KAPITEL 9

Der Jude hatte sich östlich von Port Royal in der Sutter’s Bay versteckt. Schon von Weitem sah Hunter beißenden Rauch über den grünen Bäumen aufsteigen und hörte gelegentlich Sprengladungen knallen.

Als er auf eine kleine Lichtung ritt, sah er den Juden inmitten einer bizarren Szenerie: Überall lagen tote Tiere herum, die in der heißen Mittagssonne vor sich hin stanken. Auf einer Seite standen drei kleine Holzfässer mit Salpeter, Holzkohle und Schwefel. Glasscherben glitzerten in den hohen Bäumen. Der Jude selbst arbeitete fieberhaft, Kleidung und Gesicht beschmiert mit Blut und dem Staub von explodiertem Pulver.

Hunter stieg vom Pferd und sah sich um. »Was in Gottes Namen treibt Ihr hier?«

»Das, worum Ihr mich gebeten habt«, erwiderte Black Eye. Er lächelte. »Ihr werdet nicht enttäuscht sein. Hier, ich zeig es Euch. Als Erstes habt Ihr mich beauftragt, eine lange und langsam brennende Zündschnur herzustellen. Ja?«

Hunter nickte.

»Die üblichen Zündschnüre sind untauglich«, sagte der Jude abfällig. »Man könnte eine Pulverspur verwenden, aber die brennt sehr rasch ab. Oder man könnte eine Lunte verwenden.« Eine Lunte bestand aus einem in Salpeter getränkten Stück Kordel oder Zwirn. »Aber eine Lunte ist ausgesprochen langsam, und häufig ist die Flamme zu schwach, um den Sprengstoff zu entzünden. Versteht Ihr?«

»Aber ja.«

»Nun denn. Eine Flamme mit mittlerer Brenngeschwindigkeit erhält man durch einen erhöhten Schwefelanteil im Pulver. Aber eine solche Mischung gilt als unzuverlässig. Die Flamme könnte zwischendurch ausgehen, was wir nicht wollen.«

»Nein.«

»Ich habe allerlei getränkte Schnüre und Dochte und Lappen ausprobiert, vergeblich. Auf nichts davon ist Verlass. Daher habe ich nach einem Behältnis für das Pulver gesucht. Und das hier gefunden.« Er hielt ein dünnes weißes, sehniges Material hoch. »Die Gedärme einer Ratte«, sagte er mit einem glücklichen Lächeln. »Ich habe sie über warmen Kohlen leicht getrocknet, um die Säfte zu entfernen, und sie sind dennoch geschmeidig geblieben. Also, mit Pulver gefüllt, wird aus dem Darm eine brauchbare Zündschnur. Ich zeig es Euch.«

Er nahm ein etwa zehn Fuß langes weißliches Stück Darm, durch dessen Wand das Pulver dunkel durchschien. Er legte es auf die Erde und zündete ein Ende an.

Die Zündschnur brannte nur leise zischend und so langsam, dass die Flamme in einer Minute höchstens ein bis zwei Zoll zurücklegte.

Der Jude strahlte übers ganze Gesicht. »Seht Ihr?«

»Ihr habt allen Grund, stolz zu sein«, sagte Hunter. »Könnt Ihr diese Zündschnur transportieren?«

»Mühelos«, sagte der Jude. »Das einzige Problem ist die Zeit. Wenn der Darm zu sehr austrocknet, wird er brüchig und könnte reißen. Das passiert nach gut einem Tag.«

»Dann müssen wir eine Anzahl Ratten mitnehmen.«

»Das denke ich auch«, sagte der Jude. »Und nun habe ich noch eine Überraschung, etwas, das Ihr nicht in Auftrag gegeben habt. Vielleicht habt Ihr keine Verwendung dafür, aber ich halte es für eine großartige Erfindung.« Er hielt inne. »Sagt Euch das Wort grenadoe etwas?«

»Nein«, sagte Hunter kopfschüttelnd. »Was soll das sein? Eine vergiftete Frucht?«

»Gewissermaßen«, sagte der Jude mit einem schwachen Lächeln. »Es ist eine besondere Waffe. Ich hatte von ihr gehört, aber auch, dass ihre Herstellung gefährlich ist. Ich habe es dennoch gewagt. Entscheidend ist die richtige Salpetermenge. Ich zeige es Euch.«

Der Jude hielt eine leere Glasflasche mit kleinem Hals hoch. Vor Hunters Augen schüttete der Jude eine Handvoll Vogelschrot und einige Metallstückchen hinein. Während er hantierte, sagte der Jude: »Ich möchte nicht, dass Ihr schlecht von mir denkt. Wisst Ihr etwas über die Gran Complicidad?«

»Nur ein wenig.«

»Es fing an mit meinem Sohn«, sagte der Jude und verzog das Gesicht, während er die grenadoe vorbereitete. »Im August des Jahres 1639 hatte mein Sohn dem jüdischen Glauben schon lange abgeschworen. Er lebte in Lima, in Peru, in Neuspanien. Seine Familie gedieh. Er hatte Feinde.

Am elften August wurde er festgenommen« – der Jude schüttete noch mehr Schrot in die Flasche – »und angeklagt, ein heimlicher Jude zu sein. Es hieß, er würde an einem Samstag nicht verkaufen und auch keinen Speck zum Frühstück essen. Er wurde als Judaisierer gebrandmarkt. Er wurde gefoltert. Man zog ihm rot glühende Eisenschuhe an die nackten Füße, die ihm das Fleisch versengten. Er gestand.« Der Jude füllte die Glasflasche bis oben mit Pulver und versiegelte sie mit flüssigem Wachs.

»Er wurde sechs Wochen lang eingekerkert«, fuhr er fort. »Im Januar 1639 wurden elf Männer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sieben davon bei lebendigem Leibe. Einer der sieben war mein Sohn. Cazalla war der Garnisonskommandant, der das Autodafé überwachte. Der Besitz meines Sohnes wurde beschlagnahmt. Seine Frau und seine Kinder … verschwanden.«

Der Jude warf Hunter einen kurzen Blick zu und wischte sich die Tränen ab, die ihm in den Augen standen. »Ich trauere nicht«, sagte er. »Aber vielleicht versteht Ihr das hier jetzt besser.« Er hob die grenadoe und steckte eine kurze Lunte hinein.

»Ihr sucht besser Deckung hinter den Büschen da«, sagte der Jude. Hunter gehorchte und sah zu, wie der Jude die Flasche auf einen Felsen stellte, die Lunte anzündete und dann wie verrückt zu ihm gerannt kam. Beide Männer beobachteten die Flasche.

»Was soll denn passieren?«, fragte Hunter.

»Schaut hin«, sagte der Jude und lächelte zum ersten Mal.

Einen Augenblick später explodierte die Flasche. Glas und Metall wurde in alle Richtungen geschleudert. Hunter und der Jude duckten sich, hörten, wie die Bruchstücke über ihnen durchs Laub fetzten.

Als Hunter den Kopf wieder hob, war er blass. »Allmächtiger«, sagte er.

»Keine ehrenhafte Apparatur«, sagte der Jude. »Sie fügt allem, was fester ist als Fleisch, nur wenig Schaden zu.«

Hunter blickte den Juden neugierig an.

»Der Spanier hat derlei Aufmerksamkeiten verdient«, sagte der Jude. »Was haltet Ihr von der grenadoe?«

Hunter zögerte. Alles in ihm lehnte sich gegen eine so unbarmherzige Waffe auf. Doch er zog mit sechzig Mann los, um in einem feindlichen Stützpunkt eine Schatzgaleone zu kapern: sechzig Mann gegen eine Festung mit dreihundert Soldaten und der Schiffsbesatzung an Land, was noch einmal zwei-oder dreihundert Mann ausmachte.

»Baut mir ein Dutzend«, sagte er. »Verpackt sie gut für die Reise und erzählt niemandem davon. Sie sind unser Geheimnis.«

Der Jude lächelte.

»Ihr werdet Eure Rache bekommen, Don Diego«, sagte Hunter. Dann stieg er auf sein Pferd und ritt davon.


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