11

Wo zum Teufel stecken alle, Sam? Ich höre nur lautes Schweigen.

Ich kümmer mich gleich drum, Brian, mein Lieber. Haben Sie ein bißchen Geduld.

Ich gebe mir alle Mühe. Unverständliches Gemurmel, während Sams Stimme bei Anton anfragt, dann bei Philip.

Franco hätten wir, Brian.

Wo ?

In den Königlichen Gemächern. Er hält ein Schwätzchen mit dem Mwangaza.

Soll ich hinschalten? frage ich eifrig.

Auf gar keinen Fall, danke, Brian. Die zwei kommen ausgezeichnet ohne Sie zurecht.

Über meinen Kopfhörer fange ich das Klacken von Hajs Krokosohlen im Bogengang auf, begleitet von einem weiteren Paar Schritte, die ich versuchsweise Dieudonné zuordne. Eine Vermutung, die Sam sofort bestätigt: Ihre Späher melden, daß Haj Dieudonné am Ellenbogen gepackt hat und ihn in Richtung Pavillon abschleppt. Und was noch besser ist, Haj hat den Finger an den Mund gelegt, er bedeutet Dieudonné zu schweigen, bis sie weit genug vom Haus entfernt sind. Die Nachricht läßt mein Herz höher schlagen. Kann etwas süßer klingen in den Ohren eines TeilzeitTondiebs als: »Gehen wir irgendwohin, wo uns keiner hört«, oder: »Warte hier, ich suche schnell die nächste Telefonzelle.«

Und bei allem Hochgefühl denke ich: Armer Dieu-donné – eben noch mitgerissen von Maxies großem Plan, jetzt am Kragen zurückgezerrt von diesem Quertreiber Haj!

Die beiden Männer haben die Treppe zum Pavillon erreicht und beginnen sie hinaufzusteigen. Und gleich auf den ersten Stufen fängt Haj zu tanzen an. Und im Tanzen beginnt er stoßweise zu sprechen: Salven von Sohlengeknatter, jede begleitet von einer Wortsalve. Tondiebe hören wie Blinde. Aber manchmal sehen sie auch wie Blinde, und genau so sehe ich jetzt: klar wie der helle Tag, auch ohne Augenlicht. Ich sehe Hajs lindgrüne Krokosohlen die Steinstufen auf und ab steppen, klackerdiklack, klackerdiklack. Ich sehe seine gegelte Stirnlocke rucken, sehe seinen schlanken Körper, der sich rückwärts biegt, die Hände flatternd wie Seidenschals vor dem klaren blauen Himmel. Er hält seine Stimme gesenkt, das Klacken der Sohlen übertönt sie. So wild sich sein Körper auch gebärdet, die Stimme ist um so kontrollierter, und je leiser er spricht, desto mehr Krach macht er mit den Füßen und desto mehr wirft er im Lauf eines einzigen Satzes den Kopf herum, während er mit seinen Worten die Mikros speist, ein abgerissener kleiner Happen für jedes wartende Kröpfchen.

Welche Sprache spricht er da? Seine Muttersprache Shi, die Dieudonné zufälligerweise ebenfalls beherrscht. Er benutzt also (glaubt er zumindest), mit ein wenig Improvisation und ein paar Brocken Französisch hier und da, eine Sprache, die garantiert von keinem Lauscher verstanden wird – nur verstehe ich ihn doch.

Und ich bin ihm auf den Fersen. Ich bin ganz dicht an ihm dran. So dicht, daß ich ihn, wenn ich die Lider fest zukneife, mit meinem virtuellen Auge sehen kann. Wenn Haj weghüpft und Dieudonné hinter ihm herschnauft mit seinem stimmlosen Hüsteln, ist Salvo der Spitzendolmetscher mit seinem Kopfhörer und seiner Kladde gleich an ihrer Seite. Wenn Haj einen Satz nach hinten macht, erstarrt Dieudonné in der Bewegung, und ich erstarre mit. Noch eine Stufe höher, und Haj springt aufs Gras. Ich mit. Und Haj weiß, daß ich da bin. Ich weiß, daß er es weiß. Er spielt Ochs-am-Berg mit mir, und ich mit ihm. Er führt das Zebra lustig an der Nase herum, und das Zebra wiederum ihn, die Stufen auf und ab und immer schön im Kreis.

Was er nicht ahnt, ist, wie primitiv unser Abhörsystem ist. Er ist ein Mann der Moderne, und so, wie ich ihn kenne, ein Technik-Freak noch dazu. Er denkt, wir haben die ganze Palette: Richtmikrophone, Laser, Satellit und was es sonst noch an High-Tech-Spielzeug im Chatroom gibt, aber er täuscht sich. Und das hier ist nicht der Chatroom, Haj. Und Spiders Mikros sind ortsfest, selbst wenn du und ich und Dieudonné es nicht sind. Und Spiders System ist ein gutes altmodisches Kabelsystem, und das Zebra genießt es in vollen Zügen.

Mann gegen Mann also. Haj gegen Salvo, mano a mano, mit Dieudonné als ahnungslosem Dritten. Hajs Shi und Hajs Steptanz und Hajs Springen und Wegducken gegen Salvos messerscharfes Ohr. Die Krokosohlen klappern wie Holzpantinen auf Kopfsteinpflaster. Haj dreht Pirouetten, seine Stimme hüpft und taucht weg und taucht wieder auf, ein bißchen Shi, ein bißchen Kinyarwanda, vereinzelte Brocken Argot, damit’s nicht zu einfach wird. Ein einziger Satz kann aus drei verschiedenen Mikrophonen kommen, in drei verschiedenen Sprachen, und der Empfang ist so chaotisch wie der Mann selbst. Ich tanze auch, wenn auch nur im Kopf. Es ist ein Duell, zwei blanke Säbel dort oben auf den Stufen, und sooft Haj mir einen Moment zum Luftholen läßt, gebe ich hastig komprimierte Übersetzungen an Sam durch, während meine linke Hand den Schreibblock festhält und der Bleistift in meiner Rechten zu Hajs Weise übers Papier tanzt.

Kein Grund zu schreien, Brian, mein Lieber. Wir hören Sie sehr gut.

Die Aufnahme geht über neun Minuten, was zwei Drittel der Pause sind. Das Zebra wird in seinem Leben keine bessere Beute machen.

* * *

Haj: Wie krank bist du denn nun? (Kroko-Stakkato, zwei Stufen hoch, drei wieder hinunter, stop. Jähe Stille) Sehr? (Keine Antwort. Neuerliches Stakkato. Stop) Ehefrauen auch? Und die Kinder? (Nickt Dieudonné? Offenbar ja) Schöne Scheiße. Und wie lang hast du noch? (Keine Antwort) Irgendeine Ahnung, wo du’s dir geholt hast?

Dieudonné: Bei einer Frau. Was dachtest du denn?

Haj: Wann?

Dieudonné: Achtundneunzig.

Haj: Im Krieg achtundneunzig?

Dieudonné: Was sonst?

Haj: Im Kampf gegen die Ruander?

(Vermutlich ein weiteres Nicken)

Haj: Er kämpft, er fickt, alles für die eine wahre Demokratische Republik Kongo! Heilige Scheiße! Hat dir schon irgendwer gedankt?

Dieudonné: Daß ich mir die Seuche geholt habe?

Haj: Daß du in einem weiteren sinnlosen Krieg mitgekämpft hast, Mann. (Tanzt die Stufen hoch und wieder hinunter) Scheiße. Mist. (Noch mehr gedämpfte Flüche) Dieses No-name-Syndikat will dich um jeden Preis, das ist dir klar? (Nicht zu verstehen) Die Banyamulenge haben die besten, diszipliniertesten, motiviertesten Krieger, die besten Bodenschätze … Gold und Coltan auf dem Plateau … und ihr baut sie nicht mal ab, weil ihr eure Scheißkühe so liebhabt!

Dieudonné: (Unter Husten, aber in extrem ruhigem Ton) Dann werden wir unsere Bedingungen diktieren. Wir werden zum Mwangaza gehen und zu ihm sagen: Erst gibst du uns alles, was du uns versprochen hast, sonst kämpfen wir nicht für dich. Sonst kämpfen wir gegen dich. Das werden wir sagen.

Haj: Dem Mwangaza? Du denkst, der Mwangaza hat hier was zu melden? Unser ach-so-tapferer Held! Unser strahlender Lichtbringer … unser selbstloser Freund der Armen! Dem Kerl gehört in Spanien die ärmlichste Zehn-Millionen-Dollar-Villa, die die Welt je gesehen hat. Frag meinen Vater … Plasmabildschirme in jedem verdammten Klo … (Wildes Sohlengeknatter, Worte extrem verzerrt, dann wieder klarer. Leise, kontrapunktisch zu dem Krach von eben) Dieu-donné. Hör mir zu. Du bist ein guter Mensch. Ich bin dein Freund.

Dieudonné: (Unverständlich)

Haj: Du stirbst nicht. Ich will nicht, daß du stirbst. Verstanden? Abgemacht? Du stirbst nicht, und die Banyamulenge sterben auch nicht. Es muß Schluß sein mit dem Sterben. Völlig egal, ob durch Krieg oder Hunger oder Kriegsfolgen oder die Seuche. Wenn ihr sterbt, dann bitte an zu viel Bier. Versprochen?

Dieudonné: (Bitteres Lachen) Zu viel Bier und zu viele antiretrovirale Mittel.

Haj: Wenn es nach mir geht, hat überhaupt niemand im Kongo zu sterben, außer ruhig und friedlich an Bier. Du schwitzt ja wie ein Schwein, Mann. Komm, setz dich hin.

Der Empfang wird besser. Anton meldet über Sam, daß Dieudonné auf einer steinernen Bank unter einer Buche ein Stück unterhalb des Pavillons Platz genommen hat. Haj umtänzelt ihn in einem Radius von zwei bis drei Metern. Aber mich schüttelt er nicht ab.

Haj: … die Ruander sind stärker als wir, und das weißt du … stärker als die … Banyamulenge, stärker als diese Paviane von Mai Mai (Affengrunzen) … stärker als ganz … Kivu zusammen … oder? Sag, daß es so ist.

Dieudonné: Es ist möglich.

Haj: Das ist nicht nur möglich, das ist eine Tatsache, wie du sehr gut weißt. Hör mir zu (Kommt ganz nah an Dieudonné heran und spricht ihm eindringlich ins Ohr – gestochen scharfer Empfang, vermutlich über ein Mikrophon in den Ästen der Buche) … Ich liebe meinen Vater. Ich bin Afrikaner. Ich ehre ihn. Hast du noch einen Vater? … Gut, das heißt, daß du seinen Geist ehrst. Du redest mit seinem Geist, du gehorchst seinem Geist, du läßt dich von ihm leiten. Meiner lebt, verstehst du? Drei Frauen und so viele Nutten, wie er kriegen kann. Besitzt ein Stück von Goma und einundfünfzig Prozent von mir, und die Ruander schnappen ihm die Geschäfte weg, glaubt er jedenfalls.

Anton meldet via Sam, daß Haj abwechselnd hinter dem Buchenstamm verschwindet und wieder hervorspringt. Der wechselhafte Empfang bestätigt dies.

Haj: Vor ein paar Monaten bestellt er mich zu sich, ja? … ernster Anlaß, hm, hm … Büro, nicht daheim … will wohl … Frauen durchs Schlüsselloch gucken … mir von diesem großartigen neuen Pakt für Kivu zu erzählen, bei dem er mitmischt, und daß sein alter Kumpel der Mwangaza noch vor den Wahlen an die Macht gebracht werden soll, weil Wahlen nur Bürgerkrieg bedeuten, und der Mwangaza wird alle, die er nicht leiden kann, zum Teufel jagen und alle, die er leiden mag, reich machen, und das Volk wird er auch reich machen, weil er dieses wunderbare philanthropische Syndikat hinter sich stehen hat, das Geld wie Heu hat und all diese hehren Absichten und die Knarren und die Munition. Klingt super, sage ich ihm. Klingt wie König Leopold, als der in den Kongo kam. Worauf er natürlich an die Decke gegangen ist. Also warte ich, bis er sich abgeregt hat, was einen Tag dauert … (bricht ab, kommt zurück) … in der Zwischenzeit was Übles raus. Was Megaübles … Ich hör mich ein bißchen um, bei ein paar fiesen Typen, die ich zufällig kenne … in Kinshasa … Vater würde mich umbringen, wenn er wüßte, daß … Typen, zu denen man lieber höflich sein sollte, wenn man am nächsten Morgen nicht tot aufwachen will … (völlig unverständlich) … was sie mir gesagt haben, diese fiesen Typen? … unter der Auflage striktester Geheimhaltung, gegen die ich hiermit verstoße? Kinshasa steckt mit drin in dem Deal. Kinshasa spielt seinen Part bei der Sache … den allerdreckigsten Part …

Perfekter Ton jetzt. Sam berichtet, daß Haj und Dieu-donné nebeneinander auf der Bank sitzen, nur zwei Meter vom nächsten Mikrophon entfernt, und nirgendwo ein Lüftchen, das sich regt. Haj: Also gehe ich wieder zu meinem Vater, und ich sage zu ihm: Vater, ich liebe dich, und ich bin dir dankbar, daß ich auf deine Kosten meine kleinen grauen Zellen zu benutzen lernen durfte, und ich respektiere die Redlichkeit deiner Motive in bezug auf den Mwangaza und den Ostkongo. Laß mich dir darum in meiner Eigenschaft als professioneller Problemlöser mitteilen, daß du aus zwei Gründen ein Riesenarschloch bist. Erstens, weil du und der Mwangaza euch unter Wert an diese No-names verkauft habt, und zwar nach meiner Schätzung ungefähr tausend Prozent unter Wert. Grund Nummer zwei, nimm’s mir nicht übel, aber wer braucht verdammt noch mal einen neuen Krieg? Du und ich, wir sind wirtschaftlich völlig von Ruanda abhängig. Ruanda befördert unsere Waren in den Rest der Welt. Für alle außer uns Kongolesen wäre das die Basis einer profitablen, friedlichen Geschäftspartnerschaft, nicht ein Grund, einander die Frauen und Kinder abzuschlachten oder einen unerprobten tatterigen Anführer ins Amt zu hieven, der, eure Freundschaft in allen Ehren, den Kongo von allem zu säubern gedenkt, was auch nur nach Ruanda riecht. Erzähle ich ihm was von meinen bösen Freunden in Kinshasa? Den Teufel tu ich. Aber ich erzähle ihm von meinem guten und vor allen Dingen dicken Freund Marius, der Holländer ist und in Paris mit mir studiert hat.

Der Empfang reißt für eine Weile ganz ab. Sams Team meldet, daß das Paar sehr langsam über den Rasen hinterm Pavillon geht. Empfang extrem schlecht.

Haj: … vierzig Jahre alt … (zwei Sekunden unverständlich) … haufenweise Gelder von institutionellen Anlegern … in Afrika[?], Vizepräsident von … (sieben Sekunden unverständlich) … Also sage ich zu meinem Vater … (vier Sekunden unverständlich) … mir zugehört … daß ich die größte Enttäuschung seines ganzen Lebens bin … eine Schande für unsere Vorfahren … wollte von mir wissen, wo er diesen Marius finden kann, damit er ihm … daß die Schließung der Grenzen nach Ruanda die einzig sinnvolle Lösung für die Probleme in der Welt ist … was er eben so sagt, wenn man nicht merken soll, daß er umschwenkt.

Kreischen von Metall, Seufzen von Schaumstoffkissen, dann ist der Ton plötzlich glasklar. Sam gibt durch, daß die beiden jetzt in einem Windfang mit Blick aufs Meer sitzen. Hajs Stimme klingt drängend, ungestüm fast.

Haj: Also setzt sich mein Vater in sein Flugzeug und fliegt zu Marius rüber nach Nairobi. Luc mag Nairobi. Kennt eine spitzenmäßige Nutte da. Und er mag Marius. Pafft ein paar Zigarren mit ihm. Und Marius mag Luc auch. Und Marius sagt ihm, was für ein Arschloch er ist. »Genauso hat Ihr Schlitzohr von Sohn Sie mir beschrieben«, sagt er, »als einen klugen, aufrechten Mann. Und Sie und Ihr Mwangaza wollen die Ruander aus Kivu vertreiben und Schluß machen mit der Ausbeutung, was an und für sich ein guter Plan ist, bis auf einen kleinen Schönheitsfehler. Meinen Sie ernsthaft, die Ruander würden euch nicht die Hucke vollhauen und sich mit Zins und Zinseszins alles zurückholen, was ihr ihnen wegnehmt? Haben sie das nicht noch jedesmal so gemacht? Warum handelt ihr also nicht richtig clever und springt über euren Schatten? Statt die Ruander zum Teufel jagen zu wollen, schaut euch im Spiegel an, setzt euer breitestes Lächeln auf und seid nett zu ihnen! Ihr seid Geschäftspartner, ob es euch paßt oder nicht, also macht doch einfach gute Miene dazu. Dann investiert meine Firma womöglich in Ihren Laden oder übernimmt ihn, und wir holen ein paar aufgeweckte junge Männer wie Ihr Schlitzohr von Sohn ins Boot, stellen uns gut mit Kinshasa, und statt drei Millionen Toten gibt es vielleicht so was wie eine friedliche Koexistenz.«

Dieudonné: (Nach langem Nachdenken) Ist dein Vater mit diesem Mann ein Bündnis eingegangen?

Haj: Er ist Luc, verdammt noch mal. Der beste Pokerspieler von ganz Goma. Aber ich sag dir was. Dieser Sack von Holländer hatte völlig recht. Denn wenn die Ruander tatsächlich zurückkommen, was bringen sie dann mit? Die ganze gottverfluchte Katastrophe. Wie beim letzten Mal, nur schlimmer. Die Angolaner, die Simbabwer und alle die anderen, die uns hassen wie die Pest und hinter unseren Rohstoffen her sind. Und wenn das passiert, vergiß den Friedensprozeß, vergiß den internationalen Druck, vergiß die Wahlen, weil die Banyamulenge dann nämlich zu Tausenden abkratzen, was ihr armen Schweine ja eh am besten könnt. Aber ohne mich. Denn ich hab mich dann nach Paris abgesetzt und lache mir ins Fäustchen.

Bleiben Sie ganz ruhig, Brian, mein Lieber. Die Rettung naht schon.

* * *

»Ist das Pitman, alter Junge? Sieht für mich eher nach ’ner Rolle Stacheldraht aus.«

Maxie steht in bester Bogey-Manier über mich gebeugt, beide Hände auf meine Armlehnen gestützt, und späht hinunter auf meine babylonische Keilschrift, wie Mr. Anderson sie nennt. Spider ist verschwunden, von Maxie seiner Wege geschickt. Philip im roséfarbenen Hemd mit roten Hosenträgern lehnt im Türrahmen. Ich fühle mich beschmutzt und weiß nicht, warum. Als hätte ich mit Penelope geschlafen, wenn sie eins ihrer Wochenendseminare hinter sich hat.

»Meine Spezialmischung, Skipper«, erwidere ich. »Ein bißchen Schnellschrift, ein bißchen Steno und jede Menge Eigenfabrikat« – was ich allen meinen Klienten sage, denn das habe ich inzwischen gelernt: Wenn man sie auf die Idee bringt, Dolmetschernotizen könnten Aktenmaterial sein, landet man nur vor Gericht oder sonstwie in Teufels Küche.

»Würden Sie’s uns noch mal vorlesen, alter Junge?«

Ich lese es ihnen vor wie befohlen. Auf Englisch, nach meinen Aufzeichnungen wie beim letzten Mal auch schon, unter Auslassung keines noch so winzigen Details und so weiter und so fort. Maxie und Philip machen mich fuchtig, auch wenn ich mich hüte, es zu zeigen. Ich habe ihnen gesagt, daß wir ohne Mr. Andersons hochentwickelten Sound Enhancer die ganze Nacht dasitzen können, aber das schreckt sie nicht, o nein. Sie wollen partout den O-Ton aus meinem Kopfhörer hören, sinnloserweise, schließlich sprechen sie beide kein Wort in einer der Unterwassersprachen. Die Stelle, auf die sie sich eingeschossen haben, sind die sieben unverständlichen Sekunden gleich nach der ersten Erwähnung des dicken zigarrenrauchenden Holländers, und wenn schon ich nicht schlau daraus werde, warum sollten dann sie es?

Ich gebe Philip meinen Kopfhörer – vielleicht möchten sie ihn sich ja teilen, denke ich, aber nein, Philip reißt ihn sich ganz unter den Nagel. Er hört sich die Passage einmal an, er hört sie sich dreimal an. Und jedesmal nickt er Maxie wissend zu. Dann reicht er den Kopfhörer Maxie und befiehlt mir, das Stück noch ein weiteres Mal vorzuspielen, und schließlich nickt Maxie wissend zurück, was nur bestätigt, was ich die ganze Zeit schon argwöhne: Sie wissen, wonach sie suchen, und haben es mir nur nicht gesagt. Und nichts läßt einen Spitzendolmetscher dümmer dastehen, dümmer und nutzloser, als von einem Auftraggeber unvollständig informiert worden zu sein. Außerdem ist es mein Band, nicht ihres. Meine Trophäe. Ich war es, der es Haj abgerungen hat, nicht sie. Ich habe mit Haj darum gekämpft, es war unser Duell.

»Ganz große Klasse, alter Junge«, versichert Maxie mir.

»War mir ein Vergnügen, Skipper«, antworte ich artig. Aber im stillen denke ich: Spar dir die Schulterklopferei, so was hab ich nicht nötig, auch nicht von dir.

»Absolut genial«, schnurrt Philip.

Dann sind sie beide weg, obwohl ich nur ein Paar energischer Schritte auf den Stufen höre, denn Philip, ja, Philip ist ein lautloser Berater, und es würde mich nicht wundern, wenn er auch keinen Schatten hätte.

* * *

Eine lange Zeit, so kam es mir vor, saß ich danach einfach nur da. Ich nahm meinen Kopfhörer ab, wischte mir mit dem Taschentuch das Gesicht, setzte den Kopfhörer wieder auf, und nachdem ich eine Weile mit dem Kinn in der Faust gebrütet hatte, spielte ich mir den Sieben-Sekunden-Happen ein x-tes Mal vor. Was hatten Maxie und Philip gehört, das man mir nicht anvertrauen konnte? Ich spulte langsamer, ich spulte schneller und war immer noch nicht klüger als zuvor. Drei oder vier Takte mit einem u am Anfang, dann ein Drei- oder Vier-Silbenwort mit -ère oder -aire am Ende, und mir wären aus dem Stand ein Dutzend Wörter eingefallen, die gepaßt hätten: débonnaire, légionnaire, militaire, jegliches Air, das irgend jemand anstimmen mochte. Und danach ein Hiatus, gefolgt von einem ak wie in attaque.

Ich nahm den Kopfhörer erneut ab, vergrub das Gesicht in den Händen und flüsterte in das Dunkel. Was ich flüsterte, weiß ich nicht mehr. Ganz gewiß fühlte ich mich da noch nicht als Verräter. Einräumen will ich allenfalls ein Mißbehagen, das zu ergründen ich keinerlei Ehrgeiz hatte. Ich war erledigt nach meinem Zweikampf mit Haj, ausgepumpt und unbefriedigt, nun da die Spannung nachließ. Ich überlegte sogar, ob unser Duell möglicherweise nur eine Ausgeburt meiner Phantasie war, bis mir der Argwohn wieder einfiel, den Haj schon beim Betreten der Gästesuite gezeigt hatte. Dabei befand ich mich – obwohl Penelopes Busenfreundin Paula das sicherlich anders sähe – nicht in der Ve r d r ä n g u n g s p h a s e . Es gab für mich ja noch gar keine Wahrheit, die ich hätte verdrängen können.

Wenn ich in irgendeiner Form versagt zu haben meinte, dann vor mir selbst. Ich hatte mich enttäuscht, so beschrieb ich – auf dem unstreitigen Tiefpunkt meiner Stimmungskurve an diesem folgenschweren Tag – Hannah über den Äther hinweg meinen Zustand.

Sam? Ich bin’s, Brian. Was tut sich so?

Gar nichts tut sich. Sam ist nicht auf ihrem Posten. Ich hatte auf ein wenig weibliche Anteilnahme gehofft, aber alles, was durch den Kopfhörer zu mir dringt, sind plaudernde Männerstimmen im Hintergrund. Nicht mal ihr Mikro hat sie abgeschaltet, was ich als reichlich fahrlässig empfinde. Ich schaue auf Tante Imeldas Uhr. Die Pause wird offenbar überzogen. Hajs lückenhafter Bericht über Lucs Flirt mit einem Konkurrenzunternehmen, das von einem zigarrenrauchenden holländischen Fettsack geleitet wird, scheint alles gründlich durcheinandergewirbelt zu haben. Geschieht ihm recht, was nennt er mich auch Zebra. Spider ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Es gibt zu vieles an den Örtlichkeiten hier, über das man mich im dunkeln läßt. Wo das Lagezentrum ist, zum Beispiel. Oder von wo aus Antons Überwachungsteam agiert. Wo Jasper sich herumdrückt. Wo Benny ist. Aber wozu sollte man mich denn auch aufklären? Ich bin ja nur der Dolmetscher. Alle müssen im Bilde sein, nur ich nicht.

Ich werfe einen Blick auf den U-Bahn-Plan. Haj und Dieudonné haben sich getrennt. Armer Dieudonné, ganz allein in der Gästesuite. Auf ein rasches Gebet im Zweifelsfall. Haj hat sich in den Pavillon zurückverfügt, den Schauplatz seines vermeintlichen Triumphs. Wenn er nur wüßte! Ich sehe ihn vor mir, wie er dasteht und aufs Meer hinausglupscht, hochzufrieden mit sich, daß er dem Mwangaza einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Francos Lämpchen leuchtet nicht. Immer noch am Kungeln mit dem Mwangaza vermutlich. Tabu. Nur fürs Archiv.

Ich brauche Geräusche. Ich mag diese anklagenden Stimmen nicht, die sich in meinem Kopf erheben, allen voran Hannahs Stimme. Ich muß mir hier keine Kritik gefallen lassen. Ich habe mein Bestes getan, um meine Auftraggeber zufriedenzustellen. Was hätte ich denn machen sollen? So tun, als hätte ich Haj nicht verstanden? Es einfach alles unterschlagen? Ich habe einen Auftrag, und ich werde dafür bezahlt. In bar. Selbst wenn es ein Hungerlohn ist im Vergleich zu dem, was Jasper bekommt. Ich bin Dolmetscher. Die Leute reden, ich übersetze. Ich höre nicht auf zu übersetzen, wenn sie das Falsche sagen. Ich zensiere nicht, ich redigiere, falsifiziere und fabriziere nicht, wie so einige meiner Kollegen es tun. Ich übersetze eins zu eins. Nur deshalb bin ich ja Mr. Andersons Liebling. Nur deshalb bin ich ein Genie auf meinem Gebiet. Ob Wirtschaft oder Recht, zivil oder militärisch: Ich übersetze alle gleichwertig und unparteiisch, ohne Ansehen von Farbe, Rasse oder Religion. Ich bin die Brücke, Amen und Ende.

Ich versuche es wieder bei Sam. Immer noch nicht am Platz. Das Hintergrundgemurmel im Lagezentrum ist verstummt. Statt dessen höre ich dank Sams Nachlässigkeit Philip. Er spricht so deutlich, daß ich mithören kann, was er sagt. Mit wem er redet, ist unklar, und seine Stimme hallt von mindestens einer Wand wider,

aber das tut nichts. Meine Sinne sind noch so in Aufruhr von dem Duell mit Haj, daß eine Fliege nur in meinen Kopfhörer zu husten brauchte, und ich wüßte ihr Alter und Geschlecht. Allerdings hat seine Stimme so wenig gemein mit der Hochglanzversion, die ich bisher kannte, daß ich die ersten Sekunden fast an meiner Wahrnehmung zweifle. Er spricht mit Mark, und nach Philips herrischem Ton zu schließen, ist Mark ein Untergebener.

Philip: Ich will wissen, wer sein Arzt ist, wie die Diagnose lautet, welche Behandlung der Patient bekommt, wenn überhaupt, wann mit seiner Entlassung zu rechnen ist, wenn überhaupt, wen er an seinem Krankenbett empfängt und wer außer seinen Ehefrauen, Geliebten und Leibwächtern noch bei ihm ist … Nein, ich weiß nicht, in welchem Scheißkrankenhaus er liegt, Mark, das ist dein Job, dafür wirst du bezahlt, du bist unser Mann vor Ort. Verdammt, wie viele Herzzentren gibt es in Kapstadt denn schon, Himmelherrgott?

Ende des Gesprächs. Top-Berater haben Wichtigeres zu tun, als sich zu verabschieden. Philip muß jetzt Pat sprechen. Er hat die nächste Nummer gewählt, und als die Verbindung da ist, fragt er nach Pat.

Philip: Name ist Marius, Holländer, dick, um die Vierzig, raucht Zigarren. Er war vor kurzem in Nairobi, und soweit ich weiß, ist er immer noch dort. Er hat in Paris Volkswirtschaft studiert, und er vertritt unsere alten Freunde von der Union Minière des Grands Lacs. Was ist der Mann sonst noch? (Neunzig Sekunden, während derer nur ein gelegentliches Hm signalisiert, daß Philip zuhört und sich Notizen macht, so wie ich auch. Schließlich:) Tausend Dank, Pat. Großartig. Genau, was ich befürchtet habe, nur schlimmer. Exakt, was wir jetzt nicht hören wollten. Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Wiedersehen.

Jetzt haben wir also des Rätsels Lösung. Nicht débonnaire oder légionnaire oder militaire, sondern Minière, und nicht attaque, sondern Lacs. Haj hat von einem Bergbaukonsortium gesprochen, dessen afrikanischer Repräsentant der dicke Holländer ist. Mein Blick fällt auf Spider, der auf der anderen Seite seines Lochschienenregals steht und die Spulen überprüft, Bänder auswechselt und neu etikettiert. Ich mache ein Ohr frei und lächle, um nicht ungesellig zu wirken.

»Sieht so aus, als würde es heute mittag rundgehen, Brian – dank Ihnen«, sagt Spider mit geheimnisvollwalisischem Tatendurst. »Jede Menge Aktivitäten geplant, so und auch so.«

»Was für Aktivitäten denn?«

»Na, das werd ich doch wohl nicht ausplaudern! Nie ein Geheimnis preisgeben, sagt Mr. Anderson, schon vergessen? Da zieht man immer den kürzeren bei.«

Ich setze den Kopfhörer wieder auf und vertiefe mich in den U-Bahn-Plan. Das lila Lämpchen des Mwangaza plinkert mir zu wie eine Einladung ins Bordell. Mach schon, Salvo. Was hält dich zurück? Die Hausordnung! Tabu, es sei denn, Philip persönlich gibt mir grünes Licht. Fürs Archiv, nicht für den Einsatz. Wir zeichnen auf, aber wir hören nicht rein. Zebras müssen draußenbleiben. Wenn also ich nicht befugt bin, wer dann? Mr. Anderson, der überhaupt keine Sprache spricht außer seinem knorrigen Nordenglisch? Oder das No-name-Syndikat, wie Haj es genannt hat? Hören die No-names mit? Nur so zum Zeitvertreib? Bei Portwein und Havannas in ihrer Steuerfestung auf den Kanalinseln?

Denke ich wirklich so ketzerisch? Hat Hajs Aufwieglertum heimlich doch Früchte getragen? Schlägt mein afrikanisches Herz lauter, als mir bewußt ist? Oder ist es Hannahs Herz, das hier schlägt? Wenn nicht, warum bewegt meine Rechte sich dann mit der gleichen Zielsicherheit wie neulich, als sie Penelopes Coq au Vin in den Abfallhäcksler befördert hat? Ich zögere, aber nicht, weil mein Gewissen sich in letzter Sekunde zu Wort meldet. Wenn ich auf den Knopf drücke, heult dann im ganzen Haus der Alarm los? Blinkt das lila Lämpchen auf dem U-Bahn-Plan SOS? Kommen Antons schwere Jungs die Kellertreppe runtergedonnert und stürzen sich auf mich?

Ich drücke den Knopf dennoch und bin im SALON der verbotenen Königlichen Gemächer. Franco spricht Swahili. Empfang perfekt, keinerlei Echo oder Nebengeräusche. Ich stelle mir dicke Teppiche vor, Vorhänge, Polstermöbel. Franco klingt entspannt. Vielleicht haben sie ihm einen Whisky gegeben? Warum denke ich an Whisky? Franco ist der Whisky-Typ. Franco redet mit dem Delphin. Für die Anwesenheit des Mwangaza fehlt mir vorerst der Beweis, auch wenn etwas in ihren Stimmen mir das Gefühl gibt, daß er in der Nähe sein muß.

Franco: Wir haben gehört, daß in diesem Krieg viele Flugzeuge eingesetzt werden sollen.

Delphin: Das ist wahr.

Franco: Ich habe einen Bruder. Ich habe viele Brüder.

Delphin: Glücklich ist der Mann, der viele Brüder hat.

Franco: Mein bester Bruder ist ein guter Kämpfer, aber er hat zu seiner Schande nur Töchter. Vier Frauen, fünf Töchter.

Delphin: (Ein Sprichwort) Wie lang auch die Nacht, irgendwann kommt doch der Tag.

Franco: Eine dieser Töchter, die älteste, hat eine Geschwulst hinten am Hals, unter der ihre Heiratsaussichten leiden. (Angestrengtes Ächzen verwirrt mich, bis ich begreife, daß Franco nach der entsprechenden Stelle an seinem eigenen schmerzenden Körper zu langen versucht) Wenn der Mwangaza die Tochter meines Bruders nach Johannesburg ausfliegt, damit sie ohne Aufsehen behandelt werden kann, wird mein Bruder dem Pfad der Mitte wohlwollende Gefühle entgegenbringen.

Delphin: Unser Lichtbringer ist ein liebevoller Ehemann und Vater vieler Kinder. Der Flug wird arrangiert werden.

Gläserklingen besiegelt das Versprechen. Wechselseitige Bekundungen der Wertschätzung.

Franco: Dieser Bruder ist ein fähiger Mann, sehr beliebt bei seinen Leuten. Wenn der Mwangaza Gouverneur von Süd-Kivu ist, wird er gut daran tun, meinen Bruder zum Polizeichef für die gesamte Region zu ernennen.

Delphin: In der neuen Demokratie wird bei der Vergabe sämtlicher Ämter Transparenz das oberste Gebot sein.

Franco: Mein Bruder wird für eine dreijährige Amtszeit einhundert Kühe und fünfzigtausend Dollar zahlen.

Delphin: Über das Angebot wird demokratisch beraten werden.

Spider hinter seinem Metallregal späht zu mir herüber, die runden Augenbrauen hochgezogen. Ich biege den Kopfhörer von einem Ohr weg.

»Stimmt was nicht?« frage ich.

»Nicht daß ich wüßte, mein Goldjunge.«

»Warum schauen Sie dann so?«

»Weil die Glocke geläutet hat. Sie waren so vertieft, daß Sie’s gar nicht gehört haben.«


Загрузка...