KAPITEL 33

Im ersten der drei Beiboote lauschte Hunter auf das sanfte Plätschern des Wassers an den Bootswänden und spähte durch die Nacht auf die näher kommende Insel. Das Trommeln klang lauter, und sie konnten das schwache Flackern von Feuer sehen, landeinwärts.

Lazue neben ihm sagte: »Die essen keine Frauen.«

»Ein Glück für dich«, sagte Hunter.

»Und für Lady Sarah.«

»Es heißt«, sagte Lazue und lachte leise im Dunkeln, »die Kariben essen auch keine Spanier. Die sind ihnen zu zäh. Die Holländer sind fett, aber fade, die Engländer mittelmäßig, aber die Franzosen köstlich. Könnte stimmen, meinst du nicht auch?«

»Ich will sie wiederhaben«, sagte er grimmig. »Wir brauchen sie. Wie sollen wir dem Gouverneur begreiflich machen, dass wir seine Nichte gerettet haben, nur um sie gleich wieder an Wilde zu verlieren, die sie am Spieß gebraten haben?«

»Du hast keinen Sinn für Humor«, sagte Lazue.

»Heute Nacht nicht.«

Er sah sich nach den anderen Booten um, die ihnen im Dunkeln folgten. Alles in allem hatte er siebenundzwanzig Männer mitgenommen. Enders war bei der El Trinidad geblieben und versuchte, sie im Schein der Feuer in aller Eile wieder seeklar zu machen. Enders konnte mit Schiffen Wunder bewirken, aber das jetzt war selbst von ihm zu viel verlangt. Auch wenn ihnen die Flucht mit Lady Sarah gelang, es würde wenigstens noch einen Tag dauern, bis sie No Name verlassen konnten, vielleicht länger. Und inzwischen würden die Indianer angreifen.

Er spürte, wie sein Beiboot knirschend am sandigen Ufer auflief. Die Männer sprangen ins knietiefe Wasser. Hunter flüsterte: »Alle raus bis auf den Juden. Vorsichtig mit dem Juden.«

Don Diego stieg erst einen Augenblick später ganz behutsam ans trockene Ufer, in den Armen eine kostbare Ladung.

»Sind sie nass geworden?«, flüsterte Hunter.

»Ich glaube nicht«, sagte Don Diego. »Ich hab aufgepasst.« Er blinzelte mit seinen schwachen Augen. »Ich kann nicht viel sehen.«

»Folgt mir«, sagte Hunter. Er führte seine Leute ins Innere der Insel. Hinter ihm am Strand sprangen die bewaffneten Besatzungen aus den anderen beiden Beibooten. Die Männer verschwanden still und leise zwischen den Kakteen am Ufer. Die Nacht war mondlos und sehr dunkel. Bald waren sie alle ein gutes Stück ins Inselinnere vorgedrungen, kamen den Feuern und den Trommelschlägen immer näher.

Das Karibendorf war größer, als er erwartet hatte: Ein Dutzend Lehmhütten mit Grasdächern standen im Halbkreis um etliche lodernde Feuer. Hier tanzten und heulten die Krieger. Ihre grellrot bemalten Körper warfen lange, flackernde Schatten. Einige trugen Krokodilhäute über den Köpfen, andere reckten Menschenschädel in die Luft. Alle waren nackt. Sie gaben einen schaurigen, eintönigen Singsang von sich.

Der Anlass für ihren Tanz war über dem Feuer zu sehen. Auf einem Rost aus grünen Holzstöcken lag der armlose, beinlose, ausgeweidete Rumpf eines Seemannes. Auf einer Seite war eine Gruppe Frauen damit beschäftigt, die Gedärme des Mannes zu reinigen.

Hunter konnte Lady Sarah nirgends entdecken. Dann deutete der Maure in eine Richtung, und er sah sie vor einer Hütte auf dem Boden liegen. Ihre Haare waren mit Blut verfilzt. Sie rührte sich nicht. Wahrscheinlich war sie tot.

Hunter schaute seine Männer an. In ihren Gesichtern spiegelte sich Entsetzen und Wut. Er flüsterte Lazue ein paar Worte zu, dann robbte er mit Bassa und Don Diego außen um das Dorf herum.

Die drei Männer schlichen sich mit gezückten Messern in eine Hütte. Die Hütte war leer. Schädel hingen von der Decke, stießen klackernd im Wind zusammen, der durchs Dorf blies. In einer Ecke stand ein Korb mit Knochen.

Hunter achtete nicht weiter darauf. »Schnell«, sagte er.

Don Diego legte seine grenadoe in der Mitte der Hütte auf die Erde und zündete die Lunte an. Die drei Männer huschten nach draußen, in eine entlegene Ecke des Dorfes. Dort zündete Don Diego die Lunte einer zweiten grenadoe an, und sie warteten.

Die erste grenadoe explodierte mit durchschlagender Wirkung. Die Hütte wurde in tausend Stücke gesprengt, und die fassungslosen krebsroten Krieger heulten vor Entsetzen auf. Don Diego warf die zweite grenadoe mitten ins Feuer, wo sie Augenblicke später explodierte. Die Krieger kreischten, als sie von umherfliegenden Metall-und Glassplittern getroffen wurden.

Gleichzeitig eröffneten Hunters Leute aus dem Unterholz das Feuer.

Hunter und der Maure schlichen zu der reglosen Lady Sarah Almont, hoben sie auf und verschwanden mit ihr im Gebüsch. Ringsherum schrien, heulten und starben die Kariben. Die Grasdächer der Hütten fingen Feuer. Das Letzte, was Hunter von dem Dorf sah, war ein flammendes Inferno.

Ihr Rückzug war hastig und planlos. Bassa, mit seinen ungeheuren Kräften, trug die Engländerin mühelos. Plötzlich gab sie ein Stöhnen von sich.

»Sie lebt«, sagte Hunter.

Sie stöhnte erneut.

Im schnellen Trab erreichten die Männer ihre Boote am Strand. Sie konnten ohne weitere Vorkommnisse von der Insel fliehen.

Im Morgengrauen waren sie alle wieder sicher auf dem Schiff. Enders, der Meereskünstler, ließ sich bei der Arbeit an der Galeone von Hunter ablösen, um die verletzte Frau zu verarzten. Am frühen Vormittag konnte er Bericht erstatten.

»Sie wird’s überleben«, sagte er. »Hat einen bösen Schlag auf den Kopf bekommen, ist aber nicht so schlimm.« Er ließ den Blick über die El Trinidad gleiten. »Ich wünschte, dem Schiff würd’s ebenso gut gehen.«

Hunter hatte versucht, die Galeone klar zum Auslaufen zu machen. Doch es gab nach wie vor viel zu tun: Der Hauptmast war noch schwach, der Mastkorb fehlte und unter der Wasserlinie klaffte nach wie vor ein großes Loch. Um Holz zum Ausbessern zu haben, hatten sie von einem großen Teil des Decks die Planken abgerissen, und bald würden sie sich beim unteren Kanonendeck bedienen müssen. Sie kamen langsam voran.

»Vor morgen früh kommen wir hier nicht weg«, sagte er.

»Mir graut vor der Nacht«, sagte Enders, der den Blick über die Insel schweifen ließ. »Im Augenblick ist ja alles friedlich. Aber ich bin nicht scharf darauf, die Nacht hier zu verbringen.«

»Ich auch nicht«, sagte Hunter.

Sie arbeiteten die ganze Nacht durch. In ihrer angsterfüllten Hast, das Schiff wieder flottzumachen, verzichteten die erschöpften Männer auf Schlaf. Hunter stellte eine ganze Reihe von Wachen auf, was die Arbeit verlangsamte, doch so war ihm wohler zumute.

Um Mitternacht setzten die Trommelschläge wieder ein und währten gut eine Stunde. Dann trat eine unheimliche Stille ein.

Die Männer waren zermürbt. Sie wollten nicht arbeiten, und Hunter musste sie antreiben. Kurz vor Tagesanbruch stand er gerade neben einem Seemann und half ihm, eine Planke festzuhalten, als der Mann sich mit der Hand klatschend an den Hals schlug.

»Verdammte Moskitos«, sagte er.

Und dann brach er mit einem sonderbaren Ausdruck im Gesicht zusammen, hustete einmal und starb.

Hunter beugte sich über ihn. Er untersuchte den Hals und sah nur einen Nadelstich, mit einem einzigen Tropfen Blut. Dennoch war der Mann tot.

Von irgendwo in Bugnähe hörte er einen Schrei, und ein weiterer Mann fiel tot in den Sand. Die Besatzung war völlig verwirrt. Die Wachen kamen zurück zum Schiff gerannt, und Männer, die am Schiff gearbeitet hatten, gingen dahinter in Deckung.

Hunter starrte wieder auf den Mann zu seinen Füßen. Dann sah er etwas in der Hand des Toten. Es war ein winziger, gefiederter Pfeil mit einer Nadelspitze.

Giftpfeile.

»Sie kommen«, riefen die Beobachtungsposten. Die Männer drängten sich hinter Holzbretter und Trümmerteile, hinter alles, was irgendwie Schutz bot. Sie warteten angespannt, doch nichts geschah. In den Büschen und Kakteen am Ufer blieb alles ruhig.

Enders kam zu Hunter herübergehuscht. »Sollen wir weiterarbeiten?«

»Wie viele haben wir verloren?«

»Peters, Sir.« Enders blickte nach unten. »Und Maxwell.«

Hunter schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht noch mehr verlieren.« Seine Besatzung war auf dreißig geschrumpft. »Wir warten bis zur Dämmerung.«

»Ich geb den Leuten Bescheid«, sagte Enders und kroch weg. Im selben Augenblick ertönte ein schrilles Heulen, und dann machte es Klatsch! Ein kleiner gefiederter Pfeil hatte sich neben Hunters Ohr ins Holz gebohrt. Er zog den Kopf ein und wartete.

Bis zum Anbruch der Dämmerung blieb alles ruhig, doch dann kamen die rot bemalten Männer mit einem schauerlichen Geheul aus den Büschen auf den Strand gestürmt. Hunters Leute empfingen sie mit einer Musketensalve. Ein Dutzend von den Wilden fielen um, die Übrigen suchten schleunigst wieder Deckung.

Hunter und seine Männer warteten, geduckt und ängstlich, bis zum Mittag. Als nichts passierte, gab Hunter zögerlich den Befehl, die Arbeit wieder aufzunehmen. Er erkundete mit einer Handvoll Männern die nähere Umgebung, aber die Wilden blieben spurlos verschwunden.

Er kehrte zum Schiff zurück. Seine Seeleute waren ausgezehrt, ermattet und bewegten sich langsam. Doch Enders war gut aufgelegt. »Drückt die Daumen und rühmt die Vorsehung«, sagte er, »dann sind wir morgen früh wieder auf See.«

Während das Hämmern und Klopfen wieder einsetzte, ging Hunter nach Lady Sarah sehen.

Sie lag im Bett und stierte auf die Tür, als Hunter eintrat.

»Madam«, sagte er. »Wie fühlt Ihr Euch?«

Sie starrte ihn an, ohne zu antworten. Ihre Augen waren geöffnet, aber sie sah ihn nicht.

»Madam?«

Keine Antwort.

»Madam.«

Er wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. Sie blinzelte nicht mal, schien ihn gar nicht wahrzunehmen.

Er ließ sie kopfschüttelnd allein.

Sie brachten die El Trinidad mit der am Abend einsetzenden Flut wieder zu Wasser, konnten die Bucht aber nicht vor Tagesanbruch verlassen. Hunter schritt an Deck seines Schiffes auf und ab, ohne das Ufer aus den Augen zu lassen. Das Trommeln hatte wieder begonnen. Er war hundemüde, wollte sich aber nicht schlafen legen. Die ganze Nacht hindurch zischten immer wieder die tödlichen Pfeile durch die Luft. Es wurde niemand getroffen, und Enders, der über das Schiff kroch wie ein hellwacher Affe, erklärte, er sei mit den Instandsetzungen zufrieden, wenn auch nicht begeistert davon.

Bei Sonnenaufgang lichteten sie den Heckanker, und nachdem sie ein Stück vom Strand weggetrieben waren, füllten sich ihre Segel und sie nahmen Kurs aufs offene Meer. Hunter behielt das Ufer im Auge. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass die roten Krieger mit einer Flotte Kanus angreifen würden. Aber jetzt konnte er ihnen eine Kostprobe von seinen Kanonen bieten und freute sich geradezu auf die Gelegenheit.

Doch die Indianer griffen nicht an, und als der Wind die Segel blähte und No Name Cay hinter ihnen verschwand, kam ihm der ganze Zwischenfall mehr und mehr wie ein böser Traum vor. Er war völlig erschöpft. Er schickte die meisten Männer in die Hängematten und überließ das Schiff nur Enders am Ruder und einer Notbesatzung.

Das erfüllte Enders mit Sorge.

»Herrgott noch mal«, sagte Hunter, »Ihr seid ja ewig besorgt. Wir sind eben erst den Wilden entkommen, wir haben unser Schiff unter den Füßen und klares Wasser vor uns. Wann seid Ihr endlich zufrieden?«

»Aye, das Wasser ist klar«, sagte Enders, »aber jetzt sind wir in der Boca del Dragon, so viel steht fest. Und hier sollte man nicht mit einer Notbesatzung unterwegs sein.«

»Die Männer müssen schlafen«, sagte Hunter und ging nach unten. Kaum hatte er sich in seiner heißen stickigen Kajüte hingelegt, fiel er auch schon in einen gequälten, unruhigen Schlaf. Er träumte, sein Schiff wäre in der Boca del Dragon gekentert, wo das Wasser tiefer war als irgendwo sonst im Westlichen Meer. Und er sank hinunter ins blaue Wasser, das schwarz wurde …

Der Schrei einer Frauenstimme schreckte ihn aus dem Schlaf. Er eilte an Deck. Der Abend dämmerte, und es wehte eine sehr leichte Brise. Die Segel der El Trinidad blähten sich und glühten rot in der untergehenden Sonne. Lazue hatte Enders am Ruder abgelöst. Sie deutete aufs Meer. »Sieh dir das an.«

Hunter blickte in die Richtung. Unter der Oberfläche sah er im aufgewühlten Wasser irgendetwas Schimmerndes, etwas blaugrün Leuchtendes, das auf sie zukam.

»Der Drache«, sagte Lazue. »Der Drache folgt uns schon seit einer Stunde.«

Hunter beobachtete das leuchtende Geschöpf, das näher kam und, als es neben dem Schiff war, langsamer wurde, um auf einer Höhe mit der El Trinidad zu schwimmen. Es war riesig, ein gewaltiger Berg leuchtendes Fleisch mit langen, nach hinten ausgestreckten Fangarmen.

»Nein!«, rief Lazue, und das Ruder wurde ihr aus den Händen gerissen. Das Schiff schaukelte wie verrückt. »Er greift an!«

Hunter packte das Steuer mit beiden Händen. Doch irgendeine gewaltige Kraft hatte sich seiner bemächtigt, und er konnte es nicht festhalten. Er wurde nach hinten gegen die Reling geschleudert, sodass ihm die Luft wegblieb und er nach Atem rang. Seeleute kamen an Deck gerannt, aufgeschreckt von Lazues Rufen. Überall wurde panisch »Krake! Krake!« geschrien.

Hunter kam gerade wieder auf die Beine, als sich ein schleimiger Fangarm auf Deck schob und sich ihm um die Hüfte schlang. Harte, hornartige Sauger rissen an seiner Kleidung und zerrten ihn zur Reling. Er spürte das kalte Fleisch des Ungetüms. Er überwand seinen Ekel und hackte mit seinem Dolch auf den Tentakel ein, der ihn umschloss. Der Arm hatte übermenschliche Kräfte und hob ihn hoch in die Luft. Wieder und wieder bohrte Hunter seinen Dolch in das Fleisch. Grünliches Blut strömte an seinen Beinen hinab.

Und dann auf einmal lockerte sich die Umklammerung des Fangarms, und Hunter fiel aufs Deck. Als er wieder hochkam, sah er überall Tentakel, die sich über das Heck und das ganze Achterdeck wanden. Ein Seemann wurde gepackt und, während er sich windend zu befreien versuchte, in die Luft gehoben. Das Ungeheuer schleuderte ihn fast verächtlich ins Meer.

Enders rief: »Versucht, ihn vom Kanonendeck aus zu erwischen! Vom Kanonendeck!« Hunter hörte Musketensalven von irgendwo mittschiffs. Männer beugten sich über die Bordwand und schossen auf das Ungetüm.

Hunter rannte zum Heck und blickte nach unten auf das grässliche, bauchige Ungeheuer, das seine zahllosen Fangarme, die das Schiff an etlichen Stellen gepackt hatten, mal hierhin peitschen, mal dorthin schlängeln ließ. Der ganze Körper des Monstrums schimmerte grün in der wachsenden Dunkelheit. Die grünen Tentakel krochen in die Fenster der Heckkajüten.

Plötzlich fiel ihm Lady Sarah ein und er hastete nach unten. Sie lag in ihrer Kajüte und starrte noch immer mit versteinertem Gesicht auf die Tür.

»Kommt, Madam –«

In dem Augenblick zerbarsten die Bleiglasfenster und ein gewaltiger Tentakel, dick wie ein Baumstamm, reckte sich in die Kajüte. Er schlang sich um eine Kanone und zerrte an ihr, sodass die Kanone sich aus ihrer Halterung löste und durch den Raum rollte. Dort, wo die verhornten Sauger das Metall gepackt hatten, waren tiefe, leuchtend gelbe Kratzer.

Lady Sarah schrie auf.

Hunter suchte sich eine Axt und hackte auf den zuckenden Fangarm ein. Ein Schwall widerlich grünes Blut spritzte ihm ins Gesicht. Die Sauger streiften seine Wange, rissen ihm die Haut auf. Der Fangarm wich zurück, stieß dann wieder vor und schlang sich wie ein leuchtend grüner Schlauch um Hunters Bein. Er wurde zu Boden gerissen und über die Planken zum Fenster geschleift. Er schlug die Axt tief in den Boden, um sich daran festzuhalten, doch sie löste sich, und dann schrie Lady Sarah erneut auf, als Hunter durch die zerbrochene Fensterscheibe nach draußen gezogen wurde, über das Heck des Schiffs.

Einen Augenblick lang flog er durch die Luft, hin und her geworfen von dem Tentakel, der sein Bein gepackt hielt, wie eine Puppe in den Händen eines Kindes. Dann krachte er gegen das Heck der El Trinidad. Er packte die Reling der Achterkajüte und hielt sich mit einer schmerzenden Hand daran fest. In der anderen hielt er noch immer die Axt, und er begann erneut, auf den Tentakel einzuhacken, der ihn endlich losließ.

Einen Augenblick lang war er frei und dem Ungetüm ganz nah, das unter ihm das Wasser aufwühlte. Er war verblüfft, wie groß es war. Es sah aus, als würde es das Schiff auffressen, wie es sich mit seinen vielen Tentakeln am Heck festklammerte. Sogar die Luft schimmerte von dem grünlichen Licht, das es ausstrahlte.

Unmittelbar unter sich sah er ein riesiges Auge, fünf Fuß im Durchmesser, größer als eine Tischplatte. Das Auge blinzelte nicht, es lag kein Ausdruck darin. Die schwarze Pupille, umringt von leuchtend grüner Haut, schien Hunter leidenschaftslos zu mustern. Weiter hinten war der Körper des Tiers geformt wie ein Spaten mit zwei flachen Flossen. Doch Hunters Aufmerksamkeit war allein auf die Tentakel gerichtet.

Wieder schlängelte sich einer auf ihn zu. Er sah horngeränderte Sauger so groß wie Teller. Sie rissen an seiner Haut, und er wand sich, um ihnen auszuweichen, während er sich weiter an der Kajütenreling festklammerte.

Über ihm feuerten die Männer auf das Tier. Enders brüllte: »Feuer einstellen! Da hängt der Captain!«

Und dann fegte ihn einer der dicken Fangarme mit einem einzigen Schwung von der Reling, und er stürzte ins Wasser, genau auf das Monstrum.

Einen Augenblick lang strampelte und wirbelte er in dem grün schimmernden Wasser herum, bis seine Füße auf einmal Halt fanden. Er stand wahrhaftig auf dem Tier! Es war rutschig und wabbelig, als würde er auf einem mit Wasser gefüllten Sack stehen. Die Haut des Tieres – er spürte sie jedes Mal, wenn er auf alle viere fiel – fühlte sich rau und kalt an. Der ungeheure Körper pulsierte und wogte unter ihm.

Hunter kroch vorwärts, platschte im flachen Wasser zwischen dem Ungetüm und der Oberfläche herum, bis er das Auge erreichte. Aus nächster Nähe gesehen, wirkte es noch riesiger, ein gewaltiges Loch in dem leuchtenden Grün.

Hunter zögerte nicht. Er holte mit der Axt aus und schlug die Klinge in die gewölbte Kugel des Auges. Die Axt prallte ab; er holte erneut aus und dann noch einmal. Schließlich drang das Metall tief hinein. Ein Schwall klares Wasser schoss hoch wie ein Geysir. Das wulstige Fleisch rings um das Auge schien sich zusammenzuziehen.

Und dann auf einmal wurde das Meer milchig weiß. Er verlor den Halt unter den Füßen, als das Ungetüm tauchte, und schwamm um Hilfe rufend im Ozean. Ein Seil wurde ihm zugeworfen, und er packte es genau in dem Augenblick, als das Monster wieder hochkam. Von der Wucht wurde er in die Luft katapultiert, hoch über das wolkig weiße Wasser. Gleich darauf schlug er wieder auf der sackartigen Haut des Monsters auf.

Plötzlich kamen Enders und der Maure über Bord gesprungen, mit Lanzen in der Hand. Sie landeten neben Hunter auf dem Ungetüm und stießen ihm ihre Lanzen tief in den Leib. Grüne Blutfontänen schossen in die Luft. Ein Wasserschwall wogte auf – dann erschlaffte das Tier und glitt hinab in die Tiefen des Ozeans.

Hunter, Enders und der Maure schwammen im aufgewühlten Wasser.

»Danke«, keuchte Hunter.

»Bedankt Euch nicht bei mir«, sagte Enders und deutete mit einem Nicken auf den Mauren. »Der schwarze Mistkerl hat mich geschubst.«

Bassa grinste stumm.

Hoch über ihnen sahen sie, wie die El Trinidad ein Wendemanöver begann, um sie zurück an Bord zu holen.

»Wisst ihr«, sagte Enders, während die drei Männer auf der Stelle paddelten, »wenn wir wieder in Port Royal sind, glaubt uns das hier kein Mensch.«

Sie packten die Leinen, die ihnen zugeworfen wurden, und ließen sich triefend und hustend und erschöpft an Deck ziehen.


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