16

Den ganzen Nachmittag, um einen einzigen Mann zu suchen?« Ich gebe den eifersüchtigen Gatten, um ihren Aufbruch hinauszuzögern. »Was hast du mit ihm vor, wenn du ihn gefunden hast?«

»Salvo, du machst dich schon wieder lächerlich. Jemanden wie Baptiste kann man nicht einfach anrufen. Die Ruander sind sehr gerissen. Er muß seine Spuren verwischen, sogar vor seinen eigenen Anhängern. Und jetzt laß mich gehen, ja? Ich muß in vierzig Minuten in der Kirche sein.«

Ihre Kirche ist die Bethany-Pentecostal-Missionskirche, gelegen irgendwo im hintersten Nordlondon.

»Mit wem triffst du dich da?«

»Das weißt du ganz genau. Mit meiner Freundin Grace und den wohltätigen Damen, die den Reisebus bezahlen und die Übernachtungsmöglichkeiten für unsere Sonntagsschulkinder organisieren. Und jetzt laß mich bitte gehen.«

Sie hat sich feingemacht, auf dem Kopf ein hübsches kleines Hütchen und dazu ein langes blaues Kleid mit einem Bolero aus Rohseide. Sie braucht mir nicht zu erzählen, wie sie dazu gekommen ist, ich kenne die Geschichte auch so. Zu einem ganz besonderen Anlaß, zu Weihnachten oder ihrem Geburtstag, hat sie sich, nachdem die Miete bezahlt und der monatliche Unterhalt für Noah an ihre Tante überwiesen war, ein neues Kleid gegönnt. Sie hat es hundertmal gewaschen und gebügelt, und man merkt ihm an, daß es seine besten Tage hinter sich hat.

»Und der gutaussehende junge Pastor?« frage ich streng.

»Der ist fünfundfünfzig und mit einer Frau verheiratet, die ihn keine Sekunde aus den Augen läßt.«

Ich ringe ihr einen letzten Kuß ab, entschuldige mich, ringe ihr noch einen ab. Sekunden später ist sie aus dem Haus, läuft mit schwingendem Rock den Bürgersteig hinunter, während ich ihr vom Fenster aus nachschaue. Die ganze Nacht hindurch haben wir abwechselnd Liebes- und Kriegsrat gehalten. Die Belastungen, die unsere Beziehung in nur vier kurzen Tagen aushalten mußte, wünsche ich anderen Paaren für ihr ganzes Leben nicht. Mit meinen Beschwörungen, sich in Sicherheit zu bringen, solange es noch ging – mich in die Wüste zu schicken, weil ich für sie ja doch nur ein Klotz am Bein war, um ihrer selbst, um Noahs, um ihrer Karriere willen –, war ich auf taube Ohren gestoßen. Das Schicksal wollte es, daß sie mir beistand. Es war so vorherbestimmt. Von Gott, von einer Wahrsagerin in Entebbe und von Noah.

»Von Noah?« wiederhole ich lachend.

»Ich habe ihm gesagt, daß ich seinen neuen Vater kennengelernt habe, und er freut sich sehr.«

Manchmal bin ich zu englisch für sie, zu indirekt und zurückhaltend. Manchmal ist sie unerreichbar, eine afrikanische Frau im Exil, vereinnahmt von ihren Erinnerungen. Nach dem Einbruch in die Norfolk Mansions hätte ich am liebsten sofort meine Sachen gepackt, mir ein neues Versteck gesucht und in einem anderen Teil der Stadt von vorn angefangen. Hannah war anderer Ansicht. Sie meinte, wenn der Sturm erst einmal losbrach, würden wir uns durch einen plötzlichen Umzug eher verdächtig machen. Besser, wir blieben an Ort und Stelle und verhielten uns möglichst normal. Ich beugte mich ihrem Urteil, und wir gönnten uns ein gemütliches Frühstück mit den anderen Gästen, statt uns wie flüchtige Verbrecher auf unserem Zimmer zu verkriechen. Hinterher scheuchte Hannah mich nach oben, um unter vier Augen mit Mr. Hakim reden zu können, einem kleinen Pfau von einem Mann, der für weibliche Reize durchaus empfänglich war.

»Was hast du ihm erzählt?« fragte ich sie, als sie lachend hereinkam.

»Die Wahrheit, Salvo. Nichts als die Wahrheit. Nur nicht die ganze.«

Ich bestand auf einer ausführlichen Beichte. Auf Englisch.

»Ich habe ihm gesagt, daß wir ein durchgebranntes Liebespaar sind. Unsere wütende Verwandtschaft ist hinter uns her und verbreitet Lügen über uns. Entweder er beschützt uns, oder wir müssen uns eine andere Pension suchen.«

»Und was meinte er dazu?«

»Daß wir mindestens noch einen Monat bleiben können und er uns unter Einsatz seines Lebens beschützen wird.«

»Und das können wir ihm glauben?«

»Aber ja. Wenn du von deinem Judaslohn noch fünfzig Pfund drauflegst, verteidigt er uns wie ein Löwe. Dann kam seine Frau herein und sagte, sie würde uns gratis verteidigen. Wenn ihr jemand Schutz angeboten hätte, als sie noch jung war, hätte sie Mr. Hakim niemals geheiratet. Was beide sehr komisch fanden.«

Wir besprachen das heikle Kommunikationsproblem, das, wie ich aus dem Chatroom wußte, die Achillesferse eines jeden Geheimagenten war. In Mr. Hakims Reich gab es keinen öffentlichen Fernsprecher. Das einzige Haustelefon befand sich in der Küche. Mein Handy sei eine Todesfalle, ließ ich Hannah an meinem Insiderwissen teilhaben. Beim heutigen Stand der Technik könne man über ein eingeschaltetes Handy in Sekundenschnelle meinen Aufenthaltsort feststellen, ganz egal, in welchem Winkel des Planeten ich mich befand. Ich habe es selbst erlebt, Hannah, ich habe davon profitiert, wenn du wüßtest, was ich auf meinen Eintagesschulungen alles zu hören bekomme. Ich redete mich derart in Fahrt, daß ich mir sogar einen kleinen Exkurs über die Kunst gestattete, mit einer Rakete den Funkstrahl eines Handys anzupeilen und den Nutzer auf diese Weise zu enthaupten.

»Aber mein Handy fliegt dir nicht um die Ohren«, gab sie zurück und kramte einen regenbogenfarbenen Apparat aus den Untiefen ihrer Tragetasche hervor.

Mit einem Schlag war unsere geheime Verbindung hergestellt. Ich würde ihr Handy benutzen und sie sich das von Grace leihen. Falls ich Hannah in der Kirche anrufen mußte, konnte ich sie über Grace erreichen.

»Und nach der Kirche?« fragte ich. »Wenn du dich auf die Pirsch nach Baptiste begibst, wie finde ich dich dann?«

An ihrer verschlossenen Miene sah ich, daß sich wieder die kulturelle Kluft zwischen uns aufgetan hatte. Hannah war vielleicht unbewandert in den dunklen Künsten des Chatrooms, aber was wußte Salvo schon von der kongolesischen Gemeinde in London oder von den Schlupfwinkeln ihrer Wortführer?

»Baptiste ist erst vor einer Woche aus den Vereinigten Staaten zurückgekommen. Er hat eine neue Adresse und vielleicht auch einen neuen Namen. Ich muß zuerst mit Louis reden.«

Denn Louis, so erfuhr ich, war Baptistes inoffizieller Stellvertreter im Europabüro des Pfades der Mitte. Er war außerdem ein enger Freund von Salomé, einer Freundin von Baptistes Schwester Rose, die in Brüssel wohnte. Doch da Louis momentan untergetaucht war, hing alles davon ab, ob Rose schon wieder von der Hochzeit ihres Neffen in Kinshasa zurück war. Wenn nicht, könne sie sich möglicherweise bei Roses Geliebtem Bien-Aimé erkundigen, aber nur, wenn Bien-Aimés Frau nicht in der Stadt war.

Ich gab mich geschlagen.

* * *

Ich bin allein, auf mich gestellt bis heute abend. Um zu sehen, ob ich irgendwelche Nachrichten auf der Mailbox habe, muß ich mich getreu den strengen Agentenregeln, die ich mir nach dem Einbruch in die Norfolk Mansions auferlegt habe, erst einmal eine Meile von Mr. Hakims Haus entfernen. Ich gehe durch eine von Bäumen gesäumte Straße bis zu einem leeren Buswartehäuschen. Ich lasse mir Zeit, viel Zeit. Ich setze mich auf eine einsame Bank und schalte das Handy ein. Ich habe nur eine Nachricht, und zwar von Barney, Mr. Andersons feschem Adjutanten und hauseigenem Chatroom-Casanova. Von seinem Adlerhorst auf der Galerie genießt Barney freien Blick in jede Hörkabine und in jedes lohnende Dekolleté. Sein Anruf bei mir ist Routine. Überraschend wäre, wenn er nicht angerufen hätte, aber er hat. Ich höre mir die Nachricht zweimal an.

Hallo, Salv. Wo zum Geier stecken Sie? Ich hab’s schon in Battersea probiert, aber da hab ich von Penelope ganz schön was zu hören bekommen. Wir hätten den üblichen Schrott für Sie – was eben so anfällt. Nichts Weltbewegendes, aber trotzdem. Melden Sie sich einfach so bald wie möglich, und geben Sie Laut, wann Sie bei uns reinschauen können, okay? Also dann, tschüs.

Mit seiner ach so unschuldigen Nachricht hat Barney mich zutiefst mißtrauisch gemacht. Cool war er immer schon, aber heute morgen ist er so megacool, daß ich ihm kein Wort abkaufe. So bald wie möglich. Warum so eilig, wenn es doch nur um den üblichen Schrott geht? Oder soll er mich, wie ich vermute, in den Chatroom locken, wo Philip und seine Spießgesellen schon auf mich warten, um mir die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen wie Haj?

Ich gehe weiter, energischeren Schrittes nun plötzlich. Der Drang, mich nach dem Brinkley-Debakel zu rehabilitieren und meine Scharte bei Hannah auszuwetzen, brennt in mir wie zuvor. Doch aus dem tiefsten Dunkel der Erniedrigung trifft mich ein Strahl der Erleuchtung.

Hat Hannah mir nicht selbst geraten, lieber zu Mr. Anderson als zu Seiner Lordschaft zu gehen? Und genau das werde ich tun! Ich werde mich mit ihm treffen, aber zu meinen Bedingungen, nicht zu Andersons und auch nicht zu Barneys. Die Entscheidung über Zeit und Ort liegt bei mir, nicht bei ihnen, genau wie die Wahl der Waffen. Und erst wenn jedes Detail stimmt, werde ich Hannah in meinen Plan einweihen.

Doch zuerst die praktische Seite angepackt. Weil ich Kleingeld brauche, kaufe ich in einem Supermarkt einen Guardian. Ich suche mir eine freistehende Telefonzelle. Sie hat Scheiben aus gehärtetem Glas, die dem Anrufer einen Rundumblick gewähren, und der Apparat nimmt Münzen an. Ich stelle mir die Umhängetasche zwischen die Füße. Ich räuspere mich, lockere meine verspannten Schultern und rufe, wie gewünscht, Barney zurück.

»Salv! Na, meine Nachricht gekriegt? Super! Wie wär’s, wenn Sie heute nachmittag eine Schicht einlegen und wir hinterher noch auf ein Bier gehen?«

Barney hat mich in seinem ganzen Leben noch nie auf ein Bier eingeladen, weder vor- noch hinterher, aber das lasse ich unkommentiert. Ich bin genauso cool wie er.

»Heute ist es bei mir ein bißchen schwierig, Barnes. Komplizierter juristischer Kram. Stinklangweilig, aber lukrativ. Ich könnte Sie morgen einschieben, wenn das okay wäre. Am liebsten etwas später, so zwischen vier und acht.«

Ich klopfe auf den Busch, wie mein genialer Plan es verlangt. Barney versucht, mich auszuhorchen, ich versuche, ihn auszuhorchen. Nur habe ich den Vorteil, daß ich Bescheid weiß und er nicht. Diesmal dauert es ein wenig länger, bis er antwortet. Vielleicht steht jemand neben ihm.

»Und wieso nicht heute, verdammt?« raunzt er. Schon ist es wieder vorbei mit dem Schmusekurs, der noch nie seine Stärke war. »Wimmeln Sie die Typen ab. Ein paar Stunden hin oder her können denen doch scheißegal sein. Wir haben schließlich die älteren Rechte an Ihnen, dafür bezahlen wir Sie. Und wo treiben Sie sich überhaupt rum?«

Er weiß ganz genau, wo ich bin. Er hat meinen Standort vor sich auf dem Bildschirm, wieso fragt er also? Will er Zeit schinden, während er sich beraten läßt?

»In einer Telefonzelle«, lamentiere ich fröhlich. »Mein Handy spinnt mal wieder.«

Erneut läßt er mich warten. Barney in Zeitlupe.

»Okay, nehmen Sie sich ein Taxi. Können Sie auf die Spesenrechnung setzen. Der Boß will Sie an sein Herz drücken. Behauptet, Sie hätten übers Wochenende die Nation gerettet, sagt aber nicht, wie.«

Mein Herz macht einen doppelten Salto. Barney spielt mir genau in die Hände! Aber ich bleibe gelassen. Ich bin nicht impulsiv. Mr. Anderson wäre stolz auf mich.

»Bei mir geht es frühestens morgen nachmittag, Barney«, sage ich ruhig. »Dann kann mich der Boß immer noch an sein Herz drücken.«

Diesmal kommt die Reaktion prompt.

»Sie haben sie wohl nicht mehr alle! Morgen ist Mittwoch, Mann. Heiligabend!«

Mein Herz vollführt regelrechte Bocksprünge, aber ich lasse mir meinen Triumph nicht anmerken.

»Dann eben Donnerstag oder gar nicht, Barnes. Es sei denn, es ist eine Sache auf Leben und Tod, und das ist es ja nicht, sagen Sie. Tut mir leid, aber so sieht’s aus.«

Ich lege auf. Gar nichts tut mir leid, im Gegenteil. Morgen ist Heiligabend, und wie es die Legende will, hat Mr. Anderson seit zwanzig Jahren keinen Heiligabend verpaßt. Da können Philip und seine Männer ihm die Tür eintreten, da können wichtige Stenoblöcke den Flammen entrinnen oder Tonkassetten verschwinden – egal: Am Mittwochabend ist Chorprobe in Sevenoaks, und Mr. Anderson ist die Stütze des ersten Basses.

Der erste Schritt wäre geschafft. Ich widerstehe der Versuchung, Hannah auf Grace’ Handy anzurufen und ihr von meinem begnadeten Schachzug zu erzählen, wähle statt dessen die Nummer der Auskunft und bin Sekunden später mit der Feuilletonredakteurin des Sevenoaks Argus verbunden. Ich hätte da einen Onkel, beginne ich listig. Er singe im Chor von Sevenoaks im ersten Baß. Morgen habe er Geburtstag. Ob sie mir wohl freundlicherweise verraten könne, wo und wann sich der Chor Mittwoch abends treffe?

Hm. Aha. Ja und nein. Ob ich ihr vielleicht sagen könne, ob mein Onkel zu den Autorisierten oder den Unautorisierten gehöre?

Ich bekenne, damit überfragt zu sein.

Das freut sie. Sevenoaks, so erklärt sie, habe nämlich das seltene Glück, sich gleich mit zwei Chören schmücken zu können. Das landesweite Singfest in der Royal Albert Hall finde in drei Wochen statt. Beide Chöre hätten sich angemeldet, beide würden als Geheimtip für einen Preis gehandelt.

Ob sie mir eventuell den Unterschied erklären könne, bat ich.

Sie könne, aber es müsse unter uns bleiben. Autorisiert bedeute, im Umfeld einer anerkannten Kirche angesiedelt zu sein, vorzugsweise Church of England, aber nicht zwingend. Es bedeute, erfahrene Gesangslehrer und Chorleiter zu haben, aber keine Profis, weil dazu das Geld nicht reiche. Es bedeute ausschließlich heimische Talente und keine Gastsänger.

Und unautorisiert?

Unautorisiert, aber auch das müsse bitte unter uns bleiben, bedeute keine Kirche oder bestenfalls eine der obskureren Art, es bedeute neues Geld und Verstärkung von außerhalb, zu deren Beschaffung jedes Mittel recht sei, ohne Rücksicht auf die Kosten. Kurz und gut, es bedeute eine Einstellung, die nichts mit Heimatverbundenheit zu tun habe, sondern eher zu einer Profimannschaft im Fußball passe. Ob sie sich deutlich genug ausgedrückt habe?

Und ob. Mr. Anderson hat im Leben noch nie etwas Unautorisiertes getan.

Nachdem ich auf Umwegen in Mr. Hakims Pension zurückgekehrt war – »taktische Haken schlagen« hätte Maxie es genannt –, rief ich sofort Hannah an, denn jetzt mußte sie unbedingt über meine grandiosen Machenschaften bis dato ins Bild gesetzt werden. Grace meldete sich, und sie hatte schlechte Neuigkeiten.

»Hannah ist echt down, Salvo. Diese Wohltätigkeitstanten sind so verkorkst, daß man sich fragt, wo sie ihre Wohltätigkeit überhaupt hernehmen.«

Als Hannah an den Apparat kam, erkannte ich ihre Stimme kaum wieder. Sie sprach englisch.

»Wenn wir nur ein kleines bißchen weniger schwarz wären, Salvo. Ein paar Tropfen weißes Blut, und wir wären akzeptabel. Nicht du, du gehst grade noch. Aber wir, wir sind eine Zumutung. Wir sind dunkelschwarz. Um uns kommt man nicht herum.« Sie stockte, fing sich aber wieder. »Drei von unseren Kindern sollten bei einer Mrs. Lemon schlafen. Sie haben die gute Mrs. Lemon noch nie gesehen, aber sie lieben sie, okay?«

»Okay.«

»Zwei Übernachtungen in einer Pension am Meer, das ist ein Traum für sie.«

Erneut mußte sie innehalten. »Mrs. Lemon ist Christin, deshalb wollte sie uns kostenlos aufnehmen. Amelia – eines von meinen Sonntagsschulkindern –, Amelia hat ein Bild gemalt, die strahlende Sonne über dem Meer, und die Sonne ist eine große, lachende Zitrone. Okay?«

»Okay.«

»Tja, und nun ist Mrs. Lemon plötzlich unpäßlich.« Mit lauter Stimme imitierte sie Mrs. Lemon. »Ich muß an mein Herz denken, meine Liebe. Ich darf mich nicht aufregen. Ich hatte ja keine Ahnung. Wir dachten doch, die Kinder wären einfach nur arm.«

Grace nimmt ihr das Handy ab. Sie ist ebenso aufgebracht wie Hannah. »Unterwegs nach Bognor gibt es auf halber Strecke ein Café, Salvo. Reisebusse willkommen. Hannah und ich, wir haben mit dem Café alles ausgehandelt. Dreißigmal Chicken Nuggets, kostenlose Mahlzeiten für die Betreuer und den Fahrer. Ein Kaltgetränk für jeden. Hundert Pfund. Ist das fair?«

»Sehr fair, Grace. Sehr anständig, würde ich sagen.«

»Der Fahrer, er kennt das Café, er macht mit seinen Reisegruppen schon seit fünfzehn Jahren da Rast. Schulklassen, Jugendclubs, alle möglichen Kids. Aber alle weiß. Als dem Besitzer klarwurde, daß unsere Kids alle schwarz sein würden, ist ihm urplötzlich eine neue Regel eingefallen. ›Es ist wegen den Senioren‹, hat er gesagt. ›Die wollen ihre Ruhe haben. Darum bedienen wir keine Kinder mehr, nur weiße.‹«

»Weißt du was, Salvo?« Hannah ist wieder da, und diesmal klingt sie kampflustig.

»Was denn, Liebes?«

»Vielleicht sollte der Kongo mal in Bognor einmarschieren.«

Ich lache, sie lacht. Soll ich ihr von meinem brillanten Plan erzählen und sie noch mehr aufregen, oder warte ich damit lieber bis später? Lieber warten, sage ich mir. Mit der Suche nach Baptiste hat sie fürs erste genug am Hals.

Mein brillanter Plan verlangt nach Schriftlichem.

Ich setze mich an meinen Laptop und arbeite fünf Stunden durch, nur gestärkt von einem Stück kalter Lasagne. Anhand der brisantesten Passagen von den Kassetten und Stenoblöcken, die ich, wo nötig, ins Englische übersetze, plus einer Auswahl an PhilipZitaten aus seinem Telefonat, stelle ich ein vernichtendes Exposé der Intrige zusammen, die laut Mr. Anderson im besten Interesse unseres Landes sein sollte. Unter Verzicht auf jede traditionelle Anrede gehe ich gleich aufs Ganze: Da ich Sie als integren Ehrenmann kenne … Da ich ihn außerdem als einen ebenso gründlichen wie langsamen Leser kenne, der größten Wert auf einen schnörkellosen Stil legt, beschränke ich mich auf zwanzig sorgsam durchkomponierte Seiten, die mit einem Bericht von dem Einbruch in die Norfolk Mansions enden. Zum krönenden Abschluß verpasse ich meinem vollendeten Opus den Titel J’accuse!, nach Émile Zolas unerschrockener Streitschrift für den Hauptmann Dreyfus, dieser Saga moralischer Beharrlichkeit, die Pater Michael so geliebt hat. Ich kopiere alles auf Diskette und laufe nach unten zu Mrs. Hakim, die einen Drucker hat. Dann zerbreche ich die Diskette, werfe sie in der Küche in den Müll, verstaue die gestohlenen Kassetten und Stenoblöcke samt meinem Ausdruck von J’accuse! in ihrem Versteck hinter dem altersschwachen Kleiderschrank und schalte die Achtzehn-Uhr-Nachrichten ein, die zu meiner Freude immer noch keine beunruhigenden Meldungen über ein wild gewordenes Zebra auf der Flucht bringen.

* * *

Ich war wenig begeistert von den operativen Vorbereitungen für unser Stelldichein mit Baptiste, aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. Da er seine derzeitige Adresse keinesfalls preisgeben wollte, hatten Hannah und er über meinen Kopf hinweg vereinbart, daß sie mit mir am selben Abend um halb elf in Rico’s Coffee Parlour in der Fleet Street warten würde. Dort würde uns ein namenloser Waffenbruder abholen und an ein namenloses Ziel verbringen. Mein erster Gedanke galt den Bändern und Blöcken. Mitnehmen oder im Versteck lassen? Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, daß ich sie Baptiste gleich bei unserer ersten Begegnung aushändigen würde, aber aus Solidarität mit Hannah mußte ich sie wohl oder übel einstecken.

Nach den Rückschlägen des Vormittags und den Anstrengungen des Nachmittags rechnete ich damit, daß sie düsterer Stimmung sein würde, doch zu meiner Erleichterung war sie blendend gelaunt. Grund dafür war Noah, mit dem sie eine Stunde zuvor ausgiebig telefoniert hatte. Wie üblich hatte sie zuerst mit ihrer Tante gesprochen, für den Fall, daß es schlechte Neuigkeiten gab, aber die Tante hatte nur gesagt: »Er soll es dir selber sagen, Hannah« und ihn an den Apparat geholt.

»Stell dir vor, Salvo, er hat die drittbesten Noten in der ganzen Klasse«, erzählte sie strahlend. »Wir haben Englisch miteinander gesprochen, er ist schon richtig gut. Ich konnte es kaum glauben. Und gestern hat seine Fußballmannschaft die Stadtmeisterschaft von Kampala gewonnen, und Noah hätte fast ein Tor geschossen.«

Während ich mich noch mit ihr freute, hielt vor dem Café mit kreischenden Bremsen ein malvenfarbener BMW an, aus dessen offenen Fenstern Rap-Musik dröhnte. Der Fahrer trug eine dunkle Brille und einen Spitzbart wie Dieudonné. Der stämmige Afrikaner auf dem Beifahrersitz erinnerte mich an Franco. Wir sprangen hinein, der Fahrer gab Gas. In rasanter Fahrt ging es auf einem wilden Zickzackkurs nach Süden, ohne Rücksicht auf Ampeln oder Busspuren. Wir ruckelten über eine von Schlaglöchern durchsetzte Industriebrache mit Reifendeponien und mußten scharf einem Rollstuhl ausweichen, in dem drei johlende Jugendliche aus einer Einmündung geschossen kamen, einer über den anderen gestapelt, die Arme ausgebreitet wie die Akrobaten. Dann hielten wir, und der Fahrer brüllte: »Jetzt!« Der BMW wendete zackig und raste davon. Wir standen in einer stinkenden, kopfsteingepflasterten Gasse. Aus dem orangeroten Nachthimmel über den viktorianischen Kaminen lugten riesige Kräne auf uns herab wie Giraffen. Zwei Afrikaner kamen uns entgegengeschlendert. Der größere trug einen seidenen Gehrock und war über und über mit Gold behangen.

»Ist das der Typ ohne Namen?« fragte er Hannah auf Kongo-Swahili.

Du sprichst nur Englisch, Salvo, hatte sie mir eingeschärft. Wer unsere Sprache spricht, für den interessiert man sich zu sehr. Dafür hatte sie sich überreden lassen, daß wir für die Dauer der Unterredung nur Freunde und kein Liebespaar darstellen wollten. Daß sie überhaupt in diese Geschichte hineingeraten war, war meine Schuld. Ich wollte sie unter keinen Umständen noch tiefer darin verstricken.

»Was ist in der Tasche da?« fragte der kleinere der Männer, ebenfalls auf Swahili.

»Das ist für Baptiste persönlich«, gab Hannah zurück.

Der Große kam auf mich zu und tastete mit schlanken Fingern die Umhängetasche ab, ohne sie jedoch zu öffnen. Mit seinem Kollegen als Nachhut gingen wir hinter ihm eine steinerne Treppe hinauf in das Haus, wo uns ebenfalls Rap-Musik entgegenschlug. In einem neonhellen Café saßen ältere Afrikaner mit Hüten vor einem riesigen Plasmabildschirm, auf dem sich eine kongolesische Band die Seele aus dem Leib spielte. Die Männer tranken Bier, die Frauen Saft. An ein paar anderen Tischen steckten Jugendliche in Kapuzenshirts die Köpfe zusammen. Über eine weitere Treppe gelangten wir in einen Salon mit Chintzsofas, einer Velourstapete und Läufern aus synthetischem Leopardenfell. An der Wand hing die Photographie einer afrikanischen Familie im Sonntagsstaat. Mutter und Vater standen in der Mitte, ihre sieben Kinder, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, rechts und links von ihnen. Hannah nahm auf dem Sofa Platz, ich auf einem Stuhl gegenüber. Der große Mann blieb in der Tür stehen und klopfte mit dem Fuß den Rhythmus der Musik mit, die aus dem Café heraufdrang.

»Wollen Sie was trinken? Cola oder was?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Und was ist mit ihr?«

Draußen auf der Straße hielt leise ein Wagen. Eine Tür ging auf und fiel mit sattem Schmatzen wieder ins Schloß. Schritte auf der Treppe. Baptiste war ein Haj ohne dessen Eleganz. Er war schlank, hohlwangig, langgliedrig und von Kopf bis Fuß in Designerware gekleidet: Ray-Ban-Sonnenbrille, Wildlederjacke, goldene Halsketten, dazu Texasstiefel, die mit Cowboyhüten bestickt waren. Etwas Unwirkliches umgab ihn, als wären nicht nur seine Sachen, sondern auch der Körper, der darin steckte, neu gekauft. Am rechten Handgelenk trug er eine goldene Rolex. Als Hannah ihn sah, sprang sie freudig auf und rief seinen Namen. Ohne zu antworten, zog er die Jacke aus, warf sie über einen Stuhl und murmelte unserem Führer »Abgang« zu, woraufhin sich dieser nach unten trollte. Dann stellte er sich breitbeinig und mit vorgerecktem Becken hin und streckte Hannah beide Hände entgegen, auf daß sie ihn umarme. Was sie nach kurzem Stutzen auch tat – nur um anschließend in Gelächter auszubrechen.

»Was hat Amerika denn mit dir gemacht, Baptiste?« rief sie auf Englisch, wie vereinbart. »Du bist ja so« – sie suchte nach dem richtigen Wort –, »so reich geworden!«

Statt einer Antwort küßte er sie, und zwar auf eine übertrieben besitzergreifende Art, wie ich fand, linke Wange, rechte Wange und ein zweites Mal die linke, wobei er mich über ihre Schulter hinweg taxierte.

* * *

Hannah hatte ihren Platz auf dem Sofa wieder eingenommen. Ich saß ihr gegenüber auf dem Stuhl, die Umhängetasche neben mir. Baptiste, der Entspannteste von uns allen, fläzte in einem Brokatsessel, die Beine Hannah entgegengespreizt, als wollte er sie zwischen seine Schenkel nehmen.

»Also, wo brennt’s?« fragte er, die Daumen wie ein Blair oder Bush in seinen Gucci-Gürtel geklemmt.

Ich wollte die Sache schrittweise angehen, ihn schonend vorbereiten auf den Schock, den ich ihm notgedrungen versetzen mußte. So behutsam wie möglich – und, wie ich rückblickend zugeben muß, mit einem Hauch von Weitschweifigkeit à la Mr. Anderson – warnte ich ihn vor, daß ihn das, was ich ihm mitzuteilen hatte, höchstwahrscheinlich in einen Loyalitätskonflikt stürzen und bestimmte Erwartungen, die er hinsichtlich einer charismatischen und geachteten Persönlichkeit der kongolesischen Politszene hege, enttäuschen werde.

»Reden Sie über den Mwangaza, oder was?«

»So leid es mir tut«, antwortete ich zerknirscht.

Es sei mir wahrlich keine Freude, ihm eine schlechte Nachricht überbringen zu müssen, aber ich hätte einer Person aus meinem Bekanntenkreis, die ungenannt bleiben solle, ein Versprechen gegeben, das ich hier und heute erfüllen müsse. Auf diese fiktive Figur hatten Hannah und ich uns nach langer Diskussion geeinigt. Ich muß hier einschieben, daß mir kaum etwas mehr gegen den Strich geht, als mit einer schwarzen Brille zu reden. In Extremfällen habe ich Kunden sogar schon gebeten, sie abzusetzen, mit der Begründung, sie beeinträchtige mein Kommunikationsvermögen. Aber um Hannahs willen machte ich gute Miene zum bösen Spiel.

»Was heißt hier Person? Männlein? Weiblein? Oder was?«

»Das ist eine Information, die ich nicht preisgeben kann«, erwiderte ich, froh um die Gelegenheit, gewisse Dinge gleich einmal klarzustellen. »Sagen wir der Einfachheit halber er«, fügte ich einlenkend hinzu. »Dieser Bekannte, eine meines Erachtens absolut vertrauenswürdige und integre Person, übt eine äußerst geheime Tätigkeit für die Regierung aus.«

»Die britische Regierung?« Der höhnische Unterton, verbunden mit der Ray-Ban und dem amerikanischen Akzent, hätte mich durchaus in Rage bringen können, wäre er nicht ein guter Freund von Hannah gewesen.

»Die Aufgaben meines Bekannten«, fuhr ich fort, »verschaffen ihm regelmäßige Einblicke in die Kommunikation zwischen afrikanischen Nationen und den europäischen Institutionen, mit denen sie in Kontakt stehen.«

»Institutionen? Was für Institutionen, verflucht? Regierungen, oder was?«

»Nicht unbedingt, Baptiste. Es gibt auch noch andere Institutionen als Regierungen. Viele sind mächtiger als Regierungen, und schwerer faßbar. Und sie haben mehr Geld.«

Ich sah hilfesuchend zu Hannah hinüber, doch sie hatte die Augen geschlossen wie zum Gebet.

»Was mir mein Bekannter nun anvertraut hat – nach langem inneren Ringen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit« – ich beschloß, ohne weitere Umschweife zur Sache zu kommen –, »ist folgendes: Kürzlich hat auf einer Nordseeinsel ein geheimes Treffen stattgefunden« – ich machte eine Pause, um den Satz wirken zu lassen – »und zwar zwischen Ihrem Mwangaza und – so leid es mir tut – den Repräsentanten gewisser ostkongolesischer Milizen.« Die Gesichtshälfte unter der Brille verriet kein Anzeichen heraufdämmernden Begreifens. Lediglich seine Lippen spannten sich kaum merklich. »Außerdem nahmen daran auch noch andere Repräsentanten teil, nämlich die eines anonymen Syndikats internationaler Investoren. Auf der genannten Konferenz einigte man sich auf einen gemeinsamen Militärputsch gegen Kivu mit Hilfe westlicher und afrikanischer Söldner.« Noch immer keine Reaktion. »Ein verdeckter Putsch. Zu dem sich niemand bekennt. Unter Einsatz der örtlichen Milizen, mit denen sie einen Deal ausgehandelt haben. Wobei es sich bei diesen Milizen um Einheiten der Mai Mai und der Banyamulenge handelt.«

Haj und Luc hatte ich, einem Instinkt folgend, aus meiner Gleichung vorerst herausgelassen. Wieder warf ich einen Blick zu Baptiste hinüber, um zu sehen, wie er es aufnahm. Seine Ray-Ban war, soweit ich das erkennen konnte, auf Hannahs Busen gerichtet.

»Der vorgebliche Zweck dieses Militärputsches«, fuhr ich etwas lauter fort, »ist die Schaffung eines geeinten und demokratischen Kivu, Nord und Süd. Der wahre Zweck jedoch ist ein etwas anderer. Das Syndikat will sich alle Bodenschätze im Ostkongo unter den Nagel reißen, darunter auch große Coltanvorkommen. Den Investoren würden Millionen und Abermillionen in die Taschen fließen, und für die Menschen in Kivu bliebe nichts übrig, kein müder Dollar.«

Nicht die leiseste Kopfbewegung, nicht die kleinste Richtungsänderung der Ray-Ban.

»Das Volk wird geprellt. Aufs Kreuz gelegt, wie üblich«, ereiferte ich mich. Langsam hatte ich das Gefühl, nur noch mit mir selbst zu reden. »Die älteste Geschichte der Welt. Reine Abzockerei.« Meine Trumpfkarte hatte ich mir bis zuletzt aufgespart. »Und Kinshasa ist in die Pläne eingeweiht. Kinshasa drückt ein Auge zu, solange es selbst einen Schnitt machen kann, und das heißt in diesem Fall, daß es den Volksanteil einstreicht. Und zwar den gesamten.«

Über uns schrie ein Kind und wurde getröstet. Hannah lächelte versonnen, doch ihr Lächeln galt dem Kind, nicht mir. Baptistes Augenbalken übte eine zunehmend lähmende Wirkung auf meine erzählerischen Fähigkeiten aus.

»Und wann soll sich das abgespielt haben?«

»Wann ich mit meinem Bekannten gesprochen habe?«

»Das Treffen auf der verfluchten Insel, Mann. Wann war das?«

»Wie ich sagte: kürzlich.«

»Kürzlich kenne ich nicht. Kürzlich wie? Kürzlich wann?«

Im Zweifelsfall möglichst dicht bei der Wahrheit bleiben. »Innerhalb der letzten Woche«, antwortete ich.

»War er bei dem Treffen dabei, dieser namenlose Bekannte? Hat er mit denen auf der Insel gehockt und sich angehört, wie sie den Deal ausgeheckt haben?«

»Er hat die Unterlagen gelesen. Die Berichte. Wie ich schon sagte.«

»Er hat die Unterlagen gelesen, er dachte sich, heilige Scheiße, und dann ist er zu Ihnen gelaufen?«

»Ja.«

» Warum?«

»Er hat ein Gewissen. Er hat das ganze Ausmaß des Betrugs erkannt. Er liebt den Kongo. Er hat etwas dagegen, daß Leute aus Profitgier in fremden Ländern Kriege anzetteln. Reicht das nicht als Grund?«

Anscheinend reichte es nicht.

»Aber wieso ausgerechnet zu Ihnen, Mann? Ist er einer von diesen liberalen Negerfreunden, die keine echten Schwarzen kennen und für die einer wie Sie schon das höchste der Gefühle ist?«

»Er ist zu mir gekommen, weil ihm etwas an Afrika liegt. Das muß Ihnen genügen. Ich kenne ihn schon lange, woher, brauchen Sie nicht zu wissen. Er wußte, daß ich Beziehungen zum Kongo habe und das Herz am rechten Fleck.«

»Scheiße, Mann. Du willst mich wohl verarschen.«

Baptiste sprang auf und marschierte im Zimmer auf und ab, die Texasstiefel leicht schlitternd auf dem dicken goldfarbenen Teppich. Nachdem er den Raum ein paarmal durchquert hatte, blieb er vor Hannah stehen.

»Vielleicht glaube ich dem Schwachkopf da«, sagte er zu ihr, mit einem Kopfnicken in meine Richtung. »Vielleicht glaube ich auch nur, daß ich ihm glaube. Vielleicht war es richtig von dir, ihn zu mir zu bringen. Er ist nicht zufälligerweise Halbruander? Ich glaube, er ist Halbruander. Ja, das muß die Erklärung sein.«

»Baptiste«, flüsterte Hannah, aber er ignorierte sie.

»Okay, du brauchst nicht zu antworten. Halten wir uns an die Fakten. Als da wären: Dein Freund hier vögelt mit dir, richtig? Der Freund von deinem Freund weiß, daß er mit dir vögelt, und er kommt deshalb zu ihm gelaufen. Und er erzählt deinem Freund eine Geschichte, die dir dein Freund schleunigst weitererzählt, weil er mit dir vögelt. Du bist zu Recht empört über die Geschichte und bringst deinen Freund, der mit dir vögelt, zu mir, damit er sie mir auch erzählen kann, worauf der Freund deines Freundes von Anfang an spekuliert hat. So etwas nennen wir Desinformation. Darin sind die Ruander äußerst geschickt. Sie haben eigens Leute, die nichts anderes tun, als falsche Informationen zu streuen. Soll ich dir erklären, wie so was läuft? Okay?«

Noch immer vor Hannah aufgebaut, schaut er mit seinen verdunkelten Augen zwischen uns hin und her.

»Es läuft folgendermaßen: Ein großer Mann – ein wahrhaft großer Mann, und damit meine ich den Mwangaza – bringt den Menschen meines Landes Hoffnung. Frieden, Wohlstand, Eintracht, Einheit. Aber dieser große Mann ist kein Freund der Ruander. Er weiß, daß er seine Vision nicht verwirklichen kann, solange die Ruander ihre verfluchten Kriege auf unserem Land austragen, unsere Wirtschaft und unsere Menschen kolonisieren und Killertrupps schicken, um uns auszurotten. Deshalb haßt er die Schweine. Und sie hassen ihn. Und sie hassen mich. Weißt du, wie oft diese Scheißkerle schon versucht haben, mich auszuschalten? Und jetzt wollen sie dem Mwangaza ans Leder. Und wie?

Indem sie in seinem Lager eine Lüge in Umlauf bringen. Und wie lautet diese Lüge? Du hast sie gerade gehört. Von deinem Freund, mit dem du vögelst. Der Mwangaza hat sich an die Weißen verkauft. Der Mwangaza hat unser Geburtsrecht an die Profitgeier in Kinshasa verhökert!«

Er dreht sich von Hannah weg und stellt sich vor mich hin. Er muß lauter sprechen, um die Rap-Musik, die durch den goldfarbenen Teppich heraufdröhnt, zu übertönen.

»Ist Ihnen klar, daß in Kivu schon ein kleines Streichholz ausreicht, um die ganze Region in Flammen aufgehen zu lassen? Haben Sie davon schon mal was läuten hören, rein zufälligerweise?«

Ich muß genickt haben, ja, das weiß ich.

»Dieses Streichholz sind Sie, Mann, selbst wenn Sie es nicht wollen, selbst wenn Sie tatsächlich nur die besten Absichten haben. Und die ungenannte Person, dieser Bekannte von Ihnen, der den Kongo so liebt und ihn vor den weißen Eindringlingen beschützen will, der ist eine ruandische Schmeißfliege, sonst nichts. Und glauben Sie ja nicht, daß er die einzige ist. Denn haargenau die gleiche Geschichte trägt man uns von ungefähr zwanzig verschiedenen Seiten zu. Alle wollen sie uns weismachen, der Mwangaza wäre der Antichrist in Person. Spielen Sie vielleicht Golf? Das edle Spiel auf dem grünen Rasen? Sind Sie ein verdammter Golfer, Sir?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Kein Golf«, murmelte Hannah für mich.

»Dieses grandiose Treffen soll irgendwann letzte Woche stattgefunden haben, sagen Sie?«

Ich nickte, ja, richtig.

»Wollen Sie wissen, wo der Mwangaza letzte Woche war? Jeden Tag, ausnahmslos, jeden verdammten Vormittag, jeden verdammten Nachmittag? Da brauchen Sie nur seine Platzgebühren zu überprüfen. In Marbella, Südspanien, um sich beim Golfspielen zu erholen, bevor er in den Kongo zurückkehrt und seinen heldenhaften Feldzug für eine friedliche Machtübernahme fortsetzt. Wissen Sie, wo ich die letzte Woche gewesen bin, geschlagene sieben Tage lang, bis gestern? Da brauchen Sie bloß meine Platzgebühren zu überprüfen. In Marbella beim Golfspielen, mit dem Mwangaza und seinen Getreuen. Vielleicht – und das soll bloß ein Vorschlag sein – könnten Sie Ihrem Freund von mir ausrichten, daß er sich seine Insel in den Arsch schieben kann und seine dreckigen Lügen gleich hinterher.«

Und die ganze Zeit, während er sprach, funkelte mich seine Rolex mit dem Achtzehn-Karat-Armband und den Mondphasen an. Je mehr er sich in Rage redete, desto protziger und provozierender funkelte sie.

»Wollt ihr irgendwohin, soll ich euch fahren lassen? Braucht ihr ein Taxi?« fragte er Hannah auf Swahili.

»Nicht nötig«, sagte Hannah.

»Hat der Mann, mit dem du vögelst, da was in seiner Tasche, was er mir geben will? Verleumderische Schriften? Koks?«

»Nein.«

»Wenn du mal die Schnauze voll von ihm hast, sag mir Bescheid.«

Ich folgte ihr die Treppe hinunter, durch das Café, hinaus auf die Straße. Vor dem Haus parkte ein neuer schwarzer Mercedes in zweiter Reihe, der Fahrer hinterm Lenkrad. Durch das Rückfenster starrte eine junge Schwarze in tiefausgeschnittenem Kleid und weißer Pelzstola mit angstgeweiteten Augen zu uns heraus.

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