es trug nicht gerade zu meiner Entspannung bei, daß Maxie mich aufforderte, meinen »Schleudersitz«, wie er ihn nannte, in der Mitte des Raums zu bewundern: ein Ungetüm, das auf den ersten Blick ungefähr so einladend wirkte wie ein elektrischer Stuhl, bei näherer Betrachtung jedoch nichts anderes war als ein uralter Liegesessel mit an der Seite hinaufgeleiteten Kabeln, einem Kopfhörer und einer Art Krankenhaustablett, auf dem Stenoblöcke, A4-Papier und gespitzte HB-Bleistifte bereitlagen. Auf der einen Armlehne lag ein Walkie-Talkie, an der anderen war eine Konsole mit Zahlen darauf angebracht, die, wie ich schnell sah, den Nummern auf den Kassettenrecordern entsprachen.

»Sobald wir Pause machen, spurten Sie hier runter«, sagte Maxie mit seiner bündigen Kommandostimme, »lassen sich sagen, wo Sie reinhören sollen, und geben über Mikro alles postwendend weiter an Sam im Lagezentrum.«

»Und Sam ist wer?«

»Sam koordiniert die Abhöraktion. Alle Gespräche werden automatisch aufgezeichnet. Sam sagt Ihnen, welche Sie live mithören sollen. Wenn zwischendrin noch Zeit bleibt, hören Sie kurz beim Rest rein. Sam weist Sie an und nimmt das Material entgegen und leitet es den Leuten zu, die was damit anfangen können.«

»Und Sam ist in Kontakt mit Philip«, sagte ich, in einem weiteren meiner beharrlichen Versuche, den Kopf unserer Operation dingfest zu machen, aber er schluckte meinen Köder nicht.

»Sobald die Pause um ist, sprinten Sie hoch, nehmen Ihren Platz am Besprechungstisch wieder ein, lächeln höflich, tun so, als war nichts. Spider sorgt derweil dafür, daß sein System funktioniert und die Mikros nicht ausfallen, und beschriftet und verwahrt die Bänder. Er ist direkt mit dem Überwachungsteam verbunden, er weiß, wo jeder Konferenzteilnehmer gerade ist, und knipst die entsprechenden Lämpchen auf dem Lageplan an.«

Wie ein Lageplan wirkte das Ding nicht, eher wie eine selbstgebastelte Version des Londoner U-Bahn-Plans, auf ein Brett aufgezogen und mit bunten Glühlämpchen gepunktet wie eine Spielzeugeisenbahn. Spider, die Schlägerkappe schief auf dem Kopf, hatte sich voll Besitzerstolz davor aufgepflanzt.

»Anton ist für die Überwachung zuständig«, fuhr Maxie fort. »Die Beobachter sind in ständigem Kontakt mit ihm. Anton sagt Sam, wo sich die Zielpersonen aufhalten, Spider markiert sie auf seinem Plan, Sie hören sie ab und fassen für Sam zusammen, worüber sie quatschen. Jeder ZP ist eine Farbe zugeordnet. Überwacht wird mit bloßem Auge, Kameras und Mikros. Zeig’s ihm.«

Aber dafür brauchte Spider von mir erst eine Beispielsituation, wie er es nannte. »Sagen Sie mir zwei Farben«, drängte er mich. »Ihre Lieblingsfarben. Völlig egal.«

»Grün und blau«, sagte ich zögernd.

»Und wo, mein Goldjunge, wo?«

Ich entschied mich für »Steintreppe oben«.

Mit fliegenden Fingern drückte Spider vier Knöpfe. Grüne und blaue Lichtlein blinkten am äußersten linken Rand des U-Bahn-Plans. Ein Kassettenrecorder begann schweigend zu spulen.

»Beeindruckt, mein Goldjunge? Beeindruckt?«

»Zeig ihm den Hauptschalter«, befahl Maxie.

Ein leuchtendviolettes Licht erstrahlte aus der Mitte der Königlichen Gemächer, und ich mußte an die Bischöfe denken, die das Kind, das es nicht gab, aus dem Dienstbotenquartier heraus beäugt hatte.

»Hauptschalter und Königliche Gemächer sind tabu, es sei denn, Philip persönlich gibt Ihnen grünes Licht«, warnte mich Maxie. »Notfallmikros. Fürs Archiv, nicht für den Einsatz. Wir zeichnen auf, aber wir hören nicht rein. Botschaft angekommen?«

»Botschaft angekommen, Skipper.« Und dann – meine Tollkühnheit überraschte mich selbst: »Wen berät Philip denn nun, Sir?«

Maxie starrte mich einen Moment lang an, als wittere er Meuterei. Spider stand stocksteif vor seinem U-Bahn-Plan. Aber so leicht ließ ich mich nicht abschrecken, was ein Zug an mir ist, der mir schon öfter Rätsel aufgegeben hat: diese Halsstarrigkeit, die immer im ungünstigsten Moment durchbricht.

»Er ist doch Berater, oder?« beharrte ich. »Wen berät er also? Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber ich habe schließlich ein Recht zu wissen, für wen ich arbeite, oder etwa nicht?«

Maxie öffnete den Mund zu einer Erwiderung, schloß ihn dann aber wieder. Ich hatte den Eindruck, daß er aufrichtig verwirrt war, nicht von dem, was er wußte, sondern von dem, was ich nicht wußte.

»Ich dachte, diesen ganzen Kram hätte Anderson schon mit Ihnen besprochen.«

»Welchen ganzen Kram, Skipper? Ich möchte mir ja nur ein Bild machen können. Wie soll ich mein Bestes geben, wenn ich keine Hintergrundinformationen habe?«

Wieder eine Pause, in der Maxie einen höchlich befremdeten Blick zu Spider hinüberschoß. »Philip arbeitet unabhängig. Er berät die, die ihn gerade bezahlen. Er hat Verpflichtungen.«

»Verpflichtungen gegenüber der Regierung? Gegenüber dem Syndikat? Was für Verpflichtungen, Skipper?« Wenn du in einem Loch steckst, grab nicht noch tiefer, lautet ein Sprichwort. Aber wenn es mich einmal gepackt hat, gibt es für mich kein Halten mehr.

»Verpflichtungen eben! Haben Sie noch nie von Verpflichtungen gehört? Ich habe Verpflichtungen. Spider hier hat Verpflichtungen. Wir sind keine Offiziellen, wir haben kein Festengagement, aber wir haben Verpflichtungen, und wir operieren auf Armeslänge. So funktioniert das nun mal, Himmelherrgott.« Dann erbarmte er sich meiner doch ein wenig. »Philip ist unabhängig, er arbeitet als Berater, er steht unter Vertrag, sein Spezialgebiet ist Afrika, und er zieht bei dieser Operation die Strippen. Das reicht mir, also hat es Ihnen auch zu reichen.«

»Wenn Sie es sagen, Skipper.«

»Philip hat die Delegierten bearbeitet, Philip hat den Rahmen für die Verhandlungen abgesteckt und alle an einen Tisch gebracht. Vor achtundvierzig Stunden hätte es nicht den Hauch einer Chance gegeben, die Delegierten in einem Raum zusammenzubringen. Halten Sie also den Mund und bewundern Sie ihn.«

»Wird gemacht, Skipper. Kein Problem. Liebend gern.«

Im nächsten Moment jagte Maxie vor mir her die Steintreppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal, und oben mit wütenden Schritten weiter bis in die Bibliothek, wo er sich in einen Sessel warf und auf einen zweiten deutete, und da saßen wir beide wie zwei Landjunker auf ihrem Herrensitz, während wir abkühlten. Vor den Verandatüren stiegen weiche Rasenflächen sanft an zu dem verwanzten Pavillon.

»An einem Ort in Dänemark, knapp tausend Meilen von hier, ist zur Zeit eine Tagung im Gange«, nahm er den Faden wieder auf. »Soweit alles klar?«

»Alles klar, Skipper.«

»Nennt sich Great Lakes Forum. Schon mal gehört?«

Nein, das hatte ich nicht.

»So ein Haufen von langhaarigen skandinavischen Akademikern. Stoßen inoffizielle Diskussionen an, die die Probleme des Ostkongo lösen sollen, und zwar möglichst noch vor den Wahlen. Weil ja diese ganzen Typen, die sich so spinnefeind sind, nur ein bißchen Dampf ablassen müssen, und simsalabim, schon passiert ein Wunder!«

Ich lächelte wissend. Wir waren wieder auf Kurs, Kameraden, wie es sein sollte.

»Heute ist ihr freier Tag. Da steht eigentlich die Besichtigung von Fischräuchereien und Skulpturenparks auf dem Programm, aber drei der Delegierten schwänzen diesen Teil und kommen statt dessen hierher. Zu einer noch inoffizielleren Tagung.« Er warf einen Ordner auf den Tisch zwischen uns. »Da sind die Hintergrundinformationen, die Sie wollten. Kurzbiographien, Sprachen und Stammeszugehörigkeit der Akteure. Kleiner Liebesdienst von Philip. Ziemlich schräges Trio, diese drei«, fuhr er fort. »Bis vor wenigen Monaten waren sie noch vollauf damit beschäftigt, einander die Eier abzuschneiden und die Frauen abzuschlachten und sich gegenseitig Land, Vieh und Bodenschätze abzujagen. Mit ein bißchen Nachhilfe bilden sie jetzt eine Allianz.«

»Gegen wen diesmal, Skipper?« fragte ich in angemessen weltmüdem Ton.

Meine Skepsis sprach für sich selbst, denn was konnte der Zweck irgendeines Bündnisses in diesem rückständigen Paradies sein, wenn nicht die Vernichtung eines gemeinsamen Feindes? Es dauerte darum einen Moment, bis die volle, die ungeheuerliche Tragweite seiner Antwort einsickerte.

»Ausnahmsweise nicht gegen wen. Sondern unter wessen Führung. Haben Sie schon mal von diesem selbsternannten großen Retter des Kongo läuten hören, ExProfessor für was weiß ich, der derzeit durch die Lande tingelt? – nennt sich der Mwangaza – das heißt Licht, stimmt’s?«

»Oder Lichtbringer«, erwiderte ich, die reine dolmetscherische Reflexhandlung. »Je nachdem, ob wir es figurativ oder buchstäblich meinen, Skipper.«

»Tja, der Mwangaza ist jedenfalls der, auf den’s ankommt, figurativ hin oder her. Wenn wir ihn vor den Wahlen ans Ruder bringen, stehen wir ganz oben. Wenn nicht, sind wir im Arsch. Trostpreis gibt’s keinen.«

Zu sagen, mir wirbelte der Kopf, wäre eine Untertreibung erster Güte. Eher schoß er wild rotierend in den Weltraum hinaus, unter Aussendung hektischer Signale an Hannah.

* * *

Ich habe ihn sprechen hören, Salvo, sagt sie mir, vom Französischen ins Englische überwechselnd in einem unserer kurzen Momente der Ruhe. Er ist ein Apostel der Wahrheit und der Versöhnung. In Kivu hörst du ihn auf jedem Radiosender. Vor zwei Wochen, an meinem freien Tag, bin ich mit Freunden rauf nach Birmingham gefahren, und er hat zu einer großen Menschenmenge gesprochen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können in dem Saal. Seine Bewegung heißt der Pfad der Mitte. Sie wird etwas vollbringen, was keine politische Partei erreichen kann. Und zwar deshalb, weil es eine Bewegung ist, die die Herzen anspricht und nicht die Brieftaschen. Sie wird alle Menschen in Kivu vereinen, im Norden wie im Süden. Sie wird die Profitgeier in Kinshasa dazu zwingen, ihre korrupten Soldaten aus dem Ostkongo abzuziehen, so daß wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Sie wird die Stellvertreterarmeen und völkermordenden Milizen entwaffnen und sie zurück über die Grenze nach Ruanda schicken, wo sie hingehören. Die, die ein echtes Anrecht darauf haben, können bleiben, vorausgesetzt, sie wollen wahre Kongolesen sein. Und soll ich dir noch etwas sagen, Salvo?

Immer, Hannah.

1964, bei dem großen Aufstand, hat der Mwangaza für Patrice Lumumba gekämpft und wurde verwundet!

Wie soll er das denn geschafft haben, Hannah? Die CIA hat Lumumba 1961 umgebracht, mit ein klein wenig Nachhilfe der Belgier. Und das war drei Jahre, bevor der große Aufstand überhaupt begonnen hat.

Salvo, sei nicht so pedantisch. Der große Aufstand lebte vom Geiste Lumumbas. Alle, die dabei mitgekämpft haben, waren von ihm inspiriert. Sie haben für einen freien Kongo gekämpft, und für Patrice, ob lebendig oder tot.

Dann schlafe ich also gerade mit der Revolution.

Und albern brauchst du auch nicht zu werden. Der Mwangaza ist kein Revolutionär. Er steht für Mäßigung und für Disziplin und Gerechtigkeit, und für die Vertreibung all derer, die sich an unserem Land bereichern, ohne es zu lieben. Er will nicht als ein Mann des Krieges in die Geschichte eingehen, sondern als der Wegbereiter von Frieden und Harmonie für alle wahren Patrioten im Kongo. Er ist l’oiseau rare: der große Held, der gekommen ist, um uns von allem Übel zu erlösen. Langweile ich dich am Ende?

Und indem sie so tut, als fühlte sie sich nicht ernstgenommen von mir, stößt sie mutwillig die Bettdecke weg und setzt sich auf. Und man muß wissen, wie wunderschön sie ist, und wie durchtrieben in der Liebe, um auch nur ahnen zu können, was das bedeutet. Nein, Hannah, du langweilst mich keineswegs. Ich war nur kurzzeitig abgelenkt durch die Stimme meines seligen Vaters, der einen ganz ähnlichen Traum hatte wie du.

Ein einiges Kivu, mein Salvo … Im Frieden mit sich unter Gott und der kongolesischen Flagge … Befreit von der Geißel der Fremdausbeutung, aber offen für all jene, die sich aufrichtig wünschen, teilzuhaben am Gottesgeschenk seiner Bodenschätze und an der Aufklärung aller seiner Völker … Laß uns beten, daß du lang genug leben mögest, um diesen Tag heraufdämmern zu sehen, Salvo, mein Sohn.

* * *

Maxie wartete auf meine Antwort. Also, hatte ich nun von diesem selbsternannten großen Retter des Kongo läuten hören oder nicht? Wie der Mwangaza entschied ich mich für den Pfad der Mitte.

»Hm, könnte sein«, räumte ich mit einem wohlkalkulierten Quentchen Desinteresse in der Stimme ein. »Irgend so ein recycelter Konsens-Prediger, oder?«

»Aber begegnet sind Sie ihm nicht?«

»Guter Gott, nein!« Wie konnte ich ihm einen derart abartigen Eindruck vermittelt haben! »Kongolesische Politik ist offengestanden ein Thema, um das ich einen großen Bogen mache, Skipper. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß ich besser ohne fahre.«

Was vor Hannahs Zeit weitgehend der Wahrheit entsprochen hatte. Wer sich assimiliert, der trifft eine Wahl.

»Tja, wappnen Sie sich, denn Sie werden ihn kennenlernen«, sagte Maxie mit einem raschen Blick auf seine Uhr. »Unser großer Retter wird mit zwei Gefolgsleuten anreisen: einem politischen Berater, der sein getreuer Jünger ist, und einem nicht ganz so getreuen libanesischen Mittelsmann namens Felix Tabizi, Kurzform Tabby. Der Professor ist ein Shi, sein Jünger auch.«

Tabby, wiederholte ich bei mir, während meine Gedanken den Sprung zurück zu dem lichterfunkelnden Haus am Berkeley Square machten. Tabby, das aalglatte Arschloch, Tabby, der es in letzter Sekunde noch mal spannend machte. Ich wollte schon fragen, was ein nicht ganz so getreuer libanesischer Mittelsmann im Gefolge des Mwangaza verloren hatte, aber Maxie erklärte es mir bereits.

»Tabby ist das notwendige Übel des alten Knaben.

Jeder afrikanische Führer, der auf sich hält, hat eines. Bis vor kurzem war er extremistischer Muslim und Hamas-Mitläufer, aber das Christentum schien ihm auf Dauer offenbar doch bekömmlicher. Leitet die Kampagne des Mwangaza – stellt die Weichen für ihn, kümmert sich um die Finanzen, wäscht ihm die Socken.«

»Und seine Sprachen, Skipper? Mr. Tabizis, meine ich?«

»Englisch, Französisch, Arabisch plus die paar Brocken dies und das, die er bei seinen Reisen aufgeschnappt hat.«

»Und Philip – welche Sprachen beherrscht Philip?«

»Französisch, Lingala, ein bißchen Swahili, aber nicht viel.«

»Englisch?«

»Muß er ja wohl. Ist schließlich Engländer.«

»Und der Professor spricht sicher die ganze Palette. Als gebildeter Mann.« Ich hatte es nicht als Spitze gegen Maxies schmale sprachliche Bandbreite gemeint, aber nach seinem mißvergnügten Stirnrunzeln zu urteilen, verstand er es als solche.

»Worauf wollen Sie hinaus?« erkundigte er sich gereizt.

»Na ja, dann brauchen Sie mich doch eigentlich gar nicht, oder? Nicht oben jedenfalls. Als Dolmetscher. Ich meine, wenn der Mwangaza selber Französisch und Swahili spricht? Bleibe ich dann nicht besser bei Spider im Heizungskeller und lausche?«

»Völliger Unfug. Sie sind der Star der Show, schon vergessen? Große Retter, die die Welt verändern wollen, dolmetschen doch nicht für sich selbst! Und Tabizi traue ich in keiner gottverdammten Sprache über den Weg, und wenn’s nur um die Uhrzeit geht.« Kurze Besinnungspause. »Mit Ihnen steht und fällt die Sache. Der Mwangaza besteht darauf, Swahili zu sprechen, weil ihm Französisch zu kolonialistisch ist. Wir haben einen Mitspieler, der perfektes Französisch und fast kein Swahili spricht, und einen, der ein bißchen Swahili spricht, aber dafür fast kein Französisch.«

So geschmeichelt ich von dem Star der Show war, hatte ich doch noch eine Frage. Oder besser gesagt, Hannah hatte eine.

»Und der gewünschte Endeffekt der Konferenz, Skipper? Unser Traumausgang? Wie würden wir den definieren? – das ist etwas, was ich meine Klienten immer frage.«

Eine Lüge, aber immerhin lockte ihn meine Aufsässigkeit aus der Reserve. »Wir räumen den Saustall da unten auf, Sinclair!« erklärte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Wir bringen Ordnung in ein gottverdammtes Irrenhaus. Wir geben Leuten, auf denen immer nur rumgetrampelt worden ist und die so scheißarm sind, daß es überhaupt nicht zu sagen ist, ihr Land zurück und zwingen sie, einander zu tolerieren, Geld zu verdienen, sich verdammt noch mal ein Leben zu schaffen. Haben Sie damit ein Problem?«

Die offenkundige Aufrichtigkeit seiner Intentionen, an der ich bis heute keinen Zweifel habe, ließ mich zwar innehalten, lockerlassen jedoch nicht.

»Ganz und gar nicht, Skipper. Nur hatten Sie von Demokratie mit vorgehaltener Knarre gesprochen.

Und da stellt sich mir natürlich die Frage, wen genau Sie im Visier hatten, als Sie das gesagt haben. Wem die Knarre vorgehalten werden soll, meine ich. Schließlich soll es bald Wahlen geben. Warum ihnen vorgreifen? Das verstehe ich nicht.«

Habe ich erwähnt, daß Hannah, wie Mr. Anderson es nennen würde, pazifistische Tendenzen hat? Daß ihr ein paar aufrührerische Nonnen in ihrer Amerikagesponserten pfingstkirchlichen Missionsschule stark quäkerhaft angehauchte Vorstellungen von Gewaltlosigkeit und dem Hinhalten der anderen Wange eingeimpft haben?

»Wir reden hier über den Kongo, richtig?«

Richtig, Skipper.

»Einen der größten Friedhöfe der Welt. Richtig?«

Richtig. Keine Frage. Vielleicht der größte überhaupt.

»Wo die Menschen sterben wie die Fliegen, während wir hier sitzen und quasseln. Ganze Stämme, die sich gegenseitig abschlachten, Seuchen, Hungersnot, Soldaten, die keine zehn Jahre alt sind, jede Menge Vergewaltigungen und Gemetzel, dazu Inkompetenz, daß es der Sau graust. Richtig?«

Goldrichtig, Skipper.

»Wahlen bringen keine Demokratie, sie bringen Chaos. Die Sieger sacken alles ein und verpassen den Verlierern einen Tritt in den Arsch. Die Verlierer schreien Betrug und tauchen in den Dschungel ab. Und da alle sowieso ihre eigenen Volksgruppen gewählt haben, fangen wir wieder bei Null an oder noch drunter. Es sei denn …«

Ich wartete.

»Es sei denn, man schafft es, schon im Vorfeld einem gemäßigten Anführer an die Macht zu helfen, der den Wählern seine Botschaft nahebringt, ihnen beweist, daß seine Methode funktioniert, und damit den Teufelskreis durchbricht. Können Sie mir folgen?«

Durch dick und dünn, Skipper.

»Tja, und das ist der große Plan des Syndikats, und es ist der Plan, für den wir uns hier heute stark machen. Wahlen sind westliche Flachwichserei. Kommen wir ihnen zuvor, bringen wir den richtigen Mann ans Ruder, geben dem Volk zur Abwechslung mal ein ordentliches Stück vom Kuchen und lassen den Frieden ausbrechen. Der normale Multi hat mit den Armen nichts am Hut. Brot für Millionen Hungernde ranschaffen, das ist nicht kosteneffektiv.

Die armen Schweine privatisieren und sie verrecken lassen schon. Tja, unser kleines Syndikat denkt da anders. Und der Mwangaza denkt auch anders. Sie denken in Richtung Infrastruktur, in Richtung Teilen, in Richtung Nachhaltigkeit.«

Meine Gedanken flogen zurück zu Lord Brinkley und seiner multinationalen Gruppe von Mitstreitern. Kleines Syndikat? Noch nie hatte ich so viele der ganz Großen in einem Raum versammelt gesehen!

»Klar wollen die Investoren was verdienen dabei, und warum auch nicht?« hörte ich Maxie sagen. »Wer das Risiko trägt, dem steht dafür auch was zu. Aber es springt immer noch genug für die Heimmannschaft raus, wenn die Aufregung vorbei ist: Schulen, Krankenhäuser, Straßen, sauberes Wasser. Und ein Licht am Ende des Tunnels für die heranwachsende Generation. Haben Sie irgendwas daran auszusetzen?«

Wie könnte ich? Wie könnte Hannah? Und wie ihr Sohn Noah und seine Millionen Altersgenossen?

»Wenn also in den ersten Tagen ein paar hundert dran glauben müssen – und das werden sie –, sind wir dann die Guten oder die Bösen?« Er war aufgestanden und rieb sich energisch die schmerzende Radlerhüfte. »Eine Sache noch, wenn wir schon mal dabei sind.« Er rieb noch einmal. »Kein Fraternisieren mit den Eingeborenen. Sie sind nicht hier, um dauerhafte Beziehungen zu knüpfen, Sie machen hier einen Job. In der Mittagspause heißt es für Sie, ab in den Heizungskeller auf einen Schiffszwieback mit Spider. Noch Fragen?«

Außer Bin ich ein Eingeborener? – keine.

* * *

Philips Ordner fest in der Hand, setze ich mich erst auf die Bettkante, dann in den Shaker-Schaukelstuhl, der vorschaukelt, aber nicht zurück. Eben noch der Star der Show, zerfließe ich plötzlich fast vor Angst, ein Kivusee ganz für mich allein, in den alle Flüsse dieser Welt strömen und seine Ufer überschwemmen. Von meinem Fenster aus wirkt alles trügerisch heiter. Der Garten liegt gebadet im schrägen Sonnenlicht des afrikanischen Sommers, der Europa in diesem Jahr beschert wird. Wen würde es nicht locken, sich hier zu ergehen, fern von neugierigen Augen und Ohren an einem Tag wie heute? Wer könnte dem Grüppchen einladend aufgeklappter Liegestühle im Pavillon widerstehen?

Ich schlage den Ordner auf. Weißes Papier, kein Wasserzeichen. Keine Sicherheitsvermerke am oberen oder unteren Rand. Kein Adressat, kein Verfasser. Armeslänge eben. Meine erste Seite beginnt auf der Seitenmitte und trägt die Nummer siebzehn. Mein erster Absatz ist mit zwölf beziffert, woraus ich schließe, daß Absätze eins bis elf ungeeignet sind für das zarte Auge eines bloßen Dolmetschers, der sich unter wie über Wasser für sein Land aufreibt. Die Überschrift von Absatz zwölf lautet Kriegsherren.

Kriegsherr Numero eins heißt Dieudonné, der von Gott Geschenkte. Dieudonné ist ein Munyamulenge und ethnisch damit ununterscheidbar von den verhaßten Ruandern. Er hat sofort meine Sympathie. Die Banyamulenge, wie sie im Plural heißen, waren meinem seligen Vater der liebste unter allen Stämmen. Romantisch wie je nannte er sie die Juden von Kivu, was als Verbeugung vor ihrer Zurückgezogenheit, ihrem Kampfesmut und ihrer tagtäglichen direkten Zwiesprache mit Gott gemeint war. Von ihren »reinrassigen« Mit-Kongolesen als Tutsi-Eindringlinge geschmäht und damit Freiwild für alle, harren die Banyamulenge seit über hundert Jahren auf dem unzugänglichen MulengePlateau im südlichen Hochland von Kivu aus, wo sie trotz unausgesetzter Verfolgung in schönstem Pluralismus ihre Schafe und Rinder züchten und die kostbaren Rohstoffvorkommen auf ihrem Grund und Boden ignorieren. Von diesem drangsalierten Volksstamm scheint Dieudonné ein Musterexemplar zu sein:

Mit zweiunddreißig ein kampferprobter Krieger. Wurde in einer Urwaldmission bei skandinavischen Pfingstkirchlern erzogen, bis er alt genug zum Kämpfen war. Nach vorliegenden Erkenntnissen keinerlei Interesse daran, sich selbst zu bereichern. Bringt die uneingeschränkte Ermächtigung seiner Stammesältesten zur Durchsetzung folgender Ziele mit:

Beteiligung der Banyamulenge an einer provisorischen neuen Regierung von Süd-Kivu im Vorgriff auf die Wahlen Beilegung der Territorialkonflikte auf dem Hochplateau Rückkehrrechte für die zu Tausenden aus dem Kongo vertriebenen Banyamulenge, insbesondere diejenigen, die durch die Unruhen in Bukavu 2004 zur Flucht gezwungen wurden Integration der Banyamulenge in die Zivilgesellschaft des Kongo und ein vertraglich gesichertes Ende der Verfolgungen der letzten fünfzig Jahre Sprachen: Kinyamulenge und Kinyarwanda, Shi, Swahili, rudimentäres Französisch (sehr).

Ich wende mich Kriegsherrn Numero zwei zu. Sein Name ist Franco, nach dem großen afrikanischen Sänger, mit dessen Œuvre ich noch von Père Andres gesprungener Schallplatte im Missionshaus vertraut bin. Franco ist ein Bembe-Krieger alten Stils aus der Umgebung von Uvira, um die fünfundsechzig Jahre alt. Er hat keinerlei Schulbildung, ist dafür aber extrem gewieft und ein leidenschaftlicher kongolesischer Patriot. Den folgenden Zeilen hätte Philip allerdings besser einen Totenschädel zur Warnung vorangestellt:

Diente unter Mobutu inoffiziell als Schläger in einer von dessen Polizeieinheiten in den Walungu-Bergen. Kam im Krieg ’96 ins Gefängnis, konnte entkommen, floh in den Urwald und schloß sich, um der Verfolgung zu entgehen, den Mai-Mai-Milizen an. Derzeitiger Rang vermutlich der eines Colonels oder höher. Linksseitig gehbehindert aufgrund alter Verletzung. Eine seiner Ehefrauen ist die Tochter von Mai-Mai-General Soundso. Hat beträchtlichen Landbesitz und sechs reiche Brüder. Halber Analphabet. Spricht sein heimatliches Bembe, Swahili, schlechtes Französisch und erstaunlicherweise auch Kinyarwanda, das er sich im Gefängnis angeeignet hat, wie auch das verwandte Kinyamulenge.

Aus der Distanz heraus läßt sich schwer beschreiben, welch bizarre Bilder diese dürren Worte im Kopf des Kindes wachriefen, das es nicht gab. Auch wenn die Mai Mai nicht die gefürchteten Simba aus den Tagen meines Vaters waren, so standen sie ihnen an Barbarei doch kaum nach. Und niemand lasse sich von dem »Colonel« täuschen! Wir reden hier nicht von frisch gestärkten und geplätteten Uniformen, zackigem Salutieren, roten Divisionsabzeichen, Ordensbändern und dergleichen mehr. Wir reden von Federschmuck oder Baseballmützen, Affenfellwesten, Fußballshorts, Trainingsanzügen und geschminkten Augen. Wir reden von abgeschnittenen Gummistiefeln als bevorzugtem Schuhwerk, und in der Rubrik Zauberkräfte von der Fähigkeit, Gewehrkugeln in Wasser zu verwandeln, was den Mai Mai, genau wie den Simba vor ihnen, ein Leichtes ist, sofern sie nur die vorgeschriebenen Tabus beachten, die ihnen abwechselnd verbieten, Regenwasser in den Mund zu bekommen, von einem bunten Teller zu essen und Gegenstände zu berühren, die nicht mit Zaubertränken besprengt worden sind, da die magischen Kräfte direkt aus dem unbefleckten Boden des Kongo in sie einströmen, den mit ihrem Leben zu verteidigen sie geschworen haben, und so weiter und so fort. Wir reden außerdem über willkürliches, sinnloses Morden, Vergewaltigungen wie am Fließband sowie eine Fülle anderer Greueltaten, begangen unter dem Einfluß ausgereiftester Hexenkünste oder auch nur einer potenten Mischung aus Primus-Bier und Palmwein.

Wie in aller Welt sich diese beiden Gruppen – die Mai Mai und die Banyamulenge – jemals versöhnen und Partner in einem souveränen und einheitlichen Kivu unter einer aufgeklärten Führung werden sollen, ist mir darum mehr als schleierhaft. Gut, vereinzelt haben sie taktische Bündnisse mit den Banyamulenge geschlossen, doch das konnte sie nicht davon abhalten, ihre Dörfer zu plündern, ihre Ernte zu verbrennen oder ihr Vieh und ihre Frauen zu stehlen.

Was erhofft sich Franco von der heutigen Zusammenkunft?

sieht den Pfad der Mitte als potentielle Expreßroute zu Geld, Macht sowie Waffen für seine Milizen dringt auf substantielle Beteiligung der Mai Mai an neuer Regierung von Süd-Kivu, d.h.: Kontrolle über Grenzübergänge (Einnahmen durch Bestechungsgelder und Zölle) und Schürfgenehmigungen (Mai Mai verkaufen trotz ihrer anti-ruandischen Gesinnung Rohstoffe an Ruander)

rechnet auf Stärkung des Mai-Mai-Einflusses bei der Bundesregierung in Kinshasa durch Einfluß in Kivu will den Kongo von sämtlichen ruandischen Einflüssen säubern, sofern die Mai Mai andere Abnehmer für ihre Rohstoffe finden betrachtet die anstehenden Wahlen als existenzbedrohend für die Mai Mai und will sie mit allen Mitteln verhindern Kriegsherr Numero drei ist gar kein Kriegsherr, sondern der reiche, in Frankreich ausgebildete Erbe eines ostkongolesischen Handelsimperiums. Sein vollständiger Name lautet Honoré Amour-Joyeuse, aber man kennt ihn gemeinhin nur unter dem Akronym Haj. Dem Stamm nach ist er ein Shi wie der Mwangaza, das heißt »reinblütig« kongolesisch. Er ist erst kürzlich aus Paris in den Kongo zurückgekehrt, nach einem mit Bravour absolvierten Wirtschaftsstudium an der Sorbonne. Seine Macht liegt laut Philip nicht im südlichen Hochland begründet wie die der Banyamulenge und auch nicht in den Bastionen im Norden und Süden wie die der Mai Mai, sondern stützt sich auf die aufstrebende junge Unternehmerschaft von Bukavu. Ich sehe aus dem Fenster. Wenn es in meiner Kindheit ein Paradies gab, dann die ehemalige Kolonialstadt Bukavu, die sich am südlichen Ende des Kivusees zwischen sanfte Täler und nebelverhangene Berge schmiegt.

Die Familienunternehmen umfassen Kaffee- und Gemüseplantagen, mehrere Hotels, eine Brauerei mit eigenem Fuhrpark, ein Mineralienkontor, das mit Diamanten, Gold,

Kassiterit und Coltan handelt, sowie seit kurzem zwei Diskotheken, die Hajs ganzer Stolz sind. Der Großteil dieser Unternehmen ist auf grenzüberschreitende Geschäfte mit Ruandern angewiesen.

Ein Kriegsherr also, der kein Kriegsherr ist und seinen Lebensunterhalt mit Hilfe seiner Feinde verdient.

Haj ist ein geschickter Organisator, der bei seiner Arbeiterschaft Respekt genießt. Mit der entsprechenden Motivation könnte er dank guter Beziehungen zu den Dorfführern in den Kaziba- und Burhinyi-Distrikten um Bukavu aus dem Stand eine fünfhundert Mann starke Miliz aufstellen. Hajs Vater Luc, Begründer des Familienimperiums, leitet ein ähnlich eindrucksvolles Firmenkonglomerat in der Hafenstadt Goma am Nordende des Sees.

Ich gestatte mir ein rasches Lächeln. Wenn Bukavu mein Kindheitsparadies ist, dann ist Goma das von Hannah.

Luc ist ein Veteran der Großen Revolution und langjähriger Kampfgenosse des Mwangaza. Steht in Kontakt mit anderen einflußreichen Händlern in Goma, die sich wie er über die wirtschaftliche Gängelung Kivus durch Ruanda ärgern. Luc wollte der heutigen Konferenz ursprünglich persönlich beiwohnen, unterzieht sich aber derzeit in einer Spezialklinik in Kapstadt einer kardiologischen Behandlung, weshalb Haj für ihn einspringt.

Was genau hat es also zu bieten, dieses Vater-Sohn Duo von modernen Räuberbaronen?

Mit dem rechten Mann zum rechten Zeitpunkt wären Luc und seine Unterstützer in Nord-Kivu bereit, einen Volksaufstand in den Straßen von Goma loszutreten und dem Mwangaza unter der Hand militärische und politische Unterstützung zukommen zu lassen. Als Gegenleistung fordern sie Macht und Einfluß in der neuen Provinzregierung.

Und Haj?

In Bukavu würde es Haj leichtfallen, die Unternehmer und Intellektuellen um ihn, die ein Ventil für ihren Haß auf Ruanda suchen, für den Pfad der Mitte zu gewinnen.

Aber vielleicht gibt es ja noch einen etwas prosaischeren Grund, weshalb uns Haj heute mit seiner Anwesenheit beehrt:

Als Zeichen seiner Bereitschaft, sich für den Pfad der Mitte einzusetzen, hat Luc eine Vorabprovision in Höhe von [AUSGESTRICHEN] akzeptiert, deren Empfang er schriftlich quittiert hat.

Haj spricht Shi, schlechtes Swahili, scheint sich aber zu Handelszwecken Kinyarwanda beigebracht zu haben. Die Sprache seiner Wahl allerdings ist ein »ausnehmend kultiviertes« Französisch.

So sieht’s also aus, sagte ich in Gedanken zu Hannah, während ich zur Tür ging, gegen die heftig geklopft wurde: ein Bauern-Soldat der Banyamulenge, ein verkrüppelter Mai-Mai-Kämpe und ein studierter, französisierter Asphaltgockel, der für seinen Vater antritt. Wie in aller Welt sollte ein betagter Professor, und sei er noch so idealistisch, aus diesem seltsamen Trio eine friedliebende Allianz für Demokratie schmieden können, ob nun mit vorgehaltener Knarre oder ohne?

»Schönen Gruß von Skipper, hier kommt der Rest von Ihren Hausaufgaben«, sagte Anton und drückte mir einen Aktendeckel in die Hand. »Und dieses pikante kleine Pamphlet nehm ich Ihnen mal lieber ab, wenn ich schon hier bin, Chef. Nicht daß die Kinder noch rankommen.«

Im Klartext: Hier kommt eine Photokopie von Jaspers anonymem Vertrag im Austausch für Philips anonymes Hintergrunddossier.

* * *

In den Schaukelstuhl zurückgelehnt zur vorbereitenden Lektüre, bemerkte ich amüsiert, daß die französischen Akzente mit Todesverachtung von Hand hineingemalt waren. Eine Präambel erklärte die namenlosen Parteien der Vereinbarung.

Partei Nr. 1 ist eine philanthropische Risikokapital-Gesellschaft mit Sitz im Ausland, die kostengünstige landwirtschaftliche Geräte und Leistungen auf Selbsthilfebasis an finanziell angeschlagene oder zahlungsunfähige zentralafrikanische Staaten liefert.

In anderen Worten: das anonyme Syndikat.

Partei Nr. 2, nachstehend der Landwirt genannt, ist ein namhafter Akademiker, der sich eine radikale Neuorganisation veralteter Strukturen zum größeren Wohle aller Teile der indigenen Bevölkerung zum Ziel gesetzt hat.

Oder auf gut französisch: der Mwangaza.

Partei Nr. 3, nachstehend die Allianz genannt, ist ein ehrenwertes Bündnis von Gemeindevorstehern, die sich verpflichtet haben, unter der Führung des oben genannten Landwirts zusammenzuarbeiten …

Ihr gemeinsames Ziel wird es sein, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln jedwede Reformen voranzutreiben, die der Schaffung einer einheitlichen Gemeinschaft für ganz Kivu, einschließlich einer gemeinsamen Finanzpolitik und der Wiederinbesitznahme von Kivus Bodenschätzen zum größeren Wohlstand aller seiner Einwohner, förderlich sind …

In Anerkennung des finanziellen und technischen Beitrages des Syndikats im Vorfeld dieser Reformen, nachstehend »das Ereignis« genannt, verpflichtet sich der Landwirt in Absprache mit seinen Partnern aus der Allianz zur Einräumung eines Vorrangs an das Syndikat sowie an diejenigen Unternehmen oder Einrichtungen, die das Syndikat nach freiem Ermessen für eine von ihm bestimmte Dauer benennt …

Das Syndikat verpflichtet sich, spezialisierte Leistungen, Fachkräfte und Ausrüstung im Wert von fünfzig Millionen Schweizer Franken per Einmalzahlung zur Verfügung zu stellen, siehe beigefügten Anhang …

Das Syndikat verpflichtet sich ferner, aus eigenen Mitteln alle notwendigen Experten, Techniker, Ausbilder und sonstigen Mitarbeiter bereitzustellen, die zur Schulung des Personals vor Ort bei der Bedienung der genannten Ausrüstung benötigt werden, und diese so lange vor Ort zu belassen, bis das Ereignis zum Abschluß gebracht und ratifiziert ist, unter allen Umständen aber für eine Dauer von nicht weniger als sechs Monaten ab dem Stichtag …

Für ein so unkonkretes Dokument ist der Anhang bemerkenswert detailliert. Die zu liefernde Grundausstattung umfaßt Schaufeln, Spaten, Spitzhacken, Sicheln, schwere und leichte Schubkarren. Zum Einsatz wo, bitte schön? In den Regenwäldern, sofern noch etwas davon übrig ist? Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Wir bringen Kivu den Fortschritt in Gestalt von Sicheln und Hacken und Schubkarren? Die Kosten eventueller weiterer Lieferungen, sollten diese erforderlich sein, werden nicht vom Syndikat übernommen, sondern »werden verrechnet mit dem durch das Ereignis erzielten Bruttoerlös vor sämtlichen Abzügen«. In anderen Worten: die Philanthropie des Syndikats endet bei fünfzig Millionen Schweizer Franken.

Eine Seite mit Zahlen, Konditionen und Auszahlungsmodalitäten regelt die Verteilung der Beute nach Eintritt des Ereignisses. Für die ersten sechs Monate beansprucht das Syndikat das alleinige Anrecht auf alle gezogenen Früchte innerhalb der ausgewiesenen geographischen Regionen, die genauestens mit Längen-und Breitengraden angegeben sind. Ohne die Einräumung der ausschließlichen Rechte ist der Vertrag unwirksam. Jedoch wird das Syndikat als Zeichen seines Entgegenkommens, und immer vorbehaltlich der Vertragstreue seitens der Allianz, letzterer eine monatliche Kulanzzahlung in Höhe von zehn Prozent der Bruttoeinnahmen zukommen lassen.

Zusätzlich zu seiner sechsmonatigen Freifahrt minus zehn Prozent fordert das Syndikat eine »unbefristete Freistellung von jeglichen Abgaben, Steuern und Zöllen in den ausgewiesenen Regionen«. Es besteht zudem auf ein »sicheres Umfeld für Anbau, Ernte und Transport aller Produkte«. Als »alleiniger Kosten- und Risikoträger« verlangt es »siebenundsechzig Prozent der Bruttoerlöse ab dem ersten Dollar und vor Abzug von Personal- und Verwaltungskosten, jedoch erst mit Wirkung ab Beginn des siebten Monats nach dem Stichtag …«

Aber als mich gerade das Gefühl beschleichen wollte, der Handel sei doch etwas arg einseitig, ließ der letzte Absatz meine Hoffnungen mit einem Tusch wieder emporschnellen in die Höhen, aus denen sie seit meinem Tête-à-tête mit Maxie langsam, aber sicher heruntergeholt worden waren.

Sämtliche verbleibenden Erlöse, die nach Ablauf der Sechs-Monats-Periode anfallen, stehen in voller Höhe der Allianz zu, um von dieser gemäß den international anerkannten Regeln für gesellschaftlichen Fortschritt auf den Gebieten Gesundheit, Bildung und Soziales gleichmäßig und angemessen auf alle Gruppen der Gemeinschaft verteilt zu werden, mit dem alleinigen Ziel der Durchsetzung von Eintracht, Einheit und gegenseitiger Toleranz unter einer gemeinsamen Flagge.

Sollten rivalisierende Einzelinteressen einer gerechten Verteilung im Wege stehen, hatte der Mwangaza das Recht, eigenständig eine Kommission vertrauenswürdiger Interessenvertreter einzusetzen, die über den »Anteil für das Volk«, wie er nachstehend genannt wurde, bestimmte. Halleluja! Hier endlich war die Quelle des Geldes für Schulen, Straßen, Krankenhäuser und die heranwachsende Generation, genau wie von Maxie versprochen. Hannah konnte beruhigt sein. Und ich auch.

Ich setzte mich an die altmodische elektrische Schreibmaschine, die auf der Spiegelkommode stand, und ratterte das Ganze auf Swahili in die Tasten. Und als ich fertig war, streckte ich mich auf dem Bett aus und versuchte meinem Überschwang halbwegs Herr zu werden.

Halb zwölf nach Tante Imeldas Uhr. Hannah hat die Nachtschicht hinter sich, aber sie kann nicht schlafen. Sie liegt auf dem Bett, noch in ihrer Schwesterntracht, und starrt hinauf zur staubigen Decke, derselben Decke, zu der wir gemeinsam hochgeschaut haben mit all unseren Hoffnungen und Träumen. Sie denkt: Wo ist er, warum hat er nicht angerufen, werde ich ihn je wiedersehen, oder ist er ein Lügner wie die anderen? Sie denkt an ihren Sohn Noah, an den Tag irgendwann in ferner Zukunft, an dem sie mit ihm nach Goma zurückkehren wird.

Ein kleines Flugzeug flog in niedriger Höhe über den Pavillon. Ich stürzte zum Fenster, um seine Kennzeichnung festzustellen, aber ich kam zu spät. Als der getreue Anton wieder an meine Tür klopfte, um meinen Obolus zu kassieren und mich nach unten zu beordern, hatte ich mir längst gelobt, eine Vorstellung hinzulegen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.


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