12

Drei Standorte, meine Herrn! Alle drei Tagebau, alle drei noch kaum ausgebeutet und von zentraler Wichtigkeit für ein wiedererstarktes Kivu.«

Maxie, Billardqueue in der Hand, führt wieder das große Wort. Der Flughafen ist unser, der Mwangaza in Amt und Würden. Bald wird das Syndikat sämtliche Minen in Süd-Kivu kontrollieren, aber bis dahin spielen drei für uns eine besondere Rolle. Sie sind ab vom Schuß, ohne offizielle Lizenzinhaber, die uns in die Quere kommen könnten.

Seit meiner Rückkehr in den Besprechungsraum muten mich all die Menschen darin wie Schauspieler nach einem Kostümwechsel an. Haj und Dieudonné, die vor nur wenigen Minuten den Aufstand geprobt haben, benehmen sich, als hätten sie nie ein Wort miteinander gesprochen. Haj summt ein unbeschwertes Liedchen und grinst ins Leere. Dieudonné zupft versonnen mit den knochigen Fingerspitzen an seinen Barthaaren. Zwischen den beiden ragt die Gestalt des alten Franco auf, sein verwittertes Gesicht ein Bild der Rechtschaffenheit. Undenkbar, daß er soeben versucht haben soll, den gottgefälligen Delphin zu bestechen! Und Philip kann doch nie und nimmer derselbe sein, der vorhin so herrisch ins Satellitentelefon geblafft hat. Seine wohlgepolsterten Hände liegen in pfäffischer Seelenruhe über der Hemdbrust gefaltet. Kämmt er sich zwischen zwei Auftritten das gewellte weiße Haar? Zwirbelt er die kleinen Löckchen hinter seinen Ohren neu? Einzig Tabizi kann die Feindseligkeit, die in ihm brodelt, nicht verbergen. Den Rest seines Körpers mag er unter Kontrolle haben, nicht aber das rachsüchtige Glimmen in seinen ölschwarzen Augen.

Die Karte, vor der Maxie steht, ist so groß, daß Anton sie über ein Tischende breiten muß wie eine Decke. Wie sein Skipper hat er die Jacke ausgezogen. Seine bloßen Arme sind vom Ellenbogen bis zum Handgelenk hinunter tätowiert: ein Büffelkopf, ein zweiköpfiger Adler mit einem Erdball in den Fängen und ein Totenschädel auf einem Stern zur Erinnerung an das nicaraguanische Escuadrón de Helicópteros. In den Händen hält er ein Tablett mit kleinem Plastikspielzeug darauf: Kampfhubschrauber mit verbogenen Rotorblättern, zweimotorige Flugzeuge, denen die Propeller fehlen, Feldhaubitzen, die Munitionswägen ziehen, Fußsoldaten, die mit aufgestecktem Bajonett vorwärts stürmen oder sich – das scheinen die Klügeren zu sein – flach zu Boden geworfen haben.

Maxie marschiert den Tisch entlang, sein Queue im Anschlag. Ich versuche, Hajs Blick auszuweichen. Sooft Maxie mit dem Queue zeigt, sehe ich flüchtig von meinem Block hoch und begegne schon wieder Hajs Geglupsche. Was für eine Botschaft will er mir übermitteln? Daß ich ihn verraten habe? Daß unser Zweikampf nie stattgefunden hat? Daß wir Busenfreunde sind?

»Kleines Nest namens Lulingu«, sagt Maxie zu Franco gewandt und spießt den Ort auf sein Rapier. »Herz des Mai-Mai-Territoriums. Le cœur du Maï Maï. Oui? D’accord? Guter Mann.« Ein Schwenk in meine Richtung. »Angenommen, ich würde ihn bitten, dreihundert von seinen besten Leuten da hinzubeordern, würde er das für mich tun?«

Während Franco mein Ansinnen überdenkt, schwenkt Maxie wieder herum zu Dieudonné. Wird er ihm raten, eine Flasche lösliches Aspirin zu trinken? – nicht hinter der Herde herzutraben, nun da seine Zeit abgelaufen ist?

»Euer Gebiet, stimmt’s? Euer Volk. Eure Weiden. Euer Vieh. Euer Plateau.«

Das Queue schrammt das Südufer des Tanganjika-Sees entlang, hält auf halber Strecke inne, fährt ein Stück nach links, hält wieder an.

»Das ist unser Gebiet«, räumt Dieudonné ein.

»Könnt ihr einen befestigten Stützpunkt für mich einrichten – hier?«

Dieudonnés Gesicht verfinstert sich. »Für Sie?«

»Für die Banyamulenge. Für ein vereintes Kivu. Für Frieden, Gleichberechtigung und Wohlstand für das gesamte Volk.« Die Glaubenssätze des Mwangaza sind offenkundig auch die von Maxie.

»Wie würden wir versorgt?« will Dieudonné wissen.

»Von uns. Aus der Luft. Wir werfen euch alles ab, was ihr braucht, und solange ihr es braucht.«

Dieudonné richtet den Blick beinahe beschwörend auf Haj, dann senkt er das Gesicht zwischen seine langen, dünnen Hände und läßt es dort, und für den Bruchteil einer Sekunde tauche ich zu ihm in sein Dunkel. Hat Haj ihn herumgekriegt? Und wenn ja, hat er mich herumgekriegt? Jetzt hebt Dieudonné den Kopf. Sein Ausdruck ist entschlossen, aber in welchem Sinne entschlossen, darüber läßt sich nur spekulieren. Den Blick in die Ferne gerichtet, beginnt er laut zu denken, in kurzen, apodiktischen Sätzen.

»Kinshasa bietet uns an, uns in seine Armee einzugliedern. Aber nur, um unsere Kräfte zu binden. Man ködert uns mit Alibi-Posten, die uns die Illusion von Macht vermitteln sollen. Aber de facto sind sie wertlos. Wenn es zu Wahlen kommt, wird man die Grenzen so ziehen, daß wir im Parlament keine Stimme haben. Wenn wir niedergemetzelt werden, wird Kinshasa keinen Finger zu unserem Schutz rühren. Aber die Ruander werden uns zu Hilfe kommen. Und das wird eine neuerliche Katastrophe für den Kongo.« Zwischen den gespreizten Fingern hervor zieht er sein Fazit: »Mein Volk kann es sich nicht leisten, diese Gelegenheit nicht zu nutzen. Wir werden für den Mwangaza kämpfen.«

Haj starrt ihn an, stößt dann ein mädchenhaftes kleines Lachen aus. Maxie klopft mit der Spitze des Queues auf die Vorberge südwestlich von Bukavu.

»Und diese prächtige kleine Mine hier gehört Ihnen, Haj. Ist das korrekt? Ihnen und Luc?«

»Auf dem Papier«, konzidiert Haj mit aufreizendem Achselzucken.

»Gut, wenn sie nicht Ihnen gehört, wem dann?« – der Ton scherzhaft, aber unterlegt mit einer Aggression, die ich nicht abzumildern versuche.

»Unsere Firma läßt sie von einem Subunternehmer betreiben.«

»Nämlich wem?«

»Geschäftsfreunden meines Vaters«, gibt Haj zurück, und ich frage mich, wer außer mir alles den aufsässigen Unterton in seiner Stimme hört.

»Ruandern?«

»Ruandern, die den Kongo lieben. So was soll’s geben.«

»Und die Ihrem Vater gegenüber loyal sind, nehme ich doch an?«

»Unter vielerlei Umständen, ja. Unter manchen vielleicht eher sich selbst gegenüber, was nur normal ist.«

»Wenn wir die Produktion verdreifachen und sie beteiligen würden, wären sie dann uns gegenüber loyal?«

»Uns?«

»Dem Syndikat. Angenommen, sie wären gut bewaffnet und gegen Angriffe gerüstet? Ihr Vater hat gesagt, sie würden für uns kämpfen bis zum letzten Mann.«

»Wenn mein Vater das gesagt hat, dann wird es auch so sein.«

Erbittert fährt Maxie zu Philip herum. »Ich denke, das ist alles längst abgemacht!«

»Aber selbstredend ist es abgemacht«, versichert Philip begütigend. »Die Sache ist in trocknen Tüchern. Luc hat sich schon vor einer Ewigkeit dazu verpflichtet.«

Da der Wortwechsel englisch und privater Natur ist, übersetze ich ihn nicht mit, was Haj nicht davon abhält, debil zu feixen und mit dem Kopf zu wackeln, wofür er angeekelte Blicke von Tabizi erntet.

»Drei Anführer, drei unabhängige Enklaven.« Maxie appelliert wieder an die Versammlung im Ganzen. »Jede mit eigener Landebahn, voll in Gebrauch, teilweise in Gebrauch oder gar nicht. Das heißt, jede kann aus der Luft versorgt werden, mit schweren Maschinen von Bukavu aus. Das ganze Problem von Erschließung, Abbau und Transport auf einen Schlag gelöst. Unauffindbar und – ohne feindliche Luftangriffe – uneinnehmbar.«

Feindliche Luftangriffe? Und wer soll der Feind genau sein? Fragt sich Haj das, oder frage ich es?

»Ist schließlich nicht bei jeder militärischen Operation so, daß man die Leute aus dem Boden bezahlen kann, auf dem man seine Zelte aufschlägt«, insistiert Maxie im Ton eines Menschen, der Einwände zu entkräften sucht. »Und das auch noch zum besten seines Landes. Streichen Sie das noch mal heraus, alter Junge. Diesen ganzen Schmonzes mit dem Gemeinwohl. Daß die Milizen mit den benachbarten Stammesführern zusammenarbeiten und die Stammesführer alle ihren Reibach machen, was aber völlig legitim ist, solange sie schön brav mit ihren Sippen oder Stämmen teilen. Gibt keinerlei Grund, warum die Stützpunkte nicht im Lauf der Zeit zu richtigen kleinen Gemeinden werden sollten. Mit Schulen, Läden, Gesundheitsversorgung, dem ganzen Drum und Dran.«

Aller Augen richten sich indessen auf die SpielzeugVerkehrsmaschine, die Anton auf Francos DschungelStützpunkt landen läßt. Eine Antonow-12, erklärt Maxie. Mit einer Fracht von Baggern, Lastern, Gabelstaplern und Ingenieuren. Die Landebahn reicht spielend dafür aus. Was immer wo immer benötigt wird, die Antonow bringt es, schön verpackt und mit Schleifchen verziert, so Maxie, aber Haj fährt schon wieder dazwischen – läßt den rechten Arm in die Höhe schießen und hält ihn erhoben wie ein braver Schüler, der wartet, bis der Lehrer ihn aufruft.

»Monsieur Philippe.«

»Haj.«

»Sehe ich das richtig, daß die Milizen gemäß der vorgesehenen Vereinbarung für ein Minimum von sechs Monaten auf den Stützpunkten bleiben müssen?«

»Goldrichtig.«

»Und nach sechs Monaten?«

»Nach sechs Monaten wird der Mwangaza als die Wahl des Volkes im Amt sein, und die Schaffung eines vereinten Kivu wird auf den Weg gebracht worden sein.«

»Aber für die Dauer dieser sechs Monate – bevor die Minen an das Volk übergehen –, wer hat da die Kontrolle über sie?«

»Das Syndikat, wer sonst?«

»Und das Syndikat fördert die Rohstoffe auch?«

»Das will ich hoffen.« Scherzhaft.

»Und fliegt sie aus?«

»Selbstverständlich. Das haben wir Luc alles erklärt.«

»Wird das Syndikat die Rohstoffe auch verkaufen?«

»Sie auf den Markt bringen, sicher.«

»Ich habe gesagt, verkaufen.«

»Und ich habe gesagt, auf den Markt bringen«, pariert Philip mit dem Lächeln eines Mannes, der an einem tüchtigen Wortgefecht seinen Spaß hat.

»Und sämtliche Profite ausschließlich für sich behalten?«

Tabizi am anderen Tischende will schon wieder aus der Haut fahren, aber der behende Philip kommt ihm auch diesmal zuvor.

»Die Profite, Haj – Einnahmen wäre ein weniger ungnädiges Wort –, sollen, wie Sie sehr richtig bemerken, für die ersten sechs Monate die Vorausleistungen des Syndikats ausgleichen helfen. Unter die natürlich auch die nicht unbeträchtlichen Kosten fallen, die nötig sein werden, um dem Mwangaza an die Macht zu verhelfen.«

Von allen im Raum beobachtet, läßt Haj sich das durch den Kopf gehen. »Und die Minen, diese drei Stützpunkte, die Ihr Syndikat bestimmt hat – einen für jeden von uns«, hebt er wieder an.

»Was ist damit?«

»Nun ja, das sind ja nicht irgendwelche beliebig ausgewählten Minen, oder? Sie sehen vielleicht nicht danach aus, aber es handelt sich bei ihnen um höchst spezielle Anlagen.«

»Ich fürchte, da trauen Sie mir zuviel zu, Haj. Ich bin so gar kein technischer Mensch.«

»Es sind Gold- und Diamantenminen, richtig?«

»Das will ich doch schwer hoffen. Andernfalls ist uns ein furchtbarer Fehler unterlaufen.«

»Aber es sind außerdem Halden.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, wirklich. Rund um sie herum ist Coltan abgebaut worden. Abgebaut, angehäuft und dann sich selbst überlassen, während wir zu beschäftigt mit Sterben waren, um etwas damit anzufangen. Ein bißchen Rohverarbeitung vor Ort, um das Gewicht zu reduzieren, und ab geht die Post. Sie brauchen nicht mal die ganzen sechs Monate dafür. Zwei reichen vollkommen.«

Am äußersten Rand meines Blickfelds fährt Tabizi mit den Spitzen seiner ringgeschmückten Finger die Pockennarben an seiner Kinnlade nach, aber mir scheint, daß er lieber Haj in den Fingern hätte.

»Tja, schönen Dank für den Hinweis, Haj«, schnurrt Philip, sahneglatt. »Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß unsere Experten darüber noch nicht im Bilde sind, aber ich sorge auf jeden Fall dafür, daß es weitergeleitet wird. Coltan ist ja leider Gottes nicht mehr das Wundermineral, das es einmal war, aber das wissen Sie sicher selber.«

* * *

»Roamer, Skipper ? «

Meine Hand ist erhoben, ich brauche eine Erklärung. Maxie liefert sie bissig. Aber woher soll ich wissen, daß ein Roamer-Funkgerät so schnell von einer Frequenz zur anderen wechselt, daß keine Abhörvorrichtung in ganz Afrika und erst recht in Bukavu hinterherkommt?

»Und PSD, Skipper?« – keine zwei Minuten später.

»Privater Sicherheitsdienst – Himmelherrgott, Sinclair, leben Sie hinterm Mond?«

Ich entschuldige mich, etwas, das ein Spitzendolmetscher niemals tun sollte.

»Als nächstes kommt der Kordon. Haben Sie das, alter Junge? Französisches Wort, das sollte also klargehen. Sobald ein Stützpunkt gesichert ist, ziehen wir einen Kordon darum. Zwanzig-Kilometer-Radius, keiner darf rein oder raus ohne unser Okay. Das Ganze wird per Hubschrauber aus der Luft versorgt. Unser Hubschrauber, unser Pilot, aber euer Stützpunkt.«

Anton setzt einen Spielzeughubschrauber auf jede Basis. Als ich den Kopf wegdrehe, um Hajs Starren zu entgehen, sehe ich, daß Philip aufgestanden ist.

»Und diese Hubschrauber, meine Herren« – Philip, der stets auf Effekt bedachte, wartet auf vollkommene Stille, erhält sie, hebt neu an –, »diese Hubschrauber, die so lebenswichtig für unsere Operation sind, werden der leichteren Identifizierbarkeit wegen weiß sein. Und damit sie leichter überall durchkommen, halten wir es für sinnvoll, ihnen vorsichtshalber das UN-Emblem aufzumalen«, fügt er in einem nonchalanten Ton hinzu, den ich wacker nachzuahmen versuche, während ich meine Perrierflasche fixiere und meine Ohren vor Hannahs empörten Einwänden verschließe.

Jetzt übernimmt wieder Maxie. Sein erklärter Liebling ist der Sechzig-Millimeter-Mörser, Garant für die Fetzen, die Spider so gern fliegen sieht. Er findet auch lobende Worte für die Panzerfaust mit einer Reichweite von neunhundert Metern, die aus einer ganzen Einheit Hackfleisch macht, aber sein Herz gehört doch dem Sechzig-Millimeter-Mörser. Ich dolmetsche es alles und fühle mich dabei wie in einem Tunnel, in dem meine eigene Stimme aus der Dunkelheit zu mir zurückschallt.

– Erst bringen wir den Treibstoff rein, dann die Munition.

– Jeder Mann bekommt seine eigene Kalaschnikow made in Czechia. Eine bessere Maschinenpistole findet man auf der ganzen Welt nicht.

– Jeder Stützpunkt erhält drei russische 7.62-Maschinengewehre, zehntausend Schuß Munition plus einen weißen Hubschrauber zum Transport von Fracht und Männern.

– Jeder weiße Hubschrauber wird mit einer Gatling-Kanone in der Bugnase ausgestattet sein, aus der sich viertausend 12,7-mm-Geschosse pro Minute abfeuern lassen.

– Und für alle: reichlich Zeit fürs Training. Gutes Training hat noch keiner Einheit geschadet.

Verklickern Sie’s ihnen, alter Junge.

Ich verklickere es.

Keine Glocke ist ertönt, aber die Bahnhofsuhr tickt weiter, und wir Soldaten halten auf Pünktlichkeit. Die Doppeltür zur Bibliothek schwingt auf. Unsere vergessenen Damen, jetzt mit karierten Schürzen bekleidet, posieren vor einem opulenten Büfett. Wie eine Fata Morgana erscheinen vor meinem Auge Hummer auf einem Bett aus Eisblöcken, ein mit Gurkenscheibchen garnierter Lachs, diverse kalte Braten, eine Käseplatte mit einem weichen Brie, der auf irgendeinem Weg dem Abfallhäcksler entkommen sein muß, Weißwein in beschlagenen Silberkübeln, eine Obstpyramide und, als Tüpfelchen auf dem i, eine zweistöckige Torte, über der die Fahnen von Kivu und der Demokratischen Republik Kongo wehen. Wie aufs Stichwort tritt im selben Augenblick, hereingeleitet von Anton und gefolgt vom Delphin, der Mwangaza durch die Terrassentür.

»Mittagspause, meine Herren!« ruft Philip spaßhaft, als wir uns pflichtschuldig erheben. »Hauen Sie ordentlich rein!«

Weiße Hubschrauber mit den UN-Emblemen darauf, wiederhole ich bei mir. Aus deren Bugnasen Gatling-Kanonen viertausend Schuß in der Minute abfeuern, im Namen von Frieden, Gleichberechtigung und Wohlstand für ganz Kivu.

* * *

Hier sollte ich vielleicht vorausschicken, daß es in all meinen Jahren als Dolmetscher kein einziger meiner Klienten geduldet hätte, daß ich der jeweils gebotenen Form der Gastlichkeit fernblieb, ob es nun das große Festbankett mit Krawattenzwang und Toastmaster war oder die kleine Cocktailrunde zum Abschluß des Tages mit warmen und kalten Häppchen. Aber die Anweisungen unseres Skippers waren unmißverständlich gewesen, und die Vorahnungen, die sich dunkel in mir zu regen begannen, ließen mein leibliches Wohl ohnehin zweitrangig erscheinen, trotz der verschwenderischen Fülle belegter Brötchen, die mich statt Maxies »Schiffszwieback« im Heizungskeller erwarteten.

»Wir dürfen ausspannen, mein Junge«, teilt Spider mir mit und stopft sich ein Käse-Essiggurken-Brötchen in den Mund, während er mit der freien Hand großzügig in Richtung seiner Aufnahmegeräte wedelt. »Hören Sie hier und da mal bei den Tischen rein, und sonst legen Sie bis auf weiteres die Füße hoch.«

»Wer sagt das?«

»Philip.«

Spiders Freizeitstimmung beruhigt mich keineswegs, eher im Gegenteil. Mit dem gleichen wissenden Schmunzeln, mit dem er mir vorhin angekündigt hat, daß es heute mittag rundgehen wird, sagt er mir nun, daß wir Flaute haben? Ich nehme meinen Kopfhörer von der Armlehne, nur um von einem Vakuum empfangen zu werden. Diesmal hat Sam nicht vergessen, ihr Mikrophon auszuschalten. Spider studiert ein abgegriffenes Militärmagazin und kaut energisch, aber vielleicht beobachtet er mich ja doch. Ich gehe auf BIBLIOTHEK und höre das voraussagbare Klirren von Tellern und Besteck, während das Büfett in Gang kommt. »Darf ich Ihnen eine Scheibe abschneiden, Sir?« fragt Gladys (oder ist es Janet?) in überraschend gutem Swahili. Ich rufe mir den Lageplan der zum Speisesaal umfunktionierten Bibliothek vor Augen: ein Büfett mit Bedienung, dazu zwei Zweiertische und ein Vierertisch, jeder davon meiner Konsole zufolge mit eigener Wanze. Die Terrassentüren sind weit geöffnet für diejenigen, die sich im Freien zu ergehen wünschen. Gartentische, auch sie verkabelt, stehen für sie bereit. Philip gibt den Maître d’hôtel.

»Monsieur Dieudonné, warum nehmen Sie nicht hier Platz? – Mzee Franco, wo sitzen Sie denn mit dem Bein am bequemsten?«

Worauf lausche ich? Warum bin ich so wachsam? Ich wähle einen Tisch aus und höre Franco im Gespräch mit dem Mwangaza und dem Delphin. Er beschreibt ihnen einen Traum, den er hatte. Afrikanische Träume habe ich als das Kind, das es nicht gab, von den Missionsdienern in Mengen zu hören bekommen, deshalb überrascht mich der von Franco nicht weiter, und die kühne Auslegung, die er mitliefert, auch nicht.

»Ich ging in den Hof meines Nachbarn und erblickte einen Leichnam, der mit dem Gesicht nach unten im Dreck lag. Ich drehte ihn um, und meine eigenen Augen starrten zu mir empor. Da wußte ich, es ist Zeit, den Anordnungen meines Generals Folge zu leisten und den Mai Mai gute Bedingungen für diesen großen Kampf zu verschaffen.«

Der Delphin bekundet mit einfältigem kleinem Lachen seinen Beifall. Der Mwangaza gibt sich unverbindlich. Aber ich habe nur Ohren für das, was ich nicht höre: das Klacken grüner Krokoschuhe auf Schieferboden, das schrille Hohnmeckern. Ich schalte auf den ersten der kleinen Tische um: Philip und Dieu-donné, die in einem Gemisch aus Swahili und Französisch landwirtschaftliche Praktiken erörtern. Ich schalte zum zweiten und bekomme nichts. Wo ist Maxie? Wo Tabizi? Aber ihr Hüter bin ich ja nicht. Ich bin Hajs Hüter, und wo steckt er? Ich schalte wieder zum Vierertisch, falls er seine Gedanken aus Respekt vor der Freundschaft des großen Mannes mit seinem Vater nur ein Weilchen für sich behalten hat. Statt dessen höre ich Poltern und Schnaufen, aber überhaupt keine Stimmen mehr, nicht einmal die des Mwangaza. Es dauert ein bißchen, bis ich mir zusammenreime, was da passiert. Franco hat sein Fetischsäckchen aus den Tiefen seines riesigen braunen Anzugs hervorgeholt und breitet dessen Inhalt vor seinem neuen Anführer aus: das Knöchelbein eines Affen, eine Salbendose, die einst seinem Großvater gehört hat, ein Stück Basalt aus einer versunkenen Urwaldstadt. Der Mwangaza und der Delphin bewundern die Schätze höflich. Sofern Tabizi auch dabei ist, hält er sich bedeckt.

Und immer noch kein Zeichen von Haj, so angestrengt ich auch lausche.

Ich kehre zu Philip und Dieudonné zurück, wo sich inzwischen Maxie in die Unterhaltung eingeschaltet hat und sich in seinem schauerlichen Französisch über die Viehzucht der Banyamulenge ausläßt. Endlich mache ich das, was ich schon vor zehn Minuten hätte tun sollen. Ich schalte in den SALON des Mwangaza und höre Haj schreien.

* * *

Zugegeben, die Zuordnung war nicht gleich zweifelsfrei. Der Schrei enthielt keinen aus der breiten Palette der von Haj bereits gehörten Laute – aber dafür um so mehr bislang ungehörte, als da wären Todesangst, Qual und ein verzweifeltes Flehen, das nach und nach zu schwachem Gewimmer abklang, doch die Worte waren erkennbar, und sie bestätigten die Korrektheit meiner Vermutung. Ich kann diese Worte annähernd wiedergeben, nicht jedoch verbatim. Dieses eine Mal in meinem Leben verweigerte der Stift, wiewohl gezückt, den Kontakt mit dem Block. Aber es waren ohnehin Banalitäten, bitte und um Gottes willen, nein und aufhören. Maria wurde beschworen, aber ob Haj die Muttergottes anrief oder eine Geliebte oder seine Mutter, blieb unklar.

Der Schrei kam mir außerdem extrem laut vor, was ich später relativieren mußte. Aber im ersten Moment schien es mir, als würde zwischen den beiden Muscheln meines Kopfhörers ein Draht gespannt, der rotglühend mitten durch mein Hirn verlief. Es war ein so durchdringendes Gellen, daß ich gar nicht glauben konnte, daß Spider es nicht auch gehört hatte. Doch als ich einen heimlichen Blick zu ihm hinüberschickte, hatte sich an seinem Verhalten nicht das geringste geändert. Er saß immer noch in derselben Haltung da, kaute an demselben Brötchen, Käse mit Essiggurke, las dasselbe Militärmagazin oder las es vielleicht auch nicht, und das alles mit derselben überlegenen Genugtuung, die mir vorhin so auf die Nerven gefallen war.

Sicherheitshalber schaltete ich in die Bibliothek zurück, während ich mich zu fassen versuchte. Der Mwangaza stellte die Veröffentlichung einer Auswahl seiner Gedanken zur Demokratie in Afrika in Aussicht. Am Nebentisch fachsimpelten Philip, Maxie und Dieu-donné über Bewässerungsmethoden. Ein paar irrwitzige Sekunden lang redete ich mir ein, ich hätte mir den Schrei nur eingebildet, aber sehr überzeugend kann ich nicht gewesen sein, denn im nächsten Atemzug war ich schon wieder im Salon des Mwangaza.

Und hier gönne ich mir den Luxus des Vorgreifens, denn ich mußte noch etliche weitere Schreie über mich ergehen lassen, bevor ich die übrigen dramatis personae hinlänglich ermittelt hatte. So hatte ich schon früh festgestellt, daß, obwohl mehrere Paar Füße im Einsatz zu sein schienen – zwei Paar hochaktiver Gummisohlen auf hartem Boden sowie ein Paar leichter Ledersohlen, die ich probeweise dem katzenhaften Tabizi zuordnete –, jedes Klacken von Krokoschuhen fehlte, woraus ich schloß, daß Haj entweder irgendwie überm Boden hing oder aber schuhlos war, wenn nicht beides. Dennoch bedurfte es noch einiges mehr an Dialog zwischen Haj und seinen Peinigern, bis ich mit Gewißheit sagen konnte, daß er gefesselt und, zumindest von der Taille abwärts, nackt war.

Die Schreie, die ich hörte, waren zwar dicht am Mikrophon, aber leiser und quiekender als zunächst gedacht, gedämpft durch ein Handtuch oder dergleichen, das gelüftet wurde, wenn Haj signalisierte, daß er etwas von Interesse zu sagen hatte, und ihm wieder in den Mund gestopft wurde, wenn die Antwort enttäuschte. Allem Anschein nach machte Haj für den Geschmack seiner Peiniger etwas zu oft von diesem Signal Gebrauch, wodurch es mir vergönnt war, erst Benny zu identifizieren – »Probier das noch mal, und ich schmor dir die Eier weg« – und gleich nach ihm Anton, der Haj in Aussicht stellte, ihm »das da« in den Arsch zu schieben.

Was war das da?

Wir hören so viel über Folter dieser Tage, debattieren so viel darüber, ob Geräuschentzug, Wasserkur und Säcke überm Kopf darunterfallen oder nicht, daß nur wenig der Phantasie überlassen bleibt. Das da wurde elektrisch betrieben, so viel war schnell klar – da war zum einen Antons Drohung, ein bißchen mehr Saft zu geben, und dann der Moment, wo Benny Tabizi grob anfuhr, weil der über die Scheiß-Strippe gestolpert war. War das da also ein Elektroschocker? Ein Paar Elektroden? Wenn ja, lautete die Anschlußfrage: Wie waren sie an das da herangekommen? Hatten sie es als Teil ihrer Standardausrüstung mitgebracht, nur für alle Fälle – so wie andere Menschen an einem bewölkten Tag mit Regenschirm aus dem Haus gehen? Oder hatten sie es spontan zusammengebastelt – aus einem Stück Kabel hier, einem Umspanner da, einem Dimmerschalter, einem alten Schürhaken, und los geht’s?

Und wenn das zutraf, wer hatte ihnen dann am ehesten zur Seite gestanden mit seinem Technikverstand und Geschick? – weshalb ich selbst im tiefsten Inneren Aufruhr Muße fand, mir Spiders Lächeln noch einmal anzusehen. Es lag ein unübersehbarer Schöpferstolz darin. War er deswegen von seinem Posten wegbeordert worden? Damit er den Jungs mit den Sachen aus seinem Werkzeugkasten einen Elektroschocker baute? Einen seiner berühmten Muntermacher, mit dem man im Nu Herz und Verstand noch des störrischsten Gefangenen erobert? Wenn, dann hatte die Aufgabe ihm jedenfalls nicht den Appetit verdorben, denn er kaute herzhaft.

Ich habe nicht den Ehrgeiz, hier mehr wiederzugeben als den groben Verlauf von Tabizis Befragung und Hajs vergeblichem Leugnen, welches mit dankenswerter Geschwindigkeit zur Beichte verkam. Die kehligen Drohungen und Flüche auf der einen, das Schreien, Schluchzen und Flehen auf der anderen Seite mag sich jeder selbst ausmalen. Tabizi war eindeutig kein Neuling im Foltern. Seine lakonischen Drohungen und theatralischen Wutausbrüche, durchsetzt mit Anfällen des Bettelns und Schmeichelns, sprachen von langjähriger Übung. Und Haj war, trotz seiner anfänglichen Rebellenpose, mitnichten ein Stoiker. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sehr lange durchhalten würde unter der Peitsche.

Erwähnenswert auch, daß Tabizi nichts unternahm, um seine Quelle zu schützen: mich. Er zog seine Informationen ungeniert aus dem Duell auf der Treppe zum Pavillon und sparte sich all die üblichen Verrenkungen zur Verschleierung ihres Ursprungs, diese verschämten Verweise auf »reguläre und bewährte Informanten« oder »verläßliche Kanäle«, mit denen Mr. Andersons Schreibtischbeamten ihre Berichte verunklaren. Nur ein Folterer, dessen Opfer nie wieder das Licht des Tages erblicken, geht so sorglos zu Werke.

Als erstes erkundigt sich Tabizi in seinem rauhen Französisch nach dem Gesundheitszustand von Hajs Vater Luc.

Schlecht. Ganz schlecht. Liegt im Sterben.

Wo ?

Krankenhaus.

Krankenhaus wo?

Kapstadt.

Wel ch es ?

Haj drückt sich vorsichtig aus, und das mit gutem Grund. Er lügt. Sie haben ihm eine Kostprobe des Elektroschockers angedeihen lassen, aber offenbar keine ausreichende. Tabizi fragt noch einmal: Welches Krankenhaus in Kapstadt? Seine Schuhe klappern rastlos. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn Haj umkreisen, während er seine Fragen herausbellt – vielleicht gelegentlich selber mit anpackt, aber im wesentlichen überläßt er die Sache seinen beiden Gehilfen.

Tabizi: Dann ist Luc also in gar keiner Scheiß-Klinik, oder … oder … oder? … Okay. Also ist es eine Lüge … auf wessen Mist gewachsen? Lucs? … Deinem eigenen? … und wo ist Luc jetzt … Wo ist er? … Wo ist Luc? … Wo Luc ist, habe ich gefragt! … In Kapstadt, na siehst du. Nächstes Mal spar dir das Theater. Luc ist also in Kapstadt, aber nicht in der Klinik. Was macht er da? Lauter! … Golf … entzückend. Und mit wem spielt er Golf? Mit dem dicken Herrn aus Holland? … Er spielt Golf mit seinem Bruder! … Dem Bruder von dem dicken Holländer oder seinem eigenen? … Seinem eigenen Bruder … rührend … und wie heißt dieser Bruder? … Étienne? … Dein Onkel Etienne? … Älter oder jünger? … Jünger … Und wie heißt gleich wieder der Holländer? … Ich habe gesagt, der Holländer … ich habe gesagt, der Holländer … der dicke Holländer, von dem wir gerade geredet haben … der Holländer, mit dem dein Vater heute nicht Golf spielt … der dicke Holländer, der mit dir in Paris studiert hat, der mit den Zigarren … Fällt’s dir jetzt wieder ein? … fällt’s dir jetzt wieder ein? … Der dicke Holländer, mit dem sich dein Vater in Nairobi getroffen hat, dank deiner Vermittlung, du kleiner Scheißer … Reicht’s dir immer noch nicht? … Sollen die Jungs mal bis zum Anschlag aufdrehen, damit du weißt, wie sich das anfühlt? … Marius … Marius heißt er also … Marius, und wie noch? … Laßt ihn mal kurz Luft holen, daß er reden kann … Gut, nein, laßt ihn nicht Luft holen, dreht hoch, bis … van Tonge … er heißt Marius van Tonge. Und was macht Marius van To nge beruflich ? … Risikokapital … einer von fünf Partnern … Na schau, ist doch gar nicht so schwer, mach einfach weiter so, hör auf, mich zu verscheißern, und wir drehen ein klein bißchen runter … nicht zu viel, damit du nicht vergißt, wie’s geht … Dieser Marius hat dich also hergeschickt, damit du uns ausspionierst? … Du spionierst für Marius … du spionierst für das fette Holländerschwein, er zahlt dir einen Haufen Geld, damit du ihm alles steckst, was wir hier besprechen … stimmt’s? … Stimmt’s? … Stimmt’s? Nein! Er sagt nein. Mal angenommen, das ist die Wahrheit … angenommen, du spionierst nicht für Marius, dann spionierst du für Luc, gib’s zu. Du bist Lucs Spion, und wenn du heimkommst, erzählst du alles brühwarm deinem Papi, und der läuft damit schnurstracks zu Marius und schlägt noch einen besseren Deal raus … auch nein? … Auch nein … auch nein … immer noch nein? … Immer noch nein? … Schlaf mir nicht ein hier … glaub nicht, daß dich jemand hier schlafen läßt … mach die Augen auf … wenn du in fünfzehn Sekunden nicht die Augen offen hast, dann wecken wir dich, wie du in deinem ganzen Leben nicht geweckt worden bist … Schon besser … viel besser … Gut, dann bist du also aus eigenem Antrieb hergekommen … du bist dein eigener Herr … dein Papi spielt mit und stellt sich krank, damit du aus eigenem Antrieb herkommen konntest … du willst was nicht? … Krieg! … Du willst keinen neuerlichen Krieg … du glaubst an Versöhnung mit Ruanda … du willst ein Handelsabkommen mit Ruanda … wann? Im nächsten Jahrtausend? (Lachen) … Du willst einen gemeinsamen Markt für sämtliche Nationen der Großen Seen … und Marius als der ehrliche Makler dabei … das glaubst du allen Ernstes … na dann, gratuliere. (Auf Englisch) Gib ihm einen Schluck Wasser … So, und jetzt erzähl uns noch ein bißchen was über diese bösen Freunde von dir in Kinshasa, die Lügengeschichten über den Mwangaza verbreiten. Du hast keine bösen Freunde … du hast überhaupt keine Freunde in Kinshasa … niemand in Kinshasa hat mit dir gesprochen … Typen, die dafür sorgen könnten, daß du am nächsten Morgen als toter Mann aufwachst … Tja, dann Wach jetzt auf, du kleiner … (Wieder in gebrochenem Englisch): Ze ig ’s ihm, Benny, zeig’s ihm so richtig … diesem Nigger … diesem verdammten, dreckigen Scheißnigger …

Bis jetzt waren Hajs Antworten kaum hörbar, daher auch Tabizis Gewohnheit, sie in voller Lautstärke zu wiederholen, für die Notfallmikrophone vermutlich, von denen ich die Finger zu lassen habe, und für etwaige sonstige Zuhörer, die auf einer eigenen Leitung zugeschaltet sein mögen – allen voran sicher Philip. Aber kaum fällt der Name Kinshasa, verändert sich die Stimmung im Salon jäh, genau wie Haj selbst. In ihn kommt Leben. Schmerz und Erniedrigung schlagen in Wut um, seine Stimme wird fester, seine Artikulation deutlicher, und der alte rebellische Haj ersteht wundersam neu. Keine wimmernden Geständnisse mehr, unter Qualen preisgegeben. Statt dessen eine wild aus ihm herausbrechende, bitterböse Schmährede, eine zornsprühende Anklage.

Haj: Wer die sind, diese Klugscheißer in Kinshasa, mit denen ich gesprochen habe? Eure Freunde, verdammt noch mal! Die Freunde des Mwangaza – die Profitgeier, die er nicht mit der Feuerzange anfassen will, ehe er nicht das neue Jerusalem in Kivu erbaut hat! Und soll ich euch sagen, wie sie sich nennen, dieser Haufen von selbstlosen Staatsdienern, wenn sie ihre Biere kippen und ihre Nutten bumsen und überlegen, welchen Mercedes sie sich kaufen sollen? Der Dreißig-Prozent-Club! Welche dreißig Prozent? Die dreißig Prozent, die der Volksanteil sein sollten und die sie für gewisse Gefälligkeiten einzukassieren gedenken, die sie dem Pfad der Mitte erweisen. Der Teil dieser ganzen Scheiß-Unternehmung, der Arschlöcher wie meinen Vater auf die Idee bringt, sie könnten Schulen und Straßen und Krankenhäuser bauen und sich dabei selber die Taschen vollstopfen. Und was müssen diese Profitgeier tun, um sich den Volksanteil zu verdienen? Das, was sie am liebsten tun: gar nichts. Wegschauen. Ihren Soldaten sagen, sie sollen ein paar Tage in ihren Kasernen bleiben und nicht gar so viele Leute vergewaltigen.

Haj schlägt den schmeichelnden Tonfall eines Straßenverkäufers an. Wenn er die entsprechenden Gebärden dazu machen könnte, wäre ihm noch besser gedient.

Haj: Aber selbstredend, Mzee Mwangaza! Sie wollen ein paar Volksaufstände in Bukavu und Goma anzetteln, sich vor den Wahlen an die Macht bringen, die Ruander rausschmeißen und einen kleinen Krieg anfangen? Gar kein Problem! Sie wollen sich den Flughafen unter den Nagel reißen, groß ins Geschäft einsteigen, die Halden abräumen, das Zeug nach Europa schaffen und damit weltweit die Preise drücken? Jederzeit! Ein kleines Detail nur. Wir verteilen den Volksanteil, nicht ihr. Und wie wir ihn verteilen, geht euch einen Scheißdreck an. Der Mwangaza soll Gouverneur von Süd-Kivu sein? Er hat unsere uneingeschränkte, selbstlose Unterstützung. Weil von jedem beschissenen Bauauftrag, den er vergibt, jeder Straße, die er plant, und jeder beschissenen Blume, die er an der Avenue Patrice Lumumba pflanzt, ein Drittel an uns geht. Und wenn ihr uns bescheißt, dann kommen wir euch mit der Verfassung und jagen euch über die Grenze, daß es staubt. Danke fürs Zuhören.

Hajs Wortschwall wird bizarrerweise durch das Klingeln eines Telefons unterbrochen, was mich doppelt aufschreckt, da das einzige funktionsfähige Telefon, von dem ich bisher wußte, das Satellitentelefon im Lagezentrum ist. Anton hebt ab, sagt »Moment« und gibt den Hörer an Tabizi weiter, der zuhört, dann heftig in seinem unschönen Englisch protestiert:

»Ich habe den Drecksack gerade geknackt! Ich habe ein gutes Recht!«

Aber sein Protest nützt ihm offenbar nichts, denn kaum hat er aufgelegt, entbietet er Haj einen Abschiedsgruß auf Französisch: »Also, ich muß gehen. Aber wenn du mir je wieder über den Weg läufst, dann bringe ich dich eigenhändig um. Nicht sofort. Erst bringe ich deine Frauen um, deine Kinder, deine Schwestern und Brüder und deinen gottverdammten Vater und alle, die denken, sie lieben dich. Und danach dich . Dauert Tage. Wochen, wenn ich Glück habe. Schneidet das Dreckschwein los.«

Die Tür schließt sich mit einem Knall hinter ihm. Gleich darauf Antons Stimme, vertraulich, fürsorglich:

»Alles in Ordnung, Junge? Man tut, was man gesagt kriegt, stimmt’s, Benny? Als einfacher Soldat …«

Benny gibt sich ähnlich konziliant. »Dann wollen wir dich mal ein bißchen saubermachen. Nichts für ungut, Kumpel. Beim nächsten Mal stehen wir dann auf derselben Seite.«

Klüger wäre es jetzt wohl, zur Bibliothek zurückzuschalten, aber Hajs Schmerzen lähmen mich. Meine Schultern sind brettsteif, Schweiß strömt mir das Rückgrat hinab, und in meinen Handflächen sind rote Abdrücke, wo ich mir die Nägel ins Fleisch gebohrt habe. Ich sehe zu Spider hinüber, der mit einem Plastiklöffel Käsekuchen spachtelt, ganz gefangen von seinem Militärmagazin, jedenfalls gibt er sich so. Ob Anton und Benny ihm wohl eine Kundenbewertung zukommen lassen werden? Eins a, dein kleiner Elektroschocker, Spider. Der Knabe hat schon nach zwei Sekunden Rotz und Wasser geheult.

Aus der Ferne Wasserrauschen – hastig schalte ich von Salon zu Badezimmer und komme gerade rechtzeitig zu den zotigen Duschgesängen von Benny und Anton, die ihr Opfer säubern. Zögernd finde ich mich damit ab, daß ich ihn vielleicht doch allein wieder auf die Beine kommen lassen sollte, als ganz im Hintergrund verstohlen eine Tür auf- und wieder zuklickt. Und da keine Schritte dazu hörbar werden, weiß ich, Philip der Samtweiche ist gekommen, um den Platz des übereifrigen Tabizi einzunehmen.

Philip: Danke, Jungs.

Er dankt ihnen nicht, er schickt sie weg. Dieselbe Tür öffnet und schließt sich erneut, und nun ist Philip allein. In der Nähe höre ich das Klirren von Glas. Philip hat ein Getränketablett aufgehoben und plaziert es an einer Stelle, die ihm mehr zusagt. Er setzt sich auf ein Sofa oder in einen Sessel, setzt sich noch einmal um, lehnt sich zurück. Dann höre ich das langsame Klacken lindgrüner Krokosohlen auf Steinfliesen.

Philip: Geht’s mit dem Sitzen?

Haj setzt sich auf irgendein Polstermöbel, flucht.

Philip: Sie haben das Mittagessen verpaßt. Ich habe Ihnen ein bißchen Thunfischsalat mitgebracht. Nein?

Wie wär’s dann mit einem verdünnten Scotch? (Er gießt auf Verdacht einen ein: ein Spritzer, sehr viel Sodawasser, zweifaches Platschen von Eiswürfeln)

Sein Ton ist unbeteiligt. Was soeben passiert ist, hat nichts mit ihm zu tun.

Philip: Ein paar Worte zu Marius. Ihrem ausgezeichneten Freund und Kollegen aus Pariser Zeiten. Ja? Einem von fünf vielversprechenden jungen Partnern in einer multinationalen Risikokapital-Gesellschaft namens Union Minière des Grands Lacs. Der Nummer zwei seiner Firma in Johannesburg, immerhin, mit Schwerpunkt Ostkongo.

Rascheln, ein Blatt Papier wird auseinandergefaltet.

Haj: (Auf Englisch, wohl eine der wenigen Wendungen, die er beherrscht) Fuck off.

Philip: Die Union Minière des Grands Lacs ist zu hundert Prozent im Besitz eines niederländischen Multis mit Sitz auf den Antillen. Habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Gut. Und der Name des Multis ist – ja?

Haj: (Undeutlich grummelnd) Hogen[?]

Philip: Und die Geschäftsmaxime?

Haj: Handel statt Krieg.

Ph: Aber wem gehört Hogen? Dem sind Sie nicht nachgegangen. Eine Stiftung in Liechtenstein ist Eigner von Hogen, und unter normalen Umständen wäre das das Ende der Fahnenstange. In diesem besonderen Fall allerdings haben wir das Glück, Ihnen eine komplette Besetzungsliste vorlegen zu können.

Die Namen, die er vorliest, sagen mir nichts, und Haj, so mein Eindruck, auch nicht. Erst als Philip zu ihren Betätigungsfeldern kommt, zieht sich mir der Magen zusammen.

Philip: Wall-Street-Broker und ehemaliger Berater des Präsidenten … Vorstandsvorsitzender der PanAtlantic Oil Corporation in Denver, Colorado … ehemaliges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, Vizepräsident von Amermine Gold & Finance Corporation in Dallas, Texas … Chefberater des Pentagon für Mineralienbeschaffung und -vorratshaltung … Vizepräsident von Grayson-Halliburton Communications Enterprise …

Neun Namen stehen auf meinem Block, als er zum Ende kommt: in der Summe, wenn Philip zu glauben ist, ein Who’s Who des amerikanischen wirtschaftlichen und politischen Establishments, praktisch ununterscheidbar von der Regierung, wie er voll Genugtuung hervorhebt.

Philip: Kühne konzeptionelle Denker, jeder einzelne von ihnen. Neokonservative ersten Ranges, Geopolitiker im großen Stil. Die Liga, die in mondänen Skiorten über das Schicksal von Nationen entscheidet. Derzeit haben sie wieder einmal den Ostkongo im Visier, und was für ein Bild zeigt sich ihnen? Wahlen stehen vor der Tür, bei denen nichts anderes herauskommen kann als Anarchie. Die Chinesen brauchen Rohstoffe und scharren schon an der Tür. Welchen Weg also einschlagen? Die Kongolesen mögen die Amerikaner nicht, und die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Die Ruander hassen die Kongolesen und halten sie fest an der Kandarre. Und effizient sind sie auch noch. Darum besteht die Strategie der Amerikaner darin, Ruandas wirtschaftliche Präsenz im Ostkongo so auszubauen, daß sie zur unumstößlichen Tatsache wird. Eine unblutige Annexion also im Grunde, möglichst mit ein bißchen Nachhilfe durch die CIA. Womit Ihr Freund Marius auf den Plan tritt.

Wenn schon meine Gedanken rasen, so müssen die von Haj völlig ins Schleudern geraten sein.

Philip: Gut, ja, der Mwangaza hat einen schmutzigen Deal mit Kinshasa ausgekungelt. Er ist nicht der erste kongolesische Politiker, der sich Rückendeckung verschafft, bevor er in die Schlacht zieht, und der letzte bestimmt auch nicht. (Kleines Lachen) Aber einer Übernahme durch Ruanda ist er allemal vorzuziehen. (Pause, in der Haj, wie ich fürchte, fügsam nickt) Und wenigstens arbeitet er auf ein unabhängiges Kivu hin, nicht auf eine amerikanische Kolonie. Und wenn Kinshasa dabei absahnen kann, warum sollte es dann einschreiten? Und Kivu bleibt in der föderalen Familie, wo es hingehört. (Einschenkgeräusche, Eiswürfelklirren; Hajs Glas wird vermutlich nachgefüllt) Es spricht also einiges für den alten Knaben, wenn Sie noch mal drüber nachdenken. Ich finde, Sie sind ein bißchen arg streng mit ihm, Haj,

wenn ich das so offen sagen darf. Er mag eine Spur naiv sein, aber welcher Idealist wäre das nicht? Und seine Absichten sind untadelig, selbst wenn er sie nie so ganz umsetzen kann. (Abrupter Wechsel im Tonfall) Was versuchen Sie mir da zu sagen? Was möchten Sie haben? Ihr Sakko. Hier ist Ihr Sakko. Sie frieren. Sie können nicht sprechen. Stift haben Sie. Was brauchen Sie noch? Papier. Hier haben Sie ein Blatt Papier. (Reißt irgendwo eine Seite heraus)

Was in drei Teufels Namen ist mit Hajs hyperaktiver Zunge passiert? Lähmt der Whisky sie ihm? Der Elektroschocker? Kratzen und Scharren, während er mit einem seiner Parker-Füller ungestüm etwas aufs Papier kritzelt. Wem schreibt er? Was schreibt er? Nächste Runde im Duell. Wir sind wieder auf der Startlinie, in der Gästesuite, und Haj legt warnend den Finger an den Mund. Wir sind auf den Stufen zum Pavillon, und Haj versucht die Mikrophone und mich auszutricksen. Diesmal mit bekritzelten Zettelchen, die er Philip zuschiebt.

Philip: Das ist ein schlechter Witz, oder?

Haj: (Sehr leise) Ein guter Witz.

Philip: Nicht für meinen Geschmack.

Haj: (Immer noch leise) Für mich und meinen Vater ist es ein guter. Philip: Sie sind wahnsinnig. Haj: Machen Sie’s einfach, verdammt. Ich mag nicht drüber reden.

V o r mir etwa? Ich soll nicht mithören können? Ist es das, was er Philip zu verstehen geben will? Papier wechselt raschelnd von einer Hand in die andere. Philips Stimme wird schneidend kalt:

Philip: Stimmt, da würde ich auch nicht drüber reden wollen an Ihrer Stelle. Glauben Sie allen Ernstes, Sie können noch mal drei Millionen aus uns rauspressen, einfach indem Sie eine Rechnung hinschmieren?

Haj: (Schreiend plötzlich) Das ist unser Preis, Sie Scheiß-Wichser! In bar, verstanden?

Philip: Fällig an dem Tag, an dem Kinshasa den Mwangaza zum Gouverneur von Süd-Kivu ernennt, ja?

Haj: Nein! Gleich, verdammt noch mal! Jetzt sofort!

Philip: An einem Samstag?

Haj: Bis Montag abend! Oder ihr könnt euch die Sache abschminken. Auf das Konto meines Vaters in Bulgarien oder was weiß ich wo! Ist das klar?

Die Stimme senkt sich jäh. Statt des wutentbrannten Kongolesen hören wir den sarkastischen SorbonneAbsolventen.

Haj: Mein Vater hat sich unter Wert verkauft. Er hat es versäumt, das Maximum für sich herauszuschlagen, und ich hole dieses Versäumnis nach. Der angepaßte Preis beträgt drei Millionen Dollar zusätzlich, andernfalls kommt der Handel nicht zustande. Eine Million für Bukavu, eine Million für Goma, und eine Million dafür, daß ihr mich hier verschnürt habt wie ein Postpaket und mit diesem Ding traktiert habt.

Also rufen Sie schon an bei Ihrem No-nameSyndikat und lassen Sie sich zu dem Kerl durchstellen, der ja sagt.

Philip feilscht und versucht dabei seine Würde zu wahren: In dem unwahrscheinlichen Fall, daß das Syndikat Hajs Offerte in Erwägung zieht, wie wäre es mit einer halben Million Dollar vorab und der Rest, wenn alles unter Dach und Fach ist? Hajs Antwort ist ein weiteres »Fuck off«, gefolgt von »You motherfucker«.

Tut mir leid, Sie so lange vernachlässigt zu haben, Brian, mein Lieber. Wie war’s bei Ihnen?

Sams Einmischung scheint aus einer anderen Welt zu kommen, aber ich nehme sie gelassen.

Ziemlich ereignislos, Sam. Mit vollem Mund spricht man nicht. Müssen wir nicht bald wieder hoch?

Doch, geht gleich weiter. Philip folgt nur noch rasch einem Ruf der Natur.

Die Tür schließt sich, und Haj klackt allein im Zimmer hin und her. Was macht er? Sich im Spiegel anstarren, stelle ich mir vor. Sieht man ihm an, daß er sich für drei Millionen Dollar verkauft hat, zahlbar bis Montag, falls alles klappt? Er fängt an zu summen. Das unterscheidet uns. Ich bin unmusikalisch. Mein Summen ist mir peinlich, selbst wenn ich allein bin. Aber Haj ist musikalisch, und er summt, um sich aufzuheitern. Vielleicht, um uns beide aufzuheitern. Und zum Klang seines Summens schlurft er schwerfällig durchs Zimmer. Er summt unser beider Schmach weg. Und dann singt er, und was er singt, ist anders als alles, was ich ihn bis dahin habe summen oder singen hören: ein Missionsschul-Reimgeklingel, das mir meine trüben Stunden in der Missions-Sonntagsschule zurückbringt. Wir stehen in Reih und Glied in unseren blauen Uniformen. Wir klatschen in die Hände und stampfen mit den Füßen, kloncklonk, und wir erzählen uns eine erbauliche Geschichte. Diese hier handelt von einem kleinen Mädchen, das dem lieben Gott gelobt hat, ihre Tugend zu verteidigen, komme, wer da wolle. Und zum Lohn hilft er ihr. Sooft sie in Versuchung gerät, langt er vom Himmel herab und führt sie zurück auf den rechten Pfad, klonk. Und als sie in den Tod geht, um nicht in die Fänge ihres bösen Onkels zu geraten, empfängt Gott sie am Himmelstor mit Engelschören. Kloncklonk.

Philips Glocke läutet zur nächsten Runde. Haj hört sie. Ich höre sie ebenfalls, ganz fern über die Mikrophone, aber ich lasse es mir vor Spider nicht anmerken. Ich bleibe sitzen, Kopfhörer über den Ohren, eifrig auf meinem Block herumkritzelnd, die Unschuld in Person. Haj klonkt zur Tür, stößt sie auf und singt sich hinaus in den Sonnenschein. Den ganzen Weg den Bogengang entlang bis zur Gästesuite fangen die Mikros seine süßliche Weise über den Sieg der Tugend ein.


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