KAPITEL 25

Sobald sie am selben Abend in Constantina Bay, im Windschatten einer niedrigen, spärlich bewachsenen Insel geankert hatten, wählte die Besatzung sechs Männer aus ihren Reihen, die Hunter und Sanson beim Zählen des Schatzes behilflich sein sollten. Es war eine ernste und feierliche Angelegenheit. Während die übrige Besatzung die Gelegenheit nutzte, um sich mit spanischem Rum maßlos zu besaufen, blieben die acht Männer nüchtern, bis sie ihre Aufgabe erledigt hatten.

Auf Hunters Schiff befanden sich zwei Schatzkammern. Die erste, die sie öffneten, enthielt fünf Truhen. Eine war randvoll mit Perlen gefüllt, von ungleichmäßiger Beschaffenheit, aber dennoch kolossal wertvoll. Die zweite Truhe war voller Goldescudos, die matt im Laternenlicht schimmerten. Die Escudos wurden gewissenhaft gezählt und dann noch einmal, ehe man sie wieder in der Truhe verstaute. Gold war in jenen Tagen überaus selten – nur eines von hundert spanischen Schiffen hatte Gold an Bord –, und die Freibeuter konnten ihr Glück kaum fassen. In den übrigen drei Truhen fanden sie Silberbarren aus Mexiko. Hunter schätzte den Gesamtwert der fünf Truhen auf über zehntausend Pfund Sterling.

Voller Überschwang brachen sie die zweite Schatzkammer auf, in der sie zehn Truhen vorfanden. Als sie eifrig die erste öffneten, kamen schimmernde Silberbarren mit der Anker-und-Kronen-Prägung von Peru zum Vorschein. Doch die Oberfläche der Barren war mehrfarbig und ungleichmäßig.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Sanson.

Hastig öffneten sie die übrigen Truhen. Alle enthielten die gleichen mehrfarbigen Silberbarren.

Hunter sagte: »Holt den Juden her.«

Don Diego, der in dem Halbdunkel unter Deck blinzelte und vom spanischen Teufelstöter einen Schluckauf hatte, betrachtete die Silberbarren mit finsterer Miene. »Mir schwant nichts Gutes«, sagte er bedächtig und schickte nach einer Waage, einem Fässchen mit Wasser und einem Silberbarren aus der ersten Schatzkammer.

Als alles gebracht worden war, legte der Jude vor den Augen der anderen Männer den Silberbarren auf eine Seite der Waage und auf die andere nacheinander mehrere Barren von dem peruanischen Silber, bis er einen fand, der gleich schwer war.

»Mit den beiden geht’s«, sagte er und legte die Barren mit gleichem Gewicht neben sich. Dann zog er das Wasserfässchen vor sich und tauchte zuerst den mexikanischen Silberbarren hinein. Der Wasserpegel in dem Fässchen stieg. Der Jude markierte den neuen Pegel mit seinem Dolch, indem er das Holz einritzte.

Er nahm den mexikanischen Barren wieder heraus und legte das peruanische Silber hinein. Der Pegel stieg nicht so hoch.

»Was hat das zu bedeuten, Don Diego? Ist es Silber?«

»Zum Teil«, sagte der Jude. »Aber nicht ganz. Der Barren enthält Unreinheiten, irgendein anderes Metall, schwerer als Silber, aber von gleicher Farbe.«

»Ist es plumbum?«

»Vielleicht. Aber Blei ist außen matt, und das hier nicht. Ich bin sicher, es ist Silber vermischt mit platina.«

Die anderen stöhnten auf. Platin war ein wertloses Metall.

»Wie viel davon ist platina, Don Diego?«

»Das kann ich nicht sagen. Um das festzustellen, brauch ich bessere Hilfsmittel. Ich schätze, gut die Hälfte.«

»Diese verfluchten Spanier«, sagte Sanson. »Erst beklauen sie die Indianer, dann beklauen sie sich gegenseitig. Philipp ist ein bedauernswerter König, wenn er so beschwindelt wird.«

»Alle Könige werden beschwindelt«, sagte Hunter. »Das liegt in der Natur der Dinge. Aber diese Barren sind trotzdem etwas wert – wenigstens zehntausend Pfund. Wir haben auf jeden Fall einen großen Fang gemacht.«

»Aye«, sagte Sanson. »Aber wenn ich mir vorstelle, wie viel größer er gewesen wäre.«

Es wurden weitere Schätze gezählt. Die Frachträume des Schiffs enthielten Waren für den Haushalt, Stoffe, Blutholz, Tabak und Gewürze wie Chili und Nelken. Das alles ließ sich im Hafen von Port Royal an den Meistbietenden verkaufen und würde insgesamt ein hübsches Sümmchen bringen – vielleicht zweitausend Pfund.

Die Zählung dauerte bis spät in die Nacht, und als sie fertig war, gesellten sich die Männer zu dem feuchtfröhlichen Zechgelage der anderen. Alle bis auf Hunter und Sanson, die sich in Hunters Kajüte trafen.

Sanson kam gleich zur Sache. »Wie geht’s der Frau?«

»Sie ist kratzbürstig«, sagte Hunter. »Und sie weint viel.«

»Aber sie ist unversehrt?«

»Sie ist am Leben.«

»Sie muss mit dem Zehnten des Königs verrechnet werden«, sagte Sanson. »Oder mit dem Anteil des Gouverneurs.«

»Das wird Sir James nicht zulassen.«

»Ihr könnt ihn sicherlich überzeugen.«

»Das bezweifele ich.«

»Ihr habt seine einzige Nichte gerettet …«

»Sir James hat einen ausgeprägten Geschäftssinn. Für ihn zählt nur Gold.«

»Ich finde«, sagte Sanson, »Ihr solltet im Interesse der gesamten Besatzung versuchen, ihm die richtige Denkweise nahezubringen.«

Hunter zuckte die Achseln. Er hatte selbst auch schon daran gedacht und sich vorgenommen, die Sache dem Gouverneur vorzutragen.

Aber er wollte Sanson keine Versprechungen machen.

Der Franzose schenkte Wein ein. »Nun«, sagte er zufrieden. »Wir haben Großes bewirkt, mein Freund. Welche Route habt Ihr für die Rückkehr geplant?«

Hunter schilderte seine Absicht, nach Süden zu fahren und so lange auf offener See zu bleiben, bis sie nach Westen Kurs auf Port Royal nehmen konnten.

»Meint Ihr nicht«, gab Sanson zu bedenken, »es wäre sicherer, den Schatz auf die beiden Schiffe zu verteilen und uns jetzt zu trennen, um auf verschiedenen Routen zurückzukehren?«

»Ich halte es für besser, wenn wir zusammenbleiben. Zwei Schiffe wirken abschreckender, wenn sie aus der Ferne gesichtet werden. Einzeln könnten wir angegriffen werden.«

»Aye«, sagte Sanson. »Aber in diesen Gewässern patrouillieren Dutzende spanische Kriegsschiffe. Wenn wir uns trennen, ist es eher unwahrscheinlich, dass wir beide auf eines treffen.«

»Von spanischen Soldaten haben wir nichts zu befürchten. Wir sind ein herkömmliches spanisches Handelsschiff. Aber die Franzosen oder die Engländer könnten uns angreifen.«

Sanson lächelte. »Ihr traut mir nicht.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Hunter und lächelte zurück. »Ich will Euch im Blick haben, und ich will den Schatz unter meinen Füßen.«

»So sei es«, sagte Sanson, doch in seinen Augen lag ein dunkler Ausdruck, von dem Hunter sich vornahm, ihn nicht zu vergessen.


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