18
Es war zehn Uhr am nächsten Morgen. Gestärkt durch das Wissen, daß ich eine unumkehrbare Entscheidung getroffen hatte, nahm ich meine obligatorische Meile Fußmarsch geradezu naßforsch in Angriff, die Pudelmütze tief in die Stirn gezogen, die Umhängetasche munter von der Schulter schwingend. In einer abgelegenen, dicht zugeparkten Seitenstraße stand ein fröhliches, rotes Telefonhäuschen. Ich wählte die altbekannte Nummer und bekam Megan an den Apparat, die mit der ganzen Welt gut Freund ist.
»Tag, Salvo-Darling. Na, wie geht es uns denn heute?«
Hatte man die Grippe, tröstete Megan einen damit, daß sie zur Zeit in der ganzen Stadt grassierte. War man im Urlaub gewesen, hoffte Megan, daß man sich wunderbar erholt hatte.
»Nach allem, was man so hört, soll die Party ja phantastisch gewesen sein. Wo hatte sie bloß diesen Hosenanzug her? Sie dürfen sie nicht so verwöhnen, das ist Ihr Problem. Leider haben wir momentan ein anderes Gespräch in der Leitung. Kann ich solange etwas für Sie tun? Möchten Sie warten? Eine Nachricht hinterlassen? Wie hätten wir’s denn gern?«
»Eigentlich wollte ich gar nicht Penelope sprechen, Megan. Sondern Fergus.«
»Aha! Na, wenn das so ist! Wir werden langsam wählerisch, hm?«
Während ich wartete, malte ich mir aus, wie sich derweil am anderen Ende Thorne the Horn mit seiner treu ergebenen Assistentin über die beste Taktik zur Abfertigung dieses nächsten erbosten Ehemannes beriet. Sollte Fergus in einer Besprechung mit dem Eigner sitzen? Mitten in einer transatlantischen Telefonkonferenz stecken? Oder als der furchtlose Mann, der er war, die Herausforderung annehmen und sich dem Kampf stellen?
»Salvo, altes Haus! Mensch, wo sind Sie abgeblieben? Irgendwelche lohnenden Wohnungen zerlegt in letzter Zeit?«
»Ich habe eine Story für Sie, Fergus.«
»Das ist ja ein Ding! Eine Story, hm? Aber ich weiß nicht, ob ich sie hören will, Salvo. Nicht, wenn sie einer gewissen jungen Lady zum Schaden gereicht. Erwachsene Menschen treffen ihre eigenen Entscheidungen. Manche von uns müssen sich damit abfinden und Vergangenes vergangen sein lassen.«
»Es geht nicht um Penelope.«
»Freut mich zu hören.«
»Es ist eine Story für einen Artikel. Eine brandheiße Sache.«
»Salvo?«
»Ja?«
»Sie wollen mich doch nicht verarschen, oder?«
»Es geht um Jack Brinkley. Das ist Ihre große Chance, ihn fertigzumachen. Ihn und Crispin Mellows und …« Ich ratterte die Namen der Prominenten herunter, die ich am Berkeley Square gesehen hatte, doch wie erwartet hatte Thorne nur Ohren für Jack Brinkley, der seine Zeitung ein Vermögen gekostet hatte – und ihn um ein Haar seine Karriere.
»Und womit soll ich ihn Ihrer Meinung nach fertigmachen? Vorausgesetzt, ich würde Ihnen glauben, was ich nicht tue.«
»Nicht am Telefon.«
»Salvo.«
»Ja?«
»Geht’s Ihnen um die Kohle?«
»Nein. Ich liefere Ihnen Lord Brinkley frei Haus.«
Da hatte ich den guten Thorne falsch eingeschätzt. Hätte ich ihm ein Ultimatum gestellt – hunderttausend Pfund oder keine Story – wäre ihm wohler in seiner Haut gewesen.
»Und es handelt sich nicht zufälligerweise um eine kleine Sabotageaktion? Damit wir bei der nächsten Verleumdungsklage die nächste Million in den Sand setzen? Dann kann ich Sie nur warnen, Salvo …«
»Sie waren mal mit uns in einem Club. An dem Strand. Eine Kellerbar. Das war zu der Zeit, als Sie und Penelope gerade …«
»Was ist damit?«
»Wie lautet die Adresse?«
Er gab sie mir.
»Treffen wir uns da in einer Stunde, und ich serviere Ihnen Brinkleys Eier auf dem Silbertablett«, versicherte ich ihm in der Sprache, die er am besten verstand.
Der Casbah Club, wiewohl nur einen Steinwurf vom Savoy Hotel entfernt, war schon zur lebhaftesten Zeit kein sehr einladendes Etablissement, aber jetzt am Vormittag schien er die Trostlosigkeit schlechthin. Am Eingang quälte ein depressiver Asiat einen vorsintflutlichen Staubsauger. Die Steintreppe erinnerte mich an den Abgang zum Heizungskeller. Zwischen Säulen und bestickten Kissen saß Fergus Thorne in exakt derselben Nische, in der Penelope vor sechs Monaten bei einem gemütlichen Dinner zu dritt mit hauchzart bestrumpftem Fuß seinen Unterschenkel bearbeitet hatte, während er mir erzählte, was für eine enorme Bereicherung für die Zeitung sie doch sei. Heute morgen war er zu meiner Erleichterung allein. Einen Tomatensaft vor sich, las er die Frühausgabe seines Blattes. Zwei seiner Topreporter hockten ein paar Tische weiter: der unsägliche Jellicoe alias Jelly, der mich auf Penelopes Party in den Hintern gekniffen hatte, und eine nicht mehr ganz taufrische Hexe namens Sophie, die es gewagt hatte, Penelope ihren Platz streitig zu machen, und dafür immer noch büßte. Unaufgefordert setzte ich mich neben Thome und klemmte mir die Umhängetasche zwischen die Füße. Er wandte mir sein fleckiges Gesicht zu, starrte mich finster an und las weiter. Ich holte mein J’accuse! aus der Jacke und legte es auf den Tisch. Er warf einen seitlichen Blick darauf und griff es sich. Während er las, wich seine überlegen skeptische Miene nach und nach einem Ausdruck leiser Gier.
»Das ist absoluter Bullshit, Salvo.« Eifrig blätterte er weiter. »Und das wissen Sie selber, oder? Ein Lügenmärchen der dreistesten Sorte. Wer hat diesen Mist verzapft?«
»Ich.«
»Und diese ganzen Promis am … wo war es noch gleich?«
»Berkeley Square.«
»Die haben Sie gesehen?«
»Ja.«
»Persönlich. Mit eigenen Augen. Überlegen Sie genau.«
»Ja.«
»Waren Sie blau?«
»Nein.«
»High?«
»Ich nehme keine Drogen.«
»Jelly. Sophie. Kommt bitte mal rüber. Dieser Mann hier will uns Jack Brinkleys Eier auf dem Silbertablett servieren, und ich glaube ihm kein Wort.«
Wir stecken die Köpfe zusammen, wir vier. Meine Vorbehalte gegenüber unserer großen britischen Presse habe ich vorübergehend auf Eis gelegt, während Thorne seine Truppen in Stellung bringt.
»Jasper Albin – der Albin? Das ist doch der Franzosenarsch, der in der Berufungsverhandlung das Blaue vom Himmel heruntergelogen hat! Und Big Jack traut sich, ihn bei dieser Sache noch mal einzusetzen? Der Kerl hat Nerven, das muß man ihm lassen! Jelly, du läßt alles stehen und liegen, fliegst nach Besançon und legst Albin Daumenschrauben an. Wenn wir ihn kaufen müssen, kaufen wir ihn.«
Jelly macht sich wichtigtuerisch Notizen.
»Sophie. Du ziehst los und zeigst den Securityfirmen, was du in der Bluse hast. Wer ist Maxie? Colonel Maxie? Maxie wie weiter? Wenn er ein Söldner ist,
war er früher bei den Special Forces. Wieso jetzt nicht mehr? Wen fickt er? Wo ist er zur Schule gegangen? In was für dreckigen Kriegen hat er gekämpft? Und sucht mir die Hütte am Berkeley Square. Wem sie gehört, wer Gas und Strom bezahlt, wer sie für den Abend gemietet hat, von wem, für wieviel.«
Die Zungenspitze emsig hervorgeschoben, schreibt Sophie alles auf. Ihr Stenoblock ist identisch mit denen, die zwischen meinen Füßen stehen.
»Und« – an beide gerichtet – »macht mir diese Insel ausfindig. Wer hat letzten Freitag einen Hubschrauber von Battersea nach Luton geflogen? Checkt alle Privatflüge, die von Luton abgegangen sind, checkt alle Nordseeinseln, die man mieten kann. Sucht nach einer Insel mit einem Pavillon. Und verfolgt den Fortnum-Freßkorb zurück: Wer hat ihn bestellt, bezahlt, geliefert? Besorgt mir die Rechnung. Räucherlachs für Kongokämpfer – zum Niederknien!«
»Erste Sahne«, murmelt Sophie.
»Göttlich«, sagt Jelly.
»Und bleibt ja in Deckung. Wenn Jackieboy Lunte riecht, knallt er uns so schnell eine einstweilige Verfügung vor den Latz, daß wir nicht mal mehr piep machen können. Dieser Heuchler! Predigt den Schuldenerlaß für arme Länder, und gleichzeitig nimmt er die leidende kongolesische Bevölkerung aus wie eine Weihnachtsgans. Ein Skandal! Ein Gedicht!«
Obwohl Thornes Begeisterung Musik in meinen Ohren war, sah ich es als meine Pflicht an, ihn an das übergeordnete Ziel der Story zu erinnern.
»Wir sind nicht nur hinter Jack her, Fergus.«
»Keine Bange, Mann. Wir kriegen auch seine Kumpel am Arsch. Und wenn sie ihm alles in die Schuhe schieben, um so besser.«
»Ich meine, wir müssen einen Krieg verhindern. Der Coup muß abgeblasen werden.«
Thornes blutunterlaufene Augen, die immer zu klein für sein Gesicht wirkten, musterten mich mit ungläubiger Verachtung. »Sie wollen, daß wir den Coup verhindern und den Artikel nicht bringen? MANN BEISST HUND NICHT. Meinen Sie das?«
»Ich denke bloß, daß die ganzen Nachforschungen, die Sie anstellen wollen – über den Hubschrauber, die Insel, den Freßkorb –, viel zu lange dauern. Wir haben nur noch neun Tage.« Ich wurde mutiger. »Entweder Sie bringen die Story sofort oder gar nicht, Fergus. Das ist der Deal. Nach dem Coup ist es zu spät. Dann könnte sich der Ostkongo bereits im freien Fall befinden.«
»Ausgeschlossen.«
Er schob mir J’accuse! über den Tisch zu. »Wir brauchen hieb- und stichfeste Beweise. Von vorne bis hinten juristisch abgeklopft. Was Sie mir hier anbieten, das ist ein Dreck, eine Inhaltsangabe. Ich brauche Jack Brinkley mit runtergelassener Hose und den Händen in der Ladenkasse. Sonst hat er mich nämlich ganz schnell am Arsch und läßt mich vor dem hohen Gericht zu Kreuze kriechen.«
Der Augenblick, auf den ich die ganze Zeit schon voll Bangen wartete, war gekommen.
»Und wenn ich diese Beweise bei mir hätte? Handfeste Beweise? Hier und jetzt?«
Er beugte sich vor, die Fäuste auf dem Tisch geballt.
Ich beugte mich vor. Jelly und Sophie ebenfalls. Ich sprach langsam und bedächtig.
»Wenn ich Brinkleys Stimme hätte – laut und deutlich auf einem Digitalband –, wie er Bestechungsgelder in Höhe von drei Millionen Dollar für einen kongolesischen Delegierten absegnet, über Satellitentelefon, im Auftrag des namenlosen Syndikats –, würde Ihnen das als Beweis ausreichen?«
»Mit wem telefoniert er?«
»Mit Philip. Dem unabhängigen Berater. Philip muß mit dem Mitglied des Syndikats reden, das berechtigt ist, drei Millionen Dollar zu genehmigen. Dieses Syndikatsmitglied ist Jack Brinkley. Sie können das gesamte Gespräch anhören, von der Stelle an, wo der Delegierte das Geld verlangt, bis dahin, wo Brinkley grünes Licht gibt.«
»Erzählen Sie mir keinen Scheiß, Mann!«
»Das ist die Wahrheit.«
»Ich muß das Band sehen. Ich muß das Band hören. Ich muß das Band von einer Bischofskonferenz überprüfen lassen.«
»Werden Sie. Sollen Sie. Wir können sofort in Ihr Büro gehen und es abspielen. Sie können mich befragen, und ich werde Ihnen die ganze Geschichte haarklein erzählen. Sie können mich knipsen und mein Photo neben das von Brinkley auf die Titelseite bringen. Unter einer Bedingung.« Ich schloß die Augen und öffnete sie wieder. War das wirklich ich, der hier so auftrumpfte? »Geben Sie mir vor diesen beiden Zeugen Ihr Ehrenwort, daß Sie die Story in der Sonntagsausgabe veröffentlichen? Ja oder nein?«
In einer Stille, die mir bis heute in den Ohren dröhnt,
holte ich die Umhängetasche unter dem Tisch hervor, behielt sie aber vorsichtshalber noch auf dem Schoß. Die Stenoblöcke waren in dem großen Fach, die sieben Bänder in dem kleineren. Mit der linken Hand preßte ich die Tasche an mich, mit der rechten machte ich den Reißverschluß des kleineren Fachs auf und wartete auf seine Antwort.
»Bedingung akzeptiert«, knurrte er.
»Dann also ja?«
»Ja, verdammt. Die Story kommt am Sonntag raus.«
Ich drehte mich zu Jelly und Sophie und sah ihnen in die Augen. »Sie haben es gehört. Er bringt die Story am Sonntag.«
»Ja.«
»Ja.«
Ich steckte die Hand in die Tasche. Methodisch tastete ich mich durch die Kassetten, auf der Suche nach Band Nummer fünf, auf dem Haj verhört wurde, und Band Nummer sechs, auf dem Lord Brinkley die drei Millionen Dollar absegnete. Während meine Finger über den Stapel hin und her wanderten, dämmerte mir – sehr allmählich zwar, aber ohne daß es mich sonderlich überrascht hätte – die Erkenntnis, daß es erstens nur fünf Bänder waren statt sieben und daß zweitens die Nummern fünf und sechs fehlten. Ich machte das große Fach auf und suchte zwischen den Stenoblöcken herum. Der Form halber überprüfte ich sogar das kleine Täschchen auf der Rückseite, in das höchstens eine Fahrkarte oder ein Schokoriegel gepaßt hätte. Auch dort waren sie nicht, aber wie sollten sie auch? Sie waren in Bognor.
Inzwischen war ich im Geiste so sehr damit beschäftigt, die jüngsten Ereignisse zu rekonstruieren, daß ich kaum mehr Augen für mein Publikum hatte, dessen Reaktion, wenn ich mich recht erinnere, von Skepsis – Thorne – bis zu übertriebener Besorgnis – Jelly – reichte. Ich entschuldigte mich – wie dumm von mir, muß sie wohl zu Hause vergessen haben und so weiter. Ich schrieb mir Sophies Handynummer auf, damit ich sie anrufen konnte, wenn ich sie gefunden hatte. Ich ignorierte Thornes eisigen Blick und seine Andeutungen, daß ich ihn ja offensichtlich zum Narren hätte halten wollen. Ich verabschiedete mich von ihnen – bis später also –, aber das kaufte mir, glaube ich, keiner von uns ab, ich selber am allerwenigsten. Dann nahm ich mir ein Taxi und ließ mich, ohne eine Deckadresse zu nennen, direkt nach Hause zu Mr. Hakims Pension fahren. Machte ich Hannah Vorwürfe? Ganz im Gegenteil. In mir wallte eine derartige Zärtlichkeit auf, daß ich sie, noch ehe ich die Geborgenheit unseres Allerheiligsten erreicht hatte, nur noch bewundern konnte für den Mut, mit dem sie sich über alle Widerstände hinweggesetzt hatte, sprich: über mich. Als ich vor dem Kleiderschrank stand, war ich nicht empört, sondern stolz, festzustellen, daß Hajs Visitenkarte mit der zittrigen E-Mail-Adresse ebenso verschwunden war wie die Bänder. Sie hatte von Anfang an gewußt, daß Brinkley uns nicht weiterhelfen würde. Sie brauchte keine Eintagesschulungen in Eigensicherung, um zu wissen, daß sie in der Person von Salvo mit den Überresten einer fehlgeleiteten Loyalität zu kämpfen hatte, die sich wie ein Virus in meinem System eingenistet hatte und noch eine Weile darin herumspuken würde. Sie wollte nicht, daß Noah seinen Geburtstag in einem Kriegsgebiet verbringen mußte. Sie hatte ihren Weg gewählt, genau wie ich. Beide waren wir von unserem Kurs abgekommen, nur hatten wir uns in entgegengesetzte Richtungen gewandt, sie hin zu ihren Leuten, ich zu meinen. Sie hatte nichts getan, was ich ihr hätte vergeben müssen. Auf dem Kaminsims stand das Programm der Sonntagsschulkinder: 12 Uhr Picknick und Gesang im YMCA … 14.30 Uhr Bognor Dance & Drama Club: Der Wind in den Weiden … 17.30 Uhr Geselliges Beisammensein. Fünf Stunden. Noch fünf Stunden, bis ich ihre bedingungslose Liebeserklärung erwidern konnte.
Ich schaltete die Mittagsnachrichten an. Neue Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung islamistischer Aufwiegler. Geheime Sondertribunale für Terroristen. Mutmaßlicher ägyptischer Bombenleger in Pakistan von US-Team aufgegriffen. Polizei fahndet nach einem dreißigjährigen Mann afrokaribischer Herkunft in Verbindung mit – jetzt kommt’s! – der Tötung zweier minderjähriger Mädchen.
Ich lasse mir ein Bad ein. Lege mich hinein. Ertappe mich dabei, wie ich versuche, Hajs Missionsschullied zu singen. Warum singt ein gefolterter Mann, hat sie mich gefragt. Ihre Patienten singen auch nicht, warum also Haj? Warum sollte ein erwachsener Mann, der schwer mißhandelt wurde, ein trauriges Lied über die Tugend eines kleinen Mädchens singen?
Ich steige aus der Wanne, stelle mich schräg neben das Fenster, das Radio ans Ohr gepreßt, um die Hüften ein Badetuch. Durch die Gardine betrachte ich versonnen den namenlosen grünen Transporter, der vor Mr. Hakims Gartentor steht.
Sintflutartige Regenfälle in Südindien. Schlammlawinen. Zahlreiche Opfer befürchtet. Und nun zum Cricket.
Fünf Uhr. Ich gehe die vorgeschriebene Meile, benutze jedoch gegen den Rat meines Ausbilders dasselbe Telefonhäuschen ein zweites Mal. Ich werfe eine Pfundmünze ein und halte die nächste bereit, gerate aber nur an Grace’ Mailbox. Wenn ich Latzi bin, sagt sie, soll ich sie nach 10 Uhr anrufen, dann wird sie allein im Bett liegen! Johlendes Gelächter. Wenn ich Salvo bin, freut sie sich ebenfalls über meinen Anruf, und ich soll ihr eine Liebeserklärung für Hannah hinterlassen. Ich versuche es.
»Hannah, Schatz, ich liebe dich«, sage ich, füge aber aus Sicherheitsgründen lieber nicht hinzu: Ich weiß, was du getan hast, und es war richtig.
Durch Nebenstraßen gehe ich planlos zurück zu Mr. Hakims Pension. So viele Fahrräder sind unterwegs seit den Bombenanschlägen. Wie Geisterreiter surren sie an mir vorbei. Der namenlose grüne Transporter steht immer noch vor dem Tor. Er hat keinen Parkschein im Fenster. Zeit für die Sechs-Uhr-Nachrichten. Die Welt hat sich seit zwei Uhr nicht weitergedreht.
Ich versuche mich durch Essen abzulenken. In dem winzigen Kühlschrank finden sich die Hälfte der Pizza von vorgestern, Knoblauchwurst, Pumpernickel, Gewürzgurken, mein Marmite. Als Hannah frisch aus Uganda nach London gekommen war, hat sie mit einer deutschen Krankenschwester zusammengewohnt, daher ihre ursprüngliche Annahme, alle Engländer äßen Bockwurst und Sauerkraut. Und daher auch das silberne Päckchen Pfefferminztee in Mr. Hakims Kühlschrank. Nach bewährter Krankenschwesternart stellt Hannah alles in den Kühlschrank, egal, ob verderblich oder nicht. Was du nicht sterilisieren kannst, das kühle, lautet ihre Devise. Ich wärme die Butter an, damit ich sie besser verstreichen kann. Schmiere Marmite darauf. Esse langsam. Schlucke vorsichtig.
Die Nachrichten um sieben sind die gleichen wie um sechs Uhr. Kann es wirklich sein, daß die Welt seit geschlagenen fünf Stunden stillsteht? Ich gehe ins Internet und überfliege die Schlagzeilen des Tages.
Selbstmordattentate in Bagdad: vierzig Tote, Hunderte von Verletzten – oder andersherum? Der neuernannte Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen legt in weiteren fünfzig Punkten Widerspruch gegen Reformvorschläge ein. Der französische Präsident begibt sich ins Krankenhaus – oder wird aus dem Krankenhaus entlassen. Seine Beschwerden unterliegen der Geheimhaltungspflicht – aber es klingt so, als ob er ein schlimmes Auge hat. Unbestätigten Berichten aus der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa zufolge ist es im Osten des Landes zu spontan aufflammenden Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen gekommen.
Hannahs Regenbogenhandy trällert. Ich sprinte hinüber und laufe mit dem Telefon zurück zum Laptop.
»Salvo?«
»Hannah. Wunderbar Hi.«
Wie aus gutunterrichteten Kreisen in Kinshasa verlautet, macht die kongolesische Regierung »imperialistische Elemente in Ruanda« dafür verantwortlich. Ruanda weist die Vorwürfe zurück.
»Ist alles in Ordnung, Salvo? Ich liebe dich so.« Auf Französisch, der Sprache unserer Liebe.
»Mir geht’s gut. Bestens. Ich sehne mich nur so nach dir. Und wie geht es dir?«
»Ich lieb dich so sehr, daß es schon nicht mehr feierlich ist, Salvo. Grace sagt, sie hat noch nie erlebt, daß ein so normaler Mensch derart den Verstand verlieren kann.«
Aus dem Grenzgebiet zu Ruanda werden keine Unruhen oder ungewöhnlichen Verkehrsbewegungen gemeldet.
Ich kämpfe an drei Fronten zugleich, was Maxie bestimmt nicht gutheißen würde. Während ich versuche, gleichzeitig zu lesen und mich zu unterhalten, überlege ich, ob ich ihr sagen soll, was ich soeben erfahre, obwohl ich gar nicht weiß, ob es um unseren Krieg geht oder um einen ganz anderen.
»Weißt du was, Salvo?«
»Was denn, mein Liebling?«
»Seit ich dich kenne, habe ich drei Pfund abgenommen.«
Das muß ich erst einmal verarbeiten. »Daran ist die ungewohnte sportliche Betätigung schuld!« rufe ich dann. »Daran bin ich schuld!«
»Salvo?«
»Ja?«
»Ich habe etwas getan, Salvo. Etwas Schlimmes, was ich dir sagen muß.«
Ein Mitarbeiter der britischen Botschaft in Kinshasa hat Gerüchte um eine von Briten angeführte Söldnertruppe in der Region als »haltlos und absurd« bezeichnet.
Jawohl! Genau! Bis zu dem Coup sind es schließlich noch ganze neun Tage! Oder hat Brinkley etwa den Startschuß gegeben, kaum daß ich zur Tür hinaus war?
»Nein. Du hast nichts Schlimmes getan. Es ist alles in Ordnung. Wirklich! Vollkommen in Ordnung. Ich weiß Bescheid. Du kannst es mir erzählen, wenn du wieder da bist!«
Im Hintergrund schrille Kinderstimmen.
»Ich muß wieder rein, Salvo.«
»Natürlich! Geh ruhig! Ich liebe dich!«
Ende der Zärtlichkeiten. Ende des Gesprächs.
Vier Schweizer Flugzeugmechaniker, die ins Kreuzfeuer geraten sind, haben den UN-Kommandanten in Bukavu um Schutz ersucht.
Ich sitze im Korbsessel, jetzt wieder das Radio auf dem Tisch neben mir, und studiere Mrs. Hakims Tapete, während Gavin, unser Zentralafrikakorrespondent, das bis dato Geschehene zusammenfaßt:
Die kongolesische Regierung in Kinshasa behauptet, mittels einer brillanten Sicherheitsoperation, die auf erstklassiger Geheimdienstarbeit beruht, einen von Ruanda unterstützten Putschversuch vereitelt zu haben.
Kinshasa verdächtigt Frankreich und Belgien der Mittäterschaft, will aber auch die Beteiligung weiterer ungenannt bleibender westlicher Mächte nicht ausschließen.
Zweiundzwanzig Mitglieder einer afrikanischen Fußballmannschaft, die nach der Entdeckung eines geheimen Arsenals mit leichten Waffen und schweren Maschinengewehren am Flughafen von Bukavu festgenommen wurden, werden momentan einer Befragung unterzogen.
Meldungen über Opfer liegen nicht vor. Über das Herkunftsland der Gastmannschaft ist nichts bekannt.
Die Schweizer Botschaft in Kinshasa lehnt zum jetzigen Zeitpunkt jede Stellungnahme zu den vier Schweizer Flugzeugmechanikern ab. Anfragen hinsichtlich ihrer Reisedokumente seien an Bern weitergeleitet worden.
Danke, Gavin. Ende der Meldung. Ende der letzten Zweifel.
Mrs. Hakims Aufenthaltsraum ist ein Prachtgemach mit tiefen Sesseln und einem Ölgemälde von einem Paradiessee, an dessen Ufer Huris tanzen. In einer Stunde werden es sich hier kettenrauchende asiatische Geschäftsleute gemütlich machen, um sich auf einem cadillacgroßen Fernseher Bollywood-Videos anzusehen, aber noch strahlt er die parfümierte Stille eines Bestattungsinstituts aus, und ich sehe mir die ZehnUhr-Nachrichten an. Männer in Ketten verändern ihre Größe. Benny ist geschrumpft. Anton wirkt stämmiger. Spider ist um gut einen halben Kopf gewachsen, seit er mit seiner improvisierten Kochmütze die Teller ausgeteilt hat. Aber der Star der Show ist weder der pakistanische UN-Kommandant mit seinem blauen Helm noch der Oberst der kongolesischen Armee mit seinem Stöckchen, sondern unser Skipper Maxie in einer hellbraunen Hose ohne Gürtel und einem durchgeschwitzten Hemd, dem ein Ärmel fehlt.
Die Hose ist das einzige, was von dem khakifarbenen Multifunktionsanzug übriggeblieben ist, in dem ich ihn das letzte Mal gesehen habe, als er mir den braunen Umschlag mit den siebentausend Dollar Honorar aushändigte, die er dem Syndikat in der Güte seines Herzens abgetrotzt hatte. Ohne die Bogey-Brille mit den dicken Gläsern fehlt seinem Gesicht das Charismatische, das mich so in Bann gezogen hat, aber andererseits ist so der Effekt sogar noch stärker, denn jetzt trägt es einen Ausdruck zähen Durchhaltens: Niemals wird er sich geschlagen geben, ganz gleich, wie lange die Auspeitschung dauert! Die kugelsicheren Hände sind gefesselt und vor ihm gekreuzt wie Hundepfoten. An dem einen Fuß trägt er einen Wüstenstiefel, der andere ist nackt, passend zu seiner nackten Schulter. Doch es liegt nicht an dem fehlenden Stiefel, daß er so langsam geht, sondern an den Fußketten, die für einen Mann seiner Größe zu kurz sind und, so mein Eindruck, auch zu stramm. Er sieht mir genau in die Augen und befiehlt mir, wenn ich seine aufgebrachten Kieferbewegungen richtig deute, mich zu verpissen, aber dann wird mir klar, daß er nicht mich meint, sondern den Menschen, der ihn filmt.
Maxie dicht auf den ungleichen Fersen folgen Anton und Benny, aneinander und an ihren Skipper gekettet. Anton hat links im Gesicht eine Schramme, vermutlich eine Folge unbotmäßigen Verhaltens. Benny wirkt deshalb so viel kleiner, weil ihn seine Ketten nach unten ziehen und zu einem lächerlichen Trippelschritt zwingen. Ein sausender Hieb mit einer panga hat ihm den grauen Pferdeschwanz zum Stoppelfeld abgemäht, wodurch er aussieht wie auf dem Weg zur Guillotine.
Hinter Benny kommt Spider, Tondiebkomplize und Bastler von Elektroschockern, gefesselt, aber aufrecht. Er durfte seine Mütze behalten, was ihm einen kecken Anstrich verleiht. Akrobat, der er ist, tut er sich weniger schwer als seine trippelnden Gefährten. Zusammen bilden die vier eine fußlahme Polonäse, hin und her ruckend nach einem Rhythmus, mit dem sie nicht klarkommen.
Hinter den Weißen trotten die Fußballspieler, an die zwanzig Mann, eine immer kleiner werdende Kolonne trauriger schwarzer Schatten: alles Veteranen, alle teamerprobt, die besten Kämpfer der Welt. Aber als ich nervös nach einem Dieudonné oder einem Franco Ausschau halte für den Fall, daß sie im Getümmel der gescheiterten Operation mit ins Netz gegangen sind, kann ich zu meiner Erleichterung weder den schweren Leib des humpelnden alten Haudegens noch die geisterhafte Gestalt des ausgezehrten Banyamulenge-Führers unter den Gefangenen entdecken. Nach Haj suche ich erst gar nicht; mein Gefühl sagt mir, daß er nicht da sein wird. Ein Informationshäppchen, das uns die Kommentatoren genüßlich servieren, lautet, daß es Maxie – bisher nur bekannt als »der mutmaßliche Rädelsführer« – geschafft hat, bei seiner Festnahme noch schnell seine SIM-Karte zu verschlucken.
Ich kehre auf unser Zimmer zurück und widme mich erneut dem Studium von Mrs. Hakims Tapete. Im Radio wird eine Unterstaatssekretärin im Außenministerium interviewt:
»Wir haben eine blütenweiße Weste, Andrew«, antwortet sie in dem forschen Ton, dessen sich New Labour so gern befleißigt, wenn die Partei sich betont offen geben will. »Die britische Regierung ist in keiner Weise in die Sache verwickelt, so viel steht fest. Gut, der eine oder andere der Männer ist britischer Staatsangehöriger, aber ich bitte Sie! Ehrlich gesagt hätte ich erwartet, daß Sie uns etwas mehr zutrauen. Nach unserem aktuellen Erkenntnisstand handelt es sich hier um eine stümperhaft verpfuschte Privataktion. Und wenn Sie mich noch so oft fragen, von wem, ich kann es Ihnen nicht sagen, denn ich weiß es nicht! Was ich Ihnen sagen kann, ist, daß die Sache durch und durch amateurhaft aufgezogen war, und halten Sie von uns, was Sie wollen, Amateure sind wir nicht. Ja, auch ich trete für die Redefreiheit ein, Kevin. Guten Abend!«
Maxie hat einen Namen bekommen. Eine seiner Exfrauen hat ihn im Fernsehen erkannt. Ein lieber Mann, der leider nicht erwachsen werden konnte, Pfarrerssohn. Offiziersausbildung an der Militärakademie in Sandhurst, Betreiber einer Bergsteigerschule in Patagonien, unter Vertrag bei den Vereinigten Arabischen Emiraten, sagt sie munter. Ein kongolesischer Akademiker, der sich selbst »der Lichtbringer« nennt, wird als Kopf der Verschwörung verdächtigt. Er ist inzwischen untergetaucht. Interpol hat die Ermittlungen aufgenommen. Über Lord Brinkley und sein multinational finanziertes, anonymes Syndikat kein Wort, ebensowenig darüber, daß es dieses Syndikat auf die ostkongolesischen Bodenschätze abgesehen hat. Kein Wort über zwielichtige Libanesen, unabhängige Berater und deren Freunde. Waren vermutlich alle beim Golfspielen.
Ich liege auf dem Bett und höre zu, wie Mrs. Hakims Messinguhr die viertel und die halbe Stunde schlägt. Ich bin Maxie, den sie an einen Pfahl gekettet haben. Es wird Morgen, die Sonne geht auf, und ich liege immer noch im Bett, ohne Ketten. Plötzlich ist es sieben Uhr, dann acht. Die Uhr schlägt Viertelstunde um Viertelstunde. Das Regenbogenhandy trällert.
»Salvo?«
Ja, Grace.
Warum sagt sie nichts? Weil sie das Handy an Hannah weitergibt? Aber warum nimmt Hannah es dann nicht? Im Hintergrund verstümmelte Geräusche. Eine befehlsgewohnte nordenglische Frauenstimme ruft einen Männernamen. Wer um alles in der Welt ist Cyril Ainley? Ich kenne weder einen Cyril noch einen Ainley. Wo sind wir? Im Krankenhaus? Irgendwo in einem Wartezimmer? Es sind nur Sekunden, Millisekunden, in denen ich alle Töne zusammenklaube, derer ich habhaft werden kann.
»Bist du das, Salvo?«
Ja, Grace. Ich bin’s, Salvo. Ihre Stimme ist sehr gedämpft. Ob da, wo sie ist, keine Telefone erlaubt sind? Ich höre andere Leute telefonieren. Sie hat den Mund direkt über der Sprechmuschel, der Klang ist verzerrt. Sie hat die Hand um den Hörer geschlossen. Dann plötzlich sprudelt es aus ihr hervor: ein atemloser, wirrer Monolog, den sie nicht anhalten könnte, selbst wenn sie es wollte, und ich erst recht nicht.
»Die haben sie, Salvo, weiß der liebe Gott, wer die sind, ich bin auf der Polizei und mach eine Anzeige, aber ich kann nicht lange reden, sie haben sie einfach mitgenommen, vom Bürgersteig weg entführt, vor der Kirche, ich stand direkt daneben, wir haben die Kids abgeliefert und Amelia hatte einen Koller, und ihre Mum hat gesagt, wir hätten sie verwöhnt, und Hannah und ich sind zusammen den Berg runtergegangen und wir waren echt sauer auf diese undankbare Zicke, und plötzlich hält dieser Wagen an und zwei Kerle steigen aus, einer schwarz und der andere weiß, ganz normale Typen, Salvo, und eine weiße Fahrerin, die die ganze Zeit stur gradaus durch die Windschutzscheibe geguckt hat und nicht ein einziges Mal zu uns rüber, jedenfalls steigen die Typen aus, und der Schwarze sagt Hi, Hannah, und legt ihr den Arm um, wie wenn er ein alter Freund von ihr war, und schiebt sie in den Wagen, und schon sind sie weg, und jetzt will diese nette Polizistin hier von mir wissen, was das für ein Auto war, und sie zeigt mir Photos von Autos, und das geht jetzt schon seit Stunden, und Hannah hat kein Wort mehr zu mir gesagt, wie denn auch, und jetzt sagt die Polizei, vielleicht ist sie freiwillig mit den Typen mitgegangen, vielleicht hatte sie was mit dem Schwarzen oder wollte sich auf dem Rücksitz mit den beiden ein paar Mäuse nebenbei verdienen, als ob Hannah so was machen würde, sie haben sie einfach von der Straße weg entführt, und die nette Polizistin sagt na ja, vielleicht ist sie ja eine Professionelle, und vielleicht sind Sie auch eine von der Sorte, Grace, und man darf der Polizei nicht ihre kostbare Zeit stehlen, dagegen gibt es sogar ein Gesetz, Grace, vielleicht sollten Sie da mal dran denken, und da bin ich ausgerastet, warum hängen Sie nicht gleich ein Schild auf, hab ich sie gefragt, wo draufsteht, daß Schwarze hier nicht ernstgenommen werden, und jetzt redet sie mit allen andren, bloß nicht mehr mit mir.«
»Grace!«
Ich sagte es noch einmal. Grace. Drei-, viermal. Dann stellte ich ihr Fragen wie einem Kind, ganz ruhig, um sie nicht noch mehr zu verängstigen. Was ist passiert? Ich meine nicht jetzt, ich meine in Bognor, als ihr zusammen wart. An dem ersten Abend, als sie mit den Großen im Kino war. Das hast du mir doch erzählt. Was ist da passiert?
»Es sollte eine Überraschung für dich werden, Salvo.«
Was für eine Überraschung?
»Sie hat dir was aufgenommen, eine Audiodatei, hat sie gesagt, irgendwelche Musik, die sie toll findet und dir schenken wollte. Es sollte ein Geheimnis sein.«
Und wo hat sie das machen lassen, Grace?
»In einem Laden, von dem Latzi ihr erzählt hat, irgendwo einen Berg rauf, ruhige Gegend. Wir haben Latzi im Studio angerufen. Diese Musikfreaks, die haben nämlich überall Freunde, Salvo. Latzi kannte einen, der kannte einen in Bognor, und da ist Hannah dann hingegangen, während ich dich abgewimmelt hab, mehr war nicht. Großer Gott, Salvo, was um alles in der Welt geht hier vor?«
Ich lege auf. Natürlich, Grace. Ich danke dir. Und nachdem sie die Bänder fünf und sechs in eine Audiodatei umgewandelt hatte, brauchte sie nur noch einen Computer, den ihr garantiert Latzis Freund zur Verfügung stellen konnte, und schon gingen die Aufnahmen an Haj, zu dessen Erbauung und als Schützenhilfe im Gespräch mit seinem Vater, den er so achtet. Nur daß sie sich die Mühe hätte sparen können, weil die ganze Operation sowieso längst den Bach runtergegangen war und weil die Meute der Lauscher und der Beobachter und all der anderen Leute, die ich irrtümlich für meine Freunde gehalten hatte, sich bereits zusammenrottete, um sie zur Strecke zu bringen.
* * *
Wer einen Sünder fangen will, so Pater Michael, der muß den Sünder in sich selbst suchen, und ich brauchte nur wenige Augenblicke dazu. Ich ging zum Kleiderschrank, wo meine Lederjacke hing. Ich holte mein Handy heraus, um die Mailbox abzuhören, und schaltete es ein. Und tatsächlich, es wartete eine Nachricht auf mich. Aber diesmal war sie nicht von Penelope und auch nicht von Barney oder von Hannah. Sie war von Philip. Und Philip sprach nicht in seiner liebenswürdigen, einschmeichelnden Stimme, sondern in dem schneidend kalten Ton, mit dem ich schon gerechnet hatte:
Ich gebe Ihnen eine Nummer, die Sie anrufen können, Salvo. Tag und Nacht. Und ich möchte Ihnen einen Deal vorschlagen. Je eher Sie sich melden, desto angenehmer für alle Beteiligten.
Ich wählte die Nummer und bekam Sam an den Apparat. Sie nannte mich Brian, wie in alten Zeiten. Haben Sie einen Stift, Brian, mein Lieber? Und einen Block? Aber natürlich, dumme Frage. Hier ist die Adresse.